Language of document :

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

8. Dezember 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäische Ermittlungsanordnung – Richtlinie 2014/41/EU – Art. 1 Abs. 1 – Art. 2 Buchst. c Ziff. i und ii – Begriffe ,Justizbehörde‘ und ,Anordnungsbehörde‘ – Von der Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats erlassene Europäische Ermittlungsanordnung – Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive“

In der Rechtssache C‑584/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht für Strafsachen Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 1. August 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2019, in dem Strafverfahren gegen

A. u. a.,

Beteiligte:

Staatsanwaltschaft Wien,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan, L. Bay Larsen, N. Piçarra, A. Kumin und N. Wahl sowie des Richters T. von Danwitz, der Richterinnen C. Toader, K. Jürimäe (Berichterstatterin) und L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, J. Herrnfeld und C. Leeb als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und M. Hellmann als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Ersuchens um Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Strafsachen, die von der Staatsanwaltschaft Hamburg (Deutschland) in Bezug auf A. und weitere unbekannte Personen erlassen wurde, die der Fälschung von Überweisungsaufträgen verdächtigt werden, in Österreich.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 2, 5 bis 8, 10 bis 12, 15, 19, 21, 22, 34 und 39 der Richtlinie 2014/41 heißt es:

„(2)      Nach Artikel 82 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beruht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen, der seit der Tagung des Europäischen Rates vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere allgemein als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union bezeichnet wird.

(5)      Seit Annahme der Rahmenbeschlüsse [2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union (ABl. 2003, L 196, S. 45)] und [2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen (ABl. 2008, L 350, S. 72)] ist deutlich geworden, dass der bestehende Rahmen für die Erhebung von Beweismitteln zu fragmentiert und zu kompliziert ist. Daher ist ein neuer Ansatz erforderlich.

(6)      In dem vom Europäischen Rat vom 10./11. Dezember 2009 angenommenen Stockholmer Programm hat der Europäische Rat die Auffassung vertreten, dass die Einrichtung eines umfassenden Systems für die Beweiserhebung in Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen, das auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung basiert, weiter verfolgt werden sollte. Dem Europäischen Rat zufolge stellten die bestehenden Rechtsinstrumente auf diesem Gebiet eine lückenhafte Regelung dar und bedurfte es eines neuen Ansatzes, der auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht, aber auch der Flexibilität des traditionellen Systems der Rechtshilfe Rechnung trägt. Der Europäische Rat hat daher ein umfassendes System gefordert, das sämtliche bestehenden Instrumente in diesem Bereich ersetzen soll, unter anderem auch den Rahmenbeschluss 2008/978/JI, und das so weit wie möglich alle Arten von Beweismitteln erfasst, Vollstreckungsfristen enthält und das die Versagungsgründe so weit wie möglich beschränkt.

(7)      Diesem neuen Ansatz liegt ein einheitliches Instrument zugrunde, das als Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ,EEA‘) bezeichnet wird. Die EEA sollte zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahmen im Staat, in dem die EEA vollstreckt wird (im Folgenden ,Vollstreckungsstaat‘) im Hinblick auf die Erhebung von Beweismitteln erlassen werden. Dies schließt auch die Erlangung von Beweismitteln ein, die sich bereits im Besitz der Vollstreckungsbehörde befinden.

(8)      Die EEA sollte übergreifenden Charakter haben und sollte daher für alle Ermittlungsmaßnahmen gelten, die der Beweiserhebung dienen. Allerdings erfordern die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe und die Beweiserhebung im Rahmen einer solchen Gruppe spezifische Vorschriften, die besser getrennt geregelt werden. Unbeschadet der Anwendung dieser Richtlinie sollten die bestehenden Instrumente daher weiterhin auf diese Arten von Ermittlungsmaßnahmen Anwendung finden.

(10)      Die EEA sollte sich auf die durchzuführende Ermittlungsmaßnahme konzentrieren. Die Anordnungsbehörde ist aufgrund ihrer Kenntnis der Einzelheiten der betreffenden Ermittlung am besten in der Lage zu entscheiden, welche Ermittlungsmaßnahme anzuwenden ist. Jedoch sollte die Vollstreckungsbehörde, wann immer möglich, eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art anwenden, wenn die angegebene Maßnahme nach ihrem nationalen Recht nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde. Verfügbarkeit sollte sich auf Anlässe beziehen, bei denen die angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zwar existiert, aber nur unter bestimmten Umständen rechtmäßig zur Verfügung steht, beispielsweise wenn die Ermittlungsmaßnahme nur bei Straftaten eines gewissen Schweregrads, nur gegen Personen, gegen die bereits bestimmte Verdachtsmomente bestehen, oder nur mit der Zustimmung der betreffenden Person durchgeführt werden kann. Die Vollstreckungsbehörde ist befugt, auch auf eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art zurückzugreifen, wenn damit mit weniger stark in die Grundrechte der betroffenen Person eingreifenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie mit der in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme erreicht würde.

(11)      Von der EEA sollte Gebrauch gemacht werden, wenn die Vollstreckung einer Ermittlungsmaßnahme in dem betreffenden Fall verhältnismäßig, angemessen und durchführbar erscheint. Daher sollte sich die Anordnungsbehörde vergewissern, ob das erbetene Beweismittel für den Zweck des Verfahrens notwendig ist und in angemessenem Verhältnis zu diesem Zweck steht, ob die gewählte Ermittlungsmaßnahme für die Erhebung des betreffenden Beweismittels notwendig ist und in angemessenem Verhältnis dazu steht und ob durch den Erlass einer EEA ein anderer Mitgliedstaat an der Erhebung dieses Beweismittels beteiligt werden sollte. Dieselbe Beurteilung sollte im Rahmen des Validierungsverfahrens durchgeführt werden, wenn diese Richtlinie die Validierung einer EEA vorschreibt. Die Vollstreckung einer EEA sollte nur aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt werden. Jedoch sollte sich die Vollstreckungsbehörde auch für eine Ermittlungsmaßnahme entscheiden können, die weniger eingreifend ist als die in der EEA angegebene Maßnahme, wenn sich damit vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen.

(12)      Die Anordnungsbehörde sollte beim Erlass einer EEA in besonderem Maße darauf achten, dass die in Artikel 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden ,die Charta‘) verankerten Rechte uneingeschränkt gewahrt werden. Die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte in Strafsachen sind Eckpfeiler der Grundrechte, die in der Charta im Bereich der Strafgerichtsbarkeit anerkannt werden. Jede Einschränkung derartiger Rechte durch eine nach dieser Richtlinie angeordnete Ermittlungsmaßnahme sollte in jeder Hinsicht den Anforderungen des Artikels 52 der Charta hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und ihrer Zielsetzungen, insbesondere dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, entsprechen.

(15)      Bei der Durchführung dieser Richtlinie sollte der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1)], der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1)] sowie der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1)], welche die Verfahrensrechte in Strafverfahren betreffen, Rechnung getragen werden.

(19)      Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts innerhalb der Union beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. Wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme einen Verstoß gegen ein Grundrecht der betreffenden Person zur Folge hätte und der Vollstreckungsstaat seine Verpflichtungen zum Schutz der in der Charta anerkannten Grundrechte nicht achten würde, so sollte die Vollstreckung der EEA verweigert werden.

(21)      Zur Gewährleistung einer raschen, effektiven und kohärenten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Strafsachen ist es erforderlich, Fristen zu setzen. Die Entscheidung über die Anerkennung oder Vollstreckung sowie die eigentliche Durchführung der Ermittlungsmaßnahme sollten genauso rasch und vorrangig wie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall erfolgen. Mit dem Setzen von Fristen soll sichergestellt werden, dass eine Entscheidung oder Vollstreckung innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolgt oder Verfahrenszwängen im Anordnungsstaat Rechnung getragen wird.

(22)      Die Rechtsbehelfe gegen eine EEA sollten zumindest den Rechtsbehelfen gleichwertig sein, die in einem innerstaatlichen Fall gegen die betreffende Ermittlungsmaßnahme zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten sollten gemäß ihrem nationalen Recht die Anwendbarkeit dieser Rechtsbehelfe sicherstellen, auch indem sie alle Betroffenen rechtzeitig über die Möglichkeiten und Modalitäten zur Einlegung der Rechtsbehelfe belehren. In Fällen, in denen Einwände gegen die EEA von einem Beteiligten im Vollstreckungsstaat in Bezug auf die Sachgründe für den Erlass der EEA geltend gemacht werden, ist es angebracht, dass Informationen über diese Einwände an die Anordnungsbehörde übermittelt werden und der Beteiligte entsprechend unterrichtet wird.

(34)      Diese Richtlinie erfasst aufgrund ihres Anwendungsbereichs einstweilige Maßnahmen nur im Hinblick auf die Beweiserhebung. …

(39)      Diese Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die in Artikel 6 EUV und in der Charta, insbesondere deren Titel VI, in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen im Völkerrecht und durch internationale Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie in den Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden. …“

4        Art. 1 („Die Europäische Ermittlungsanordnung und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (‚Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (‚Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.

Die Europäische Ermittlungsanordnung kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden.

(2)      Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede EEA nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.

(3)      Der Erlass einer EEA kann von einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt im Rahmen der geltenden Verteidigungsrechte im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht beantragt werden.

(4)      Diese Richtlinie berührt nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der Rechtsgrundsätze, die in Artikel 6 EUV verankert sind, einschließlich der Verteidigungsrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren geführt wird; die Verpflichtungen der Justizbehörden in dieser Hinsicht bleiben unberührt.“

5        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/41 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

c)      ,Anordnungsbehörde‘

i)      einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

ii)      jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden;

d)      ‚Vollstreckungsbehörde‘ eine Behörde, die für die Anerkennung einer EEA und für die Sicherstellung ihrer Vollstreckung gemäß dieser Richtlinie und den in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen anzuwendenden Verfahren zuständig ist. Gegebenenfalls erfordern derartige Verfahren eine richterliche Genehmigung im Vollstreckungsstaat, sofern das nationale Recht dieses Staates dies vorsieht.“

6        Art. 3 („Anwendungsbereich der EEA“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Die EEA erfasst alle Ermittlungsmaßnahmen, mit Ausnahme der … Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe und der Erhebung von Beweismitteln innerhalb einer solchen Ermittlungsgruppe …“

7        In Art. 4 („Verfahren, für die die EEA erlassen werden kann“) der Richtlinie 2014/41 heißt es:

„Eine EEA kann erlassen werden:

a)      in Bezug auf Strafverfahren, die eine Justizbehörde wegen einer nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats strafbaren Handlung eingeleitet hat oder mit denen sie befasst werden kann;

c)      bei Verfahren, die Justizbehörden wegen Handlungen eingeleitet haben, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften geahndet werden können, sofern gegen die Entscheidung ein insbesondere in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann, und

…“

8        Art. 6 („Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“) lautet:

„(1)      Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)      Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig und

b)      die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

(3)      Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

9        Art. 9 („Anerkennung und Vollstreckung“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.

(2)      Die Vollstreckungsbehörde hält die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats stehen.

(3)      Erhält eine Vollstreckungsbehörde eine EEA, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c erlassen worden ist, so gibt sie die EEA an den Anordnungsstaat zurück.“

10      Art. 10 („Rückgriff auf eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art“) Abs. 1, 3 und 4 bestimmt:

„(1)      Die Vollstreckungsbehörde greift, wann immer möglich, auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurück, wenn

a)      die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht besteht oder

b)      die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stehen würde.

(3)      Die Vollstreckungsbehörde kann auch auf eine andere als die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen, wenn die von der Vollstreckungsbehörde gewählte Ermittlungsmaßnahme mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme erreichen würde.

(4)      Beschließt die Vollstreckungsbehörde, von der in den Absätzen 1 und 3 genannten Möglichkeit Gebrauch zu machen, so unterrichtet sie zuerst die Anordnungsbehörde; diese kann entscheiden, die EEA zurückzunehmen oder zu ergänzen.“

11      Art. 11 („Gründe für die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung“) der Richtlinie 2014/41 führt in seinem Abs. 1 die Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung einer EEA im Vollstreckungsstaat auf. Zu diesen Gründen zählt unter Buchst. f dieser Bestimmung das Bestehen berechtigter „Gründe für die Annahme …, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Artikel 6 EUV und der Charta unvereinbar wäre“.

12      Art. 14 („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass gegen die in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahmen Rechtsbehelfe eingelegt werden können, die den Rechtsbehelfen gleichwertig sind, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur Verfügung stehen.

(2)      Die sachlichen Gründe für den Erlass der EEA können nur durch eine Klage im Anordnungsstaat angefochten werden; dies lässt die Garantien der Grundrechte im Vollstreckungsstaat unberührt.

(3)      Wird das Erfordernis der Gewährleistung der Vertraulichkeit einer Ermittlung nach Artikel 19 Absatz 1 dadurch nicht untergraben, so ergreifen die Anordnungsbehörde und die Vollstreckungsbehörde die geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Informationen über die nach nationalem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Einlegung der Rechtsbehelfe bereitgestellt werden, sobald diese anwendbar werden, und zwar so rechtzeitig, dass die Rechtsbehelfe effektiv wahrgenommen werden können.

(4)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Fristen für die Einlegung eines Rechtsbehelfs mit denen identisch sind, die in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen zur Verfügung stehen, und so angewendet werden, dass gewährleistet ist, dass die betroffenen Parteien diese Rechtsbehelfe wirksam ausüben können.

(5)      Die Anordnungsbehörde und die Vollstreckungsbehörde unterrichten einander über die Rechtsbehelfe, die gegen den Erlass bzw. die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA eingelegt werden.

(6)      Die rechtliche Anfechtung bewirkt nicht, dass die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme aufgeschoben wird, es sei denn, dies ist in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen vorgesehen.

(7)      Der Anordnungsstaat berücksichtigt eine erfolgreiche Anfechtung der Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Einklang mit seinem nationalen Recht. Unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer EEA erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet werden.“

13      Die Art. 22 und 23 dieser Richtlinie enthalten besondere Bestimmungen über die zeitweilige Überstellung von inhaftierten Personen an den Anordnungsstaat bzw. an den Vollstreckungsstaat zum Zwecke der Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme.

 Nationales Recht

 Deutsches Recht

14      § 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmt, dass die Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen haben.

15      § 147 dieses Gesetzes lautet:

„Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu:

1.      dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte;

2.      der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes;

3.      dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks.“

 Österreichisches Recht

16      Die Richtlinie 2014/41 wurde durch die Novelle des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vom 15. Mai 2018 (BGBl. I, 28/2018), in österreichisches Recht umgesetzt.

17      § 55 Abs. 3 dieses Gesetzes bestimmt:

„Wird das Verfahren im Ausstellungsstaat nicht von einer Justizbehörde geführt, so kann eine Europäische Ermittlungsanordnung nur vollstreckt werden, wenn gegen die Entscheidung der ausstellenden Behörde ein Gericht angerufen werden kann und die Ermittlungsanordnung von einer Justizbehörde des Ausstellungsstaates genehmigt wurde.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

18      Die Staatsanwaltschaft Hamburg führt ein Ermittlungsverfahren gegen A. und weitere unbekannte Personen wegen Betrugs. Sie werden verdächtigt, im Juli 2018 unter Verwendung widerrechtlich erlangter Daten und mit Betrugsvorsatz 13 Überweisungsaufträge gefälscht zu haben, wodurch 9 775,04 Euro auf ein bei einer österreichischen Bank geführtes Konto, das auf A. lautet, überwiesen worden seien oder überwiesen hätten werden sollen.

19      Zur Aufklärung dieser Sache erließ die Staatsanwaltschaft Hamburg am 15. Mai 2019 eine Europäische Ermittlungsanordnung und übermittelte diese an die Staatsanwaltschaft Wien (Österreich). Mit dieser Anordnung ersucht die Staatsanwaltschaft Hamburg die Staatsanwaltschaft Wien um Übermittlung von Unterlagen zu dem betreffenden Konto in Form von Kopien für den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis zum 30. September 2018.

20      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass eine Bank nach der österreichischen Strafprozessordnung nur durch eine Ermittlungsmaßnahme, die durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen ist, zur Übermittlung von Kontounterlagen verpflichtet werden kann. Ohne gerichtliche Bewilligung kann bzw. darf die österreichische Staatsanwaltschaft diese Ermittlungsmaßnahme also nicht anordnen.

21      Am 31. Mai 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Wien beim Landesgericht für Strafsachen Wien (Österreich), dem vorlegenden Gericht, die Bewilligung dieser Ermittlungsmaßnahme mit dem Ziel, die betreffende Bank zur Herausgabe der in der Europäischen Ermittlungsanordnung angeführten Kontounterlagen zu verpflichten.

22      Das vorlegende Gericht fragt sich aber, ob die Staatsanwaltschaft Hamburg, die diese Anordnung erlassen hat, als „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 eingestuft werden kann. Es fragt sich auch, ob diese unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie und insbesondere unter den Begriff „Staatsanwalt“ in Ziff. i der letztgenannten Bestimmung fallen kann, da die betreffende Staatsanwaltschaft nach den §§ 146 und 147 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes Weisungen des Justizsenators in Hamburg (Deutschland) – auch in Einzelfällen – unterworfen werden kann.

23      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 hervorgehe, dass die Europäische Ermittlungsanordnung entweder von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt erlassen worden sein müsse oder von einer dieser Behörden validiert worden sein müsse, damit sie vollstreckt werden könne.

24      Nach der Richtlinie 2014/41 sei die Europäische Ermittlungsanordnung zwar eine „gerichtliche Entscheidung“, die Richtlinie sehe aber trotzdem vor, dass eine solche Anordnung von einem Staatsanwalt erlassen oder validiert werden könne, obwohl nicht alle Staatsanwaltschaften der Mitgliedstaaten alle Anforderungen erfüllten, denen Richter oder Gericht genügen müssten, insbesondere die Anforderung der Unabhängigkeit, die im Außenverhältnis voraussetze, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübe, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten.

25      In diesem Zusammenhang ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Begründung des Gerichtshofs in den Urteilen vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456) und PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) (C‑509/18, EU:C:2019:457), in Bezug auf den Europäischen Haftbefehl im Sinne des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) auf die Europäische Ermittlungsanordnung übertragbar sei.

26      Die Richtlinie 2014/41 und der Rahmenbeschluss 2002/584 beruhten nämlich auf denselben Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens. Sie verwendeten die gleichen Begriffe „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ und enthielten eine taxative Aufzählung der Gründe, wegen derend der Vollstreckungsstaat die Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung bzw. eines Europäischen Haftbefehls versagen könne.

27      Das vorlegende Gericht weist aber darauf hin, dass die Richtlinie 2014/41 im Unterschied zum Rahmenbeschluss 2002/584 die Staatsanwälte ausdrücklich als „Anordnungsbehörde“ einstufe und ihnen erlaube, Europäische Ermittlungsanordnungen zu erlassen bzw. zu validieren. Demnach könnte diese Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass es im Rahmen dieser Richtlinie unerheblich sei, ob der jeweilige Staatsanwalt der Gefahr ausgesetzt sei, Einzelweisungen der Exekutive unterworfen zu werden oder nicht.

28      Es legt weiter dar, dass die Anforderung an die Unabhängigkeit der Behörde, die einen Europäischen Haftbefehl erlässt, durch die gravierenden Eingriffe in die Grundrechte der von einem solchen Haftbefehl betroffenen Person gerechtfertigt sei, der den Entzug der persönlichen Freiheit und die Überstellung der betroffenen Person in einen anderen Mitgliedstaat zur Folge habe. Durch die Europäische Ermittlungsanordnung, die alle Ermittlungsmaßnahmen, einschließlich Hausdurchsuchung, optischer und akustischer Überwachung oder einer Überwachung der Telekommunikation, erfasse, würden gleichartige Eingriffe vorgenommen.

29      Das vorlegende Gericht erläutert weiter, dass, wäre die Staatsanwaltschaft Hamburg als „Justizbehörde“ im Sinne der Richtlinie 2014/41 und des § 55 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzusehen, die in Rede stehende Europäische Ermittlungsanordnung in Österreich zu vollstrecken wäre, weil alle sonstigen Voraussetzungen dafür nach innerstaatlichem Recht vorlägen.

30      Unter diesen Umständen hat das Landesgericht für Strafsachen Wien beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Begriffe „Justizbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 und „Staatsanwalt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der genannten Richtlinie dahin auszulegen, dass darunter auch die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats fallen, die der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa des Justizsenators in Hamburg, unterworfen zu werden?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

31      Das vorlegende Gericht hat den Gerichtshof ersucht, die Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

32      Zur Stützung seines Antrags macht es als Erstes geltend, es gebe zahlreiche Ermittlungsverfahren, die dieselbe Frage aufwürfen wie die, die sich im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens stelle, und mit der geklärt werden solle, ob die von den deutschen Staatsanwaltschaften erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnungen vollstreckt werden müssten. Zudem sei diese Frage auch für weitere Mitgliedstaaten von Bedeutung, in denen die Staatsanwaltschaften ähnlich wie in Deutschland der Gefahr von Einzelweisungen seitens der Exekutive ausgesetzt seien. Als Zweites müssten Ermittlungsverfahren wegen der Eingriffe in die Grundrechte der gesuchten Personen während solcher Verfahren, wie nach österreichischem Recht vorgesehen, raschestmöglich abgeschlossen werden.

33      Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

34      Am 6. September 2019 hat der Präsident des Gerichtshofs nach Anhörung der Berichterstatterin und des Generalanwalts entschieden, den in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Antrag des vorlegenden Gerichts zurückzuweisen.

35      Zum einen kann nämlich der Grund, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung betrifft und deshalb eine zügige Beantwortung erfordert, für sich genommen nicht ausreichen, um zu rechtfertigen, dass die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs unterworfen wird, da es sich um ein Verfahrensinstrument handelt, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (vgl. entsprechend Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. September 2018, Minister for Justice and Equality, C‑508/18 und C‑509/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:766, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Zum anderen kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die beträchtliche Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen, die möglicherweise von der Entscheidung betroffen sind, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, als solche keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte. Das Gleiche gilt für die beträchtliche Zahl von Rechtssachen, die bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt werden könnten (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. September 2018, Minister for Justice and Equality, C‑508/18 und C‑509/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:766, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Der Präsident des Gerichtshofs hat jedoch entschieden, dass die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang behandelt wird.

 Zur Vorlagefrage

38      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass unter die Begriffe „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Bestimmungen der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fällt, unabhängig davon, ob zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats möglicherweise ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

39      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 5 bis 8 ergibt, den fragmentierten und komplizierten Rahmen für die Erhebung von Beweismitteln in Strafverfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen ersetzen und durch die Einführung eines vereinfachten und wirksameren Systems, das auf einem einheitlichen Instrument beruht, das als Europäische Ermittlungsanordnung bezeichnet wird, die justizielle Zusammenarbeit erleichtern und beschleunigen soll, um zur Verwirklichung des der Union gesteckten Ziels beizutragen, zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu werden, und ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt.

40      Insoweit geht insbesondere aus den Erwägungsgründen 2, 6 und 19 dieser Richtlinie hervor, dass die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV ist, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten.

41      Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 definiert die Europäische Ermittlungsanordnung als eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie, einschließlich von Beweisen, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats befinden, erlassen oder validiert wird.

42      Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie definiert, was der Ausdruck „Anordnungsbehörde‘“ im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet, indem in Ziff. ii dieser Bestimmung konkretisiert wird, dass, wenn eine andere zuständige Behörde des Anordnungsstaats als eine der in Ziff. i dieser Bestimmung angeführten eine Europäische Ermittlungsanordnung erlässt, diese Anordnung vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einer „Justizbehörde“ validiert werden muss.

43      Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41 vollstrecken die Mitgliedstaaten jede Europäische Ermittlungsanordnung nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.

44      Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 erkennt die Vollstreckungsbehörde eine Europäische Ermittlungsanordnung ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden. Nach dieser Bestimmung kann diese Behörde jedoch beschließen, eine Europäische Ermittlungsanordnung nicht zu vollstrecken, indem sie einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend macht.

45      Weiter gibt eine Vollstreckungsbehörde, wenn sie eine Europäische Ermittlungsanordnung erhält, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie erlassen worden ist, die Europäische Ermittlungsanordnung nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41 an den Anordnungsstaat zurück.

46      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zum einen, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung nur vollstreckt werden kann, wenn die Behörde, die sie erlassen hat, eine „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie ist, und zum anderen, dass, wenn eine solche Anordnung von einer anderen Anordnungsbehörde als einer der in Ziff. i dieser Bestimmung angeführten erlassen wurde, diese Anordnung von einer „Justizbehörde“ validiert werden muss, bevor sie zu ihrer Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat übermittelt wird.

47      Im vorliegenden Fall geht es bei der Vorlagefrage im Wesentlichen darum, ob ein Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats den Begriffen „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 entspricht, auch wenn zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft dadurch der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

48      Diese Frage stellt sich, da – wie aus Rn. 25 des vorliegenden Urteils hervorgeht – das vorlegende Gericht sich fragt, ob im Kontext der Richtlinie 2014/41 die aus den Urteilen vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 90) und PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) (C‑509/18, EU:C:2019:457, Rn. 57), hervorgegangene Rechtsprechung anzuwenden ist, wonach der Begriff „ausstellende Justizbehörde“ in Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats, die einer solchen Gefahr ausgesetzt sind, nicht darunter fallen.

49      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 3. März 2020, X [Europäischer Haftbefehl – Beiderseitige Strafbarkeit], C‑717/18, EU:C:2020:142, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Was als Erstes den Wortlaut der in Rn. 47 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen angeht, ist festzustellen, dass, obwohl der Rahmenbeschluss 2002/584, insbesondere sein Art. 6 Abs. 1, den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ verwendet, ohne die von diesem Begriff erfassten Behörden genauer zu bezeichnen, Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 ausdrücklich vorsieht, dass der Staatsanwalt zu den Behörden zählt, die wie ein Richter, ein Gericht oder ein Ermittlungsrichter als „Anordnungsbehörde“ zu verstehen sind.

51      Nach dieser Bestimmung ist die einzige Voraussetzung für die Einstufung als „Anordnungsbehörde“, dass das Gericht und die Personen, die die Funktion eines Richters, eines Ermittlungsrichters oder eines Staatsanwalts ausüben, in der betreffenden Sache zuständig sind.

52      Soweit also nach dem nationalen Recht der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft dieses Mitgliedstaats dafür zuständig ist, Ermittlungsmaßnahmen zur Erlangung von Beweisen in einer bestimmten Rechtssache anzuordnen, fällt dieser bzw. diese unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41.

53      Aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. c Ziff. ii dieser Richtlinie folgt auch, dass der Staatsanwalt zu den „Justizbehörden“ zählt, die befugt sind, eine Europäische Ermittlungsanordnung vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde zu validieren, wenn eine andere Anordnungsbehörde als eine der in Ziff. i dieser Bestimmung angeführten diese Ermittlungsanordnung erlassen hat.

54      Weder Ziff. i noch Ziff. ii dieses Art. 2 Buchst. c machen die Einstufung des Staatsanwalts als „Anordnungsbehörde“ oder „Justizbehörde“ im Sinne der Richtlinie 2014/41 davon abhängig, dass kein rechtliches Unterordnungsverhältnis zur Exekutive des Mitgliedstaats, dem er angehört, besteht.

55      Aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. c Ziff. i und ii der Richtlinie 2014/41 geht auch hervor, dass durch den Erlass oder die Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung durch einen Staatsanwalt diese Entscheidung als gerichtliche Entscheidung einzustufen ist.

56      Was als Zweites den Kontext betrifft, in den sich diese Bestimmungen einfügen, ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Erlass oder die Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung nach der Richtlinie 2014/41 einem anderen Verfahren und anderen Garantien unterliegt, als sie für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gelten. Diese Richtlinie sieht spezifische Bestimmungen vor, die sicherstellen sollen, dass der Erlass oder die Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung durch einen Staatsanwalt im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie mit Garantien versehen ist, die dem Erlass gerichtlicher Entscheidungen eigen sind, insbesondere in Bezug auf die Achtung der Grundrechte der betroffenen Person, u. a. des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz.

57      Zunächst hängt nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Buchst. c und ihrem elften Erwägungsgrund dieser Erlass oder diese Validierung von der doppelten Voraussetzung ab, dass sie zum einen für die in Art. 4 dieser Richtlinie genannten Verfahren, insbesondere Strafverfahren, unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig ist und dass zum anderen die in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet hätte(n) werden können.

58      Daher muss ein Staatsanwalt im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 beim Erlass oder der Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung sicherstellen, dass die nationalen Verfahrensgarantien beachtet werden, die den im 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Richtlinien über die Verfahrensrechte in Strafverfahren entsprechen müssen.

59      Weiter muss er, wie im Übrigen in den Erwägungsgründen 12 und 39 dieser Richtlinie ausgeführt wird, darauf achten, dass die in der Charta verankerten Rechte, insbesondere die in Art. 48 verankerte Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte, gewahrt werden. Außerdem sollte jede Einschränkung derartiger Rechte durch eine nach dieser Richtlinie angeordnete Ermittlungsmaßnahme den Anforderungen des Art. 52 Abs. 1 der Charta entsprechen, was u. a. voraussetzt, dass die betreffende Einschränkung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht.

60      Dann sieht Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in Verbindung mit deren 22. Erwägungsgrund die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, dafür zu sorgen, dass gegen die in der Europäischen Ermittlungsanordnung genannten Ermittlungsmaßnahmen Rechtsbehelfe eingelegt werden können, die zumindest den Rechtsbehelfen gleichwertig sind, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur Verfügung stehen.

61      Nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie hat die Anordnungsbehörde dafür zu sorgen, dass die von einer solchen Anordnung betroffenen Personen über hinreichende Informationen über die ihnen dagegen nach nationalem Recht zustehenden Rechtsbehelfe und die Fristen dafür verfügen, um zu gewährleisten, dass sie ihre Rechtsbehelfe wirksam ausüben können.

62      Schließlich muss der Anordnungsstaat nach Art. 14 Abs. 7 dieser Richtlinie eine erfolgreiche Anfechtung der Anerkennung oder Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung im Einklang mit seinem nationalen Recht berücksichtigen. Unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften haben die Mitgliedstaaten also sicherzustellen, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt werden und ein faires Verfahren gewährleistet wird.

63      Aus den in den Rn. 57 bis 62 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2014/41 geht hervor, dass ein Staatsanwalt im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie, der eine Europäische Ermittlungsanordnung erlässt oder validiert, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere die in der Charta verankerten, zu berücksichtigen hat und dass gegen seine Anordnung wirksame Rechtsbehelfe eingelegt werden können müssen, die zumindest denen gleichwertig sind, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur Verfügung stehen.

64      Zweitens ist die Europäische Ermittlungsanordnung zwar ein Instrument, das auf den Grundsätzen des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruht und dessen Vollstreckung den Grundsatz darstellt, während die Ablehnung seiner Vollstreckung als eng auszulegende Ausnahme ausgestaltet ist (vgl. entsprechend Urteil vom 27. Mai 2019, OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau], C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Bestimmungen der Richtlinie 2014/41 ermöglichen es jedoch der Vollstreckungsbehörde und allgemein dem Vollstreckungsstaat, auf die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie auf die Verfahrensrechte und die Grundrechte der betroffenen Person zu achten.

65      Zunächst ergibt sich aus Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2014/41, dass das Verfahren zur Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung eine richterliche Genehmigung im Vollstreckungsstaat erfordern kann, sofern das nationale Recht dieses Staates dies vorsieht. Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ist das im österreichischen Recht der Fall, das die Vollstreckung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen, wie eines Antrags auf Auskunft über ein Bankkonto, von einer richterlichen Genehmigung abhängig macht.

66      Weiter kann eine Vollstreckungsbehörde nach Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die in Abs. 1 dieses Artikels genannten Voraussetzungen – insbesondere diejenige, dass die Ermittlungsmaßnahme unter Berücksichtigung der Rechte der betroffenen Person für die Zwecke der Verfahren, für die sie erlassen worden ist, notwendig und verhältnismäßig ist – nicht erfüllt sind, die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der Europäischen Ermittlungsanordnung ist, was dazu führen kann, dass die Anordnungsbehörde diese Anordnung zurückzieht.

67      Nach Art. 10 dieser Richtlinie kann die Vollstreckungsbehörde auch auf eine andere als die in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen. Diese Möglichkeit steht insbesondere offen, wenn – wie aus Art. 10 Abs. 3 in Verbindung mit dem zehnten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht – die Vollstreckungsbehörde der Ansicht ist, dass mit dieser anderen Maßnahme mit weniger stark in die Grundrechte der betroffenen Person eingreifenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie mit der in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebenen Ermittlungsmaßnahme erreicht würde.


68      Schließlich kann die Anerkennung oder Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie im Vollstreckungsstaat versagt werden, wenn berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der Europäischen Ermittlungsanordnung angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Art. 6 EUV und der Charta unvereinbar wäre.

69      In Anbetracht der in den Rn. 57 bis 68 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte fügen sich Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 in einen normativen Rahmen ein, der eine Reihe von Garantien sowohl im Stadium des Erlasses oder der Validierung als auch im Stadium der Vollstreckung der Europäischen Ermittlungsanordnung umfasst, um den Schutz der Grundrechte der betroffenen Person sicherzustellen.

70      Was als Drittes das Ziel der Richtlinie 2014/41 angeht, soll damit – wie in den Rn. 39 und 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde – die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert und beschleunigt werden, indem die Entscheidungen der Justizbehörden dieser Mitgliedstaaten zur Erhebung von Beweismitteln in Strafverfahren mit grenzüberschreitenden Bezügen gegenseitig anerkannt werden.

71      Wie im 34. Erwägungsgrund dieser Richtlinie betont wird, erfasst diese einstweilige Maßnahmen nur im Hinblick auf die Beweiserhebung. Außerdem kann der Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung nach Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie von einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt beantragt werden. Wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausführt, kann eine solche Maßnahme also im Interesse des Betroffenen angeordnet werden.

72      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die durch die Richtlinie 2014/41 geregelte Europäische Ermittlungsanordnung im Rahmen eines Strafverfahrens ein anderes Ziel verfolgt als der durch den Rahmenbeschluss 2002/584 geregelte Europäische Haftbefehl. Während nämlich der Europäische Haftbefehl nach Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung gerichtet ist, zielt die Europäische Ermittlungsanordnung nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 auf die Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) zur Erlangung von Beweisen ab.

73      Zwar kann eine Europäische Ermittlungsanordnung, wie sich aus den Art. 3 und 4 der Richtlinie 2014/41 ergibt, grundsätzlich alle Ermittlungsmaßnahmen insbesondere in Bezug auf Strafverfahren umfassen. Einige dieser Maßnahmen können eingriffsintensiv sein, soweit sie u. a. das Recht auf den Schutz der Privatsphäre oder das Recht auf Eigentum der betroffenen Person beeinträchtigen. Wie aber alle Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, geltend gemacht haben, ist die Europäische Ermittlungsanordnung – abgesehen von dem Sonderfall der zeitweiligen Überstellung von inhaftierten Personen zum Zwecke der Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme, der Gegenstand besonderer Garantien in den Art. 22 und 23 der Richtlinie 2014/41 ist – anders als der Europäische Haftbefehl nicht geeignet, das in Art. 6 der Charta verankerte Recht der betroffenen Person auf Freiheit zu beeinträchtigen.

74      In Anbetracht der Unterschiede im Wortlaut, im Kontext und in der Zielsetzung, die in den vorstehenden Erwägungen zwischen dem Rahmenbeschluss 2002/584 und der Richtlinie 2014/41 festgestellt worden sind, ist die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584, die der Gerichtshof in den Urteilen vom 27. Mai 2019, OG und PI (Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau) (C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:456) und PF (Generalstaatsanwalt von Litauen) (C‑509/18, EU:C:2019:457), vorgenommen hat, wonach der Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne dieser Bestimmung die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats nicht erfasst, die der Gefahr von Einzelweisungen seitens der Exekutive ausgesetzt sind, nicht auf den Kontext der Richtlinie 2014/41 übertragbar.

75      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen sind, dass unter die Begriffe „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Bestimmungen der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fällt, unabhängig davon, ob zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats möglicherweise ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

 Kosten

76      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen sind dahin auszulegen, dass unter die Begriffe „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Bestimmungen der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fällt, unabhängig davon, ob zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats möglicherweise ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

Lenaerts

Silva de Lapuerta

Prechal

Vilaras

Regan

Bay Larsen

Piçarra

Kumin

Wahl

von Danwitz

Toader

Jürimäe

Rossi

Jarukaitis

Jääskinen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Dezember 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.