Language of document : ECLI:EU:T:2021:603

Verbundene Rechtssachen T-128/20 und T-129/20

(auszugsweise Veröffentlichung)

Collibra

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

 Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 22. September 2021

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldungen der Unionswortmarke COLLIBRA und der Unionsbildmarke collibra – Ältere nationale Wortmarke Kolibri – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 – Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 94 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 2017/1001“

1.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Gefahr der Verwechslung mit der älteren Marke – Wortmarke COLLIBRA und Bildmarke collibra – Wortmarke Kolibri

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

(vgl. Rn. 52, 59, 67, 68, 74, 95, 96, 115, 121, 130‑133)

2.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Ähnlichkeit der betreffenden Marken – Begriffliche Ähnlichkeit

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

(vgl. Rn. 66‑69)

3.      Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke – Ähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen – Beurteilungskriterien – Computersoftware und damit verbundene Dienstleistungen

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

(vgl. Rn. 77, 94, 121)

Zusammenfassung

Die Gesellschaft Collibra meldete beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zwei Unionsmarken an: eine Wortmarke COLLIBRA und eine Bildmarke collibra. Die Eintragung wurde für Datengovernance-Software für Zwecke der Organisation und Verwaltung interner Daten sowie die damit verbundenen Dienstleistungen beantragt(1). Herr Dietrich legte zwei Widersprüche gegen die Eintragung dieser Marken ein und stützte diese auf die ältere deutsche Wortmarke Kolibri, die u. a. für Daten- und Textverarbeitungsprogramme betreffend Grundstücksinformationssysteme eingetragen ist(2).

Das EUIPO wies die Anmeldungen mit der Begründung zurück, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Marken Verwechslungsgefahr bestehe, weil diese ähnlich seien und ähnliche Waren oder Dienstleistungen erfassten.

Das Gericht weist mit seinem Urteil die Klagen von Collibra ab. Es stellt klar, wie die begriffliche Ähnlichkeit der Marken und die Ähnlichkeit von Computersoftware im Rahmen der Prüfung der Verwechslungsgefahr zu beurteilen sind(3).

Würdigung durch das Gericht

Erstens hat das Gericht in Bezug auf den Vergleich der einander gegenüberstehenden Zeichen, insbesondere in begrifflicher Hinsicht, zum einen den Feststellungen des EUIPO beigepflichtet, wonach im Deutschen die ältere Marke auf einen Kolibri verweisen könne. Zum anderen weist es darauf hin, dass aufgrund der ähnlichen Aussprache der Wörter „collibra“ und „Kolibri“ möglicherweise ein erheblicher Teil der deutschen Verkehrskreise die angemeldeten Marken, COLLIBRA und collibra, als eine Anspielung auf den Begriff Kolibri wahrnehmen werde. Tatsächlich nimmt der Durchschnittsverbraucher eine Marke zwar üblicherweise als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten. Er wird aber beim Wahrnehmen eines Wortzeichens bestimmte Wortbestandteile erkennen, die für ihn eine konkrete Bedeutung haben oder die ihm bekannten Wörtern ähneln. Das Gericht stellt fest, dass die Tatsache, dass der Begriff Kolibri keinen Bezug zu den mit den angemeldeten Marken beanspruchten Waren und Dienstleistungen aufweist, im Hinblick darauf irrelevant ist, dass diese Marken dem deutschen Wort „Kolibri“ ähneln, das einem erheblichen Teil der deutschen Verkehrskreise geläufig ist. Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen ein hoher Grad begrifflicher Ähnlichkeit besteht.

Zweitens prüft das Gericht in Bezug auf den Vergleich der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen zunächst die Ähnlichkeit der Waren, also der einander gegenüberstehenden Computerprogramme. Insoweit bestätigt es die Argumentation des EUIPO, dass für die von der älteren Marke beanspruchte „Datenverarbeitung“ im Immobilienwesen Merkmale der Organisation und Verwaltung interner Daten erforderlich sind, die auch die Computerprogramme der angemeldeten Marken aufweisen. Tatsächlich werden durch die Computerprogramme für das „Facilitymanagement“ oder die „Haus- und/oder Immobilienverwaltung“ der älteren Marke große Datenmengen erzeugt, und zur Organisation und Verwaltung dieser Daten enthalten sie bestimmte Funktionen, über die auch die sogenannte Datengovernance-Software verfügt. Daher stellt das Gericht fest, dass es Überschneidungen zwischen den jeweiligen Bestimmungen der in Rede stehenden Computerprogramme gibt und sie einen durchschnittlichen Ähnlichkeitsgrad aufweisen.

Danach vergleicht das Gericht die Computersoftware der älteren Marke mit den von der angemeldeten Wortmarke beanspruchten Dienstleistungen und pflichtet den vom EUIPO getroffenen Feststellungen bei, dass diese die Datengovernance-Software betreffenden Dienstleistungen Ähnlichkeit mit den von der älteren Marke erfassten Computerprogrammen für das Liegenschafts- und das Facilitymanagement aufweisen. Alle diese Computerprogramme könnten von den gleichen Unternehmen entworfen und entwickelt werden, und in der Computerbranche böten Hersteller von Computersoftware üblicherweise auch mit der Computersoftware verbundene Dienstleistungen an. Außerdem stimmten auch die Endverbraucher und die Hersteller der einander gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen überein.

Daher bestätigt das Gericht die Schlussfolgerungen des EUIPO, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen Verwechslungsgefahr besteht.


1      Im Einzelnen wurden mit der Wortmarke COLLIBRA Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 und 42 beansprucht, während die Bildmarke collibra Waren der Klasse 9 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung umfasste.


2      Die Marke ist u. a. für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9 und 42 im Sinne des Abkommens von Nizza benutzt worden.


3      Im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung.