Language of document : ECLI:EU:C:2017:599

Rechtssache C386/16

„Toridas“ UAB

gegen

Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 138 Abs. 1 – Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung – Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen von Gegenständen – Absicht des Erwerbers, die gekauften Gegenstände vor ihrer Ausfuhr an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat weiterzuverkaufen – Mögliche Auswirkungen der Bearbeitung eines Teils der Gegenstände vor ihrer Versendung“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 26. Juli 2017

1.        Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen – Steuerbefreiungen bei der Lieferung von Gegenständen – Aufeinanderfolgende Lieferungen derselben Gegenstände, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung führen – Zuordnung dieser Versendung oder Beförderung zu einer von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen – Absicht des ersten Erwerbers, die gekauften Gegenstände vor ihrer Ausfuhr an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat weiterzuverkaufen – Ausschluss der Steuerbefreiung der ersten Lieferung – Voraussetzungen – Mehrwertsteuerliche Erfassung des ersten Erwerbers – Keine Auswirkungen

(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 138 Abs. 1)

2.        Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen – Steuerbefreiungen bei der Lieferung von Gegenständen – Aufeinanderfolgende Lieferungen derselben Gegenstände, die zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung führen – Zuordnung dieser Versendung oder Beförderung zu einer von zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen – Absicht des ersten Erwerbers, die gekauften Gegenstände vor ihrer Ausfuhr an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat weiterzuverkaufen – Ausschluss der Steuerbefreiung der ersten Lieferung – Bearbeitung eines Teils der Gegenstände vor ihrer Versendung in den Mitgliedstaat des Endabnehmers – Keine Auswirkungen

(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 138 Abs. 1)

1.      Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Lieferung von Gegenständen seitens eines Steuerpflichtigen, der in einem ersten Mitgliedstaat niedergelassen ist, nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn der in einem zweiten Mitgliedstaat für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Erwerber vor Bewirkung dieses Lieferumsatzes den Lieferanten darüber informiert, dass die Waren unmittelbar an einen in einem dritten Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen weiterverkauft werden, bevor sie aus dem ersten Mitgliedstaat ausgeführt und zum dritten Steuerpflichtigen befördert werden, sofern die Zweitlieferung tatsächlich erfolgt ist und die Waren sodann vom ersten Mitgliedstaat in den Mitgliedstaat des dritten Steuerpflichtigen befördert wurden. Die mehrwertsteuerliche Erfassung des ersten Erwerbers in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Ort der Erstlieferung oder des Enderwerbs befindet, ist weder ein Kriterium für die Einstufung als innergemeinschaftlicher Umsatz noch für sich genommen ein hinreichender Beweis für den innergemeinschaftlichen Charakter eines Umsatzes.

In Bezug auf Umsätze, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen bilden, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen, dass die innergemeinschaftliche Beförderung nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden kann, die folglich als Einzige nach Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. April 2006, EMAG Handel Eder, C‑245/04, EU:C:2006:232, Rn. 45).

Zum anderen ist zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen die innergemeinschaftliche Beförderung zuzuordnen ist, eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C‑430/09, EU:C:2010:786, Rn. 27, und vom 27. September 2012, VSTR, C‑587/10, EU:C:2012:592, Rn. 32).

Im Rahmen dieser Würdigung ist insbesondere zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, als Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden hat. Falls nämlich die zweite Übertragung dieser Befähigung, d. h. die Zweitlieferung, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, kann diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2012, VSTR, C‑587/10, EU:C:2012:592, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Fall zweier aufeinanderfolgender Lieferungen, die zu nur einer innergemeinschaftlichen Beförderung geführt haben, ist zur Klärung der Frage, welcher der beiden Lieferungen diese Beförderung zuzuordnen ist, zu ermitteln, ob die Beförderung nach der Zweitlieferung stattfand. Dann wäre nur die Zweitlieferung als innergemeinschaftliche Lieferung einzustufen und gegebenenfalls nach Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit.

(vgl. Rn. 34-37, 44, Tenor 1)

2.      Im Rahmen der Auslegung von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 hat eine Bearbeitung von Gegenständen im Lauf einer Kette zweier aufeinanderfolgender Lieferungen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die auf Weisung des Zwischenerwerbers und vor ihrer Beförderung in den Mitgliedstaat des Endabnehmers vorgenommen wird, keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die etwaige Befreiung der Erstlieferung von der Steuer, sofern die Bearbeitung nach der Erstlieferung stattfindet.

(vgl. Rn. 49, Tenor 2)