Language of document : ECLI:EU:T:2014:849

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

2. Oktober 2014(*)

„REACH – Gebühr für die Registrierung eines Stoffes – Ermäßigung für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen – Fehler bei der Angabe der Größe des Unternehmens – Entscheidung, mit der ein Verwaltungsentgelt erhoben wird – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache T‑177/12

Spraylat GmbH mit Sitz in Aachen (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt K. Fischer,

Klägerin,

gegen

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch M. Heikkilä, A. Iber und C. Schultheiss als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwältin M. Kuschewsky,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten zunächst durch D. Düsterhaus und E. Manhaeve, dann durch B. Eggers und M. Manhaeve als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

betreffend einen Antrag auf Nichtigerklärung der Rechnung Nr. 10030371 der ECHA vom 21. Februar 2012 zur Festsetzung des gegenüber der Klägerin erhobenen Verwaltungsentgelts und, fürsorglich, auf Nichtigerklärung der Entscheidung SME (2012) 1145 der ECHA vom 15. Februar 2012, mit dem festgestellt wurde, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen erfülle, um eine Ermäßigung der Gebühren für kleine Unternehmen in Anspruch zu nehmen, und ihr gegenüber ein Verwaltungsentgelt erhoben wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie der Richter F. Dehousse (Berichterstatter) und A. M. Collins,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2014

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 29. November 2010 ließ die in der Türkei ansässige Gesellschaft Spraylat Boya Sanayi ve Ticaret Limited Sirketi (im Folgenden: Spraylat Boya) einen Stoff im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1) registrieren.

2        Bei der Registrierung des betreffenden Stoffes wurde Spraylat Boya nach Art. 8 der Verordnung Nr. 1907/2006 von der Klägerin, der Spraylat GmbH, vertreten. Im Registrierungsverfahren gab die Klägerin an, Spraylat Boya sei ein „kleines“ Unternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124, S. 36). Aufgrund dieser Angabe konnte sie eine Ermäßigung der für eine Registrierung anfallenden Gebühren nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1907/2006 in Anspruch nehmen. Nach Art. 74 Abs. 1 dieser Verordnung wurde die Gebühr in der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006 (ABl. L 107, S. 6) festgesetzt. Anhang I der Verordnung Nr. 340/2008 enthält die Beträge der Gebühren für die Anträge auf Registrierung nach Art. 6 der Verordnung Nr. 1907/2006 und die Ermäßigungen für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen. Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 sieht vor, dass, wenn eine natürliche oder juristische Person, die eine Ermäßigung oder einen Gebührenverzicht in Anspruch nimmt, diesen Anspruch nicht belegen kann, die Europäische Chemikalienagentur (im Folgenden: ECHA) die Gebühr oder das Entgelt in voller Höhe sowie ein Verwaltungsentgelt erhebt. Diesbezüglich erließ der Verwaltungsrat der ECHA am 12. November 2010 den Beschluss MB/D/29/2010 über die Klassifizierung von Dienstleistungen, für die Entgelte erhoben werden. Gemäß Art. 2 und Tabelle 1 dieses Beschlusses beträgt das Verwaltungsentgelt nach Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 für große Unternehmen 20 700 Euro, für mittlere Unternehmen 14 500 Euro, für kleine Unternehmen 8 300 Euro und für Kleinstunternehmen 2 070 Euro.

3        Am 1. Dezember 2010 beglich die Klägerin die von der ECHA ausgestellte Rechnung Nr. 10024214 über einen Betrag von 480 Euro. Dieser Betrag entsprach gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 340/2008 in der zum Zeitpunkt des Sachverhalts geltenden Fassung der von einem kleinen Unternehmen bei einer gemeinsamen Einreichung geschuldeten Gebühr für Stoffe im Mengenbereich von 1 bis 10 Tonnen.

4        Am 27. September 2011 wurde die Klägerin von der ECHA als eines von mehreren Unternehmen ausgewählt, deren Angaben als kleine oder mittlere Unternehmen im Rahmen einer Stichprobe einer Prüfung unterzogen wurden. Zu diesem Zweck wurde die Klägerin gebeten, eine Reihe von Dokumenten vorzulegen.

5        Nach einem Austausch von Dokumenten und einem E-Mail-Wechsel zwischen der ECHA und der Klägerin gab die Klägerin zu, dass ihre anfängliche Angabe „kleines Unternehmen“ falsch gewesen war und sie Spraylat Boya gemäß den relevanten anwendbaren Kriterien und infolge einer Überprüfung ihrerseits als großes Unternehmen hätte angeben müssen. Die Klägerin erklärte sich zudem bereit, die für ein großes Unternehmen geltende Gebühr zu entrichten.

6        Am 15. Februar 2012 richtete die ECHA die Entscheidung SME (2012) 1445 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) an die Klägerin. Mit dieser Entscheidung teilte die ECHA der Klägerin mit, dass Spraylat Boya als großes Unternehmen anzusehen sei und sie ihr eine Rechnung ausstellen werde, die die Differenz zwischen der anfänglich gezahlten Gebühr und der letztlich geschuldeten Gebühr decken werde, sowie eine Rechnung zur Begleichung des entsprechenden Verwaltungsentgelts.

7        Am 21. Februar 2012 stellte die ECHA die Rechnung Nr. 10030371 (im Folgenden: angefochtene Rechnung) über einen Betrag in Höhe von 20 700 Euro zur Begleichung des Verwaltungsentgelts aus.

8        Am 7. März 2012 stellte die ECHA die Rechnung Nr. 10030369 über einen Betrag in Höhe von 720 Euro aus, der die Differenz zwischen der von der Klägerin anfänglich gezahlten Gebühr und der letztlich geschuldeten Gebühr in Höhe von 1 200 Euro deckte.

 Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

9        Mit Klageschrift, die am 20. April 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

10      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 15. Mai 2012 wurde die Rechtssache der Fünften Kammer des Gerichts zugewiesen.

11      Mit Beschluss des Präsidenten der Fünften Kammer des Gerichts vom 4. September 2012 ist die Kommission nach Anhörung der Parteien als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der ECHA zugelassen worden.

12      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 25. Januar 2013 wurde die Rechtssache der Zweiten Kammer und einem neuen Berichterstatter zugewiesen.

13      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Sechsten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

14      Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

15      Am 2. April 2014 hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 seiner Verfahrensordnung die ECHA aufgefordert, zu bestimmten Argumenten, die die Klägerin in der Erwiderung vorgetragen hat, Stellung zu nehmen. Die ECHA hat dieser Aufforderung fristgerecht Folge geleistet.

16      In der Sitzung vom 14. Mai 2014 haben die Verfahrensbeteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

17      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Rechnung für nichtig zu erklären;

–        fürsorglich, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        der ECHA die Kosten aufzuerlegen.

18      Die ECHA beantragt,

–        die Klage abzuweisen und die angefochtene Entscheidung zu bestätigen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

19      Die Kommission beantragt, die Klage abzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

20      Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie einen Verstoß gegen die Verordnungen Nr. 1907/2006 und Nr. 340/2008, mit dem zweiten Klagegrund einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, mit dem dritten Klagegrund einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, mit dem vierten Klagegrund einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und gegen das Recht auf gute Verwaltung und mit dem fünften Klagegrund eine unzulässige Delegation von Befugnissen auf die Beklagte.

21      Vorab ist festzustellen, dass die Klägerin mit ihren Anträgen die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung und der angefochtenen Rechnung begehrt. Da die angefochtene Entscheidung nicht alle wesentlichen Bestandteile der Verpflichtungen der Klägerin enthält, insbesondere nicht die Höhe des Verwaltungsentgelts, ist die angefochtene Rechnung im vorliegenden Fall das Dokument, mit dem die ECHA im Einzelnen die Höhe der Forderungen gegenüber der Klägerin festgesetzt hat. Die angefochtene Rechnung ist deshalb eine die Klägerin beschwerende Maßnahme und kann daher ebenfalls mit einer Nichtigkeitsklage beim Gericht angefochten werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. März 2012, Octapharma Pharmazeutika/EMA, T‑573/10, EU:T:2012:114, Rn. 45).

22      Ferner ist vorab festzustellen, dass die Klägerin in Anbetracht ihres Vorbringens im Rahmen des ersten bis vierten Klagegrundes in Wirklichkeit eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen den Beschluss MB/D/29/2010 erhebt, wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Die ECHA und die Kommission haben zudem in der mündlichen Verhandlung erklärt, das Vorbringen der Klägerin in diesem Sinne verstanden zu haben, was zu Protokoll genommen worden ist. Die Schriftsätze der ECHA zeigen im Übrigen, dass diese zu dem entsprechenden Vorbringen der Klägerin Stellung genommen hat.

23      Nach Art. 277 AEUV „kann jede Partei in einem Rechtsstreit, bei dem die Rechtmäßigkeit eines von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union erlassenen Rechtsakts mit allgemeiner Geltung angefochten wird, vor [den Unionsgerichten] die Unanwendbarkeit dieses Rechtsakts aus den in Artikel 263 Absatz 2 genannten Gründen geltend machen“.

24      Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 277 AEUV Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der jeder Partei das Recht gewährleistet, zum Zweck der Nichtigerklärung einer sie unmittelbar und individuell betreffenden Rechtshandlung die Gültigkeit derjenigen früheren Rechtshandlungen der Unionsorgane zu bestreiten, die die Rechtsgrundlage für die angefochtene Rechtshandlung bilden, falls die betreffende Partei nicht das Recht hatte, gemäß Art. 263 AEUV unmittelbar gegen diese Rechtshandlungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Nichtigerklärung hätte beantragen können (Urteil vom 11. Dezember 2012, Sina Bank/Rat, T‑15/11, Slg, EU:T:2012:661, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Die Einrede der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV muss weit ausgelegt werden in dem Sinne, dass sie alle Rechtshandlungen allgemeinen Charakters erfasst (Urteil vom 26. Oktober 1993, Reinarz/Kommission, T‑6/92 und T‑52/92, Slg, EU:T:1993:89, Rn. 56). Sie muss sich auch auf Rechtshandlungen erstrecken, die zwar nicht formell die Rechtsgrundlage für die angefochtene Rechtshandlung bilden, aber in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit dieser stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2006, FNCBV u. a./Kommission, T‑217/03 und T‑245/03, Slg, EU:T:2006:391, Rn. 250 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Vorliegend ist der Beschluss MB/D/29/2010 ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung, da er auf objektiv bestimmte Situationen anwendbar ist und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen nach sich zieht (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Juni 2012, Eurofer/Kommission, T‑381/11, Slg, EU:T:2012:273, Rn. 29), worüber sich die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung einig waren.

27      Im Übrigen steht der Beschluss MB/D/29/2010 in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung und der angefochtenen Rechnung, da er in seiner Tabelle 1 die Höhe der in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße anzuwendenden Verwaltungsentgelte festlegt.

28      Schließlich gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin berechtigt gewesen wäre, nach Art. 263 AEUV unmittelbar gegen den Beschluss MB/D/29/2010 zu klagen, was die Verfahrensbeteiligten auch nicht geltend gemacht haben.

29      Folglich kann die Klägerin im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits inzident geltend machen, dass der Beschluss MB/D/29/2010 rechtswidrig sei.

30      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den zweiten Klagegrund zu prüfen, mit dem eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerügt wird, soweit mit ihm eine Einrede der Rechtswidrigkeit des Beschlusses MB/D/29/2010 erhoben wird.

31      Nach Ansicht der Klägerin entspricht das Verwaltungsentgelt in Höhe von 20 700 Euro nicht der von der ECHA erbrachten Leistung. Die Festsetzung dieser Abgabe verstoße daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin außerdem ausgeführt, dass die Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt worden ist, mit Blick auf ihre eigene Situation beantwortet werden müsse; es bestehe ein gewaltiger Unterschied zwischen einer Gebühr in Höhe von 1 000 Euro oder auch 2 000 Euro und einem dem Verwaltungsentgelt entsprechenden Betrag von mehr als 20 000 Euro. Im Übrigen hat sie sinngemäß vorgetragen, dass sie kein Interesse daran gehabt habe, der ECHA falsche Angaben zu übermitteln, um dadurch möglicherweise wenige hundert Euro vom Gebührenbetrag einzusparen.

32      Die ECHA vertritt – unter Hinweis darauf, dass die Klägerin das in Art. 2 und Tabelle 1 des Beschlusses MB/D/29/2010 festgelegte Verwaltungsentgelt als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ansehe – die Auffassung, dass das Verwaltungsentgelt geeignet sei, das angestrebte Ziel, nämlich die Deckung der bei der Überprüfung der Angaben der kleinen und mittleren Unternehmen anfallenden Kosten, zu erreichen, und nicht darüber hinaus gehe. Ferner hat die ECHA in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Gebühr im Durchschnitt 20 000 Euro betrage. Der Unterschied zum Verwaltungsentgelt sei daher nicht so erheblich. Außerdem solle das Verwaltungsentgelt die Unternehmen, die einen Stoff registrieren ließen, veranlassen, zutreffende Angaben zu machen. Die Unternehmen sollten wegen der Höhe des Verwaltungsentgelts keinen Anreiz erhalten, falsche Angaben zu machen.

33      Nach ständiger Rechtsprechung gehört der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und verlangt, dass die von einer Unionsbestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (Urteil vom 8. Juni 2010, Vodafone u. a., C‑58/08, Slg, EU:C:2010:321, Rn. 51). Wenn allerdings der Urheber des angefochtenen Rechtsakts über ein weites Ermessen verfügt, ist eine erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des angestrebten Ziels offensichtlich ungeeignet ist (Urteil vom 9. September 2010, Usha Martin/Rat und Kommission, T‑119/06, Slg, EU:T:2010:369, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Vorliegend heißt es im 11. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 340/2008: „Um der Erteilung falscher Auskünfte entgegenzuwirken, sollte durch die [ECHA] ein Verwaltungsentgelt und durch die Mitgliedstaaten gegebenenfalls ein Bußgeld in abschreckender Höhe erhoben werden.“ Diesem Erwägungsgrund ist zu entnehmen, dass das Verwaltungsentgelt zur Erreichung des Ziels beitragen soll, der Erteilung falscher Auskünfte durch die Unternehmen entgegenzuwirken. Allerdings lässt sich diesem Erwägungsgrund auch entnehmen, dass das Verwaltungsentgelt nicht einem Bußgeld gleichkommen darf.

35      Dieses Verständnis der Ziele der Verordnung Nr. 340/2008 wird durch die Vorarbeiten zum Beschluss MB/D/29/2010 bestätigt. So heißt es in der Begründung des Beschlussentwurfs, der dem Verwaltungsrat der ECHA für seine Sitzung vom 22. und 23. Juni 2010 übermittelt wurde, dass das Verwaltungsentgelt „nicht den Charakter eines Bußgelds hat“. Ein Bußgeld fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und kann „wesentlich höher sein als der durch die Erteilung falscher Auskünfte erlangte finanzielle Vorteil“.

36      In Anbetracht dieser Gesichtspunkte ist – ohne dass es im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich wäre, zu entscheiden, ob die ECHA sämtliche Kosten der Überprüfung ausschließlich auf die Unternehmen abwälzen darf, die falsche Angaben zu ihrer Größe gemacht haben, oder ob sie bei der Festsetzung des Verwaltungsentgelts über ein Ermessen verfügt – festzustellen, dass die Höhe des im vorliegenden Fall gegenüber der Klägerin festgesetzten Verwaltungsentgelts offensichtlich außer Verhältnis zu dem von der Verordnung verfolgten Ziel steht.

37      Aus den Akten ergibt sich nämlich, dass sich die letztlich von der Klägerin geschuldete Gebühr unter Berücksichtigung der ergänzenden Rechnung Nr. 10030369, die am 7. März 2012 an die Klägerin gerichtet worden war, auf 1 200 Euro belief. Aus der ergänzenden Rechnung geht außerdem hervor, dass die Klägerin durch die falsche Angabe zu ihrer Größe die Zahlung eines Betrags von 720 Euro hätte vermeiden können, den sie der ECHA als Gebühr schuldete.

38      Das der Klägerin auferlegte Verwaltungsentgelt in Höhe von 20 700 Euro war also im vorliegenden Fall 17-mal höher als die von ihr für die Registrierung des betreffenden Stoffes zu entrichtende Gebühr. Es war außerdem 28-mal höher als der Betrag der vorgenannten ergänzenden Rechnung und damit als die Gebühr, die durch die falsche Erklärung der Klägerin hätte vermieden werden können. Der Betrag des Verwaltungsentgelts war daher im vorliegenden Fall nach den Kriterien, die die ECHA selbst im Rahmen der Vorarbeiten zum Beschluss MB/D/29/2010 aufgestellt hatte (siehe oben, Rn. 35), „wesentlich höher“ als der finanzielle Vorteil, den die Klägerin durch ihre falsche Erklärung hätte erlangen können.

39      In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass sich die negativen wirtschaftlichen Folgen für die Klägerin in dem vorstehend angegebenen Ausmaß nicht mit den Zielen der Verordnung rechtfertigen lassen. Der Beschluss MB/D/29/2010 geht – wie er auf die Klägerin angewandt wurde und in diesem Ausmaß – somit offensichtlich über das hinaus, was zur Erreichung des von der einschlägigen Verordnung mit dem Verwaltungsentgelt verfolgten Ziels erforderlich ist, der Erteilung falscher Auskünfte entgegenzuwirken, ohne dass jedoch das Verwaltungsentgelt den Charakter eines Bußgelds annimmt.

40      Das übrige Vorbringen der ECHA vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.

41      Für die Bewertung der konkreten Situation der Klägerin ist es insbesondere unerheblich, dass die falsche Erklärung eines Unternehmens zu seiner Größe dem betreffenden Unternehmen in bestimmten Fällen ermöglichen kann, der Zahlung eines Gebührenbetrags zu entgehen, der viel höher ist als der Gebührenbetrag im vorliegenden Fall.

42      Auch das Vorbringen der ECHA in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung, sie sei verpflichtet, die in Rede stehenden Überprüfungskosten vollständig abzuwälzen, vermag die offensichtlich unverhältnismäßige Höhe des der Klägerin auferlegten Verwaltungsentgelts nicht zu rechtfertigen. Denn erstens ergibt sich die Höhe des der Klägerin im vorliegenden Fall auferlegten Verwaltungsentgelts aus der speziellen Methode, die von der ECHA zur Berechnung des Verwaltungsentgelts gewählt wurde. Insbesondere hat sich die ECHA dafür entschieden, allein den Unternehmen, die eine falsche Erklärung abgegeben hatten, in Abhängigkeit von der jeweiligen tatsächlichen Unternehmensgröße sämtliche Kosten aufzuerlegen, die durch die Überprüfung der Erklärungen im Rahmen der Stichprobe, in die eine größere Zahl von Unternehmen einbezogen war, entstanden sind. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass es im vorliegenden Fall keine Lösung gegeben hätte, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegenüber der Klägerin beachtet und es ermöglicht hätte, die Ziele der Verordnung zu erreichen. Zweitens steht das Vorbringen der ECHA im Widerspruch zu den Vorarbeiten zum Beschluss MB/D/29/2010 (siehe oben, Rn. 35), in deren Rahmen darauf hingewiesen wurde, dass die ECHA, wenn sie keine falsche Erklärung feststellen sollte, „alle Kosten“ trage, die durch die Überprüfung entstünden. Drittens ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die Einnahmen der ECHA nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006 nicht nur aus den von Unternehmen entrichteten Gebühren, sondern auch aus einem Zuschuss der Union aus deren Gesamthaushaltsplan (Einzelplan „Kommission“) sowie aus etwaigen freiwilligen Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten zusammensetzen.

43      Nach alledem ist dem zweiten Klagegrund stattzugeben, soweit mit ihm eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen den Beschluss MB/D/29/2010 erhoben wird. Der Beschluss MB/D/29/2010 ist daher für unanwendbar zu erklären; folglich ist den Anträgen der Klägerin stattzugeben und sind die angefochtene Entscheidung und die angefochtene Rechnung aus diesem Grund für nichtig zu erklären, ohne dass es erforderlich wäre, über die übrigen Klagegründe zu entscheiden.

 Kosten

44      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die ECHA unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

45      Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Kommission, die dem Rechtsstreit als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der ECHA beigetreten ist, trägt daher ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung SME (2012) 1445 der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vom 15. Februar 2012 und die von der ECHA am 21. Februar 2012 ausgestellte Rechnung Nr. 10030371 werden für nichtig erklärt.

2.      Die ECHA trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Spraylat GmbH.

3.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

Frimodt Nielsen

Dehousse

Collins

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Oktober 2014.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.