Language of document : ECLI:EU:C:2001:366

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

DÁMASO RUIZ-JARABO COLOMER

vom 28. Juni 2001 (1)

Rechtssache C-17/00

François De Coster

gegen

Collège des Bourgmestre et Échevins de Watermael-Boitsfort

(Vorabentscheidungsersuchen des Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-Capitale)

„Vorabentscheidungsverfahren - Begriff des einzelstaatlichen Gerichts - Zwingende Notwendigkeit einer Änderung der Rechtsprechung - Vorschlag für einen neuen Begriff des Gerichts - Freier Dienstleistungsverkehr - Auslegung von Artikel 49 EG - Kommunale Regelung, mit der eine jährliche Abgabe auf Parabolantennen eingeführt wird“

Inhaltsverzeichnis

     I - Die nationale Regelung und der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

I - 2

     II - Das Gemeinschaftsrecht

I - 3

     III - Die Vorlagefrage

I - 3

     IV - Die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Der Begriff des einzelstaatlichen Gerichts

I - 4

         1 - Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff des einzelstaatlichen Gerichts

I - 5

             A - Die allmähliche Lockerung des Erfordernisses der Unabhängigkeit der Einrichtung

I - 6

             B - Die Relativierung des Erfordernisses eines kontradiktorischen Verfahrens

I - 11

             C - Die dem Erfordernis des Rechtsprechungscharakters der das Verfahren abschließenden Entscheidung innewohnende Verworrenheit

I - 14

             D - Die Probleme, die dadurch verursacht werden, dass die Schiedsgerichte als Gerichte betrachtet werden

I - 18

             E - Die Erstreckung des Begriffes auf überseeische Gerichte, Einrichtungen, die nicht der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats angehören, und internationale Gerichte

I - 20

         2 - Die zwingende Notwendigkeit einer Änderung der Rechtsprechung

I - 21

             A - Die Rechtsunsicherheit, die das Fehlen einer Definition des Gerichtsbegriffs und die Schwankungen der Rechtsprechung hervorrufen

I - 21

             B - Die Gerichtseigenschaft der innerstaatlichen Einrichtung als zwingendes Erfordernis, das maßgebend für die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist

I - 23

             C - Die durch den Vertrag von Amsterdam eingeführten Änderungen bei der allgemeinen Behandlung des Vorabentscheidungsuntersuchens, insbesondere in Bezug auf die vorlageberechtigten einzelstaatlichen Gerichte

I - 24

             D - Die Reform, die durch die Ratifizierung des Vertrages von Nizza und die Verleihung von Vorabentscheidungszuständigkeiten an das Gericht erster Instanz eingeführt werden kann

I - 25

             E - Es ist angebracht, jede Anwendung des Gemeinschaftsrechts der Vorabentscheidungszuständigkeit des Gerichtshofes zu unterwerfen

I - 26

             F - Die störenden Wirkungen der Einbeziehung einer Verwaltungsstelle in einen Dialog zwischen Richtern

I - 27

         3 - Der Vorschlag für einen neuen Gerichtsbegriff für die Zwecke des Artikels 234 EG

I - 29

             B - Allgemeine Regel: Erfassung sämtlicher in die nationale Gerichtsbarkeit eingegliederter Einrichtungen durch den Begriff

I - 30

             C - Ausnahme: Die Einbeziehung von Einrichtungen in den Gerichtsbegriff, die nicht zur Gerichtsbarkeit gehören, aber in der nationalen Rechtsordnung das letzte Wort haben

I - 32

             D - Die Vorteile des Vorschlags

I - 37

         4 - Das Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-capitale

I - 39

     V - Untersuchung der Vorlagefrage

I - 46

         1 - Der diskriminierende Charakter der Abgabenverordnung

I - 48

         2 - Die Verordnung als Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr

I - 49

             A - Die Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs

I - 49

             B - Die fehlende Rechtfertigung

I - 50

     VI - Ergebnis

I - 52

1.
    Das Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-Capitale (Belgien) ersucht den Gerichtshof um Auslegung von Artikel 49 EG und der damit zusammenhängenden Vorschriften, um bestimmen zu können, ob diese einer kommunalen Regelung entgegenstehen, mit der eine jährliche Abgabe auf Parabolantennen eingeführt wird.

I - Die nationale Regelung und der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

2.
    Der Gemeinderat von Watermael-Boitsfort billigte in seiner Sitzung vom 24. Juni 1997 eine Abgabenverordnung, um das Eigentum an Parabolantennen(2) in den Abgabenjahren 1997 bis 2001 mit einer jährlichen Abgabe zu belegen (im Folgenden: Verordnung)(3).

3.
    Nach Artikel 2 der Verordnung betrug der Satz der Abgabe 5 000 BEF für jede Antenne, unabhängig von ihrer Größe. Die Abgabe wurde fällig, sobald die Antenne errichtet worden war, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Aufstellung im Laufe des Abgabenzeitraums.

4.
    Nach Artikel 3 wurde die Abgabe, für die der Eigentümer der Antenne Abgabenpflichtiger war(4), am 1. Januar jedes Jahres für das laufende Abgabenjahr fällig.

5.
    Am 10. Dezember 1998 legte Herr De Coster Einspruch gegen den Abgabenbescheid für das Abgabenjahr 1998 ein. Zur Begründung seines Einspruchs führte er unter Berufung auf Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel49 EG), der den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, und auf die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 (im Folgenden: Richtlinie)(5) an, dass die Abgabenverordnung am freien Empfang von Fernsehprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten hindere.

II - Das Gemeinschaftsrecht

6.
    Nach Artikel 49 EG sind die „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, ... verboten“.

7.
    Nach Artikel 50 Absatz 1 EG sind Dienstleistungen im Sinne dieses Vertrags Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.

8.
    Nach den Begründungserwägungen der Richtlinie stellt die Fernsehtätigkeit unter normalen Umständen eine Dienstleistung im Sinne des Vertrages dar. Daran schließt sich sogleich die Erwägung an, dass der freie Verkehr aller in der Regel gegen Entgelt erbrachten Dienstleistungen im Gemeinschaftsrecht unbeschadet ihres kulturellen Inhalts und ohne Beschränkungen für Angehörige der Mitgliedstaaten vorgesehen sei, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig seien.

Nach den Begründungserwägungen ist dieses Recht des freien Verkehrs in seiner Anwendung auf die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen eine spezifische gemeinschaftsrechtliche Ausprägung der Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie in Artikel 10 Absatz 1 der von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist. Nach alledem besteht der Zweck der Richtlinie nach den Begründungserwägungen darin, die Beschränkungen der Freiheit, innerhalb der Gemeinschaft Sendungen auszustrahlen, aufzuheben, da der Vertrag dies gebietet.

9.
    Nach Artikel 2 der Richtlinie gewährleisten die Mitgliedstaaten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die in Bereiche fallen, die mit dieser Richtlinie koordiniert sind.

III - Die Vorlagefrage

10.
    Am 9. Dezember 1999 hat das Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-Capitale folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 1 bis 3 der Verordnung über die Abgabe auf Parabolantennen, verabschiedet vom Gemeinderat von Watermael-Boitsfort in öffentlicher Sitzung am 24. Juni 1997, die eine Abgabe auf Parabolantennen einführten, mit den Artikeln 59 bis 66 des Vertrages vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vereinbar?

IV - Die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Der Begriff des einzelstaatlichen Gerichts

11.
    Die Kommission bringt Zweifel daran zum Ausdruck, ob das Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-Capitale ein „einzelstaatliches Gericht“ im Sinne von Artikel 234 EG darstellt, so dass ich mich gezwungen sehe, die Natur der Einrichtung, die das Vorabentscheidungsersuchen erlassen hat, eingehend zu untersuchen. Es handelt sich um eine Einrichtung, die sowohl bezüglich ihres Ursprungs als auch hinsichtlich ihrer Ausgestaltung einige sehr spezielle Merkmale hat, die ihre Einreihung anhand der bisher durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Verfügung gestellten Kriterien erschweren.

12.
    Nach Artikel 234 EG entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Vertrages und der Handlungen der Organe der Gemeinschaft. Artikel 234 Absatz 2 lautet: „Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.“

13.
    Der Vertrag definiert jedoch den Begriff des einzelstaatlichen Gerichts nicht. Auch der Gerichtshof hat dies nicht getan, sondern sich darauf beschränkt, einige Leitkriterien wie gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter und Unabhängigkeit, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Rechtsprechungscharakter der Entscheidung und Anwendung von Rechtsnormen aufgestellt(6).

14.
    Die Folge ist eine übermäßig flexible und der notwendigen Kohärenz entbehrende Rechtsprechung und der damit verbundene Mangel an Rechtssicherheit. Die tiefgreifenden Widersprüche zwischen den von den Generalanwälten in ihren Schlussanträgen vorgeschlagenen Lösungen und den Lösungen, die der Gerichtshof in seinen Urteilen angewandt hat, machen deutlich, dass es an einer Wegweisung fehlt, was die Gefahr des Abkommens vom rechten Weg hervorruft. Die Rechtsprechung ist kasuistisch, sehr dehnbar und wenigwissenschaftlich und hat derart verschwommene Umrisse, dass danach sogar eine Vorlagefrage zulässig wäre, die Sancho Pansa als Gouverneur der Insel Barataria vorgelegt wurde(7).

15.
    Im Folgenden möchte ich erläutern, wie der Weg von der Rechtssache Vaassen-Göbbels(8) bis zum Urteil Österreichischer Gewerkschaftsbund(9) verlaufen ist, und dann anregen, im vorliegenden Fall in Vollsitzung zu entscheiden.

1 - Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff des einzelstaatlichen Gerichts

16.
    Alles begann mit dem erwähnten Urteil Vaassen-Göbbels. Die Vorabentscheidungsfrage war von einem Schiedsgericht vorgelegt worden, das nicht der niederländischen Gerichtsorganisation angehörte, jedoch für Klagen gegen die Entscheidungen eines Sozialversicherungsträgers zuständig war. Der Gerichtshof stellte erstmals fünf der Kriterien auf, die er für maßgeblich für den Gerichtscharakter einer Einrichtung hält: gesetzliche Grundlage, ständiger Charakter, streitiges Verfahren, obligatorische Gerichtsbarkeit und Anwendung von Rechtsnormen(10).

17.
    Von diesem Urteil an hat der Gerichtshof in jedem Fall geprüft, ob die erwähnten Anforderungen erfüllt waren, sie herausgearbeitet und ergänzt sowie weitere, wie die Unabhängigkeit, hinzugefügt, die erstmals im Urteil Pretore di Salò(11) erwähnt und im Urteil Corbiau(12) bedingungslos übernommen worden ist. Es ist bezeichnend, dass das Kriterium der Unabhängigkeit, das im Profil eines Richters das Wichtigste zu sein hat, erst 1987 in einem Urteil des Gerichtshofes aufgetaucht ist.

18.
    Die Rechtsprechung ist in Bezug auf einige Erfordernisse, konkret die Einrichtung durch Gesetz, die Ständigkeit und die Anwendung von Rechtsnormen, unverändert geblieben. Andere, und gerade diejenigen, die ein Gericht am ehesten definieren, wie die unerlässliche Unabhängigkeit, der streitige Charakter des Verfahrens oder der Rechtsprechungscharakter der Entscheidung, sind allerdings in zumindest unbeständiger und manchmal verworrener Weise ausgelegt worden.

A - Die allmähliche Lockerung des Erfordernisses der Unabhängigkeit der Einrichtung

19.
    Obwohl bereits im Urteil Pretore di Salò auf die Unabhängigkeit als eines der Erfordernisse abgestellt worden ist, die erfüllt sein müssen, damit eine Einrichtung als Gericht im Sinne des Artikels 234 EG betrachtet werden kann, hat das Urteil Corbiau ihr erstmals einen wesentlichen eigenen Inhalt beigemessen, indem verlangt wurde, dass sie die Eigenschaft eines Dritten(13) gegenüber der Einrichtung hat, die die Entscheidung erlassen hat, die Gegenstand der Klage bildet(14).

20.
    Mit der gleichen Bestimmtheit hat der Gerichtshof in der Rechtssache Strafverfahren gegen X(15) entschieden, in der die Frage von der Procura dellaRepubblica vorgelegt worden war. Der Gerichtshof hat sich für unzuständig erklärt, da die Staatsanwaltschaft nicht die Voraussetzung der Unabhängigkeit erfüllte.

21.
    Im Urteil Dorsch Consult(16) hat der Gerichtshof diese Voraussetzung der Eigenschaft eines Dritten im Verhältnis zu den Parteien, über deren Streit entschieden wird, übergangen und das Hauptgewicht auf die Ausübung der Tätigkeit „unabhängig“(17) und „in eigener Verantwortung“(18) gelegt, was es ihm ermöglichte, dem deutschen Vergabeüberwachungsausschuss des Bundes Gerichtscharakter bei der Überwachung der Vergabe öffentlicher Aufträge beizumessen, obwohl er in die Organisationsstruktur des Bundeskartellamts und des Bundesministeriums für Wirtschaft eingegliedert ist(19).

22.
    Für den Gerichtshof war maßgebend, dass die wesentlichen Vorschriften des deutschen Richtergesetzes über die Nichtigkeit und Rücknahme der Berufung sowie über die Unabhängigkeit und Absetzbarkeit von Richtern für die Mitglieder des Bundesausschusses entsprechend galten(20).

23.
    Das Urteil Köllensperger und Atzwanger(21) ist der gleichen Linie gefolgt. Der Gerichtshof hat den Gerichtscharakter des Tiroler Landesvergabeamts (Österreich) geprüft und zwar eingeräumt, dass das dessen Rechtsstellung regelnde Gesetz eine zu vage Vorschrift über die Abberufung der Mitglieder und keine besonderen Vorschriften über die Ablehnung und Stimmenthaltung dieser Mitglieder enthielt(22), hat aber ausgeführt, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei, da das allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz sehr genaue Vorschriften über die Umstände enthalte, unter denen sich die Mitglieder des betroffenen Organs zuenthalten hätten, und weil das Gesetz jede Weisung gegenüber den Mitgliedern des Landesvergabeamts bei der Ausübung ihres Amtes untersage(23).

24.
    Dieses Urteil gibt nicht nur die Voraussetzung auf, dass die Einrichtung ein Dritter sein muss, sondern übergeht sogar das Fehlen von besonderen Bestimmungen, die die Unabhängigkeit der Mitglieder dieser Einrichtung gewährleisten sollen(24), und hält die allgemeinen Bestimmungen für ausreichend, die deren Unparteilichkeit oder gegebenenfalls die Unabhängigkeit der Mitglieder der Rechtsprechungseinrichtungen gewährleisten sollen.

25.
    Diese Argumentation steht meines Erachtens auf schwachen Füßen. Ein allgemeiner Grundsatz der Nichteinmischung in die Tätigkeit der staatlichen Verwaltungsorgane in Verbindung mit einer Pflicht zur Enthaltung genügt nicht, um die Unabhängigkeit desjenigen zu gewährleisten, der den Streit zu entscheiden hat(25). Vielmehr muss diese wesentliche Voraussetzung der Gerichtseigenschaft einer Einrichtung durch Bestimmungen gewährleistet sein, in denen klar und eindeutig die Gründe für die Enthaltung, die Ablehnung und die Absetzung ihrer Mitglieder festgelegt sein müssen(26).

26.
    Die allmähliche Lockerung, die bei der Rechtsprechung des Gerichtshofes in Bezug auf das Erfordernis der Unabhängigkeit zu beobachten ist, gipfelt im Urteil Gabalfrisa u. a.(27), in dem der Gerichtshof die Gerichtseigenschaft der spanischen Tribunales Económico-Administrativos zu untersuchen hatte, die nicht der Gerichtsbarkeit angehören, sondern organisatorisch in das Ministerium der Finanzen eingegliedert ist, d. h. gerade in die Verwaltung, die für die zu beurteilenden Handlungen verantwortlich ist.

27.
    Entgegen den Auffassungen der Lehre(28) und seines Generalanwalts hat der Gerichtshof ihnen die Eigenschaft des Gerichts eines Mitgliedstaats zuerkannt und der funktionalen Trennung zwischen der mit der Verwaltung, der Berechnung und der Einziehung der Abgaben betrauten Verwaltung und diesen Tribunales Económico-Administrativos, die über die gegen deren Entscheidungen eingelegten Einsprüche entscheiden, ohne Weisungen zu empfangen, ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.

28.
    Jedoch lässt sich, wie abermals Generalanwalt Saggio hervorgehoben hat, von diesen Umständen keine ausreichende Garantie für Unparteilichkeit herleiten. Die Mitglieder des Tribunal Económico-Administrativo sind Verwaltungsbeamte, die vom Minister ernannt werden, der über die Möglichkeit verfügt, sie abzusetzen, ohne dabei klar und abschließend im Gesetz aufgeführte Voraussetzungen beachten zu müssen. Daher lässt sich nicht behaupten, dass die Bestimmungen über dieTätigkeit der Einrichtung die Unabsetzbarkeit ihrer Mitglieder gewährleisten, und somit erscheint es zweifelhaft, dass sie über eine Unabhängigkeit verfügt, die es ihr erlaubt, rechtswidrigen Eingriffen und Zwängen vonseiten der Exekutive zu widerstehen.

Die Aufgabe der Tribunales Económico-Administrativos kann nicht als „richterlich“ qualifiziert werden; vielmehr weisen die bei ihnen eingelegten Einsprüche die Merkmale einer Verwaltungsbeschwerde auf, der von der Verwaltung selbst als Partei abgeholfen werden kann. Zum anderen unterliegen ihre Entscheidungen ausnahmslos der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte (was jede Gefahr für die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts beseitigt, da die letztgenannten Gerichte die Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof prüfen können).

Der Einspruch bei den Tribunales Económico-Administrativos erfüllt daher die typische Aufgabe der Verwaltungsbeschwerden, der Verwaltung die Möglichkeit zu geben, aufgrund eines kontradiktorischen Verfahrens mit Beteiligung der Betroffenen ihren endgültigen Standpunkt vor der Eröffnung des Rechtswegs zu den Gerichten festzulegen.

Ein weiterer Umstand, der den Verwaltungscharakter ihrer Aufgaben bestätigt, besteht darin, dass die Untätigkeit dieser Organe die Rechtsfigur des Schweigens der Verwaltung ins Spiel bringt, die der Gesetzgeber gerade geschaffen hat, um zu vermeiden, dass ein Stillstand der Verwaltung den Zugang der Betroffenen zur Justiz verhindert. Entscheiden die Tribunales Económico-Administrativos nicht binnen eines Jahres nach Einlegung des Einspruchs, so gilt dieser als abgelehnt und der Einzelne kann dann von diesem Zeitpunkt an die Verwaltungsgerichtsbarkeit anrufen.

Zudem kann sich das Tribunal Económico-Administrativo Central in Fällen, die es als bedeutsam erachtet oder deren Streitwert besonders hoch ist, für unzuständig erklären und die Entscheidung dem Minister der Finanzen überlassen. Es stellt sich die Frage, ob nach dem Urteil Gabalfrisa u. a. die Möglichkeit, Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, auch dem Minister im Falle der Vorlage an ihn zusteht(29).

B - Die Relativierung des Erfordernisses eines kontradiktorischen Verfahrens

29.
    Das Gericht muss nicht nur unabhängig sein und unabhängig handeln, sondern seine Entscheidung muss aufgrund eines kontradiktorischen Verfahrens ergehen, in dem die Parteien ihre Rechte und Interessen geltend machen können.Trotzdem wurde das Erfordernis eines kontradiktorischen Verfahrens, das im Urteil Vaassen-Göbbels(30) vorkam, in seiner Bedeutung sehr bald relativiert.

30.
    Die Urteile Politi(31) und Birra Dreher(32) haben bestätigt, dass Artikel 234 EG die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage nicht vom kontradiktorischen Charakter des Verfahrens abhängig macht und dass daher eine Vorlagefrage auch dann gestellt werden kann, wenn kein Streit vorliegt. Ausschlaggebend ist also, dass derjenige, der den Gerichtshof anruft, eine richterliche Tätigkeit ausübt und der Ansicht ist, dass er für seine Entscheidung einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts bedarf, wobei es unerheblich ist, dass in dem Verfahren, in dem sich die Frage stellt, keine streitige Verhandlung stattfindet(33).

31.
    Ungeachtet dessen ist in den Urteilen Simmenthal(34) und Ligur Carni u. a.(35) festgestellt worden, dass es sich im Interesse einer geordneten Rechtspflege als angebracht erweisen kann, dass die Vorlagefrage nur aufgrund eines streitigen Verfahrens gestellt wird. Diese Nuancierung hat den Gerichtshof jedoch nicht dazubewegt, seinen vorherigen Standpunkt aufzugeben, da es seines Erachtens allein dem einzelstaatlichen Gericht zusteht, zu beurteilen, ob dies angebracht ist(36).

32.
    Damit ist der streitige Charakter für den Gerichtshof keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Zulässig kann eine Frage sein, die sich in einem nicht streitigen Verfahren oder in einem nicht streitigen Abschnitt eines Verfahrens, das an sich streitig ist, stellt. Wie bereits im Urteil Politi ausgeführt und in den Urteilen Birra Dreher und Simmenthal unterstrichen worden ist, steht das Recht auf Erlass eines Vorabentscheidungsersuchens jedem Gericht der Mitgliedstaaten unabhängig vom Stadium der Behandlung des Ausgangsverfahrens zu.

33.
    Das Erfordernis des streitigen Verfahrens hat nach und nach sein Profil verloren. In den Rechtssachen Pretura Cento(37) und Pretura unificata Turin(38) hegte der Gerichtshof nicht einmal Zweifel an der Zulässigkeit von Vorlagefragen, die sich jeweils in den Verfahren ohne Beteiligte stellten(39). Im Urteil Pardini(40) sindeinige Fragen der Pretura Lucca in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung beantwortet worden(41).

34.
    Bis dahin maß der Gerichtshof dem Erfordernis eines streitigen Verfahrens immer geringere Bedeutung zu, sofern er sie nicht gar völlig verneinte. Eine aufmerksame Prüfung der Sachverhalte ergibt jedoch, dass es an diesem Grundsatz nicht fehlte, sondern dass er nur verschoben wurde(42); auf alle Fälle wurde das Fehlen des streitigen Charakters durch die völlige Unparteilichkeit des Gerichts und durch seine Unabhängigkeit in Bezug auf den Rechtsstreit und die Beteiligten ausgeglichen(43).

35.
    Allerdings scheint der Gerichtshof diese Linie in einigen späteren Urteilen aufgegeben zu haben, und er hat bedauerlicherweise Vorlagefragen in Verfahren zugelassen und beantwortet, in denen das Fehlen des streitigen Charakters nicht durch die völlige Unabhängigkeit der Einrichtung, die die Frage gestellt hatte, aufgewogen wurde.

36.
    Denn im Urteil Dorsch Consult(44) hat er die Vorlagefragen eines Verwaltungsorgans(45) im Rahmen eines nicht streitigen Verfahrens zugelassen(46).

37.
    Der Gerichtshof hat im Urteil Gabalfrisa u. a.(47) entschieden, dass vor den spanischen Tribunales Económico-Administrativos(48) ein kontradiktorisches Verfahren stattfindet, da Schriftsätze eingereicht und Beweise für das Vorbringenvorgelegt werden können sowie die Abhaltung einer öffentlichen Sitzung beantragt werden kann. Ferner muss das Tribunal Económico-Administrativo, das seine Entscheidung über Fragen für angebracht hält, die von den Betroffenen nicht gestellt worden sind, diese den im Verfahren vertretenen Betroffenen vorlegen und ihnen eine Frist von vierzehn Tagen zur Stellungnahme einräumen.

38.
    Wie jedoch Generalanwalt Saggio in seinen Schlussanträgen hervorgehoben hat, lässt sich das Verfahren in Wirklichkeit wegen der Begrenztheit des zulässigen Vorbringens und der zulässigen Beweise und da die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung von einer Ermessensentscheidung des Tribunals selbst abhängt, gegen die kein Rechtsbehelf stattfindet, nur teilweise als streitiges Verfahren mit den Betroffenen einstufen(49).

C - Die dem Erfordernis des Rechtsprechungscharakters der das Verfahren abschließenden Entscheidung innewohnende Verworrenheit

39.
    Während sich die Merkmale der Unabhängigkeit und des streitigen Verfahrens verwischt haben, erschien das Merkmal des Rechtsprechungscharakters der Entscheidung, die die vorlegende Einrichtung zu erlassen hat, schon immer unklar. Es konnte auch nicht anders sein: Die Aussage, dass eine Einrichtung, die eine richterliche Entscheidung erlasse, ein Gericht sei, ist praktisch nichtssagend. Diese Eigenschaft lässt sich nicht auf die Anwendung von Rechtsnormen zurückführen, da sie nicht ausschließlich den Einrichtungen zukommt, die die Rechtsprechung ausüben. Die Verwaltungsstellen handeln nach Kriterien der Gesetzmäßigkeit(50) und wenden demzufolge auch das Recht an(51).

40.
    Daher hat sich der Gerichtshof für die Bestimmung, ob eine Entscheidung Rechtsprechungscharakter hat, gezwungen gesehen, mittelbar auf weitere Definitionsmerkmale der Rechtsprechung zurückzugreifen; teils, so meistens, auf die „streitige“ Natur des Verfahrens, in dem die Entscheidung ergeht, und teils auf die Eingliederung des Verfassers der Entscheidung in die Gerichtsbarkeit.

41.
    So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Borker(52) dem Conseil de l'ordre des avocats à la Cour de Paris die Gerichtseigenschaft nicht zugebilligt, da er keinen Rechtsstreit zu entscheiden, sondern zu einem Streitfall zwischen einem seiner Mitglieder und einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats Stellung zu nehmen hatte(53). Ähnliche Erwägungen haben den Gerichtshof dazu veranlasst, in der Rechtssache Greis Unterweger(54) einem beratenden Ausschuss in Finanzangelegenheiten, der im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens Stellungnahmen abgab(55), und im Urteil Victoria Film(56) dem Skatterättsnämnde (schwedischer Ausschuss für Steuerrecht) die Gerichtseigenschaft abzusprechen, da dieser sich darauf beschränkte, ohne einen Streit zu entscheiden und auf Antrag eines Steuerpflichtigen einen vorläufigen Steuerbescheid(57) zu erlassen.

42.
    Auf der gleichen Linie ist im Urteil Strafverfahren gegen X(58) ausgeführt worden, dass die italienische Procura della Repubblica kein Gericht sei, u. a. da sie nicht die Aufgabe habe, ein Verfahren zu entscheiden, sondern es, wenn ihr dies angebracht erscheine, als Prozesspartei, die die Strafklage erhebe, dem zuständigenGericht zur Kenntnis zu bringen(59). Ungeachtet dessen hat das Urteil Pretura Salò(60) dieser Einrichtung, die, wie ich bereits angesprochen habe, über die Befugnisse sowohl eines Ermittlungsrichters als auch eines Staatsanwalts verfügt, die Gerichtseigenschaft zugebilligt, obwohl eingeräumt worden ist, dass viele ihrer Tätigkeiten keinen eigentlichen Rechtsprechungscharakter haben, also nicht der Lösung eines rechtlichen Konfliktes dienen.

43.
    Dagegen ist im Urteil Garofalo u. a.(61) festgestellt worden, dass eine Einrichtung Rechtsprechungstätigkeit ausgeübt habe, die eine Stellungnahme in einem Verfahren abgab, in dem die Entscheidung einer politischen Stelle oblag. Es handelt sich um den italienischen Consiglio di Stato in den Fällen, in denen er eine Stellungnahme zu einer außerordentlichen Beschwerde abgibt; tatsächlich liegt die Entscheidung jedoch in seinen Händen. Die Stellungnahme, die auf die Anwendung von Rechtsnormen gestützt wird, bildet nämlich den Entwurf der Entscheidung, die förmlich vom Präsidenten der Republik erlassen wird, der nur nach einem Beschluss des Ministerrats und mit ordnungsgemäßer Begründung von der vorgeschlagenen Lösung abweichen kann.

44.
    Der Gerichtshof hat unter Berufung auf das Urteil Nederlandse Spoorwegen(62) die Ansicht vertreten, dass es sich beim italienischen Consiglio di Stato um ein Gericht im Sinne des Vertrages handele(63). Im Gegensatz dazu hater in den Beschlüssen ANAS(64) und RAI(65) der italienischen Corte dei conti die Gerichtseigenschaft mit der Begründung abgesprochen, dass die nachträgliche Kontrolle, die sie in den Ausgangsverfahren ausgeübt hatte, im Wesentlichen in einer Bewertung und Überprüfung der Ergebnisse der Verwaltungstätigkeit bestanden habe, so dass sie in dem Kontext, der zu den Vorabentscheidungsersuchen geführt habe, keine gerichtliche Funktion ausgeübt habe.

45.
    Bis zum Urteil Job Centre I(66) ergab sich wohl aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass eine Vorlagefrage auch dann, wenn es nicht um die Entscheidung eines Rechtsstreits ging, zulässig ist, wenn sie von einer Einrichtung vorgelegt wird, die der innerstaatlichen Gerichtsorganisation angehört(67). Von da an ist die Lage nicht mehr so klar.

46.
    In der erwähnten Rechtssache hat das Tribunale civile e penale Mailand zwei Vorlagefragen in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorgelegt(68), und der Gerichtshof hat ein restriktives Kriterium zugrunde gelegt. Er hat festgestellt, dass die nationalen Gerichte ihn nur dann um Vorabentscheidung ersuchen können, wenn bei ihnen ein Rechtsbehelf anhängig ist und sie über diesen eine „Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter“ erlassen müssen.

47.
    Für den Gerichtshof reicht es somit nicht aus, dass die vorlegende Einrichtung Teil der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats ist, sondern es ist daneben noch notwendig, dass sie einen Rechtsstreit entscheidet(69), und ein Rechtsstreit mit einer anderen Partei liegt auch dann vor, wenn es sich bei dieser anderen Parteium ein Gericht handelt, dessen Entscheidung überprüft werden soll(70). Im Urteil Job Centre I hat er deshalb festgestellt, dass bei der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Entscheidung in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie es in der Rechtssache Haagar vorlag(71), eine Rechtsprechungstätigkeit ausgeübt wird(72).

D - Die Probleme, die dadurch verursacht werden, dass die Schiedsgerichte als Gerichte betrachtet werden

48.
    Eines der Merkmale, die seit dem Urteil Vaassen-Göbbels(73) ein Gericht im Sinne von Artikel 234 EG kennzeichnen, ist der obligatorische Charakter seiner Gerichtsbarkeit.

49.
    Diese Eigenschaft schloss die Schiedsgerichte aus. In der Rechtssache Nordsee(74) hat sich der Gerichtshof für unzuständig für die Entscheidung über die Vorlagefragen eines deutschen Schiedsgerichts erklärt, dem die Parteien ihre Rechtsstreitigkeiten anzuvertrauen nicht verpflichtet waren(75), und er hatklargestellt, dass es in Fällen, in denen sich in einem vertraglichen Schiedsverfahren Fragen des Gemeinschaftsrechts stellen, den ordentlichen Gerichten zusteht, eine Frage vorzulegen, sei es im Rahmen der Hilfe, die sie den Schiedsgerichten gewähren, sei es im Rahmen der Überprüfung des Schiedsspruchs(76).

50.
    Seit dem Urteil Nordsee schien es, als ob dann, wenn die Anrufung des Schiedsgerichts zwingend vorgeschrieben war und in letzter Instanz erfolgte, die Antwort bereits gegeben worden war. So verhielt es sich in der Rechtssache Danfoss(77), in der die Vorlagefragen von einem dänischen Schiedsgericht vorgelegt wurden, dessen Anrufung im Gesetz für die letztinstanzliche Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über Tarifverträge zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden vorgesehen war und dessen Zuständigkeit nicht von der Einigkeit zwischen den Parteien abhing, da jede Partei einen Rechtsstreit gegen den Willen der Gegenpartei vorlegen konnte und die Entscheidung für alle bindend war.

51.
    Der Gerichtshof ist auf diese Weise einer kohärenten Linie gefolgt und hat im Urteil Almelo(78) seine Zuständigkeit für die Beantwortung von Fragen anerkannt, die ein Gericht, das nach billigem Ermessen über eine Berufung gegen einen Schiedsspruch entscheiden musste, ihm vorlegte, weil es die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu beachten hat(79).

52.
    Indem sich der Gerichtshof jedoch so sehr auf den obligatorischen Charakter der Gerichtsbarkeit konzentriert hat, hat er die übrigen Merkmale übergangen, die nach seiner Ansicht ein Gericht im Sinne des Artikels 234 EG kennzeichnen, und im Urteil Danfoss diese Eigenschaft einem Schiedsgericht zuerkannt, dessen Zusammensetzung und dessen Tätigkeit durch das Gesetz nicht detailliert geregelt sind. Die Zusammensetzung wird für jeden einzelnen Fallbestimmt, und das Verfahren läuft nach den Vereinbarungen der Parteien innerhalb des gesetzlichen Rahmens ab(80).

E - Die Erstreckung des Begriffes auf überseeische Gerichte, Einrichtungen, die nicht der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats angehören, und internationale Gerichte

53.
    In den Urteilen Kaefer und Procacci(81) und Leplat(82) hat der Gerichtshof die Möglichkeit, Vorlagefragen zu stellen, den Gerichten der überseeischen Länder und Gebiete zugebilligt, die der französischen Gerichtsorganisation angehören.

54.
    Mehr noch hat er im Urteil Barr und Monrose Holdings(83) den Gerichten der Ile of Man die Möglichkeit zugesprochen, Vorlagefragen zu stellen, obwohl sie nicht der britischen Gerichtsorganisation angehören(84). Später hat das Urteil Pereira Roque(85), ohne die Zulässigkeit zu prüfen, über eine Vorlage eines Gerichtes der Vogtei Jersey entschieden, deren Gerichte ebenfalls nicht der Gerichtsbarkeit des Vereinigten Königreichs angehören(86).

55.
    Obwohl Artikel 234 EG die Gerichte eines Mitgliedstaats erwähnt, ist im Urteil Parfums Christian Dior(87) festgestellt worden, dass der Benelux-Gerichtshof nicht nur berechtigt ist, Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, sondern als Gericht, dessen Entscheidungen nicht mit einem weiteren Rechtsbehelf des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dazu sogar verpflichtet ist. Das Fehlen einer weiteren Instanz, bei der die Entscheidung dieses Gerichtshofesangefochten werden könnte, der die Auslegung des einheitlichen Benelux-Rechts letztlich festlegt, hat den Gerichtshof dazu veranlasst, die Vorlage zuzulassen.

56.
    In diesen Entscheidungen, in denen die Eigenschaft eines Gerichts eines Mitgliedstaats auf diejenigen Einrichtungen erstreckt wird, die dies zweifellos nicht sind, spielt die Notwendigkeit eine Rolle, die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu wahren, so dass all jene gerichtlichen Einrichtungen, die Streitigkeiten entscheiden, in denen die Norma decidendi eine Regel dieses Rechtes darstellt, von dem Werkzeug Gebrauch machen können, das Artikel 234 EG zur Verfügung stellt.

57.
    Aus ähnlichen Gründen darf es umgekehrt das nationale Recht einem Gericht nicht verbieten, Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Im Urteil Rheinmühlen(88) hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass das Vorhandensein einer innerstaatlichen Rechtsnorm, die die Gerichte an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten Gerichts bindet, diesen Gerichten nicht schon aus diesem Grund die Möglichkeit nehmen kann, Vorabentscheidungsfragen vorzulegen.

2 - Die zwingende Notwendigkeit einer Änderung der Rechtsprechung

A - Die Rechtsunsicherheit, die das Fehlen einer Definition des Gerichtsbegriffs und die Schwankungen der Rechtsprechung hervorrufen

58.
    Die vorstehenden Abschnitte sollen kein steriles Werk von Gelehrsamkeit darstellen. Sie belegen, dass die Ansicht des Gerichtshofes zu diesem bestimmten Punkt nicht nur, wie ich zuvor ausgeführt habe, übermäßig kasuistisch ist, sondern dass es ihr auch an klaren und genauen Elementen fehle, wie sie ein als gemeinschaftlich eingestufter Begriff erfordert. Weit davon entfernt, in ihren Entscheidungen einen sicheren Bezugsrahmen zu geben, bietet die Rechtsprechung ein verworrenes und unzusammenhängendes Panorama, das allgemeine Unsicherheit erzeugt(89). Das häufige Auseinanderfallen der von den Generalanwälten vorgeschlagenen Lösungen und der Entscheidungen des Gerichtshofes erhellt die Rechtsunsicherheit, mit der der Begriff Gericht eines Mitgliedstaats behaftet ist.

59.
    Das erste Opfer der Lage war der Gerichtshof selbst, der sich zum Gerichtscharakter vieler Einrichtungen, die Vorlagefragen vorgelegt haben, in unsteter Weise ausgesprochen hat, manchmal ohne die Gründe zu erläutern, dieihn dazu veranlasst haben, seine Entscheidung im einen oder anderen Sinn zu treffen(90).

60.
    Man kann annehmen, dass der Gerichtshof, wie ich bereits ausgeführt habe, in Bezug auf diejenigen Merkmale, die ein Gericht von einer Einrichtung unterscheiden, die kein Gericht ist, Zweifel gehegt haben dürfte, denn die gesetzliche Grundlage sowie die Voraussetzung der Ständigkeit und der Willensäußerung gemäß rechtlichen Kriterien, kommen auch Einrichtungen zu, die in die Verwaltungsstrukturen eingegliedert sind.

B - Die Gerichtseigenschaft der innerstaatlichen Einrichtung als zwingendes Erfordernis, das maßgebend für die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist

61.
    Wenn Unsicherheit in den Rechtsbeziehungen störend ist, so ist das Unbehagen noch größer, wenn sie einen Begriff betrifft, der, wie der in Artikel 234 EG enthaltene, zwingenden Rechts ist. Der Begriff einzelstaatliches Gericht ist bestimmend für die Zuständigkeit des Gerichtshofes für das Betreiben eines Verfahrens, das sich, wie das Vorabentscheidungsverfahren, als überaus wichtig für die fortschreitende Errichtung und Festigung der Gemeinschaftsrechtsordnung erwiesen hat. Der Gerichtshof kann nicht Herr seiner eigenen Zuständigkeit sein. Die Spielregeln müssen in einer Gemeinschaft des Rechts genau sein. Dienationalen Gerichte und die Gemeinschaftsbürger haben ein Recht darauf, im Voraus zu erfahren, welche Einrichtungen als Gerichte im Sinne von Artikel 234 EG betrachtet werden können.

62.
    Wie eng oder wie weit man den Begiff auffasst, ist ausschlaggebend für die Bandbreite der möglichen Gesuchsteller um Mitwirkung des Gerichtshofes und damit für die Anzahl seiner Vorabentscheidungsurteile. Dieser Umstand ist erheblich im Rahmen einer Aufgabe der Harmonisierung der Auslegung und der Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Geht es darum, den anderen durch Entscheidungen, die von allen befolgt werden sollen, den Weg zu weisen, so ist mit Vorsicht und Umsicht zu handeln. Eine gut durchdachte und gut begründete Entscheidung löst mehr Probleme als eine große Anzahl überstürzter Urteile, die den Gedankengang nicht vertiefen und die vorgelegten Fragen nicht in Angriff nehmen.

63.
    Mit dem Ziel, die einheitliche Verbreitung und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts voranzutreiben, hat der Gerichtshof in den ersten Jahren seiner Tätigkeit die Verwendung des Vorabentscheidungsersuchens erleichtert und sich dabei einer extensiven Auslegung des Begriffes der Einrichtung bedient, die berechtigt ist, es in Gang zu bringen. Was jedoch früher eindeutig berechtigt war, erweist sich heute, da die Gemeinschaftsrechtsordnung eine Realität ist, die alle in den Mitgliedstaaten in der Rechtspflege Tätigen aufgenommen haben, als störend und kann die Aufgabe des Gerichtshofes stark behindern.

64.
    Beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Begriffes „Gericht eines Mitgliedstaats“ ist größere Strenge anzuwenden und seine verschiedenen Bestandteile sind so festzulegen, dass ein genauer Bezugsrahmen gegeben wird, so dass verhindert wird, dass sich in diesem Bereich endgültig Unsicherheit breit macht. Das ursprüngliche Verhalten des Gerichtshofes, das darin bestand, zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen anzuregen, und das als pädagogische Aufgabe hat bezeichnet werden können, muss einer anderen Dialektik weichen, die davon absieht, das nationale Gericht zu bevormunden, und es ihm erlaubt, seine Verantwortung als ordentliches Gericht des Gemeinschaftsrechts zu übernehmen.

C - Die durch den Vertrag von Amsterdam eingeführten Änderungen bei der allgemeinen Behandlung des Vorabentscheidungsuntersuchens, insbesondere in Bezug auf die vorlageberechtigten einzelstaatlichen Gerichte

65.
    Man kann davon ausgehen, dass gerade der Vertrag von Amsterdam einen stillschweigenden Aufruf an den Gerichtshof enthält, den Begriff des Gerichts für die Zwecke der Vorlage von Vorabentscheidungsfragen klarzustellen. Der Vertrag bricht mit der einheitlichen Regelung des Systems. Zur „allgemeinen“ Vorabentscheidung nach Artikel 234 EG kommen zwei weitere „besondere“ mit einzigartiger Ausgestaltung hinzu: die eine nach in Artikel 35 Absatz 1 EU und die andere nach Artikel 68 Absatz 1 EG.

66.
    Der Vertrag über die Europäische Union hat die Zuständigkeit des Gerichtshofes in dreierlei Weise auf die dritte Säule ausgedehnt. Eine davon, mit Vorabentscheidungscharakter, erlaubt es ihm, über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, über die Auslegung der Übereinkommen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen zu entscheiden (Artikel 35 Absatz 1 EU). Die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist in diesem Punkt dispositiv, da sie nur dann wirksam wird, wenn sie von den Mitgliedstaaten anerkannt worden ist.

67.
    Artikel 68 EG wiederum verleiht dem Gerichtshof eine Vorabentscheidungszuständigkeit im Rahmen der Freizügigkeit der Personen mit Ausnahme der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit.

68.
    Ich möchte betonen, dass in Bezug auf den ersten Weg die Mitgliedstaaten, die diese neue Zuständigkeit des Gerichtshofes anerkennen, wählen können, ob sie die Möglichkeit - nicht die Pflicht -, Vorabentscheidungsfragen vorzulegen, jedem ihrer Gerichte oder nur denjenigen übertragen, die in letzter Instanz entscheiden, d. h., gegen deren Entscheidungen kein „Rechtsmittel“ mehr gegeben ist (Artikel 35 Absatz 3 EU). Die Vorlage der zweiten Art von Vorabentscheidungsverfahren - die zwingend ist - bleibt unmittelbar Gerichten vorbehalten, gegen deren Entscheidung kein „Rechtsmittel“ gegeben ist (Artikel 68 Absatz 1 EG).

69.
    Meines Erachtens könnte diese Änderung der allgemeinen Regelung des Vorabentscheidungsverfahrens mit der daraus folgenden Beschränkung der zur Vorlage berechtigten Einrichtungen auf den mehr oder weniger expliziten Gedanken zurückzuführen sein, die weiten Umrisse zu begrenzen, die der Gerichtshof dem Begriff Gericht zugeschrieben hat. Der Verfassungsgeber der Gemeinschaft scheint die Ansicht zu vertreten, dass der Begriff so, wie er ausgelegt worden ist, für die neuen Zuständigkeitsbereiche, die er geschaffen hat, nicht tauglich ist und dass es notwendig ist, ihn zu umreißen oder zu umgehen, indem in den Angelegenheiten, die für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und für die Bereiche der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit sensiblen Charakter haben, Ausnahmen vorgesehen werden.

D - Die Reform, die durch die Ratifizierung des Vertrages von Nizza und die Verleihung von Vorabentscheidungszuständigkeiten an das Gericht erster Instanz eingeführt werden kann

70.
    Die Notwendigkeit, den Begriff Gericht zu klären, ist wegen der Ergebnisse der letzten Regierungskonferenz noch dringlicher geworden. Artikel 225 Absatz 3des am 26. Februar 2001 unterzeichneten Vertrages von Nizza(91) legt die Grundlagen für eine Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz für Vorabentscheidungen nach Artikel 234 EG auf den in der Satzung bestimmten Sachgebieten fest. Ich glaube, dass der Gerichtshof klarstellen muss, was er unter einem einzelstaatlichen Gericht versteht, indem er dem Gericht erster Instanz die entsprechende Richtschnur angibt. Tut er dies nicht, so besteht die Gefahr, dass zur gegenwärtigen Unschlüssigkeit eines Organs die eines anderen Organs hinzukommt, wenn sich die angegebene Bestimmung entwickelt und in Kraft tritt.

71.
    Die Perspektive, dass die Entscheidungen des Gerichts erster Instanz vom Gerichtshof nach dem neuen Unterabsatz 3 von Artikel 225 Absatz 3 überprüft werden können, stellt meines Erachtens keinen angemessenen Weg dar, die störende Wirkung einer Abweichung beider Gemeinschaftsgerichte voneinander zu umgehen, da die Möglichkeit einer Prüfung als Ausnahme zu betrachten ist und sich auf Fragen der Begründetheit beziehen dürfte, nicht aber auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorabentscheidungsersuchen(92), zu denen die Gerichtseigenshaft der vorlegenden Einrichtung gehört. Es wäre wirkungsvoller, den Weg ex ante festzulegen, als dies a posteriori im Wege der Prüfung zu tun.

72.
    Die Konferenz von Nizza hat es jedoch nicht nur erlaubt, die Zahl der zur einheitlichen Auslegung des Rechtes der Europäischen Union berufenen Gerichte zu erhöhen, sondern macht es im Hinblick auf die Erweiterung der Union von 15 auf 27 Mitgliedstaaten möglich, dass die Zahl der vorlageberechtigten Einrichtungen exponentiell ansteigt. Die Zukunft der Europäischen Union bietet ein Panorama, in dem sich 12 neue Staaten mit sehr vielfältigen Rechtstraditionen und unterschiedlichen Organisationsstrukturen in eine Rechtsgemeinschaft einfügen, deren Verwirklichung, wie der Gerichtshof so oft ausgeführt hat, eine einheitliche Auslegung und Anwendung ihres Rechts verlangt. Es ist unerlässlich, den Begriff Gericht im Sinne von Artikel 234 EG genau abzugrenzen, wenn man nicht wünscht, dass der Gerichtshof und gegebenenfalls das Gericht erster Instanz sich einer Lawine von Vorabentscheidungsersuchen gegenübersehen, die von schwer einzustufenden Einrichtungen vorgelegt werden und trotz ihres geringen Nutzens(93) wegen der geringen Schärfe, die der Begriff in der Rechtsprechung hat, zugelassen werden müssen. Der Zweifel wird sich festsetzen, und das jedem Organ innewohnende Trägheitsmoment wird zur Zulassung von Vorlagefragen führen, die von rein administrativen Einrichtungen gestellt werden.

E - Es ist angebracht, jede Anwendung des Gemeinschaftsrechts der Vorabentscheidungszuständigkeit des Gerichtshofes zu unterwerfen

73.
    Das Gericht erster Instanz ist also ebenfalls dazu aufgerufen worden, bei der Aufgabe der Vorabentscheidung mitzuwirken. Trotz seines verbürgt guten Rufes wird es dies meines Erachtens nicht unter den besten Voraussetzungen tun. Weder lässt sich die wiederholt als „verfassungsgerichtlich“ eingestufte Vorabentscheidungszuständigkeit leicht mit ihrer Ausübung unter dem Vorbehalt der Prüfung vereinbaren(94), noch ist das Gericht erster Instanz der Struktur nach dafür geschaffen worden, eine Aufgabe zu versehen, die eine große funktionelle Unabhängigkeit, einen vereinheitlichenden Willen, die Fähigkeit zur Erneuerung und einen Geist der Zusammenarbeit erfordert. „Es wird nicht mit der Freiheit fliegen können, die notwendig ist, um die Führungsrolle zu entwickeln und die Anstrengung aller auf das gemeinsame Verständnis des Rechtes der Europäischen Union hinzuführen“(95).

74.
    Die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts muss ausnahmslos der Vorabentscheidungszuständigkeit des Gerichtshofes unterworfen bleiben. Eshandelt sich um eine unteilbare Zuständigkeit(96), was es ratsam macht, das Gericht erster Instanz nicht in diese Aufgabe einzubeziehen. Der Schlüssel für den Erfolg der Vorabentscheidungszuständigkeit liegt in der Zentralisierung der Auslegungstätigkeit, die die Einheitlichkeit erleichtert. Werden weitere Institutionen beteiligt, so entsteht die Gefahr eines Bruchs der Einheitlichkeit. Treten bei ein und derselben Gerichtsbarkeit des europäischen Rechts zwei unterschiedliche Auslegungen durch die einzelnen Gerichte der Gemeinschaft auf, so greift der Tod nach dem Vorabentscheidungsverfahren. Die Gefahr der Verwirrung wird nicht dadurch vermieden, dass nach Artikel 225 dem Gericht erster Instanz Vorabentscheidungszuständigkeiten in „besonderen Sachgebieten“ beigelegt werden, denn jeder Jurist weiß, dass „unterschiedliche Sachgebiete“ gemeinsame Kategorien, Einrichtungen und Rechtsgrundsätze umfassen, so dass die Möglichkeit von Unstimmigkeiten nicht verschwindet. Die Aufgabe, die im Vorabentscheidungsverfahren erfüllt wird, ist eine gesetzeshüterische Aufgabe mit Kassationscharakter, und in jeder Rechtsordnung darf es nur ein Kassationsgericht geben.

F - Die störenden Wirkungen der Einbeziehung einer Verwaltungsstelle in einen Dialog zwischen Richtern

75.
    Es gab eine Zeit, zu der die vom Gerichtshof vorgenommene Übernahme der Zuständigkeit zur Beantwortung von Fragen von Einrichtungen, deren fehlender Gerichtscharakter unzweifelhaft war, wie ich bereits ausgeführt habe, mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden konnte, den notwendigen Antrieb für die Errichtung eines einheitlichen Rechtsraums in der Gemeinschaft zu geben. Jetzt jedoch, da die Reisegeschwindigkeit erreicht ist und die Rechtsgemeinschaft eine anerkannte Realität geworden ist, kann die Öffnung des Vorlagewegs für diejenigen, deren Aufgabe nicht die Rechtsprechung ist, störend sein.

76.
    Artikel 234 EG führt ein Instrument der gerichtlichen Zusammenarbeit, ein Fachgespräch von Richtern untereinander, ein. In dieser Beschreibung wurde der Gerichtshof niemals schwankend. Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens ist es daher nicht, einem Organ der Exekutivgewalt Beistand zu leisten.

77.
    Zum anderen müssen die Verwaltungseinrichtungen, die bei der Anwendung des Rechts nach Kriterien der Rechtmäßigkeit entscheiden, nicht aus Juristen bestehen(97). Dieser Umstand kann dazu führen, dass die Formulierung einer Vorlagefrage nicht die zweckmäßigste ist, an mangelnder Genauigkeit krankt oder dass es ihr an der notwendigen fachlichen Genauigkeit fehlt.

78.
    Das Gericht, das die Verwaltungsentscheidung nachprüft, die unter Verwendung der Antwort des Gerichtshofes ergeht, kann die Vorlagefrage für unnötig halten oder der Ansicht sein, dass sie sich auf einen anderen Gesichtspunkt hätte konzentrieren müssen. Gelangt es zu der Überzeugung, dass es in der Erörterung weder auf die Auslegung noch auf die Anwendung von Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ankommt, so erweisen sich die Vorlage und die für die Entscheidung darüber aufgewandten Anstrengungen aller Art als nutzlos, was zu der Belastung durch den Legitimationsentzug führt, der für den Gerichtshof bedeutet, dass seine Urteile nicht beachtet werden, da sie unnötig sind.

79.
    Ist es der Ansicht, dass anders hätte formuliert werden sollen, so ist es an die vorgelegte Frage und die erhaltene Antwort gebunden, ohne dass es aus Gründen der Prozessökonomie geneigt wäre, das Vorabentscheidungsverfahren erneut zu beschreiten, um den Weg zu begradigen, der seines Erachtens wegen einer mangelhaften Vorlage von vornherein gekrümmt verlief. Es stellt einen gravierenden Störfaktor für das System der richterlichen Zusammenarbeit des Artikels 234 EG dar, dass sich in eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Gerichtshof und dem nationalen Richter eventuell eine Verwaltungseinrichtung einmischt, die mit ihrem gut gemeinten, jedoch der Unabhängigkeit und der notwendigen rechtswissenschaftlichen Vorbereitung entbehrenden Handeln das gesamte Verfahren erschwert. Es hat sich gezeigt, dass die Art und Weise, in der ein Vorabentscheidungsersuchen formuliert wird, die Antwort des Gerichtshofes bestimmen kann(98), weshalb es wichtig ist, auf dem wirklichen Gerichtscharakter der Einrichtungen zu beharren, die im Vorabentscheidungsverfahren tätig werden.Wird die Frage von einer Verwaltungseinrichtung vorgelegt, so kann die später gegen ihre Entscheidung erhobene gerichtliche Klage durch die vorausgehende Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens, durch die Form, in der es verwirklicht wurde, oder durch den Zeitpunkt, zu dem es vorgelegt wurde, derart beeinflusst werden, dass dem eigentlichen Gericht in hohem Maße die Möglichkeit genommen wird, sich des Vorabentscheidungsverfahrens zu bedienen, da dies, auch wenn es theoretisch eine neue Frage vorlegen könnte, die Parteien mit einer zusätzlichen Verzögerung bei der Behandlung des Ausgangsverfahrens belasten würde, die in einer schon ziemlich langsamen Rechtspflege unerträglich wäre.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass der durch den Vertrag eingeführte Dialog zwischen Richtern durch die Zulassung eines Vorabentscheidungsersuchens, das von Verwaltungseinrichtungen gestellt wird, stark behindert, sein Zweck entstellt und der gerichtliche Schutz des Bürgers verfälscht wird.

3 - Der Vorschlag für einen neuen Gerichtsbegriff für die Zwecke des Artikels 234 EG

A - Der Gemeinschaftscharakter des Begriffes

80.
    Im Licht all meiner soeben angestellten Erwägungen erscheint es unerlässlich, dass es der Gerichtshof unternimmt, einen neuen Gerichtsbegriff in Artikel 234 EG auszuarbeiten.

81.
    Die Einheitlichkeit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts verlangt es, dass die Definition des innerstaatlichen Gerichts im Rahmen des Gemeischaftsrechts erfolgt. Die Aufgabe muss im Rahmen der europäischen Rechtsordnung und nach Maßgabe von deren strukturellen Erfordernissen angegangen werden. Mit anderen Worten, der Begriff darf nicht allein mit den Kategorien des nationalen Rechts erläutert werden(99), sondern dies muss im Wesentlichen nach Maßgabe der Existenzberechtigung der Vorlage zur Vorabentscheidung geschehen, die darin besteht, dem Gemeinschaftsrecht gleiche Wirksamkeit in allen Teilen der Gemeinschaft zu verschaffen, auch wenn die gemeinsamen Verfassungstraditionen bei der Auslegung eines derart wichtigen Begriffes eine entscheidende Rolle spielen müssen.

82.
    Was ein Gericht ist, bestimmt sich nicht nur nach dem nationalen Recht, sondern auch danach, was durch den Zweck geboten ist, dass kein Bereich des Gemeinschaftsrechts vom Harmonisierungsprozess unberührt bleiben soll. Ausdiesem Grund hat der Gerichtshof dem Umstand große Bedeutung beigemessen, dass die Entscheidung der vorlegenden Einrichtung in der nationalen Gerichtsverfassung nachgeprüft werden kann. Falls die Einrichtung in letzter Instanz entscheidet, relativiert der Gerichtshof die Anforderungen, die an ihre Einstufung als Gericht zu stellen sind, und billigt diese Eigenschaft Verwaltungseinrichtungen zu. Dies war meines Erachtens in den Urteilen Danfoss(100) und Broekmeulen(101) der Fall. Die praktische Wirksamkeit zu dem Zweck, zu gewährleisten, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts stets entsprechend den Kriterien des Gerichtshofes erfolgt, hat auch die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen Barr und Montrose Holdings(102) und Pereira Roque(103) bestimmt.

B - Allgemeine Regel: Erfassung sämtlicher in die nationale Gerichtsbarkeit eingegliederter Einrichtungen durch den Begriff

83.
    Im Rahmen dieser Schlussanträge habe ich die Art und Weise beschrieben, in der der Gerichtshof die Merkmale des Begriffes angegeben hat. Die Ausübung der Rechtsprechungsgewalt steht Einrichtungen zu, die durch das Gesetz geschaffen wurden, deren Mitglieder dem Gesetz unterliegen und die bei der Entscheidung der ihnen unterbreiteten Streitigkeiten zwischen Rechtssubjekten mit sehr großer Unabhängigkeit und unter Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens tätig werden. Allerdings ist dem Grundsatz der richterlichen Einzigkeit und Ausschließlichkeit keine genügende Aufmerksamkeit gewidmet worden.

84.
    Nach dem letztgenannten Grundsatz steht die Ausübung der Rechtsprechungsgewalt, also der Befugnis, Recht zu sprechen und die Vollstreckung der Entscheidungen anzuordnen, ausschließlich den Gerichten zu, die Teil der Gerichtsbarkeit sind. Es handelt sich um ein Feld, das allen anderen im öffentlichen Dienst Tätigen verschlossen ist. Seine Grundlage ist die gleiche wie dieLegitimation des Richteramts selbst: die Unabhängigkeit und die Gesetzmäßigkeit. Grundsätzlich dürfen daher Vorlagen nur durch Gerichte erfolgen, denen mit ausdrücklicher Ausschließlichkeit die Befugnis, Recht zu sprechen, übertragen ist.

85.
    Der Streifzug, den ich durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes unternommen habe, zeigt, dass die in die nationalen Gerichtsbarkeiten eingegliederten Einrichtungen stets Gerichte im Sinne von Artikel 234 EG darstellen(104), was jedoch nicht bedeutet, dass jede von einer Einrichtung dieser Art vorgelegte Frage automatisch zugelassen und in der Sache entschieden werden muss. Wer die Frage vorlegt, muss zudem als Gericht tätig werden, bei ihm muss ein Rechtsstreit, eine Auseinandersetzung zwischen Rechtssubjekten anhängig sein, den er im Wege der Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen zu entscheiden hat. Zusammenfassend gesagt, muss er sich in Ausübung seiner Rechtsprechungsgewalt befinden(105). Unter diesen Umständen stellt jede Einrichtung der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats, die unabhängig tätig ist, um nach rechtlichen Kriterien einen Streit im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens zu entscheiden, stets ein Gericht im Sinne von Artikel 234 EG dar, und dementsprechend muss der Gerichtshof entscheiden, da er die Gerichtseigenschaft einer Einrichtung nicht absprechen darf, die diese Eigenschaft nach ihrem innerstaatlichen Recht innehat.

Teil dieser Definition sind natürlich auch die Anforderungen, die sich vom Begriff „Gericht“ in der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere in deren Artikel 6 Absatz 1, in ihrer Auslegung durch die Institutionen in Straßburg herleiten. Auf dem Weg über diesen gemeinsamen Nenner - zumal dieser von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist - lassen sich die Schwierigkeiten überwinden, die sich sonst aus den unterschiedlichen Auffassungen von der Gerichtsbarkeit, die in den verschiedenen Rechtsordnungen bestehen, ergeben würden.

86.
    Umgekehrt darf, wer nicht zur nationalen Gerichtsbarkeit gehört, wem nicht die Befugnis, durch Auslegung und Anwendung der Gesetze(106) in gerichtlichen Verfahren „Recht zu sprechen“, verliehen ist, nicht als Gericht betrachtet werden. Wie ich ausgeführt habe, ist das Vorabentscheidungsersuchen ein Dialog von Richtern untereinander.

C - Ausnahme: Die Einbeziehung von Einrichtungen in den Gerichtsbegriff, die nicht zur Gerichtsbarkeit gehören, aber in der nationalen Rechtsordnung das letzte Wort haben

87.
    Nur ausnahmsweise sollte der Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen von Einrichtungen zulassen, die nicht der nationalen Gerichtsbarkeit angehören, wenn die vorlegende Einrichtung eine Einrichtung ist, die sich zwar außerhalb der Gerichtsbarkeit befindet, jedoch das letzte Wort in der innerstaatlichen Rechtsordnung hat, da ihre Entscheidung unanfechtbar ist. In diesen Fällen machen es Sinn und Zweck der Vorlage zur Vorabentscheidung unerlässlich, dass der Gerichtshof sie zulässt und auf die gestellten Fragen antwortet(107). Trotz der gegenwärtigen Konsolidierung des Vorabentscheidungsverfahrens bleibt es weiterhin notwendig, dass der Gerichtshof Sorge dafür trägt, dass dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Sachverhalte nicht von seiner Rechtsprechung und somit einer einheitlichen Auslegung der diese Sachverhalte regelnden Normen genommen bleiben.

88.
    Die erwähnten Sachverhalte sind jedoch nicht nur außergewöhnlich, sondern praktisch inexistent, da das Recht auf einen irksamen gerichtlichen Rechtsschutz anerkannt ist, was die Beseitigung von Bereichen verlangt, die einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sind.

Das Recht auf Zugang zu einem Gericht (accès à un tribunal) ist in Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Zwar regelt diese Bestimmung ausdrücklich nur die Garantien, die in einem fairen Verfahren erfüllt sein müssen, doch würden diese nichtsdestoweniger unwirksam, wenn nicht anerkannt würde, dass zuvor ein Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz bestehen muss. Der Vorrang des Rechts ist ohne die Möglichkeit des Zugangs zu den Gerichten unvorstellbar. „Gleichheit, Öffentlichkeit und Sorgfalt bei der Behandlung des Verfahrens sind nutzlos, wenn es kein Verfahren gibt.“(108) Umgekehrt kann auch nicht von einem echten gerichtlichen Rechtsschutz gesprochen werden, wenn dem Verfahren diese Garantien genommen werden. „Zugang zum Gericht“ und „Verfahrensgarantien“ bilden daher ein untrennbares Ganzes, was die Feststellung ermöglicht, dass kein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz vorliegt, wenn diese Garantien nicht gegeben werden, von denen die Garantie der Unabhängigkeit der entscheidenden Einrichtung und der kontradiktorische Charakter des Verfahrens hervorzuheben sind.

Auch die Gemeinschaftsrechtsprechung hat das Recht auf Gerichtszugang anerkannt(109), das dem Einzelnen die Möglichkeit verschafft, die Rechte und berechtigten Interessen, die ihm die Rechtsordnung der Europäischen Union zubilligt, vor dem zuständigen Gericht zum Zweck ihrer wirksamen Durchsetzung geltend zu machen.

Die Urteile Johnston(110) und Heylens(111) haben den Umfang dieses Rechts festgelegt, das gemäß diesen Ausführungen verlangt, dass ein Weg verfügbar sein muss, auf dem gegen jede Entscheidung einer nationalen Stelle, die die Ausübung eines durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechtes behindert, vor einem Gericht vorgegangen werden kann. Somit hat jeder Bürger eines Mitgliedstaats das Recht auf Zugang zu einem Gericht zum Zweck des Schutzesder Rechte, die ihm die Gemeinschaftsrechtsordnung verleiht(112). Daher muss das Vorhandensein von Verwaltungsentscheidungen, die nicht der Nachprüfung durch ein Gericht unterliegen, im Rechtssystem der Mitgliedstaaten eine Anekdote bleiben.

89.
    Bei der Zulassung eines Vorabentscheidungsersuchens einer Einrichtung, die nach der nationalen Gerichtsverfassung nicht zur Judikative gehört, muss der Gerichtshof aus den erwähnten Gründen die in seiner Rechtsprechung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Straßburg ausgearbeiteten Kriterien, insbesondere die der Unabhängigkeit und des kontradiktorischen Verfahrenscharakters, rigoros anwenden.

90.
    Was die letztgenannten Erfordernisse angeht, hat der Gerichtshof die Einschränkungen außer Acht zu lassen, die sich in seinen Urteilen finden(113). Abgesehen von den jüngsten und unglücklichsten Entscheidungen, wurde eine derartige Lockerung des in Rede stehenden Grundsatzes nur dann vorgenommen, wenn das Fehlen eines kontradiktorischen Verfahrens durch Neutralität des Gerichtes in Bezug auf die Beteiligten des Rechtsstreits ausgeglichen wurde.

91.
    Strenge ist in Verbindung mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit der Einrichtung, die die Entscheidung zu erlassen hat und die sich dafür entscheidet, ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, erst recht notwendig(114). Gelegentlichist der Gerichtshof bei der Auslegung dieses grundlegenden Aspekts des Richteramts sehr weit gegangen und hat ihn entstellt(115).

92.
    Die Unabhängigkeit ist kein nebensächliches, sondern ein wesentliches Merkmal der Rechtsprechungstätigkeit. Sie weist zwei Seiten auf. Eine persönliche und eine funktionsbezogene. Die erstgenannte bezieht sich unmittelbar auf die Person desjenigen, der Recht zu sprechen hat, und erfordert bestimmte Garantien zur Unterstützung dieser Person, wie etwa die Unabsetzbarkeit. Funktionsbezogene Seite bedeutet, dass außer den rein verfahrensmäßigen Bindungen im Instanzenzug keine hierarchischen Bindungen bestehen dürfen. Die Unabhängigkeit darf nicht nur nach außen gegenüber Umständen bestehen, die außerhalb des Bereiches der Gerichtsbarkeit und des Prozesses liegen, sondern sie muss auch im Inneren gegenüber den widerstreitenden Interessen vorliegen. Insoweit wird die Unabhängigkeit als Unparteilichkeit bezeichnet. Letztlich darf niemand gleichzeitig Richter und Verfahrensbeteiligter sein, und es kann nicht von Rechtsprechungstätigkeit gesprochen werden, wenn eine Einrichtung nicht unparteilich und unabhängig ist.

93.
    Die Gleichstellung der Unabhängigkeit mit der Eigenschaft eines Dritten im Verhältnis zu den Parteien beruht auf einem stark vereinfachenden Reduktionismus. Diese Eigenschaft eines Dritten ist, wie ich bereits ausgeführt habe(116), notwendig, jedoch nicht ausreichend. Unabhängigkeit ist viel mehr: Sie bedeutet gleicher Abstand zu den Verfahrensbeteiligten und dem Streitgegenstand, d. h. Fehlen jedes Interesses an einem Ausgang des Rechtsstreits, der nicht in der strikten Anwendung des Rechts(117) besteht, was zu der Notwendigkeit führt, die Gründe für Enthaltung und Ablehnung von vornherein zu regeln. Sie bedeutet jedoch auch Freiheit gegenüber Dienstvorgesetzten und Regierungsstellen, gegenüber den anderen Staatsgewalten und von gesellschaftlichem Druck. Die Unabsetzbarkeit ist Grund und Niederschlag der richterlichen Unabhängigkeit und besteht darin, dass Richter nur aus einigen gesetzlich geregelten Gründen mit den gesetzlich geregelten Garantien entlassen, vom Dienst suspendiert, versetzt oder in den Ruhestand versetzt werden können(118). Schließlich ist die Kehrseite der Unabhängigkeit die persönliche Verantwortlichkeit des Richters, die daneben dasGegengewicht der Unterworfenheit des Richters unter die einzige Bindung darstellt, die er nach der Rechtsordnung anerkennen darf und muss: das Recht.

Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind zerbrechliche Tugenden, und bei ihrem Schutz muss größte Strenge aufgewandt werden. Nicht vollständig unabhängig und daher nicht in der Lage, vollständigen Rechtsschutz zu gewähren, sind Einrichtungen, deren Entscheidungen, sei es auch nur teilweise oder theoretisch, durch eine nicht richterliche Stelle kontrolliert, geändert oder aufgehoben werden können(119).

94.
    Daher ist der Gerichtshof bei der Klärung der Frage, ob eine Einrichtung, die ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, ein Gericht ist, verpflichtet, zu prüfen, dass diese Einrichtung die Garantie der Unabhängigkeit in allen ihren Aspekten und dergestalt bietet, dass sie nur dem Recht unterworfen ist, durch klare Bestimmungen über die Ernennungverfahren, die Ständigkeit der Tätigkeit, die Gründe für die Enthaltung, Ablehnung und Absetzung ihrer Mitglieder, die sie in eine gleichmäßige Entfernung von den widerstreitenden Interessen versetzen und gegen jede Art von außen kommenden Vorschlägen, Angaben und Pressionen, ob offenkundig oder verdeckt, unempfindlich machen.

95.
    Nach alledem dürfen in aller Regel Vorabentscheidungsersuchen nur von Gerichten in Verfahren vorgelegt werden, in denen sie einen Rechtsstreit durch die Ausübung der Rechtsprechungsgewalt zu entscheiden haben. Als Ausnahme sind Vorlagen anderer Einrichtungen nur dann zulässig, wenn keine Möglichkeit eines weiteren Rechtsbehelfs gegen sie besteht und wenn sie Garantien für Unabhängigkeit und kontradiktorisches Verfahren bieten.

D - Die Vorteile des Vorschlags

96.
    Mit der neuen Definition des Begriffes „einzelstaatliches Gericht“, die ich vorschlage, würde die Aufgabe des Gerichtshofes einfacher und hätte den Vorteil, weitaus klarere Ergebnisse als gegenwärtig zu zeitigen. Bei Vorabentscheidungsersuchen von Einrichtungen, die in die Gerichtsorganisation eines Mitgliedstaats eingegliedert sind, brauchte nur geprüft zu werden, ob sie in Ausübung der Rechtsprechungsgewalt tätig werden. Wird die Frage von einer Einrichtung vorgelegt, die nicht zu dieser Gerichtsorganisation gehört, müsste der Gerichtshof zunächst feststellen, ob die Entscheidung, die die Einrichtung zu erlassen hat, der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, und danach eine genaue Untersuchung vornehmen, ob die Kriterien, die eine Einrichtung kennzeichnen, die eine Tätigkeit mit Rechtsprechungscharakter ausübt, erfüllt sind.

97.
    Ferner würde voraussichtlich bei Anwendung der vorgeschlagenen Kriterien die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen zurückgehen. Ich habe bereits in Nummer 41 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Kofisa(120) ausgeführt, dass ein erhebliches Ansteigen der Zahl der Rechtssachen, in denen der Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen zu beantworten hat, mittelbar die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen könnte, die das Vorabentscheidungsverfahren wahren soll. Die Zulassung von Vorabentscheidungsersuchen von Einrichtungen, die nicht zur nationalen Gerichtsorganisation gehören, kann die Arbeitslast des Gerichtshofes erhöhen und die Zeit bis zur Entscheidung verlängern. Diese Verlängerung der Fristen wegen der Vorlage unnötiger(121) Fragen könnte die Gerichte der Mitgliedstaaten davon abhalten, die für die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts unerlässlichen Fragen vorzulegen, so dass die mit Artikel 234 EG angestrebte gerichtliche Zusammenarbeit beeinträchtigt würde.

98.
    Letzten Endes dürfen die Folgen nicht außer Acht gelassen werden, die die Befugnisse, die der Gerichtshof den innerstaatlichen Gerichten verliehen hat, für das System der Rechtsquellen haben. Nach dem Urteil Simmenthal(122) sind die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden haben, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede - auch spätere - entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen, ohne dass sie die vorherige Beseitigung dieser Bestimmungen auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müssten.

99.
    In der Rechtssache Factortame(123) hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch dann abgeschwächt würde, wenn ein Gericht, das mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasst ist, durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit derspäteren Gerichtsentscheidung sicherzustellen. In dieser Lage ist es berechtigt, die Anwendung der innerstaatlichen Norm auszuschließen(124).

100.
    Auf alle Fälle bereitet jedoch die Weite, mit der der Gerichtshof den Gerichtsbegriff des Artikels 234 EG auslegt, ernsthafte Probleme, indem die Gerichtseigenschaft Einrichtungen zugebilligt wird, die diese Eigenschaft nach ihrer nationalen Rechtsordnung nicht haben, da sie die notwendige Identität, die zwischen demjenigen, der die Vorlage verfasst, und demjenigen besteht, der die Antwort erhält, verzerrt. Wenngleich verständlich sein mag, dass der Gerichtshof, wie er dies leider getan hat, den Begriff ausweitet, um ihn auf Verwaltungseinrichtungen zu erstrecken, ist es doch schwerer zu verstehen, dass er ihnen bei seiner Antwort Befugnisse verleiht, die das staatliche Recht ihnen nicht zubilligt, und damit das entsprechende Verfassungssystem verletzt. Zwar verleiht der Gerichtshof dem nationalen Gericht eine vollständige Zuständigkeit als Gemeinschaftsgericht(125) - hierfür genügt der Hinweis auf die apodiktische Formulierung des Urteils Simmenthal, die ich gerade angeführt habe -, doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Zuständigkeit Einrichtungen verliehen wird, die nach dem eigenen Recht ihres Landes nicht zur Gerichtsbarkeit gehören und als bloße Verwaltungsstellen betrachtet werden. Noch schwieriger ist es, sich vorzustellen, dass sich der Gerichtshof bei der Antwort an eine Einrichtung, die er als Gericht betrachtet, obwohl sie für den Staat, zu dem sie gehört, anderer Natur ist, nur an die wirklichen Teile des nationalen Gerichtssystems wendet(126).

101.
    Ich denke, dass nicht allzu sehr vertieft werden muss, wie unangemessen es wäre, die Befugnis, Rechtsnormen nicht anzuwenden, auf Verwaltungseinrichtungen zu erstrecken. Insgesamt ist dies ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit, die Befugnis, Vorabentscheidungsfragen vorzulegen, mit bestimmten Ausnahmen auf Gerichte im eigentlichen Sinn zu beschränken.

4 - Das Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-capitale

102.
    Ich räume ein, dass, wie sich anhand der folgenden Ausführungen beurteilen lässt, der Fall des Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-Capitale, dessen Einstufung als Gericht im Sinne des Artikels 234 EG im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofes höchst zweifelhaft ist, ein Grenzfall ist. Doch wie wir ebenfalls sehen werden, erhellt gerade diese Eigenschaft eines Extremfalls perfekt die Zweckdienlichkeit einer Richtungsänderung, wie ich sie hier vorschlage.

Die Frage ist von einem Kollegialorgan mit allen äußerlichen Merkmalen eines Gerichtes vorgelegt worden, bei dem es sich jedoch nicht um ein Gericht handelt. Um seine wirkliche Natur zu untersuchen, muss auf dem Weg eingehalten und die belgische Regelung der Rechtsbehelfe bei Provinzial- und Kommunalabgaben untersucht werden.

103.
    Das Gesetz vom 23. Dezember 1986(127) hat den Ständigen Vertretungen der Provinzialräte(128), die Rechtsprechungstätigkeit ausüben, die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden der Abgabenpflichtigen gegen Abgabenbescheide verliehen.

104.
    Der Ständige Ausschuss ist ein Kollegialorgan, das aus sieben Personen besteht, von denen sechs vom Provinzialrat aus dessen Reihen gewählt werden und der siebte der Gouverneur ist, der ihm vorsteht(129). Das Mandat ist an das Mandat des Provinzialrats gebunden, und daher beträgt seine Dauer gegenwärtig sechs Jahre(130). Die Ernennung kann nicht widerrufen und die Ausschussmitglieder können nicht disziplinarrechtlich verfolgt werden(131). Die Mitglieder der Judikative,die Kultusminister und die Beamten und Bediensteten der Provinzial- und Kommunalverwaltungen können nicht Mitglieder des Ausschusses werden; das Gleiche gilt für Bürgermeister und Gemeinderatsmitglieder(132).

105.
    Der Ständige Ausschuss ist ein Exekutivorgan der Provinz und versieht Verwaltungs-, Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsaufgaben(133). Wird er in der letztgenannten Eigenschaft tätig, so geschieht dies in einem kontradiktorischen Verfahren(134). Beträgt der Streitwert mindestens 10 000 BEF, so kann die Entscheidung bei der Cour d'appel angefochten werden. Die Entscheidung der Cour d'appel oder, wenn kein ordentliches Rechtsmittel gegeben ist, die Entscheidung des Ständigen Ausschusses kann mit Kassationsbeschwerde angefochten werden(135).

106.
    Nach Artikel 83 quinquies Absatz 2(136) des Gesetzes vom 12. Januar 1989 über die Brüsseler Institutionen(137) werden die Rechtsprechungsaufgaben, die in den Provinzen durch den Ständigen Ausschuss ausgeübt werden, in Brüssel-Hauptstadt einem Kollegium aus neun Mitgliedern zugewiesen, die auf unbestimmte Zeit vom Rat der Region auf Vorschlag von deren Regierung ernannt werden(138). Dies ist das Collège juridictionnel.

107.
    Auch wenn es keine besondere Rechtsnorm gibt, die ihre Stellung regelt, können die Mitglieder des Collège nicht disziplinarisch verfolgt werden, ihre Ernennung kann nicht widerrufen werden, und sie unterliegen den gleichen Bestimmungen über die Unvereinbarkeit von Ämtern wie die Mitglieder derStändigen Ausschüsse in den Provinzen(139). Die Verfahrensregeln sind die gleichen wie bei den erwähnten Ausschüssen, wenn diese Rechtsprechungsaufgaben ausüben(140), und auch die Bedingungen, unter denen gegen deren Entscheidungen ein Rechtsbehelf möglich ist, sind gleich(141).

108.
    Nach Artikel 9 des Gesetzes vom 24. Dezember 1996(142) werden die Ständigen Ausschüsse in den Beschwerdeangelegenheiten als Verwaltungsbehörde tätig. Für die Region Brüssel-Hauptstadt behält dagegen Absatz 2 dieses Artikels die Zuständigkeit des Collège juridictionnel bei.

109.
    Diese Änderung hat dazu geführt, dass bei der Cour d'arbitrage(143) eine Klage gegen die erwähnte Regelung wegen Verstoßes gegen die Artikel 10 und 11 der belgischen Verfassung erhoben wurde. Mit dem Urteil wurde festgestellt, dass Artikel 9 des Gesetzes vom 24. Dezember 1996 in der Tat gegen den Gleichheitssatz verstieß, da die Einwohner von Brüssel und die Einwohner des Restes des Landes in ungerechtfertiger Weise ungleich behandelt worden seien. Den Ersteren komme ein gerichtliches Verfahren zugute, während sich die Letzteren mit einem Verwaltungsverfahren begnügen müssten. Infolgedessen wurdedie Bestimmung aufgehoben, und man kehrte zu der vor ihrem Inkrafttreten geltenden Regelung zurück(144).

110.
    Schließlich nahm ein neues Gesetz über abgabenrechtliche Streitigkeiten vom 15. März 1999(145) den Ständigen Ausschüssen die erwähnte Zuständigkeit und verlieh sie, je nachdem, ob es sich um Provinzial- oder Kommunalabgaben handelt, dem Provinzialgouverneur oder einem aus Kommunalvertretern bestehenden Kollegium als Verwaltungsbehörden, deren Entscheidungen mit einer Klage beim örtlich zuständigen Tribunal de première instance angefochten werden können(146).

111.
    Seit der Reform von 1999 sind Zweifel daran entstanden, ob das Collège juridictionnel weiterhin für die Entscheidung über die Rechtsbehelfe gegen die Abgaben der Region Brüssel-Hauptstadt zuständig ist. Nach Artikel 9 des Gesetzes von 1996 konnten die Abgabenpflichtigen in den Provinzen Beschwerde beim Ständigen Ausschuss einlegen, der als Verwaltungsbehörde tätig wurde, während in der erwähnten Region das Collège juridictionnel zuständig war. Die Regelung wurde insgesamt ohne jede Nuancierung von der Cour d'arbitrage aufgehoben. Das Gesetz vom 15. März 1999 führte die Bestimmung in einer Fassung wieder ein, in der das Collège nicht erwähnt wird. Unbeschadet dessen steht nicht fest, ob von Artikel 83 quinquies des Gesetzes von 1989, der die Institutionen der Region Brüssel-Hauptstadt regelt, eine Ausnahme vorgenommen wurde, weshalb es mir bei einer ersten Untersuchung erlaubt sein sollte, zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Beschwerden im Bereich der eigenen Abgaben der Region an dieses besondere Organ zu richten sind.

Allerdings stelle ich bei einer vertieften Untersuchung fest, dass der Artikel 83 quinquies dem Collège juridictionnel die Ausübung der Rechtsprechungsaufgaben zugewiesen hat, die in den Provinzen dem Ständigen Ausschuss zustehen. Da Letzterer ja nicht im Bereich der kommunalen Abgaben tätig wird, gilt das Gleiche für das Collège juridictionnel. Es gibt jedoch noch einen wichtigeren Grund, der dieses Ergebnis untermauert: Dies ist die Ratio decidendi des Urteils Nr. 30/98 der Cour d'arbitrage, mit dem die Nichtigkeit des Artikels 9 in der Fassung von 1996 festgestellt wurde, da hierdurch ein gerichtliches Verfahren in der Region Brüssel-Hauptstadt und ein Verwaltungsverfahren in den Provinzen eingeführt worden war. Bei diesem Sachstand würde eine Zuständigkeit des Collège nach demGesetz von 1999 die Ungleichbehandlung wieder einführen, die im Urteil von 1998 beanstandet wurde(147).

112.
    Die belgische Lehre hat die Ständigen Ausschüsse vorbehaltslos als politische Einrichtungen eingestuft(148). Meines Erachtens lässt sich das Collège juridictionnel nicht in gleicher Weise einstufen. Zwar üben beide Einrichtungen die gleiche Tätigkeit im gleichen Verfahren aus, doch verleihen dem Letztgenanntem die Herkunft seiner Mitglieder und die Ausschließlichkeit der Aufgabe ein besonderes Profil.

113.
    Die Mitglieder des Ständigen Ausschusses gehören unbeschadet der Unvereinbarkeitsregelung dem jeweiligen Provinzialrat an, der aus einer Wahl hervorgeht(149), und ihr Mandat ist, wie wir gesehen haben, an das Mandat dieser politischen Einrichtung gebunden. Dem Ausschuss sitzt der Gouverneur vor, der der Vertreter der Regierung in der Provinz ist(150), der über Sitz und Stimme, und zwar bei Stimmengleichheit qualifiziert(151), verfügt. Zum anderen vereint der Ausschuss in seinen Händen politische, Verwaltungs- undRechtsprechungsaufgaben, deren Verquickung nicht die geeignetste Formel für die Gewährleistung der Unabhängigkeit seiner Mitglieder ist(152).

114.
    Das Collège juridictionnel setzt sich jedoch aus Personen zusammen, die zwar den gleichen Unvereinbarkeitsregeln wie die Mitglieder des Ständigen Ausschusses unterliegen, jedoch nicht aus den Regierungseinrichtungen hervorgehen, obwohl sie von der Regierung der Region Brüssel-Hauptstadt ernannt werden, und, was wichtiger ist, deren Mandat nicht an dasjenige der Behörde gebunden ist, die sie ernennt. Außerdem versieht das Collège nur Rechtsprechungsaufgaben. Diese Merkmale haben einen Teil der Lehre die Ansicht vertreten lassen, das Collège sei von der Kommunalbehörde völlig unabhängig(153).

115.
    Allerdings sind die Umstände, dass das Collège juridictionnel keine politische Einrichtung darstellt und dass es seine Zuständigkeit unabhängig von der Behörde ausübt, die seine Mitglieder ernennt, Einzelheiten, die es trotz ihrer erheblichen Bedeutung nicht automatisch zu einem Gericht im Sinne von Artikel 234 EG machen.

116.
    Das Collège ist eine Einrichtung, die ihre Tätigkeit in funktioneller Unabhängigkeit ausübt, aber dennoch in die Verwaltungsorganisation der Region Brüssel-Hauptstadt eingebunden ist und der Zuständigkeiten für die Entscheidungüber die Beschwerden gegen die Abgaben der Region übertragen sind(154). Tatsächlich stellt es einen Filter zwischen den Verwaltungsbehörden, die die Abgaben verwalten und erheben, und den Gerichten dar(155). Daher gehört es nicht zur Gerichtsbarkeit; dergestalt können seine Mitglieder keine Richter sein. Wenn es sich nicht um ein Gericht handelt, sollte ihm nicht die Eigenschaft eines Gerichts im Sinne von Artikel 234 EG beigemessen werden.

117.
    Zwar stellt die belgische Lehre die Einstufung des Collège als Einrichtung, die Rechtsprechungstätigkeit ausübt, nicht in Frage(156). Auch hat die Cour d'arbitrage in ihrem Urteil Nr. 30/98 festgestellt, dass vor dem Collège ein „gerichtlicher Rechtsbehelf“ behandelt wird. Diese Feststellung steht jedoch nicht im Widerspruch zu der Ansicht, dass es sich nicht um ein Gericht handelt. Die Cour d'arbitrage hat in einem Verfahren der Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes von 1986 aufgrund des Gleichheitssatzes entschieden und wollte den Unterschied zu dem entgegengesetzten Begriff, den Ständigen Ausschüssen, herausarbeiten. Der Entscheidung liegt die unterschiedliche Einstufung der beiden Einrichtungen zugrunde, zu der ich in den vorausgehenden Abschnitten Ausführungen gemacht habe.

Auf alle Fälle ist „Ausübung von Rechtsprechungstätigkeit“ kein Synonym für „Gericht“. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes ist, wie wir gesehen haben, ein gutes Beispiel dafür, und mit diesen Schlussanträgen soll gerade diese terminologische Verwirrung überwunden werden. Niemand hat geltend gemacht oder könnte geltend machen, dass das Collège juridictionnel in die Gerichtsorganisation einbezogen ist, und zwar ungeachtet dessen, dass es im kontradiktorischen Verfahren tätig wird, um im Wege der Auslegung und der Anwendung von Rechtsnormen über abgabenrechtliche Beschwerden zu entscheiden.

118.
    Das Collège ist somit kein Gericht. Seine Entscheidungen können stets bei Gerichten angefochten werden(157), und zwar sowohl im Rechtsmittelverfahren, wenn der Gegenstandswert der Beschwerde mindestens 10 000 BEF beträgt, alsauch anderenfalls unmittelbar mit der Kassationsbeschwerde(158). Diese echten Gerichte könnten um Vorabentscheidung in angebrachter Formulierung mit einer umfassenderen Betrachtung der nationalen Rechtsordnung und mit der Unabhängigkeit und Verantwortung desjenigen ersuchen, dem die Ausübung der Rechtsprechungsgewalt anvertraut ist. Ich habe bereits ausgeführt, dass sich das Collège juridictionnel in einer Grenzsituation befindet, da es nahe daran ist, als Gericht betrachtet zu werden, doch gerade in diesen Fällen ist äußerste Vorsicht geboten, und es ist klar anzugeben, wo die Grenze verläuft, wie subtil die Grenzziehung auch sein mag. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, sich für zur Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens des Collège juridictionnel der Region Brüssel-Hauptstadt unzuständig zu erklären.

119.
    Ungeachtet dessen möchte ich, für den Fall, dass dieser Vorschlag nicht befolgt wird, im Folgenden die Vorlagefrage inhaltlich untersuchen.

V - Untersuchung der Vorlagefrage

120.
    Das Collège juridictionnel der Region Brüssel-Hauptstadt möchte wissen, ob die Artikel des Vertrages, die den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft regeln, der Einführung einer jährlichen Abgabe auf Parabolantennen entgegenstehen.

121.
    Zu Beginn meiner Untersuchung möchte ich daran erinnern, dass zwar der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch unter Wahrung der Rechtsordnung der Europäischen Union ausüben müssen(159).

122.
    Artikel 49 EG verbietet Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verlangt diese Bestimmung nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringern aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten -, die geeignet sind, dieTätigkeit eines solchen Dienstleistungserbringers zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(160).

123.
    Die Dienstleistungen sind in Artikel 50 EG definiert als Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Die Dienstleistungsfreiheit ist innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet und muss grenzüberschreitenden Charakter haben. Der Vertrag erwähnt als durch den freien Dienstleistungsverkehr Begünstigte nur die Erbringer von Dienstleistungen, doch sind seine Bestimmungen vom Gerichtshof auch auf die Empfänger der Dienstleistungen angewandt worden(161), die sich daher auf die subjektiven Rechte berufen können, die ihnen das Gemeinschaftsrecht verleiht.

124.
    Zum anderen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Ausstrahlung von Fernsehsendungen den Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr unterliegt(162) und dass die Rechtmäßigkeit der nationalen Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, von der Erfüllung von vier Voraussetzungen abhängt: Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist(163).

125.
    Auch wenn daher das in Rede stehende abgabenrechtliche Hemmnis nicht diskriminierend wäre, müsste es aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein und auf alle Fälle den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einhalten.

1 - Der diskriminierende Charakter der Abgabenverordnung

126.
    Der Grundsatz der Gleichbehandlung, dessen besondere Ausprägung Artikel 49 EG darstellt, verbietet nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Ungleichbehandlung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen(164). Artikel 49 EG schließt daher die Anwendung einer nationalen Regelung aus, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten erschwert(165).

127.
    Wie die Kommission in ihren Erklärungen ausführt, hat die Abgabe auf Parabolantennen in zweierlei Hinsicht der Sache nach diskriminierenden Charakter.

128.
    Erstens belastet die jährliche Erhebung der Abgabe, was die Dienstleistungsempfänger angeht, die in Watermael-Boitsfort wohnenden nichtbelgischen Staatsbürger aus der Gemeinschaft stärker, obwohl sie unterschiedslos auf jeden Benutzer, unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz anwendbar ist. Diese Benutzer verfügen im Unterschied zu den im eigenen Land wohnenden belgischen Staatsangehörigen nicht immer über die Möglichkeit, über Kabel Fernsehsendungen aus ihrem Herkunftsstaat zu empfangen, so dass sie stärker am Empfang von Fernsehsendungen über Satelliten interessiert sind.

129.
    In Bezug auf die Erbringer von Dienstleistungen errichtet die Belastung des Eigentums an Parabolantennen ein Hemmnis für den Empfang von Fernsehprogrammen über Satelliten. Da ja im Unterschied zu den belgischen Fernsehbetreibern die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Fernsehbetreiber Programme nur über Satelliten verbreiten, beeinträchtigt die in Rede stehende Abgabe sie in größerem Maße. Die Abgabe entfaltet daher diskriminierende Wirkungen.

130.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes können jedoch nationale Regelungen, die für Dienstleistungen nach Maßgabe ihrer Herkunft gelten und daher diskriminierend sind, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein, wenn eineausdrückliche Bestimmung des Vertrages dies erlaubt(166). Nach Artikel 55 EG finden auf den freien Dienstleistungsverkehr die Artikel 45 EG bis 48 EG Anwendung, die in dem Kapitel über das Niederlassungsrecht stehen. In Artikel 46 EG finden sich dann als Ausnahmen von beiden Freiheiten die Maßnahmen in nationalen Vorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind.

131.
    Meines Erachtens gilt für die diskriminierende Verordnung die erwähnte Ausnahmebestimmung nicht, und sie lässt sich nicht durch diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar machen. In einer auf der Freiheit von Meinungsäußerung und Kommunikation beruhenden demokratischen Gesellschaft hat eine Abgabe auf das Eigentum an Parabolantennen nichts mit der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit der Bürger zu tun.

2 - Die Verordnung als Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr

A - Die Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs

132.
    Hilfsweise ist für den Fall, dass der Gerichtshof die untersuchte belgische Abgabenregelung nicht als diskriminierend erachtet, zu prüfen, ob sie ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr in der Gemeinschaft darstellt, und, bejahendenfalls, ob sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

133.
    Die Abgabe auf Parabolantennen ist geeignet, die Ausübung des freien Verkehrs von audiovisuellen Dienstleistungen sowohl aus Sicht der Empfänger als auch Sicht der Erbringer erheblich zu beeinträchtigen.

134.
    In Bezug auf die Empfänger kann eine jährliche Abgabe auf Parabolantennen Fernsehzuschauer abschrecken oder die Bedingungen für den Empfang von Fernsehsendungen über Satelliten kostspieliger machen. In Bezug auf die Erbringer von Dienstleistungen verringert die Erhebung der Abgabe die Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Ausstrahlung für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Wirtschaftsteilnehmer dadurch, dass sie den Empfang von über Satelliten ausgestrahlten Sendungen weniger attraktiv macht.

135.
    Im Ergebnis stellt die Einführung einer jährlichen Abgabe auf Parabolantennen durch eine kommunale Regelung ein Hemmnis für die Benutzungdieses Empfangsgeräts und daher für den freien Verkehr der audiovisuellen Dienstleistungen über Satelliten dar(167).

B - Die fehlende Rechtfertigung

136.
    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann der freie Dienstleistungsverkehr als Grundprinzip des Vertrages nur durch Regelungen beschränkt werden, die

1.    durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und die für alle in dem betreffenden Staat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Vorschriften Rechnung getragen ist, denen der Gemeinschaftsbürger in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist,

2.    notwendig sind, um die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und

3.    nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Notwendige hinausgehen(168).

137.
    Da die belgische Regierung in dieser Rechtssache keine Erklärungen abgegeben hat, kann über die Rechtfertigung dieses Hemmnisses für den freien Dienstleistungsverkehr nur spekuliert werden.

138.
    Die Kommission führt, gestützt auf das Rundschreiben des Ministeriums für die Region Brüssel-Hauptstadt an die Gemeindeverwaltungen vom 31. August 1999, aus, dass die Abgabe auf Parabolantennen im Zusammenhang mit der städtischen Umwelt stehe, da ihr Zweck darin bestehe, die Ästhetik der Gebäude zu wahren. Die Gemeindeverwaltung Watermael-Boitsfort erkannte dies in einem Schreiben vom 27. April 1999, das dem Collège juridictionnel vorgelegt worden ist, mit folgenden Worten an: „Die Abgabe auf Parabolantennen wurde zu dem Zweck eingeführt, deren ungezügelte Vermehrung im Gebiet der Gemeinde einzuschränken und auf diese Weise die Qualität unserer Umwelt zu wahren.“

139.
    Diese Erklärung ist jedoch nicht hinnehmbar. Ich finde keine Rechtfertigung für die beschränkende Maßnahme. Es ist nicht ersichtlich, dass die angegebene ästhetische Besorgnis durch irgendein Gutachten über den Einfluss von Parabolantennen auf die städtische Umwelt belegt worden wäre. Und selbst wenn die Rechtfertigung aus offenkundigen Gründen bei unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden vorliegen könnte, besteht für die übrigen Gebäude keinerlei Erklärung.

140.
    Selbst wenn der Schutz des städtischen Umfelds als Rechtfertigung der Beschränkung betrachtet werden könnte, müsste diese Rechtfertigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Nichts führt mich zu der Auffassung hin, dass die Abgabe auf Parabolantennen angemessen sein könnte, um das städtische Umfeld zu wahren. Die mit der Abgabe erzielten Einkünfte sind offensichtlich nicht für Ausgleichsinitiativen oder -maßnahmen bestimmt, die die Umwelt schützen würden, und die Verordnung findet unabhängig von Ort und Zeitpunkt der Aufstellung sowie von der Größe der Antenne Anwendung.

141.
    Im Ergebnis lässt sich nicht feststellen, dass die Abgabe angemessen wäre, um den Schutz der Umwelt zu gewährleisten.

142.
    Die Kommission macht geltend, der erklärte Zweck der Abgabenverordnung könnte wirksam erreicht werden, wenn den Eigentümern von Parabolantennen weniger kostspielige Alternativmaßnahmen auferlegt würden, wie etwa die Verpflichtung, eine bestimmte Farbe oder Größe zu benutzen, die Aufstellung der Antennen hinter den Gebäuden oder die Anbringung an weniger sichtbaren Gebäudeteilen. Diese Maßnahmen werden gerade durch die städtebauliche Kommunalverordnung über Außenempfangsantennen(169) eingeführt, die beispielsweise bestimmt, dass die Antennen nicht an einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude angebracht und nicht im Widerspruch zu den architektonischen Merkmalen des Gebäudes stehen dürfen und einen Durchmesser von höchstens 1,20 m einhalten müssen.

143.
    Dagegen verstößt die allgemeine Erhebung der Abgabe auf jede Parabolantenne ungeachtet der Einzelheiten der Anbringung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

144.
    Nach allem stellt die Abgabenverordnung der Gemeinde Watermael-Boitsfort ein gegen Artikel 49 EG verstoßendes Hemmnis dar, das nicht mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

145.
    Schließlich hält es die Kommission für angebracht, die in Rede stehende Abgabenregelung im Licht von Artikel 10 der Europäischen Konvention zumSchutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu untersuchen, in dem die Freiheit der Meinungsäußerung verankert ist.

146.
    In Nummer 9 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Connolly/Kommission(170) habe ich ausgeführt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung ein Grundpfeiler aller demokratischen Gesellschaften ist. In einer der großen Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs heißt es: „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eines der wesentlichen Fundamente einer [demokratischen Gesellschaft] und eine der wichtigsten Voraussetzungen für deren Fortschritt und für die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Individuums. Gemäß Artikel 10 Absatz 2 gilt sie nicht nur für .Informationen' und .Ideen', die Zustimmung erfahren oder die als harmlos oder unerheblich betrachtet werden, sondern auch für sämtliche Informationen und Ideen, die den Staat oder einen Bereich der Bevölkerung beleidigen, aus der Fassung bringen oder stören. Dies erfordern nämlich der Pluralismus, die Toleranz und die geistige Offenheit, ohne die es eine .demokratische Gesellschaft' nicht gibt.“(171)

147.
    Da jedoch der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in der Gemeinschaft der belgischen Abgabenverordnung eindeutig entgegensteht und da die Richtlinie selbst in ihrer achten Begründungserwägung erklärt, dass dieses Recht in seiner Anwendung auf die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen eine spezifische gemeinschaftsrechtliche Ausprägung der Freiheit der Meinungsäußerung sei, wie sie in der Konvention von Rom verankert sei, meine ich, dass die von der Kommission vorgeschlagene Untersuchung nicht durchgeführt werden muss.

148.
    Daher schlage ich vor, festzustellen, dass Artikel 49 der von der Gemeinde Watermael-Boitsfort verabschiedeten Kommunalverordnung über Parabolantennen entgegensteht.

VI - Ergebnis

Nach allem schlage ich vor, wie folgt zu entscheiden:

1.    Diese Rechtssache wird zur Klärung des Begriffes Gericht im Sinne von Artikel 234 EG dem Plenum des Gerichtshofes vorgelegt.

2.    Der Gerichtshof erklärt sich für unzuständig für die Beantwortung der vom Collège juridictionnel de la Région de Bruxelles-capitale vorgelegten Frage, da es sich bei diesem nicht um ein Gericht im Sinne von Artikel 234 EG handelt.

3.    Hilfsweise wird für den Fall, dass die Frage zugelassen wird, festgestellt, dass Artikel 49 EG einer Regelung von der Art entgegensteht, wie sie in der vom Gemeinderat Watermael-Boitsfort in der Sitzung vom 24. Juni 1997 verabschiedeten Abgabenverordnung enthalten ist, die eine Abgabe auf zum Empfang von audiovisuellen Sendungen über Satelliten verwendete Parabolantennen einführt.


1: Originalsprache: Spanisch.


2: -     Vor dem Erlass dieser Abgabenverordnung hatte der Gemeinderat am 27. Februar 1997 eine Gemeindebauordnung betreffend die Bedingungen erlassen, die Außenantennen erfüllen müssen; darin wird beispielsweise bestimmt, dass auf einem denkmalgeschützten Gebäude keine sichtbare Antenne errichtet werden darf, dass die architektonischen Merkmale des Gebäudes zu beachten sind, dass die Antenne auf keinen Fall an der Fassade angebracht werden darf und dass der Durchmesser 1,20 m nicht übersteigen darf.


3: -     Auf das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 98/4137 hin, das die Kommission gegen Belgien wegen des Erlasses von Abgabenverordnungen eingeleitet hatte, die dem Zweck dienen, Parabolantennen mit einer Abgabe zu belegen, gab die Region Brüssel-Hauptstadt einen Runderlass heraus, mit dem auf die Unvereinbarkeit der Abgabe mit dem EG-Vertrag hingewiesen wurde und die Gemeinden aufgefordert wurden, sie mit Wirkung vom 1. Januar 1999 aufzuheben. Entsprechend ging der Gemeinderat Watermael-Boitsfort mit der Entscheidung vom 21. September 1999 vor. Diese Aufhebung beeinflusst jedoch die vorliegende Frage nicht, da sich der Einspruch von Herrn De Coster gegen den Abgabenbescheid für das Abgabenjahr 1998 richtet.


4: -     Gegebenenfalls die Miteigentümer.


5: -     Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298, S. 23), geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl. L 202, S. 60).


6: -     Urteil vom 30. November 2000 in der Rechtssache C-195/98 (Österreichischer Gewerkschaftsbund, Slg. 2000, I-10497).


7: -     M. de Cervantes, Der sinnreiche Junker Don Quijote von La Mancha, berichtet von den richterlichen Erfahrungen des Sancho Pansa als Statthalter der Insel Barataria in den Kapiteln XLV, XLVII, XLIX und LI des Zweiten Buches. Kurioserweise übt im letztgenannten Kapitel Sancho Pansa eine Vorabentscheidungszuständigkeit aus, eine literarische Vorgängerin der Zuständigkeit, mit der jetzt der Gerichtshof betraut ist. Eines Tages saß er zu Gericht, und ihm wurde eine Frage vorgelegt, die vier Richter formuliert hatten; diese hatten eine Bestimmung anzuwenden, wonach diejenigen, die einen wasserreichen Fluss auf einer Brücke überqueren wollten, unter Eid zu erklären hatten, wohin und zu welchem Zweck sie dorthin gingen; wenn sie die Wahrheit sagten, so musste man sie hinüberlassen, und wenn sie logen, mussten sie den Tod an dem dort errichteten Galgen erwarten. Als ein Mann unter Eid erklärte, er werde am Galgen sterben, ergab sich das Dilemma, dass er, wenn er erhängt würde, die Wahrheit gesprochen hätte und es verdient hätte, den Fluss frei zu überqueren, während er, wenn sie ihn nicht verurteilen würden, die Unwahrheit gesagt hätte und nach dem Gesetz sterben müsste. Die Vorabentscheidung von Sancho Pansa, der dem Rat folgte, den ihm einst Don Quijote gegeben hatte, bestand in der Anwendung der Regel, dass sich die Justiz, wenn sie sich im Zweifel befindet, an die Barmherzigkeit zu halten hat.


8: -     Urteil vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 61/65 (Slg. 1966, 584).


9: -     Bereits zitiert in Fußnote 6.


10: -     In dem Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es sich bei dem Schiedsgericht um ei ne ständige Einrichtung handele, die nach niederländischem Recht ordnungsgemäß gebi ldet und damit beauftragt sei, durch Gesetz bestimmte Rechtsstreitigkeiten in einem streitigen Verfahren zu entscheiden, das Vorschriften unterliege, die den für die allgemeinen Gerichte geltenden entsprächen. Seine Mitglieder würden durch den Minister ernannt und hätten Rechtsnormen anzuwenden. Ferner seien die Betroffenen verpflicht et, dieses Schiedsgericht als Gericht für diese Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten anzurufen, die sie mit dem Versicherer führten.


11: -     Urteil vom 11. Juni 1987 in der Rechtssache 14/86 (Slg. 1987, 2545).


12: -     Urteil vom 30. März 1993 in der Rechtssache C-24/92 (Slg. 1993, I-1277).


13: -     Die Eigenschaft eines Dritten gegenüber der Einrichtung, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, ist notwendige, jedoch noch nicht ausreichende Voraussetzung für die Unabhängigkeit (vgl. meine folgenden Erwägungen in den Nrn. 92 f.).


14: -     In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass der luxemburgische Directeur de s contributions directes et des accises, den der luxemburgische Conseil d'État als ein Gericht angesehen hatte, nicht die Eigenschaft eines Dritten aufwies (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Darmon, Nr. 4). An der Spitze der Verwaltung stehend, weist der Directeur eine offensichtliche institutionelle Verbindung zu den Dienststellen auf, die d en in der Rechtssache streitigen Steuerbescheid erlassen hatten, der Gegenstand des der Vorlagefrage zugrunde liegenden Antrags war. Daneben ist der Directeur im Falle einer beim Conseil d'État eingereichten Klage Partei des Verfahrens.


15: -    Urteil vom 12. Dezember 1996 in den verbundenen Rechtssachen C-74/95 und C-129/95 (Slg. 1996, I-6609).


16: -     Urteil vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-54/96 (Slg. 1997, I-4961).


17: -     Hierbei ist ihm eine Tautologie unterlaufen: Unabhängig ist, wer unabhängig tätig ist.


18: -     Randnr. 35 des Urteils.


19: -     In den Urteilen vom 4. März 1999 in der Rechtssache C-258/97 (HI, Slg. 1999, I-1405) und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-275/98 (Unitron Scandinavia und 3-S, Slg. 1999, I-8291) hat der Gerichtshof die Vorlagefragen von Einrichtungen zugelassen, die mit der Überwachung der Vergabe öffentlicher Aufträge befasst waren.


20: -     Wie jedoch Generalanwalt Tesauro in seinen Schlussanträgen ausgeführt hat, stimmen diese Vorschriften nicht mit denjenigen für Richter überein, da die Dauer der Amtszeit der Mitglieder nicht festgelegt ist, diese keine Garantie für ihre Unabsetzbarkeit, sondern nur für eine festgelegte Dauer ihrer Amtszeit haben und sie jederzeit durch rein interne Organisationsmaßnahmen ihres Amtes enthoben werden können.


21: -     Urteil vom 4. Februar 1999 in der Rechtssache C-103/97 (Slg. 1999, I-551).


22: -     Was Generalanwalt Saggio dazu veranlasst hat, vorzuschlagen, die Vorlagefrage für unzulässig zu erklären.


23: -     Was nur eine Wiederholung dessen darstellt, was Artikel 20 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes über die Unabhängigkeit der Mitglieder der Kollegialbehörden mit Gerichtscharakter bestimmt.


24: -     Die durch die Verweisung auf das Richtergesetz im Fall Dorsch Consult vorgelegen hatten.


25: -     Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saggio in der Rechtssache, die mit Urteil vom 6 . Juli 2000 in der Rechtssache C-407/98 (Abrahamsson und Anderson, Slg. 2000, I-5539) abgeschlossen wurde. Das Urteil maß einer Verwaltungseinrichtung (dem schwedischen Beschwerdeausschuss in Hochschulangelegenheiten - Överklagandenämnd för Högskola n) Gerichtscharakter bei, da sie weisungsunabhängig und völlig unparteiisch entscheidet. Für den Gerichtshof verliehen ihr diese Garantien die Eigenschaft eines Dritten und di e erforderliche Unabhängigkeit gegenüber den Stellen, von denen die streitgegenständliche Entscheidung stammte. Dagegen hatte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, die Vorlagefrage wegen fehlender Unabhängigkeit der vorlegenden Einrichtung für unzulässig zu erklären, da keine besonderen Vorschriften bestanden, die die Voraussetzungen und die Einzelheiten des Widerrufs der Ernennung ihrer Mitgliede r regelten.


26: -     Es darf nicht vergessen werden, dass der Gerichtshof in den Urteilen Pretore di Salò (zitiert in Fußnote 11, Randnr. 7) und Corbiau (zitiert in Fußnote 12, Randnr. 15) sowie im Urteil vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Almelo, Slg. 1994, I-1477, Randnr. 21) ausgeführt hat, dass der gemeinschaftsrechtliche Begriff „Gericht“ im Einklang mit den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten bedeutet, dass die Bestimmungen, die die Zusammensetzung und die Tätigkeit der Einrichtung regeln, streng die Unabhängigkeit und die Eigenschaft ihrer Mitglieder als Dritte gewährleisten müssen. Dieses Erfordernis muss bei den Vorschriften noch stärker sein, die der Verwaltung die Möglichkeit einräumen, die Ernennung der Mitglieder der Einrichtung zurückzunehmen.


27: -     Urteil vom 21. März 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98 (Slg . 2000, I-1577).


28: -     R. Alonso García, Derecho comunitario. Sistema constitucional y administrativo de la Comunidad Europea, Ed. Centro de Estudios Ramón Areces, S.A., Madrid 1994, S. 330 f., D. Ruiz-Jarabo, El juez nacional como juez comunitario, Ed. Civitas, Madrid 1993, S. 81 f., M. Le Barbier-Le Bris, Le juge espagnol face au droit communautaire, Ed. Apogée (Veröffentlichungen des Centre de Recherches Européennes Universität Rennes I), Rennes 1998, S. 347 bis 350. Später beharrten J. Boulouis, M. Darmon und J.-G. Huglo, Contentieux communautaire, Ed. Dalloz, 2. Aufl., Paris 2001, S. 16, auf diesem Punkt.

    J. Banacloche führt in „Los Tribunales Económico-Administrativos“, veröffentlicht in d er Zeitschrift Impuestos, revista de doctrina, legislación y jurisprudencia, Jahrgang XVII, Nr. 2, Januar 2001, S. 1 bis 8, aus: „Zunächst müsste sich der Gerichtshof“ in Bezug auf die hierarchische Abhängigkeit der Tribunales Económico-Administrativos von der Verwaltung „kundig machen“. Zuvor hat er zum Ausdruck gebracht, dass es heute unter dem Gesichtspunkt der Verfassung völlig abzulehnen sei, solche Einrichtungen als Gerichte zu betrachten, obwohl es für diese Ansicht früher einen gewissen Rückhalt gegeben haben möge. „Die herkömmliche Aufteilung im Bereich von Wirtschaft und Verwaltung zwischen Verwaltungsorganen und Organen, die über Rechtsbehelfe entscheiden, hat oft zu der Täuschung geführt, dass über Rechtsbehelfe entscheidende Organe ... quasigerichtliche Organe seien, obwohl feststeht, dass diese Trennung ... nur auf einem Grundsatz der Arbeitsteilung und der Spezialisierung beruht, der keine größere Unabhängigkeit als in jedem anderen Bereich [der Verwaltung] mit sich bringt.“ Die Tribunales Económico-Administrativos seien Teil der Exekutive, die im Verfahren über die Anfechtung ihrer eigenen Rechtsakte gleichzeitig Richter und Partei sei und deren Auslegungskriterien sie sich nicht selten unterwürfen.


29: -     Ich möchte mir nicht ausmalen, was Montesquieu sagen würde, wenn er diese Vermeng ung von Verwaltungsbehörden und Gerichten erleben müsste.


30: -     Bereits angeführt in Fußnote 8.


31: -     Urteil vom 14. Dezember 1971 in der Rechtssache 43/71 (Slg. 1971, 1039). Die Frage wurde vom Präsidenten des Tribunale Turin aufgeworfen, der in einem summarischen Verfahren („Zahlungsbefehl“) für Recht erkannte, in dem die Entscheidung ohne Anhörung des Schuldners ergeht. Bemerkenswert ist, dass sich wegen der Besonderheit des Verfahrens die Frage der Gerichtseigenschaft einer Einrichtung stellte, die zur Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats gehörte.


32: -     Urteil vom 21. Februar 1974 in der Rechtssache 162/73 (Slg. 1974, 201). Die Frage stellte sich in einem summarischen italienischen Verfahren, in dem das Gericht, das allein aufgrund des Vorbringens des Antragstellers entschied, die Gegenpartei verurteilen konnte, ohne ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen, auch wenn die Entscheidung später angefochten werden konnte. Der Gerichtshof hatte bereits verschiedene Vorabentscheidungsersuchen im Rahmen summarischer Verfahren zugelassen (Urteile vom 12. November 1969 in der Rechtssache 29/69, Stauder, Slg. 1969, 419, vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 33/70, SACE, Slg. 1970, 1313, und vom 26. Oktober 1971 in der Rechtssache 18/71, Eunomia, Slg. 1971, 811).


33: -     Nach Generalanwalt Lenz in Nummer 6 seiner Schlussanträge in der Rechtssache, die mit dem Urteil vom 22. September 1988 in der Rechtssache 228/87 (Pretura unificata Turin, Slg. 1988, 5099) abgeschlossen wurde, hat der Gerichtshof seit dem Urteil Birra Dreher auf das Element des streitigen Verfahrens verzichtet.


34: -     Urteil vom 28. Juni 1978 in der Rechtssache 70/77 (Slg. 1978, 1453). In dieser Rechtssache ist das Vorabentscheidungsersuchen vom Pretore Alessandria in einem Zwangsvollstreckungsverfahren vorgelegt worden, in dem das Gericht abermals die Möglichkeit hatte, nur aufgrund des Vorbringens des Antragstellers zu entscheiden.


35: -     Urteil vom 15. Dezember 1973 in den verbundenen Rechtssachen C-277/91, C-318/91 und C-319/91 (Slg. 1993, I-6621). Die Fragen sind vom Präsidenten des Tribunale Genua in einem Verfahren über den Erlass einstweiliger Anordnungen vorgelegt worden.


36: -     In meinen Schlussanträgen vom 5. April 2001 in der Rechtssache Gottardo (C-55/00), in der noch kein Urteil ergangen ist, habe ich mir erlaubt, auf die Risiken hinzuweisen, die einer passiven Haltung des Gerichtshofes in Bezug auf die Formulierung der Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens innewohnen. Dort habe ich ausgeführt: „Der Gerichtshof sollte als zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts befugtes Organ das Problem mit weiterem Blick und größerer Flexibilität prüfen, um dem nationalen Gericht, das die Fragen aufwirft, und den anderen Gerichten der Europäischen Union eine zweckdienliche Antwort im Licht des geltenden Gemeinschaftsrechts zu erteilen. Sonst könnte die Ausgestaltung des Dialogs zwischen Gerichten, der durch Artikel 234 EG eingerichtet worden ist, zu sehr dem Gericht überlassen sein, das die Frage vorlegt, so dass sich die Antwort im Vorabentscheidungsverfahren nach seiner Formulierung richten würde, wie dies in den Fällen geschehen ist, die ich gerade untersucht habe“ (Nr. 36). Diese Ausführungen gelten auch für die Entscheidung, ob es für die Stellung einer Vorlagefrage darauf ankommt, dass dies aus einem streitigen Verfahren heraus geschieht. Offenkundig steht dem nationalen Gericht die Beurteilung zu, ob es einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts bedarf, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden zu können; doch steht die Prüfung der Voraussetzungen, von denen die Zulassung des Vorabentscheidungsersuchens abhängt, ausschließlich dem Gerichtshof zu.


37: -     Urteil vom 5. Mai 1977 in der Rechtssache 110/76 (Slg. 1977, 851).


38: -     Angeführt in Fußnote 33.


39: -     Es handelte sich um Strafverfahren gegen Unbekannt. Es sei daran erinnert, dass es sich bei dem Pretore um eine einzigartige Figur der italienischen Rechtspflege handelt, die die Aufgaben eines Staatsanwalts und eines Untersuchungsrichters in sich vereinigt.


40: -     Urteil vom 21. April 1988 in der Rechtsache 338/85 (Slg. 1988, 2041).


41: -     Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass der Pretore gleichzeitig mit dem Erlass des Vorabentscheidungsersuchens die einstweilige Anordnung verfügte, die der einzige Gegenstand dieses Ersuchens war. Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass er nicht für die Entscheidung einer Vorlagefrage zuständig sei, wenn das Verfahren vor dem innerstaatlichen Gericht bereits abgeschlossen sei, und hat dann das Vorabentscheidungsersuchen zugelassen, weil das Verfahren der einstweiligen Anordnung anhängig sei, da die erlassenen einstweiligen Anordnungen auf Betreiben der Parteien bestätigt, geändert oder aufgehoben werden könnten.


42: -     So verhielt es sich in der Rechtsache Pardini.


43: -     Vgl. Nrn. 7 und 26 der Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Corbiau, angeführt in Fußnote 12. Vgl. ebenfalls Nr. 14 der Schlussanträge von Generalanwalt Saggio in der Rechtssache Gabalfrisa u. a., angeführt in Fußnote 27.


44: -     Angeführt in Fußnote 16.


45: -     Der in Deutschland eingerichtete Ausschuss für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Behörden, die die Vergabe öffentlicher Aufträge nachprüfen.


46: -     Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass das Erfordernis eines kontradiktorischen Verfahrens kein absolutes Kriterium darstelle und dass die Verfahrensbeteiligten zwar nicht vom Ausschuss, doch vor der Vergabeprüfstelle anzuhören seien.


47: -     Angeführt in Fußnote 27.


48: -     Zu deren Eigenschaft als Verwaltungseinrichtungen habe ich oben Ausführungen gemacht.


49: -     Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-44/96 (Mannesmann, Slg. 1998, I-73) die Vorlagefragen des österreichischen Bundesvergabeamts zugelassen, das über Streitigkeiten in Bezug auf öffentliche Aufträge entscheidet, ohne dessen Gerichtseigenschaft zu prüfen. Generalanalt Léger, der diese Frage untersucht hat, hegte einige Zweifel am streitigen Charakter des Verfahrens, leitete jedoch aus dem Vorlagebeschluss ab, dass im Ausgangsverfahren eine streitige Verhandlung stattfand, die derjenigen glich, die vor den Gerichten durchgeführt wird. In den Urteilen vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-76/97 (Tögel, Slg. 1998, I-5357) und in der Rechtssache C-111/97 (EvoBus Austria, Slg. 1998, I-5411) hat der Gerichtshof wiederum verschiedene Vorlagefragen des Bundesvergabeamts zugelassen.


50: -     Die spanische Verfassung von 1978 bestimmt in Artikel 103 Absatz 1: „Die öffentliche Verwaltung unterliegt bei ihrer Tätigkeit ... vollständig Recht und Gesetz.“


51: -     Und in Vorbereitung der Anwendung legen sie es aus.


52: -     Beschluss vom 18. Juni 1980 in der Rechtssache 138/80 (Slg. 1980, 1975).


53: -    Ein deutsches Strafgericht hatte die Vertretung eines Verfahrensbeteiligten durch das Mitglied nicht zugelassen, weshalb es den Conseil ersuchte, zu den Voraussetzungen für die Ausübung seiner Anwaltstätigkeit als Erbringer von Dienstleistungen vor Gerichten eines anderen Mitgliedstaats Stellung zu nehmen.

    Paradoxerweise hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (Gebhard, Slg. 1985, I-4165) dem italienischen Consiglio nazionale forense die Gerichtseigenschaft ungeprüft zugebilligt. Nach Ansicht des Generalanwalts Léger hat den Gerichtshof in der Rechtssache Borker nicht die Natur der vorlegenden Einrichtung, sondern der Gegenstand der vorgelegten Frage dazu veranlasst, sich für unzuständig zu erklären. Hingegen ist eine Streitigkeit über die Voraussetzungen für die Zulassung als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer oder eine Streitigkeit über eine von einer Rechtsanwaltskammer verhängte Sanktion eine Streitigkeit, die die Kammer seines Erachtens zu entscheiden gesetzlich berufen ist. Der Gerichtshof hätte vielleicht dem Umstand mehr Bedeutung beimessen müssen, dass die Entscheidung des Consiglio nazionale mit einem Rechtsbehelf bei der Corte di cassazione angefochten werden konnte.


54: -     Beschluss vom 5. März 1986 in der Rechtssache 318/85 (Slg. 1986, 955).


55: -     Der Gerichtshof hob hervor, dass keine Verpflichtung zur Durchführung einer streitigen Verhandlung bestanden habe, dass der Betroffene den Ausschuss nicht selbst habe anrufen können und dass die Stellungnahme des Ausschusses den Minister nicht gebunden habe. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass die von dem Minister nach Abgabe der Stellungnahme verhängten Sanktionen von den Betroffenen vor den ordentlichen Gerichten angefochten werden könnten, die insoweit zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung befugt seien.


56: -     Urteil vom 12. November 1998 in der Rechtssache C- 134/97 (Slg. 1998, I-7023).


57: -     Der Fragen wie die Steuerpflicht, ihren Umfang u. ä. betrifft.


58: -     Angeführt in Fußnote 15.


59: -     In Nummer 7 der Schlussanträge, die ich in jener Rechtssache vorgetragen habe, habe ich ausgeführt, dass die Procura della Repubblica zumindest zwei der grundlegenden Voraussetzungen, die der Gerichtshof für die Zulässigkeit von Vorabentscheidungsfragen verlangt, nicht erfüllt: Sie ist kein Organ mit obligatorischer Gerichtsbarkeit (sie ist nicht einmal ein Organ mit Jurisdiktion in strengem Sinn), und sie entscheidet nicht nach Anhörung der Beteiligten in einem kontradiktorischen Verfahren, sondern ist selbst Beteiligte in einem solchen Verfahren.


60: -     Angeführt in Fußnote 11.


61: -     Urteil vom 16. Oktober 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-69/96 bis C-79/96 (Slg. 1997, I-5603).


62: -     Urteil vom 27. November 1973 in der Rechtssache 36/73 (Nederlandse Spoorwegen, Slg. 1973, 1299). In diesem Urteil hat der Gerichtshof Vorlagefragen des niederländischen Raad van State zugelassen, die dieser vor der Abgabe einer - rechtlich nicht bindenden - Stellungnahme in einem Verfahren über die Anfechtung von Verwaltungsakten gestellt hatte, in dem endgültig die Krone zu entscheiden hatte. Generalanwalt Mayras, der diese Frage in seinen Schlussanträge angeschnitten hatte, hat die Lösung zugunsten der Zulassung vorgeschlagen.


63: -     In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Garofalo (Nr. 37) habe ich Wert darauf gelegt, dass die Unanfechtbarkeit der keiner weiteren gerichtlichen Kontrolle unterliegenden endgültigen Entscheidung ein entscheidender Faktor dafür war, die Vorlage zuzulassen. Es handelte sich um eine Ausprägung des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit.


64: -     Beschluss des Gerichtshofes vom 26. November 1999 in der Rechtssache C-192/98 (Slg. 1999, I-8583).


65: -     Beschluss des Gerichtshofes vom 26. November 1999 in der Rechtssache C-440/98 (Slg. 1999, I-8597).


66: -     Urteil vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-111/94 (Slg. 1995, I-3361).


67: -     J. C. Moitinho de Almeida, „La notion de juridiction d'un État membre (Article 177 du traité CE)“, in Mélanges en hommage à Fernand Schockweiler, 1999, S. 463 bis 478.


68: -     Zuvor hatte der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. November 1974 in der Rechtssache 32/74 (Haaga, Slg. 1974, 1201) ohne Prüfung der Zulässigkeit eine Vorlagefrage in einem ähnlichen Verfahren angenommen. Generalanwalt Mayras schlug dem Gerichtshof vor, der vorlegenden Einrichtung die Gerichtseigenschaft zuzubilligen.


69: -     Siehe Randnr. 11 des Urteils. In den Schlussanträgen vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-178/99 hat Generalanwalt Geelhoed dem Gerichtshof vorgeschlagen, sich für nicht befugt zu erklären, ein vom Bezirksgericht Bregenz in Österreich (örtliches Gericht des ersten Rechtszugs) in einem Verfahren über die Eintragung des Eigentums an einem Grundstück vorgelegtes Vorabentscheidungsersuchen zu beantworten, da dieses Gericht keine Tätigkeit mit Rechtsprechungscharakter ausübe.


70: -     In Randnr. 18 des Urteils Victoria Film ist ausgeführt worden, dass nur dann, wenn der vorläufige Bescheid des Skatterattsnämnde angefochten wird, von einer Rechtsprechungstätigkeit der zur Entscheidung über die Klage berufenen Einrichtung gesprochen werden kann. Genau dieser Sachverhalt lag dem Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-200/98 (X und Y, Slg. 1999, I-8261) zugrunde, in dem festgestellt worden ist, dass der Regeringsrätt (oberstes schwedisches Verwaltungsgericht) bei der Entscheidung über eine Klage gegen die Bescheide des Skatterättsnämnde Rechtsprechungstätigkeit ausübt.


71: -     Nachdem sich der Gerichtshof im Urteil Job Centre I für unzuständig für die Beantwortung der vorgelegten Fragen erklärt hatte, entschied das Tribunale civile e penale Mailand das Verfahren. Gegen seine Entscheidung wurde Rechtsmittel bei der Corte d'appello Mailand eingereicht, die drei Fragen zur Vorabentscheidung vorlegte. Daraufhin hat der Gerichtshof im Urteil vom 11. Dezember 1997 in der Rechtssache C-55/96 (Job Centre II, Slg. 1997, I-7119) seine Zuständigkeit bejaht und die Vorlagefragen beantwortet.


72: -     Die Wahrung der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts könnte der Auslegungsschlüssel für die Vereinbarkeit der beiden Urteile miteinander sein: Im Urteil Job Centre konnte im Unterschied zum Urteil Haaga die Entscheidung des Gerichts mit einem Rechtsbehelf angefochten werden.


73: -     Angeführt in Fußnote 8.


74: -     Urteil vom 23. März 1982 in der Rechtssache 102/81 (Slg. 1982, 1095).


75: -     Das Schiedsgericht war aufgrund eines Vertrages für die Entscheidung von Streitigkeiten über die Aufteilung von finanziellen Beihilfen des EAGFL zuständig. Es handelte sich um ein gesetzlich ausgestaltetes Schiedsverfahren, das nach einem kontradiktorischen Verfahren mit einem Schiedsurteil abgeschlossen wurde, das in Rechtskraft erwuchs. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass keine obligatorische Rechtsprechung vorlag und dass die deutsche öffentliche Gewalt in die Entscheidung, den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit zu wählen, nicht einbezogen war und dass sie nicht von Amts wegen in den Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsrichter eingreifen konnte. Aufgrund dieser Erwägungen ist erzu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen dem Schiedsgerichtsverfahren und dem allgemeinen Rechtsschutzsystem in dem betroffenen Mitgliedstaat keine hinreichend enge Beziehung bestand, um den Schiedsrichter als Gericht bezeichnen zu können. Diese letztere Erwägung hat es Generalanwalt Tessauro erlaubt, in Nummer 28 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Dorsch Consult, angeführt in Fußnote 16, von der Verbindung zur öffentlichen Gewalt als einer der Voraussetzungen zu sprechen, von deren Vorliegen die Berechtigung einer Einrichtung zur Vorlage von Fragen abhängig sei.


76: -     P. Bonnassies, „Arbitrage et droit communautaire“, in L'Europe et le droit. Mélanges en hommage à Jean Boulouis, Ed. Dalloz, Paris, 1991, S. 21 ff., legt die Nachteile der ursprünglichen Rechtsprechung des Gerichtshofes in Bezug auf den Rechtsprechungscharakter der Schiedsgerichte dar.


77: -     Urteil vom 17. Oktober 1989 in der Rechtssache 109/88 (Slg. 1989, 3199).


78: -     Erwähnt in Fußnote 26.


79: -     Im Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-126/97 (Eco Swiss, Slg. 1999, I-3055) hat der Gerichtshof abermals verschiedene Vorlagefragen in einem gegen einen Schiedsspruch angestrengten Verfahren zugelassen, die bei dieser Gelegenheit vom niederländischen Hoge Raad gestellt worden waren.


80: -     Vgl. Nrn. 19 bis 21 der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in jener Rechtssache. Meines Erachtens findet die Entscheidung des Gerichtshofes, die in diesem Fall mit dem Vorschlag des Generalanwalts übereinstimmt, ihre Daseinsberechtigung abermals in der Notwendigkeit, die praktische Wirksamkeit zu wahren, zumal das Schiedsgericht, das das Vorabentscheidungsersuchen vorlegte, den Rechtsstreit in letzter Instanz entschieden hat.


81: -     Urteil vom 12. Dezember 1990 in den verbundenen Rechtssachen C-100/89 und C-101/89 (Slg. 1990, I-4647).


82: -     Urteil vom 12. Februar 1992 in der Rechtssache C-260/90 (Slg. 1992, I-643).


83: -     Urteil vom 3. Juli 1991 in der Rechtssache C-355/89 (Slg. 1991, I-3479).


84: -     Wie Generalanwalt Jacobs in Nummer 4 seiner Schlusanträge ausgeführt hat, ist die Insel Man ebenso die die Kanalinseln weder Teil des Vereinigten Königreichs noch eine Kolonie. Er hat jedoch eine weite Auslegung des Begriffes „Gericht eines Mitgliedstaats“ vorgeschlagen, die auf alle gerichtlichen Organe erstreckt werden sollte, die sich in dem Gebiet befinden, für das der Vertrag, und sei es auch nur teilweise, gilt (Nr. 18).


85: -     Urteil vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-171/96 (Slg. 1998, I-4607).


86: -     Dieses Urteil bestätigt, dass das Urteil Barr und Montrose Holdings für die Gerichte der Kanalinseln gilt.


87: -     Urteil vom 4. November 1997 in der Rechtssache C-337/95 (Slg. 1997, I-6013).


88: -     Urteil vom 16. Januar 1974 in der Rechtssache 166/73 (Slg. 1974, 33).


89: -     Die Nachteile, die die Situation hervorruft, wurden hervorgehoben von L. Neville und T. Kennedy, The Court of Justice of The European Communities, Ed. Sweet & Maxwell, London, 1994, S. 209 bis 213, M. Ch. Bergerès, Contentieux communautaire, Ed. Presses Universitaires de France, 2. Aufl., S. 247 f., und M. Jimeno Bulnes, La cuestión prejudicial del art. 177 TCE, Ed. Bosch, Barcelona 1996, S. 189 ff.


90: -     Der Gerichtshof wurde kritisiert, weil er verschiedentlich seine Zuständigkeit angenommen hat, ohne die Gerichtseigenschaft der vorlegenden Einrichtung zu untersuchen. So verhält es sich mit den Urteilen vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-166/91 (Bauer, Slg. 1992, I-2797) und vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-447/93 (Dreessen, Slg. 1994, I-4087), in denen die vorlegende Einrichtung der Berufungsrat französischer Sprache der belgischen Architektenkammern war. Auch im Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-67/91 (Asociación Española de Banca Privada u. a., Slg. 1992, I-4785) war dies der Fall, in dem der Gerichtshof über verschiedene Vorlagefragen des spanischen Tribunal de Defensa de la Competencia entschieden hat, das in das Ministerium für Wirtschaft eingegliedert ist, nicht zur Gerichtsbarkeit gehört und dessen Entscheidungen stets vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden können. Weiter hinzuzufügen sind das Urteil vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache C-243/95 (Hill und Stapleton, Slg. 1998, I-3739), in dem der Gerichtshof die Vorlagefragen des Labour Court Dublin für zulässig erklärt hat, und das Urteil vom 26. November 1998 in der Rechtssache C-7/97 (Bronner, Slg. 1998, I-7791) in Bezug auf Vorlagefragen des Oberlandesgerichts Wien in seiner Eigenschaft als Kartellgericht. Auch ist hinzuweisen auf die bereits in Fußnote 19 erwähnten Urteile HI, vorgelegt vom Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten, der ausschließlich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der von der Verwaltung erlassenen Maßnahmen einschließlich der Maßnahmen in Bezug auf die Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, und Unitron Scandinavia und 3-S, vorgelegt vom dänischen Klagenævnet for Udbud (Beschwerdeausschuss). Auch das Urteil vom 1. April 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-260/91 und C-261/91 (Diversinte und Iberlacta, Slg. 1993, I-1885) hat erstmals eine Vorlagefrage des spanischen Tribunal Económico-Administrativo Central zugelassen, ohne Erwägungen über dessen Gerichtscharakter anzustellen.


91: -     ABl. C 80, S. 1.


92: -    Die ausnahmsweise vorgesehene Prüfung ist Fällen vorbehalten, in denen die „ernste Gefahr besteht, dass die Einheit oder die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts berührt wird“.


93: -     Ich spreche von „geringem Nutzen“, weil, wie ich im Folgenden erläutern werde (Nrn. 75 bis 79), die Antwort auf Vorlagefragen von Einrichtungen, die keine Gerichte in engerem Sinne sind, nutzlos sein kann, wenn die Entscheidung der vorlegenden Einrichtung später im nationalen Rechtssystem möglicherweise nicht beachtet zu werden braucht.


94: -     Es sei daran erinnert, dass nach Artikel 225 Absatz 3 des Vertrages von Nizza die Vorabentscheidungen des Gerichts erster Instanz vom Gerichtshof auf Antrag des Ersten Generalanwalts geprüft werden können (Artikel 62 der durch den Vertrag von Nizza reformierten Satzung des Gerichtshofes).


95: -     Vgl. meinen Beitrag - D. Ruiz-Jarabo, „La reforma del Tribunal de Justicia realizada por el Tratado de Niza y su posterior desarrollo“ in El Tratado de Niza, análisis y comentarios, einem Sammelwerk, an dem auch F. Mariño, R. Silva, A. Mangas, P. Andrés und C. Moreiro mitgewirkt haben, Ed. Colex, Madrid, 2001, in dem ich hervorhebe, dass das Gericht erster Instanz „Gefahr läuft, das Schicksal von Ikarus, dem Sohn von Dädalus und Naucrate in der griechischen Sage, zu erleiden, den Minos im Labyrinth von Kreta eingeschlossen hatte. Um zu entkommen, kam Dädalus auf die Idee, seinem Sohn Flügel aus Vogelfedern herzustellen, die ihm mit Wachs an den Körper geklebt werden sollten, und er warnte ihn davor, zu nahe an die Sonne heranzufliegen, um zu verhindern, dass das Wachs schmilzt, und zu nahe am Meer, weil die Flügel, wenn sie nass würden, an Gewicht zunähmen und nutzlos würden. Das Gericht erster Instanz wird sich gezwungen sehen, ein heikles Gleichgewicht zu wahren: Es wird sich nicht in die grundlegende Arbeit des Gerichtshofes einmischen können und sich darauf beschränken, ihm zu helfen, jedoch auch nicht darauf verzichten können, die Zusammenarbeit mit den innerstaatlichen Gerichten zu übernehmen, die der Vorabentscheidungszuständigkeit innewohnt, und darauf, die Harmonisierung bei der Auslegung und der Anwendung des Gemeinschaftsrechts anzustreben. Unter den Voraussetzungen, unter denen sie ihm übertragen wird, verliert die Vorabentscheidungszuständigkeit ihre am stärksten kennzeichnenden Wesenszüge und ihre Daseinsberechtigung, zumal wenn die neue Zuständigkeit ihm in beschränkter Form und mit vielen Kautelen übertragen wird. Man wird vermeiden müssen, dass sich das Schicksal von Ikarus wiederholt, der, vom Flug fasziniert, sich der Sonne so stark annäherte, dass das Wachs schmolz, dass die Flügel sich auflösten und dass er ins Meer fiel und ertrank.“


96: -     Diese Ansicht hat der Gerichtshof selbst zum Ausdruck gebracht, als er ins einem Bericht über bestimmte Aspekte der Anwendung des Vertrages über die Europäische Union, veröffentlicht im Mai 1995, ohne schamrot zu werden, ausgeführt hat: „Ganz offensichtlich erfordert es die Notwendigkeit, die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts sowie der mit der Verwirklichung der Ziele der Verträge untrennbar verbundenen Übereinkommen sicherzustellen, dass es ein einziges Gericht wie den Gerichtshof gibt, das für die gesamte Gemeinschaft abschließend Recht spricht.“ Er hat noch hinzugefügt: „Dieses Erfordernis ist unabdingbar in allen Rechtssachen, die verfassungsrechtlicher Natur sind oder anderweitig eine für die Entwicklung des Rechts bedeutsame Frage aufwerfen.“


97: -     Zwei Beispiele: Von den drei Mitgliedern des finnischen Maaseutuelinkeinojen valituslautakakunta, der das im Urteil vom 22. Oktober 1998 in den Rechtssachen C-9/97 und C-118/97 (Jokela und Pitkäranta, Slg. 1998, I-6267) zugelassene Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hatte, war einer ein nicht juristischer Sachverständiger. Das österreichische Kartellgericht, das die im Urteil Bronner (angeführt in Fußnote 90) entschiedene Frage vorgelegt hat, bestand aus drei Mitgliedern, von denen zwei Laienbeisitzer waren.


98: -     In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Gottardo, angeführt in Fußnote 36, stelle ich dar, wie der Gerichtshof innerhalb von weniger als zwei Jahren zwei völlig unterschiedliche Antworten auf ein und dieselbe Frage gegeben hat, weil das vorlegende Gericht in der ersten Rechtssache, abgeschlossen durch das Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-345/89 (Stoeckel, Slg. 1991, I-4047), ein Übereinkommen der IAO nicht erwähnt, dies jedoch in der zweiten Rechtssache, abgeschlossen durch das Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-158/91 (Levy, Slg. 1993, I-4287), getan hatte.


99: -     M. Chevallier und D. Maidani, Guide pratique Article 177 CEE, Luxemburg, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1982, führen aus, dass der gemeinschaftliche Gerichtsbegriff nicht völlig autonom gegenüber den rechtlichen Kategorien der nationalen Gerichte sei. Die Anhaltspunkte und Kriterien, die sich der Rechtsprechung des Gerichtshofes entnehmen ließen, wurzelten in den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Grundsätzen.


100: -     Angeführt in Fußnote 77.


101: -     Urteil vom 6. Oktober 1981 in der Rechtssache 246/80 (Slg. 1981, 2311), das einem von der Königlich-Niederländischen Gesellschaft zur Förderung der Medizin eingerichteten Streitsachenausschuss für Angelegenheiten der allgemeinen Medizin, dessen Aufgabe darin bestand, über Klagen gegen die Entscheidungen der Kommission für die Zulassung von praktischen Ärzten zu entscheiden, die Gerichtseigenschaft zugebilligt hat. Der Gerichtshof hat sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass praktisch kein Rechtsbehelf gegen die Entscheidungen des Ausschusses gegeben war, obwohl es de lege lata einen gab. Unter diesem Gesichtspunkt (in diesem Sinn Nrn. 23 bis 25 der Schlussanträge von Generalanwalt Tesauro in der Rechtssache Dorsch Consult, angeführt in Fußnote 16) ist dieses Urteil zu verstehen.     


102: -     Urteil, angeführt in Fußnote 83.


103: -     Urteil, angeführt in Fußnote 85.


104: -     Vielleicht hat der Gerichtshof darauf abgestellt, als er in seinen Urteilen Birra Dreher, angeführt in Fußnote 32, und Simmenthal, angeführt in Fußnote 34, ausgeführt hat, dass das Vorlageverfahren jedem nationalen Gericht offen stehe. Allein das Urteil Corbiau, angeführt in Fußnote 12, könnte eine andere Annahme rechtfertigen. In diesem Urteil hat der Gerichtshof erklärt, dass der luxemburgische Directeur des contributions directes et des accises kein Gericht im Sinne des Vertrages sei, obwohl der luxemburgische Conseil d'État ihm diese Eigenschaft beigemessen hatte (vgl. Fußnote 14). Doch in der luxemburgischen Lehre selbst herrscht Uneinigkeit über die Natur dieses Rechtsinstituts (vgl. Nrn. 36 bis 39 der Schlussanträge des Generalanwalts Darmon).


105: -     Es sei daran erinnert, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Job Centre I, angeführt in Fußnote 66, a limine eine Vorlagefrage eines Gerichtes in einem Verfahren zurückgewiesen hat, das nicht streitig, sondern ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit war.


106: -     Einige Einrichtungen der Exekutive legen ebenfalls Rechtsnormen aus und wenden sie an, doch üben sie nicht aus diesem Grund Rechtsprechung aus. Die Tätigkeit des Ius dicere, des Feststellens, was im konkreten Fall Recht ist, beschränkt sich nicht auf die Anwendung des Gesetzes. Sie geht darüber hinaus. Das Potential der Rechtsordnung „wirkt“. Das Gericht wendet manchmal bestehende Rechtsnormen an; manchmal tut es jedoch ein Übriges, es entnimmt sie der Anwendung von Grundsätzen der Rechtsergänzung und schafft auf diese Weise Recht. Der Verwaltungsakt steht niemals dem Urteil gleich und kann ihm nicht gleich stehen. Sein Zweck besteht nicht darin, Recht zu sprechen, sondern konkrete Bedürfnisse zu befriedigen; seine Aufgabe ist ihrem Zweck nach metajuristisch, obwohl das Recht sein Geleise und seine Grenze bildet (vgl. R. Mendizábal, Códice con un juez sedente, Real Academia de Jurisprudencia y Legislación, Madrid, 1999, S. 165 f.).


107: -     Ich habe in diesen Schlussanträgen verschiedentlich auf die Sensibilität des Gerichtshofes gegenüber der Notwendigkeit hingewiesen, zum einen die Verwendung des Vorabentscheidungsverfahrens auszuweiten, und zum anderen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch Zulassung der Vorlagefragen von Einrichtungen zu gewährleisten, deren Entscheidungen später nicht gerichtlich anfechtbar waren.


108: -     Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Februar 1975, Golder/Vereinigtes Königreich (Serie A, Nr. 18), Nr. 35. [Anmerkung des Verfassers: Offizieller französischer Wortlaut: „Équité, publicité et célérité du procès n'offrent point d'intérêt en l'absence de procès“; offizieller englischer Wortlaut: „The fair, public and expeditions characteristics of judical proceeding are of no value at all if there are no judicial proceedings“.].


109: -     So ausdrücklich Generalanwalt Darmon in den Schlussanträgen in der Rechtssache, die mit dem Urteil vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84 (Johnston, Slg. 1986, 1651) abgeschlossen worden ist.


110: -     Angeführt in der vorhergehenden Fußnote.


111: -     Urteil vom 15. Oktober 1987 in der Rechtssache 222/86 (Slg. 1987, 4097),


112: -     Mit anderen Worten, den Rechtsbürgern darf nicht durch innerstaatliches Verfahrensrecht die Möglichkeit entzogen werden, die Rechte, die ihnen das Rechtssystem der Gemeinschaft zubilligt, gerichtlich geltend zu machen. Dieser Grundsatz gewährleistet, dass jede Zuwiderhandlung gegen das erwähnte System durch die nationalen Behörden der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Immunitäten der Staatsgewalt darf es nicht geben. Generalanwalt Darmon hat in Nr. 54 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Corbiau (angeführt in Fußnote 12) ausgeführt, dass nach Gemeinschaftsrecht jedem Einzelnen das unveräußerliche Recht zusteht, ein Gericht im Sinne des Artikels 234 EG anzurufen, wenn sich eine Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellt, ungeachtet der nach innerstaatlichem Recht geltenden Beschränkung des Klagerechts.


113: -     Die Einschränkung, nach der es ausschließlich dem nationalen Gericht zusteht, zu beurteilen, ob es angebracht ist, die Vorabentscheidungsfrage nach einem kontradiktorischen Verfahren zu stellen (Urteile Simmenthal und Ligur Carni u. a., angeführt in den Fußnoten 34 und 35) oder das Urteil, in dem ohne weiteres festgestellt wird, dass ein Verfahren kontradiktorisch ist, wenn die Parteien von der Stelle gehört worden sind, die die Entscheidung, die sie vor der vorlegenden Einrichtung angefochten haben, erlassen hat, auch wenn vor der vorlegenden Einrichtung keine Verhandlung stattgefunden hat (Urteil Dorsch Consult, angeführt in Fußnote 16).


114: -     Zu dieser dringenden Notwendigkeit hat in gewissem Umfang die jüngste Zunahme von Vorabentscheidungsersuchen durch Verwaltungseinrichtungen beigetragen, die für die Entscheidung über die Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig sind.


115: -     Das Urteil Gabalfrisa u. a., angeführt in Fußnote 27, ist in diesem Sinne beispielhaft.


116: -     Vgl. Fußnote 13.


117: -     Dies bezeichnet P. Calamandrei als psychologisches Verhalten der anfänglichen Gleichgültigkeit, Elogio dei Giudici scritto da un avvocato, Ponte Alle Grazie, Florenz, 1989, S. XXIX und 122. Fehlende Unparteilichkeit ist „die Verneinung des Richterlichen in seinem Kern“ (Urteil des spanischen Tribunal Constitucional 142/1997).


118: -     H. Sidgwick, (auf den R. Mendizábal in dem in Fußnote 106 zitierten Werk auf S. 201 Bezug nimmt) führt in The Elements of Politics aus, dass die bloße Ernennung der Richter durch den Gesetzgeber oder die Verwaltung seine Unabhängigkeit nicht gefährdet, wenn sie mit der Unabsetzbarkeit in Bezug auf die Aufgabe und den Rang einhergeht.


119: -     Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 19. April 1994, Van de Hurk/Niederlande (Serie A Nr. 288, Nr. 45) und vom 25. Februar 1997, Findlay/Vereinigtes Königreich (Sammlung der Urteile und Entscheidungen 1997-I, Nr. 77.


120: -     Urteil vom 11. Januar 2001 in der Rechtssache C-1/99 (Slg. 2001, I-207).


121: -     Vgl. Nr. 78 dieser Schlussanträge.


122: -     Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77 (Slg. 1978, 629).


123: -     Urteil vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89 (Slg. 1990, I-2433).


124: -    Die Anwendung dieser Entscheidung auf die Einrichtungen, die zur Vorlage von Vorabentscheidungsfragen befugt sind, wird in Randnr. 21 des Urteils bestätigt. In der folgenden Randnummer hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die praktische Wirksamkeit des durch Artikel 177 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) geschaffenen Systems beeinträchtigt würde, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefragen durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erlässt.


125: -     R. Alonso García, Derecho comunitario. Sistema constitucional y administrativo de la Comunidad Europea, Ed. Centro de Estudios Ramón Areces, Madrid, 1994, S. 332 f., verweist auf die verworrene Ansicht, die im Urteil vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88 (Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839) zum Ausdruck gekommen ist, als dort eindringlich festgestellt wurde, dass nicht nur die Gerichte, sondern die öffentliche Verwaltung selbst verpflichtet seien, das mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare innerstaatliche Recht nicht anzuwenden, und damit der schwere Fehler begangen wurde, nicht einschränkend darauf hinzuweisen, dass diese Unvereinbarkeit vom Gerichtshof festgestellt worden sein muss.


126: -     Vgl. die Arbeit von A. Barav, „La plénitude de compétence du juge national en sa qualité de juge communautaire“, in L'Europe et le droit. Mélanges en hommage à Jean Boulouis, Ed. Dalloz, Paris, 1991, S. 1 ff.


127: -     Gesetz über die Beitreibung und über Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der Provinzial- und Kommunalabgaben (Moniteur belge vom 12. Februar 1987).


128: -     Artikel 5 und 9.


129: -     Artikel 96 und 104 des Provinzialgesetzes vom 30. April 1836 (bekannt gemacht im Moniteur belge vom 23. Dezember 1891) in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1997.


130: -     Artikel 100 des in der vorhergehenden Fußnote angeführten Provinzialgesetzes in der Fassung des Artikels 10 des Gesetzes vom 15. Mai 1949. Der Zeitraum von sechs Jahren wurde durch Artikel 224 des Gesetzes vom 16. Juli 1993 eingeführt.


131: -     Vgl. Nr. 1 Absatz 3 des Kapitels „Geschäftsordnung und Zuständigkeiten“ der Antwort der belgischen Regierung auf die Fragen des Gerichtshofes.


132: -     Die Fälle der Unvereinbarkeit der Ämter und Mandate werden in Artikel 27 des Rahmengesetzes über die Provinzialwahlen vom 19. Oktober 1921 geregelt. Der Rahmen der Unvereinbarkeitsregelungen wird ergänzt durch Artikel 71 des neuen Kommunalgesetzes vom 24. Juni 1988, kodifiziert durch Königliche Verordnung vom selben Tag (Moniteur belge vom 3. September 1988), die durch Gesetz vom 26. Mai 1989 (Moniteur belge vom 30. Mai 1989) gebilligt wurde.


133: -     Vgl. Kapitel 1 des Titels VII des bereits angeführten Provinzialgesetzes. Vgl. auch M. Uyttendaele, Regards sur un système institutionnel paradoxal. Précis de droit public belge, Ed. Bruylant, Brüssel, 1997, S. 1034 f.


134: -     Artikel 104bis des Provinzialgesetzes von 1836, eingefügt durch Gesetz vom 6. Juli 1987 (Moniteur belge vom 18. August 1987) und Königliche Verordnung vom 17. September 1987 (Moniteur belge vom 29. September 1987).


135: -     Artikel 7 des brereits angeführten Gesetzes vom 23. Dezember 1986.


136: -     Eingefügt durch Spezialgesetz vom 16. Juli 1993.


137: -     Moniteur belge vom 14. Januar 1989.


138: -     Mindestens drei Mitglieder gehören der weniger zahlreichen Sprachgruppe an.


139: -     Vgl. Artikel 83 quinquies Absatz 2 Unterabsatz 2 des Gesetzes vom 12. Januar 1989. Vgl. auch Nrn. 1 und 2 des Abschnitts „Wirkungsweise und Zuständigkeiten“ der Antwort der belgischen Regierung.


140: -     Vgl. Artikel 83 quinquies Absatz 2 Unterabsatz 3 des Gesetzes von 1989.


141: -     Vgl. den in der vorhergehenden Fußnote angeführten Artikel in Verbindung mit Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Dezember 1986. Die Verweisung in Artikel 83 quinquies des Gesetzes von 1989 auf die Verfahrensbestimmungen, die die Rechtsprechungstätigkeit der Ständigen Ausschüsse regeln, gilt auch für die Rechtsbehelfe. Vgl. in diesem Sinn die beiden letzten Absätze der Antwort der belgischen Regierung, in denen ausgeführt wird, dass gegen die Entscheidung des Collège ein Rechtsbehelf bei der Cour d'appel eingelegt werden kann, wenn der Streitwert mindestens 10 000 BEF beträgt. In der folgenden Zeile wird hinzugefügt, dass gegen die Entscheidung des „Ständigen Ausschusses“ (sic) oder gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf die Kassationsbeschwerde gegeben ist. Dies ist die Folge dessen, dass davon ausgegangen wird, dass die Verweisung in Artikel 83 quinquies auch für die Bestimmungen über den Rechtsbehelf, d. h. Artikel 7 des Gesetzes von 1986, gilt. Daher ist, wenn gegen die Entscheidung des Collège ein Rechtsbehelf oder, je nach Lage des Falles, die Kassationsbeschwerde möglich ist, die Erwähnung des „Ständigen Ausschusses“ in der Antwort der belgischen Regierung entsprechend den Ausführungen und dem Kontext, in dem sie gemacht wurden, als Erwähnung des Collège juridictionnel zu verstehen.


142: -     Moniteur belge vom 31. Dezember 1996.


143: -     Das Gericht, das die Auslegung und den Schutz der belgischen Verfassung zur Aufgabe hat.


144: -     Urteil Nr. 30/98 vom 18. März 1998.


145: -     Moniteur belge vom 27. März 1999.


146: -     Artikel 9 und 10 des Gesetzes vom 24. Dezember 1996 in der Fassung der Artikel 91 und 92 des Gesetzes vom 15. März 1999.


147: -     T. Afschrift und M. Igalson, „La procédure fiscale après les lois des 15 et 23 mars 1999“, in Journal des tribunaux, Nr. 593, 26. Juni 1999, S. 48 ff., Nr. 132, sind wohl der gleichen Ansicht. Danach wäre es nach dem Urteil der Cour d'arbitrage vorzuziehen gewesen, in der flämischen und der wallonischen Region dem Collège juridictionnel entsprechende Einrichtungen zu schaffen. Der Gesetzgeber hat sich 1999 für das Gegenteil entschieden: reine Verwaltungsbeschwerden mit der Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung.


148: -     Nach M. Leroy, Contentieux administratif, Ed. Bruylant, Brüssel, 1996, S. 96 bis 98, sind die Ständigen Ausschüsse vor allem politische Einrichtungen, und ihre Entscheidungen werden zwar in der Praxis selten wegen Parteilichkeit beanstandet, doch sei es vom Grundsätzlichen her nicht gerechtfertigt, die Politiker zu Richtern aufzuwerten. M. Uyttendaele, Regards sur un système institutionnel paradoxal. Précis de droit public belge, S. 1035, führt in Bezug auf diese Kollegialorgane aus, dass es merkwürdig sei, zu sehen, dass hier eine politische Einrichtung Rechtsprechungsaufgaben ausübe.


149: -     Artikel 2 des Provinzialgesetzes vom 30. April 1836 in der Fassung des Gesetzes vom 11. April 1936.


150: -     Artikel 4 des Provinzialgesetzes vom 30. April 1836 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1997.


151: -     Artikel 104 erster und dritter Gedankenstrich des bereits angeführten Provinzialgesetzes von 1836.


152: -     Diejenigen, die die Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheides zu beurteilen haben, gehören der Einrichtung an, die in Ausübung von Rechtsetzungsbefugnissen die Abgabensatzung verabschiedet und den Abgabenbescheid als Verwaltungsbehörde erlassen hat. T. Afschrift und M. Igalson, „La procédure fiscale après les lois des 15 et 23 mars 1999“, angeführt in Fußnote 132, kritisieren die fehlende Unabhängigkeit des in der Reform von 1999 eingeführten Kollegiums von Kommunalvertretern und führen aus, dass dessen Mitglieder nicht sehr geneigt sein dürften, die in Anwendung der von der Stadtverwaltung selbst, der sie angehörten, gebilligten und von den Beamten, die unmittelbar unter ihrer Führung tätig seien, erlassenen Abgabenbescheide aufzuheben.

    Allerdings wird im Urteil vom 19, März 1991 in der Rechtssache C-109/90 (Giant, Slg. 1991, I-1385) eine Vorlagefrage des Ständigen Ausschusses des Provinzialrats von Brabant beantwortet. Der Gerichtshof hat in der Hauptsache entschieden, ohne die Gerichtseigenschaft der vorlegenden Einrichtung zu prüfen. Generalanwalt Jacobs, der das Problem angesprochen hat, hat sich für die Zulässigkeit ausgesprochen und dabei darauf hingewiesen, dass der Ausschuss öffentliche Sitzungen in einem kontradiktorischen Verfahren abhalte und seine Entscheidungen zu begründen habe.


153: -     T. Afschrift und M. Igalson, „La procédure fiscale après les lois des 15 et 23 mars 1999“, angeführt in Fußnote 132.


154: -     Gemäß 83 quinquies des Gesetzes vom 12. Januar 1989 werden die Zuständigkeiten, die den Ständigen Ausschüssen in den Provinzen verliehen sind, in der Region Brüssel-Hauptstadt zwischen der Regierung und dem Collège juridictionnel aufgeteilt: Die Regierung erhält die Verwaltungs- und das Collège juridictionnel die Rechtsprechungsbefugnis. Die Rechtsetzungsbefugnisse stehen dem Rat und gegebenenfalls der Regierung zu (Artikel 6 und 38 sowie die übereinstimmenden Bestimmungen des Gesetzes).


155: -     Dieser Auffassung sind T. Afschrift und M. Igalson, M., siehe oben, Nr. 132.


156: -     B. Dambermont, Taxes communales (Loi du 24 décembre 1996, analyse par article, textes légaux), Ed. La Charte, Brügge, 1999.


157: -     Vgl. Nr. 107 und Fußnote 141.


158: -     Um zu bestimmen, ob die Entscheidung einer Einrichtung die letzte im innerstaatlichen Rechtssystem ist, ist zu berücksichtigen, ob sie mit einer Kassationsbeschwerde angefochten werden kann. Zwar ist die Kassation keine neue Instanz, doch kann wegen ihres Zweckes, die Auslegung des Rechts festzulegen, und unter Beachtung des Zweckes der Vorlage, der darin besteht, die Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Sinne von Artikel 234 EG vorzunehmen, eine Einrichtung, deren Entscheidung bei einem Kassationsgericht angefochten werden kann, nicht als letzte Instanz betrachtet werden.


159: -     Vgl. statt aller Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21).


160: -     Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90 (Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12), vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94 (Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnr. 10) und vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-398/95 (SETTG, Slg. 1997, I-3091, Randnr. 16).


161: -     Urteile vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377), vom 14. November 1995 in der Rechtssache C-484/93 (Svensson und Gustavsson, Slg. 1995, I-3955) und vom 26. Oktober 1999 in der Rechtssache 294/97 (Eurowings Luftverkehr, Slg. 1999, I-7447, Randnr. 34).


162: -     Urteile vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73 (Sacchi, Slg. 1974, 409, Randnr. 6), vom 18. März 1980 in der Rechtssache 52/79 (Debauve u. a., Slg. 1980, 833, Randnr. 8) und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-23/93 (TV10, Slg. 1994, I-4795, Randnrn. 13 bis 16).


163: -     Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-9/92 (Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32) und vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37).


164: -     Urteile vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-3/88 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 4035, Randnr. 8) und vom 3. Juni 1992 in der Rechtssache C-360/89 (Kommission/Italien, Slg. 1992, I-3401, Randnr. 11).


165: -     Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-381/93 (Kommission/Frankreich, Slg. 1994, I-5145, Randnr. 17) und vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-118/96 (Safir, Slg. 1998, I-1897, Randnr. 23).


166: -     Urteile vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85 (Bond van Adverteerders, Slg. 1988, 2085, Randnr. 32) und vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89 (ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 24),


167: -     In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass der jährliche Betrag der Abgabe (5 000 BEF) verglichen mit den Kosten des Erwerbs einer Parabolantenne hoch ist. Auf alle Fälle besteht, wie die Kommission ausführt, kein Zweifel daran, dass die Abgabe von der Verwendung dieses Mittels zum audiovisuellen Empfang abschrecken soll. Die Verordnung selbst gibt in ihren Begründungserwägungen an: „In Anbetracht der wachsenden Anzahl errichteter Parabolantennen ...“


168: -     Urteile vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 27), vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-180/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709, Randnrn. 17 und 18) und vom 20. Mai 1992 in der Rechtssache C-106/91 (Ramrath, Slg. 1992, I-3351, Randnrn. 29 bis 31).


169: -     Vgl. Fußnote 2.


170: -     Urteil vom 6. März 2001 in der Rechtssache C-274/99 P (Slg. 2001, I-1611).


171: -     Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 1976, Handyside/Vereinigtes Königreich (Serie A, Nr. 24), Nr. 49.