Language of document : ECLI:EU:C:2020:579

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

16. Juli 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Asylpolitik – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 14 und 34 – Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben – Verletzung der Pflicht im erstinstanzlichen Verfahren – Folgen“

In der Rechtssache C‑517/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2017, in dem Verfahren

Milkiyas Addis

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,


aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Addis, vertreten durch Rechtsanwältin K. Müller,

–        der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Henning und A. Horlamus als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch J. Möller, T. Henze und R. Kanitz, dann durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Van Lul, C. Pochet und F. Bernard als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Brabcová als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoët als Bevollmächtigte,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Tornyai und M. Tátrai als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Ladenburger und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. März 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) und von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, im Folgenden: Verfahrensrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Milkiyas Addis und der Bundesrepublik Deutschland über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem ihm die Gewährung des Asylrechts verweigert wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2005/85

3        Die Richtlinie 2005/85 hatte nach ihrem Art. 1 den Zweck, Mindestnormen für die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft festzulegen.

4        Art. 12 („Ladung zur persönlichen Anhörung“) der Richtlinie sah vor:

„(1)       Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Asylbewerber Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag durch einen nach nationalem Recht zuständigen Bediensteten gegeben.

(2)       Auf die persönliche Anhörung kann verzichtet werden, wenn

a)       die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine zuerkennende Entscheidung treffen kann oder

b)       die zuständige Behörde bereits ein Treffen mit dem Antragsteller hatte, um ihn bei der Ausfüllung des Antrags und der Vorlage der für den Antrag wesentlichen Informationen … zu unterstützen, oder

c)       die Asylbehörde aufgrund einer vollständigen Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Informationen der Auffassung ist, dass der Antrag in den Fällen, in denen die Umstände nach Artikel 23 Absatz 4 Buchstaben a, c, g, h und j zutreffen, unbegründet ist.

(3)       Auf die persönliche Anhörung kann ferner verzichtet werden, wenn diese nach vernünftigem Ermessen nicht durchführbar ist, insbesondere wenn die zuständige Behörde zu der Auffassung gelangt ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall können die Mitgliedstaaten ein medizinisches oder psychologisches Gutachten verlangen.

Sieht der Mitgliedstaat gemäß diesem Absatz keine Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung des Antragstellers – gegebenenfalls auch des Unterhaltsberechtigten – vor, so müssen angemessene Maßnahmen getroffen werden, damit der Antragsteller oder der Unterhaltsberechtigte weitere Informationen unterbreiten können.

(4)       Die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattfindet, hindert die Asylbehörde nicht daran, über den Asylantrag zu entscheiden.

(5)       Die Tatsache, dass nach Absatz 2 Buchstaben b oder c oder nach Absatz 3 keine persönliche Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung der Asylbehörde nicht negativ beeinflussen.

(6)       Ungeachtet des Artikels 20 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über den Asylantrag die Tatsache berücksichtigen, dass der Asylbewerber einer Aufforderung zur persönlichen Anhörung nicht nachgekommen ist, es sei denn, er hat berechtigte Gründe für sein Fernbleiben vorgebracht.“

5        Art. 25 („Unzulässige Anträge“) Abs. 2 der Richtlinie lautete:

„Die Mitgliedstaaten können einen Asylantrag gemäß diesem Artikel als unzulässig betrachten, wenn

a) ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat;

…“

 Verfahrensrichtlinie

6        Bei der Verfahrensrichtlinie handelt es sich um eine Neufassung der Richtlinie 2005/85.

7        In den Erwägungsgründen 16, 18, 22, 29 und 32 der Verfahrensrichtlinie heißt es:

„(16)       Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sämtliche Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz auf der Grundlage von Tatsachen ergehen und erstinstanzlich von Behörden getroffen werden, deren Bedienstete über angemessene Kenntnisse in Fragen des internationalen Schutzes verfügen oder die hierzu erforderliche Schulung erhalten haben.

(18)       Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.

(22)       Es liegt ferner im Interesse der Mitgliedstaaten wie der Antragsteller, dass das Bedürfnis nach internationalem Schutz bereits in der ersten Instanz ordnungsgemäß festgestellt wird. …

(29)       Bestimmte Antragsteller benötigen unter Umständen besondere Verfahrensgarantien, unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung, ihrer Geschlechtsidentität, einer Behinderung, einer schweren Erkrankung, einer psychischen Störung oder infolge von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schweren Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, Antragsteller, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, als solche zu erkennen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht. …

(32)       Die Prüfungsverfahren sollten geschlechtsspezifischen Anforderungen Rechnung tragen, um eine tatsächliche Gleichbehandlung weiblicher und männlicher Antragsteller zu gewährleisten. Insbesondere sollten persönliche Anhörungen in einer Weise abgehalten werden, die es weiblichen und männlichen Antragstellern gleichermaßen ermöglicht, über ihre Erfahrungen in Fällen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu sprechen. …“

8        Nach Art. 1 der Verfahrensrichtlinie werden mit dieser Richtlinie gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) eingeführt.

9        Art. 2 der Verfahrensrichtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)       ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ oder ‚Antrag‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und der nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2011/95… ersucht;

f)       ‚Asylbehörde‘ jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen;

…“

10      Art. 4 („Zuständige Behörden“) der Verfahrensrichtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten benennen für alle Verfahren eine Asylbehörde, die für eine angemessene Prüfung der Anträge gemäß dieser Richtlinie zuständig ist. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Maßgabe dieser Richtlinie angemessen ausgestattet ist und über kompetentes Personal in ausreichender Zahl verfügt.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Personal der in Absatz 1 genannten Asylbehörde hinreichend geschult ist. … Personen, von denen die Antragsteller nach Maßgabe dieser Richtlinie befragt werden, müssen außerdem allgemeine Kenntnisse über die Probleme erworben haben, die die Fähigkeit des Antragstellers, angehört zu werden, beeinträchtigen könnten, beispielsweise Anzeichen dafür, dass der Antragsteller in der Vergangenheit möglicherweise gefoltert worden ist.

…“

11      Kapitel II („Grundsätze und Garantien“) der Verfahrensrichtlinie enthält deren Art. 6 bis 30.

12      Art. 12 („Garantien für Antragsteller“) der Richtlinie lautet:

„(1)      Bezüglich der Verfahren des Kapitels III stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass alle Antragsteller über folgende Garantien verfügen:

b)       Erforderlichenfalls wird ein Dolmetscher beigezogen, damit sie den zuständigen Behörden ihren Fall darlegen können. Die Mitgliedstaaten haben zumindest dann von der Erforderlichkeit einer solchen Beiziehung auszugehen, wenn der Antragsteller nach den Artikeln 14 bis 17 und 34 anzuhören ist und ohne die Beiziehung eines Dolmetschers eine angemessene Verständigung nicht gewährleistet werden kann. …

…“

13      Art. 14 („Persönliche Anhörung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1) Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz durch einen nach nationalem Recht für die Durchführung einer solchen Anhörung zuständigen Bediensteten gegeben. Persönliche Anhörungen zum Inhalt eines Antrags werden von einem Bediensteten der Asylbehörde durchgeführt. Dieser Unterabsatz lässt Artikel 42 Absatz 2 Buchstabe b unberührt.

Ist es der Asylbehörde wegen einer großen Zahl von gleichzeitig eingehenden Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in der Praxis unmöglich, fristgerecht Anhörungen zum Inhalt jedes einzelnen Antrags durchzuführen, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese Anhörungen vorübergehend von Bediensteten einer anderen Behörde durchgeführt werden. In diesen Fällen erhalten die Bediensteten dieser anderen Behörde zuvor eine entsprechende Schulung …

(2)      Auf die persönliche Anhörung zum Inhalt des Antrags kann verzichtet werden, wenn

a)       die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine positive Entscheidung im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft treffen kann oder

b)       die Asylbehörde der Auffassung ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall konsultiert die Asylbehörde medizinisches Fachpersonal, um festzustellen, ob es sich bei dem Umstand, der dazu führt, dass der Antragsteller nicht zu einer Anhörung in der Lage ist, um einen vorübergehenden oder dauerhaften Zustand handelt.

Findet eine persönliche Anhörung des Antragstellers – oder gegebenenfalls der vom Antragsteller abhängigen Person – gemäß Buchstabe b nicht statt, so müssen angemessene Bemühungen unternommen werden, damit der Antragsteller oder die von ihm abhängige Person weitere Informationen unterbreiten können.

(3)      Die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung gemäß diesem Artikel stattgefunden hat, hindert die Asylbehörde nicht daran, über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden.

(4)      Die Tatsache, dass nach Absatz 2 Buchstabe b keine persönliche Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung der Asylbehörde nicht negativ beeinflussen.

(5)      Ungeachtet des Artikels 28 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die Tatsache berücksichtigen, dass der Antragsteller einer Aufforderung zur persönlichen Anhörung nicht nachgekommen ist, es sei denn, er hat berechtigte Gründe für sein Fernbleiben vorgebracht.“

14      Art. 15 („Anforderungen an die persönliche Anhörung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die persönliche Anhörung findet in der Regel ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen statt, soweit nicht die Asylbehörde die Anwesenheit solcher Angehörigen zwecks einer angemessenen Prüfung für erforderlich hält.

(2)      Eine persönliche Anhörung erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten.

(3)      Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen um sicherzustellen, dass persönliche Anhörungen unter Bedingungen durchgeführt werden, die Antragstellern eine umfassende Darlegung der Gründe ihrer Anträge gestatten. Zu diesem Zweck

a)       gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die anhörende Person befähigt ist, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der kulturellen Herkunft, der Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen;

b)       sehen die Mitgliedstaaten, soweit möglich, vor, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen;

c)       wählen die Mitgliedstaaten einen Dolmetscher, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der anhörenden Person zu gewährleisten vermag. Die Verständigung erfolgt in der vom Antragsteller bevorzugten Sprache, es sei denn, es gibt eine andere Sprache, die er versteht und in der er sich klar ausdrücken kann. Die Mitgliedstaaten stellen, soweit möglich, einen Dolmetscher gleichen Geschlechts bereit, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, die Asylbehörde hat Grund zu der Annahme, dass das Ersuchen auf Gründen beruht, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen;

d)       stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Person, die die Anhörung zum Inhalt des Antrags auf internationalen Schutz durchführt, keine Militär- oder Polizeiuniform trägt;

e)       stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Anhörungen von Minderjährigen kindgerecht durchgeführt werden.

(4)      Die Mitgliedstaaten können Vorschriften über die Anwesenheit Dritter bei der persönlichen Anhörung erlassen.“

15      Kapitel III („Erstinstanzliche Verfahren“) der Verfahrensrichtlinie enthält deren Art. 31 bis 43.

16      Art. 33 („Unzulässige Anträge“) Abs. 2 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a) ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

…“

17      Art. 34 („Besondere Vorschriften für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten geben den Antragstellern Gelegenheit, sich zu der Anwendung der Gründe nach Artikel 33 in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Hierzu führen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durch. Die Mitgliedstaaten dürfen nur dann eine Ausnahme nach Maßgabe von Artikel 42 machen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt.

(2)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Bediensteten anderer Behörden als der Asylbehörde die persönliche Anhörung zu der Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz durchführen. In diesen Fällen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Bediensteten zuvor die erforderliche Grundschulung insbesondere in Bezug auf das internationale Recht auf dem Gebiet der Menschenrechte, den Besitzstand der Union im Asylbereich und Gesprächsführungstechniken erhalten.“

18      Kapitel V („Rechtsbehelfe“) der Verfahrensrichtlinie enthält als einzige Bestimmung Art. 46 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie, der wie folgt lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen

a)       eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung,

i)       einen Antrag als unbegründet in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft und/oder den subsidiären Schutzstatus zu betrachten;

ii)       einen Antrag nach Artikel 33 Absatz 2 als unzulässig zu betrachten;

(3)      Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt …

…“

19      Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um den Artikeln 1 bis 30, Artikel 31 Absätze 1, 2 und 6 bis 9, den Artikeln 32 bis 46, den Artikeln 49 und 50 sowie dem Anhang I bis spätestens 20. Juli 2015 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.“

20      Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten wenden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Artikel 51 Absatz 1 auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz sowie auf eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des internationalen Schutzes nach dem 20. Juli 2015 oder früher an. Für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge und vor diesem Datum eingeleitete Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85… “

21      Art. 53 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie bestimmt:

„Die Richtlinie 2005/85… wird im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, die durch diese Richtlinie gebunden sind, unbeschadet der Verpflichtungen dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich der in Anhang II Teil B genannten Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mit Wirkung vom 21. Juli 2015 aufgehoben.“

22      Die Verfahrensrichtlinie ist nach ihrem Art. 54 Abs. 1 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, welche am 29. Juni 2013 erfolgte, in Kraft getreten.

 Deutsches Recht

23      § 24 Abs. 1 Asylgesetz in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: AsylG) sieht vor:

„Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. … Es hat den Ausländer persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt den Ausländer als asylberechtigt anerkennen will oder wenn der Ausländer … aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist … “

24      § 29 AsylG („Unzulässige Anträge“) Abs. 1 sieht vor:

„Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

2.       ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz … gewährt hat,

…“

25      § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG lautet:

„In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird.“

26      § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz (im Folgenden: VwVfG) sieht vor:

„Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht … nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.“

27      § 86 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung sieht vor:

„Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

28      Der Kläger des Ausgangsverfahrens, nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Eritreas, reiste im September 2011 nach Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Da seine Fingerkuppen Verstümmelungen aufwiesen, führten die Abfragen der Eurodac-Datenbank zunächst zu keiner Identifizierung.

29      Bei einer Anhörung am 1. Dezember 2011 hatte der Kläger des Ausgangsverfahrens angegeben, noch nicht in einem anderen Mitgliedstaat gewesen zu sein; aufgrund von Fingerabdrücken, die ihm im Juni 2012 abgenommen wurden, stellte sich jedoch heraus, dass er 2009 bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatte. Auf die Bitte, den Betroffenen zu übernehmen, antworteten die zuständigen italienischen Behörden am 8. Januar 2013, dieser habe in Italien den Flüchtlingsstatus erhalten. Weil sein Asylverfahren abgeschlossen sei, komme eine Rückübernahme nur nach dem Rückübernahmeabkommen, nicht aber nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1), in Betracht. Am 26. Februar 2013 teilten die italienischen Behörden dem Bundespolizeipräsidium (Deutschland) mit, dass die Rückkehr des Klägers des Ausgangsverfahrens nach Italien genehmigt worden sei.

30      Mit Bescheid vom 18. Februar 2013 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger des Ausgangsverfahrens aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat, nämlich Italien, in Deutschland kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an.

31      Mit Urteil vom 15. April 2013 wies das Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) die gegen diesen Bescheid erhobene Klage ab.

32      Mit Urteil vom 19. Mai 2016 hob das Oberverwaltungsgericht Münster (Deutschland), bei dem der Kläger des Ausgangsverfahrens Berufung eingelegt hatte, die Abschiebungsanordnung nach Italien auf, wies die Berufung im Übrigen aber zurück. Die Feststellung, dass dem Betroffenen in Deutschland kein Asylrecht zustehe, sei rechtmäßig, weil er aus einem „sicheren Drittstaat“, nämlich Italien, eingereist sei, wo ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten drohe. Die Anordnung der Abschiebung sei jedoch rechtswidrig, weil nicht feststehe, ob die Übernahmebereitschaft Italiens fortbestehe, nachdem mittlerweile die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis und des Reiseausweises, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens von den italienischen Behörden ausgestellt worden seien, am 5. Februar 2015 abgelaufen sei.

33      Der Kläger des Ausgangsverfahrens legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) ein. Er rügt u. a., das Bundesamt habe vor Erlass des Bescheids vom 18. Februar 2013 nicht von einer persönlichen Anhörung absehen dürfen. Da er in einem anderen Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt worden sei und keine Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 getroffen worden sei, dürfe sein Antrag auf internationalen Schutz nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass er über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sei.

34      Die Bundesrepublik Deutschland ist der Auffassung, der Asylantrag des Klägers des Ausgangsverfahrens sei nunmehr jedenfalls nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, der, was die Situation des Ausgangsverfahrens betreffe, in der ein anderer Mitgliedstaat dem Antragsteller bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe, zum einen Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 und zum anderen Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, die diese ersetzt habe, entspreche. Die Pflicht zur Anhörung des Klägers des Ausgangsverfahrens sei nicht verletzt worden, da nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85 die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung unter den in dieser Vorschrift genannten Umständen stattgefunden habe, die zuständige Behörde nicht daran hindere, über den Asylantrag zu entscheiden.

35      Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, das Bundesamt habe die Prüfung des bei ihm gestellten Asylantrags nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Da das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen sei, könne ein sicherer Drittstaat nur ein Staat sein, der nicht Mitgliedstaat der Union sei. Daher sei zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bescheid in einen auf die Unzulässigkeit des Antrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Ablehnungsbescheid umgedeutet werden könne.

36      In diesem Zusammenhang hält das Bundesverwaltungsgericht für klärungsbedürftig, welche Folgen es für die Rechtmäßigkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung hat, wenn die Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, gemäß Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, verletzt werde, wenn der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit habe, alle gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens aus Rechtsgründen keine andere Entscheidung in der Sache ergehen könne. Insbesondere habe das Bundesamt den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bescheid erlassen, ohne den Betroffenen zuvor zu den von den italienischen Behörden mitgeteilten Tatsachen oder zu der beabsichtigten Ablehnung seines Asylantrags anzuhören.

37      Das vom Bundesamt gewählte Verfahren habe gegen die in Art. 12 der Richtlinie 2005/85 vorgesehene Pflicht zur persönlichen Anhörung des Klägers des Ausgangsverfahrens verstoßen; keiner der in dieser Vorschrift angeführten Ausnahmetatbestände sei hier erfüllt. Nichts anderes gelte bei Anwendung von Art. 14 und Art. 34 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie. Zu klären sei, ob die Ausnahmeregelungen des Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2005/85 und des Art. 14 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie abschließend seien oder das Unionsrecht aufgrund der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten weitere Ausnahmen im nationalen Recht zulasse.

38      Nach § 46 VwVfG sei ein Anhörungsmangel unerheblich, wenn offensichtlich sei, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Dies sei hier zu bejahen, weil die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine gebundene Entscheidung sei, bei der das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte verpflichtet seien, den betreffenden Fall von Amts wegen zu ermitteln und alle – auch ungeschriebene – Tatbestandvoraussetzungen der Norm von Amts wegen aufzuklären. Daher und aufgrund der umfassenden gerichtlichen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte, die dem Kläger selbst rechtliches Gehör gewährten, werde der Anhörungsmangel im Verwaltungsverfahren durch die Anhörung im späteren gerichtlichen Verfahren kompensiert.

39      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Verfahrensrichtlinie bzw. die Vorgängerregelung in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85 der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegen, wonach eine unterbliebene persönliche Anhörung des Antragstellers bei einer von der Asylbehörde in Umsetzung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie bzw. der Vorgängerregelung in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 ergangenen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung wegen fehlender Anhörung führt, wenn der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit hat, alle gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens in der Sache keine andere Entscheidung ergehen kann?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

40      Das vorlegende Gericht hat den Gerichtshof ersucht, die Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Zur Stützung seines Antrags macht es geltend, es sei davon auszugehen, dass beim Bundesamt und den Verwaltungsgerichten derzeit mehrere tausend Verfahren zu bearbeiten seien, in denen sich die im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Fragen (zumindest teilweise) stellten, und die aufgrund dieses Verfahrens nicht abschließend entschieden werden könnten.

41      Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

42      Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 13. September 2017 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, den in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Antrag des vorlegenden Gerichts zurückzuweisen. Er hat dies damit begründet, dass der vom vorlegenden Gericht angeführte Grund, den dieses Gericht auch in den Rechtssachen angeführt hatte, in denen das Urteil vom 19. März, Ibrahim u. a. (C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17, EU:C:2019:219), ergangen ist, nicht den Schluss zulässt, dass die in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung festgelegten Voraussetzungen in der vorliegenden Rechtssache erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Juli 2017, Ibrahim u. a., C-297/17, C-318/17 und C-319/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:561, Rn. 17 bis 21, sowie vom 19. September 2017, Magamadov, C-438/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:723, Rn. 15 bis 19).

43      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. September 2017 ist die vorliegende Rechtssache zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung mit den Rechtssachen C‑540/17 und C‑541/17, Hamed und Omar, verbunden worden. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 ist diese Verbindung aufgehoben worden, da die Fragen, die Anlass zu dieser Verbindung gegeben hatten, im Anschluss an das Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219), bis zu dessen Verkündung die vorliegende Rechtssache sowie die Rechtssachen C‑540/17 und C‑541/17, Hamed und Omar, ausgesetzt worden waren, vom vorlegenden Gericht zurückgezogen worden waren.

 Zur Vorlagefrage

44      Vorab ist festzustellen, dass dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge das vorlegende Gericht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für seine Entscheidung im Ausgangsverfahren auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor diesem Gericht oder mangels einer mündlichen Verhandlung im Zeitpunkt seiner Entscheidung abzustellen hat. Das vorlegende Gericht wird demnach die nationalen Rechtsvorschriften anwenden, mit denen die Verfahrensrichtlinie umgesetzt wird, und zwar besonders diejenigen, die die persönliche Anhörung des Antragstellers sowie die Unzulässigkeitsgründe nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie betreffen. Diese unmittelbare Anwendung auch von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte und noch nicht bestandskräftig beschiedene Anträge ist nach Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie rechtmäßig, wenn, wie im Ausgangsverfahren, ein anderer Mitgliedstaat dem Antragsteller bereits die Flüchtlingseigenschaft und nicht nur subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 74, sowie Beschluss vom 13. November 2019, Hamed und Omar, C‑540/17 und C‑541/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:964, Rn. 30).

45      Unter diesen Umständen ist die Vorlagefrage so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Art. 14 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie gestützten Unzulässigkeitsentscheidung Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, wenn der Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren Gelegenheit hat, alle gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.

46      Um diese Frage zu beantworten, ist als Erstes festzuhalten, dass die Verfahrensrichtlinie eindeutig die Pflicht festlegt, der Person, die internationalen Schutz beantragt, Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, bevor eine Entscheidung über ihren Antrag getroffen wird.

47      Ebenso wie zuvor Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 sieht Art. 14 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie vor, dass, bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz durch einen nach nationalem Recht für die Durchführung einer solchen Anhörung zuständigen Bediensteten gegeben wird. Diese Pflicht gehört zu den in Kapitel II dieser Richtlinien angeführten Grundsätzen und Garantien und gilt für Entscheidungen sowohl über die Zulässigkeit als auch in der Sache.

48      Dass diese Pflicht auch für Entscheidungen über die Zulässigkeit gilt, ergibt sich übrigens nunmehr ausdrücklich aus Art. 34 („Besondere Vorschriften für die Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung“) der Verfahrensrichtlinie, dessen Abs. 1 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten den Antragstellern Gelegenheit geben, sich zu der Anwendung der Gründe nach Art. 33 der Verfahrensrichtlinie in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet, und hierzu im Rahmen dieser Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durchführen.

49      Beabsichtigt die Asylbehörde, einen Antrag auf internationalen Schutz aus dem in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie angeführten Grund als unzulässig zu betrachten, soll die persönliche Anhörung zur Zulässigkeit des Antrags dem Antragsteller nicht nur Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern, ob ihm ein anderer Mitgliedstaat tatsächlich internationalen Schutz zuerkannt hat, sondern vor allem die Möglichkeit geben, sich zu allen Umständen seines spezifischen Falls zu äußern, damit die Asylbehörde ausschließen kann, dass er im Fall einer Überstellung in diesen anderen Mitgliedstaat ernsthaft Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ausgesetzt zu werden.

50      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verbietet es Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie einem Mitgliedstaat, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis, einen Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung als unzulässig abzulehnen, dass dem Antragsteller dieser Schutz bereits von einem anderen Mitgliedstaat zuerkannt worden ist, Gebrauch zu machen, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als Begünstigten dieses Schutzes erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erfahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 101, sowie Beschluss vom 13. November 2019, Hamed und Omar, C‑540/17 und C‑541/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:964, Rn. 43).

51      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die von Art. 4 der Charta geforderte besonders hohe Erheblichkeitsschwelle erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 90, sowie Beschluss vom 13. November 2019, Hamed und Omar, C‑540/17 und C‑541/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:964, Rn. 39).

52      Verfügen die Behörden eines Mitgliedstaats über Angaben, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen einer solchen Gefahr in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz zuerkannt hat, nachzuweisen, sind sie daher verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a., C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 88, sowie Beschluss vom 13. November 2019, Hamed und Omar, C‑540/17 und C‑541/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:964, Rn. 38). Im Übrigen ist nicht völlig auszuschließen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, außergewöhnliche Umstände nachweisen kann, die ihr eigen sind und im Fall ihrer Überstellung in den Mitgliedstaat, der ihr bereits internationalen Schutz zuerkannt hat, bedeuten würden, dass sie aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit der Gefahr einer gegen Art. 4 der Charta verstoßenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. entsprechend Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C‑163/17, EU:C:2019:218, Rn. 95).

53      Daraus folgt, dass die Beurteilung einer solchen Gefahr zu erfolgen hat, nachdem dem Antragsteller Gelegenheit gegeben wurde, alle Umstände, insbesondere persönlicher Art, vorzutragen, die das Vorliegen der Gefahr bestätigen können.

54      Die in Art. 14 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie vorgesehene persönliche Anhörung zur Zulässigkeit des Antrags ist daher von grundlegender Bedeutung, um zu gewährleisten, dass Art. 4 der Charta bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie auf den Sachverhalt vollumfänglich gewahrt wird. Mit dieser Anhörung kann die Asylbehörde die spezifische Situation des Antragstellers und den Grad seiner Schutzbedürftigkeit beurteilen und sich vergewissern, dass der Antragsteller aufgefordert wurde, alle Umstände vorzubringen, mit denen nachgewiesen werden könnte, dass ihn eine Abschiebung in den Mitgliedstaat, der ihm bereits internationalen Schutz gewährt hat, der Gefahr einer gegen Art. 4 der Charta verstoßenden Behandlung aussetzen würde.

55      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 34 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie die Mitgliedstaaten nur dann eine Ausnahme vom Grundsatz der persönlichen Anhörung des Antragstellers zur Zulässigkeit seines Antrags auf internationalen Schutz nach Maßgabe von Art. 42 machen dürfen, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass dies im Ausgangsverfahren nicht der Fall ist.

56      Daher ist als Drittes zu prüfen, ob die im erstinstanzlichen Verfahren vor der Asylbehörde begangene Verletzung der in den Art. 14 und 34 der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, zwingend zur Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt.

57      Da die Verfahrensrichtlinie die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Pflicht nicht ausdrücklich regelt, richten diese sich, wie alle Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, ausgeführt haben, nach nationalem Recht, sofern die einschlägigen anwendbaren nationalen Bestimmungen denen entsprechen, die für den Einzelnen in vergleichbaren unter das nationale Recht fallenden Situationen gelten (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. entsprechend Urteil vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

58      In Bezug auf den Äquivalenzgrundsatz sind für den Gerichtshof keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende diesen Grundsatz verletzt.

59      Was den Effektivitätsgrundsatz und damit die Frage angeht, ob die Anwendung von § 46 VwVfG auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kontext die Ausübung der durch die Verfahrensrichtlinie verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde, so zeugt der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Richtlinie zum einen den Mitgliedstaaten eine klare und ausdrückliche Pflicht auferlegt hat, Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, bevor über ihren Antrag entschieden wird, und zum anderen einen abschließenden Katalog von Ausnahmen von dieser Pflicht vorgesehen hat, von der grundlegenden Bedeutung, die er dieser persönlichen Anhörung für das Asylverfahren beimisst.

60      Darüber hinaus soll der Umstand, dass nach Art. 14 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie dem Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren vor der Entscheidung der Asylbehörde über seinen Antrag Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben ist, bereits im erstinstanzlichen Verfahren gewährleisten, dass das Bedürfnis dieses Antragstellers nach internationalem Schutz in dem betreffenden Mitgliedstaat ordnungsgemäß festgestellt wird; dies liegt, wie in den Erwägungsgründen 18 und 22 dieser Richtlinie hervorgehoben wird, im Interesse sowohl des Mitgliedstaats als auch des Antragstellers, da es insbesondere zum Ziel der zügigen Bearbeitung beiträgt.

61      Die Verfahrensrichtlinie unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen der „Asylbehörde“ – laut Art. 2 Buchst. f der Richtlinie „jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen“ – und dem „Gericht“, das nach deren Art. 46 für den Rechtsbehelf zuständig ist. Darüber hinaus ergibt sich aus den Erwägungsgründen 16 und 22, Art. 4 und der allgemeinen Systematik dieser Richtlinie, dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz durch eine Verwaltungsstelle oder eine gerichtsähnliche Behörde, die mit besonderen Mitteln und Fachpersonal ausgestattet ist, eine wesentliche Phase der mit dieser Richtlinie eingeführten gemeinsamen Verfahren ist (Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 103 und 116).

62      Der Gerichtshof hatte jedoch bereits Gelegenheit, festzustellen, dass das von Art. 46 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie vorgesehene Erfordernis einer umfassenden Ex-nunc-Prüfung im Rahmen eines Rechtsbehelfs, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt, auch die in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie genannten Gründe für die Unzulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz umfassen kann, wenn das nationale Recht dies erlaubt. Das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht muss, wenn es die Prüfung eines Unzulässigkeitsgrundes in Betracht zieht, der von der Asylbehörde nicht geprüft wurde, den Antragsteller anhören, damit er in einer Sprache, die er beherrscht, persönlich zur Anwendbarkeit des Unzulässigkeitsgrundes auf seine besondere Situation Stellung nehmen kann (Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto, C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 130).

63      Daraus folgt zwingend, dass das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht den Antragsteller zur Anwendbarkeit eines der in Art. 33 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen Unzulässigkeitsgründe in seinem besonderen Fall grundsätzlich auch dann anhören kann, wenn die Ablehnungsentscheidung auf diesen Grund gestützt wurde, die Asylbehörde dem Antragsteller jedoch zuvor keine Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung hierzu gegeben hat.

64      Allerdings geht das Recht des Antragstellers, sich nach den Art. 14 und 34 der Verfahrensrichtlinie in einer persönlichen Anhörung zur Anwendbarkeit eines solchen Unzulässigkeitsgrundes in seinem besonderen Fall zu äußern, mit spezifischen Garantien einher, mit denen die Wirksamkeit dieses Rechts gewährleistet werden soll.

65      So ergibt sich aus Art. 15 Abs. 2 und 3 der Verfahrensrichtlinie, dass die persönliche Anhörung unter Bedingungen zu erfolgen hat, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten und dem Antragsteller eine umfassende Darlegung der Gründe seines Antrags gestatten. Insbesondere in Bezug auf Letzteres haben die Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie zu gewährleisten, dass die anhörende Person befähigt ist, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der kulturellen Herkunft, der Geschlechtszugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Schutzbedürftigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen. Nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. b der Verfahrensrichtlinie haben die Mitgliedstaaten, soweit möglich, vorzusehen, dass die Anhörung des Antragstellers von einer Person gleichen Geschlechts durchgeführt wird, wenn der Antragsteller darum ersucht, es sei denn, das Ersuchen beruht auf Gründen, die nicht mit den Schwierigkeiten des Antragstellers in Verbindung stehen, die Gründe für seinen Antrag umfassend darzulegen. Art. 15 Abs. 3 Buchst. c der Verfahrensrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Wahl eines Dolmetschers, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der anhörenden Person zu gewährleisten vermag; dies dient der Umsetzung des in Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen Rechts des Antragstellers, erforderlichenfalls einen Dolmetscher beizuziehen, damit er seinen Fall darlegen kann. Nach Art. 15 Abs. 3 Buchst. e dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Anhörungen von Minderjährigen kindgerecht durchgeführt werden.

66      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 106, 109 und 115 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, zeigt der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber sich in den Art. 14 und 34 der Verfahrensrichtlinie nicht darauf beschränkt hat, eine Pflicht, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, einzuführen, sondern für die Mitgliedstaaten überdies konkrete und detaillierte Regeln für die Durchführung dieser Anhörung aufgestellt hat, dass er nicht nur dem Abhalten der Anhörung als solchen grundlegende Bedeutung beimisst, sondern auch den Bedingungen, unter denen diese stattzufinden hat und deren Einhaltung eine Voraussetzung für die Gültigkeit einer über den Asylantrag erlassenen Unzulässigkeitsentscheidung ist.

67      Im Übrigen ergibt sich aus den Erwägungsgründen 29 und 32 dieser Richtlinie, dass mit diesen Bedingungen u. a. gewährleistet werden soll, dass jeder Antragsteller aufgrund seines Geschlechts und seiner besonderen Umstände über angemessene Verfahrensgarantien verfügt. Daher ist in Bezug auf die besonderen Umstände des Antragstellers und im Einzelfall zu bestimmen, welche dieser Bedingungen auf ihn anzuwenden sind.

68      Unter diesen Umständen wäre es mit der praktischen Wirksamkeit der Verfahrensrichtlinie, insbesondere der ihrer Art. 14, 15 und 34, unvereinbar, wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht eine von der Asylbehörde unter Verletzung der Pflicht, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz zu geben, erlassene Entscheidung bestätigen könnte, ohne selbst den Antragsteller unter Wahrung der im Einzelfall anwendbaren grundlegenden Bedingungen und Garantien anzuhören.

69      Wie der Generalanwalt in Nr. 103 seiner Schlussanträge festgestellt hat, wäre nämlich ohne eine solche Anhörung das Recht des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten und ihm eine umfassende Darlegung der Gründe seines Anträge gestatten, einschließlich der für die Zulässigkeit seines Antrags sprechenden Umstände, zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens gewährleistet, und eine vom Unionsgesetzgeber als für das Asylverfahren grundlegend angesehene Schutzmaßnahme würde außer Kraft gesetzt.

70      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht zwar hervor, dass eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann zur Aufhebung der am Ende des fraglichen Verwaltungsverfahrens erlassenen Entscheidung führt, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. entsprechend Urteil vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht auf den Verstoß gegen die Art. 14, 15 und 34 der Verfahrensrichtlinie übertragbar. Zum einen schreiben diese nämlich verbindlich die Pflicht der Mitgliedstaaten, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, sowie konkrete und detaillierte Regeln fest, wie diese durchzuführen ist. Zum anderen soll mit solchen Regeln gewährleistet werden, dass der Antragsteller aufgefordert worden ist, in Zusammenarbeit mit der für die Anhörung zuständigen Behörde sämtliche Umstände vorzubringen, anhand deren die Zulässigkeit und gegebenenfalls die Begründetheit seines Antrags auf internationalen Schutz beurteilt werden können; damit kommt, wie in der vorstehenden Randnummer ausgeführt, der Anhörung im Verfahren der Prüfung dieses Antrags grundlegende Bedeutung zu (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Mai 2020, NKT Verwaltung und NKT/Kommission, C‑607/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:385, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Unter Berücksichtigung der entsprechenden Fragen des vorlegenden Gerichts ist hinzuzufügen, dass die fehlende Anhörung weder durch die Möglichkeit des Antragstellers, in seinem Rechtsbehelf schriftlich die Umstände darzulegen, die die Gültigkeit der über seinen Schutzantrag erlassenen Unzulässigkeitsentscheidung in Frage stellen, noch durch die nach nationalem Recht bestehende Pflicht der Asylbehörde und des mit dem Rechtsbehelf befassten Gerichts, alle relevanten Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln, geheilt werden kann. Darüber hinaus könnte zwar die Tatsache, dass eine Bestimmung zur Umsetzung der Unzulässigkeitsgründe nach Art. 33 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie in nationales Recht der Asylbehörde bei der Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Anwendung des einen oder des anderen Grundes im Einzelfall einen Ermessensspielraum lässt, eine Zurückverweisung an die Asylbehörde erforderlich machen, doch kann umgekehrt das Fehlen eines solchen Ermessensspielraums nach deutschem Recht nicht rechtfertigen, dass dem Antragsteller die Wahrnehmung des Anhörungsrechts in der durch die Verfahrensrichtlinie ausgestalteten Form verwehrt wird. Wie aus den Rn. 56 bis 66 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist nämlich, wenn die Asylbehörde keine Anhörung in erster Instanz durchführt, die Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf Anhörung in der späteren Phase des Verfahrens nur möglich, wenn eine solche Anhörung vor dem mit einem Rechtsbehelf gegen die von der Asylbehörde erlassene Unzulässigkeitsentscheidung befassten Gericht und unter Einhaltung aller in der Verfahrensrichtlinie festgelegten Bedingungen durchgeführt wird.

72      Im vorliegenden Fall geht aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf ein Ersuchen des Gerichtshofs um Klarstellung hervor, dass das deutsche Recht im Fall einer Verletzung der Pflicht, dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung im erstinstanzlichen Verfahren vor der Asylbehörde zu geben, das Recht des Antragstellers auf eine persönliche Anhörung im Rechtsbehelfsverfahren nicht durchweg sicherstellt. Außerdem könne zwar durch unionsrechtskonforme Auslegung und Anwendung der nationalen Bestimmungen die Anhörung eines jeden Antragstellers sichergestellt werden, doch könnten aufgrund der nationalen Vorschriften für das gerichtliche Verfahren bei einer Anhörung vor dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht nicht alle von Art. 15 der Verfahrensrichtlinie für die persönliche Anhörung vorgeschriebenen Bedingungen garantiert werden.

73      Letztlich hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob Herrn Addis im Rahmen des Ausgangsverfahrens unter uneingeschränkter Beachtung der für das Ausgangsverfahren geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben wurde oder noch gegeben werden kann, damit er sich persönlich in einer Sprache, die er beherrscht, zu der Anwendung des in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie genannten Grundes in seinem persönlichen Fall äußern kann. Sollte das Gericht zu der Auffassung gelangen, dass ihm diese Möglichkeit im Rechtsbehelfsverfahren nicht garantiert werden könne, wird es die Unzulässigkeitsentscheidung aufzuheben und die Sache an die Asylbehörde zurückzuverweisen haben.

74      Nach alledem sind die Art. 14 und 34 der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, es sei denn, diese Regelung ermöglicht es dem Antragsteller, im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 der Richtlinie geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien wahrenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände vorzutragen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.

 Kosten

75      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 14 und 34 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der eine Verletzung der Pflicht, der Person, die internationalen Schutz beantragt, vor dem Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu geben, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Asylbehörde führt, es sei denn, diese Regelung ermöglicht es dem Antragsteller, im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens in einer die gemäß Art. 15 der Richtlinie geltenden grundlegenden Bedingungen und Garantien wahrenden Anhörung persönlich alle gegen die Entscheidung sprechenden Umstände vorzutragen, und trotz dieses Vorbringens keine andere Entscheidung ergehen kann.

Regan

Jarukaitis

Juhász

Ilešič

 

Lycourgos

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juli 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident der Fünften Kammer

A. Calot Escobar

 

E. Regan


*      Verfahrenssprache: Deutsch.