Language of document : ECLI:EU:C:2017:267

Rechtssache C488/15

Europäische Kommission

gegen

Republik Bulgarien

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2008/50/EG – Luftqualität – Art. 13 Abs. 1 – Anhang XI – Für PM10 geltende Tages- und Jahresgrenzwerte – Systematische und andauernde Überschreitung der Grenzwerte – Art. 22 – Verlängerung der zur Erreichung bestimmter Grenzwerte festgelegten Fristen – Voraussetzungen für die Anwendung – Art. 23 Abs. 1 – Luftqualitätspläne – ‚So kurz wie möglich‘ gehaltener Zeitraum der Nichteinhaltung – Geeignete Maßnahmen – In die Beurteilung einfließende Gesichtspunkte“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 5. April 2017

1.        Vertragsverletzungsklage – Streitgegenstand – Bestimmung während des Vorverfahrens – Berücksichtigung von Tatsachen, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten sind – Voraussetzungen – Umstände, die von derselben Art sind wie die, auf die ursprünglich abgestellt wurde, und die demselben Verhalten zugrunde liegen

(Art. 258 AEUV)

2.        Vertragsverletzungsklage – Prüfung der Begründetheit durch den Gerichtshof – Maßgebende Lage – Lage bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist

(Art. 258 AEUV)

3.        Vertragsverletzungsklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Zuständigkeit des Unionsrichters – Prüfung von Amts wegen

(Art. 258 AEUV)

4.        Vertragsverletzungsklage – Streitgegenstand – Bestimmung während des Vorverfahrens – Anpassung aufgrund einer Änderung des Unionsrechts – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 258 AEUV)

5.        Umwelt – Luftverschmutzung – Luftqualität – Richtlinie 2008/50 – Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit – Überschreitung – Verstoß

(Richtlinie 2008/50 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 13 Abs. 1 und Anhang XI)

6.        Vertragsverletzungsklage – Objektiver Charakter – Anlass der Vertragsverletzung – Keine Auswirkung

(Art. 258 AEUV)

7.        Vertragsverletzungsklage – Klageschrift – Darlegung der Rügen und Klagegründe – Formerfordernisse – Genaue Angabe der Rügen

(Art. 258 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 21, Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 120 Buchst. c)

8.        Umwelt – Luftverschmutzung – Luftqualität – Richtlinie 2008/50 – Überschreitung der Grenzwerte für die Luftqualität – Verpflichtung zur Erstellung eines Plans, um Abhilfe zu schaffen – Umfang

(Richtlinie 2008/50 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 22 und 23 Abs. 1)

9.        Umwelt – Luftverschmutzung – Luftqualität – Richtlinie 2008/50 – Überschreitung der Grenzwerte für die Luftqualität – Verpflichtung zur Erstellung eines Plans, um Abhilfe zu schaffen – Feststellung eines Verstoßes – Beurteilungskriterien

(Richtlinie 2008/50 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 23 Abs. 1)

10.      Umwelt – Luftverschmutzung – Luftqualität – Richtlinie 2008/50 – Überschreitung der Grenzwerte für die Luftqualität – Verpflichtung zur Erstellung eines Plans, um Abhilfe zu schaffen – Frist

(Richtlinie 2008/50 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 23 Abs. 1)

1.      Der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV wird durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie diese Stellungnahme. Er erfasst auch Tatsachen, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten sind, aber von derselben Art sind wie die, die in dieser Stellungnahme erwähnt waren, und demselben Verhalten zugrunde liegen.

Soweit im Übrigen mit einer Klage ein systematischer und andauernder Verstoß gegen Unionsrechtsvorschriften gerügt wird, ist es grundsätzlich nicht unzulässig, dass die Kommission ergänzende Beweismittel vorlegt, die den Zweck haben, den generellen und fortdauernden Charakter des gerügten Verstoßes im Stadium des Verfahrens vor dem Gerichtshof zu untermauern.

(vgl. Rn. 37, 42, 43)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 40)

3.      Der Gerichtshof kann von Amts wegen prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 258 AEUV für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage erfüllt sind.

(vgl. Rn. 50)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 52, 87)

5.      Das Verfahren nach Art. 258 AEUV beruht auf der objektiven Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt. Die Nichteinhaltung der in Anhang XI der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa vorgesehenen Grenzwerte genügt daher für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang XI.

(vgl. Rn. 68, 69)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 76)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 87)

8.      Aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa ergibt sich, dass der betreffende Mitgliedstaat im Fall einer Überschreitung der Grenzwerte für die PM10-Konzentrationen, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, einen Luftqualitätsplan erstellen muss, der bestimmten Anforderungen genügt. Diese Bestimmung hat eine allgemeinere Bedeutung, da sie ohne zeitliche Beschränkung auf Überschreitungen jeglicher in dieser Richtlinie festgelegten Grenzwerte für Schadstoffe anwendbar ist, zu denen es nach Ablauf der – in dieser Richtlinie oder von der Kommission nach Art. 22 der Richtlinie festgelegten – Frist für ihre Einhaltung kommt.

(vgl. Rn. 102, 104)

9.      Der Umstand, dass ein Mitgliedstaat die Grenzwerte für die PM10-Konzentrationen überschreitet, ist für sich allein nicht ausreichend, um festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat gegen die Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa verstoßen hat. Es ist nämlich in einer Untersuchung jedes einzelnen Falles zu prüfen, ob die von dem betroffenen Mitgliedstaat erstellten Luftqualitätspläne dieser Bestimmung nachkommen. Diese Pläne können nur auf der Grundlage eines Ausgleichs zwischen dem Ziel der Verringerung der Gefahr der Verschmutzung und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen erstellt werden.

(vgl. Rn. 106-108)

10.    Aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der im Fall der Nichteinhaltung der geltenden Grenzwerte zu erlassenden Maßnahmen zwar über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen, die Maßnahmen es aber jedenfalls ermöglichen müssen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird. Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmung ergibt sich nämlich, dass die Verpflichtung, den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten, von der Verpflichtung, der Kommission die Pläne zu übermitteln, unabhängig ist. Folglich gewährt Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie dem betroffenen Mitgliedstaat keine zusätzliche Frist dafür, dass er geeignete Maßnahmen erlässt und diese Wirkung entfalten.

(vgl. Rn. 109, 112)