Language of document : ECLI:EU:T:2013:487

BESCHLUSS DES GERICHTS (Rechtsmittelkammer)

10. September 2013(*)

„Verfahren – Wiederaufnahmeantrag – Keine neue Tatsache – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑199/11 P‑REV

Guido Strack, wohnhaft in Köln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. Tettenborn,

Antragsteller im Wiederaufnahmeverfahren,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch J. Currall und B. Eggers als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur,

Beklagte im abgeschlossenen Rechtsstreit,

wegen Wiederaufnahme des mit Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2012, Strack/Kommission (T‑199/11 P), abgeschlossenen Verfahrens

erlässt

DAS GERICHT (Rechtsmittelkammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter J. Azizi und S. Papasavvas (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt, Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

1        Der Antragsteller, Herr Guido Strack, ist ein ehemaliger Beamter der Europäischen Kommission, der am 1. April 2005 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde.

2        Er erhob 2007 beim Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union eine Klage, die zum einen auf die Aufhebung der Entscheidungen der Kommission vom 20. Juli und vom 9. November 2007 sowie der stillschweigenden Entscheidungen vom 9. August und vom 11. September 2007 gerichtet war, mit denen seine am 9. April, am 11. Mai und am 11. Oktober 2007 gestellten Anträge, ihm die Veröffentlichung verschiedener Dokumente und ihre Verwendung im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen bestimmte Mitglieder und Beamte der Kommission zu gestatten, abgelehnt wurden, und zum anderen auf den Ersatz der Schäden, die ihm durch diese Entscheidungen entstanden sein sollen.

3        Mit Urteil vom 20. Januar 2011, Strack/Kommission (F‑132/07, im Folgenden: Urteil vom 20. Januar 2011), wies das Gericht für den öffentlichen Dienst die Aufhebungsanträge als unzulässig zurück und die Klage insgesamt ab.

4        Der Antragsteller legte gegen das Urteil vom 20. Januar 2011 beim Gericht ein Rechtsmittel ein, das unter dem Aktenzeichen T‑199/11 P in das Register eingetragen wurde.

5        Mit Urteil vom 13. Dezember 2012, Strack/Kommission (T‑199/11 P, im Folgenden: Urteil vom 13. Dezember 2012), wies das Gericht das Rechtsmittel des Antragstellers insgesamt zurück.

6        Mit Schriftsatz, der am 13. März 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller gemäß Art. 44 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 125 der Verfahrensordnung des Gerichts einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil vom 13. Dezember 2012 abgeschlossenen Verfahrens gestellt.

7        Mit Schriftsatz, der am 26. April 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission zu diesem Antrag Stellung genommen.

8        Der Antragsteller beantragt,

–        festzustellen, dass der Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil vom 13. Dezember 2012 abgeschlossenen Verfahrens zulässig ist;

–        das Urteil vom 13. Dezember 2012 im Hinblick auf die irrtümlich aufgrund falscher Tatsachenbeurteilung des Gerichts erfolgte Zurückweisung der achten Rüge des siebten Rechtsmittelgrundes in den Randnrn. 100 und 101 dahin gehend abzuändern, dass dieser Rüge und insoweit auch dem siebten Rechtsmittelgrund stattgegeben und der Tenor des Urteils entsprechend der Anträge aus der Klageschrift und der Rechtsmittelschrift dahin gehend abgeändert wird, dass dem Rechtsmittel teilweise stattgegeben wird und die Entscheidung der Kommission, den Antrag vom 11. Mai 2007 abzulehnen, aufgehoben und diese zur Tragung der Kosten verurteilt wird;

–        die Kommission zur Tragung der Kosten des vorliegenden Verfahrens zu verurteilen.

9        Die Kommission beantragt,

–        den Wiederaufnahmeantrag für unzulässig zu erklären;

–        dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

10      Nach Art. 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist; dieser Artikel gilt für alle beim Gericht anhängig gemachten Rechtsbehelfe einschließlich außerordentlicher Rechtsbehelfe, zu denen der Wiederaufnahmeantrag gehört (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichts vom 26. März 1992, BASF/Kommission, T‑4/89 REV, Slg. 1992, II‑1591, Randnr. 17). Im vorliegenden Fall hält das Gericht die in den Akten enthaltenen Angaben für ausreichend und beschließt in Anwendung dieses Artikels, dass das Verfahren nicht fortzusetzen ist.

11      Zur Beurteilung der Zulässigkeit des vorliegenden Wiederaufnahmeantrags ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 44 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, die Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann beantragt werden kann, wenn eine oder mehrere Tatsachen von entscheidender Bedeutung bekannt werden, die vor Verkündung des Urteils dem angerufenen Gericht und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt waren. Nach Art. 44 Abs. 2 kann dieses Gericht die Sache nur dann inhaltlich prüfen, wenn es das Vorliegen der neuen Tatsache feststellt, ihr die für die Eröffnung des Wiederaufnahmeverfahrens erforderlichen Merkmale zuerkennt und deshalb den Antrag für zulässig erklärt.

12      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wiederaufnahme kein Rechtsmittel, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt das Bekanntwerden von Tatsachen voraus, die vor der Verkündung des Urteils eingetreten waren, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, hätte es sie berücksichtigen können, möglicherweise veranlasst hätten, den Rechtsstreit anders als geschehen zu entscheiden. Ferner sind aufgrund des Ausnahmecharakters des Wiederaufnahmeverfahrens die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Verfahrens eng auszulegen (vgl. Beschluss des Gerichts vom 16. April 2012, de Brito Sequeira Carvalho/Kommission, T‑40/07 P‑REV und T‑62/07 P‑REV, Randnr. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).

13      Im vorliegenden Fall stellt der Antragsteller die den „Prüfdaten“ der E‑Mail vom 11. Mai 2007 in Anhang 4 der Klageschrift vom Gericht beigemessene Aussagekraft in Abrede. Er führt aus, wie aus den als Anlagen zu seinem Antrag vorgelegten Unterlagen und Belegen hervorgehe, lasse sich diesen in Randnr. 100 des Urteils vom 13. Dezember 2012 angeführten Daten nicht entnehmen, dass der Vermerk vom 16. April 2004 der genannten E‑Mail nicht als Anhang beigefügt gewesen sei. Daher seien die Schlussfolgerungen des Gerichts zu diesem Punkt unzutreffend und stellten, da sie dem in Rede stehenden Urteil zeitlich vorangegangen seien, eine zuvor eingetretene Tatsache dar, deren Unrichtigkeit weder dem Antragsteller noch dem Gericht bekannt gewesen sei. Dagegen sei ihm bekannt gewesen, dass die E‑Mail vom 11. Mai 2007 tatsächlich das streitige Schriftstück als Anhang enthalten habe.

14      Außerdem trägt der Antragsteller vor, da die unzutreffenden Schlussfolgerungen des Gerichts zum Nichtvorhandensein eines Anhangs der genannten E‑Mail für den Ausgang des Rechtsstreits von entscheidender Bedeutung sein könnten, sei das Urteil vom 13. Dezember 2012 abzuändern, denn es gebe zum einen kein Argument mehr, aufgrund dessen davon ausgegangen werden könne, dass das Gericht für den öffentlichen Dienst den Sachverhalt nicht verfälscht habe, und zum anderen sei die Begründetheit der achten Rüge des siebten Rechtsmittelgrundes erwiesen.

15      Schließlich hält es der Antragsteller für den Fall, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte das Gericht nicht überzeugen sollten, für zweckmäßig, dass das Gericht in dem Umfang, den es für notwendig erachte, prozessleitende Maßnahmen oder eine Beweisaufnahme in Bezug darauf, dass die Kommission eine Kopie der an sie gerichteten E‑Mail vom 11. Mai 2007 vorlege, die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder die Ladung der Adressaten der genannten E‑Mail als Zeugen anordne.

16      Die Kommission hält den Wiederaufnahmeantrag für unzulässig, da das Gericht als Rechtsmittelinstanz nicht für die Tatsachenwürdigung zuständig sei.

17      Im vorliegenden Fall machte der Antragsteller mit der achten Rüge des siebten Rechtsmittelgrundes geltend, das Gericht für den öffentlichen Dienst habe in Randnr. 86 des Urteils vom 20. Januar 2011 einen Fehler begangen, als es davon ausgegangen sei, dass der Vermerk vom 16. April 2004 der E‑Mail vom 11. Mai 2007 nicht beigefügt gewesen sei. Das Gericht ist im Rechtsmittelverfahren in Randnr. 100 des Urteils vom 13. Dezember 2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gericht für den öffentlichen Dienst auf der Grundlage der Bestandteile der ihm vorgelegten Verfahrensakte die Beweise nicht verfälscht habe, und hat die in Randnr. 86 des Urteils vom 20. Januar 2011 enthaltene Feststellung bestätigt, dass der Antragsteller „hinsichtlich der Strafanzeigen gegen Beamte des Amts für Veröffentlichungen [der Europäischen Gemeinschaften] … lediglich angegeben [hat], diese hätten Straftatbestände erfüllt, die er in einem Vermerk vom 16. April 2004 dargelegt habe, wobei dieser Vermerk seinem Antrag [vom 11. Mai 2007] nicht einmal beigefügt war“.

18      Der vorliegende Wiederaufnahmeantrag richtet sich gegen ein Urteil, mit dem das Gericht das Rechtsmittel des Antragstellers gegen das im ersten Rechtszug ergangene Urteil vom 20. Januar 2011 insgesamt zurückgewiesen hat.

19      Dem Antragsteller war jedoch die in Randnr. 86 des Urteils vom 20. Januar 2011 getroffene Feststellung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, dass der Vermerk vom 16. April 2004 der E‑Mail vom 11. Mai 2007 nicht beigefügt gewesen sei, seit Verkündung dieses Urteils bekannt, so dass er nicht geltend machen kann, dass es sich um eine unbekannte Tatsache handele, deren Vorliegen ihm erst im Anschluss an das Rechtsmittelurteil des Gerichts bekannt geworden sei.

20      Daraus folgt, dass der Antragsteller zwecks Überprüfung der Tatsachenfeststellungen, auf die sich das Gericht des ersten Rechtszugs stützte, beim Gericht für den öffentlichen Dienst gemäß Art. 119 seiner Verfahrensordnung binnen drei Monaten nach dem Tag, an dem er Kenntnis von der Tatsache erhielt, auf die er seinen Wiederaufnahmeantrag stützt, einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil vom 20. Januar 2011 abgeschlossenen Verfahrens hätte stellen müssen, was er aber nicht getan hat.

21      Die geltend gemachte Verfälschung des Sachverhalts durch das Gericht für den öffentlichen Dienst, bei der es sich um eine Rechtsfrage handelt, die als solche der Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht unterliegt, setzt notwendigerweise voraus, dass dieser Sachverhalt dem Gericht für den öffentlichen Dienst unterbreitet wurde und ihm infolgedessen bei seiner Entscheidung bekannt war. Die für die Wiederaufnahme eines Verfahrens relevante Tatsache muss jedoch zwingend erst nach Verkündung des Urteils eingetreten sein, so dass mit ihr keinesfalls eine Verfälschung des Sachverhalts durch das Gericht des ersten Rechtszugs festgestellt werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 29. November 2007, Meister/HABM, C‑12/05 P‑REV, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 18 und 19).

22      Nach alledem ist der vorliegende Wiederaufnahmeantrag als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen, ohne dass das Vorbringen des Antragstellers zur Begründetheit seines Antrags geprüft zu werden braucht und ohne dass es einer Beweisaufnahme oder der Ladung von Zeugen bedarf.

 Kosten

23      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen der Europäischen Union und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst, wobei Art. 87 § 3 Abs. 2 der Verfahrensordnung unberührt bleibt; danach kann das Gericht einer Partei, auch wenn sie obsiegt hat, die Kosten auferlegen, die sie der Gegenpartei ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat.

24      In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles sind in Anwendung von Art. 87 § 3 Abs. 2 der Verfahrensordnung die Kosten, die der Kommission infolge der Stellung des Wiederaufnahmeantrags entstanden sind, als ohne angemessenen Grund verursacht anzusehen, da dieser Antrag in Wirklichkeit darauf abzielt, dass das Gericht die Tatsachen und infolgedessen die Richtigkeit des Urteils vom 20. Januar 2011, das mit dem Urteil vom 13. Dezember 2012 bestätigt wurde und inzwischen Rechtskraft erlangt hat, erneut würdigt.

25      Daher hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für angebracht, dem Antragsteller neben seinen eigenen Kosten auch die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Rechtsmittelkammer)

beschlossen:

1.      Der Wiederaufnahmeantrag wird als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen.

2.      Herr Guido Strack trägt seine eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

Luxemburg, den 10. September 2013

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      M. Jaeger


* Verfahrenssprache: Deutsch.