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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS G. JACOBS

vom 24. Februar 2000 (1)

Rechtssache C-154/99 P

Corrado Politi

gegen

Europäische Stiftung für Berufsbildung

1.
    Es geht hier um ein Rechtsmittel gegen einen Beschluß des Gerichts erster Instanz(2), mit dem eine Klage gegen die Europäische Stiftung für Berufsbildung abgewiesen wurde, die ein ehemaliger Bediensteter auf Zeit erhoben hatte. Der Kläger hatte während des Zeitraums, in dem er gegen eine ihn beschwerende Maßnahme Beschwerde einlegen konnte, zwei Schreiben an die Stiftung gerichtet. Er sah das zweite dieser Schreiben als Beschwerde an; das Gericht qualifizierte jedoch bei der Berechnung der Frist für die Klageerhebung das erste Schreiben als Beschwerde. Es entschied daher, daß die Klage verspätet und somit unzulässig sei.

Maßgebliche Rechtsvorschriften und sonstige Bestimmungen

2.
    Die Stiftung wurde durch die Verordnung Nr. 1360/90 des Rates(3) errichtet, nach der(4) das Personal den Verordnungen und Regelungen für die Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften unterliegt. Sie hat ihren Sitz in Turin(5).

3.
    Gemäß Artikel 46 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gilt für Bedienstete auf Zeit Titel VII des Statuts entsprechend. Dieser Titel regelt das Verfahren bei Streitigkeiten zwischen Bediensteten und den Gemeinschaftseinrichtungen, bei denen diese beschäftigt sind. Artikel 90 betrifft das interne Vorverfahren und Artikel 91 das streitige Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten.

4.
    Nach Artikel 90 Absatz 2 kann ein Bediensteter gegen eine ihn beschwerende Maßnahme innerhalb einer Frist von drei Monaten, die (soweit hier relevant) am Tag der Mitteilung der betreffenden Entscheidung beginnt, Beschwerde einlegen. Die zuständige Stelle(6) muß innerhalb von vier Monaten ab dem Tag der Einreichung der Beschwerde eine begründete Entscheidung erlassen; geschieht dies nicht, so gilt die Beschwerde mit Ablauf dieser Frist als stillschweigend abgelehnt.

5.
    Gemäß Artikel 91 Absatz 2 kann gegen die ausdrückliche oder stillschweigende Ablehnung einer nach Artikel 90 Absatz 2 eingelegten BeschwerdeKlage beim Gericht erster Instanz(7) erhoben werden. Diese Klage muß gemäß Artikel 91 Absatz 3 innerhalb einer Frist von drei Monaten erhoben werden, die mit der Mitteilung der Entscheidung oder im Fall einer stillschweigenden Entscheidung mit dem Ablauf der Viermonatsfrist des Artikels 90 Absatz 2 beginnt.

6.
    Nach Artikel 1 der Anlage II zur Verfahrensordnung des Gerichtshofes (Beschluß über die Verlängerung der Verfahrensfristen mit Rücksicht auf die räumliche Entfernung) werden die Verfahrensfristen bei Klagen vor dem Gerichtshof für Parteien, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Italien haben, um zehn Tage verlängert. Diese Verlängerung gilt gemäß Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz auch für Verfahren vor dem Gericht.

Der angefochtene Beschluß

Sachverhalt

7.
    Der Sachverhalt, so wie er sich aus den Randnummern 1 bis 9 des angefochtenen Beschlusses ergibt, kann wie folgt zusammengefaßt werden.

8.
    Herr Politi (Kläger im ersten Rechtszug und Rechtsmittelführer im vorliegenden Verfahren), der in Turin wohnt, war bei der Stiftung aufgrund eines zeitlich befristeten Vertrages tätig, der vom 1. Dezember 1994 bis zum 30. November 1997 lief und die Möglichkeit der Verlängerung vorsah.

9.
    Am 16. September 1997 unterzeichnete der Direktor der Stiftung die endgültige Fassung der Beurteilung des Rechtsmittelführers für den Zeitraum von April 1996 bis April 1997. Mit Schreiben vom 30. September 1997, das der Rechtsmittelführer am 1. Oktober 1997 erhielt, teilte er diesem mit, daß der Vertrag nicht verlängert werde.

10.
    Am 5. November 1997 richtete der Anwalt des Rechtsmittelführers ein Schreiben an den Direktor der Stiftung, in dem er Einwände gegen die Beurteilung und die Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages erhob. Auf Ersuchen des Direktors beantwortete der Anwalt der Stiftung dieses Schreiben, wobei er die Vorwürfe zurückwies. Am 31. Dezember 1997 erhob der Anwalt des Rechtsmittelführers „Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts“ mit dem Antrag, die Beurteilung und die Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages zurückzunehmen. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

11.
    Am 2. August 1998 erhob der Rechtsmittelführer vor dem Gericht Klage auf Aufhebung der Entscheidungen vom 16. September 1997 über die Erstellung derendgültigen Beurteilung und vom 30. September 1997 über die Nichtverlängerung seines Vertrages.

Rechtsfragen

12.
    Das Gericht hat auf die von der Stiftung erhobene Unzulässigkeitseinrede hin entschieden, daß die Klage verspätet und somit unzulässig gewesen sei. Die Begründung (Randnrn. 23 bis 42 des angefochtenen Beschlusses) läßt sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen.

13.
    Die Zulässigkeit der Klage eines Bediensteten setze die ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens voraus. Die Beschwerde- und Klagefristen seien zwingendes Recht und für die Parteien bindend. Die rechtliche Qualifizierung eines Schreibens oder einer Note sei ausschließlich Sache des Gerichts und unterliege nicht dem Willen der Parteien. Ein Schreiben, das, ohne ausdrücklich die Rücknahme der Entscheidung zu beantragen, eindeutig darauf abzielt, eine Abhilfe auf gütlichem Wege zu erlangen, stelle ebenso wie ein Schreiben, das klar den Willen des Klägers zum Ausdruck bringe, eine ihn beschwerende Entscheidung anzugreifen, eine Beschwerde dar.

14.
    Das Schreiben des Anwalts des Rechtsmittelführers vom 5. November 1997 habe klare Rügen von Rechtsverstößen enthalten, die sowohl die Beurteilung als auch die Entscheidung vom 30. September 1997 betroffen hätten. Es seien Fehler bei der Erstellung der Beurteilung gerügt worden, die nicht auf objektiven Tatsachen beruht habe; hinsichtlich der letztgenannten Entscheidung seien die Nichteinhaltung der im Handbuch für die Bediensteten der Stiftung vom Januar 1997 vorgesehenen Fristen, das Fehlen einer Begründung sowie Beurteilungsfehler und Verfahrensmißbrauch geltend gemacht worden. Mit dem Schreiben sei nicht nur eine gütliche Lösung des Streites angestrebt, sondern darüber hinaus die Aufhebung der Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages innerhalb einer Frist von zwei Wochen beantragt worden. Ein solches Schreiben müsse als Beschwerde aufgefaßt werden.

15.
    Dieses Ergebnis werde weder durch die Aussage in dem Schreiben, daß eine Beschwerde eingelegt würde, falls kein positiver Bescheid ergehe, noch dadurch beeinflußt, daß es in dem Begleitschreiben zu der „Beschwerde“ vom 31. Dezember 1997 heiße, daß, falls das vorangegangene Schreiben als Beschwerde behandelt worden sei, „das vorliegende Schreiben als Rücknahme anzusehen“ sei. Ein Beschwerdeführer könne nicht durch eine einfache „Rücknahmeerklärung“ die Fristen erneut in Gang setzen.

16.
    Demnach sei nicht zu untersuchen gewesen, ob es sich bei dem Schreiben des Anwalts der Stiftung vom 18. November 1997 um eine Antwort auf die Beschwerde gehandelt habe. Wenn das der Fall gewesen sei, dann hätte die Klage unter Berücksichtigung der einschlägigen Entfernungsfristen spätestens am 28.Februar 1998 erhoben werden müssen; andernfalls wäre die Beschwerde am 5. März 1998, vier Monate nach ihrer Einreichung, als stillschweigend abgelehnt zu betrachten gewesen und die Klage hätte innerhalb einer Frist von drei Monaten zuzüglich 10 Tagen Verlängerung wegen der räumlichen Entfernung, damit bis zum 15. Juni 1998, erhoben werden müssen.

17.
    Das Schreiben vom 31. Dezember 1997 sei als zusätzliches Schreiben anzusehen, mit dem in der Beschwerde vorgebrachte Rügen weiterentwickelt würden; dies sei zwar zulässig, könne jedoch keine Auswirkungen auf die Frist für die Beantwortung haben, die nach dem eindeutigen Wortlaut von Artikel 91 Absatz 2 des Statuts ab dem Tag der Einreichung der Beschwerde zu berechnen sei, so daß die Frist für die Klageerhebung bereits lange vor dem 2. August 1998 abgelaufen sei.

Vorbringen im Rechtsmittelverfahren

18.
    Der Rechtsmittelführer macht erstens geltend, das Gericht habe das Schreiben vom 5. November 1997 zu Unrecht als Beschwerde betrachtet. Wie sich klar aus dem Wortlaut dieses Schreibens ergebe, sei es von seinem Anwalt verfaßt worden, der in dieser Phase nicht ermächtigt gewesen sei, eine Beschwerde einzulegen. Außerdem komme darin eindeutig zum Ausdruck, daß er noch keine Entscheidung über die Einreichung einer Beschwerde getroffen habe. Indem der Direktor der Stiftung deren Anwalt beauftragt habe, dem Anwalt des Rechtsmittelführers zu antworten, habe er den Charakter des Schriftwechsels klar erkannt, da er seine Befugnisse als Anstellungsbehörde nicht an einen Anwalt übertragen könne, der weder ein Beamter noch ein sonstiger Bediensteter der Gemeinschaft sei. Jedenfalls habe der Rechtsmittelführer seinen Anwalt nicht ermächtigt, eine Antwort auf eine Beschwerde für ihn entgegenzunehmen.

19.
    Zweitens trägt der Rechtsmittelführer vor, das Gericht habe das Schreiben vom 31. Dezember 1997 zu Unrecht als „zusätzliches Schreiben“ zur Ergänzung einer Beschwerde qualifiziert, da es die erste und einzige Beschwerde gewesen sei, die er eingelegt habe.

20.
    Drittens rügt der Rechtsmittelführer, die Entscheidung des Gerichts bewirke eine unzulässige Verkürzung sowohl der Bedenkzeit, die den Bediensteten nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts zustehe, als auch der Frist für die Beantwortung durch die Einrichtung; letzteres vor allem dadurch, daß die Frist ab dem 5. November 1997 berechnet werde, obwohl auch die am 31. Dezember 1997 vorgebrachten Gesichtspunkte in der Antwort zu berücksichtigen gewesen seien.

21.
    Der Rechtsmittelführer kommt zu dem Ergebnis, daß das Schreiben vom 31. Dezember 1997 als fristgerecht eingelegte Beschwerde zu qualifizieren sei und daß die viermonatige Antwortfrist der Stiftung ab diesem Datum sowie die Dreimonatsfrist für die Einleitung des Gerichtsverfahrens ab deren Ablauf zu berechnen seien, so daß die Klage fristgerecht eingereicht worden sei.

22.
    In seiner Erwiderung macht der Rechtsmittelführer hilfsweise geltend, daß das Schreiben vom 5. November 1997, selbst wenn es als Beschwerde zu qualifizieren sei, als zurückgenommen und durch die Beschwerde vom 31. Dezember 1997 ersetzt zu betrachten sei, die fristgerecht in Ausübung seines Rechts auf eine dreimonatige Bedenkzeit eingelegt worden sei. Durch die Rücknahme und die erneute Erhebung einer Beschwerde seien somit die im Statut vorgesehenen Fristen nicht erneut in Lauf gesetzt worden.

23.
    Die Stiftung hält die ersten beiden Rechtsmittelgründe für unzulässig, da sie sich nicht auf die Verletzung einer Rechtsvorschrift bezögen; der Rechtsmittelführer beanstande nicht die rechtliche Qualifizierung der Tatsachen, sondern deren Würdigung durch das Gericht, insbesondere soweit sie das Vorbringen betreffe, daß der Anwalt des Rechtsmittelführers nicht ermächtigt gewesen sei, in der entsprechenden Phase eine Beschwerde einzulegen oder eine Antwort auf eine Beschwerde entgegenzunehmen. Im übrigen beschränke sich der erste Rechtsmittelgrund auf die Wiederholung der bereits im ersten Rechtszug vorgebrachten Argumente.

24.
    Der dritte Rechtsmittelgrund sei sowohl unzulässig, da er keine Angaben darüber enthalte, in welchen Punkten der angefochtene Beschluß beanstandet werde, als auch offensichtlich unbegründet, da der Beschluß nach Ablauf der Beschwerdefrist erlassen worden sei und diese folglich nicht verkürzt haben könne, wobei es Sache des Bediensteten sei, zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt innerhalb dieser Frist er seine Beschwerde einreichen wolle.

25.
    Zu dem Hilfsargument aus der Erwiderung des Rechtsmittelführers bemerkt die Stiftung, daß ein Bediensteter seine Beschwerde zwar zurückziehen, diese jedoch nicht durch eine andere ersetzen und auf diese Weise die viermonatige Frist für die Beantwortung durch die Anstellungsbehörde erneut in Lauf setzen könne. Dies würde dem Grundsatz zuwiderlaufen, daß die Fristen der Artikel 90 und 91 des Statuts zwingendes Recht sind, und die Rechtssicherheit gefährden. Die Anstellungsbehörde müßte dann mit der Vorbereitung ihrer Antwort bis zum Ende der Dreimonatsfrist warten, um die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß die ursprüngliche Beschwerde innerhalb dieser Frist zurückgezogen und eine neue eingelegt werde; zudem würde das Ziel, eine gütliche Einigung zu erreichen, in Frage gestellt.

Würdigung

Zulässigkeit des Rechtsmittels

26.
    Meines Erachtens geht die Stiftung fehl, wenn sie einwendet, der Rechtsmittelführer rüge im ersten und zweiten Rechtsmittelgrund keine Verletzung einer Rechtsvorschrift, er gebe nicht an, in welchen Punkten der angefochteneBeschluß beanstandet werde, und greife lediglich die Würdigung die Tatsachen durch das Gericht, nicht jedoch deren rechtliche Qualifizierung an.

27.
    Der Rechtsmittelführer beanstandet eindeutig die Feststellungen, daß (a) das Schreiben vom 5. November 1997 eine Beschwerde und (b) das Schreiben vom 31. Dezember 1997 lediglich ein „zusätzliches Schreiben“ gewesen seien. Er verweist insbesondere auf die Randnummern 33 und 39 des angefochtenen Beschlusses, in denen diese Feststellungen getroffen werden. Die von ihm angeführten Argumente bringen klar zum Ausdruck, daß das Gericht nach seiner Auffassung mit diesen Feststellungen das Gemeinschaftsrecht falsch angewandt (und damit verletzt) hat. Er verlangt vom Gerichtshof eine Überprüfung der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen durch das Gericht und der hierauf beruhenden rechtlichen Schlußfolgerungen.

28.
    Die Rüge, daß im ersten Rechtsmittelgrund Argumente wiederholt würden, die bereits im ersten Rechtszug vorgebracht worden seien, ist durchaus substantiiert. Fast das gesamte Vorbringen zu diesem Grund in der Rechtsmittelschrift und der gesamte mit „Ergebnisse“ überschriebene Abschnitt, der damit in engem Zusammenhang steht, sind praktisch wörtlich aus der Stellungnahme zum Einwand der Unzulässigkeit im ersten Rechtszug übernommen.

29.
    Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung - vom Urteil Kupka-Floridi(8) bis hin zum Urteil Clauni u. a.(9) - entschieden, daß ein Rechtsmittel unzulässig ist, wenn es sich darauf beschränkt, die bereits vor dem Gericht dargelegten Klagegründe und Argumente zu wiederholen oder wörtlich wiederzugeben. Diese Rechtsprechung wurde jedoch vorwiegend in Fällen herangezogen, in denen das Vorbringen im Rechtsmittelverfahren nicht erkennen ließ, in welchen Punkten das angefochtene Urteil oder der angefochtene Beschluß beanstandet wurde, sondern nur einen allgemeinen Vorwurf der Rechtswidrigkeit mit einer pauschalen Verweisung auf den Vortrag im ersten Rechtszug oder dessen wörtlicher Wiedergabe verband, insbesondere wenn es sich dabei um Tatsachenvortrag handelte, der vom Gericht ausdrücklich zurückgewiesen worden war. Solche Rechtsmittel stellen nach Auffassung des Gerichtshofes in Wirklichkeit einen Antrag auf eine bloße erneute Prüfung der im ersten Rechtszug eingereichten Klage dar; sie fallen nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofes.

30.
    Ich glaube nicht, daß hier eine solche Situation gegeben ist. Der Rechtsmittelführer hat klar angegeben, welche Feststellung in dem angefochtenen Beschluß (Randnr. 33) er beanstandet, und er hat rechtliche Gründe angeführt, aus denen er diese Feststellung für rechtsfehlerhaft hält. Trotz der Wiederholung desVorbringens aus dem Verfahren vor dem Gericht ist eindeutig erkennbar, daß es sich bei den in der Rechtsmittelschrift angeführten Gründen um Beanstandungen des Beschlusses des Gerichts handelt. Insoweit schließe ich mich der Kritik von Generalanwalt Fenelly an der übermäßigen Anwendung dieses Einwands gegen die Zulässigkeit von Rechtsmitteln an(10).

31.
    Der Umstand, daß im ersten Rechtsmittelgrund weitgehend Argumente wiederholt werden, die bereits im ersten Rechtszug vorgebracht wurden, stellt daher meines Erachtens unter den gegebenen Umständen kein Hindernis für die Zulässigkeit dar.

32.
    Die Stiftung trägt gegen die Zulässigkeit des dritten Rechtsmittelgrunds nur vor, daß darin nicht angegeben werde, in welchen Punkten der angefochtene Beschluß beanstandet werde. Dieser Einwand erscheint mir nicht gerechtfertigt; die beanstandeten Punkte sind offensichtlich dieselben wie in den ersten beiden Rechtsmittelgründen, nämlich die Qualifizierung des Schreibens vom 5. November 1997 als Beschwerde und des Schreibens vom 31. Dezember 1997 als „zusätzliches Schreiben“.

Begründetheit des Rechtsmittels: Zulässigkeit der Klage im ersten Rechtszug

33.
    Die Begründetheit des Rechtsmittels hängt nur von einer Frage ab, nämlich der, ob das Gericht zu Recht das Schreiben vom 5. November 1997 und nicht das vom 31. Dezember 1997 als Beschwerde angesehen hat. Der Rechtsmittelführer macht im wesentlichen geltend, daß (i) das Schreiben vom 5. November 1997 aus rechtlichen Gründen keine Beschwerde habe sein können, (ii) es sich bei dem Schreiben vom 31. Dezember 1997 um nichts anderes als eine Beschwerde habe handeln können, und daß (iii) das Gericht durch seine gegenteilige Entscheidung die im Statut vorgesehene Bedenkzeit rechtswidrig verkürzt habe.

34.
    Es ist oft gesagt worden, daß die rechtliche Qualifizierung eines Schreibens als Beschwerde ausschließlich der Beurteilung durch das Gericht und nicht dem Willen der Parteien unterliege. Der Gerichtshof hat in einigen Rechtssachen aus der Zeit vor 1989 entschieden, daß ein Schriftstück aufgrund seines Inhalts als Antrag oder Beschwerde behandelt werden könne, selbst wenn es nichtausdrücklich hierzu bestimmt gewesen sei(11). Allerdings hat sich dieser Ansatz erst in der Rechtsprechung des Gerichts zu einer festen Formulierung verdichtet(12).

35.
    Es muß betont werden, daß die entsprechende Befugnis des Gerichts kein Vorwand ist, um unliebsame Klagen als unzulässig abzuweisen; es muß ein zwingender Grund vorliegen, um in einem Schriftstück etwas anderes zu sehen als das, was der Verfasser wollte. Das Hauptkriterium muß dabei die Rechtssicherheit sein; die Fristen sind zwingendes Recht, und es muß möglich sein, das fristauslösende Ereignis mit Sicherheit zu bestimmen. Deshalb darf auf der einen Seite ein Bediensteter nicht eine Reihe mehrdeutiger Schriftstücke einreichen und erst im nachhinein aufgrund später auftretender Verfahrenserfordernisse entscheiden, durch welches Schriftstück welche Frist ausgelöst worden sein soll; auf der anderen Seite darf das Gericht nicht ohne wichtigen Grund Schriftstücke, die von den Parteien in einem bestimmten Sinn behandelt worden sind, anders qualifizieren und dadurch die Verfahrensrechte, die dem Handeln der Parteien zugrunde lagen, neu definieren.

36.
    Im vorliegenden Fall enthielt das Schreiben vom 5. November 1997 die Erklärung des Anwalts des Rechtsmittelführers, daß er, falls nicht innerhalb von zwei Wochen die Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages zurückgenommen und eine Verlängerungsentscheidung getroffen werde, „[seinem] Mandaten nur empfehlen [könne], bei der zuständigen Stelle eine Beschwerde im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts und Artikel 46 der Beschäftungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten einzulegen“. Diese Erklärung bringt klar zum Ausdruck, daß das Schreiben selbst noch keine Beschwerde darstellen sollte, obwohl das Gericht diesen Umstand als unbeachtlich bezeichnet hat(13). Zudem ist das Schreiben vom 31. Dezember 1997 eindeutig mit der Überschrift „Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften“ versehen.

37.
    Trotz dieser Umstände weist jedoch das Schreiben vom 5. November 1997 sämtliche Merkmale einer Beschwerde auf. Es enthält spezifische rechtlicheEinwände sowohl gegen die endgültige Beurteilung des Rechtsmittelführers als auch gegen die Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages (die beide den Rechtsmittelführer beschwerende Maßnahmen darstellen) und den genau bestimmten Antrag auf Rücknahme dieser Entscheidung und Verlängerung des Vertrages. Diese Aspekte des Schreibens werden in den Randnummern 29 bis 33 des angefochtenen Beschlusses dargestellt und untersucht; das Gericht führt dabei einen Vergleich mit den Merkmalen einer Beschwerde durch und kommt zu dem Ergebnis, daß das Schreiben als Beschwerde zu qualifizieren sei. Meines Erachtens ist diese Schlußfolgerung vollauf gerechtfertigt. Es ließe sich nur mit großen Schwierigkeiten begründen, warum ein derartiges Schriftstück keine Beschwerde im Sinne der Artikel 90 und 91 des Statuts darstellen sollte.

38.
    Das Argument, bei dem Schreiben habe sich nicht um eine Beschwerde gehandelt, da mit ihm eine gütliche Lösung angestrebt worden sei, hält einer Überprüfung nicht stand. Der Gerichtshof hat im Urteil Lacroix festgestellt, daß „[i]n diesem Schreiben ... zwar nicht ausdrücklich die Rücknahme der fraglichen Verfügung beantragt worden [ist], ihm ... aber eindeutig zu entnehmen [ist], daß der Kläger mit dieser Verwaltungsbeschwerde auf gütlichem Wege Genugtuung für seine Beschwerdepunkte erlangen wollte“; das entsprechende Schreiben wurde folglich als Beschwerde angesehen. Im Urteil Thomik heißt es, daß ein Schreiben, das „offensichtlich eine die [vorangegangene] Entscheidung ... abändernde Entscheidung [anstrebt]“, als Beschwerde zu betrachten sei, und nach dem Urteil Aldinger stellen Schreiben, die „klar den Willen der [Kläger] zum Ausdruck bringen, die Entscheidungen der Anstellungsbehörde anzugreifen“, Beschwerden dar.

39.
    Auch das Argument, daß der Anwalt des Rechtsmittelführers nicht zur Einlegung einer Beschwerde ermächtigt gewesen sei, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen; es ist nicht vorgetragen, daß der Anwalt nicht ermächtigt war, den Brief zu schreiben, den er geschrieben hat, und eben dieser Brief muß auf der Grundlage seiner Merkmale qualifiziert werden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Frage, ob das Schreiben des Anwalts der Stiftung als wirksame Beantwortung der Beschwerde anzusehen ist, keine Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung der Beschwerde als solcher haben kann.

40.
    Das Schreiben vom 5. November 1997 stellte nicht nur hinsichtlich der Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages des Rechtsmittelführers, sondern auch hinsichtlich dessen Beurteilung eine Beschwerde dar. Obwohl die Rücknahme der Beurteilung nicht ausdrücklich beantragt wurde, war ein solcher Antrag stillschweigend in dem Schreiben enthalten, mit dem insbesondere eine gegen Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG), Artikel 25 des Statuts und Artikel 54 der Beschäftigungsbedingungen verstoßende unzureichende Begründung gerügt wurde. Da die Beurteilung zu diesem Zeitpunkt einen endgültigen Rechtsakt darstellte, wurde mit einer solchen Rüge zwangsläufig ihre Wirksamkeit in Frage gestellt. Außerdem waren die Beanstandungen der Beurteilung offensichtlich mitdem Antrag auf Rücknahme der Entscheidung über die Nichtverlängerung des Vertrages verbunden und stellten nicht etwa eine selbständige Rüge dar; angesichts der ausgesprochen ungünstigen Beurteilung wäre es nicht in Betracht gekommen, die Verlängerung des Vertrages des Rechtsmittelführers zu verlangen, solange diese Beurteilung Bestand hatte.

41.
    Aufgrund dieser Erwägungen bin ich der Auffassung, daß das Gericht zu Recht angenommen hat, daß der Rechtsmittelführer am 5. November 1997 eine Beschwerde eingelegt hatte und nicht durch die Einreichung einer zusätzlichen Beschwerde die Frist für die Klageerhebung erneut in Gang setzen konnte.

42.
    Die übrigen Rechtsmittelgründe können kurz abgehandelt werden. Die Rüge, daß das Schreiben vom 31. Dezember 1997 zu Unrecht als „zusätzliches Schreiben“ qualifiziert worden sei, steht und fällt mit der Qualifizierung des ersten Schreibens. Wenn das erste Schreiben eine Beschwerde war, konnte das zweite Schreiben nicht ebenfalls eine Beschwerde sein. Der dritte Rechtsmittelgrund und das Hilfsvorbringen in der Erwiderung des Rechtsmittelführers erscheinen gänzlich verfehlt. Sie gehen von der Annahme aus, daß das Statut den Beamten eine Frist von vollen drei Monaten einräumt, innerhalb deren sie nicht nur eine Beschwerde einreichen, sondern diese auch abändern, erweitern oder zurücknehmen und ersetzen können, wobei die Viermonatsfrist für die Beantwortung erst beginnt, wenn der Beamte seine endgültige Entscheidung getroffen hat. Dies verstößt eindeutig gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, gegen den Wortlaut der Artikel 90 und 91 des Statuts und gegen die ständige Praxis. Eine Beschwerde kann während des Vorverfahrens erweitert werden(14) mit der Folge, daß Rügen, die in „zusätzlichen Schreiben“ erhoben werden, später auch im Gerichtsverfahren geltend gemacht werden können; dies kann jedoch keine Auswirkungen auf die Frist haben, die durch die Einlegung der Beschwerde in Gang gesetzt wurde.

Ergebnis

43.
    Ich schlage daher dem Gerichtshof vor,

-    das Rechtsmittel zurückzuweisen und

-    dem Rechtsmittelführer die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


1: Originalsprache: Englisch.


2: -     Beschluß des Gerichts erster Instanz (Zweite Kammer) vom 9. Februar 1999 in der Rechtssache T-124/98 (Politi/Europäische Stiftung für Berufsbildung).


3: -     Verordnung (EWG) Nr. 1360/90 des Rates vom 7. Mai 1990 zur Errichtung einer Europäischen Stiftung für Berufsbildung, ABl. L 131, S. 1.


4: -     Artikel 14 der Verordnung Nr. 1360/90 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2063/94 des Rates vom 27. Juli 1994 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1360/90, ABl. L 216, S. 9.


5: -     Vgl. den Einvernehmlichen Beschluß der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 29. Oktober 1993, ABl. C 323, S. 1.


6: -     Bei Bediensteten auf Zeit ist das die in Artikel 6 Absatz 1 der Beschäftigungsbedingungen genannte Stelle, d. h. die Person, die zum Abschluß von Dienstverträgen mit derartigen Bediensteten ermächtigt ist. Obwohl der Begriff der „Anstellungsbehörde“ an sich nur im Zusammenhang mit Beamten anwendbar ist, die nach dem Statut angestellt werden, werde ich ihn im folgenden der Einfachheit halber und in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der Parteien und des Gerichts in dem angefochtenen Beschluß benutzen.


7: -     Dies gilt seit dem Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (88/591/EGKS, EWG, Euratom), ABl. L 319, S. 1; vgl. Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a dieses Beschlusses.


8: -    Urteil vom 26. April 1993 in der Rechtssache C-244/92 P (Kupka-Floridi/WSA, Slg. 1993, I-2041, Randnr. 10).


9: -     Beschluß vom 20. Januar 2000 in der Rechtssache C-171/99 P (Clauni u. a./Kommission, Randnr. 16).


10: -     Vgl. Nr. 8 der Schlußanträge in der Rechtssache C-304/97 P (Carbajo Ferrero/Parlament, Slg. 1999, I-1749), denen der Gerichtshof offenbar in den Randnrn. 27 und 28 des Urteils gefolgt ist, und Nr. 25 der Schlußanträge vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C-352/98 P (Bergaderm und Goupil/Kommission, Slg. 2000, I-5291).


11: -     Vgl. Urteile vom 28. Mai 1970 in der Rechtssache 30/68 (Lacroix/Kommission, Slg. 1970, 301, Randnr. 4), vom 22. November 1972 in der Rechtssache 19/72 (Thomik/Kommission, Slg. 1972, 1155, Randnr. 4), vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 178/80 (Bellardi-Ricci u. a./Kommission, Slg. 1981, 3187, Randnr. 9, wobei es der Gerichtshof allerdings nur als möglich angesehen hat, ein als Antrag gedachtes Schreiben als solchen zu qualifizieren, ohne dass er im entschiedenen Fall eine solche Qualifizierung vorgenommen hätte), und vom 14. Juli 1988 in den verbundenen Rechtssachen 23/87 und 24/87 (Aldinger u. a./Parlament, Slg. 1988, 4395, Randnr. 13).


12: -     Beginnend mit dem Urteil vom 20. März 1991 in der Rechtssache T-1/90 (Pérez-Mínguez Casariego/Kommission, Slg. 1991, II-143, Randnr. 38), zuletzt in dem Beschluß vom 8. Dezember 1999 in der Rechtssache T-108/99 (Reggimenti/Parlament, Slg. ÖD 1999, I-A-243 und II-1205, Randnr. 26).


13: -     Randnr. 34 des angefochtenen Beschlusses.


14: -     Vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1997 in der Rechtssache T-159/95 (Dricot u. a./Kommission, Slg. ÖD 1997, I-A-385 und II-1035, Randnrn. 22 bis 25), auf das der Rechtsmittelführer verwiesen hatte und das im angefochtenen Beschluß zitiert wird.