Language of document : ECLI:EU:T:2007:311

Rechtssache T-425/03

AMS Advanced Medical Services GmbH

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt

(Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Gemeinschaftsmarkenanmeldung AMS Advanced Medical Services – Ältere nationale Wortmarke AMS – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Erstmals vor der Beschwerdekammer verlangter Nachweis der ernsthaften Benutzung – Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst b und 74)

2.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 8 Abs.  1 Buchst. b)

3.      Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

4.      Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 43 Abs. 2 und 3)

1.      Ein Widerspruch gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke, wenn er auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke gestützt ist, befasst das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) mit der Frage der Identität oder Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken und mit der Frage der Identität oder Ähnlichkeit der mit den Marken gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen.

Dass die Partei, die beim Gericht die Aufhebung der einem Widerspruch gegen die Eintragung der Anmeldemarke stattgebenden Entscheidung der Beschwerdekammer beantragt, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken vor der Beschwerdekammer nicht bestritten hat, kann folglich nicht dazu führen, dass das Amt nicht länger mit der Frage befasst wäre, ob die Marken identisch oder ähnlich sind. Erst recht kann dieser Partei hierdurch nicht das Recht genommen werden, in den Grenzen des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens des Rechtsstreits vor der Beschwerdekammer die von dieser insoweit vorgenommenen Beurteilungen zu rügen.

(vgl. Randnrn. 28-29)


2.      Für das aus dem Durchschnittsverbraucher im Vereinigten Königreich und aus Berufstätigen und Fachleuten im Gesundheitswesen des Vereinigten Königreichs bestehende relevante Publikum besteht Verwechslungsgefahr zwischen dem Bildzeichen „AMS Advanced Medical Services“, das als Gemeinschaftsmarke für „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel“ in Klasse 5 des Abkommens von Nizza und für „Dienstleistungen eines Krankenhauses, Genesungs- oder Gesundheitsheimes; ärztliche Versorgung, Gesundheits- und Schönheitspflege; Dienstleistungen eines medizinischen, bakteriologischen und chemischen Labors; Entwicklung von Arzneimitteln, pharmazeutisch wirksamen Ernährungsmitteln und anderen Produkten für das Gesundheitswesen und Durchführung medizinischer und klinischer Untersuchungen, Beratung und Unterstützung von Dritten bei diesen Tätigkeiten; wissenschaftliche und industrielle Forschung, insbesondere medizinische, bakteriologische oder chemische Forschung; Dienstleistungen eines Optikers; Beratung von Gesundheitsträgern bei der Entwicklung, Einrichtung und Durchführung von Therapieprogrammen und die Erprobung von solchen Therapieprogrammen mittels Studien“ in Klasse 42 des Abkommens von Nizza angemeldet wurde, und der für die in Klasse 10 des Abkommens enthaltenen Waren „chirurgische, ärztliche und tierärztliche Instrumente; chirurgisches Nahtmaterial; Medizinprodukte für die Behandlung urologischer Erkrankungen und der Impotenz; Prothesen; Schwellkörperprothesen; urologische Prothesen; künstliche Sphinkter, Teile und Zubehör für die vorgenannten Waren“ eingetragenen älteren nationalen Wortmarke AMS.

Zum einen sind nämlich die Waren und Dienstleistungen, für die die Eintragung der Gemeinschaftsmarke beantragt wurde, den von der älteren Marke umfassten Waren und Dienstleistungen in Anbetracht der engen Verbindung zwischen den fraglichen Waren und Dienstleistungen nach ihrem Verwendungszweck sowie angesichts der ergänzenden Funktion der Waren gegenüber den Dienstleistungen ähnlich.

Zum anderen sind die einander gegenüberstehenden Zeichen ähnlich, weil das dominierende Element des Wortbestandteils der Anmeldemarke und das einzige Element der älteren Marke identisch sind.

(vgl. Randnrn. 51, 65, 87, 89)

3.      Im Rahmen der Beurteilung, ob eine Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke besteht, sind die Zeichen unabhängig davon, ob sie isoliert oder zusammen mit anderen Marken oder Angaben benutzt werden, in der Form zu vergleichen, in der sie eingetragen oder angemeldet wurden.

(vgl. Randnr. 91)

4.      Gemäß Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke gilt für die Zwecke der Prüfung eines gemäß Art. 42 dieser Verordnung eingelegten Widerspruchs die ältere Marke als ernsthaft benutzt, solange der Anmelder nicht den Beweis einer solchen Benutzung verlangt. Wird ein solches Verlangen gestellt, so trägt daher der Widerspruchsführer die Beweislast für die ernsthafte Benutzung (oder für das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung), da sein Widerspruch sonst zurückgewiesen wird. Diese Wirkung tritt nur ein, wenn das Verlangen ausdrücklich und rechtzeitig beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) gestellt worden ist.

Dieses Verlangen muss vor der Widerspruchsabteilung geäußert werden, damit es als rechtzeitig beim Amt gestellt angesehen werden kann.

Aus Art. 43 der Verordnung Nr. 40/94 und Regel 22 der Verordnung Nr. 2868/95 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 ergibt sich nämlich, dass das Amt, nachdem ein Widerspruch gegen eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung bei ihm eingegangen ist, diesen Widerspruch dem Anmelder mitteilt und ihm eine Frist für die Einreichung einer Stellungnahme setzt. Da der Nachweis der ernsthaften Benutzung der Marke nach Art. 43 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 nur vom Anmelder der Gemeinschaftsmarke verlangt werden kann, muss dieses Verlangen ausdrücklich vor der Widerspruchsabteilung geäußert werden, weil es zu einer Änderung der Natur des Rechtsstreits führt, indem es dem Widersprechenden eine Verpflichtung auferlegt, die ihm nicht notwendigerweise oblag.

Fehlt es an einem solchen vor der Widerspruchsabteilung geäußerten Verlangen und liegt keine Entscheidung derselben über die Frage der ernsthaften Benutzung der älteren Marke vor, müsste die erstmals mit der Forderung eines Nachweises der ernsthaften Benutzung befasste Beschwerdekammer eine Entscheidung auf der Grundlage eines neuen Antrags überprüfen, der eine Frage aufwirft, die die Widerspruchsabteilung nicht prüfen konnte und zu der sie in ihrer Entscheidung nicht Stellung genommen hat.

Auch wenn die funktionale Kontinuität zwischen der Widerspruchsabteilung und der Beschwerdekammer eine erneute Prüfung der Sache durch die Beschwerdekammer impliziert, kann sie es doch jedenfalls nicht rechtfertigen, dass ein solches Verlangen erstmals vor der Beschwerdekammer vorgebracht wird, denn dieser Grundsatz schließt keineswegs ein, dass die Beschwerdekammer eine andere Streitsache prüft als diejenige, die der Widerspruchsabteilung unterbreitet wurde, d. h. eine Streitsache, deren Umfang durch die zusätzliche Einführung der Vorfrage der ernsthaften Benutzung der älteren Marke erweitert wurde.

(vgl. Randnrn. 105-108, 113)