Language of document : ECLI:EU:C:2024:374

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

30. April 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Energie – Richtlinie 2009/119/EG – Bevorratung von Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen – Art. 3 – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Sicherheitsvorräte zu halten – Art. 8 – Unternehmen – Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 – Energiestatistik – Nationale Regelung, nach der einem Unternehmen die Verpflichtung auferlegt werden kann, einen Sicherheitsvorrat an einem Erdölerzeugnis zu schaffen und zu halten, auch wenn dieses Erzeugnis nicht Gegenstand der wirtschaftlichen Tätigkeit dieses Unternehmens ist – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 16 – Unternehmerische Freiheit – Art. 17 – Eigentumsrecht“

In den verbundenen Rechtssachen C‑395/22 und C‑428/22

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien) mit Entscheidungen vom 3. und 14. Juni 2022, eingegangen beim Gerichtshof am 14. bzw. 28. Juni 2022, in den Verfahren

„Trade Express-L“ OOD (C‑395/22),

„DEVNIA TSIMENT“ AD (C‑428/22)

gegen

Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia „Darzhaven rezerv i voennovremenni zapasi“

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter N. Piçarra und N. Jääskinen,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der „DEVNIA TSIMENT“ AD, vertreten durch E. Evtimov, Y. Mateeva, S. Vasilev, V. Vidolov, Advokati, und B. Lazarov,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch E. M. M. Besselink, M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        der slowakischen Regierung, vertreten durch S. Ondrášiková als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bozhilova, B. De Meester und C. Georgieva als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Oktober 2023

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j sowie der Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119/EG des Rates vom 14. September 2009 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 2009, L 265, S. 9), in der durch die Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1581 der Kommission vom 19. Oktober 2018 (ABl. 2018, L 263, S. 57) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2009/119), von Art. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über die Energiestatistik (ABl. 2008, L 304, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2019/2146 der Kommission vom 26. November 2019 (ABl. 2019, L 325, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1099/2008) sowie von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der „Trade Express-L“ OOD (im Folgenden: Trade Express) (C‑395/22) und der „DEVNIA TSIMENT“ AD (im Folgenden: Devnia Tsiment) (C‑428/22) einerseits und dem Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia „Darzhaven rezerv i voennovremenni zapasi“ (Vizepräsident der Staatlichen Agentur „Staatsreserven und Kriegsvorräte“) andererseits über die Rechtmäßigkeit der von diesem erlassenen Anordnungen, mit denen den beiden Gesellschaften die Verpflichtung auferlegt wurde, für die Dauer von einem Jahr Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl zu schaffen und zu halten.

 Rechtlicher Rahmen

 IEA-Übereinkommen

3        Mit dem am 18. November 1974 in Paris unterzeichneten Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm (im Folgenden: IEA-Übereinkommen) wurde im Rahmen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Internationale Energieagentur (IEA) geschaffen.

 Unionsrecht

 Richtlinien 68/414/EWG und 2006/67/EG

4        Die ersten Vorschriften zur Regelung der Sicherheitsvorräte an Erdöl oder Erdölerzeugnissen wurden mit der Richtlinie 68/414/EWG des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 1968, L 308, S. 14), eingeführt.

5        Die Richtlinie 68/414 in der zuletzt durch die Richtlinie 98/93/EG des Rates vom 14. Dezember 1998 (ABl. 1998, L 358, S. 100) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 68/414) wurde durch die Richtlinie 2006/67/EG des Rates vom 24. Juli 2006 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (ABl. 2006, L 217, S. 8), aufgehoben. Die Richtlinie 2006/67 wurde ihrerseits durch die Richtlinie 2009/119 aufgehoben, die in zeitlicher Hinsicht auf die Ausgangsverfahren anwendbar ist.

6        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 68/414, der im Wesentlichen Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2006/67 entsprach, bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten erlassen geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um vorbehaltlich der in Artikel 7 vorgesehenen Bestimmungen in der Europäischen Gemeinschaft ständig Vorräte an Erdölerzeugnissen in einer Höhe zu halten, die bei jeder Kategorie der in Artikel 2 genannten Erdölerzeugnisse mindestens dem nach dem Tagesdurchschnitt errechneten Inlandsverbrauch an 90 Tagen des vorhergehenden Kalenderjahrs nach Artikel 4 entspricht.“

7        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 68/414, der im Wesentlichen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/67 entsprach, lautete:

„Zur Berechnung des Inlandsverbrauchs werden folgende Kategorien von Erzeugnissen zugrunde gelegt:

–        Motorbenzin und Flugtreibstoffe (Flugbenzin und Flugturbinenkraftstoff auf Benzinbasis),

–        Gasöl, Dieselöl, Leuchtöl und Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis,

–        Heizöle.“

 Richtlinie 2009/119

8        In den Erwägungsgründen 3, 5, 8, 11, 21 und 33 der Richtlinie 2009/119 heißt es:

„(3)      Der Europäische Rat hat in seinem Aktionsplan (2007-2009) mit dem Titel „Eine Energiepolitik für Europa“ die Notwendigkeit hervorgehoben, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, sowohl auf der Ebene der Europäischen Union … insgesamt als auch auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten; dies soll u. a. durch die Überprüfung des Systems der Union für die Haltung von Erdölvorräten geschehen, insbesondere im Hinblick auf deren Verfügbarkeit in Krisensituationen.

(5)      Gemäß der Richtlinie [2006/67] werden die Vorräte auf der Grundlage des Tagesdurchschnitts des Inlandsverbrauchs des vorhergehenden Kalenderjahres bestimmt. Die Verpflichtungen aus dem [IEA-Übereinkommen] werden jedoch anhand der Nettoeinfuhren von Erdöl und Erdölerzeugnissen berechnet. Aus diesem Grund und aufgrund anderer methodischer Abweichungen sollten die Methoden zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen und der Sicherheitsvorräte der Gemeinschaft an die Berechnungsmethoden nach dem IEA-Übereinkommen angeglichen werden …

(8)      Die Verfügbarkeit der Erdölvorräte und die Gewährleistung der Energieversorgung sind für die öffentliche Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft von größter Bedeutung. Zentrale Bevorratungsstellen (im Folgenden als,ZBS‘ bezeichnet) in der Gemeinschaft erleichtern es, diese Ziele zu erreichen. Um es den betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die Statuten ihrer ZBS optimal durch nationale Vorschriften zu regeln und die finanziellen Auswirkungen der Bevorratung für die Endverbraucher gleichzeitig gering zu halten, genügt es, die Verwendung der Erdölvorräte zu kommerziellen Zwecken zu untersagen und gleichzeitig zu erlauben, dass Erdölvorräte an jedem Ort in der Gemeinschaft und von jeder hierfür geschaffenen ZBS gehalten werden können.

(11)      Die Mitgliedstaaten sollten die unbedingte Verfügbarkeit aller Vorräte sicherstellen, die nach Gemeinschaftsrecht gehalten werden müssen. Damit diese Verfügbarkeit gesichert ist, dürfen die Eigentumsrechte an den Vorräten nicht in einer Weise eingeschränkt oder begrenzt werden, die ihre Nutzung im Falle einer Unterbrechung der Erdölversorgung behindern könnte. Erdölerzeugnisse von Unternehmen, die einem beträchtlichen Risiko der Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen ausgesetzt sind, sollten nicht berücksichtigt werden. Werden Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, so könnte die Einleitung eines Insolvenz- oder Vergleichsverfahrens auf die Existenz eines solchen Risikos hinweisen.

(21)      Um eine mehrfache obligatorische Berichterstattung der Mitgliedstaaten über die verschiedenen Produktkategorien zu vermeiden, sollte die Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 … als Informationsgrundlage für die verschiedenen Kategorien von Erdölerzeugnissen dienen, die Gegenstand dieser Richtlinie sind.

(33)      Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich unter Berücksichtigung der Regeln des Binnenmarktes und des Wettbewerbs eine hohe Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Gemeinschaft durch sichere und transparente Systeme, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, zu gewährleisten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und damit wegen des Umfangs und der Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des [EG‑]Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“

9        Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2009/119 bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie werden Regeln festgelegt, mit denen durch zuverlässige und transparente Mechanismen, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Gemeinschaft gewährleistet werden soll, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen sichergestellt werden sollen und Verfahren vorgesehen werden sollen, um gegebenenfalls einer starken Verknappung zu begegnen.“

10      Art. 2 Abs. 1 Buchst. f, i, j und l der Richtlinie enthalten die folgenden Begriffsbestimmungen:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

f)      ‚zentrale Bevorratungsstelle‘ (ZBS): Stelle oder Dienst, auf die/den Befugnisse übertragen werden können, so dass sie/er agieren kann, um Ölvorräte, einschließlich Sicherheitsvorräten und spezifischer Vorräte, zu erwerben, zu halten oder zu verkaufen;

i)      ‚Erdölvorräte‘: Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 [in der durch die Verordnung (EU) 2017/2010 der Kommission vom 9. November 2017 (ABl. 2017, L 292, S. 3) geänderten Fassung];

j)      ‚Sicherheitsvorräte‘: Erdölvorräte, die gemäß Artikel 3 in jedem Mitgliedstaat zu halten sind;

l)      ‚spezifische Vorräte‘: Erdölvorräte, die die Bedingungen des Artikels 9 erfüllen“.

11      Art. 3 („Sicherheitsvorräte – Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten erlassen geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um spätestens bis zum 31. Dezember 2012 zu gewährleisten, dass zu ihren Gunsten im Gebiet der Gemeinschaft ständig Erdölvorräte gehalten werden, die insgesamt mindestens den täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren für 90 Tage oder dem täglichen durchschnittlichen Inlandsverbrauch für 61 Tage entsprechen, je nachdem, welche Menge größer ist.“

12      Art. 4 („Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Die gehaltenen Vorratsmengen werden entsprechend den Methoden in Anhang III berechnet. …“

13      In Bezug auf die ZBS bestimmt Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2009/119:

„Die Mitgliedstaaten können zentrale Bevorratungsstellen einrichten.

Jeder Mitgliedstaat darf nicht mehr als eine ZBS oder ähnliche Stelle schaffen. Er kann seine ZBS an jedem Ort der Gemeinschaft einrichten.

Richtet ein Mitgliedstaat eine ZBS ein, so wählt er dafür die Rechtsform einer Einrichtung oder eines Dienstes ohne Erwerbszweck, die bzw. der im Allgemeininteresse handelt und nicht als Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie zu betrachten ist.“

14      Art. 8 („Unternehmen“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass das Unternehmen, dem er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, um seinen Verpflichtungen aus Artikel 3 nachzukommen, das Recht erhält, diese Verpflichtungen zumindest teilweise und nach seinem Ermessen zu übertragen, jedoch nur

a)      der ZBS des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden,

b)      einer oder mehreren anderen ZBS, die sich im Voraus bereit erklärt haben, diese Vorräte zu halten, sofern diese Übertragungen im Voraus sowohl von dem Mitgliedstaat, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, als auch von allen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die Vorräte gehalten werden, genehmigt wurden,

c)      anderen Unternehmen mit überschüssigen Vorräten oder verfügbaren Bevorratungskapazitäten außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte innerhalb der Gemeinschaft gehalten werden, sofern diese Übertragung im Voraus sowohl von dem Mitgliedstaat, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, als auch von allen Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet die Vorräte gehalten werden, genehmigt wurde, und/oder

d)      anderen Unternehmen mit überschüssigen Vorräten oder verfügbaren Bevorratungskapazitäten innerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats, in dessen Namen die betreffenden Vorräte gehalten werden, sofern diese Übertragung im Voraus dem betreffenden Mitgliedstaat gemeldet wurde. Die Mitgliedstaaten können Begrenzungen oder Auflagen für diese Übertragungen festlegen.

(2)      Jeder Mitgliedstaat kann das Übertragungsrecht der Unternehmen, denen er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt oder auferlegt hat, beschränken.

Wenn durch diese Beschränkungen jedoch das Übertragungsrecht eines Unternehmens auf Übertragung einer Menge beschränkt wird, die weniger als 10 % der ihm auferlegten Bevorratungsverpflichtung beträgt, so gewährleistet der betreffende Mitgliedstaat, dass er über eine ZBS verfügt, die die Übertragungen übernehmen muss, die zur Wahrung des Rechts des Unternehmens auf Übertragung von mindestens 10 % der ihm auferlegten Bevorratungsverpflichtungen erforderlich sind.

Der in diesem Absatz aufgeführte Mindestprozentsatz wird spätestens bis 31. Dezember 2017 von 10 % auf 30 % angehoben.

…“

15      In Art. 9 („Spezifische Vorräte“) der Richtlinie heißt es:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat kann sich verpflichten, als Anzahl von Verbrauchstagen festgelegte Mindestvorräte an Erdöl zu halten, die die Bedingungen dieses Artikels erfüllen.

Die spezifischen Vorräte sind Eigentum des Mitgliedstaats oder der von ihm eingerichteten ZBS und werden im Gebiet der Gemeinschaft gehalten.

(2)      Spezifische Vorräte können sich nur aus einer oder mehreren der folgenden Produktkategorien zusammensetzen, die in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 [in der durch die Verordnung 2017/2010 geänderten Fassung] definiert sind:

–        Ethan,

–        LPG,

–        Motorenbenzin,

–        Flugbenzin,

–        Flugturbinenkraftstoffe (auf Naphthabasis oder JP4),

–        Flugturbinenkraftstoffe auf Petroleumbasis,

–        sonstiges Kerosin,

–        Dieselöl/Gasöl (destilliertes Heizöl),

–        Heizöl (mit hohem oder niedrigem Schwefelgehalt),

–        Testbenzin und Industriebrennstoffe,

–        Schmierstoffe,

–        Bitumen,

–        Paraffinwachse und

–        Petrolkoks.

(5)      Jeder Mitgliedstaat, der sich nicht für den vollen Zeitraum eines gegebenen Kalenderjahres verpflichtet hat, spezifische Vorräte für mindestens 30 Tage zu halten, stellt sicher, dass mindestens ein Drittel seiner Bevorratungsverpflichtungen in Form von Erzeugnissen gehalten wird, die sich nach den Absätzen 2 und 3 zusammensetzen.

…“

16      Anhang III („Methoden zur Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen“) der Richtlinie sieht in Abs. 6 vor:

„Die Mitgliedstaaten können

a)      sämtliche sonstigen Vorräte an Erdölerzeugnissen gemäß Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 [in der durch die Verordnung 2017/2010 geänderten Fassung] berücksichtigen und deren Rohöläquivalent durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,065 ermitteln oder

b)      bei der Berechnung nur die Vorräte an Motorenbenzin, Flugbenzin, Flugturbinenkraftstoff (auf Naphthabasis oder JP4), Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis, sonstigem Kerosin, Dieselöl/Gasöl (destilliertes Heizöl) und Heizöl (mit hohem oder niedrigem Schwefelgehalt) berücksichtigen und deren Rohöläquivalent durch Multiplikation der Mengen mit dem Faktor 1,2 ermitteln.“

 Verordnung Nr. 1099/2008

17      Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1099/2008 definiert für die Zwecke dieser Verordnung den Begriff „Energieprodukte“ als „Brennstoffe, Wärme, Energie aus erneuerbaren Quellen, Elektrizität oder Energie in jeder anderen Form“.

18      Anhang A der Verordnung hat den Titel „Erläuterungen zur Terminologie“. Kapitel 3.4 dieses Anhangs bezieht sich auf den Begriff „Öl (Rohöl und Mineralölprodukte)“, wozu u. a. schweres Heizöl, Schmierstoffe und Petrolkoks im Sinne der Nrn. 3.4.18, 3.4.20 bzw. 3.4.23 des Anhangs gehören.

 Bulgarisches Recht

19      Art. 2 Abs. 1 des Zakon za zapasite ot neft i neftoprodukti (Gesetz über die Vorräte an Erdöl und Erdölerzeugnissen, DV Nr. 15, vom 15. Februar 2013) in der auf die Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZZNN) sieht vor:

„Nach diesem Gesetz werden Sicherheitsvorräte an Erdöl und den nachstehend aufgeführten Kategorien von Erdölerzeugnissen geschaffen, gehalten, erneuert, verwendet, aufgefüllt und kontrolliert:

1.      Motorenbenzin;

2.      Gasöle, kerosinartige Flugturbinenkraftstoffe und Dieselkraftstoff;

3.      schweres Heizöl;

4.      Propan-/Butangas.“

20      Art. 3 Abs. 4 ZZNN bestimmt:

„Die verpflichteten Personen veranlassen und finanzieren auf eigene Rechnung und aus eigenen Mitteln die Schaffung, Haltung, Erneuerung und Auffüllung der ihnen vorgeschriebenen Sicherheitsvorräte.“

21      In Art. 12 ZZNN heißt es:

„(1) … Der Präsident der [Staatlichen Agentur „Staatsreserven und Kriegsvorräte“] bestimmt jedes Jahr bis spätestens zum 30. April die Sicherheitsvorräte, die von den verpflichteten Personen und dem staatlichen Unternehmen,Darzhavna petrolna compania‘ [(Staatliche Ölgesellschaft)] zu schaffen und zu halten sind, und zwar durch Anordnungen, mit denen die Gesamtvorratsmengen und die individuellen Vorratsmengen festgesetzt werden …

(4)      Die Sicherheitsvorratsmengen jedes Verpflichteten werden im Verhältnis zu seinem Anteil an den gesamten Nettoeinfuhren und den innergemeinschaftlichen Eingängen oder am gesamten Inlandsverbrauch im vorangegangenen Kalenderjahr gegenüber dem Gesamtanteil aller verpflichteten Einheiten bestimmt.

(11)      Jeder als Kaufmann eingetragenen bulgarischen oder ausländischen natürlichen oder juristischen Person – sowie ihren Niederlassungen –, die im Lauf des vorangegangenen Kalenderjahrs Schmieröle (einschließlich deren Rohstoffe), Bitumen, Paraffinwachse, Petrolkoks, Teer und Schwefel aus innergemeinschaftlichen Eingängen in das Hoheitsgebiet des Landes eingeführt und/oder geliefert hat, werden Mengen für Sicherheitsvorräte in Form von schwerem Heizöl zugewiesen.“

22      Art. 21 ZZNN sieht vor:

„(1)      Sicherheitsvorräte können in Form von Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen gemäß Artikel 2 Absatz 1 gehalten werden.

(11)      Die auf der Grundlage der Nettoeinfuhren und der innergemeinschaftlichen Eingänge oder des durchschnittlichen täglichen Verbrauchs ermittelten Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl können bis zu 100 % in Form von Gasöl, Autobenzin und/oder Kraftstoff für Dieselmotoren geschaffen und gehalten werden, wobei die Menge der Vorratsmenge an schwerem Heizöl entsprechen muss, für die die Ersetzung gefordert ist.

…“

 Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

23      Trade Express, die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑395/22, meldete im Jahr 2020 in Bulgarien innergemeinschaftliche Erwerbe von 89,6 Tonnen Schmierölen an. Diese Schmieröle, die unter Nr. 3.4.20 des Anhangs A der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, waren für den Verkauf bestimmt.

24      Devnia Tsiment, die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑428/22, führte im Jahr 2020 34 657,39 Tonnen Petrolkoks nach Bulgarien ein. Dieser Petrolkoks, der unter Nr. 3.4.23 des Anhangs A der Verordnung Nr. 1099/2008 fällt, wird in einem mineralogischen Verfahren zur Herstellung von Zementklinker verwendet.

25      Aufgrund dieser Tätigkeiten verpflichtete der Vizepräsident der Staatlichen Agentur „Staatsreserven und Kriegsvorräte“ mit zwei Anordnungen vom 28. und 29. April 2021 Devnia Tsiment bzw. Trade Express, auf eigene Rechnung und mit eigenen Mitteln für den Zeitraum vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl zu schaffen und zu halten. Diese sollten für Devnia Tsiment 7 806,058 Tonnen und für Trade Express 15,947 Tonnen betragen.

26      Beide Gesellschaften erhoben beim Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht in den vorliegenden Rechtssachen, Klage auf Aufhebung der gegen sie ergangenen Anordnungen. Im Wesentlichen wenden sie sich dagegen, dass ihnen die Verpflichtung, Sicherheitsvorräte an schwerem Heizöl zu schaffen, auferlegt wurde, obwohl dieses Erdölerzeugnis nicht Gegenstand ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten sei.

27      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass Trade Express und Devnia Tsiment im Jahr 2020 keine wirtschaftliche Tätigkeit mit den in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Arten von Produkten außer Schmierölen bzw. Petrolkoks ausgeübt hätten. Sie verfügten weder über die Mengen des Sicherheitsvorrats an schwerem Heizöl, die mit den in Rn. 25 des vorliegenden Urteils erwähnten Anordnungen verlangt würden, noch über ein Lager zur Aufbewahrung solcher Vorräte. Daher bedeute die Schaffung und Lagerung der mit den Anordnungen festgelegten Sicherheitsvorratsmengen eine erhebliche finanzielle Belastung für sie.

28      In diesem Zusammenhang sei fraglich, ob das ZZNN mit den Bestimmungen der Richtlinie 2009/119, im Licht der Charta betrachtet, vereinbar sei, da dieses Gesetz es ermögliche, Unternehmen wie Trade Express und Devnia Tsiment zu verpflichten, Sicherheitsvorräte an Erdölerzeugnissen zu schaffen und zu halten, die nicht Gegenstand ihrer Tätigkeiten seien.

29      Es ergebe sich nämlich im Wesentlichen aus dem 33. Erwägungsgrund, aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j sowie aus den Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119, dass diese das Ziel verfolge, Sicherheitsvorräte an sämtlichen in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 genannten Produkten zu schaffen.

30      Das ZZNN sehe jedoch die Schaffung solcher Vorräte nur für Erdöl und vier andere Erdölerzeugnisse, darunter schweres Heizöl, vor. Somit verpflichte dieses Gesetz alle Unternehmen, die unter das fragliche Kapitel fallende Produkte eingeführt hätten, Sicherheitsvorräte für eines dieser Produkte zu schaffen und zu halten.

31      Außerdem sei ein Unternehmen, das ein Erdölerzeugnis bevorraten müsse, das es im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nicht verwende, dazu gezwungen, die geforderte Menge dieses Erzeugnisses zu kaufen oder unter teilweiser Übertragung seiner Verpflichtung zu entleihen und gemäß den gesetzlichen Anforderungen zu lagern. Dies bedeute für das Unternehmen eine finanzielle Belastung und könne die Regeln des Binnenmarkts und des Wettbewerbs beeinträchtigen. Die allgemeine Systematik der Richtlinie 2009/119 und das Erfordernis der Kohärenz sprächen eher für eine Auslegung, nach der einem solchen Unternehmen Sachpflichten, also eine Verpflichtung zur Bevorratung eines Energieprodukts, das Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten sei, auferlegt würden, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den öffentlichen Interessen der Union und den privaten Interessen zu gewährleisten.

32      Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad – Varna (Verwaltungsgericht Varna) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof in der Rechtssache C‑395/22 folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und von Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1099/2008 sowie im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach Personen, die innergemeinschaftliche Eingänge von Schmierölen nach Nr. 3.4.20 des Anhangs A der Verordnung Nr. 1099/2008 getätigt haben (bzw. Einführer solcher Schmieröle), verpflichtet werden können, Sicherheitsvorräte zu schaffen?

2.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Arten von Produkten, an denen Sicherheitsvorräte zu schaffen und zu halten sind, auf einen Teil der Arten von Produkten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie in Verbindung mit Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 beschränkt sind?

3.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Realisierung innergemeinschaftlicher Eingänge bzw. Einfuhren einer Art der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie in Verbindung mit Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 genannten Produkte durch eine Person deren Verpflichtung nach sich zieht, Sicherheitsvorräte an einer anderen, unterschiedlichen Art von Produkt zu schaffen und zu halten?

4.      Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach eine Person verpflichtet ist, Vorräte an einem Produkt zu schaffen und zu halten, das sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht verwendet und das mit dieser Tätigkeit nicht in Zusammenhang steht, wobei diese Verpflichtung außerdem mit einer erheblichen finanziellen Belastung verbunden ist (die praktisch zur Unmöglichkeit der Erfüllung führt), da die Person weder über das Produkt verfügt noch dessen Einführer und/oder Halter ist?

5.      Bei Verneinung einer der Fragen: Sind der 33. Erwägungsgrund, Art. 1, Art. 3, Art. 8 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie und im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 der Charta dahin auszulegen, dass eine Person, die innergemeinschaftliche Eingänge bzw. Einfuhren einer bestimmten Art von Produkt getätigt hat, nur dazu verpflichtet werden kann, Sicherheitsvorräte an derselben Art von Produkt zu schaffen und zu halten, die Gegenstand der innergemeinschaftlichen Eingänge/Einfuhren war?

33      In der Rechtssache C‑428/22 hat das vorlegende Gericht fünf Vorlagefragen gestellt, die mit den in der vorangehenden Randnummer wiedergegebenen im Wesentlichen übereinstimmen, außer dass sich die erste Frage auf den Fall von Personen bezieht, die innergemeinschaftliche Eingänge von Petrolkoks im Sinne von Nr. 3.4.23 des Anhangs A der Richtlinie Nr. 1099/2008 zu Produktionszwecken getätigt haben.

34      Durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. August 2022 sind die Rechtssachen C‑395/22 und C‑428/22 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

35      Mit Schreiben, das am 12. Januar 2024 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Devnia Tsiment beantragt, nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das mündliche Verfahren wiederzueröffnen.

36      Devnia Tsiment begründet ihren Antrag damit, dass eine neue Tatsache vorliege, da es nach der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof eine Gesetzesänderung gegeben habe. Diese Gesetzesänderung sei bei der Beantwortung der Vorlagefragen zu berücksichtigen, auch wenn sie in zeitlicher Hinsicht nicht auf die Ausgangsverfahren anwendbar sei. Außerdem bringt Devnia Tsiment in dem Antrag inhaltliche Argumente zur Beantwortung der Fragen vor.

37      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen kann, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

38      Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass die in Art. 83 vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Abgesehen davon, dass sich der Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren nicht zum nationalen Recht zu äußern hat, ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die von Devnia Tsiment geltend gemachte Gesetzesänderung bereits nach ihren eigenen Angaben nicht auf die Ausgangsverfahren anwendbar ist. Unter diesen Umständen kann diese Gesetzesänderung nicht als „eine neue Tatsache …, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist“, im Sinne von Art. 83 der Verfahrensordnung angesehen werden.

39      In jedem Fall ist der Gerichtshof der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung über die Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Angaben verfügt und dass die vorliegenden verbundenen Rechtssachen nicht auf der Grundlage eines Vorbringens zu entscheiden sind, das nicht vor ihm erörtert worden ist.

40      Folglich ist das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur zweiten Frage

41      Mit seiner zweiten Frage in den beiden verbundenen Rechtssachen, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 der Richtlinie 2009/119 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Sicherheitsvorräte an sämtlichen in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Kategorien von Energieprodukten zu halten, oder ob sie ihrer aus Art. 3 folgenden Verpflichtung zum Halten von Sicherheitsvorräten nachkommen können, indem sie Sicherheitsvorräte halten, die sich nur aus einigen dieser Kategorien zusammensetzen.

42      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Richtlinie 2009/119, wie aus ihrem Art. 1 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 3, 8 und 33 hervorgeht, darin besteht, durch transparente Mechanismen, die auf der Solidarität der Mitgliedstaaten beruhen, unter Beachtung der Regeln des Binnenmarkts und des Wettbewerbs ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Union zu gewährleisten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen sicherzustellen, und Verfahren vorzusehen, um gegebenenfalls einer starken Verknappung zu begegnen. Damit soll die Richtlinie die öffentliche Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Union gewährleisten, für die die Verfügbarkeit der Erdölvorräte und die Gewährleistung der Energieversorgung von größter Bedeutung sind.

43      Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119 definiert für die Zwecke dieser Richtlinie die Begriffe „Erdölvorräte“ und „Sicherheitsvorräte“.

44      „Erdölvorräte“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie sind Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008. Dieses Kapitel enthält eine Liste von 24 Produktkategorien, die unter der Überschrift „Öl (Rohöl und Mineralölprodukte)“ zusammengefasst sind, darunter Heizöl (schweres Heizöl), Schmierstoffe und Petrolkoks.

45      „Sicherheitsvorräte“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2009/119 werden als Erdölvorräte definiert, die gemäß Art. 3 der Richtlinie in jedem Mitgliedstaat zu halten sind.

46      Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/119 müssen die Mitgliedstaaten geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, um zu gewährleisten, dass zu ihren Gunsten im Gebiet der Union ständig Erdölvorräte gehalten werden, die insgesamt mindestens den täglichen Durchschnittsnettoeinfuhren für 90 Tage oder dem täglichen durchschnittlichen Inlandsverbrauch für 61 Tage entsprechen, je nachdem, welche Menge größer ist. In Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie sind die Methoden und die Verfahren für die Berechnung dieser Menge festgelegt.

47      Bei der Auslegung dieser unionsrechtlichen Vorschriften sind nach ständiger Rechtsprechung nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran, C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Als Erstes geht aus Art. 3 der Richtlinie 2009/119 seinem Wortlaut nach hervor, dass die Mitgliedstaaten das Halten von „Erdölvorräten“ zu gewährleisten haben, die nach den in diesem Artikel festgelegten Methoden und Verfahren berechnet werden. Wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bestimmt dieser Artikel somit, welchen Umfang diese Vorräte haben müssen. Dagegen ist nicht definiert, welche konkrete Zusammensetzung sie hinsichtlich der einzubeziehenden Produktkategorien haben müssen.

49      Aus dem Wortlaut ergibt sich daher nicht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, Sicherheitsvorräte an sämtlichen in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufgeführten Energieprodukten zu halten. Vielmehr lässt der Wortlaut erkennen, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung insbesondere der konkreten Zusammensetzung der Sicherheitsvorräte einräumen wollte.

50      Der Umstand, dass in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2009/119 die „Erdölvorräte“ im Sinne der Richtlinie unter Bezugnahme auf die Vorräte an Energieprodukten gemäß der Liste in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 definiert werden, kann nicht zu einer anderen Auslegung führen. Wie aus dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, handelt es sich bei dieser Verordnung nämlich um einen Referenzrechtsakt zu der Richtlinie. Die Verordnung kann daher weder den Umfang der Verpflichtung noch den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, wie sie sich aus Art. 3 der Richtlinie in Verbindung mit der Definition der „Sicherheitsvorräte“ in Art. 2 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie ergeben, abändern.

51      Als Zweites wird die in Rn. 49 des vorliegenden Urteils dargelegte, am Wortlaut orientierte Auslegung durch den Kontext und die Entstehungsgeschichte von Art. 3 der Richtlinie 2009/119 sowie die Ziele der Richtlinie bestätigt.

52      Was erstens den Kontext von Art. 3 betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 und Anhang III der Richtlinie 2009/119 die gehaltenen Vorratsmengen mit Ausnahme der Rohölvorräte in Rohöläquivalent berechnet werden. Hierzu sieht Abs. 6 Buchst. a und b des Anhangs III der Richtlinie zwei alternative Berechnungsmethoden vor. So können die Mitgliedstaaten bei der Berechnung der gehaltenen Vorratsmengen „sämtliche sonstigen Vorräte an Erdölerzeugnissen gemäß Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung … Nr. 1099/2008“ oder nur die Vorräte an bestimmten dieser Erzeugnisse (Motorenbenzin, Flugbenzin, Flugturbinenkraftstoff [auf Naphthabasis oder JP4], Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis, sonstigem Kerosin, Dieselöl/Gasöl [destilliertes Heizöl] und Heizöl [mit hohem oder niedrigem Schwefelgehalt]) berücksichtigen.

53      Wenn den Mitgliedstaaten eine solche Wahlmöglichkeit eingeräumt wird, setzt dies, wie der Generalanwalt in Nr. 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, voraus, dass sie bei der Bestimmung der konkreten Zusammensetzung ihrer Sicherheitsvorräte über einen Gestaltungsspielraum verfügen.

54      Zum anderen ergibt sich aus einer Gesamtschau der Richtlinie 2009/119, dass nur ihr Art. 9 Abs. 5 Elemente zur Definition der Zusammensetzung der Sicherheitsvorräte der Mitgliedstaaten enthält. Nach dieser Bestimmung stellt jeder Mitgliedstaat, der sich nicht für den vollen Zeitraum eines gegebenen Kalenderjahrs verpflichtet hat, spezifische Vorräte im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie für mindestens 30 Tage zu halten, sicher, dass mindestens ein Drittel seiner Bevorratungsverpflichtungen in Form von Erzeugnissen gehalten wird, die sich nach Art. 9 Abs. 2 und 3 der Richtlinie zusammensetzen. Dieser Abs. 2 enthält eine Liste von 14 Kategorien von Erdölerzeugnissen, wie sie in Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 definiert sind.

55      Aus einem Vergleich von Art. 3 und Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie 2009/119 lässt sich ableiten, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er beabsichtigt, den Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Zusammensetzung der Sicherheitsvorräte einzuschränken, dies ausdrücklich vorsieht.

56      Zweitens wird dieses Ergebnis auch durch die Entstehungsgeschichte von Art. 3 der Richtlinie 2009/119 gestützt.

57      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 68/414 und 2006/67 in ihren Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 den Mitgliedstaaten eine Verpflichtung auferlegten, Sicherheitsvorräte für drei spezifische, in Art. 2 ausdrücklich genannte Kategorien von Erdölerzeugnissen zu halten, nämlich erstens Motorbenzin und Flugtreibstoffe (Flugbenzin und Flugturbinenkraftstoff auf Benzinbasis), zweitens Gasöl, Dieselöl, Leuchtöl und Flugturbinenkraftstoff auf Petroleumbasis sowie drittens Heizöle.

58      Im Gegensatz dazu bestimmt Art. 3 der Richtlinie 2009/119, wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht mehr, welche Produktkategorien in die Sicherheitsvorräte einzubeziehen sind. Durch den Verzicht auf die Festlegung dieser Kategorien hat der Unionsgesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, den Mitgliedstaaten insoweit nunmehr einen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Im Übrigen erklärt sich diese Änderung des Ansatzes, wie sich aus dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, daraus, dass die Methode zur Berechnung der Bevorratungsverpflichtungen an die Berechnungsmethoden nach dem IEA-Übereinkommen angeglichen werden sollte.

59      Drittens ist in Bezug auf die in Rn. 42 des vorliegenden Urteils angeführten Ziele der Richtlinie 2009/119 in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 67 seiner Schlussanträge davon auszugehen, dass das Ziel, ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Union zu gewährleisten, es rechtfertigt, den Mitgliedstaaten einen solchen Gestaltungsspielraum einzuräumen. Wenn diese von dem Gestaltungsspielraum Gebrauch machen, können sie nämlich insbesondere beschließen, Sicherheitsvorräte an den – in Anbetracht der nationalen Verbrauchsmuster sowie der inländischen Erzeugung oder Einfuhr der Erzeugnisse – am dringendsten benötigten und strategisch wichtigsten Erzeugnissen zu halten.

60      Nach alledem ist auf die zweite Frage in den beiden verbundenen Rechtssachen zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie 2009/119 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Sicherheitsvorräte an sämtlichen Kategorien von Energieprodukten des Anhangs A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 zu halten. Vielmehr können sie ihrer aus Art. 3 folgenden Verpflichtung zum Halten von Sicherheitsvorräten nachkommen, indem sie Sicherheitsvorräte halten, die sich nur aus einigen dieser Kategorien zusammensetzen.

 Zur ersten Frage

61      Mit seiner ersten Frage in den beiden verbundenen Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der einem Unternehmen, das Energieprodukte eingeführt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, die Verpflichtung auferlegt werden kann, Sicherheitsvorräte zu schaffen und zu halten.

62      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 der Richtlinie 2009/119 die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine bestimmte Menge an Sicherheitsvorräten an Erdöl zu halten.

63      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie sieht u. a. vor, dass jeder Mitgliedstaat gewährleistet, dass das Unternehmen, dem er Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, um seinen Verpflichtungen aus Art. 3 der Richtlinie nachzukommen, das Recht erhält, diese Verpflichtungen zumindest teilweise einer ZBS oder anderen Unternehmen mit überschüssigen Vorräten oder verfügbaren Bevorratungskapazitäten innerhalb des Hoheitsgebiets der Union zu übertragen.

64      Aus einer Zusammenschau dieser beiden Bestimmungen ergibt sich – worüber sich im Übrigen alle Parteien und Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, einig sind – unzweifelhaft, dass die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zum Halten von Sicherheitsvorräten nachkommen können, indem sie Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen auferlegen.

65      Allerdings wird weder in den genannten Bestimmungen noch in irgendeiner anderen Bestimmung der Richtlinie 2009/119 der Begriff „Unternehmen“ definiert. Unter diesen Umständen sind Bedeutung und Tragweite dieses Begriffs nach ständiger Rechtsprechung entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (Urteil vom 12. Juni 2018, Louboutin und Christian Louboutin, C‑163/16, EU:C:2018:423, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich der Begriff „Unternehmen“ gemeinhin auf jede natürliche oder juristische Person bezieht, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

67      Was sodann den Kontext betrifft, in dem dieser Begriff verwendet wird, ist zu beachten, dass Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2009/119 im Wesentlichen das Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie von der ZBS unterscheidet, für die nach dem Wortlaut dieser Bestimmung „die Rechtsform einer Einrichtung oder eines Dienstes ohne Erwerbszweck [gewählt wird], die bzw. der im Allgemeininteresse handelt“.

68      Schließlich ist es im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie 2009/119, ein hohes Maß an Sicherheit bei der Erdölversorgung in der Union zu gewährleisten, gerechtfertigt, insbesondere diejenigen Unternehmen als Unternehmen im Sinne der Richtlinie anzusehen, deren Tätigkeit einen Bezug zu den Energieprodukten des Anhangs A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 aufweist. Dabei handelt es sich vor allem um Erzeuger, Importeure und Händler dieser Erzeugnisse sowie um Hersteller, die sie zu Produktionszwecken verwenden.

69      Nach alledem ist auf die erste Frage in den beiden verbundenen Rechtssachen zu antworten, dass die Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der einem Unternehmen, das Energieprodukte eingeführt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, die Verpflichtung auferlegt werden kann, Sicherheitsvorräte zu schaffen und zu halten.

 Zu den Fragen 3 bis 5

70      Mit den Fragen 3 bis 5 in den beiden verbundenen Rechtssachen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht von Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Einfuhr von Energieprodukten, die unter eine Produktkategorie nach Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, durch ein Unternehmen dessen Verpflichtung nach sich zieht, einen Sicherheitsvorrat an einem unter eine andere Kategorie dieses Kapitels fallenden Energieprodukt zu schaffen und zu halten, selbst wenn das Unternehmen dieses Produkt im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, die keinen Bezug zu dem Produkt aufweist, nicht verwendet und diese Verpflichtung eine erhebliche finanzielle Belastung für das Unternehmen darstellt.

71      Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Antworten auf die erste und die zweite Frage in den beiden verbundenen Rechtssachen ergibt, dass die Mitgliedstaaten nach den Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119 bei der Bestimmung der Zusammensetzung der Sicherheitsvorräte, die sie gemäß Art. 3 halten müssen, über einen Gestaltungsspielraum verfügen, und dass sie Unternehmen – wie einem Unternehmen, das Schmieröle oder Petrolkoks im Sinne von Nr. 3.4.20 bzw. 3.4.23 des Anhangs A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 eingeführt hat – Bevorratungsverpflichtungen auferlegen können.

72      Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung in der Richtlinie 2009/119 und angesichts dieses Gestaltungsspielraums ist davon auszugehen, dass die Richtlinie als solche es einem Mitgliedstaat, der entschieden hat, dass sich sein Sicherheitsvorrat nur aus vier Kategorien von Erdölerzeugnissen des Kapitels 3.4 zusammensetzen soll, nicht verwehrt, einem Unternehmen die Verpflichtung aufzuerlegen, einen Sicherheitsvorrat an einer dieser Kategorien zu schaffen und zu halten, selbst wenn diese Kategorie nicht Gegenstand der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens ist.

73      In Anbetracht der Fragen des vorlegenden Gerichts ist jedoch als Zweites zu prüfen, ob nicht die Bestimmungen der Charta einer Regelung entgegenstehen, die eine solche Verpflichtung vorsieht. Zwar hat das vorlegende Gericht seine Fragen auf die Auslegung von Art. 17 der Charta, der das Eigentumsrecht garantiert, und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Die Parteien und Beteiligten haben jedoch insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof auch die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 der Charta erörtert. Um dem vorlegenden Gericht eine vollständige und sachdienliche Antwort zu geben, ist daher Art. 16 in Verbindung mit Art. 17 der Charta zu berücksichtigen.

74      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in Art. 51 Abs. 1 der Charta definiert ist. Danach gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (Urteile vom 13. Juni 2017, Florescu u. a., C‑258/14, EU:C:2017:448, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 27. Januar 2022, Sātiņi-S, C‑234/20, EU:C:2022:56, Rn. 51).

75      Wie der Generalanwalt in Nr. 74 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist davon auszugehen, dass ein Mitgliedstaat im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta das Recht der Union durchführt, wenn er im Rahmen der Ausübung des Gestaltungsspielraums, der ihm durch einen Rechtsakt der Union – wie die Richtlinie 2009/119 – gewährt worden ist, Maßnahmen ergreift und Unternehmen im Sinne dieser Richtlinie Bevorratungsverpflichtungen auferlegt, um seinen Verpflichtungen nach Art. 3 der Richtlinie nachzukommen.

76      Gemäß Art. 16 der Charta wird die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt. Der durch diesen Artikel gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb (Urteile vom 22. Januar 2013, Sky Österreich, C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 42, und vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 82).

77      Nach Art. 17 Abs. 1 der Charta hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben, und niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.

78      Die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht gelten jedoch nicht uneingeschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 83 und 85).

79      So ergibt sich aus Art. 52 Abs. 1 der Charta, dass Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte und Freiheiten wie der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts vorgenommen werden können, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten sowie unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

80      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die einem Unternehmen auferlegte Verpflichtung, für die Dauer eines Jahres auf eigene Rechnung und mit eigenen Mitteln einen Sicherheitsvorrat an einem Erdölerzeugnis – und zwar schwerem Heizöl – zu schaffen und zu halten, das nicht Gegenstand seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten ist, geeignet ist, seine unternehmerische Freiheit und sein Eigentumsrecht einzuschränken.

81      Diese Einschränkung ist, da sie in dem einschlägigen nationalen Gesetz, nämlich dem ZZNN, vorgesehen ist, als gesetzlich vorgesehen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta zu betrachten.

82      Zum Wesensgehalt des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit ist festzustellen, dass die – im Übrigen zeitlich begrenzte – Verpflichtung, einen Sicherheitsvorrat zu schaffen und zu halten, keinen Eigentumsentzug zur Folge hat und daher keinen Eingriff darstellt, der das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet. Eine solche Verpflichtung, die das betreffende Unternehmen grundsätzlich in keiner Weise an der Ausübung seiner Tätigkeiten hindert, achtet auch den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef u. a., C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 89).

83      Zu den Zielen, die mit dem ZZNN und den den Klägerinnen der Ausgangsverfahren nach diesem Gesetz auferlegten Bevorratungsverpflichtungen verfolgt werden, führt das vorlegende Gericht aus, dass diese darin bestünden, die Sicherheit der Erdölversorgung zu gewährleisten.

84      Ein solches Ziel stellt eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta dar. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass das Halten eines Vorrats an Erdölerzeugnissen im Inland, durch das die Kontinuität der Versorgung gewährleistet werden kann, ein unter die öffentliche Sicherheit fallendes Ziel darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a., 72/83, EU:C:1984:256, Rn. 35, und vom 25. Oktober 2001, Kommission/Griechenland, C‑398/98, EU:C:2001:565, Rn. 29), dessen Bedeutung, in Bezug auf Erdöl, in der Richtlinie 2009/119 zum Ausdruck kommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2011, Kommission/Portugal, C‑212/09, EU:C:2011:717, Rn. 82).

85      Es erscheint geeignet, dieses Ziel zu erreichen, wenn eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende die Möglichkeit vorsieht, Unternehmen Bevorratungsverpflichtungen aufzuerlegen, um der dem betreffenden Mitgliedstaat nach Art. 3 der Richtlinie 2009/119 obliegenden Verpflichtung zum Halten von Sicherheitsvorräten nachzukommen, und diesen Unternehmen solche Verpflichtungen auferlegt werden.

86      Was schließlich die Verhältnismäßigkeit der Bevorratungsverpflichtungen anbelangt, die Unternehmen nach einer solchen nationalen Regelung auferlegt werden können, ist es, wenn sich diese Verpflichtungen auf andere Erdölerzeugnisse als diejenigen beziehen, die von den Unternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten verwendet werden, Sache des vorlegenden Gerichts, die Verhältnismäßigkeit unter Vornahme einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände der Ausgangsrechtsstreitigkeiten zu beurteilen.

87      Dabei hat es die Voraussetzungen zu berücksichtigen, unter denen die Unternehmen nach der nationalen Regelung zur Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie 2009/119 ihre Verpflichtungen zumindest teilweise einer ZBS oder einem anderen Unternehmen in der Union übertragen können. Wie der Generalanwalt in Nr. 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sollte eine echte Möglichkeit, die Bevorratungsverpflichtungen zu angemessenen Kosten einer ZBS oder einem anderen Unternehmen zu übertragen, als Gewährleistung dafür angesehen werden, dass diese Verpflichtungen verhältnismäßig sind.

88      Das vorlegende Gericht hätte auch den Umfang der betreffenden Verpflichtungen in Bezug auf die erforderliche Bevorratungsdauer und die zu bevorratenden Erdölerzeugnisse sowie die Möglichkeiten der Verpachtung oder sogar des Kaufs und Weiterverkaufs der Vorräte am Ende des obligatorischen Bevorratungszeitraums zu berücksichtigen. Dass die auferlegte Bevorratungsverpflichtung für eine im Voraus festgelegte Menge zeitlich begrenzt ist, kann ebenfalls für die Schlussfolgerung sprechen, dass diese Verpflichtungen verhältnismäßig sind.

89      Das vorlegende Gericht muss außerdem die finanziellen Auswirkungen der Bevorratungsverpflichtungen im Verhältnis zur Größe der betreffenden Unternehmen und zu dem von ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeiten erzielten Umsatz berücksichtigen und diese Auswirkungen mit der Belastung vergleichen, die allen anderen Unternehmen auferlegt wird, die Bevorratungsverpflichtungen unterliegen. In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung des elften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2009/119 stellt der Umstand, dass das Unternehmen durch die ihm auferlegte Bevorratungsverpflichtung möglicherweise in seinem wirtschaftlichen Überleben ernsthaft gefährdet oder in seiner Wettbewerbsposition erheblich beeinträchtigt wird, einen Hinweis darauf dar, dass diese Verpflichtung unverhältnismäßig ist, es sei denn, sie geht mit einer angemessenen Entschädigung einher.

90      Vorbehaltlich der Beurteilung ihrer Verhältnismäßigkeit anhand der vorstehenden Erwägungen stehen die Art. 16 und 17 in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 der Charta dem nicht entgegen, dass einem Unternehmen die Verpflichtung auferlegt wird, Sicherheitsvorräte an Produkten, die nicht Gegenstand seiner Tätigkeit sind, zu schaffen und zu halten, selbst wenn die Umsetzung dieser Verpflichtung eine erhebliche finanzielle Belastung für das Unternehmen mit sich bringt.

91      Nach alledem ist auf die Fragen 3 bis 5 in den beiden verbundenen Rechtssachen zu antworten, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 im Licht der Art. 16 und 17 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass die Einfuhr von Energieprodukten, die unter eine Produktkategorie nach Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 fallen, durch ein Unternehmen dessen Verpflichtung nach sich zieht, einen Sicherheitsvorrat an einem unter eine andere Kategorie dieses Kapitels fallenden Energieprodukt zu schaffen und zu halten, selbst wenn das Unternehmen dieses Produkt im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, die keinen Bezug zu dem Produkt aufweist, nicht verwendet und diese Verpflichtung eine erhebliche finanzielle Belastung für das Unternehmen darstellt – sofern die Verpflichtung verhältnismäßig ist.

 Kosten

92      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 3 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2009/119/EG des Rates vom 14. September 2009 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten, in der durch die Durchführungsrichtlinie (EU) 2018/1581 der Kommission vom 19. Oktober 2018 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Sicherheitsvorräte an sämtlichen Kategorien von Energieprodukten des Anhangs A Kapitel 3.4 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über die Energiestatistik in der durch die Verordnung (EU) 2019/2146 der Kommission vom 26. November 2019 geänderten Fassung zu halten. Vielmehr können sie ihrer aus Art. 3 folgenden Verpflichtung zum Halten von Sicherheitsvorräten nachkommen, indem sie Sicherheitsvorräte halten, die sich nur aus einigen dieser Kategorien zusammensetzen.

2.      Die Art. 3 und 8 der Richtlinie 2009/119 in der durch die Durchführungsrichtlinie 2018/1581 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der einem Unternehmen, das Energieprodukte eingeführt hat, die unter Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 in der durch die Verordnung 2019/2146 geänderten Fassung fallen, die Verpflichtung auferlegt werden kann, Sicherheitsvorräte zu schaffen und zu halten.

3.      Die Bestimmungen der Richtlinie 2009/119 in der durch die Durchführungsrichtlinie 2018/1581 geänderten Fassung im Licht der Art. 16 und 17 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

sie dem nicht entgegenstehen, dass die Einfuhr von Energieprodukten, die unter eine Produktkategorie nach Anhang A Kapitel 3.4 der Verordnung Nr. 1099/2008 in der durch die Verordnung 2019/2146 geänderten Fassung fallen, durch ein Unternehmen dessen Verpflichtung nach sich zieht, einen Sicherheitsvorrat an einem unter eine andere Kategorie dieses Kapitels fallenden Energieprodukt zu schaffen und zu halten, selbst wenn das Unternehmen dieses Produkt im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, die keinen Bezug zu dem Produkt aufweist, nicht verwendet und diese Verpflichtung eine erhebliche finanzielle Belastung für das Unternehmen darstellt – sofern die Verpflichtung verhältnismäßig ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.