Language of document : ECLI:EU:T:2004:108

Rechtssache T‑172/01

M

gegen

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

„Geschiedener Ehegatte eines inzwischen verstorbenen ehemaligen Mitglieds eines Gemeinschaftsorgans – Unterhalt – Mündliche Vereinbarung der früheren Eheleute – Auf die Voraussetzungen für die Form der Vereinbarung und auf die Zulässigkeit der Beweisführung über ihr Bestehen anwendbares Recht (Artikel 27 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften)“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsrecht – Auslegung – Grundsätze – Autonome Auslegung – Grenzen – Spezifische Verweisungen auf das Recht der Mitgliedstaaten

(Beamtenstatut, Anhang VIII, Artikel 27 Absatz 1; Verordnung Nr. 422/67, Nr. 5/67 des Rates, Artikel 15 Absatz 7)

2.      Beamte – Versorgung – Hinterbliebenenversorgung – Durch Vereinbarung zwischen den ehemaligen Ehegatten festgelegte Unterhaltszahlung – Voraussetzung der Wirksamkeit – Beurteilung nach dem geltenden nationalen Recht

(Beamtenstatut, Anhang VIII, Artikel 27 Absatz 1)

3.      Beamte – Versorgung – Hinterbliebenenversorgung – Bestehen einer mündlichen Vereinbarung, durch die eine Unterhaltszahlung nach einer Scheidung festgelegt wird – Zulässigkeit der Arten des Beweises – Anwendung des nationalen Rechts, der Verfahrensordnung und der für die Beweisführung geltenden allgemeinen Grundsätze

(Beamtenstatut, Anhang VIII, Artikel 27 Absatz 1)

1.      Den Begriffen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die wie Artikel 27 Absatz 1 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften, der im vorliegenden Fall aufgrund der Verweisung auf diese Vorschrift in Artikel 15 Absatz 7 der Verordnung Nr. 422/67, Nr. 5/67 über die Regelung der Amtsbezüge für den Präsidenten und die Mitglieder der Kommission sowie für den Präsidenten, die Richter, die Generalanwälte und den Kanzler des Gerichtshofes anwendbar ist, für die Erläuterung ihres Sinnes und ihrer Tragweise nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome Auslegung zu geben, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zieles zu ermitteln ist.

Selbst wenn eine solche ausdrückliche Verweisung fehlt, kann jedoch die Anwendung des Gemeinschaftsrechts eine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten einschließen, wenn der Gemeinschaftsrichter dem Gemeinschaftsrecht oder den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts keine Anhaltspunkte entnehmen kann, die es ihm erlauben, Inhalt und Tragweite einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift durch eine autonome Auslegung zu ermitteln

(vgl. Randnrn. 70-71)

2.      Der Begriff „Unterhaltszahlung …, die … durch Vereinbarung zwischen den ehemaligen Ehegatten festgelegt wurde“ im Sinne von Artikel 27 Absatz 1 des Anhangs VIII des Statuts kann nicht Gegenstand einer autonomen gemeinschaftlichen Auslegung sein. Der Begriff der zwischen früheren Ehegatten aufgrund ihrer Scheidung vereinbarten Unterhaltsverpflichtung gehört vielmehr zu den vermögensrechtlichen Folgen, die sich aus dem auf der Grundlage der Vorschriften des anwendbaren Zivilrechts erlassenen Scheidungsurteil ergeben.

Die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Vereinbarung über die Unterhaltszahlung zugunsten des geschiedenen Ehegatten eines Bediensteten der Gemeinschaft oder eines ehemaligen Mitglieds eines Gemeinschaftsorgans sind daher grundsätzlich nach dem Recht zu bestimmen, das die Wirkung der Scheidung regelt.

(vgl. Randnrn. 72-73)

3.      Zwar gilt für die Zulässigkeit der Arten des Nachweises des Bestehens einer mündlichen Vereinbarung, mit der wegen der Scheidung der früheren Eheleute eine Unterhaltszahlung zugunsten der geschiedenen Ehefrau zu Lasten des Verstorbenen festgelegt wird, das nationale Recht, doch hat das Gericht, bei dem eine Klage gegen die Ablehnung der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung anhängig ist, die sich aus der Anwendung des Artikels 27 Absatz 1 des Anhangs VIII des Statuts ergeben soll, zur Gewährleistung einer richtigen Anwendung dieser Vorschrift zu prüfen, ob die nach innerstaatlichem Recht vorgeschriebenen Kriterien erfüllt sind.

Diese Verpflichtung setzt die Beachtung der Vorschriften der Verfahrensordnung des Gerichts und der für die Beweisführung geltenden allgemeinen Grundsätze voraus, insbesondere was die Zulässigkeit der Beweisarten und demzufolge des Zeugenbeweises, die Modalitäten der Vernehmung der geladenen Zeugen und die Würdigung angeht, die den von diesen gemachten tatsächlichen Angaben zu geben ist. Wie jedes Rechtsprechungsorgan muss das Gericht seine Befugnisse gemäß den Vorschriften ausüben, die ihm diese Befugnisse verleihen.

(vgl. Randnrn. 87-88)