Language of document : ECLI:EU:T:2015:756

Rechtssache T‑79/13

Alessandro Accorinti u. a.

gegen

Europäische Zentralbank (EZB)

„Außervertragliche Haftung – Wirtschafts- und Währungspolitik – EZB – Nationale Zentralbanken – Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld – Ankaufprogramm für Schuldtitel – Vereinbarung über den Tausch von Schuldtiteln allein zugunsten der Zentralbanken des Eurosystems – Beteiligung des Privatsektors – Umschuldungsklauseln – Collateral Enhancement in Form eines Rückkaufprogramms, um die Bonität der Schuldtitel als Sicherheit zu untermauern – Private Gläubiger – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Berechtigtes Vertrauen – Gleichbehandlung – Haftung für rechtmäßiges normatives Handeln –Außergewöhnlicher und besonderer Schaden“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 7. Oktober 2015

1.      Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Ermittlung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Klage auf Ersatz von Schäden, die durch ein Organ der Union verursacht worden sein sollen

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 Abs. 1 und 53 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichts [1991], Art. 44 § 1 Buchst. c)

2.      Schadensersatzklage – Selbständigkeit gegenüber der Nichtigkeitsklage – Grenzen – Auf denselben Klagegründen beruhende Anträge auf Schadensersatz und auf Nichtigerklärung, die zusammen innerhalb der Klagefrist eingereicht werden – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 6 AEUV, 268 AEUV und 340 Abs. 3 AEUV)

3.      Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Kumulative Voraussetzungen – Nichtvorliegen einer der Voraussetzungen – Vollumfängliche Klageabweisung

(Art. 340 Abs. 2 AEUV)

4.      Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht – Erfordernis einer offenkundigen und erheblichen Überschreitung der Grenzen ihres Ermessens durch die Organe – Beurteilung im Fall von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung, die von der Europäischen Zentralbank bei der Ausübung ihrer Befugnisse im Bereich der Geldpolitik erlassen werden

(Art. 127 AEUV, 282 AEUV und 340 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 18)

5.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vertrauensschutz – Grenzen – Erlass von Maßnahmen im Bereich der Geldpolitik – Ermessen der Organe – Anpassung der Maßnahmen an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage – Keine Berufung auf den Schutz berechtigten Vertrauens

6.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vertrauensschutz – Voraussetzungen – Erklärungen von Mitgliedern der Europäischen Zentralbank zur Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld – Keine Zuständigkeit der Bank, um über eine solche Umstrukturierung zu entscheiden – Kenntnis eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vom Risiko der griechischen Schuldtitel – Kein Wecken berechtigten Vertrauens

(Art. 120 AEUV)

7.      Wirtschafts- und Währungspolitik – Währungspolitik – Durchführung – Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld durch ein Programm für den Ankauf staatlicher Schuldtitel – Abschluss einer Vereinbarung über den Tausch von Schuldtiteln allein zugunsten der Zentralbanken des Eurosystems – Ausschluss der Beteiligung privater Kapitalgeber, die Inhaber solcher Titel sind – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen – Verkennung der Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank – Fehlen

(Art. 123 AEUV, 127 Abs. 1 und 2 AEUV und 282 Abs. 1 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 18 Abs. 1; Beschluss 2010/281 der Europäischen Zentralbank)

8.      Wirtschafts- und Währungspolitik – Währungspolitik – Durchführung – Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld durch ein Programm für den Ankauf staatlicher Schuldtitel – Collateral Enhancement nur zugunsten der nationalen Zentralbanken des Eurosystems, um die Bonität der Schuldtitel als Sicherheit zu untermauern – Ausschluss der privaten Kapitalgeber, die Inhaber solcher Titel sind, vom Gewinn des Enhancements – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Ausschluss – Verkennung der Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank – Fehlen

(Art. 123 AEUV, 127 Abs. 1 und 2 AEUV und 282 Abs. 1 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 18 Abs. 1; Beschluss 2010/281 der Europäischen Zentralbank, Art. 1)

9.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Grundsatz der Gleichheit der Gläubiger – Nicht im Unionsrecht verankerter Grundsatz

(Art. 127 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 18; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20 und 21; Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates)

10.    Nichtigkeitsklage – Gründe –Ermessensmissbrauch – Begriff

(Art. 263 AEUV)

11.    Außervertragliche Haftung – Haftung für rechtmäßiges Handeln – Handeln im Rahmen der Rechtsetzungszuständigkeit der Union – Ausschluss – Grenzen – Schaden, der aus dem Wertverlust griechischer Schuldtitel bei der Durchführung eines Tauschangebots der Europäischen Zentralbank an die Inhaber solcher Titel des Privatsektors entstanden ist – Fehlen eines außergewöhnlichen und besonderen Schadens – Haftung der Bank – Ausschluss

(Art. 340 Abs. 3 AEUV; Beschluss 2012/153 der Europäischen Zentralbank)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 53, 57)

2.      Ein Schadensersatzantrag wird nur ausnahmsweise für unzulässig erklärt und nur um sicherzustellen, dass die Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nicht umgangen wird, nämlich wenn der Antrag gemeinsam mit einem Nichtigkeitsantrag eingereicht wurde, weil mit dem Schadensersatzantrag in Wirklichkeit die Nichtigerklärung einer gegen den Kläger gerichteten, bestandskräftig gewordenen Einzelfallentscheidung begehrt wird und er, falls ihm stattgegeben worden wäre, zur Folge gehabt hätte, dass die Rechtswirkungen dieser Entscheidung beseitigt würden. Wenn die Nichtigkeitsklage innerhalb der Frist des Art. 263 Abs. 6 AEUV eingereicht wurde, ist zudem eine Umgehung der genannten Frist durch eine Schadensersatzklage von vornherein ausgeschlossen.

Die Schadensersatzklage ist insoweit ein eigenständiger Rechtsbehelf mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten und von Voraussetzungen abhängig, die ihrem besonderen Zweck angepasst sind. Während Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen die Ahndung der Rechtswidrigkeit zwingender Rechtsakte oder des Fehlens eines solchen Rechtsakts zum Ziel haben, ist eine Schadensersatzklage auf Ersatz des Schadens gerichtet, der sich aus einer Handlung oder einer unzulässigen Verhaltensweise ergibt, die einem Organ oder einer Einrichtung der Union zuzurechnen ist. Zum einen kann diese Eigenständigkeit der Schadensersatzklage nicht schon dadurch in Frage gestellt werden, dass ein Kläger beschließt, Nichtigkeitsklage und Schadensersatzklage nacheinander zu erheben. Zum anderen führt die Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage nicht schon deswegen zur Unzulässigkeit einer später eingereichten Schadensersatzklage, weil diese Klagen auf ähnlichen oder gar identischen Rechtswidrigkeitsgründen beruhen. Ein solches Verständnis würde gegen den Grundsatz der Selbständigkeit der Klagearten verstoßen und nähme folglich Art. 268 AEUV in Verbindung mit Art. 340 Abs. 3 AEUV die praktische Wirksamkeit.

(vgl. Rn. 60, 61)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 64-66, 116)

4.      Was die erste Voraussetzung für die Haftung der Union nach Art. 340 AEUV hinsichtlich des dem betreffenden Organ oder der betreffenden Einrichtung vorgeworfenen rechtswidrigen Verhaltens angeht, muss ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, nachgewiesen werden. Das entscheidende Kriterium dafür, dass ein Verstoß hinreichend qualifiziert ist, besteht darin, dass das betreffende Organ oder die betreffende Einrichtung der Union die Grenzen, die seinem bzw. ihrem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Nur wenn die Einrichtung oder das Organ über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.

Die der Europäischen Zentralbank vorgeworfenen Verhaltensweisen fanden im Rahmen der Aufgaben statt, die ihr aufgrund der Art. 127 AEUV und 282 AEUV sowie Art. 18 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank übertragen wurden und darin bestehen, die Geldpolitik der Union vor allem durch Interventionen auf den Finanzmärkten und durch Lenkung von Kreditgeschäften festzulegen und durchzuführen. Diese Vorschriften räumen der Bank ein weites Ermessen ein, dessen Ausübung komplexe Beurteilungen wirtschaftlicher und sozialer Gegebenheiten und sich schnell verändernder Situationen erfordert, die im Rahmen des Eurosystems oder gar der gesamten Union vorgenommen werden müssen. Daher muss ein etwaiger hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die in Rede stehenden Rechtsnormen auf einer offenkundigen und erheblichen Überschreitung der Grenzen des weiten Ermessens beruhen, über das die Bank bei der Ausübung ihrer Befugnisse im Bereich der Geldpolitik verfügt. Dies gilt umso mehr, als es bei der Ausübung dieses Ermessens zum einen darum geht, dass die Bank komplexe und ungewisse Entwicklungen vorhersehen und bewerten muss, wie die Entwicklung der Finanzmärkte, der Geldmenge und der Inflationsrate, die das ordnungsgemäße Funktionieren des Eurosystems und der Zahlungs- und Kreditsysteme beeinflussen, und zum anderen darum, dass politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen getroffen werden, die es erforderlich machen, die in Art. 127 Abs. 1 AEUV genannten unterschiedlichen Ziele, deren Hauptziel die Aufrechterhaltung der Preisstabilität ist, gegeneinander abzuwägen und miteinander zu versöhnen.

Was ferner die Rechtsetzungstätigkeit der Organe einschließlich des Erlasses von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung durch die Bank angeht, so erklärt sich die enge Konzeption der Haftung der Union wegen Wahrnehmung der genannten Rechtsetzungstätigkeit durch die Erwägung, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit selbst dann, wenn die Rechtmäßigkeit der Rechtsakte gerichtlicher Kontrolle unterliegt, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn das allgemeine Interesse der Union den Erlass normativer Maßnahmen gebietet, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können, und dass auf einem Rechtsetzungsgebiet, das durch ein für die Durchführung einer Unionspolitik unerlässliches weites Ermessen gekennzeichnet ist, die Haftung der Union nur dann ausgelöst werden kann, wenn das betreffende Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten hat.

(vgl. Rn. 67-69)

5.      Jeder, bei dem ein Unionsorgan begründete Erwartungen geweckt hat, kann sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen. Das Recht, sich auf diesen Grundsatz zu berufen, ist jedoch an drei kumulative Voraussetzungen gebunden. Erstens muss die Unionsverwaltung dem Betroffenen präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite gegeben haben. Zweitens müssen diese Zusicherungen geeignet sein, bei dem Adressaten begründete Erwartungen zu wecken. Drittens müssen die gegebenen Zusicherungen den geltenden Vorschriften entsprechen. Ferner steht zwar die Möglichkeit, sich auf den Vertrauensschutz als tragenden Grundsatz des Unionsrechts zu berufen, jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, bei dem ein Organ begründete Erwartungen geweckt hat, jedoch kann sich ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer, wenn er in der Lage ist, den Erlass einer Maßnahme der Union, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen. Des Weiteren können die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die die Unionsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können, was insbesondere auf einem Gebiet wie dem der Geldpolitik gilt, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt

(vgl. Rn. 75, 76)

6.      2010 und 2011 gemachte öffentliche Erklärungen bestimmter Mitglieder der Europäischen Zentralbank können keine präzisen, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite darstellen, die bei den privaten Gläubigern, die Inhaber von griechischen Schuldtiteln sind, berechtigte Erwartungen wecken konnten, dass eine eventuelle Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld ausgeschlossen sei. In Anbetracht erstens ihres allgemeinen Charakters, zweitens des Umstands, dass der Bank für Entscheidungen über eine eventuelle Umstrukturierung der Staatsschuld eines Mitgliedstaats, bei dem ein selektiver Zahlungsausfall eintritt, die Zuständigkeit fehlte, und drittens der damals auf den Finanzmärkten herrschenden Unsicherheit insbesondere hinsichtlich der weiteren Entwicklung der finanziellen Situation der Hellenischen Republik konnten diese Erklärungen nämlich nicht als präzise und an keine Bedingungen geknüpfte Zusicherungen von zuständiger und zuverlässiger Seite eingestuft werden, und schon gar nicht hinsichtlich des eventuellen Ausbleibens einer Entscheidung dieses Mitgliedstaats über eine solche Umstrukturierung.

Obwohl nämlich die Bank an der Überwachung der Entwicklung der Finanzlage der Hellenischen Republik im Rahmen der aus ihr, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Kommission bestehenden Troika beteiligt war, war sie für die Entscheidung über eine solche Maßnahme nicht zuständig, die in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, in die Souveränität und die Haushaltshoheit des betreffenden Mitgliedstaats fällt, insbesondere in seine Gesetzgebungsbefugnis und in gewissem Maße unter die Koordinierung der Wirtschaftspolitik durch die Mitgliedstaaten gemäß den Art. 120 ff. AEUV. Unter diesen Umständen muss der Widerstand gegen diese Umstrukturierung, wie ihn die jeweiligen Präsidenten der Bank in einem Klima zunehmender Unsicherheit bei den Akteuren der Finanzmärkte wiederholt öffentlich zum Ausdruck brachten, in seiner Bedeutung als rein wirtschaftspolitisch verstanden werden. Damit sollten die genannten Akteure zum einen vor einer weiteren Verschlechterung der damaligen Wirtschaftslage oder gar einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit der Hellenischen Republik gewarnt werden, deren potenziell ausfallende Schuldtitel nicht mehr im Rahmen von Kreditgeschäften des Eurosystems akzeptiert werden könnten, und zum anderen vor den Risiken, die eine solche Entwicklung für die Stabilität des Finanzsystems und das Funktionieren des Eurosystems in seiner Gesamtheit bedeuten könnte. Hinzu kommt, dass der Widerstand der jeweiligen Präsidenten der Bank von der Klarstellung begleitet war, dass die Bank, falls es gleichwohl zu einem solchen Ausfall kommen sollte und die betreffenden Mitgliedstaaten eine Umstrukturierung der Staatsschuld beschließen sollten, verlangen würde, dass diese Umstrukturierung zum Schutz ihrer Integrität und zur Erhaltung der Stabilität und des Vertrauens der Finanzmärkte durch ausreichende Sicherheiten gestützt würde. Hieraus ergibt sich, dass die Bank auch keine berechtigten Erwartungen dahin gehend geweckt hat, dass sie ihren Widerstand aufrechterhalten werde, wenn die betreffenden Mitgliedstaaten anders entscheiden und eine Umstrukturierung beschließen sollten, oder dass sie gegebenenfalls rechtlich in der Lage sein werde – was tatsächlich nicht der Fall ist –, ein solches Vorgehen zu verhindern.

Ferner ist der Erwerb staatlicher Schuldtitel durch einen Anleger per definitionem eine Transaktion, die ein gewisses finanzielles Risiko birgt, da er den Unwägbarkeiten der Finanzmärkte unterliegt. In Anbetracht der Wirtschaftslage der Hellenischen Republik und der Unsicherheiten, denen sie damals ausgesetzt war, können die Anleger, die griechische Schuldtitel in der Zeit erworben haben, in der die Finanzkrise der Hellenischen Republik auf ihrem Höhepunkt war, jedoch nicht behaupten, sie hätten als umsichtige und besonnene Wirtschaftsteilnehmer gehandelt, die sich auf das Bestehen berechtigter Erwartungen berufen könnten. Vielmehr war angesichts dieser öffentlichen Erklärungen der Bank davon auszugehen, dass die Anleger die höchst instabile Wirtschaftslage, die die Wertschwankungen der von ihnen erworbenen griechischen Schuldtitel bestimmte, sowie das erhebliche Risiko einer wenn auch nur selektiven Zahlungsunfähigkeit der Hellenischen Republik kannten. Zudem hätte ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer, der Kenntnis von diesen öffentlichen Erklärungen hatte, das Risiko einer Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld angesichts der unterschiedlichen Sichtweisen, die insoweit in den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und den anderen beteiligten Einrichtungen wie der Kommission, dem IWF und der Bank herrschten, nicht ausschließen können.

(vgl. Rn. 78, 79, 81, 82)

7.      Nach dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung dürfen vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleich behandelt werden, sofern dies nicht objektiv gerechtfertigt ist. Die Vergleichbarkeit verschiedener Situationen ist in Anbetracht aller Merkmale zu beurteilen, die sie kennzeichnen. Diese Merkmale sind u. a. im Licht des Gegenstands und des Ziels der Unionsmaßnahme, die die fragliche Unterscheidung einführt, zu bestimmen und zu beurteilen. Außerdem sind die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen, in den diese Maßnahme fällt.

Insoweit befinden sich private Anleger, die griechische Schuldtitel allein in ihrem privaten Vermögensinteresse gekauft hatten, unabhängig von dem genauen Grund ihrer Anlageentscheidung in einer anderen Situation als die Zentralbanken des Eurosystems, die in Wahrnehmung ihrer grundlegenden Aufgaben nach Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV in Verbindung mit Art. 282 Abs. 1 AEUV und insbesondere nach Art. 18 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank ebenfalls solche Titel mit dem Ziel, die Preisstabilität und die ordnungsgemäße Führung der Geldpolitik zu gewährleisten, und in den durch die Bestimmungen des Beschlusses 2010/81 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte vorgegebenen Grenzen gekauft haben. Da die in Rede stehenden Situationen nicht vergleichbar sind, können der Abschluss und die Durchführung einer Vereinbarung über den Umtausch der von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken des Eurosystems gehaltenen griechischen Schuldtitel, um zu verhindern, dass sich die Letztgenannten an der Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld beteiligen, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung darstellen.

Ebenso befinden sich die privaten Anleger und die Zentralbanken des Eurosystems angesichts der Auswirkungen, die die Wirkungen der Herabstufung des Wertes ihrer Schuldtitel auf die europäische Wirtschaft hätten, auch nicht in vergleichbaren Situationen. In Anbetracht des Gesamtwerts der von den Zentralbanken erworbenen und gehaltenen griechischen Schuldtitel hätte nämlich die eventuelle Beteiligung der Zentralbanken an der Umstrukturierung der Staatsschuld eines Mitgliedstaats des Euro-Währungsgebiets unabhängig davon, ob sie im Hinblick auf Art. 123 AEUV rechtswidrig gewesen wäre, die finanzielle Integrität des Eurosystems in seiner Gesamtheit und insbesondere seine Fähigkeit, nach Art. 18 Abs.1 erster und zweiter Gedankenstrich des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank auf den Finanzmärkten tätig zu werden und die Kreditinstitute zu refinanzieren, beeinträchtigen können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die staatlichen Schuldtitel zugleich Sicherheiten darstellen, die die Zentralbanken normalerweise für Kreditgeschäfte innerhalb des Eurosystems und für die Sicherung der Liquidität der nationalen Kreditinstitute akzeptieren. Hieraus folgt, dass auch eine Rüge zurückzuweisen ist, wonach sich die Bank und die nationalen Zentralbanken des Eurosystems unter dem Vorwand ihrer geldpolitischen Aufgaben zulasten des privaten Sektors den Status eines privilegierten Gläubigers vorbehalten hätten.

Die Begründung des angeblichen privilegierten Gläubigerstatus der Zentralbanken des Eurosystems durch den Abschluss und die Durchführung der genannten Tauschvereinbarung, um der Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld zu entgehen, kann außerdem nicht als missbräuchlich oder die Grenzen der Zuständigkeiten der Bank überschreitend angesehen werden. Diese Maßnahmen fügten sich vielmehr in den Rahmen der Ausübung ihrer Zuständigkeiten und grundlegenden Aufgaben ein, da sie gerade den Spielraum der Zentralbanken aufrechterhalten und das kontinuierliche ordnungsgemäße Funktionieren des Eurosystems gewährleisten sollten. Die genannte Tauschvereinbarung sollte insoweit verhindern, dass sich die Zentralbanken des Eurosystems an der Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld beteiligen, indem sie einen Teil des Wertes der griechischen Schuldtitel, die sich in ihrem jeweiligen Portefeuille befanden, aufgeben. Eine solche unbedingte Beteiligung der Zentralbanken an dieser Umstrukturierung wäre jedoch gerade Gefahr gelaufen, als eine nach Art. 123 AEUV verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie der unmittelbare Erwerb staatlicher Schuldtitel durch die Zentralbanken eingestuft zu werden.

(vgl. Rn. 87, 88, 92, 93, 108, 114)

8.      Die Tatsache, dass Art. 1 ihres Beschlusses 2012/153 über die Notenbankfähigkeit der von der griechischen Regierung begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel im Rahmen des Angebots der Hellenischen Republik zum Schuldentausch eine Verpflichtung der Hellenischen Republik vorsah, zugunsten der nationalen Zentralbanken ein Collateral Enhancement in Form eines Ankaufprogramms zur Untermauerung der Bonität der griechischen Schuldtitel bereitzustellen, kann keine der Europäischen Zentralbank anzulastende Ungleichbehandlung zum Nachteil der privaten Anleger darstellen. Indem nämlich mit dieser Verpflichtung nur sichergestellt werden sollte, dass die Zentralbanken auch weiterhin die griechischen Schuldtitel als angemessene Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems im Sinne von Art. 18 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Bank akzeptieren können, sicherte die genannte Verpflichtung somit den Erhalt des Spielraums der Zentralbanken des Eurosystems im Sinne von Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV in Verbindung mit Art. 282 Abs. 1 AEUV und Art. 18 Abs. 1 erster und zweiter Gedankenstrich des Protokolls über die Satzung und betraf damit eine Situation, die mit der Situation der privaten Anleger nicht vergleichbar war. Da nämlich die privaten Anleger griechische Schuldtitel ausschließlich zu privaten Zwecken erworben und gehalten hatten, befanden sie sich in einer anderen Situation als die Zentralbanken des Eurosystems, die mit den Befugnissen und Pflichten gemäß den vorgenannten Vorschriften ausgestattet sind. Die Kläger konnten daher nicht nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz ein vergleichbares Programm für den Rückkauf ihrer Schuldtitel durch den griechischen Staat verlangen.

Diese Maßnahme kann insoweit nicht als missbräuchlich oder die Grenzen der Zuständigkeiten der Bank überschreitend angesehen werden, sondern so, dass sie sich in den Rahmen der Ausübung ihrer Zuständigkeiten und grundlegenden Aufgaben einfügten, da sie gerade den Spielraum der Zentralbanken aufrechterhalten und das kontinuierliche ordnungsgemäße Funktionieren des Eurosystems gewährleisten sollten.

(vgl. Rn. 94, 108)

9.      Die sogenannte Gleichrangigkeitsklausel (par condicio creditorum bzw. pari passu), wonach Gläubiger bei der Zahlung unabhängig von ihrer Stellung gleichzubehandeln sind, gibt es in der Unionsrechtsordnung nicht. Die Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren stellt insoweit erhebliche Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen fest, zu denen auch die bevorzugte Behandlung der Gläubiger gehört, und beschränkte sich im Interesse insbesondere der Koordinierung der Erlösverteilung auf die Formulierung einheitlicher Kollisionsnormen, um die Gleichbehandlung der Gläubiger möglichst weitgehend sicherzustellen.

Da im Übrigen eine Regel, die Gleichrangigkeit verlangt, eine Gleichbehandlung der Gläubiger zur Folge hätte, ohne dass den unterschiedlichen Situationen Rechnung getragen würde, in denen sich insbesondere die privaten Anleger auf der einen Seite und die Zentralbanken des Eurosystems, die in Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 127 AEUV und Art. 18 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank handeln, auf der anderen Seite befinden, könnte die Anerkennung einer solchen Regel in der Unionsrechtsordnung gegen den in Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Infolgedessen kann eine Gleichrangigkeitsklausel nur rechtsverbindlich sein, wenn sie in den Rahmen der vertraglichen Klauseln einschließlich derjenigen, die sich auf die Emission und den Verkauf staatlicher Schuldtitel beziehen, aufgenommen wird, die das Verhältnis zwischen dem Emittenten und Schuldner und dem Inhaber und Gläubiger einer Schuldverschreibung regeln.

(vgl. Rn. 98-101)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 106)

11.    Was die außervertragliche Haftung der Europäischen Zentralbank nach Art. 340 Abs. 3 AEUV für rechtmäßiges Handeln angeht, das in den Bereich der Rechtsetzungszuständigkeit der Union fällt, erlaubt es die vergleichende Prüfung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht, das Bestehen einer außervertraglichen Haftung der Union für die rechtmäßige Ausübung ihrer Tätigkeiten, die in den Bereich der Rechtsetzung fallen, anzuerkennen. Allein aus diesem Grund ist daher ein Antrag auf Schadensersatz zurückzuweisen, soweit er die in Ausübung ihrer normativen Entscheidungsbefugnisse erlassenen Rechtsakte der Bank mit allgemeiner Geltung wie ihren Beschluss 2012/153 über die Notenbankfähigkeit der von der griechischen Regierung begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel im Rahmen des Angebots der Hellenischen Republik zum Schuldentausch oder die Weigerung der Bank betrifft, solche Rechtsakte zu erlassen.

Falls der Grundsatz einer solchen Haftung anerkannt würde, würde die Haftung der Bank überdies das Vorliegen eines außergewöhnlichen und besonderen Schadens voraussetzen. Ein Schaden ist außergewöhnlich, wenn er die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betreffenden Wirtschaftssektor innewohnen, überschreiten würde, und ist als besonders zu qualifizieren, wenn er eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern unverhältnismäßig belastet. Dies ist nicht der Fall bei einem Schaden, der in der Herabstufung des Wertes von griechischen Schuldtiteln besteht, zu der es bei der Durchführung des Angebots zum Tausch griechischer Schulden im Rahmen der Beteiligung der Privatanleger und eines vom griechischen Recht vorgesehenen Verfahrens kam, durch das der Tausch von Schuldtiteln für alle betroffenen Privatanleger verbindlich wurde. Dieser Schaden überschreitet nämlich nicht die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Geschäftstätigkeit im Finanzsektor innewohnen, insbesondere den Transaktionen mit von einem Staat ausgegebenen marktfähigen Schuldtiteln, vor allem, wenn dieser Staat ein herabgestuftes Rating aufweist. Unabhängig von dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder Gläubiger das Risiko der Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners – auch wenn dieser ein Staat ist – tragen muss, finden solche Transaktionen vielmehr auf besonders instabilen Märkten statt, die oftmals nicht kontrollierbaren Unwägbarkeiten und Risiken in Bezug auf Wertverlust oder Wertsteigerung der Schuldtitel ausgesetzt sind, was Anlass sein kann, zu spekulieren, um innerhalb sehr kurzer Zeit hohe Renditen zu erzielen. Selbst wenn man unterstellt, dass nicht alle Wirtschaftsteilnehmer, die den Ersatz dieses Schadens verlangen, spekulative Transaktionen getätigt haben, mussten ihnen daher die Unwägbarkeiten und Risiken eines eventuellen erheblichen Wertverlustes der erworbenen Schuldtitel bewusst sein. Dies gilt umso mehr, als sich der betreffende Mitgliedstaat, der Emittent der Schultitel, schon vor dem Beginn seiner Finanzkrise 2009 einer hohen Verschuldung und einem hohem Defizit ausgesetzt sah. Demgemäß kann der entstandene Schaden nicht als außergewöhnlich eingestuft werden.

Der Schaden kann auch nicht als ein besonderer Schaden eingestuft werden, da die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer wie alle anderen privaten Anleger, allerdings mit Ausnahme der Zentralbanken des Eurosystems, dem freiwilligen Tausch von Schuldtiteln mit Beteiligung des Privatsektors und dem Abschlagsmechanismus aufgrund des nationalen Rechts ausgesetzt waren. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der großen Zahl betroffener Anleger, die von dem genannten nationalen Recht allgemein und objektiv anhand insbesondere der Kennnummern der betreffenden Schuldtitel bestimmt wurden, können die Wirtschaftsteilnehmer, die den Ersatz dieses Schadens verlangen, daher nicht als einer besonderen Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern zugehörig angesehen werden, die gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern unverhältnismäßig belastet waren.

(vgl. Rn. 119-122)