Language of document : ECLI:EU:T:2006:221

Rechtssache T-114/06 R

Globe SA

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Öffentliche Aufträge – Gemeinschaftliches Ausschreibungsverfahren – Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – Fumus boni iuris – Dringlichkeit“

Leitsätze des Beschlusses

1.      Vorläufiger Rechtsschutz – Einstweilige Anordnungen – Voraussetzungen – Dringlichkeit – „Fumus boni iuris“ – Kumulative Voraussetzungen – Abwägung sämtlicher betroffener Belange

(Artikel 243 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 104 § 2)

2.      Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung einer Entscheidung auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens

(Artikel 242 EG)

3.      Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung einer Entscheidung auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens

(Artikel 242 EG)

4.      Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung einer Entscheidung auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens

(Artikel 242 EG)

1.      Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen die Anträge auf einstweilige Anordnung den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt. Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor. Außerdem verfügt der Richter der einstweiligen Anordnung im Rahmen dieser Gesamtprüfung über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt.

(vgl. Randnrn. 26-27)

2.      Zwar darf durch die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht den Maßnahmen vorgegriffen werden, die die Kommission zur Umsetzung eines etwaigen Nichtigkeitsurteils ergreifen könnte, aber der allgemeine Grundsatz des Anspruchs auf umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verlangt, dass dem Einzelnen vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn dieser für die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung erforderlich ist, um eine Lücke in dem von den Gemeinschaftsgerichten gewährten Rechtsschutz zu verhindern.

Im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ist daher zu prüfen, ob der vom Antragsteller geltend gemachte Schaden nach dem Erlass eines etwaigen Nichtigkeitsurteils durch die Möglichkeit, dass die Kommission ein neues Ausschreibungsverfahren durchführt, ersetzt werden kann, und, für den Fall, dass dies nicht zutrifft, ob der Antragsteller entschädigt werden kann.

(vgl. Randnrn. 104-105, 107)

3.      Hat ein Antragsteller die Chance verloren, einen Auftrag zu erhalten, der Gegenstand eines gemeinschaftlichen Ausschreibungsverfahrens war, und ist es sehr schwer oder sogar unmöglich, diese Chance zu beziffern und folglich den mit dem Verlust dieser Chance verbundenen Schaden mit hinreichender Genauigkeit zu bewerten, kann der Verlust als durch Wertersatz kaum wieder gutzumachender Schaden angesehen werden. Dasselbe gilt, wenn es im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls sehr schwer ist, den Wert eines Wettbewerbsvorteils zu beziffern und folglich mit hinreichender Genauigkeit den Schaden zu bewerten, der mit dem Verlust der Chance, diesen Vorteil zu erhalten, verbunden ist.

(vgl. Randnrn. 118, 127)

4.      Der Verlust der Chance, einen öffentlichen Auftrag zu erhalten und auszuführen, ergibt sich zwangsläufig aus dem Ausschluss vom fraglichen Ausschreibungsverfahren und kann nicht als solcher, unabhängig von einer konkreten Würdigung der Schwere der im Einzelfall behaupteten spezifischen Schmälerung der Rechte, einen schweren Schaden darstellen. Folglich würde im Fall eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags der Verlust einer Chance, den fraglichen Auftrag zu erhalten und auszuführen, dann einen schweren Schaden darstellen, wenn der Antragsteller rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass er aus der Vergabe und der Ausführung des Auftrags im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens hinreichend bedeutende Vorteile hätte ziehen können.

Handelt es sich bei einem Antragsteller um ein Unternehmen, ist die Schwere eines materiellen Schadens auch anhand etwa der Größe dieses Unternehmens zu bewerten; jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schwere des Schadens auch anhand anderer Kriterien bewertet werden muss, so etwa daran, wie schwer die Marktanteile des Unternehmens beeinträchtigt würden oder ob sich seine Wettbewerbsstellung ändern würde.

(vgl. Randnrn. 131-132, 134-135)