Language of document : ECLI:EU:C:2006:27

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

L. A. GEELHOED

vom 12. Januar 20061(1)

Rechtssache C‑410/04

Associazione nazionale autotrasporto viaggiatori (ANAV)

gegen

Comune di Bari,

AMTAB Servizio SpA

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per la Puglia [Italien])

„Öffentliche Unternehmen – Nationale Regelung, die örtliche Einrichtungen dazu ermächtigt, an eine Gesellschaft mit vollständig öffentlichem Kapital einen Dienstleistungsauftrag ohne Vergabeverfahren zu erteilen“





I –    Einleitung

1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen legt das Tribunale amministrativo regionale per la Puglia (Italien) dem Gerichtshof die Frage vor, ob eine nationale Regelung, die die unmittelbare Vergabe eines öffentlichen Nahverkehrsdienstes an ein Unternehmen ermöglicht, das der öffentliche Auftraggeber besitzt und kontrolliert, dem Gemeinschaftsrecht entspricht. Es handelt sich um eine neue Rechtssache, mit der der Gerichtshof aufgefordert wird, die Tragweite seines Urteils Teckal(2) zu erläutern.

2.        In Randnummer 49 dieses Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass für das Bestehen eines öffentlichen Lieferauftrags im Sinne der Richtlinie 93/36/EWG des Rates(3) u. a. eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen vorliegen muss.

3.        Dazu führt der Gerichtshof in Randnummer 50 des Urteils näher aus:

„[Es] genügt … grundsätzlich, dass der Vertrag zwischen einer Gebietskörperschaft und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person geschlossen wurde. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“

II – Rechtlicher Rahmen

4.        Im italienischen Recht hat Artikel 14 des Decreto-legge Nr. 269/03 Artikel 113 des Decreto legislativo Nr. 267/00 geändert. Die sich daraus ergebende neue Fassung des Artikels 113 Absatz 5 bestimmt:

„Die Erbringung der Dienstleistung erfolgt nach den Regelungen des Sektors und unter Beachtung des Rechts der Europäischen Union, wobei die Dienstleistung vergeben wird

a)      an Kapitalgesellschaften, die durch öffentliche Ausschreibungsverfahren bestimmt werden;

b)      an gemischt öffentlich-private Kapitalgesellschaften, bei denen der private Gesellschafter durch öffentliche Ausschreibungsverfahren ausgewählt worden ist, die die Einhaltung der innerstaatlichen und der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsvorschriften nach Richtlinien gewährleistet haben, die von den zuständigen Behörden durch spezifische Maßnahmen oder Rundschreiben erlassen worden sind;

c)      an Gesellschaften mit vollständig öffentlichem Kapital unter der Voraussetzung, dass die öffentliche Körperschaft oder die öffentlichen Körperschaften, die das Gesellschaftskapital halten, über die Gesellschaft eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausüben und dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der öffentlichen Körperschaft oder den öffentlichen Körperschaften, die sie kontrollieren, verrichtet.“

III – Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

5.        Die Gemeindeverwaltung von Bari leitete mit Entscheidung vom 17. Juli 2003 ein öffentliches Ausschreibungsverfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrags für den öffentlichen Nahverkehr im Gebiet der Gemeinde Bari ein. Sie beschloss dann mit Entscheidung vom 18. Dezember 2003, das eingeleitete Ausschreibungsverfahren nicht fortzuführen und den fraglichen Auftrag freihändig an die AMTAB Servizio SpA zu vergeben.

6.        Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die neue Entscheidung der Gemeinde Bari aufgrund des Inkrafttretens des Artikels 14 des Decreto-legge Nr. 269/03, der Artikel 113 Absatz 5 des Decreto legislativo Nr. 267/00 geändert hat, erlassen wurde.

7.        Insbesondere hat offenbar die neue Bestimmung des Artikels 113 Absatz 5 Buchstabe c, die die „interne“ Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung im Sinne der Definition des Gerichtshofes in Randnummer 50 des Urteils Teckal beschreibt, wonach die „interne“ Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung nicht in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts über Ausschreibungen fällt, die Gemeindeverwaltung von Bari dazu bewogen, das Ausschreibungsverfahren nicht fortzuführen.

8.        Nach den Ausführungen im Vorlagebeschluss handelt es sich bei der konzessionierten AMTAB Servizio SpA um eine Gesellschaft, deren Kapital vollständig von der Gemeinde Bari gehalten wird und deren einzige Tätigkeit darin besteht, einen öffentlichen Nahverkehrsdienst in der Gemeinde Bari zu betreiben. Diese Gesellschaft wird aufgrund des Dienstleistungsvertrags zwischen beiden Einrichtungen vollständig von der Gemeindeverwaltung von Bari kontrolliert.

9.        Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Associazione nazionale autotrasporto viaggiatori, erhob beim vorlegenden Gericht Klage und beantragte die Nichtigerklärung der Entscheidung der Gemeinde Bari vom 18. Dezember 2003, mit der die fragliche Dienstleistung an die AMTAB Servizio SpA vergeben wurde, weil sie gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Artikel 3 EG, 16 EG, 43 EG, 49 EG, 50 EG, 51 EG, 70 EG, 71 EG, 72 EG, 81 EG, 82 EG, 86 EG und 87 EG, verstoße.

10.      Angesichts dieser Argumentation hat das Tribunale amministrativo regionale per la Puglia das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 113 Absatz 5 des Decreto legislativo Nr. 267/00 in der durch Artikel 14 des Decreto-legge Nr. 269/03 geänderten Fassung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Verpflichtungen zur Transparenz und zum freien Wettbewerb im Sinne der Artikel 46 EG, 49 EG und 86 EG, vereinbar, soweit er der Wahlfreiheit der öffentlichen Verwaltung zwischen den verschiedenen Formen der Vergabe der öffentlichen Dienstleistung und insbesondere zwischen der Vergabe durch öffentliche Ausschreibung und der freihändigen Vergabe an eine von ihr vollständig kontrollierte Gesellschaft keine Grenze setzt?

IV – Beurteilung

11.      Stehen die Artikel 43 EG, 49 EG und 86 EG einer Regelung wie der in der Vorlagefrage genannten entgegen, die den örtlichen Verwaltungen die Wahl lässt, ob sie mit der Erbringung einer Dienstleistung wie der des öffentlichen Verkehrs eine zu der betreffenden örtlichen Verwaltung gehörende Gesellschaft betrauen oder ob sie ein öffentliches Ausschreibungsverfahren für die Vergabe einer Konzession für diese Dienstleistung an eine private Partei einleiten?

12.      Dies ist im Wesentlichen die Frage, die sich das vorlegende Gericht stellt und die im Licht der jüngeren und jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofes(4) relativ leicht zu beantworten ist.

13.      Aus der bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereichten Akte des Ausgangsverfahrens geht hervor, dass die fragliche Dienstleistung zumindest teilweise über den Kauf von Fahrkarten durch die Benutzer finanziert wird, so dass es sich um eine Dienstleistungskonzession handelt, die nicht unter die Gemeinschaftsrichtlinien über öffentliche Aufträge, sondern unmittelbar unter die Vorschriften des Primärrechts und insbesondere unter die Grundfreiheiten des EG-Vertrags(5) fällt. Das vorlegende Gericht scheint zu derselben Feststellung gelangt zu sein, denn seine Vorlagefrage bezieht sich nur auf die Artikel 43 EG(6), 49 EG und 86 EG und nicht auf die Richtlinie 92/50/EWG(7).

14.      Die wichtigsten Hinweise auf die Antwort finden sich in Randnummer 50 des Urteils Teckal sowie in Randnummer 49 des Urteils Stadt Halle und RPL Lochau. Daraus ergibt sich, dass, selbst wenn der Vertragspartner eine Einrichtung ist, die sich von der öffentlichen Stelle rechtlich unterscheidet, eine Ausschreibung dann nicht zwingend ist, wenn diese Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, über die fragliche Einrichtung eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre Anteile besitzen(8).

15.      Vergleicht man den Wortlaut der neuen Fassung des Artikels 113 Absatz 5 Buchstabe c des Decreto legislativo Nr. 267/00 („Gesellschaften mit vollständig öffentlichem Kapital unter der Voraussetzung, dass die öffentliche Körperschaft oder die öffentlichen Körperschaften, die das Gesellschaftskapital halten, über die Gesellschaft eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausüben und dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der öffentlichen Körperschaft oder den öffentlichen Körperschaften, die sie kontrollieren, verrichtet“) mit den Passagen der in vorstehender Nummer angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes, so stellt man fest, dass sich der italienische Gesetzgeber offensichtlich nach dieser Rechtsprechung gerichtet hat.

16.      Dies wird von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bestätigt, die in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hinweist, dass die jetzige Fassung des Artikels 113 Absatz 5 Buchstabe c aus einem Vertragsverletzungsverfahren hervorgegangen sei, das sie gegen die Italienische Republik eingeleitet habe.

17.      Da die nationale Regelung der Rechtsprechung des Gerichtshofes entspricht, ist jede Entscheidung einer örtlichen Verwaltung, die ihrerseits dieser Regelung entspricht, als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar anzusehen.

18.      Insoweit ist jedoch zu bemerken, dass die Kriterien für die Zulassung „interner“ Situationen strikt anzuwenden sind. Insbesondere aus den Urteilen Parking Brixen und Kommission/Österreich ergibt sich, dass die Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers nicht durch die – „auch nur minderheitliche“ – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital der Gesellschaft, der die Erbringung der betreffenden Dienstleistung übertragen wurde, geschwächt werden darf und dass diese Gesellschaft ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichten muss, die ihre Anteile besitzen.

19.      Unter den tatsächlichen Umständen, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, erscheinen mir diese beiden Kriterien erfüllt, so dass ich meine Analyse mit dieser Feststellung abschließen könnte, wenn sich nicht aus dem Urteil Kommission/Österreich(9) ein drittes Kriterium ergäbe, nämlich das Erfordernis, dass die beiden genannten Kriterien dauerhaft erfüllt sein müssen.

20.      Denn wenn die zuständige Verwaltung, nachdem die ersten beiden Kriterien bei der Vergabe der betreffenden Dienstleistung erfüllt worden sind, einen „auch nur minderheitlichen“ Teil der Anteile der betreffenden Gesellschaft auf ein privates Unternehmen übertragen würde, so hätte dies zur Folge, dass über eine künstliche Konstruktion, die mehrere unterschiedliche Phasen umfasst, nämlich die Gründung der Gesellschaft, die Vergabe des öffentlichen Verkehrsdienstes an diese Gesellschaft und die Übertragung eines Teils ihrer Anteile auf ein privates Unternehmen, einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen ohne vorherige Ausschreibung eine Konzession für eine öffentliche Dienstleistung erteilt würde.

21.      Die gleiche Begründung gilt für den Fall, dass an die ursprüngliche konzessionierte Einrichtung ohne vorherige Ausschreibung weitere öffentliche Dienstleistungen von anderen öffentlichen Körperschaften als der, die ihre Anteile besitzt, vergeben würden.

22.      In den beiden beschriebenen Fällen wären die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz, an die der Gerichtshof in den Urteilen Coname und Parking Brixen erinnert hat, nicht mehr gewahrt.

V –    Ergebnis

23.      Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Tribunale amministrativo regionale per la Puglia wie folgt zu beantworten:

Die Artikel 43 EG, 49 EG und 86 EG sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer Vorschrift wie des Artikels 113 Absatz 5 des italienischen Decreto legislativo Nr. 267/00 in seiner aktuellen Fassung nicht entgegenstehen, sofern die beiden darin vorgesehenen Kriterien, nämlich dass die konzessionierte Gesellschaft einer ähnlichen Kontrolle unterliegen muss, wie sie die Verwaltung über ihre eigenen Dienststellen ausübt, und dass sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der Körperschaft verrichten muss, die ihre Anteile besitzt, nach der Vergabe einer öffentlichen Dienstleistung an diese Gesellschaft dauerhaft erfüllt sind.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑107/98 (Slg. 1999, I‑8121).


3 – Richtlinie vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1).


4 – Urteile Teckal sowie vom 11. Januar 2005 in der Rechtssache C‑26/03 (Stadt Halle und RPL Lochau, Slg. 2005, I‑1), vom 21. Juli 2005 in der Rechtssache C‑231/03 (Coname, Slg. 2005, I‑0000), vom 13. Oktober 2005 in der Rechtssache C‑458/03 (Parking Brixen, Slg. 2005, I‑0000) und vom 10. November 2005 in der Rechtssache C‑29/04 (Kommission/Österreich, Slg. 2005, I‑0000).


5 – Urteil Coname (Randnr. 16).


6 – In der Vorlagefrage zitiert das vorlegende Gericht Artikel 46 EG und nicht Artikel 43 EG. Aus dem Gesamtzusammenhang des Vorlagebeschlusses ergibt sich, dass es sich um ein offenbares Versehen handelt.


7 – Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1).


8 – Vgl. auch Urteil Kommission/Österreich (Randnr. 34).


9 – Siehe Randnrn. 38 bis 42.