URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
14. Mai 1998 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Beweis für die Beteiligung an
Absprachen Geldbuße Umsatz Bestimmung der Höhe Mildernde
Umstände“
In der Rechtssache T-304/94
Europa Carton AG, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Hamburg,
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Gerhard Wiedemann und Wolfgang
Kirchhoff, Düsseldorf, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alex Bonn,
7, Val Sainte-Croix, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Bernd
Langeheine und Richard Lyal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, dann durch
Richard Lyal im Beistand von Rechtsanwalt Dirk Schroeder, Köln,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli
1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton, ABl.
L 243, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der
Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25.
Juni bis zum 8. Juli 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission
vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833
Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung
der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im
folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller
und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages Geldbußen festgesetzt.
- 2.
- Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung
werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“
zugeordnet werden.
- 3.
- Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer
grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
- 4.
- Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage
und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung
erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein
Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.
- 5.
- SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur
Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber
hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.
- 6.
- Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries
Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen
Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte
geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine
Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und
ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu
machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der
Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
- 7.
- Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der
Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend
den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
- 8.
- Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14
Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962,
Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und
Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig
Nachprüfungen vor.
- 9.
- Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten
der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und
ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.
- 10.
- Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und
Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem
Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den
meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
- 11.
- Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit
Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten
antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche
Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
- 12.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende
Bestimmungen enthält:
„Artikel 1
Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard
the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH
& Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV (unter der Firma BPB de
Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke
Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och
Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A.,
Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper &
Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher
Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen
Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich
im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens
Ende 1990,
im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens
Ende April 1991 und
im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,
in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,
an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft
sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen
zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur
Einschränkung des Wettbewerbs trafen;
sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder
Landeswährung verständigten;
gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft
planten und durchführten;
sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;
in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen
sicherzustellen;
als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen
(über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und
Kapazitätsauslastung) austauschten.
...
Artikel 3
Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten
Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt:
...
iv) gegen Europa Carton AG eine Geldbuße in Höhe von 2 000 000 ECU;
...“
- 13.
- Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus
mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens
„Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG Karton).
- 14.
- Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents'
Working Group“ (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der
(etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
- 15.
- Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte,
Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende
Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern
vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
- 16.
- Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr
oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden
Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum
zweimal pro Jahr getagt.
- 17.
- Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die
Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und,
wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom
PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im
Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu
gelangen.
- 18.
- Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) u. a. die Preisentwicklung
auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder bis
Ende 1987 dessen Vorgänger, dem „Marketing Committee“, über die Ergebnisse
ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der
meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr
zusammengetreten.
- 19.
- Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach
Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die
Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In
der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der
FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und
Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten
Daten erhalten.
- 20.
- Die Klägerin stellt nicht nur Karton her, sondern ist auch der größte
Kartonverarbeiter (Faltschachtelhersteller) in Deutschland. Der Entscheidung
zufolge hat sie gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich
von Mitte 1986 bis mindestens April 1991 an einer Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligte. Sie soll an einigen Sitzungen der PK und des JMC
teilgenommen haben.
Verfahren
- 21.
- Mit Klageschrift, die am 5. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
- 22.
- Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten
Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben
(Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94,
T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94,
T-352/94 und T-354/94).
- 23.
- Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre
Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der
Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen
worden.
- 24.
- Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung
Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten
Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt
(verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).
- 25.
- Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der
Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8.
Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch
Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese
Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
- 26.
- Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer
informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der
Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94,
T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und
T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser
Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen
Verbindung einverstanden erklärt.
- 27.
- Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer
des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß
Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung
verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf
vertrauliche Behandlung stattgegeben.
- 28.
- Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der
Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.
- 29.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer)
beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende
Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen
zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen
Ersuchen nachgekommen.
- 30.
- Die Parteien in den in Randnummer 26 genannten Rechtssachen haben in der
Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 31.
- Die Klägerin beantragt,
Artikel 1 achter und neunter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf
sie für nichtig zu erklären;
die in Artikel 3 der Entscheidung gegen sie festgesetzte Geldbuße
herabzusetzen;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 32.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
- 33.
- Die Klägerin macht geltend, die eine Absprache über die Marktanteile und die
Kapazitäten betreffenden Vorwürfe seien unbegründet.
- 34.
- Sie weist darauf hin, daß sie einer der kleinsten Hersteller von Faltschachtelkartons
in der Gemeinschaft sei, nur über eine Maschine verfüge und zugleich der größte
Kartonverarbeiter (Faltschachtelhersteller) in Deutschland sei. Sie habe daher über
einen geringen Anteil am im wesentlichen deutschen Markt verfügt und sei der
größte Abnehmer ihrer eigenen Kartonfabrik gewesen. Der letztgenannte Umstand
habe dazu geführt, daß sie in den Gremien der PG Karton eine rein passive Rolle
gespielt habe; dies werde durch ihre Teilnahme an sieben (von insgesamt 32)
Sitzungen des JMC nicht in Frage gestellt.
- 35.
- Sie habe sich nicht an Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen zur
Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller oder an
abgestimmten Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft
beteiligt.
- 36.
- Was die ihr zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile anbelange, so sei sie
nie Mitglied des PWG gewesen und habe nie zu den großen Herstellergruppen
gehört. Aus der Entscheidung gehe aber klar hervor (Randnrn. 36, 37, 52, 56 und
130), daß die Vereinbarungen über Marktanteile zwischen den Teilnehmern am
PWG, d. h. zwischen den großen Herstellergruppen, getroffen worden seien. Wie
die Kommission selbst einräume, hätten die Absprachen über die Marktaufteilung
und insbesondere das Einfrieren der Marktanteile ihrem Wesen nach in erster
Linie die führenden Hersteller betroffen. Sie erkenne im übrigen ausdrücklich an,
daß die kleinen Hersteller daran nicht mitgewirkt hätten (Randnr. 57 der
Entscheidung) und daß ihnen nur die Notwendigkeit bewußt gewesen sei, ihr
eigenes Verhalten an die „Preis-vor-Menge“-Politik der führenden Hersteller
anzupassen (Randnr. 58 der Entscheidung).
- 37.
- Was die ihr zur Last gelegte Absprache über die Kapazitäten anbelange, so hätten
sich der Entscheidung zufolge (Randnrn. 69, 70, 71, 130 und 131) nur die
Mitgliedsunternehmen des PWG an der abgestimmten Verhaltensweise in Form
einer Koordinierung der Produktionsunterbrechungen beteiligt.
- 38.
- Sie habe keine Kenntnis von einem unter ihrer Mitwirkung gefaßten Gesamtplan,
in dessen Rahmen die Preisabsprachen und die Produktionskontrollen untrennbar
miteinander verbunden gewesen seien (vgl. Randnr. 116 der Entscheidung).
- 39.
- Falsch sei auch die Behauptung der Kommission (Randnr. 116 der Entscheidung),
es deute nichts darauf hin, daß die einzelnen Unternehmen die Teile des Kartells,
an denen sie mitzuwirken wünschten, hätten auswählen und andere Teile hätten
zurückweisen können.
- 40.
- Die Kommission entgegnet, daß die Zuwiderhandlung nicht in mehrere
voneinander unabhängige Verstöße aufgespalten werden könne. Die Klägerin habe
sich an einer einzigen Zuwiderhandlung beteiligt, die im wesentlichen in einem
mehrere Jahre dauernden Zusammenwirken der Hersteller bei einem
gesetzwidrigen Vorhaben nach einem gemeinsamen Plan bestanden habe (Randnrn.
116 ff. der Entscheidung). Jedes der von der Entscheidung betroffenen
Unternehmen habe daher den Verstoß in seiner Gesamtheit begangen, auch wenn
es nicht an allen Handlungen des Kartells beteiligt gewesen oder dies nicht
nachgewiesen sei.
- 41.
- Die Preisabsprache und die Mengenkontrolle seien untrennbar miteinander
verbundene Aspekte ein und desselben Gesamtplans gewesen. Dies bedeute jedoch
nicht, daß eine Preisabsprache nur in Verbindung mit Vereinbarungen über
Marktanteile und Kapazitäten getroffen werden könne. Eine Preisabsprache sei in
aller Regel in wirtschaftlicher Hinsicht wenig wirksam, wenn mit ihr eine
Ausweitung des Angebots einhergehe. Preis- und Mengenabsprachen die hier
beide unstreitig vorgelegen hätten ließen sich deshalb nicht voneinander trennen.
Auch die Tatsache, daß sich die Vereinbarungen über Marktanteile und
Mengenkontrollen vor allem auf die größeren Hersteller bezogen hätten, ändere
an der von ihr vorgenommenen Bewertung nichts, da damit für alle
Kartellteilnehmer sichergestellt gewesen sei, daß keine erhebliche Ausweitung des
Angebots eintreten könne. Allen Unternehmen sei mit anderen Worten klar
gewesen, daß die Erfolgsaussichten des Kartells wegen der Interdependenz der
Preise und Mengen auch von einer Mengenkontrolle abhingen.
- 42.
- Folglich sei die Behauptung der Klägerin unerheblich, daß sie keine aktive Rolle
im Kartell gespielt habe. Durch die regelmäßige und häufige Teilnahme (die in
sieben Fällen bewiesen sei) an Sitzungen des JMC, dessen Tätigkeit aus der
unbestrittenen Beschreibung in Randnummer 44 der Entscheidung hervorgehe,
habe die Klägerin an der Entwicklung von Strategien zur gemeinsamen und
einheitlichen Anhebung der Preise in der gesamten Branche mitgewirkt. Die
Gespräche innerhalb des JMC hätten folglich zwangsläufig auch Fragen der
Mengenkontrolle und der Marktaufteilung umfaßt. Daher rechtfertige allein die
fortgesetzte Teilnahme der Klägerin an diesen Sitzungen den gegen sie erhobenen
Vorwurf und bedeute mangels gegenteiliger Anhaltspunkte, daß sie den dort
getroffenen Absprachen zugestimmt habe (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. Oktober
1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867,
Randnrn. 56 und 66 f.).
- 43.
- Durch ihre Teilnahme an Sitzungen des JMC und an den verschiedenen
Preisinitiativen habe die Klägerin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß
sie die Ziele des Kartells mittrage. Selbst wenn sie sich nur passiv verhalten haben
sollte, habe sie doch die Zuwiderhandlung erleichtert (vgl. Urteile des
Gerichtshofes vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission,
Slg. 1978, 131, Randnr. 18, und vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und
36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435, Randnrn. 49 ff.).
- 44.
- Daß sich die Maßnahmen zur Mengenkontrolle eventuell nicht ausdrücklich auf die
Klägerin bezogen hätten, ändere daran nichts, denn diese Maßnahmen, die vor
allem die großen Hersteller betroffen hätten, seien allen Kartellteilnehmern zugute
gekommen, da sie sich nicht von den Preisfestsetzungsaspekten des Verstoßes
trennen ließen und da nur so der Erfolg der allseits durchgeführten Preisinitiativen
habe gesichert werden können (vgl. Urteile des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in
der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 267, und
vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules
Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 272).
Würdigung durch das Gericht
- 45.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich im Fall der Klägerin
von Mitte 1986 bis mindestens April 1991 an einer seit Mitte 1986 bestehenden
Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die
Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. „sich über regelmäßige Preiserhöhungen
für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten“ und „gleichzeitige und
einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und
durchführten“, „sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die
Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten“
und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung
der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.
- 46.
- Folglich haben alle in Artikel 1 der Entscheidung aufgeführten Unternehmen gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer einzigen
Zuwiderhandlung in Form von Absprachen beteiligten, die sich auf drei
verschiedene Gegenstände bezogen, mit denen aber ein gemeinsames Ziel verfolgt
wurde. Diese Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells anzusehen.
- 47.
- Die Klägerin bestreitet weder ihre Beteiligung an einer Preisabsprache noch die
Dauer der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung. Ferner gibt sie zu, zwischen dem
13. Januar 1988 und April 1991 an sieben Sitzungen des JMC teilgenommen zu
haben. Sie räumt auch die Teilnahme an einigen Sitzungen der PK ein.
- 48.
- Angesichts dessen ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß sich die
Klägerin an den beiden anderen Bestandteilen des Gesamtkartells einer
Absprache über die Abstellzeiten und einer Absprache über die Marktanteile
beteiligte.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
- 49.
- Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG
teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die
Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.
- 50.
- Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfaßte der eigentliche
Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora „die Erörterung und
Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“.
Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die „1987 im PWG erzielte
Vereinbarung“ (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu
gedient, „.das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten“ (Randnr. 58
Absatz 1 der Entscheidung).
- 51.
- Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die
Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der
Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine
entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität
zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt
es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten
zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht
durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen
Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich
anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt
werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“
(Randnr. 70 der Entscheidung).
- 52.
- Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedemHersteller seine .Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische
Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller
aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses System der
Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
- 53.
- In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt
24) führt Stora aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den
PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988
erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden,
um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne
Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts
zunehmender Überkapazität nicht halten können.“
- 54.
- Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die
Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen
Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ...
Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die
Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch)
einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden.
Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses
System der Ermutigung bestand ...“
- 55.
- Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten
der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn
Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller)
vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
- 56.
- Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten
Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im
„Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“. Der Ausdruck „Präsidentenkreis“
ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG
und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein
bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese Auslegung braucht im vorliegenden
Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
- 57.
- Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung
der Aktennotiz als „Verlierer“ ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen
einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten
dar.
- 58.
- Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:
„4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten
über das Gewollte.
...
c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren
Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte
Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere
geänderte Einstellung zum Markt nicht früher wurde nur Tonnage
gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen
abzustellen).“
- 59.
- Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte),
daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt
betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser
Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im
„Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das
Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung
von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar
die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros
angewandt wird.
- 60.
- Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer
Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den
Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.
- 61.
- In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden
Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.
- 62.
- Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:
„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller
auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.
Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen)
waren aus zweierlei Gründen wichtig:
einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen
vorgenommen werden können;
zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“
(Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).
- 63.
- Ferner stellt sie fest:
„Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe
Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere
Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen ..., daß die großen Hersteller
ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne
unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang
zuvorzukommen“ (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).
- 64.
- Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117
und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über
Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten
Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena über die Sitzung des JMC vom 6.
September 1990, der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die
Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in
Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der
Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen,
die er z. B. wie folgt aufführt:
„Kopparfors 5 15 days
5/9 will stop for five days“
- 65.
- Außerdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte
obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten
enthalten , daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungen
des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.
- 66.
- Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen
hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC
vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der
Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewußt, daß
durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die
Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die
Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern
auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das
vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht
aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die
Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung
einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt
hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die
Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer
künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern
würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.
- 67.
- Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der
Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen,
daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des
JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die
Abstellzeiten nachgewiesen hat.
- 68.
- Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin an einer Absprache über die
Abstellzeiten beteiligte.
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
- 69.
- Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu
haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu
stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine
Vereinbarung getroffen hätten, die „ein .Einfrieren' der Marktanteile der
führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfaßte], ohne
daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch
aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen“ (Randnr. 52
Absatz 1).
- 70.
- Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf
die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes
ausführt:
„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen,
nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile
unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der .Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie
sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf
verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie
ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten
entsprechend anzupassen“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
- 71.
- Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die
Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:
„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht
über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen
der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft
der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanter
Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.
In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht
am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder
Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine
Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).
- 72.
- Die Kommission stützt sich somit wie Stora im wesentlichen auf die Annahme,
daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber
nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung
beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über
die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren
Beweise gibt.
- 73.
- Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die
Kommission kein Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die
nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung
zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller
vorsah. Insoweit stellt Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte einen
Beweis für die Richtigkeit der Aussagen von Stora zum Vorliegen einer Absprache
der zum „Präsidentenkreis“ gehörenden Unternehmen über die Marktanteile und
einer Absprache über die Abstellzeiten dar (siehe oben, Randnrn. 49 ff.). Es gibt
jedoch keinen weiteren Beweis dafür, daß in der PK u. a. die Absprache über die
Marktanteile und die Kontrolle der Produktionsmengen erörtert wurden. Somit
kann das in Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte verwendete Wort
„Präsidentenkreis“ trotz der Erläuterungen von Mayr-Melnhof nicht als
Bezugnahme auf andere Gremien als den PWG ausgelegt werden. Folglich kann
nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin durch ihre Teilnahme an
Sitzungen der PK der allgemeinen Vereinbarung zustimmte.
- 74.
- Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer
Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg
dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten.
Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der
Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder
der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die
Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller
der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich
gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt
selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere
des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion
zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten
Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an
der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sichdie Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, unmittelbar
an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wußten
oder zwangsläufig davon wissen mußten.
- 75.
- Drittens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und
3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von
Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des
Nordic Paperboard Institute (NPI) am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als
zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die
Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme
auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den
bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die
Marktanteile darstellen kann.
- 76.
- Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der
vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein
Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen
entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile
des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen
unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn
feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells
unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen
werden, sofern es wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß die Absprache, an
der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan
auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die
Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des
Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher
Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten
Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
- 77.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin
wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines
Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die
Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die
Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.
- 78.
- Somit ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die
Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin
beteiligte, „vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen ... [zur] Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller“ diente, in bezug auf die
Klägerin für nichtig zu erklären.
Zum Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung beim
allgemeinen Niveau der Geldbußen
Vorbringen der Parteien
- 79.
- Die Klägerin hält die Höhe der Geldbuße für unangemessen. Durch die
Zugrundelegung eines viel höheren Bußgeldniveaus als in anderen Fällen habe die
Kommission gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, der auch für
die Bußgeldpolitik gelte.
- 80.
- Der Gerichtshof habe zwar bereits anerkannt, daß eine Verschärfung der
Bußgeldpolitik grundsätzlich zulässig sei (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983
in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion
française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 108), aber jede Erhöhung des
Bußgeldniveaus müsse mit einer entsprechenden allgemeinen Veränderung der
Politik der Kommission begründet werden. Bei der Berechnung der Geldbuße sei
von einem bestimmten Prozentsatz des Umsatzes der betreffenden Unternehmen
im Kartonsektor ausgegangen worden. Dieser habe 7,5 % betragen und liege damit
um über 50 % höher als der in früheren Verfahren gewählte Satz (vgl. u. a. Urteil
des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T-43/92, Dunlop
Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 174). In ihrer Entscheidung
94/815/EG vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85
EG-Vertrag (IV/33.126 und 33.322 Zement, ABl. L 343, S. 1) habe die
Kommission einen Satz von 4 % des Zementumsatzes der betreffenden
Unternehmen in der Gemeinschaft gewählt, obwohl sie einen Kartellverstoß von
besonderer Schwere bejaht habe, der beträchtliche Geldbußen rechtfertige, und
obwohl die Dauer der Zuwiderhandlung etwa zehn Jahre betragen habe. Die
Bußgeldpolitik der Kommission sei daher sprunghaft und mit dem
gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung nicht vereinbar.
- 81.
- Für eine Ungleichbehandlung der Unternehmen verschiedener Branchen müßten
jedenfalls in der Entscheidung sachliche Gründe genannt werden.
- 82.
- Die Kommission hält dem entgegen, daß sie nicht verpflichtet sei, eine allgemeine
Veränderung ihrer Bußgeldpolitik in Form der Erhöhung des Niveaus der
Geldbußen anzukündigen (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission,
Randnr. 109).
- 83.
- Im vorliegenden Fall sei ein Satz von ca. 7,5 % des relevanten Umsatzes der
betreffenden Unternehmen in Anbetracht der Schwere der Zuwiderhandlung
durchaus angemessen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der
Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnr. 386). Sie sei
nicht gehalten, bei der Ahndung aller Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 des
Vertrages dieselben Parameter zugrunde zu legen.
- 84.
- Außerdem sei der Klägerin, als sie die Mitteilung der Beschwerdepunkte erhalten
habe, die im XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 139) bekundete Absicht
der Kommission bekannt gewesen, die abschreckende Wirkung der Geldbußen zu
verstärken. Der Klägerin und den übrigen betroffenen Unternehmen habe auch
klar sein müssen, daß sie mit empfindlichen Geldbußen zu rechnen hätten, da die
Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein
Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages (IV/31.149 Polypropylen, ABl.
L 230, S. 1; im folgenden: Polypropylen-Entscheidung) schon vor Beginn des in der
streitigen Entscheidung bei der Bemessung der Geldbußen zugrunde gelegten
Zeitraums ergangen sei. Das Gericht habe insoweit die Auffassung vertreten, daß
das allgemeine Niveau der gegen die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung
verhängten Geldbußen in Anbetracht der konkreten Umstände bei weitem
gerechtfertigt gewesen sei (Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 164).
- 85.
- Schließlich komme es auf den Gesamtbetrag der verhängten Geldbußen nicht an,
da dieser je nach der Zahl der beteiligten Unternehmen und ihrer jeweiligen
Umsätze variiere.
Würdigung durch das Gericht
- 86.
- Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen
Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von 1 000
ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem
einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten
Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Die Höhe der Geldbuße richtet sich
sowohl nach der Schwere als auch nach der Dauer der Zuwiderhandlung. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand
einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen
Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von
Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des
Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO
u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).
- 87.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen
Niveaus der Geldbußen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der
Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der
Entscheidung):
„ Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere
Wettbewerbsbeschränkungen dar;
das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft;
der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr
einen Wert von bis zu 2,5 Milliarden ECU darstellt;
die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren
praktisch den gesamten Markt;
das Kartell wurde in einem System regelmäßiger Sitzungen institutionalisiert,
in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert
wurde;
es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das
wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen
Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC;
Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem
Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der
Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen
behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.);
das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend
erfolgreich.“
- 88.
- Außerdem wurden unstreitig gegen die als „Anführer“ des Kartells angesehenen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die
„gewöhnlichen Mitglieder“ des Kartells Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 %
des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft
im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt.
- 89.
- Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des
allgemeinen Niveaus der Geldbußen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß
offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft
immer noch verhältnismäßig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau
der Geldbußen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken.
Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte
Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht
daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen
Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der
gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteile Musique
Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 bis 108, und ICI/Kommission,
Randnr. 385).
- 90.
- Zweitens hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß aufgrund der
Besonderheiten des vorliegenden Falles kein direkter Vergleich zwischen dem
allgemeinen Niveau der Geldbußen in der streitigen Entscheidung und dem Niveau
nach der früheren Entscheidungspraxis der Kommission insbesondere in der
Polypropylen-Entscheidung, die die Kommission selbst als die mit dem vorliegenden
Fall am besten vergleichbare Entscheidung ansieht vorgenommen werden kann.
Im Gegensatz zu dem Fall, der Gegenstand der Polypropylen-Entscheidung war,
wurde hier nämlich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen
kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Außerdem zeigen die zur
Verschleierung der Absprache getroffenen Maßnahmen, daß sich die betreffenden
Unternehmen der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens voll und ganz bewußt waren.
Die Kommission konnte diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der
Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen, da sie einen besonders
schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung darstellten, der diese von den zuvor
aufgedeckten Zuwiderhandlungen unterscheidet (siehe unten, Randnrn. 150 bis
154).
- 91.
- Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung
begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und
insbesondere die Polypropylen-Entscheidung hätte darstellen müssen.
- 92.
- Aufgrund dieser Gesichtspunkte rechtfertigen die in Randnummer 168 der
Entscheidung wiedergegebenen Kriterien das von der Kommission festgelegte
allgemeine Niveau der Geldbußen.
- 93.
- Schließlich ist die Kommission bei der hier erfolgten Festlegung des allgemeinen
Niveaus der Geldbußen nicht derart von ihrer früheren Entscheidungspraxis
abgewichen, daß sie ihre Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung
ausführlicher hätte begründen müssen (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 26.
November 1975 in der Rechtssache 73/74, Groupement des fabricants de papiers
peints de Belgique u. a./Kommission, Slg. 1975, 1491, Randnr. 31).
- 94.
- Somit ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund einer zumindest teilweise fehlenden Grundlage für die Geldbuße
Vorbringen der Parteien
- 95.
- Nach Ansicht der Klägerin muß bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße
berücksichtigt werden, daß sie sich an den Absprachen über die Abstellzeiten und
die Marktanteile nicht beteiligt habe (siehe oben, Randnrn. 33 bis 39).
- 96.
- Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß die Kommission dem Kartell zu
Unrecht einen weitgehenden Erfolg auf dem Markt zugeschrieben habe. Die
letztgenannte Behauptung werde im übrigen von der Kommission selbst widerlegt,
die feststelle, daß es Vorhaltungen gegenüber einzelnen Mitgliedern des PWG
gegeben habe (Randnr. 59 der Entscheidung) und daß führende Hersteller ihre
Marktanteile trotz der angeblichen Quotenabsprache erhöht hätten (Randnr. 60 der
Entscheidung). Daß die Kommission die Vorhaltungen gegenüber einzelnen
Mitgliedern des PWG als Sanktionen bewerte, könne aber nicht ausschließen, daß
die betreffenden Hersteller weitgehend im eigenen Interesse gehandelt hätten und
daß das Kartell deshalb nicht funktioniert habe.
- 97.
- Die Kommission verweist auf ihre Ausführungen zur umfassenden Beteiligung der
Klägerin an einer einheitlichen Zuwiderhandlung (siehe oben, Randnrn. 40 bis 44).
- 98.
- Zum Erfolg des Kartells trägt sie vor, ohne die Kartellabsprachen hätten sich die
Preise und Marktanteile wesentlich anders entwickelt. Daher sei die Behauptung
der Klägerin zurückzuweisen, daß das Kartell nur unvollkommen funktioniert habe;
die Existenz von Sanktionen und die Erhöhung der Marktanteile einzelner großer
Hersteller stünden dem nicht entgegen.
Würdigung durch das Gericht
- 99.
- Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 77), hat die Kommission die
Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile nicht
nachgewiesen.
- 100.
- Das Gericht ist jedoch im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur
unbeschränkten Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so schwerwiegend bleibt,
daß die Geldbuße nicht herabzusetzen ist.
- 101.
- Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht
als „Anführer“ des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der
Kommission nicht zu den „treibenden Kräften“ des Kartells gehörte (Randnr. 170
Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 7,5 %
ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich
verhängt. Dieses allgemeine Bußgeldniveau ist gerechtfertigt (siehe oben, Randnrn.
86 ff.).
- 102.
- Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG
vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile „sehr wohl bekannt“
gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der
Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen
über das „Einfrieren“ der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und
daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen
wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der
Entscheidung aus, „daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den
Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen
nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen“. Die der Klägerin fälschlich
zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission
selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.
- 103.
- Der Einwand der Klägerin, daß das Kartell auf dem Markt keinen großen Erfolg
gehabt habe, richtet sich gegen die Einschätzung der Kommission, daß das Kartell,
„was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich“ gewesen sei
(Randnummer 168, siebter Gedankenstrich, der Entscheidung). Es ist unstreitig,
daß mit dieser Erwägung auf die Auswirkungen der in Artikel 1 der Entscheidung
festgestellten Zuwiderhandlung auf den Markt Bezug genommen wird.
- 104.
- Das Vorbringen der Klägerin ist jedoch dahin zu verstehen, daß sie sich nicht gegen
die Beurteilung der Auswirkungen der Preisabsprache durch die Kommission
wendet. Die Klägerin macht nämlich geltend, in ihrer Eigenschaft als Kartonkäufer
unter den Auswirkungen der abgestimmten Preiserhöhungen gelitten zu haben
(siehe unten, Randnrn. 132 ff.). Außerdem beziehen sich die Argumente und
Belege, auf die sie den vorliegenden Klagegrund stützt, allein auf die Auswirkungen
der Absprache über die Marktanteile.
- 105.
- Das Vorbringen der Klägerin ist somit dahin zu verstehen, daß sie in Abrede stellt,
daß die Absprache über die Marktanteile, was die Erreichung ihrer Ziele betrifft,
weitgehend erfolgreich war.
- 106.
- Aus der Entscheidung geht aber hervor, daß die Feststellung, wonach die Ziele
weitgehend erreicht worden seien, im wesentlichen auf den Auswirkungen der
Preisabsprache beruht. Während diese Auswirkungen in den Randnummern 100
bis 102, 115 und 135 bis 137 der Entscheidung analysiert werden, wird die Frage,
ob die Absprachen über die Marktanteile und über die Abstellzeiten Auswirkungen
auf den Markt hatten, darin nicht gesondert geprüft.
- 107.
- Außerdem macht die Kommission hinsichtlich der Absprache über die Marktanteile
nicht geltend, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen das
völlige Einfrieren ihrer Marktanteile bezweckt hätten. Nach Randnummer 60
Absatz 2 der Entscheidung war die Vereinbarung über die Marktanteile keine
statische Regelung, „sondern wurde in regelmäßigen Abständen angepaßt und neu
ausgehandelt“.
- 108.
- Folglich ist der Einwand der Klägerin unbegründet.
- 109.
- Nach alledem ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl
Vorbringen der Parteien
- 110.
- Die Klägerin weist darauf hin, daß die Kommission bei der Festsetzung der
Geldbußen der einzelnen Unternehmen deren Stellung in der Branche (Größe,
Produktsortiment, Marktanteil, Konzernumsatz und Umsatz in der ganzen
Kartonbranche) berücksichtigt habe (Randnr. 169 Absatz 1, dritter Gedankenstrich,
der Entscheidung).
- 111.
- Wie sich aus der Einzeldarstellung in der Anlage der Mitteilung der
Beschwerdepunkte ergebe, seien ihre Umsatzerlöse und ihr (auf der Grundlage
ihres Umsatzes berechneter) Marktanteil unter Einbeziehung der „internen
Verkäufe“, d. h. des Eigenbedarfs, ermittelt worden. In ihrer Antwort auf ein
Auskunftsverlangen vom 8. Oktober 1993 habe sie nur den Umsatz mit Dritten im
Kartonbereich (63,86 Millionen DM im Jahr 1991) mitgeteilt, da nur dies der
handelsrechtliche Umsatz sei. Trotz dieser Antwort habe die Kommission sie
aufgefordert, den Wert der internen Lieferungen an ihre Faltschachtelwerke (der
sich 1991 auf 14,1 Millionen DM belaufen habe) anzugeben.
- 112.
- Die Berücksichtigung konzerninterner Lieferungen bei der Festlegung der Höhe
der Geldbuße sei mit Artikel 85 des Vertrages und mit Artikel 15 der Verordnung
Nr. 17 nicht vereinbar.
- 113.
- Interne Lieferungen gehörten nicht zum Außenumsatz und dürften daher nicht
berücksichtigt werden. Ein Umsatz liege bei internen Lieferungen erst dann vor,
wenn die von ihren Werken hergestellten Faltschachteln an Dritte geliefert würden;
dann fließe er in den Gesamtumsatz ein.
- 114.
- Der Behauptung, daß sie von den Erhöhungen des Kartonpreises profitiert habe,
sei entgegenzuhalten, daß die Kommission nicht geprüft habe, ob sogenannte
konzerninterne Umsätze kartellrechtlich relevant seien. Der Eigenverbrauch eines
Unternehmens oder die Nutzung von Leistungen durch rechtlich unselbständige
Unternehmensteile (Betriebe, Werke, Abteilungen, Verkaufsbüros usw.), denen die
rechtliche und wirtschaftliche Entscheidungsautonomie fehle, falle unabhängig von
ihrer Erfassung im Rechnungswesen nicht unter Artikel 85 des Vertrages. Die
Lieferung von Karton an ihre Faltschachtelwerke zum Eigenverbrauch sei folglich
irrelevant und müsse unberücksichtigt bleiben.
- 115.
- Die Differenzierung zwischen externen und internen Lieferungen entspreche der
ständigen Entscheidungspraxis der Kommission bei Zusammenschlüssen
(Entscheidung Mannesmann/Boge [IV/M.134] vom 23. September 1991, Randnr.
19, und Entscheidung 93/9/EWG der Kommission vom 30. September 1992 zur
Feststellung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen
Markt [IV/M.214 - Du Pont/ICI, ABl. 1993, L 7, S. 13, Randnr. 31]), von der die
Kommission im Rahmen von Artikel 85 des Vertrages oder Artikel 15 der
Verordnung Nr. 17 nicht abgehen könne. Außerdem zeige Artikel 5 Absatz 1 Satz
2 und Absatz 5 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom
21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl.
L 395, S. 1), daß interne Umsätze nicht in die Umsatzberechnung einbezogen
würden.
- 116.
- Das Gericht habe eine solche Differenzierung in seinem Urteil vom 14. Juli 1994
in der Rechtssache T-77/92 (Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549) indirekt
bestätigt, indem es entschieden habe, daß bei der Heranziehung des Umsatzes im
Rahmen der Ermittlung der Höhe der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des
Unternehmens als auch der Umsatz mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen
Erzeugnissen berücksichtigt werden könne. In diesem Urteil habe es nur auf den
Außenumsatz Bezug genommen.
- 117.
- Die Kommission führt aus, die Klägerin habe Faltschachteln vertrieben, die aus den
von der Entscheidung betroffenen Produkten hergestellt worden seien. Sie habe
somit einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil erlangt, denn sie werde nicht im Ernst
behaupten wollen, konzernintern die überhöhten Kartellpreise berechnet zu haben.
Sie habe daher vom Absatz der von den Kartellabsprachen betroffenen Produkte
in der einen oder anderen Form profitiert. Aus diesem Grund wäre es falsch, die
„Innenumsätze“ außer Betracht zu lassen. Die Betrachtungsweise der Klägerin
würde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung integrierter Hersteller führen.
- 118.
- Auch die Behauptung, daß mit den fraglichen Kartonprodukten kein Umsatz erzielt
worden sei, treffe nicht zu, da sie als Vorprodukte in die auf dem Markt
abgesetzten Faltschachteln eingegangen seien.
- 119.
- Dem Vorbringen der Klägerin, daß die zur Weiterverarbeitung bestimmten
Kartonlieferungen an ihre Werke Eigenverbrauch darstellten, der nicht unter
Artikel 85 des Vertrages falle, könne nicht gefolgt werden. Der Hinweis auf die
Praxis der Kommission im Bereich der Fusionskontrolle liege neben der Sache, da
es dort darum gehe, bei der Berechnung der Umsatzschwellen nach den Artikeln 1
und 5 der Verordnung Nr. 4064/89 zu ermitteln, inwieweit die betreffenden
Unternehmen über eine Wirtschaftskraft verfügten, die hinreichend stark sei, um
die europäische Fusionskontrolle eingreifen zu lassen.
Würdigung durch das Gericht
- 120.
- Es ist unstreitig, daß gegen die als „Anführer“ des Kartells angesehenen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die
„gewöhnlichen Mitglieder“ des Kartells Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 %
des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft
im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt wurden. Die Klägerin wurde von der
Kommission zur zweiten Gruppe von Unternehmen gezählt.
- 121.
- Nach den Akten setzt sich der Betrag, anhand dessen die gegen die Klägerin
verhängte Geldbuße ermittelt wurde, aus der Summe des durch den Verkauf von
Karton an Dritte erzielten Umsatzes und des Wertes der internen
Kartonlieferungen an Faltschachtelwerke zusammen, die der Klägerin gehören und
daher keine eigenen juristischen Personen darstellen.
- 122.
- Die Kommission hat bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße zu Recht einen
so errechneten Umsatz herangezogen.
- 123.
- Es gibt keine Bestimmung, die die Berücksichtigung des Wertes interner
Lieferungen an eine Gesellschaft bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße
ausdrücklich untersagt.
- 124.
- Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen
Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von 1 000
ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem
einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten
Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen.
- 125.
- Zur Festlegung der Obergrenze einer 1 000 000 ECU übersteigenden Geldbuße
wird ausdrücklich auf den Umsatz des Unternehmens Bezug genommen. Wie der
Gerichtshof entschieden hat, soll durch diese Grenze verhindert werden, daß die
Geldbußen außer Verhältnis zur Größe des Unternehmens stehen; da dafür allein
der Gesamtumsatz einen ungefähren Anhaltspunkt liefern kann, muß davon
ausgegangen werden, daß sich der fragliche Prozentsatz auf den Gesamtumsatz
bezieht (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 118
und 119).
- 126.
- Die Kommission hat dadurch, daß sie bei den in Artikel 3 der Entscheidung
genannten Unternehmen die Höhe der Geldbußen allein anhand des Umsatzes
ermittelt hat, der durch den Verkauf des von der Zuwiderhandlung betroffenen
Erzeugnisses erzielt wurde, ihrer Berechnung den Teil des Gesamtumsatzes der
Unternehmen zugrunde gelegt, der den aus dem Kartell gezogenen Nutzen am
besten widerspiegelt.
- 127.
- Insoweit kann dem Vorbringen der Klägerin, daß sie bei den Kartonlieferungen an
ihre Werke keinen Nutzen aus dem Kartell gezogen habe, nicht gefolgt werden.
Die Klägerin hat keinen Nachweis für den Wert dieser internen Lieferungen
erbracht, obwohl die Kommission in ihrer Klagebeantwortung geltend gemacht hat,
daß sich die rechtswidrig vereinbarten Erhöhungen der Kartonpreise auf diese
Lieferungen nicht ausgewirkt hätten. Daher ist davon auszugehen, daß die
Faltschachtelwerke der Klägerin und somit die Klägerin selbst von dem Kartell
profitierten, indem sie Karton aus der eigenen Produktion der Klägerin als
Ausgangsstoff verwendeten. Im Gegensatz zu den konkurrierenden Verarbeitern
brauchte die Klägerin nämlich die durch die abgestimmten Preiserhöhungen
verursachten Kostensteigerungen nicht zu tragen.
- 128.
- Würde dem Wert der internen Kartonlieferungen der Klägerin nicht Rechnung
getragen, so würden zwangsläufig die vertikal integrierten Unternehmen
ungerechtfertigt begünstigt. Der aus dem Kartell gezogene Nutzen bliebe in einem
solchen Fall unter Umständen unberücksichtigt, so daß das fragliche Unternehmen
einer Sanktion entgehen würde, die seiner Bedeutung auf dem Markt der den
Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Erzeugnisse angemessen wäre.
- 129.
- Schließlich ist die von der Klägerin gezogene Parallele zur Behandlung
konzerninterner Vereinbarungen (siehe oben, Randnr. 114) unerheblich, da der
sachliche Anwendungsbereich von Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall
nicht fraglich ist.
- 130.
- Auch das Vorbringen zu der für Unternehmenszusammenschlüsse geltenden
Regelung greift nicht durch. Insoweit genügt die Feststellung, daß der in einigen
Bestimmungen von Artikel 5 der Verordnung Nr. 4064/89 vorgesehene Ausschluß
etwaiger „Innenumsätze“ bei der Berechnung des Gesamtumsatzes der
Unternehmen im Rahmen von Zusammenschlüssen darauf beruht, daß die
Einbeziehung solcher Transaktionen zu einer doppelten Berücksichtigung des
gleichen Umsatzes führen würde. Im vorliegenden Fall wurde aber der durch den
Verkauf von Faltschachteln erzielte Umsatz bei der Ermittlung der Höhe der gegen
die Klägerin verhängten Geldbuße nicht herangezogen.
- 131.
- Nach alledem ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund des Vorliegens mildernder Umstände, die darin bestehen sollen, daß
die Klägerin von den aufeinander abgestimmten Maßnahmen in ihrer Eigenschaft als
Kartonkäufer betroffen gewesen sei
Vorbringen der Parteien
- 132.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe außer acht gelassen, daß sie der
größte deutsche Verarbeiter von Faltschachtelkarton sei; das wirtschaftliche
Gewicht dieser Tätigkeit sei dreimal so groß wie das ihrer Kartonfabrik. Die
Erhöhungen der Kartonpreise hätten sich daher wirtschaftlich negativ ausgewirkt,
weil die Einstandspreise ihrer Faltschachtelwerke gestiegen seien.
- 133.
- Dieses Argument hätte um so mehr berücksichtigt werden müssen, als der
Faltschachtelsektor nicht in der Lage gewesen sei, die Kostensteigerungen auf die
Kunden abzuwälzen. Die Preiserhöhungen hätten somit für Verarbeiter wie sie eine
Belastung dargestellt, wie die von der BPIF eingelegte Beschwerde zeige.
- 134.
- Die Behauptung der Kommission, daß die Klägerin von den negativen
Auswirkungen nicht betroffen gewesen sei, weil sie ihren Verarbeitungsbetrieben
Karton zu günstigen Preisen geliefert habe, sei sachlich nicht haltbar. Diese
Argumentation sei wirtschaftlich gekünstelt, denn in einem integrierten
Unternehmen müsse das, was ein Teil des Unternehmens einem anderen Teil
durch Verrechnung nachgebe, letztlich auf dem Markt „herausgeholt“ werden,
wenn das Unternehmen Gewinn erzielen wolle. Ferner habe die Kommission außer
acht gelassen, daß die Kartonfabrik der Klägerin nur etwa 20 % des Kartonbedarfs
ihrer Faltschachtelwerke gedeckt habe. Die Kommission habe mit anderen Worten
die Belieferung durch Fremde nicht berücksichtigt, für die jedoch Kartellpreise in
Rechnung gestellt worden seien.
- 135.
- Die Auffassung der Klägerin werde durch Entscheidungen der Kommission
gestützt, in denen diese anerkannt habe, daß bei der Beurteilung der Rolle eines
Unternehmens im Rahmen einer Zuwiderhandlung auch das Ausmaß der
wirtschaftlichen Betroffenheit und insbesondere die Tatsache berücksichtigt werden
könne, daß das Unternehmen unter Druck, gegen seinen Willen oder gegen sein
eigenes wirtschaftliches Interesse gehandelt habe. Ferner ergebe sich aus dem
Urteil Parker Pen/Kommission, daß die Kommission gegen den betroffenen
Händler eine Geldbuße von 40 000 ECU und gegen den Lieferanten eine Buße von
700 000 ECU verhängt habe.
- 136.
- Nach Ansicht der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
- 137.
- Es gebe keinen Grund zu der Annahme, daß sich die Klägerin den
Faltschachtelkarton zu künstlich überhöhten Kartellpreisen berechnet habe und
daher wie die übrigen Faltschachtelhersteller unter den wirtschaftlichen
Auswirkungen der Preiserhöhungen habe leiden müssen. Im übrigen habe die
Klägerin nicht nachgewiesen, daß sie für den Karton, den ihre
Verarbeitungsbetriebe von anderen Herstellern bezogen hätten, die vom Kartell
beschlossenen Preise gezahlt habe.
- 138.
- Schließlich könne die Klägerin angesichts des Akteninhalts nicht geltend machen,
unter dem Druck ihrer Partner, gegen ihren Willen oder gegen ihre wirtschaftlichen
Interessen gehandelt zu haben.
Würdigung durch das Gericht
- 139.
- Wie bereits ausgeführt, ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer
Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen
Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von
Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß SPO
u. a./Kommission, Randnr. 54).
- 140.
- Die Klägerin bestreitet nicht, sich an der in Artikel 1 der Entscheidung
festgestellten Zuwiderhandlung beteiligt zu haben.
- 141.
- Die Tatsache, daß ein Unternehmen, das mit seinen Konkurrenten eine
Preisabsprache getroffen hat, gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen
handelte und infolgedessen unter den Auswirkungen dieser Absprache zu leiden
hatte, ist bei der Ermittlung der Höhe der festzusetzenden Geldbuße nicht
zwangsläufig als mildernder Umstand zu berücksichtigen. Die Zuwiderhandlung
eines Unternehmens, das sich trotz des von ihm angeblich erlittenen Nachteils
weiterhin mit seinen Konkurrenten über die Preise abstimmt, kann nämlich nicht
als weniger schwerwiegend als die der übrigen an der Absprache beteiligten
Unternehmen angesehen werden.
- 142.
- Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein solches Unternehmen nachweist,
daß es unter Zwang rechtswidrig handelte. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin
jedoch nicht einmal behauptet, daß sie gezwungen gewesen sei, die Preise mit ihren
Konkurrenten abzustimmen.
- 143.
- Außerdem hat sie nicht nachgewiesen, daß sie bei der Belieferung ihrer
Faltschachtelwerke durch ihre eigene Kartonfabrik keinen Nutzen aus den
abgestimmten Preiserhöhungen zog.
- 144.
- Schließlich beschränkt sie sich hinsichtlich der Belieferung ihrer Faltschachtelwerke
durch konkurrierende Kartonhersteller auf die Behauptung, dadurch einen
wirtschaftlichen Nachteil erlitten zu haben, daß ihr für den gekauften Karton die
rechtswidrig vereinbarten Preise berechnet worden seien, ohne hierfür den
geringsten Beweis zu liefern.
- 145.
- Die Kommission hat demnach keinen Rechtsfehler begangen. Somit ist der
Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die angebliche Verschleierung
des Kartells kein erschwerender Umstand sei
Vorbringen der Parteien
- 146.
- Die Klägerin stellt fest, daß nach Ansicht der Kommission Preis- und
Marktaufteilungsabsprachen als solche schwere Wettbewerbsbeschränkungen
darstellten (Randnr. 168, erster Gedankenstrich, der Entscheidung) und aufwendige
Schritte unternommen worden seien, um die wahre Natur und das wahre Ausmaß
der Absprachen zu verschleiern (Randnr. 168, sechster Gedankenstrich, der
Entscheidung). Diese angeblichen Verschleierungsversuche sollten einen besonders
gravierenden Aspekt des Verstoßes dargestellt haben (Randnr. 167 der
Entscheidung). Die Kommission habe die Verschleierungsmaßnahmen folglich bei
der Festsetzung der Höhe der Geldbußen als besonders gravierenden Aspekt des
Verstoßes bewertet, der zu dessen Schwere hinzukomme. Damit sei ein und
dieselbe Erwägung zweimal berücksichtigt worden.
- 147.
- Der Klägerin könne im übrigen nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie die
Zuwiderhandlungen nicht offen begangen habe. Da solche Handlungen
schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen darstellten und mit Geldbußen
geahndet werden könnten, hätten sie ihrem Wesen nach verschleiert werden
müssen.
- 148.
- Die Kommission räumt ein, daß Wettbewerbsbeschränkungen im Rahmen eines
Kartells in der Regel nicht öffentlich begangen würden. Sie vertritt jedoch die
Ansicht, daß zwischen der vorsätzlichen Begehung derartiger Zuwiderhandlungen
und einer Geheimhaltungspraxis der vorliegend festgestellten Art kein notwendiger
Zusammenhang bestehe. Dabei stützt sie sich auf das Anhörungsprotokoll (S. 46,
aus dem sich ergebe, daß die Mitglieder angewiesen worden seien, in den Sitzungen
keine Notizen anzufertigen) und auf Randnummer 73 der Entscheidung.
- 149.
- Schließlich treffe es nicht zu, daß sie die Verschleierungsmaßnahmen gesondert
bewertet habe; diese stellten nur einen Gesichtspunkt bei der Beurteilung der
Schwere der Zuwiderhandlung dar.
Würdigung durch das Gericht
- 150.
- Randnummer 167 Absatz 3 der Entscheidung lautet: „Ein besonders gravierender
Aspekt des Verstoßes ist der Umstand, daß die Unternehmen bei dem Bemühen,
die Existenz des Kartells zu verschleiern, soweit gingen, daß sie im voraus
verabredeten, zu welchem Zeitpunkt und in welcher zeitlichen Folge die einzelnen
großen Hersteller die neuen Preiserhöhungen ankündigen würden.“ Ferner heißt
es in der Entscheidung: „[D]ie Hersteller [hätten] aufgrund dieses ausgeklügelten
Systems die Serien einheitlicher, regelmäßiger und branchenweiter Preiserhöhungen
in der Kartonbranche dem Phänomen .oligopolistischen Verhaltens' zuschreiben
können“ (Randnr. 73 Absatz 3). Schließlich hat die Kommission gemäß
Randnummer 168, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung bei der Festsetzung
des allgemeinen Niveaus der Geldbußen berücksichtigt, daß „aufwendige Schritte
unternommen [wurden], um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der
Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften
oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen
von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche
Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die
Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.)“.
- 151.
- Die Klägerin bestreitet die Behauptung der Kommission nicht, daß die
Unternehmen die Zeitpunkte und die Reihenfolge der Schreiben, in denen die
Preiserhöhungen angekündigt wurden, festgelegt hätten. Was den von der
Kommission gezogenen Schluß anbelangt, daß durch diese Festlegung der
Zeitpunkte und der Reihenfolge der Schreiben zur Ankündigung von
Preiserhöhungen versucht worden sei, das Vorliegen der Preisabsprache zu
verschleiern, so hat die Klägerin nichts dafür vorgetragen, daß die Absprache der
Zeitpunkte und der Reihenfolge der Schreiben zur Ankündigung von
Preiserhöhungen ein anderes als das von der Kommission angenommene Ziel hatte.
- 152.
- Das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke
über die Sitzungen des PWG und des JMC stellen in Anbetracht der Zahl und der
zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen
hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen
gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien.
- 153.
- Nach alledem war den Unternehmen, die an den Sitzungen dieser Gremien
teilnahmen, nicht nur die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewußt, sondern sie
haben auch Maßnahmen zur Verschleierung der Absprache getroffen. Die
Kommission hat diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere derZuwiderhandlung zu Recht als erschwerende Umstände behandelt.
- 154.
- Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der
Festsetzung der Geldbußen gegen die verschiedenen Kartonhersteller
Vorbringen der Parteien
- 155.
- Die Klägerin macht geltend, bei der Festsetzung der Geldbußen der verschiedenen
beteiligten Hersteller in Artikel 3 der Entscheidung sei gegen den Grundsatz der
Gleichbehandlung verstoßen worden (vgl. Urteil Dunlop Slazenger/Kommission,
Randnrn. 173 ff.). Zwischen ihrer Geldbuße und der eines Unternehmens, das dem
PWG angehört habe und dessen Kapazität doppelt so groß sei wie ihre, bestehe
nur ein Unterschied von einer Million ECU. Auch die Relation zwischen der gegen
sie und gegen Stora verhängten Geldbußen stimme trotz deren Zusammenarbeit
mit der Kommission angesichts der relevanten Gesichtspunkte der Rolle und der
Marktmacht von Stora nicht.
- 156.
- Jedenfalls sei die Differenzierung der Kommission zwischen den „Anführern“ des
Kartells und den anderen Unternehmen zu pauschal, so daß die Rolle der
Unternehmen, die lediglich „Mitläufer“ gewesen seien, nicht sachgerecht gewürdigt
worden sei.
- 157.
- Die Kommission weist darauf hin, daß sie eine zweifache Unterscheidung
vorgenommen habe, und zwar zwischen den „Anführern“ des Kartells und den
übrigen Unternehmen sowie zwischen den Herstellern, die mit ihr kooperiert
hätten, und denen, die dies nicht getan hätten (Randnrn. 170 bis 172 der
Entscheidung). Unterschiede in der Höhe der Geldbußen seien mit diesen Faktoren
in Verbindung mit den relevanten Umsätzen der einzelnen Unternehmen zu
erklären; dies verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. In bezug auf Stora
sei festzustellen, daß die gegen sie verhängte Geldbuße trotz ihrer Kooperation fast
sechsmal so hoch sei wie die Geldbuße der Klägerin.
- 158.
- Schließlich habe sie die Rolle und die Beteiligung aller Kartellmitglieder zutreffend
gewürdigt; der von der Klägerin verwendete Begriff „Mitläufer“ sei verfehlt.
Würdigung durch das Gericht
- 159.
- Wie bereits festgestellt, wurden gegen die als „Anführer“ des Kartells angesehenen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 % des von den einzelnen
Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990
erzielten Umsatzes festgesetzt. Ferner ist unstreitig, daß die Geldbußen von Rena
und Stora um zwei Drittel herabgesetzt wurden, weil sie von Anfang an aktiv mit
der Kommission kooperierten, während die Geldbußen einiger anderer
Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, um ein Drittel herabgesetzt
wurden, weil sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
die gegen sie vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der
Substanz nicht bestritten hatten (vgl. Randnrn. 171 und 172 der Entscheidung).
- 160.
- Die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbuße beträgt somit gemäß den oben
genannten Kriterien 7,5 % des von der Kommission herangezogenen Umsatzes,
verringert um ein Drittel, weil sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte die gegen sie vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der
Kommission in der Substanz nicht bestritt.
- 161.
- Schließlich geht aus einer Übersicht der Kommission, die Angaben zur Festlegung
der Höhe der individuellen Geldbußen enthält, hervor, daß dabei neben den
genannten Kriterien die Dauer der Beteiligung jedes Unternehmens an der
Zuwiderhandlung berücksichtigt wurde. Wie die Übersicht zeigt, wurden die
allgemein angewandten Basissätze von 7,5 % oder 9 % im konkreten Fall pro rata
temporis auf den Zeitraum bezogen, in dem das betreffende Unternehmen die
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages begangen hatte.
- 162.
- Da sich die Höhe der jeweiligen Geldbußen somit aus einer Kombination von
Faktoren ergibt, die der Situation des betreffenden Unternehmens Rechnung
tragen, entbehrt das Vorbringen der Klägerin, das sich auf einen Vergleich
zwischen dem absoluten Betrag der gegen sie verhängten Geldbuße und dem
absoluten Betrag der Geldbußen anderer Adressaten der Entscheidung stützt, der
Grundlage.
- 163.
- Speziell zu dem von der Klägerin vorgenommenen Vergleich zwischen der Höhe
der gegen sie und gegen Stora verhängten Geldbußen ist festzustellen, daß die
Größe und die Wirtschaftskraft des letztgenannten Unternehmens in der
Kartonbranche bei der Ermittlung der Höhe der Geldbuße zwangsläufig
berücksichtigt wurden, da die Kommission dabei den durch den Kartonverkauf
erzielten Umsatz herangezogen hat. Insoweit ergibt sich aus Artikel 3 der
Entscheidung, daß die gegen Stora verhängte Geldbuße trotz einer Herabsetzung
um zwei Drittel 11 250 000 ECU beträgt, während die Geldbuße der Klägerin, die
um ein Drittel herabgesetzt wurde, 2 000 000 ECU beträgt. Dieser Unterschied ist
u. a. damit zu erklären, daß die Größe und die Wirtschaftskraft dieser beiden
Unternehmen sowie der Grad ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission
berücksichtigt wurden. Das Vorbringen der Klägerin geht daher fehl.
- 164.
- Zu der Frage, ob die Basissätze, die bei den als „Anführer“ und als „gewöhnliche
Mitglieder“ angesehenen Unternehmen angewandt wurden, der tatsächlichen Rolle
der einzelnen Unternehmen im Kartell ausreichend Rechnung tragen, ist zunächst
festzustellen, daß die Kommission den Unternehmen, die an den Sitzungen des
PWG teilnahmen, zu Recht eine besondere Verantwortung für die
Zuwiderhandlung zugeschrieben hat (Randnr. 170 der Entscheidung).
- 165.
- Überdies hat sie durch die Wahl der Basissätze von 9 % und 7,5 % des relevanten
Umsatzes bei der Berechnung der gegen die „Anführer“ des Kartells und gegen
dessen „gewöhnliche Mitglieder“ verhängten Geldbußen die Schwere der jeweiligen
Zuwiderhandlung dieser beiden Gruppen von Unternehmen zutreffend bewertet.
- 166.
- Folglich ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund, der eine Frage betrifft, über die gemeinsam mündlich verhandelt
wurde
- 167.
- In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen
die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindung
der Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit
gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu
ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen
Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren
Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden
Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.
- 168.
- Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden
ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen, darunter die Begründung für die
Geldbußen, im Rahmen gemeinsamer mündlicher Ausführungen behandeln wollten.
- 169.
- In ihrer Klageschrift hat die Klägerin dazu keine Klagegründe oder Argumente
vorgetragen. In der Verhandlung hat sie gleichwohl erklärt, daß sie sich den
betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.
- 170.
- Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es
sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin
keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder
tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen rechtfertigen
könnte.
- 171.
- Daher ist der betreffende Klagegrund, auf den sich die Klägerin erstmals in der
Verhandlung berufen hat, unzulässig.
- 172.
- Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf
die Klägerin für nichtig zu erklären; im übrigen ist die Klage abzuweisen.
Kosten
- 173.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem
Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der
Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601/EG der
Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85
EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton) wird in bezug auf die Klägerin für
nichtig erklärt.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
VesterdorfBriët
Lindh
Potocki Cooke
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II - 2
Verfahren
II - 6
Anträge der Parteien
II - 8
Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
II - 8
Vorbringen der Parteien
II - 8
Würdigung durch das Gericht
II - 10
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
II - 11
Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
II - 15
Zum Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße
II - 17
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung beim
allgemeinen Niveau der Geldbußen
II - 17
Vorbringen der Parteien
II - 17
Würdigung durch das Gericht
II - 19
Zum Klagegrund einer zumindest teilweise fehlenden Grundlage für die Geldbuße
II - 21
Vorbringen der Parteien
II - 21
Würdigung durch das Gericht
II - 22
Zum Klagegrund der Heranziehung einer falschen Umsatzzahl
II - 23
Vorbringen der Parteien
II - 23
Würdigung durch das Gericht
II - 25
Zum Klagegrund des Vorliegens mildernder Umstände, die darin bestehen sollen, daß
die Klägerin von den aufeinander abgestimmten Maßnahmen in ihrer Eigenschaft
als Kartonkäufer betroffen gewesen sei
II - 27
Vorbringen der Parteien
II - 27
Würdigung durch das Gericht
II - 28
Zum Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die angebliche Verschleierung
des Kartells kein erschwerender Umstand sei
II - 29
Vorbringen der Parteien
II - 29
Würdigung durch das Gericht
II - 29
Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der
Festsetzung der Geldbußen gegen die verschiedenen Kartonhersteller
II - 30
Vorbringen der Parteien
II - 30
Würdigung durch das Gericht
II - 31
Zum Klagegrund, der eine Frage betrifft, über die gemeinsam mündlich verhandelt
wurde
II - 33
Kosten
II - 33