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BESCHLUSS DES GERICHTS (Dritte Kammer)

2. Mai 2024(*)

„Nichtigkeitsklage – Umwelt – Verordnung (EU) 2023/851 – Kohlendioxid-Emissionsnormen – Neue Personenkraftwagen – Berücksichtigung von Emissionen außerhalb der Fahrzeugnutzung – Kohlendioxid-neutrale synthetische Kraftstoffe – Gesetzgebungsakt – Keine individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑419/23,

Lorenz Kiene, wohnhaft in Hoya (Deutschland),

Classic Tankstellen GmbH & Co. KG mit Sitz in Hoya,

eFuel GmbH mit Sitz in Hoya,

eFuel Projektentwicklung GmbH mit Sitz in Hoya,

vertreten durch Rechtsanwalt A. Dlouhy, Rechtsanwältin E. Macher und Rechtsanwalt M. Soppe,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch L. Taïeb und W. Kuzmienko als Bevollmächtigte,

und

Rat der Europäischen Union, vertreten durch N. Brzezinski und L. Hamtcheva als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten F. Schalin (Berichterstatter), der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm,

Kanzler: V. Di Bucci,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragen die Kläger, Herr Lorenz Kiene, die Classic Tankstellen GmbH & Co. KG, die eFuel GmbH und die eFuel Projektentwicklung GmbH, die Nichtigerklärung von Art. 1 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2023/851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. April 2023 zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/631 im Hinblick auf eine Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Einklang mit den ehrgeizigeren Klimazielen der Union (ABl. 2023, L 110, S. 5, im Folgenden: angefochtene Verordnung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die angefochtene Verordnung ist Teil des Legislativpakets „Fit für 55“, das darauf abzielt, die Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu überarbeiten und zu aktualisieren sowie neue Initiativen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Unionspolitik mit den vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union beschlossenen Klimazielen im Einklang steht. Nach dem sechsten Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung „[sollen a]lle Bereiche der Wirtschaft einschließlich des Straßenverkehrssektors … einen Beitrag zur Erreichung dieser Emissionsminderung leisten. Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem die Emissionen seit 1990 gestiegen sind. Das umfasst auch den Straßenverkehr mit Personenkraftwagen, leichten und schweren Nutzfahrzeugen, die zusammen über 70 % der gesamten Verkehrsemissionen ausmachen. Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 90 % gesenkt werden.“

3        Zu diesem Zweck hielt es der Unionsgesetzgeber für erforderlich, die Anforderungen der Verordnung (EU) 2019/631 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Festsetzung von CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 443/2009 und (EU) Nr. 510/2011 (ABl. 2019, L 111, S. 13) zu verschärfen. Mit dieser Verordnung werden unionsweite Emissionsziele für Kohlendioxid (CO2) festgelegt und die erforderlichen Anstrengungen zur Emissionsminderung auf die Automobilhersteller verteilt. So muss jeder Hersteller sicherstellen, dass die durchschnittlichen CO2-Emissionen seiner Flotte von in einem bestimmten Jahr neu zugelassenen Fahrzeugen die für die Flotte festgelegte Jahreszielvorgabe für die spezifischen Emissionen nicht überschreiten.

4        Mit der angefochtenen Verordnung wird die Verordnung 2019/631 insbesondere dahin gehend geändert, dass ehrgeizigere Ziele für die schrittweise Minderung der Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen auf Unionsebene bis 2030 und darüber hinaus festgelegt werden, einschließlich des Ziels, die Emissionen neuer Personenkraftwagen und neuer leichter Nutzfahrzeuge bis 2035 um 100 % zu senken. Diese neuen Ziele sind in Art. 1 der angefochtenen Verordnung festgelegt, dessen teilweise Nichtigerklärung die Kläger mit der vorliegenden Klage beantragen. Der beanstandete Teil dieses Artikels lautet:

„Die Verordnung (EU) 2019/631 wird wie folgt geändert:

1.      Artikel 1 wird wie folgt geändert:

a)      Absatz 5 wird wie folgt geändert:

i)      Unter Buchstabe a wird der Wert ‚37,5 %‘ durch den Wert ‚55 %‘ ersetzt.

ii)      Unter Buchstabe b wird der Wert ‚31 %‘ durch den Wert ‚50 %‘ ersetzt.

b)      Folgender Absatz wird eingefügt:

‚(5a)      Ab dem 1. Januar 2035 gelten die folgenden EU-weiten Flottenziele:

a)      für die durchschnittlichen Emissionen der Flotte neuer Personenkraftwagen, ein EU-weiter Flottenzielwert, der einer Verringerung des Ziels für das Jahr 2021 um 100 % entspricht und gemäß Anhang I Teil A Nummer 6.1.3 ermittelt wird;

b)      für die durchschnittlichen Emissionen der Flotte neuer leichter Nutzfahrzeuge, ein EU-weiter Flottenzielwert, der einer Verringerung des Ziels für das Jahr 2021 um 100 % gegenüber dem Jahr 2021 entspricht und gemäß Anhang I Teil B Nummer 6.1.3 ermittelt wird.‘

c)      Absatz 6 erhält folgende Fassung:

‚(6)      Vom 1. Januar 2025 bis zum 31. Dezember 2029 gilt für den Anteil emissionsfreier und emissionsarmer Fahrzeuge gemäß Anhang I Teil A Nummer 6.3 und Teil B Nummer 6.3 ein Schwellenwert, der einem Anteil von 25 % an der Flotte neuer Personenkraftwagen bzw. 17 % an der Flotte neuer leichter Nutzfahrzeuge entspricht.‘

d)      Absatz 7 wird gestrichen.“

5        Die Kläger sind mit Ausnahme von Herrn Kiene Gesellschaften, die im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von regenerativen synthetischen Kraftstoffen (auch als „CO2-neutrale Kraftstoffe“ bezeichnet) tätig sind. Herr Kiene ist eine natürliche Person, die an Classic Tankstellen und mittelbar an eFuel und eFuel Projektentwicklung beteiligt ist.

 Anträge der Parteien

6        Die Kläger beantragen,

–        Art. 1 Nr. 1 der Verordnung 2023/851 für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

7        Das Parlament und der Rat beantragen,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

8        Gemäß Art. 130 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit vorab entscheiden. Im vorliegenden Fall haben das Parlament und der Rat mit gesondertem Schriftsatz eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Das Gericht hält sich durch die Aktenstücke für hinreichend unterrichtet und entscheidet ohne Fortsetzung des Verfahrens.

9        Im vorliegenden Fall sind das Parlament und der Rat der Ansicht, dass die angefochtene Verordnung kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sei. Die Kläger seien nicht im Sinne von Art. 263 AEUV individuell betroffen. Das Parlament macht außerdem geltend, dass die Kläger von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen seien.

10      Die Kläger sind der Ansicht, dass ihre Nichtigkeitsklage die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV erfülle, da sie von Art. 1 der angefochtenen Verordnung individuell und unmittelbar betroffen seien. Des Weiteren machen sie geltend, dass ihnen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf genommen würde, wenn die Klage für unzulässig erklärt würde.

11      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 Abs. 4 AEUV „[j]ede natürliche oder juristische Person … unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben [kann]“.

12      Die angefochtene Verordnung ist nicht an die Kläger gerichtet. Mithin sind sie nicht nach der ersten in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Variante klagebefugt.

13      Außerdem geht aus der Präambel der angefochtenen Verordnung hervor, dass deren Rechtsgrundlage Art. 192 Abs. 1 AEUV über die Umweltpolitik der Union ist und dass sie vom Parlament und vom Rat gemeinsam gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde.

14      Insoweit geht aus Art. 289 Abs. 1 und 3 AEUV hervor, dass Rechtsakte, die gemäß dem in Art. 294 AEUV festgelegten sogenannten „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ angenommen werden, Gesetzgebungsakte sind.

15      Daraus folgt, dass die angefochtene Verordnung ein Gesetzgebungsakt ist.

16      Nach der Rechtsprechung umfasst der Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV keine Gesetzgebungsakte (Urteile vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 61, und vom 25. Oktober 2011, Microban International und Microban [Europe]/Kommission, T‑262/10, EU:T:2011:623, Rn. 21).

17      Folglich sind die Kläger nicht nach der dritten in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Variante klagebefugt.

18      Daher ist die vorliegende Klage nur zulässig, soweit die Kläger gemäß der zweiten in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Variante von der angefochtenen Verordnung unmittelbar und individuell betroffen sind.

19      Das Gericht hält es für zweckmäßig, die Prüfung der Zulässigkeit der Klage mit der Prüfung der individuellen Betroffenheit der Kläger zu beginnen.

 Zur individuellen Betroffenheit der Kläger von der angefochtenen Verordnung

20      Zum Kriterium der individuellen Betroffenheit machen die Kläger geltend, sie hätten ihre wirtschaftliche Tätigkeit an der Annahme ausgerichtet, dass das allgemeine Ziel der Emissionsminderung im Verkehrssektor technologieneutral und nicht nur auf batterieelektrische Fahrzeuge ausgerichtet sei. So werde ihnen durch das faktische Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 (und folglich den Umstand, dass sich die Autohersteller nicht mehr auf Fahrzeuge konzentrieren würden, die synthetische Kraftstoffe verwenden könnten) ein wichtiger Absatzmarkt für CO2-neutrale Kraftstoffe entzogen. Sie hätten tatsächlich eine herausgehobene Stellung auf dem Markt für CO2-neutrale Kraftstoffe. Außerdem gehörten sie zu einem abgrenzbaren, identifizierbaren Kreis von Unternehmen, da nur eine begrenzte Zahl von Unternehmen im Bereich CO2-neutraler Kraftstoffe tätig sei.

21      Des Weiteren seien die Kläger aufgrund jeweils eigener Umstände individuell von der Verordnung betroffen. So sei Herr Kiene als „Pionier“ und Experte auf dem Gebiet der CO2-neutralen Kraftstoffe besonders betroffen.

22      Die Haupttätigkeit der Classic Tankstellen bestehe im Betrieb von Tankstellen, vorwiegend im ländlichen Raum. Diese wirtschaftliche Tätigkeit sei durch den zunehmenden Rückgang der Zahl der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor infolge der angefochtenen Verordnung besonders betroffen, da die Tankstellen, die sie betreibe, gerade diesen Kraftstoff – sowohl klassischen als auch CO2-neutralen – für diesen Fahrzeugtyp lieferten.

23      eFuel und eFuel Projektentwicklung seien individuell betroffen, da ihre Tätigkeit auf die Entwicklung, Herstellung oder Förderung von synthetischen Kraftstoffen ausgerichtet sei, die auch ihr Unternehmensgegenstand seien. Sie gehörten daher zu einem abgrenzbaren, identifizierbaren Kreis von durch die Verordnung betroffenen Unternehmen. Darüber hinaus seien sie auch aufgrund ihrer Stellung auf dem Markt für flüssige Kraftstoffe individuell von der Verordnung betroffen. Insoweit machen sie geltend, dass ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und sogar ihre Existenz davon abhingen, dass künftig ein Absatzmarkt für den Verkauf CO2-neutraler Kraftstoffe bestehe.

24      Die Kläger machen ferner geltend, sie seien dadurch individuell betroffen, dass die angefochtene Verordnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. CO2-neutraler Kraftstoff sei nämlich mit Ladestrom vergleichbar, der – anders als die Tätigkeit der Kläger – durch die angefochtene Verordnung begünstigt werde. Außerdem würden CO2-neutrale Kraftstoffe fälschlicherweise mit fossilen Kraftstoffen, die nicht CO2-neutral seien, gleichgestellt. Dies zeige, dass die Kläger gegenüber anderen Marktteilnehmern individualisiert seien.

25      Es ist daran zu erinnern, dass eine natürliche oder juristische Person von einer nicht an sie gerichteten Handlung nur dann individuell betroffen ist, wenn die fragliche Handlung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C‑50/00 P, EU:C:2002:462, Rn. 36).

26      Nach der Rechtsprechung hat eine Handlung allgemeine Geltung, wenn sie für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen entfaltet (Beschluss vom 6. September 2011, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, T‑18/10, EU:T:2011:419, Rn. 63).

27      Dies ist vorliegend der Fall. Gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV hat die Verordnung nämlich allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

28      Zu den Kriterien, die in der oben in Rn. 25 angeführten Rechtsprechung aufgestellt worden sind, ist festzustellen, dass Art. 1 der angefochtenen Verordnung neue CO2-Emissionsziele für neue Personenkraftwagen und neue leichte Nutzfahrzeuge auf Unionsebene festlegt, indem Art. 1 der Verordnung 2019/631 geändert wird. Die Verordnung 2019/631 in der durch die angefochtene Verordnung geänderten Fassung gilt jedoch in erster Linie für die Automobilherstellung, da sie Verpflichtungen festlegt, die von verschiedenen Fahrzeugtypen zu erfüllen sind, wenn sie neu zugelassen sind. Alle in der angefochtenen Verordnung enthaltenen Vorschriften gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und für alle Akteure der Automobilindustrie.

29      Darüber hinaus sind die Situationen und die Personen, für die die angefochtene Verordnung gilt, objektiv bestimmt, da sie auf die Automobilindustrie abzielt.

30      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Personengruppen, für die die angefochtene Verordnung gilt, ebenfalls allgemein und abstrakt umschrieben sind.

31      Daraus folgt, dass Art. 1 Nr. 1 der angefochtenen Verordnung allgemeine Geltung hat.

32      Der Umstand, dass eine Vorschrift ihrer Natur und ihrer Tragweite nach eine generelle Norm ist, da sie für sämtliche betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, schließt allerdings nicht aus, dass sie einige von ihnen individuell betrifft (Urteile vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission, C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416, Rn. 58, und vom 23. April 2009, Sahlstedt u. a./Kommission, C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 29).

33      Nach der Rechtsprechung können, wenn der angefochtene Rechtsakt eine Gruppe von Personen berührt, deren Identität zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Rechtsakts aufgrund von Kriterien, die den Mitgliedern dieser Gruppe eigen waren, feststand oder feststellbar war, diese Personen von dem Rechtsakt insoweit individuell betroffen sein, als sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören; dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsakt in Rechte eingreift, die der Einzelne vor seinem Erlass erworben hat (Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59).

34      Es genügt jedoch nicht, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer von einem Rechtsakt mit allgemeiner Geltung wirtschaftlich stärker berührt sind als andere, um sie gegenüber diesen anderen Wirtschaftsteilnehmern zu individualisieren, sofern seine Anwendung nach einem objektiv bestimmten Tatbestand erfolgt (vgl. Urteil vom 2. März 2010, Arcelor/Parlament und Rat, T‑16/04, EU:T:2010:54, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      In Anbetracht dieser Erwägungen ist zunächst davon auszugehen, dass der Umstand, dass der erste Kläger ein Pionier im Bereich der CO2-neutralen Kraftstoffe ist, es nicht erlaubt, ihn im Sinne der oben in Rn. 25 angeführten Rechtsprechung zu individualisieren. Würde diesem Argument gefolgt, wäre nämlich jedes Unternehmen, das in einem Bereich Pionierarbeit leistet, unabhängig von der Zahl der auf dem Markt tätigen Unternehmen stets individuell betroffen. Außerdem ist mit dem Parlament darauf hinzuweisen, dass diese Beurteilung subjektiv ist und kein tatsächliches Element darstellen kann, das geeignet ist, den ersten Kläger in ähnlicher Weise wie den Adressaten einer Entscheidung zu individualisieren, wie es die Rechtsprechung verlangt.

36      Sodann ist festzustellen, dass das Argument, die Kläger gehörten zu einer identifizierbaren und geschlossenen Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern, die von den streitigen Bestimmungen besonders betroffen seien, in Anbetracht der oben in Rn. 34 angeführten Rechtsprechung nicht durchgreifen kann. Selbst wenn nämlich die Tätigkeit der Kläger durch die angefochtene Verordnung beeinträchtigt würde, geschähe dies jedenfalls in einer Weise, die mit der Beeinträchtigung anderer Wirtschaftsteilnehmer vergleichbar ist, deren Tätigkeit einen Bezug zum Automobilmarkt aufweist. So könnten die Änderungen in der Automobilindustrie, selbst wenn der Verkauf von Automobilkraftstoff beeinträchtigt werden könnte, auch zahlreiche andere Akteure betreffen, deren wirtschaftliche Tätigkeit mit dem Bau, dem Verkauf, der Reparatur oder dem Verkehr der betreffenden Fahrzeuge zusammenhängt.

37      Schließlich gehört das Argument, dass Art. 1 Nr. 1 der angefochtenen Verordnung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, zur Begründetheit und nicht zu den Kriterien für die Feststellung der individuellen Betroffenheit der Kläger. Dieser Grundsatz erlaubt nämlich nicht die Feststellung, dass die Kläger wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt sind und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert sind, wie es der Adressat einer Entscheidung wäre.

38      Somit hat keiner der Kläger nachgewiesen, dass seine Situation von der Situation der anderen Wirtschaftsteilnehmer einschließlich der auf dem Markt für CO2-neutrale Kraftstoffe tätigen Wirtschaftsteilnehmer unterschieden werden konnte. Eine solche Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern ist nicht geschlossen, und weder die Anzahl noch die Identität dieser von der streitigen Verordnung potenziell betroffenen Wirtschaftsteilnehmer kann bekannt sein oder festgestellt werden.

39      Da die Kriterien der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit kumulative Kriterien für die Zulässigkeit sind, wenn diese im Hinblick auf die zweite Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV geprüft wird, und das Kriterium der individuellen Betroffenheit nicht erfüllt ist, erübrigt sich folglich die Prüfung der unmittelbaren Betroffenheit der Kläger durch die angefochtene Verordnung.

40      Nach alledem sind die Kläger nicht gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV klagebefugt.

 Zum Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf

41      Die Kläger sind im Wesentlichen der Auffassung, dass ihnen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf genommen würde, wenn die Klage für unzulässig erklärt würde. Auf nationaler Ebene gebe es nämlich keinen anfechtbaren Rechtsakt, und selbst wenn ein solcher erlassen würde, käme der gerichtliche Rechtsschutz zu spät, da die Wirtschaftsteilnehmer der betroffenen Märkte bereits jetzt auf die angekündigte Entwicklung reagierten und den Übergang zur reinen Elektromobilität in der Automobilindustrie bereits vollzogen haben würden.

42      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die gerichtliche Kontrolle der Wahrung der Rechtsordnung der Europäischen Union, wie sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV ergibt, durch den Gerichtshof und die Gerichte der Mitgliedstaaten gewährleistet wird (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 90).

43      Nach der Rechtsprechung hat der AEU-Vertrag mit den Art. 263 und 277 AEUV einerseits und mit Art. 267 AEUV andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Unionshandlungen gewährleisten soll, mit der der Unionsrichter betraut wird (Urteile vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C‑50/00 P, EU:C:2002:462, Rn. 40, und vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 92).

44      Somit sind natürliche oder juristische Personen, die Unionshandlungen mit allgemeiner Geltung wegen der in Art. 263 Abs. 4 AEUV festgelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht unmittelbar anfechten können, dagegen geschützt, dass solche Handlungen auf sie angewandt werden. Obliegt die Durchführung dieser Handlungen den Unionsorganen, können diese Personen unter den in Art. 263 Abs. 4 AEUV festgelegten Voraussetzungen vor den Unionsgerichten Klage gegen die Durchführungsrechtsakte erheben und sich zur Begründung dieser Klage nach Art. 277 AEUV auf die Rechtswidrigkeit der betreffenden allgemeinen Handlungen berufen. Obliegt die Durchführung der Unionshandlungen den Mitgliedstaaten, können diese Personen die Ungültigkeit der betreffenden Unionshandlung vor den nationalen Gerichten geltend machen und diese veranlassen, sich insoweit gemäß Art. 267 AEUV mit Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu wenden (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 93).

45      Den Betroffenen steht im Rahmen eines nationalen Verfahrens das Recht zu, die Rechtmäßigkeit nationaler Entscheidungen oder jeder anderen nationalen Handlung, mit der eine Unionshandlung mit allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anzufechten und sich dabei auf die Ungültigkeit der Unionshandlung zu berufen (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 94).

46      Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zur Beurteilung der Gültigkeit in gleicher Weise wie die Nichtigkeitsklage eine Form der Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 95).

47      Was hingegen den Schutz betrifft, der dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährt wird, ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift nicht darauf abzielt, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen bei den Gerichten der Union zu ändern (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 97).

48      Somit können die Kläger nicht mit Erfolg behaupten, dass die vorliegende Nichtigkeitsklage auf der Grundlage von Art. 47 der Charta der Grundrechte zulässig sein müsse, obwohl sie keine Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 AEUV haben.

49      Daher ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen.

50      Unter diesen Umständen haben sich die Anträge der Europäischen Kommission und Irlands auf Zulassung zur Streithilfe vom 18. Oktober 2023 bzw. 20. Oktober 2023 gemäß Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung erledigt.

 Kosten

51      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

52      Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag des Parlaments und des Rates die Kosten aufzuerlegen.

53      Im Übrigen tragen nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung die Antragsteller, d. h. die Kommission und Irland, ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe. Da zu den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe nicht Stellung genommen worden ist, sind den Klägern, dem Parlament und dem Rat insoweit keine Kosten entstanden.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Anträge der Europäischen Kommission und Irlands auf Zulassung zur Streithilfe haben sich erledigt.

3.      Herr Lorenz Kiene, die Classic Tankstellen GmbH & Co. KG, die eFuel GmbH und die eFuel Projektentwicklung GmbH tragen die Kosten, mit Ausnahme der im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

4.      Die Kommission und Irland tragen jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

Luxemburg, den 2. Mai 2024

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

F. Schalin


*      Verfahrenssprache: Deutsch.