Language of document : ECLI:EU:C:2023:849

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 9. November 2023(1)

Verbundene Rechtssachen C790/21 P und C791/21 P

Covestro Deutschland AG

gegen

Europäische Kommission (C790/21 P)

und

Bundesrepublik Deutschland

gegen

Covestro Deutschland AG und

Europäische Kommission (C791/21 P)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Deutschland – Beihilferegelung zugunsten bestimmter stromintensiver Unternehmen – Netzentgeltbefreiung für den Zeitraum 2012 bis 2013 – Beschluss, mit dem die Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und rechtswidrig erklärt und die Rückforderung der gewährten Beihilfen angeordnet wird – Nichtigkeitsklage – Klagefrist – Zulässigkeit – Begriff der Beihilfe – Staatliche Mittel – Parafiskalische Abgabe oder sonstige verpflichtende Abgaben – Staatliche Kontrolle über die Gelder“






1.        Die vorliegenden Schlussanträge werden in den verbundenen Rechtssachen C‑790/21 P und C‑791/21 P vorgelegt. Sie sind in Verbindung mit meinen drei weiteren, in parallelen Rechtsmittelverfahren(2) ebenfalls heute vorgelegten Schlussanträgen zu sehen, die alle dieselbe Beihilferegelung betreffen. Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑790/21 P beantragt die Covestro Deutschland AG (im Folgenden: Covestro), ein Unternehmen im Bereich der Materialherstellung, die Aufhebung des Urteils vom 6. Oktober 2021, Covestro Deutschland/Kommission (T‑745/18, EU:T:2021:644) (im Folgenden: angefochtenes Urteil). Mit diesem Urteil wurde ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 28. Mai 2018 über die staatliche Beihilfe Deutschlands für Bandlastverbraucher nach Paragraf 19 StromNEV(3) für die Jahre 2012 und 2013 (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen. Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑791/21 P beantragt die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden der Einfachheit halber: Deutschland) die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Kommission hat in beiden vorgenannten Rechtssachen ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie ebenfalls die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt.

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

2.        Der Hintergrund des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 22 des angefochtenen Urteils dargestellt. Für die vorliegenden Schlussanträge lässt er sich wie folgt zusammenfassen.

A.      Netzentgeltsystem vor Einführung der streitigen Maßnahmen

3.        Nach § 21 des Energiewirtschaftsgesetzes in der durch das Gesetz vom 26. Juli 2011 zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften(4), aber vor den Änderungen durch das Gesetz vom 26. Juli 2016 zur Weiterentwicklung des Strommarktes(5) geänderten Fassung müssen die Netzentgelte angemessen, diskriminierungsfrei und transparent sein und auf der Grundlage der Kosten eines effizienten Betriebs des Energieversorgungssystems beruhen.

4.        § 17 der Stromnetzentgeltverordnung (im Folgenden: StromNEV) vom 25. Juli 2005(6) legt die von den Netzbetreibern anzuwendende Berechnungsmethode zur Ermittlung der allgemeinen Entgelte fest, die u. a. auf den jährlichen Gesamtnetzkosten beruht.

5.        § 19 StromNEV 2005 sieht ferner für Gruppen von Nutzern, deren Abnahme- und Lastprofil sich stark von dem der anderen Nutzer unterscheidet (sogenannte atypische Nutzer) individuelle Entgelte vor, bei denen nach dem Grundsatz der Verursachungsgerechtigkeit berücksichtigt wird, welchen Beitrag diese Nutzer zu einer Senkung oder zu einer Vermeidung der Erhöhung der Netzkosten leisten.

6.        In diesem Zusammenhang führt § 19 Abs. 2 StromNEV 2005 individuelle Entgelte für die folgenden beiden Gruppen atypischer Nutzer ein: i) Nutzer, deren Höchstlastbeitrag vorhersehbar erheblich von der zeitgleichen Jahreshöchstlast aller anderen an dieselbe Netzebene angeschlossenen Nutzer abweicht, d. h. Nutzer, die systematisch Strom außerhalb der Spitzenlastzeiten verbrauchen (im Folgenden: antizyklische Verbraucher), und ii) Nutzer mit einer jährlichen Stromabnahme von mindestens 7 000 Benutzungsstunden und mehr als 10 Gigawattstunden (im Folgenden: Bandlastverbraucher).

7.        Bis zum Inkrafttreten der StromNEV in der durch das EnWG 2011 geänderten Fassung (im Folgenden: StromNEV 2011) hatten die antizyklischen Verbraucher und die Bandlastverbraucher individuelle Entgelte zu zahlen, die nach der von der Bundesnetzagentur (Deutschland; im Folgenden: BNetzA) erarbeiteten „Methode des physikalischen Pfades“ berechnet wurden. Die Methode stellte auf die von diesen Verbrauchern verursachten Netzkosten ab, wobei ein Mindestentgelt in Höhe von 20 % des veröffentlichten allgemeinen Netzentgelts (im Folgenden: Mindestentgelt) vorgesehen war. Letzteres garantierte ein Entgelt für den Betrieb des Netzes, an das diese Verbraucher angeschlossen waren, falls die nach der Methode des physikalischen Pfades berechneten individuellen Entgelte darunter lagen oder gegen null gehen sollten.

B.      Streitige Maßnahmen (Befreiung und Umlage)

8.        Nach § 19 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StromNEV 2011, der am 4. August 2011 in Kraft trat, wurden ab dem 1. Januar 2011 (dem ersten Tag der rückwirkenden Anwendung dieser Bestimmung), die individuellen Netzentgelte für Bandlastverbraucher abgeschafft und durch eine vollständige Netzentgeltbefreiung (im Folgenden: streitige Befreiung) ersetzt. Sie sollte erst gewährt werden, wenn die zuständige Regulierungsbehörde (entweder die BNetzA oder die Regulierungsbehörde des betreffenden Bundeslandes) geprüft hatte, ob die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren. Diese Befreiung ging je nachdem, an welche Netzebene die Begünstigten angeschlossen waren, zulasten der Übertragungsnetzbetreiber oder der Verteilernetzbetreiber. Die individuellen Netzentgelte für die antizyklischen Verbraucher wurden beibehalten, ebenso ihre Verpflichtung zur Zahlung von mindestens 20 % des veröffentlichten Netzentgelts.

9.        Nach § 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV 2011 waren die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, den nachgelagerten Betreibern von Stromverteilernetzen (Verteilernetzbetreibern) die aus der streitigen Befreiung resultierenden Mindererlöse zu erstatten, wobei sie die durch die Befreiung verursachten Kosten durch eine Ausgleichszahlung gemäß § 9 des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes vom 19. März 2002(7) untereinander kompensieren mussten, so dass jeder Übertragungsnetzbetreiber gemessen an der Strommenge, die er den an sein Netz angeschlossenen Letztverbrauchern lieferte, die gleiche finanzielle Last trug.

10.      Ab 2012 wurde mit Beschluss der BNetzA vom 14. Dezember 2011 (BK8-11-024, im Folgenden: Beschluss der BNetzA von 2011) ein Finanzierungsmechanismus eingeführt. Nach diesem Mechanismus erhoben die Verteilernetzbetreiber von den Letztverbrauchern eine Umlage (im Folgenden: streitige Umlage), deren Erlöse zum Ausgleich der aufgrund der streitigen Befreiung entstehenden Mindereinnahmen an die Übertragungsnetzbetreiber weitergeleitet wurden.

11.      Die Höhe der Umlage wurde jedes Jahr von den Übertragungsnetzbetreibern im Voraus anhand einer von der BNetzA festgelegten Methode ermittelt. Den Betrag für das Jahr 2012, das erste Jahr, in dem das System durchgeführt wurde, setzte die BNetzA unmittelbar fest.

12.      Diese Vorschriften galten nicht für die aus der Befreiung resultierenden Kosten für das Jahr 2011, weshalb alle Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber die mit der Befreiung in diesem Jahr verbundenen Verluste selbst tragen mussten.

C.      Netzentgeltsystem nach Erlass der streitigen Maßnahmen

13.      Während des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission, das zum Erlass des streitigen Beschlusses führte, wurde die streitige Befreiung zunächst durch Beschlüsse des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Deutschland) vom 8. Mai 2013 und des Bundesgerichtshofs (Deutschland) vom 6. Oktober 2015 für nichtig erklärt. Diese Befreiung wurde sodann durch die StromNEV in der Fassung der Verordnung vom 14. August 2013 zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts mit Wirkung vom 1. Januar 2014 abgeschafft(8). Mit der letztgenannten Verordnung wurden die nach der Methode des physikalischen Pfades berechneten individuellen Netzentgelte wiedereingeführt, wobei anstelle des Mindestentgelts pauschalierte Netzentgelte in Höhe von 10 %, 15 % und 20 % der allgemeinen Netzentgelte je nach Stromabnahme (7 000, 7 500 bzw. 8 000 Stunden der Netznutzung pro Jahr) (im Folgenden: pauschalierte Netzentgelte) angewandt wurden.

14.      Mit der StromNEV 2013 wurde eine Übergangsregelung eingeführt, die am 22. August 2013 in Kraft trat und rückwirkend für Bandlastverbraucher galt, denen die streitige Befreiung für die Jahre 2012 und 2013 noch nicht gewährt worden war (im Folgenden: Übergangsregelung). Diese Regelung sah anstelle der nach der Methode des physikalischen Pfads berechneten individuellen Netzentgelte und des Mindestentgelts ausschließlich die Anwendung der pauschalierten Netzentgelte vor.

II.    Rechtliche Würdigung

15.      Mit ihren beiden identischen Anschlussrechtsmitteln in den Rechtssachen C‑790/21 P und C‑791/21 P macht die Kommission drei Rechtsmittelgründe geltend. Die ersten beiden sind im Wesentlichen identisch mit den beiden Gründen der Anschlussrechtsmittel in den Rechtssachen C‑792/21 P bis C‑796/21 P und C‑800/21 P. In der Rechtssache C‑790/21 P macht Covestro vier Rechtsmittelgründe geltend. In der Rechtssache C‑791/21 P macht Deutschland einen einzigen Rechtsmittelgrund geltend. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden in den vorliegenden Schlussanträgen jedoch nur der erste Grund der Anschlussrechtsmittel der Kommission (Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage) und der dritte Rechtsmittelgrund von Covestro behandelt, der dem einzigen Rechtsmittelgrund Deutschlands entspricht (da diese Gründe die Voraussetzung des Vorliegens einer Maßnahme unter Inanspruchnahme „staatlicher Mittel“ betreffen).

A.      Erster Grund der Anschlussrechtsmittel der Kommission: Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage

1.      Hauptargumente der Parteien

16.      Die Kommission bringt vor, das Gericht habe in den Rn. 37 bis 44 des angefochtenen Urteils den Begriff „Bekanntgabe“ im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV rechtsfehlerhaft weit ausgelegt. Erstens stehe die Auslegung des Gerichts im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der dieser eine Parallele zwischen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 297 AEUV gezogen habe. Aus dieser Rechtsprechung ergebe sich eindeutig, dass die Klagefrist nur dann mit der Bekanntgabe beginne, wenn sie Voraussetzung für das Inkrafttreten der betreffenden Handlung sei und im Vertrag selbst vorgesehen sei. Zweitens stelle, was insbesondere die Veröffentlichung eines Beschlusses der Kommission, durch den das förmliche Prüfverfahren abgeschlossen werde, im Amtsblatt der Europäischen Union (im Folgenden: Amtsblatt) angehe, diese keine „Veröffentlichung“ im Sinne von Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV dar. Sie löse daher nicht den Beginn der Klagefrist aus. Drittens führt die Kommission einen Argumentationsstrang für ihre Auslegung von Art. 263 Abs. 6 AEUV an, wie etwa die Systematik dieser Bestimmung, den Grundsatz der Waffengleichheit oder den zwingenden Charakter der Klagefristen.

17.      Deutschland und Covestro bringen im Wesentlichen vor, dass die vom Gericht vorgenommene Auslegung des Begriffs „Bekanntgabe“ im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV rechtsfehlerfrei sei.

2.      Würdigung

18.      Es ist richtig, dass die Empfänger staatlicher Beihilfen, wie auch im vorliegenden Fall, in der Praxis häufig über den Inhalt eines Beschlusses der Kommission, mit dem die Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und rechtswidrig erklärt und die Rückforderung der Beihilfen angeordnet wird, informiert werden, bevor dieser Beschluss im Amtsblatt veröffentlicht wird. Die Empfänger werden durch die Rechtswirkungen dieses Beschlusses im Rahmen des Rückforderungsverfahrens belastet, das unmittelbar nach Erlass des Beschlusses und seiner Mitteilung an den betreffenden Mitgliedstaat stattfinden muss.

19.      Die Kommission argumentiert, dass unter diesen Umständen und entgegen den Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil für die Berechnung der Klagefrist für eine Nichtigkeitsklage auf den Zeitpunkt abzustellen sei, zu dem der Beihilfeempfänger Kenntnis von dem streitigen Beschluss erlangt habe, und nicht auf den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im Amtsblatt. Somit hätte das Gericht die von Covestro erhobene Klage für unzulässig erklären müssen, da sie verspätet gewesen sei.

20.      Meines Erachtens ist die von der Kommission vertretene Auslegung abzulehnen, da sie weder durch den Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV, noch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, noch durch den Zweck dieser Bestimmung gestützt wird.

21.      Nach Art. 263 Abs. 6 AEUV sind „[die] in diesem Artikel vorgesehenen Klagen … binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat“.

22.      Wie von Deutschland vorgetragen und wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, kommt bereits nach dem Wortlaut dieser Bestimmung der Zeitpunkt, zu dem der Kläger von der Handlung Kenntnis erlangt hat, als Beginn der Klagefrist nur subsidiär neben dem Zeitpunkt der Bekanntgabe bzw. der Mitteilung in Betracht.

23.      Was die Mitteilung angeht, ist im Blick zu behalten, dass das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen ein rein bilaterales Verfahren zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat ist. Beihilfeempfänger haben lediglich die Stellung als „Beteiligte“ im Sinne von Art. 1 Buchst. h der Verordnung (EU) 2015/1589(9). Daraus folgt, dass dieser Mitgliedstaat alleiniger Adressat eines negativen Beschlusses der Kommission ist und das Inkrafttreten dieses Beschlusses das Ergebnis dieses bilateralen Verfahrens ist, d. h. die Mitteilung des Beschlusses an den Mitgliedstaat durch die Kommission. Da dieser Beschluss zum Zeitpunkt der Mitteilung bereits in Kraft getreten ist, muss die Bestimmung des Beginns der Klagefrist für Beteiligte, gegenüber denen keine Mitteilung erfolgt, von den Voraussetzungen für das Inkrafttreten eines Rechtsakts unabhängig sein und sich stattdessen aus einer Auslegung des Wortlauts und Zwecks von Art. 263 Abs. 6 AEUV ergeben.

24.      Nach dem Wortlaut von Art. 263 Abs. 6 AEUV wird bei Personen, gegenüber denen keine Mitteilung erfolgt, die Bekanntgabe der Handlung im Amtsblatt zum primären Merkmal, nach dem der Beginn der Berechnung der Klagefrist zu bestimmen ist. Demzufolge wäre der Zeitpunkt, zu dem der Beihilfeempfänger von dem Beschluss Kenntnis erlangt hat, da er gegenüber den anderen Kriterien subsidiär ist, nur in dem Fall relevant, dass keine Bekanntgabe erfolgt ist (obwohl sie erforderlich war).

25.      Meines Erachtens geht der Verweis der Kommission auf das Urteil Portugal/Kommission fehl(10). Jenes Urteil betraf einen anderen Sachverhalt als der des vorliegenden Falls. In jener Rechtssache war der in Rede stehende Beschluss nämlich konkret an die Portugiesische Republik gerichtet, wohingegen Covestro, als Empfängerin der Beihilfe, nur Beteiligte ist; sie ist nicht Adressatin des streitigen Beschlusses.

26.      Ferner stützt sich die Kommission auf ein unzutreffendes Verständnis jenes Urteils in Bezug auf die geltend gemachte Parallele zwischen Art. 263 Abs. 6 AEUV und Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 AEUV. In jenem Urteil hat der Gerichtshof den Begriff „Bekanntgabe“ nicht als „tatsächliche Kenntnis“ ausgelegt. Der Gerichtshof hat lediglich zum Verhältnis zwischen den beiden in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehenen Alternativen Stellung genommen und insoweit festgestellt, dass der an die Klägerin gerichtete Beschluss durch seine Bekanntgabe wirksam wird und diese Bekanntgabe zugleich den Beginn der Klagefrist darstellt.

27.      Die Kommission erörtert die „Bekanntgabe“ und ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall den Unternehmen gegenüber eine Mitteilung seitens der deutschen Behörden erfolgt sei. Wenn diese Behörden – die nicht Urheber des Rechtsakts sind – den Beihilfeempfängern eine Kopie des streitigen Beschlusses übersenden, kann dies jedoch nicht als förmliche Bekanntgabe eines Beschlusses der Kommission im Sinne von Art. 297 AEUV angesehen werden. Eine solche Übermittlung eines Beschlusses an die Empfänger hat daher nicht dieselben Wirkungen wie eine Bekanntgabe im Sinne dieses Artikels. Jedenfalls geht es im vorliegenden Fall in Wirklichkeit nicht um die „Zustellung“ eines Beschlusses der Kommission.

28.      Auch die weiteren von der Kommission angeführten Präzedenzentscheidungen stützen die von ihr vertretene Annahme nicht. So ist der Beschluss Fryč/Kommission nicht einschlägig, da er eine Nichtigkeitsklage gegen im Amtsblatt veröffentlichte Verordnungen betraf. Desgleichen betraf der Beschluss Iordăchescu/Parlament u. a.(11) eine Richtlinie, die ebenfalls im Amtsblatt veröffentlicht worden war.

29.      Schließlich besteht der Zweck der Klagefristen darin, objektive Kriterien zu schaffen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten. Daraus folgt, dass eine solche Frist für jedermann eindeutig und leicht bestimmbar sein und bezwecken muss, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung in der Rechtspflege zu verhindern(12).

30.      Wie von Deutschland vorgetragen, bestimmt Art. 263 Abs. 6 AEUV somit gerade im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit, dass es zur Bestimmung der Klagefrist hauptsächlich auf das Ereignis der Bekanntgabe der Handlung ankommt. Dieser Zeitpunkt lässt sich nämlich stets mit Sicherheit bestimmen, anders als der Zeitpunkt, an dem der Empfänger von der Maßnahme Kenntnis erlangt, für den der Nachweis viel schwieriger zu erbringen ist. Die von der Kommission vertretene Alternative liefe dieser rechtssicheren Berechnung zuwider. Nach dieser Alternative müsste jede Frist individuell bestimmt werden und wäre das Gericht gezwungen, mit erheblichem Aufwand eingehend zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger – vielleicht zufällig – von der betreffenden Handlung tatsächlich Kenntnis erlangt hat.

31.      Außerdem würde die von der Kommission vertretene Auslegung zu einer Einschränkung des wirksamen Rechtsschutzes des Beihilfeempfängers führen, da Letzterer möglicherweise etwa vom betreffenden Mitgliedstaat eine unvollständige oder bearbeitete Fassung des Beschlusses der Kommission erhalten könnte. Eine solche Mitteilung ist im Unionsrecht nicht geregelt, und der Mitgliedstaat könnte eine Mitteilung an einige oder alle Beihilfeempfänger willkürlich oder fahrlässig versäumen, womit offensichtliche Probleme im Hinblick auf den Grundsatz des gleichen Zugangs zu den Gerichten aufträten.

32.      Das Argument der Kommission, dass im vorliegenden Fall Covestro – die den streitigen Beschluss im Rahmen des nationalen Verfahrens zur Rückforderung der Beihilfen erhalten hat – ihre Nichtigkeitsklage vor der Veröffentlichung des streitigen Beschlusses im Amtsblatt erhoben habe, lässt dieses Ergebnis meines Erachtens unberührt.

33.      Der Gerichtshof hat in seiner früheren Rechtsprechung nämlich festgestellt, dass „die Bestimmungen von Art. 33 Abs. 3 des EGKS-Vertrags, die die Formalitäten – Bekanntgabe und Veröffentlichung – präzisierten, von denen an die Frist für Nichtigkeitsklagen lief, einen Kläger nicht daran hinderten, beim Gerichtshof Klage zu erheben, sobald die streitige Entscheidung ergangen war, ohne ihre Bekanntgabe oder ihre Veröffentlichung abzuwarten, so dass der einen der beiden Klagen, auf die dieses Urteil zurückging, nicht deswegen Unzulässigkeit entgegengehalten werden konnte, weil sie vor der Veröffentlichung dieser Entscheidung bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden war“. Der Gerichtshof hat in dem angeführten Urteil daher befunden, dass „[nichts] in den Bestimmungen von Art. 263 Abs. 6 AEUV, der Art. 33 Abs. 3 des EGKS-Vertrags entspricht, … daran [hindert], diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall zu übertragen“(13), und im Wesentlichen entschieden, dass der Umstand, dass eine Nichtigkeitsklage vor der Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung erhoben wurde, keinen Grund darstellt, die Klage für unzulässig zu erklären.

34.      Aus der vorstehenden Würdigung folgt, dass der Umstand, dass eine Nichtigkeitsklage vorzeitig (d. h. vor der tatsächlichen Bekanntgabe der streitigen Handlung) erhoben wird, für den Zeitpunkt des Beginns der Klagefrist und die Berechnung der Klagefrist im Sinne von Art. 263 Abs. 6 AEUV ohne Bedeutung ist.

35.      Schließlich sind die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:120) entgegen dem Vorbringen der Kommission für die vorliegenden Rechtssachen unerheblich, da der Gerichtshof in jener Rechtssache über die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens entschieden hat und nicht über den Zeitpunkt des Beginns der Klagefrist für eine Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss der Kommission vor dem Gericht.

36.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt meines Erachtens, dass das Gericht zu Recht befunden hat, dass die von der Kommission im ersten Rechtszug erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen und die Anschlussrechtsmittel der Kommission als unbegründet zurückzuweisen waren.

B.      Dritter Rechtsmittelgrund von Covestro und einziger Rechtsmittelgrund Deutschlands: Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV in Bezug auf staatliche Mittel

37.      Der dritte Rechtsmittelgrund von Covestro (C‑790/21 P), der den Begriff „staatliche Mittel“ betrifft, beruht auf drei Argumenten: i) Covestro argumentiert, dass das Vorliegen einer Abgabe und einer staatlichen Kontrolle keine alternativen Kriterien darstellten, ii) Covestro widerspricht der Einstufung der streitigen Umlage als Abgabe, und iii) Covestro trägt vor, dass keine staatliche Kontrolle über die mit der streitigen Umlage erwirtschafteten Gelder vorgelegen habe. Der einzige Rechtsmittelgrund Deutschlands (Rechtssache C‑791/21 P) gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil, wonach „das Vorliegen einer Abgabe und einer staatlichen Kontrolle zwei alternative Kriterien [sind]“, beruht auf folgenden Argumenten: a) Das angefochtene Urteil weise Widersprüche auf, b) aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich nicht, dass allein aus der Einstufung einer Umlage als Abgabe darauf geschlossen werden könne, dass die Maßnahme staatliche Mittel beinhalte, c) der Auslegung des Gerichts stehe die Systematik der Verträge entgegen, d) diese Auslegung habe „[von] den Verträgen nicht vorgesehene“ Folgen, und e) trotz des Vorliegens einer Abgabe sei zu prüfen, ob eine staatliche Kontrolle vorliege. Der zweite Teil, wonach „die von der BNetzA erhobene Umlage keine Abgabe im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist“, beruht auf folgenden Argumenten: a) Es liege keine „Abgabe“ vor, wenn der Abgabenschuldner nicht der Letztverbraucher sei, b) das Gericht hätte nicht nur die Verpflichtung zur Erhebung, sondern auch die Verpflichtung zur Zahlung der Abgabe prüfen müssen. Mit dem dritten Teil argumentiert Deutschland, dass das Gericht fehlerhaft befunden habe, dass die ausschließliche Verwendung der erhobenen Netzentgelte nicht ausschließe, dass der Staat über diese Gelder verfügen könne.

38.      Nach Ansicht der Kommission sind der dritte Rechtsmittelgrund von Covestro und der einzige Rechtsmittelgrund Deutschlands als unbegründet zurückzuweisen.

39.      Da die verschiedenen von Covestro im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes (Rechtssache C‑790/21 P) und von Deutschland im Rahmen des einzigen Rechtsmittelgrundes (Rechtssache C‑791/21 P) vorgebrachten Argumente zu staatlichen Mitteln sich in erheblichem Maß überschneiden, sind sie zusammen sowie der Reihenfolge und dem Aufbau des angefochtenen Urteils folgend zu behandeln. Daher ist zunächst auf den alternativen Charakter der Kriterien, anschließend auf die Einstufung der streitigen Umlage als „Abgabe“ und schließlich auf das Vorliegen einer staatlichen Kontrolle über die durch die streitige Umlage erwirtschafteten Mittel einzugehen.

1.      Erster Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland (zwei Merkmale, die Teile einer Alternative sind)

a)      Wesentliches Vorbringen der Parteien

40.      Covestro und Deutschland bringen im Wesentlichen vor, das Gericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass das Vorliegen einer Abgabe und einer staatlichen Kontrolle über die mit dieser Abgabe erwirtschafteten Gelder (oder über die Verwalter dieser Gelder) „zwei Merkmale, die Teile einer Alternative sind“, darstellten. Allein aus dem Vorliegen einer solchen Abgabe könne nicht geschlossen werden, dass es im vorliegenden Fall um „staatliche Mittel“ gehe.

b)      Würdigung

41.      Das Gericht hat die Rechtsprechung zum Kriterium der „staatlichen Mittel“ geprüft und befunden, dass „die Rechtsprechung des Gerichtshofs … für die Beurteilung des staatlichen Charakters der Mittel im Wesentlichen auf zwei Hauptmerkmale [abstellt]: zum einen auf eine verpflichtende Belastung der Verbraucher oder Letztverbraucher, die normalerweise als ‚Abgabe‘ bezeichnet wird, insbesondere als ‚parafiskalische Abgabe‘, und zum anderen auf die staatliche Kontrolle über die Verwaltung des Systems, insbesondere durch die staatliche Kontrolle über die Gelder oder über die Verwalter (Dritte) dieser Gelder. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei Merkmale, die Teile einer Alternative sind“ (Rn. 95 des angefochtenen Urteils, Hervorhebung nur hier).

42.      Nach Auffassung des Gerichts „[ist daher] zu prüfen, ob der [Finanzierungsmechanismus] der streitigen Umlage die von der einschlägigen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für die Verwendung staatlicher Mittel erfüllt …, und folglich, ob die streitige Umlage tatsächlich eine Zwangsabgabe darstellt und demnach einer parafiskalischen Abgabe gleichzustellen ist oder, wenn dies nicht der Fall ist, ob der Staat zumindest über eine Kontrolle über die eingenommenen Gelder oder über die mit der Verwaltung dieser Gelder betrauten Einrichtungen verfügt“ (Rn. 109 des angefochtenen Urteils).

43.      Covestro und Deutschland sind der Ansicht, dass die Kriterien einer „Abgabe“ und einer staatlichen Kontrolle kumulativen Charakter hätten, und stützen sich auf die Urteile FVE Holýšov I u. a./Kommission(14), Deutschland/Kommission(15) und PreussenElektra(16). Diese und andere (jüngere) Urteile des Gerichtshofs sprechen jedoch vielmehr dafür, dass die Kriterien alternativen Charakter haben, wie das Gericht in den Rn. 90 und 95 bis 97 des angefochtenen Urteils befunden hat(17).

44.      Meines Erachtens ist das Vorbringen von Covestro und Deutschland unbegründet, da es auf der Grundlage der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs zurückgewiesen werden kann, die jeden möglichen Zweifel daran ausräumt, ob die Kriterien alternativen oder kumulativen Charakter haben.

45.      Im Urteil DOBELES HES(18) hat die Große Kammer des Gerichtshofs sich mit zwei für die vorliegenden Rechtsmittelverfahren relevanten Fragen auseinandergesetzt: i) der Definition des Begriffs einer Abgabe und ii) dem Verhältnis zwischen dem Kriterium einer Abgabe und dem Kriterium der staatlichen Kontrolle über den Finanzierungsmechanismus.

46.      In Rn. 39 jenes Urteils hat der Gerichtshof klargestellt, dass die einschlägigen Kriterien von Art. 107 Abs. 1 AEUV Teil einer Alternative sind: „[Das] in der vorstehenden Randnummer genannte Kriterium [d. h. das Vorliegen einer Abgabe, ist] nicht das einzige, anhand dessen festgestellt werden kann, ob ‚staatliche Mittel‘ im Sinne der genannten Bestimmung vorliegen. Es genügt, dass Beträge stets unter staatlicher Kontrolle bleiben und somit den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen, um sie als ‚staatliche Mittel‘ einzustufen …“.

47.      Daraus folgt, dass es ausreicht, wenn das eine oder das andere der beiden Kriterien erfüllt ist, was durch Rn. 42 des Urteils DOBELES HES bestätigt wird, wo der Gerichtshof unmittelbar vom Vorliegen der „beiden … alternativen Kriterien“ spricht.

48.      Das Gericht hat daher im angefochtenen Urteil Art. 107 Abs. 1 AEUV rechtsfehlerfrei ausgelegt, da es der vorangegangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs gefolgt ist und insoweit in Rn. 95 ausgeführt hat, dass die oben genannten Kriterien „Teile einer Alternative sind“, und dieser Ansatz ist seitdem im Urteil DOBELES HES noch einmal bestätigt worden. Demnach war es ausreichend, dass das Gericht im angefochtenen Urteil das Vorliegen entweder einer Abgabe oder einer staatlichen Kontrolle über den Finanzierungsmechanismus festgestellt hat, wobei jedes dieser Kriterien für sich genommen für die Feststellung des Vorliegens staatlicher Mittel ausgereicht hätte. Folglich ist das Vorbringen von Covestro und Deutschland, wonach diese Kriterien kumulativen Charakter hätten, meines Erachtens als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

49.      Zwar hat das Gericht dies nicht ausdrücklich erwähnt, doch ergibt sich meines Erachtens aus dem Wortlaut des angefochtenen Urteils (insbesondere aus Rn. 109) klar, dass es das zweite Kriterium lediglich aus Gründen der Vollständigkeit geprüft hat. In Anbetracht dessen, dass der alternative Charakter der Kriterien zwischen den Parteien im Verfahren vor dem Gericht in hohem Maß streitig war, hat sich das Gericht vom Grundsatz der geordneten Rechtspflege leiten lassen und beide Merkmale der Alternative geprüft.

50.      Sodann bringt Deutschland zur Stützung seines Vorbringens, wonach die Kriterien einer „Abgabe“ und der staatlichen Kontrolle kumulativen Charakter haben müssten, auch vor, dass der Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV im angefochtenen Urteil (die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt werde) jedenfalls die Systematik der Verträge entgegenstehe und dass sie zu „[von] den Verträgen nicht vorgesehenen Folgen“ führen würde. Jede vom Staat auferlegte Abgabe oder zusätzliche Belastung falle zwangsläufig unter den Begriff „staatliche Mittel“, was der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten zuwiderlaufe. Das Verbot rechtswidriger staatlicher Beihilfen diene dem Schutz vor staatlichen Eingriffen in den freien Wettbewerb und betreffe folglich nur solche Eingriffe in den Wettbewerb, die im Zusammenhang mit dem Staatshaushalt stünden oder Mittel beinhalteten, die der Verfügungsgewalt des Staates unterlägen.

51.      Wie von der Kommission vorgetragen, beruht dieses Vorbringen jedoch auf einem unzutreffenden Verständnis der Verträge(19) sowie auf einer Vermengung der Rechtsprechung zu den Art. 30 und 110 AEUV einerseits und zu Art. 34 AEUV andererseits. Das in den beiden erstgenannten Artikeln geregelte Diskriminierungsverbot erklärt sich dadurch, dass sowohl Zölle als auch Abgaben naturgemäß fiskalischen Charakter haben (sie stellen Abgaben dar, die vom Staat zur Erreichung politischer Ziele verwendet werden). Darüber hinaus ist lediglich darauf hinzuweisen, dass das hauptsächlich entscheidende Merkmal bei staatlichen Mitteln darin liegt, dass die Wettbewerbsverzerrung auf die Tätigkeit des Staats (und nicht die eines Unternehmens) zurückgeht. Aber anders als Deutschland offenbar meint, enthält die Systematik der Verträge keinen Hinweis darauf, dass nur „aus dem Staatshaushalt finanzierte“ Beihilfen als staatliche Beihilfen anzusehen sind. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist nämlich stets klargestellt worden, dass der bloße Umstand, dass Mittel ausschließlich durch privatrechtliche Einrichtungen fließen, nicht ausreicht, um das Vorliegen einer wirksamen Kontrolle des Staats im Sinne des Begriffs der Beihilfe zu widerlegen(20).

52.      Entgegen dem Vorbringen Deutschlands hat die systematisch andere Stelle im AEU-Vertrag, an der die Art. 30 und 110 sowie Art. 107 stehen, keine inhaltliche Auswirkung für die vorliegenden Rechtssachen. Diese drei Bestimmungen haben vielmehr etwas gemeinsam, nämlich die Tatsache, dass sie sich auf fiskalisches Handeln des Staats beziehen. Der Gerichtshof geht für beide Kategorien von Vorschriften nämlich von einer weiten Auslegung „staatlicher Kontrolle“ aus, und zwar insbesondere um zu verhindern, dass die in diesen Vorschriften enthaltenen Regelungen umgangen werden(21).

53.      Außerdem ist die Behauptung unzutreffend, dass „jede gesetzlich angeordnete Vermögensverschiebung zwischen [privaten juristischen Personen] einer Verwendung staatlicher Mittel gleichgesetzt [würde]“. Beispielsweise ist ein gesetzlich festgelegter Mindestpreis keine Abgabe. Es genügt ein Verweis auf die Urteile PreussenElektra und EEG 2012. Das Urteil PreussenElektra betraf einen zwischen zwei privatrechtlichen Einrichtungen geltenden gesetzlichen Mindestpreis. Die privatrechtliche Einrichtung, die zur Anwendung des Mindestpreises verpflichtet war, konnte die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben. Daher lag keine Abgabe vor.

54.      Im Urteil EEG 2012 hat der Gerichtshof klargestellt, dass die bloße Möglichkeit einer Auswirkung auf Kunden nicht ausreichte, um die verwendeten Mittel als staatliche Mittel anzusehen. Die Verwendung staatlicher Mittel – in Form einer Abgabe – darf nur vermutet werden, wenn die verpflichtete privatrechtliche Einrichtung auch die Verpflichtung hat, die Mehrkosten durch Erhebung einer Abgabe von einem Dritten auf diesen abzuwälzen.

55.      Aus sämtlichen vorstehenden Erwägungen folgt meines Erachtens, dass das Gericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass diese Kriterien Teile einer Alternative sind. Das angefochtene Urteil weist daher insoweit keinen Rechtsfehler auf und deshalb ist der erste Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland als unbegründet zurückzuweisen.

2.      Zweiter Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland (Einstufung der streitigen Umlage als „Abgabe“)

56.      Covestro und Deutschland beanstanden im Zusammenhang mit dem ersten der vorstehend erörterten alternativen Kriterien, dass das Gericht die streitige Umlage zu Unrecht als „Abgabe“ eingestuft habe. Diese Einstufung beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des Begriffs „Abgabe“ und auf einer Verfälschung des nationalen Rechts.

a)      Erste Argumentationskette (Letztschuldner der streitigen Umlage)

57.      Mit der ersten Argumentationskette bringen Covestro und Deutschland im Wesentlichen vor, das Gericht habe den Begriff „Letztverbraucher“ im Sinne des nationalen Rechts unzutreffend ausgelegt, da weder das nationale Recht noch die deutschen nationalen Behörden den Verbrauchern oder Netzbetreibern eine Zahlungspflicht auferlegten. Eine solche Verpflichtung sei nur aufgrund eines von den Regulierungsbehörden gestalteten Vertrags über die Netznutzung möglich, der für die Jahre 2012 und 2013 nicht bestanden habe. Nach Ansicht von Covestro war es Sache des Stromversorgers als Netznutzer, die streitige Umlage auf den Letztverbraucher abzuwälzen. Selbst wenn alle Stromversorger diese Umlage systematisch auf den Letztverbraucher abgewälzt hätten, hätte aus einer solchen Praxis allein nicht geschlossen werden können, dass eine rechtliche Verpflichtung bestanden habe.

58.      Meines Erachtens ist zu prüfen, ob es entscheidend auf die Frage ankommt, wer die Letztschuldner der streitigen Umlage waren.

59.      Covestro machte im ersten Rechtszug geltend, die Umlage werde nur von Netznutzern erhoben und sei nicht zwingend auf Stromletztverbraucher abgewälzt worden, so dass sie als Netzgebühr und nicht als Abgabe zu verstehen gewesen sei. Das Gericht hat in Rn. 119 des angefochtenen Urteils jedoch entschieden, dass dieses Argument nicht erheblich sei, da Endschuldner dieser Umlage die Netznutzer gewesen seien (die Stromversorger selbst und die unmittelbar an das Netz angeschlossenen Letztverbraucher), nicht aber die übrigen Letztverbraucher.

60.      Ebenso hat das Gericht in Rn. 120 des angefochtenen Urteils befunden, dass der streitige Beschluss von einer Verpflichtung zur Erhebung und Abwälzung der streitigen Umlage auf „Letztverbraucher“ ausgehe. Von Bedeutung ist meines Erachtens, dass diese Auslegung durch Rn. 20 des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 2015 bekräftigt wurde, wo das Argument von Covestro, die streitige Umlage sei eine Netzgebühr, zurückgewiesen wird. Der Bundesgerichtshof bestätigte, dass es sich bei der Umlage nicht um eine vertragliche Gegenleistung, sondern um eine externe Erhebung von Abgaben handele, die den Betreibern auferlegt werde.

61.      Außerdem stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Maßnahme bereits dann eine „Abgabe“ im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV dar, wenn sie auf Vorerzeugnisse oder ‑leistungen erhoben wird, ohne dass sie zwingend auf die Letztverbraucher der nachgelagerten Erzeugnisse oder Leistungen abgewälzt werden muss. In dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs(22) findet sich kein Beleg für die Annahme, dass bei einer Abgabe das Vorliegen staatlicher Mittel nur dann zu bejahen ist, wenn diese Abgabe von Letztverbrauchern erhoben wird. Vielmehr ist meines Erachtens der Begriff der Abgaben, der in den Art. 30 und 110 AEUV verwendet wird, weit und teleologisch auszulegen.

62.      Das Gericht hat sich in Rn. 121 des angefochtenen Urteils zu Recht auf diese Rechtsprechung gestützt.

63.      Meines Erachtens stützte das Gericht sich in seinem Ansatz zu Recht auf die Frage, ob private oder öffentliche Einrichtungen, denen die Durchführung der Regelung übertragen ist, die Ausgaben aus ihren eigenen finanziellen Mitteln tragen müssen (Situation, in der keine staatliche Beihilfe vorliegt) oder ob sie diese Mittel von Dritten erheben können (Situation, in der eine staatliche Beihilfe vorliegt). Es ist unerheblich, ob diese Dritten Letztverbraucher oder ein Zwischenglied in der Wertschöpfungskette sind. Das allein entscheidende Merkmal ist vielmehr die Umverteilungswirkung der Abgabe, nämlich dass ein Staat oder eine privatrechtliche Einrichtung diese Abgabe von Unternehmen erhebt und zur Finanzierung eines einer anderen Gruppe von Unternehmen gewährten Vorteils verwendet.

64.      Aus einer teleologischen Auslegung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff „Abgaben“ im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV ergibt sich, dass die Frage, wer im Einzelfall Abgabenschuldner ist, unerheblich ist. Das entscheidende Merkmal ist, ob die Abgabe sich auf das betreffende Erzeugnis oder auf eine im Zusammenhang mit diesem Erzeugnis erforderliche Tätigkeit bezieht(23).

65.      Daraus folgt meines Erachtens, dass die erste Argumentationskette als unbegründet zurückzuweisen ist.

b)      Zweite Argumentationskette (die streitige Umlage war nicht verpflichtend)

1)      Der Beschluss der BNetzA von 2011 wurde von nationalen Gerichten für rechtswidrig erklärt

66.      Covestro bringt vor, das Gericht habe sich zu Unrecht allein auf den Beschluss der BNetzA von 2011 gestützt, obwohl dieser Beschluss von den deutschen Gerichten rückwirkend für rechtswidrig erklärt worden sei.

67.      Fraglich ist, ob das Gericht auf der Grundlage dieses Beschlusses der BNetzA den Schluss ziehen durfte, dass die streitige Umlage verpflichtenden Charakter hatte, obwohl der Beschluss später vom Oberlandesgericht Düsseldorf und in der Rechtsmittelinstanz vom Bundesgerichtshof aufgehoben und für nichtig erklärt wurde.

68.      Ich möchte darauf hinweisen, dass sich aus den Urteilen Kommission/Aer Lingus und Ryanair Designated Activity(24) sowie Heiser(25) ergibt, dass die mögliche Rechtswidrigkeit einer nationalen Regelung nicht geeignet ist, ihr ihren Charakter als staatliche Beihilfe zu nehmen.

69.      Im Urteil Heiser heißt es: „Selbst wenn aber die Regelung, die die Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorsieht, … rechtswidrig sein sollte, ändert dies nichts daran, dass diese Regelung so lange Auswirkungen hat, wie sie nicht aufgehoben oder zumindest ihre Rechtswidrigkeit nicht festgestellt worden ist“ (Hervorhebung nur hier).

70.      Ebenso heißt es im Urteil Kommission/Aer Lingus und Ryanair Designated Activity: „[Aufgrund] des Umstands, dass eine steuerliche Maßnahme gegen andere unionsrechtliche Vorschriften als die Art. 107 und 108 AEUV verstößt, [kann] nicht ausgeschlossen werden, dass die bestimmten Steuerpflichtigen gewährte Befreiung von dieser Maßnahme als ‚staatliche Beihilfe‘ einzustufen ist, solange die fragliche Maßnahme Wirkungen gegenüber anderen Steuerpflichtigen erzeugt und weder aufgehoben noch für rechtswidrig und somit unanwendbar erklärt wurde“ (Hervorhebung nur hier).

71.      Wie von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, hat der deutsche Gesetzgeber die Situation in der Weise geregelt, dass sichergestellt wurde, dass die Erhebung der streitigen Umlage nach der Nichtigerklärung durch den Bundesgerichtshof rückwirkend berichtigt wurde und weiterhin Rechtswirkungen entfaltete und somit die mit der streitigen Umlage verbundene Verpflichtung aufrechterhalten blieb.

72.      Meines Erachtens ist im Beihilferecht der Union eine Maßnahme unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkungen zu beurteilen.

73.      Aus der oben angeführten Rechtsprechung ergibt sich meines Erachtens, dass das Gericht (in den Rn. 107 und 125 des angefochtenen Urteils) zu Recht befunden hat, dass es für die Kontrolle staatlicher Beihilfen entscheidend darauf ankam, dass der Beschluss der BNetzA von 2011 im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich angewandt wurde und Rechtswirkungen entfaltete.

74.      Dieser Beschluss war im maßgeblichen Zeitraum rechtsverbindlich und verpflichtete Netzbetreiber zur Erhebung der streitigen Umlage von Netznutzern.

75.      Nach dem Wortlaut von Nr. 3 des Beschlusses der BNetzA von 2011 wurde den Verteilernetzbetreibern die Verpflichtung auferlegt, die streitige Umlage zu erheben; diese waren daher verpflichtet, die Umlage von ihren Kunden einzuziehen. Da dieser Beschluss zu der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Regelung gehörte und verbindliche Wirkungen entfaltete – dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass diese Wirkungen nach der von den nationalen Gerichten angeordneten Aufhebung (durch Bestimmungen, nach denen diese Regelung später aufgehoben wurde) tatsächlich nicht zurückgenommen wurden – hat das Gericht zutreffend befunden, dass die auf der streitigen Umlage beruhende Regelung verbindliche Rechtswirkungen erzeugte (angefochtenes Urteil, Rn. 125).

76.      Meine in den vorliegenden Schlussanträgen vorgenommene Würdigung wird auch durch das Urteil Deutsche Post/Kommission(26) des Gerichtshofs gestützt, in dem befunden wurde, dass eine für nichtig erklärte Entscheidung weiterhin Rechtswirkungen erzeugen kann. Da in jener Rechtssache die Nichtigkeitsklage vor der Verkündung des Urteils des Gerichts erhoben wurde, mit der die streitige Entscheidung für nichtig erklärt (und somit rückwirkend aus der Rechtsordnung entfernt) wurde, war für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Klage auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, zu dem die negative Entscheidung von 2002 noch rechtlichen Bestand hatte und Teil der Unionsrechtsordnung war.

77.      Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Erzeugung von Rechtswirkungen auch das erklärte Ziel des deutschen Gesetzgebers war(27).

78.      Daher ist die Argumentation, die sich darauf stützt, dass der Beschluss der BNetzA von 2011 von den nationalen Gerichten für rechtswidrig erklärt wurde, meines Erachtens als unbegründet zurückzuweisen.

2)      Art. 30 und 110 AEUV (Begriff „Abgaben“) und die Rechtsprechung infolge des Urteils Essent Netwerk Noord (verpflichtender Charakter der Abgabe)

i)      Art. 30 und 110 AEUV (Begriff „Abgaben“)

79.      Covestro und Deutschland bringen vor, das Gericht habe in Rn. 121 des angefochtenen Urteils den Begriff „Abgaben“ im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV unzutreffend dahin ausgelegt, dass die streitige Umlage von diesem Begriff umfasst sei. Richtig ist, dass das Gericht zur Begründung der Tatsache, dass eine Verpflichtung zur Erhebung einer Umlage in Verbindung mit der Nutzung eines Netzes auch eine Abgabe sein kann, auf den Begriff der Abgaben im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV verweist.

80.      Wie in Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, ist der Begriff der Abgaben, der in den Art. 30 und 110 AEUV verwendet wird, weit auszulegen.

81.      Im Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 40) hat der Gerichtshof befunden, dass „die Art. [30 und 110 AEUV] mit einander ergänzenden Funktionen das Ziel [verfolgen], jede innerstaatliche Abgabenerhebung zu verhindern, die geeignet wäre, Erzeugnisse aus anderen oder für andere Mitgliedstaaten zu diskriminieren und damit deren freien Verkehr innerhalb der [Europäischen Union] unter normalen Wettbewerbsbedingungen zu behindern“ (Hervorhebung nur hier).

82.      Wie in Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, folgt aus dem Begriff „Abgaben“ im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV, dass die Frage, wer im Einzelfall Abgabenschuldner ist, unerheblich ist. Entscheidend ist, ob diese Abgabe sich auf das betreffende Erzeugnis oder auf eine im Zusammenhang mit diesem Erzeugnis erforderliche Tätigkeit bezieht.

83.      In der vorliegenden Rechtssache wird die streitige Umlage für die Nutzung des Netzes erhoben. Nach der zutreffenden Würdigung des Gerichts ist für ihre Einstufung als Abgabe der Umstand entscheidend, dass die Umlage keine Gegenleistung für die Nutzung des Netzes, sondern eine verpflichtende Abgabe darstellt.

84.      Covestro stützt sich auf das Argument, dass in früheren Rechtssachen, über die der Gerichtshof entschieden hat, das maßgebliche Erzeugnis nicht die Bereitstellung des Netzes, sondern der übertragene Strom gewesen sei. Daher sei allein entscheidend gewesen, ob in dem Stromlieferverhältnis ein Aufschlag erhoben worden sei, der als Abgabe zu qualifizieren gewesen sei.

85.      Das Argument von Covestro greift jedoch nicht durch, da in den vorliegenden Rechtssachen die Nutzung des Netzes nach der oben erörterten Rechtsprechung des Gerichtshofs als Vorerzeugnis oder, genauer gesagt, als Vorleistung im Sinne der Art. 30 und 110 AEUV anzusehen ist. Das Gericht hat sich daher meines Erachtens bei seiner Definition einer Steuer als Abgabe auf ein geliefertes Erzeugnis oder eine erbrachte Leistung rechtsfehlerfrei auf die Art. 30 und 110 AEUV gestützt.

ii)    Das Urteil Essent Netwerk Noord und die anschließende Rechtsprechung des Gerichtshofs (verpflichtender Charakter der Abgabe)

86.      Darüber hinaus lässt sich die Beantwortung der Frage nach dem verpflichtenden Charakter der Abgabe als Voraussetzung für die Feststellung des Vorliegens staatlicher Mittel aus der bestehenden Rechtsprechung des Gerichtshofs ableiten, da die vorliegenden Rechtssachen dem Sachverhalt entsprechen, der dem in der Rechtssache Essent Netwerk Noord ergangenen Urteil zugrunde liegt.

87.      Das Urteil Essent Netwerk Noord betraf eine Abgabe in den Niederlanden. Ein (vollständig von staatlichen Behörden kontrollierter) Netzbetreiber erhob von inländischen Elektrizitätskunden eine Abgabe (Tarifaufschlag) auf die Nutzung seines Stromnetzes. Ähnlich wie in den vorliegenden Rechtssachen war im Urteil Essent Netwerk Noord diese Abgabe durch das nationale Recht vorgesehen, wobei der Netzbetreiber Geld von Verbrauchern erhob und auf diese Weise die staatliche Beihilfe finanzierte.

88.      Das Gericht hat zutreffend auf das Urteil in jener Rechtssache verwiesen und in Rn. 91 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass „der Gerichtshof festgestellt [hat], dass ein nach objektiven Kriterien festgelegter Tarifaufschlag auf übertragenen Strom, der den Stromverbrauchern gesetzlich auferlegt und von den Netzbetreibern erhoben wird, eine ‚Abgabe‘ darstellt, deren Beträge aus staatlichen Mitteln stammen“.

89.      Der Gerichtshof macht im Urteil Essent Netwerk Noord mehrere für die vorliegenden Rechtsmittelverfahren wichtige Ausführungen.

90.      Erstens stellt der Gerichtshof fest, dass es unerheblich ist, ob die Abgabe auf Waren als solche, beispielsweise elektrischen Strom, erhoben wird oder ob die Abgabe auf eine im Zusammenhang mit Waren erforderliche Tätigkeit, beispielsweise die Übertragung von Elektrizität, erhoben wird (Urteil Essent Netwerk Noord, Rn. 44). In den vorliegenden Rechtssachen wird die Abgabe auf die Übertragung von Elektrizität erhoben.

91.      Zweitens weist der Gerichtshof darauf hin, dass für das Vorliegen einer Abgabe entscheidend ist, dass es sich um eine einseitig auferlegte Belastung handelt (Urteil Essent Netwerk Noord, Rn. 45). In den vorliegenden Rechtssachen wurde durch den Beschluss der BNetzA von 2011 den Verteilernetzbetreibern in rechtlich verbindlicher Weise die Verpflichtung auferlegt, die streitige Umlage von den Letztverbrauchern als Netznutzern zu erheben (Rn. 132 des angefochtenen Urteils).

92.      Drittens führt der Gerichtshof aus, dass es „unerheblich [ist], dass die finanzielle Belastung nicht vom Staat erhoben wird“ (Urteil Essent Netwerk Noord, Rn. 46). In den vorliegenden Rechtssachen waren die Verteilernetzbetreiber für die Erhebung der streitigen Umlage verantwortlich.

93.      Schließlich sollte in den vorliegenden Rechtssachen ähnlich wie in dem dem Urteil Essent Netwerk Noord zugrunde liegenden Sachverhalt, die streitige Umlage Netznutzungskosten decken, die normalerweise die deutschen Bandlastverbraucher selbst hätten tragen müssen.

94.      Die Befreiung von Netzentgelten für Bandlastverbraucher hat somit ihre Wettbewerbsposition verbessert. Aufgrund der Abgabeneigenschaft der in den vorliegenden Rechtssachen streitigen Umlage dürften diese Mittel als staatliche Mittel im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen sein. Ferner dürfte dies im Einklang mit der Rechtsprechung stehen, wonach aus der Finanzierung eines Vorteils durch das Aufkommen aus einer Abgabe folgt, dass der Vorteil aus staatlichen Mitteln stammt(28).

95.      Meines Erachtens ist nicht nur das Urteil Essent Netwerk Noord, sondern auch das Urteil FVE Holýšov I von besonderer Relevanz. Beide Rechtssachen weisen einen ähnlichen Sachverhalt auf wie die vorliegenden Rechtssachen und zeigen, dass der Gerichtshof sich mit den in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren aufgeworfenen Fragen tatsächlich bereits auseinandergesetzt hat.

96.      Im Urteil FVE Holýšov I (Rn. 46) hat der Gerichtshof klargestellt, dass unerheblich ist, ob der betreffende Finanzierungsmechanismus nach nationalem Recht als Abgabe oder parafiskalische Abgabe eingestuft wird. Für das Beihilferecht der Union ist nur relevant, dass feststeht, dass eine solche Abgabe erhoben wird und dass diese Abgabe einseitig und durch staatliches Handeln angeordnet wird.

97.      Der Gerichtshof stellt in diesen beiden Urteilen fest, dass es sich dabei um eine Verpflichtung zur einseitigen Erhebung von Mitteln und somit bei diesen um staatliche Mittel handelt. Dieser Punkt bringt uns zum kürzlich ergangenen Urteil DOBELES HES (Rn. 34), mit dem weitere Klarstellungen zum Urteil Essent Netwerk Noord erfolgt sind. Ich halte dies für wichtig für den Ausgang der vorliegenden Rechtsmittelverfahren.

98.      In Rn. 34 führt der Gerichtshof aus: „Zweitens hat der Gerichtshof zu der vom vorlegenden Gericht speziell angesprochenen Voraussetzung, dass der Vorteil ‚aus staatlichen Mitteln‘ gewährt wird, entschieden, dass Beträge, die aus einem den Stromkäufern vom Staat auferlegten Zuschlag zum Tarif resultieren, einer Abgabe auf Strom gleichkommen und auf ‚staatliche Mittel‘ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zurückgehen“(29).

99.      Ich möchte darauf hinweisen, dass im Urteil DOBELES HES anschließend in den Rn. 36 und 37 hinsichtlich einer anderen Rechtsprechung als der Rechtsprechung im Urteil Essent Netwerk Noord (insbesondere im Urteil EEG 2012, Rn. 70 und 71) Klarstellungen erfolgen.

100. Der Gerichtshof hebt die Unterschiede zwischen den Urteilen EEG 2012 und DOBELES HES hervor. Er führt aus, dass in der erstgenannten Rechtssache kein obligatorischer Beitrag vorgelegen habe, da die Erhebung der EEG-Umlage nicht rechtlich verbindlich, sondern nur freiwillig gewesen sei. Er stellt daher klar, dass es für die Feststellung, ob es sich bei der fraglichen Abgabe um einen obligatorischen Beitrag handelt, entscheidend auf den verpflichtenden Charakter ankommt. Der Umstand, dass eine Verschiebung von Mitteln stattfindet oder stattfinden kann, reicht allein nicht aus. In den vorliegenden Rechtssachen bestand jedoch gerade eine Verpflichtung zur Erhebung der Abgabe (oder der Umlage), wohingegen im Urteil EEG 2012 keine Abgabe vorlag.

101. Anders als im Fall des Urteils EEG 2012 ist die Erhebung der streitigen Umlage in den vorliegenden Rechtssachen keine unternehmerische Entscheidung der Netzbetreiber, sondern erfolgt auf der Grundlage gesetzlicher Vorschriften (insbesondere des Beschlusses der BNetzA).

102. Daher ist zwischen dem Finanzierungsmechanismus der vorliegenden Rechtssachen und demjenigen des Urteils EEG 2012 zu unterscheiden. In den vorliegenden Rechtssachen ist das Bestehen der Umlage als solches schon ausreichend, um sie als staatliche Mittel einzustufen.

103. Was das andere der beiden Kriterien des Urteils EEG 2012 angeht nämlich die staatliche Kontrolle (Verfügungsgewalt) über die Gelder selbst oder über die Einrichtung, die diese Gelder verwaltet , haben die beiden Kriterien, wie oben ausgeführt, alternativen und nicht kumulativen Charakter.

104. Hätte im Urteil EEG 2012 eine verpflichtende Umlage vorgelegen, wären die Erörterungen des Gerichtshofs in Rn. 72 jenes Urteils nicht erforderlich gewesen.

105. Weil die dort in Rn. 71 genannten Voraussetzungen gerade nicht erfüllt waren, hielt der Gerichtshof in Rn. 72 weitere Ausführungen für erforderlich.

106. In Rn. 71 jenes Urteils stellte der Gerichtshof fest, dass „[die] vom Gericht … getroffene Feststellung, dass die sich aus der EEG-Umlage ergebende finanzielle Belastung ‚in der Praxis‘ auf die Letztverbraucher abgewälzt worden sei und folglich ‚hinsichtlich ihrer Wirkungen einer Abgabe auf den Stromverbrauch … gleichgestellt‘ werden könne, … keine ausreichende Grundlage für die Schlussfolgerung [ist], dass die EEG-Umlage die gleichen Merkmale aufwies wie der vom Gerichtshof im Urteil [Essent Netwerk Noord] geprüfte Aufschlag auf den Stromtarif“.

107. Deshalb beginnt der Gerichtshof dort Rn. 72 mit dem Wort „daher“: „Daher ist zu prüfen, ob das Gericht aus den beiden anderen … in Rn. 62 des vorliegenden Urteils wiederholten Gesichtspunkten gleichwohl schließen durfte, dass die mit der EEG-Umlage erwirtschafteten Gelder staatliche Mittel darstellten, weil sie … ständig unter staatlicher Kontrolle und somit den öffentlichen Stellen zur Verfügung standen. Dann käme es nicht darauf an, ob die EEG-Umlage als ‚Abgabe‘ eingestuft werden kann.“

108. Mit anderen Worten lag dem Urteil EEG 2012 ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde als den vorliegenden Rechtssachen.

109. Im Urteil EEG 2012 gestattete der deutsche Gesetzgeber Elektrizitätsunternehmen, bestimmte Entgelte zu erheben, es handelte sich hierbei jedoch lediglich um eine Möglichkeit und nicht um eine Verpflichtung. Der Staat ließ den Betreibern eine Wahl: Wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, musste das eingenommene Geld für einen bestimmten, vom Staat vorgegebenen Zweck verwendet werden (nämlich zum Ausgleich zusätzlicher Kosten im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien). Daher kam der Gerichtshof in jener Rechtssache zu dem Ergebnis, dass der Staat keine Kontrolle über diese Gelder hatte, weil keine Verpflichtung zur Erhebung dieser Entgelte bestand.

110. Aus den vorstehenden Erwägungen und der vorstehenden Rechtsprechung folgt, dass es sich bei der streitigen Umlage – wie von der Kommission im streitigen Beschluss befunden und wie auch vom Bundesgerichtshof festgestellt – um eine rechtlich verpflichtende Erhebung einer Abgabe handelte, was, wie jüngst im Urteil DOBELES HES bestätigt, für die Feststellung des Vorliegens staatlicher Mittel ausreicht.

111. Meines Erachtens weist das angefochtene Urteil daher insoweit keinen Rechtsfehler auf.

112. Meines Erachtens ist die auf die Art. 30 und 110 AEUV (Begriff „Abgaben“) sowie das Urteil Essent Netwerk Noord und die anschließende Rechtsprechung (verpflichtender Charakter der Abgabe) gestützte Argumentation als unbegründet zurückzuweisen.

3)      Verfälschung des nationalen Rechts und keine Verpflichtung zur Erhebung oder Zahlung der Umlage

113. Covestro und Deutschland argumentieren im Wesentlichen, das Gericht habe das nationale Recht verfälscht, da keine Verpflichtung zur Erhebung der streitigen Umlage bestanden habe.

114. Meines Erachtens beruht die Einstufung der streitigen Umlage als Abgabe nicht auf einer Verfälschung des nationalen Rechts.

115. Das Gericht hat in den Rn. 120 und 122 bis 124 des angefochtenen Urteils auf der Grundlage des nationalen Rechts (insbesondere des Beschlusses der BNetzA von 2011) festgestellt, dass die streitige Umlage von den Letztverbrauchern erhoben worden sei. Somit geht das Argument, dass eine „Abgabe“ im Sinne der Definition im Urteil Essent Netwerk Noord nur dann vorliege, wenn der Abgabenschuldner der Letztverbraucher sei, ins Leere. Diese Feststellung des Gerichts in Bezug auf das nationale Recht, die eine Tatsachenfeststellung darstellt, kann nämlich im Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof von Deutschland nicht angegriffen werden, und sie wurde von diesem Mitgliedstaat in der Tat auch nicht direkt angegriffen.

116. Wie in den Nrn. 59 bis 64 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die Frage, wer im Einzelfall Abgabenschuldner ist, unerheblich ist. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die Abgabe sich auf das betreffende Erzeugnis oder auf eine im Zusammenhang mit diesem Erzeugnis erforderliche Tätigkeit bezieht.

117. Außerdem stimme ich der Kommission zu, dass die Erhebungs- und Zahlungspflicht zwei Seiten derselben Medaille sind(30), so dass die Beurteilung der Frage, ob die den Netznutzern auferlegte Zahlungspflicht sich aus den nationalen Rechtsvorschriften oder dem Beschluss der BNetzA von 2011 ergibt, ebenfalls unerheblich ist.

118. Insoweit kommt es entgegen dem Vorbringen von Covestro nicht entscheidend darauf an, dass der Beschluss der BNetzA von 2011 keine Sanktionen für die Nichterhebung der streitigen Umlage vorsah. Die BNetzA übte normale Aufsichtsbefugnisse über die Übertragungsnetzbetreiber aus und konnte verbindliche Entscheidungen an diese Betreiber richten, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkamen(31).

119. Daraus folgt, dass die auf eine Verfälschung des nationalen Rechts sowie auf das Nichtvorliegen einer Verpflichtung zur Erhebung der streitigen Umlage und das Nichtvorliegen einer Verpflichtung zur Zahlung dieser Umlage gestützte Argumentation meines Erachtens als unbegründet zurückzuweisen ist.

4)      Kein vollständiger Ausgleich für die Mindererlöse und Kosten

120. Covestro trägt vor, dass entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 126 bis 130 des angefochtenen Urteils die nationalen Behörden den Netzbetreibern keinen vollständigen Ausgleich für die durch die Entgeltbefreiung verursachten Mindererlöse und Kosten gewährt hätten. Es habe hieraus in Rn. 127 des angefochtenen Urteils unzutreffend abgeleitet, dass eine Abgabe vorliege.

121. Entgegen dem Vorbringen von Covestro hat das Gericht zutreffend befunden, dass die streitige Umlage einen vollständigen Ausgleich für die Mindererlöse der Netzbetreiber aufgrund der Netzentgeltbefreiungen ermögliche. Dies ergab sich aus § 19 Abs. 2 Sätze 6 und 7 StromNEV 2011 und aus dem Beschluss der BNetzA von 2011. Von großer Bedeutung für die Beurteilung der Umlage auf der Grundlage des Beihilferechts der Union war der Umstand, dass die Netzentgeltbefreiung von Bandlastverbrauchern und der sich daraus ergebende Vorteil vollständig durch die Umlage finanziert wurden.

122. Das Gericht hat in Rn. 130 des angefochtenen Urteils jedoch zutreffend das Argument zurückgewiesen, dass es keinen gesetzlichen Mechanismus zum vollständigen Ausgleich der entstandenen Mindereinnahmen gegeben habe (insbesondere, weil es unmöglich gewesen sei, die Kosten der streitigen Umlage bei Forderungsausfällen abzuwälzen). Die Einstufung der streitigen Umlage als parafiskalische Abgabe reicht nämlich aus, um die Erlöse aus dieser Abgabe als staatliche Mittel anzusehen, ohne dass sich der Staat verpflichten müsste, die durch die Nichtzahlung der Umlage – insbesondere bei Forderungsausfällen – entstehenden Verluste auszugleichen.

123. Daraus folgt meines Erachtens, dass die auf das Nichtvorliegen eines vollständigen Ausgleichs der Mindererlöse und Kosten gestützte Argumentation als unbegründet zurückzuweisen ist.

124. Meines Erachtens folgt aus den vorstehenden Erwägungen, dass der zweite Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland entweder als ins Leere gehend oder als unbegründet zurückzuweisen ist.

3.      Dritter Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland (Vorliegen einer staatlichen Kontrolle über die durch die streitige Umlage erwirtschafteten Mittel)

a)      Hauptargumente der Parteien

125. Deutschland bringt im Wesentlichen vor, dass die Rn. 95 bis 97 und 109 des angefochtenen Urteils zu dessen Rn. 133 bis 134 im Widerspruch ständen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs komme es entscheidend auf die Kontrolle und Verfügungsgewalt über die betreffenden Gelder an. Außerdem habe das Gericht unzutreffend befunden, dass es zur Beurteilung der Frage, ob in der vorliegenden Rechtssache eine verpflichtende Belastung vorgelegen habe, nicht entscheidend auf das Verhältnis zwischen Stromlieferant und Stromletztverbraucher ankomme, da die streitige Umlage nicht auf den Stromverbrauch, sondern auf die Nutzung des Netzes erhoben werde.

126. Covestro bringt im Wesentlichen vor, dass das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sei, da das Gericht auf der Grundlage einer fehlerhaften Darstellung des nationalen Rechts vom Vorliegen einer staatlichen Kontrolle über die durch die streitige Umlage erwirtschafteten Gelder ausgegangen sei. Sie stützt sich ferner auf folgende Argumente: i) Die Feststellung, dass die mit der streitigen Umlage erwirtschafteten Erlöse für die Zwecke der streitigen Regelung verwendet worden seien, spreche gegen die Staatlichkeit der Mittel, ii) selbst wenn die Erhebung der streitigen Umlage auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgt sein sollte, vermöge dies allein die Staatlichkeit der Mittel nicht zu begründen, iii) Anhaltspunkte etwa in Bezug auf eine Beauftragung der Netzbetreiber oder darauf, dass der ordnungsgemäße Vollzug des Systems durch staatliche Stellen überwacht werde, reichten nicht aus, um das Vorliegen einer staatlichen Kontrolle über die Gelder festzustellen, und iv) der streitige Finanzierungsmechanismus erfülle nicht die vom Gerichtshof für die Bewertung der staatlichen Kontrolle aufgestellten Voraussetzungen, insbesondere diejenigen nach dem Urteil EEG 2012.

b)      Würdigung

127. Aufgrund des alternativen Charakters der beiden in meiner obigen Würdigung genannten Kriterien genügt bereits das Vorliegen einer Abgabe, um den staatlichen Charakter der Mittel festzustellen. Da das Kriterium einer „Abgabe“ in den vorliegenden Rechtssachen erfüllt ist und die Würdigung des Gerichts insoweit zutreffend ist, geht der dritte Argumentationsstrang in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren ins Leere und bedarf keiner Prüfung mehr.

128. Ich werde daher allein aus Gründen der Vollständigkeit noch folgende Anmerkungen machen.

129. Ungeachtet dessen, dass das Kriterium der „Abgabe“ erfüllt ist und die Beurteilung des Gerichts – und jetzt im Rechtsmittelverfahren diejenige des Gerichtshofs – an dieser Stelle beendet werden kann, ändert dies nichts daran, dass im vorliegenden Fall auch die Beurteilung des Kriteriums der „staatlichen Kontrolle“ durch das Gericht zu bestätigen wäre.

130. Die Mehrkosten, die sich aus der Netzentgeltbefreiung bestimmter Verbraucher ergaben, wurden gemäß den verbindlichen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats auf die Letztverbraucher abgewälzt(32). Außerdem gewährleistete der Mechanismus der streitigen Umlage, dass die Netzbetreiber einen vollständigen Ausgleich für die Mindererlöse erhielten, da die Höhe dieser Umlage an diejenige der für die streitige Befreiung erforderlichen Mittel angepasst wurde(33).

131. Zum Argument von Covestro, die Höhe dieser Umlage sei nicht staatlich vorgegeben worden, ist lediglich darauf hinzuweisen, dass die Übertragungsnetzbetreiber bei der Festlegung dieser Abgabe über keinen Handlungsspielraum verfügten, und dass, wie das Gericht in Rn. 134 des angefochtenen Urteils zutreffend befunden hat, eine staatliche Kontrolle über die Gelder vorlag, d. h. über den gesamten Mechanismus für die Erhebung und Zuteilung der streitigen Umlage.

132. Covestro und Deutschland machen gestützt auf das Urteil EEG 2012 geltend, dass die Zweckbindung der durch die streitige Umlage erwirtschafteten Mittel eine staatliche Kontrolle ausschließe. Wie das Gericht in den Rn. 144 und 145 des angefochtenen Urteils jedoch zutreffend ausführt, ist der Gerichtshof in jenem Urteil von seiner ständigen Rechtsprechung nicht abgerückt die vielmehr durch jüngere Rechtsprechung(34) bestätigt wurde , sondern hat sich auf die Feststellung beschränkt, dass dieser Gesichtspunkt in Ermangelung anderer Gesichtspunkte allein für den Nachweis einer solchen Kontrolle nicht entscheidend sei. In den vorliegenden Rechtssachen hat das Gericht in der Tat einen solchen anderen Gesichtspunkt ermittelt, nämlich das Vorliegen einer Abgabe.

133. Dem Argument, dass es an einer staatlichen Kontrolle über den vollständigen Mechanismus zur Erhebung der streitigen Umlage fehle, steht entgegen, dass ein zwingender Verwendungszusammenhang zwischen der streitigen Umlage (als parafiskalischer Abgabe) einerseits und der in Form einer Netzentgeltbefreiung gewährten Beihilfe andererseits besteht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich dann, wenn ein solcher Zusammenhang zwischen der Beihilfemaßnahme und deren Finanzierung besteht, aus dem Vorliegen einer Abgabe, die der Finanzierung der Beihilfe in genau definiertem Umfang dient, automatisch, dass die Beihilfe aus staatlichen Mitteln (d. h. dem Aufkommen aus der Abgabe) gewährt wird(35).

134. Schließlich ist die Argumentation von Covestro unbegründet, wonach die Vorschriften über die Abgabe, um die es in der Rechtssache EEG 2012 gegangen sei, strikter seien als die für die streitige Umlage in den vorliegenden Rechtssachen geltenden Vorschriften. Meines Erachtens dürften vielmehr die Vorschriften, denen die streitige Umlage in den vorliegenden Rechtssachen unterliegt, strikter sein als die streitige Belastung in der Rechtssache EEG 2012, da die vorliegend in Rede stehende Umlage auf verbindlichen Rechtsvorschriften beruht und nicht lediglich auf einer unternehmerischen/freiwilligen Entscheidung der Netzbetreiber in jener Rechtssache.

135. Daraus folgt, dass der dritte Argumentationsstrang von Covestro und Deutschland meines Erachtens als ins Leere gehend, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen ist.

136. Daher sind der dritte Rechtsmittelgrund von Covestro und der einzige von Deutschland geltend gemachte Rechtsmittelgrund insoweit als unbegründet zurückzuweisen, als sie die Voraussetzung des Vorliegens einer Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel betreffen.

III. Ergebnis

137. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, i) den ersten Grund der Anschlussrechtsmittel der Kommission zurückzuweisen, und ii) den dritten Rechtsmittelgrund von Covestro und den einzigen von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachten Rechtsmittelgrund insoweit zurückzuweisen, als sie die Voraussetzung des Vorliegens einer Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel betreffen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Es handelt sich um die folgenden drei verbundenen Rechtssachen: i) C‑792/21 P und C‑793/21 P, ii) C‑795/21 P und C‑796/21 P sowie iii) C‑794/21 P und C‑800/21 P. Es wurden tatsächlich von nicht weniger als 37 Stromverbrauchern der in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren in Rede stehenden Art entsprechende Klagen vor dem Gericht auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses erhoben. Die Rechtssachen, in denen die vier angefochtenen Urteile des Gerichts in den parallelen Rechtssachen ergangen sind, wurden vom Gericht zu „Pilotverfahren“ erklärt.


3      Beschluss (EU) 2019/56 vom 28. Mai 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) (ex 2012/NN) (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C[2018] 3166) (ABl. 2019, L 14, S. 1). „StromNEV“ im Titel des Beschlusses steht für Stromnetzentgeltverordnung.


4      BGBl. 2011 I, S. 1554.


5      BGBl. 2016 I, S. 1786 (im Folgenden: EnWG 2011).


6      BGBl. 2005 I, S. 2225 (im Folgenden: StromNEV 2005).


7      BGBl. 2002 I, S. 1092.


8      BGBl. 2013 I, S. 3250 (im Folgenden: StromNEV 2013).


9      Verordnung 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (ABl. 2015 L 248, S. 9).


10      Urteil vom 17. Mai 2017 (C‑339/16 P, EU:C:2017:384).


11      Beschlüsse vom 5. September 2019 (C‑230/19 P, EU:C:2019:685) und vom 31. Januar 2019 (C‑426/18 P, EU:C:2019:89).


12      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2018, Evropaïki Dynamiki/Kommission (C‑469/11 P, EU:C:2012:705, Rn. 50).


13      Urteil vom 26. September 2013, PPG und SNF/ECHA (C‑626/11 P, EU:C:2013:595, Rn. 35 und 36).


14      Urteil vom 16. September 2021 (C‑850/19 P, EU:C:2021:740, im Folgenden: Urteil FVE Holýšov I).


15      Urteil vom 28. März 2019 (C‑405/16 P, EU:C:2019:268, im Folgenden: Urteil EEG 2012).


16      Urteil vom 13. März 2001 (C‑379/98, EU:C:2001:160, im Folgenden: Urteil PreussenElektra).


17      Vgl. hierzu Urteil EEG 2012 (Rn. 72) sowie Urteile vom 15. Mai 2019, Achema u. a. (C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 64 bis 66), vom 17. Juli 2008, Essent Netwerk Noord u. a. (C‑206/06, EU:C:2008:413, im Folgenden: Urteil Essent Netwerk Noord, Rn. 66), vom 13. September 2017, ENEA (C‑329/15, EU:C:2017:671, Rn. 30) (Der Gerichtshof lehnt das erste Kriterium, das Vorliegen einer Abgabe, ab, prüft sodann jedoch das zweite Kriterium, die staatliche Verwaltung der Verwendung der Gelder [Rn. 31], und das dritte Kriterium, die staatliche Kontrolle über die Einrichtungen, die die Gelder verwalten [Rn. 34 und 35]), sowie Urteil FVE Holýšov I (Rn. 46).


18      Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES (C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, im Folgenden: Urteil DOBELES HES).


19      Deutschland verkennt die genaue Systematik der Verträge. Art. 30 AEUV ist in Titel II Kapitel 1 („Die Zollunion“) enthalten; Art. 110 AEUV ist in Titel VII Kapitel 2 („Steuerliche Vorschriften“) enthalten. Sie enthalten ein absolutes Diskriminierungsverbot. Sie unterscheiden sich insoweit von Art. 34 AEUV, der in Titel II Kapitel 3 („Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“) steht, das den freien Warenverkehr regelt und im Unterschied zu den Art. 30 und 110 AEUV zugleich die Möglichkeit vorsieht, dass Beschränkungen des freien Warenverkehrs gerechtfertigt sein können.


20      Vgl. Beschluss vom 22. Oktober 2014, Elcogás (C‑275/13, EU:C:2014:2314, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 9. November 2017, Kommission/TV2/Danmark (C‑656/15 P, EU:C:2017:836, Rn. 48).


21      Siehe Nr. 51 und Fn. 20 der vorliegenden Schlussanträge.


22      Insbesondere Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 49).


23      Ebd.


24      Urteil vom 21. Dezember 2016 (C‑164/15 P und C‑165/15 P, EU:C:2016:990, Rn. 69).


25      Urteil vom 3. März 2005 (C‑172/03, EU:C:2005:130, Rn. 38).


26      Urteil vom 24. Oktober 2013 (C‑77/12 P, EU:C:2013:695, Rn. 65 und 66).


27      In der Drucksache 18/8915 des Deutschen Bundestags vom 22. Juni 2016, S. 39, heißt es: „Die Regelungen des neuen § 24 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2 Nummer 5 EnWG treten nach dem neuen Absatz 9 Satz 1 rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft. Damit erfassen die Änderungen nachträglich auch einen bereits abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand. Dieser betrifft die Erhebung der [streitigen] Umlage … für den Letztverbrauch von Strom … Die in dem neuen Absatz 9 angeordnete Rückwirkung ist auch erforderlich, um eine unklare Rechtslage zu klären. … Eine Rückabwicklung würde zu komplizierten wechselseitigen Zahlungsausgleichen führen, ohne dass ein insoweit schutzwürdiges Vertrauen der bisherigen Schuldner der Umlage besteht.“


28      Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 66).


29      Der Gerichtshof führt in diesem Sinne das Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 47 und 66) an.


30      Wenn die Regulierungsbehörde eine der Regulierung unterliegende Einrichtung verpflichtet, eine Abgabe zu erheben, verpflichtet sie zugleich den Abgabenschuldner, sie zu zahlen. Andernfalls könnte diese Einrichtung die ihr von der Behörde auferlegte Verpflichtung nicht erfüllen.


31      §§ 29 und 54 EnWG 2011. Vgl. 123. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses.


32      Wie das Gericht in den Rn. 122 bis 125 des angefochtenen Urteils zutreffend befunden hat.


33      Wie das Gericht in den Rn. 126 bis 127 des angefochtenen Urteils zutreffend befunden hat.


34      Vgl. Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 69) sowie Urteil vom 15. Mai 2019, Achema u. a.  (C‑706/17, EU:C:2019:407, Rn. 66), und Urteil EEG 2012 (Rn. 76). Vgl. auch Urteil vom 11. Dezember 2014, Österreich/Kommission (T‑251/11 (EU:T:2014:1060, Rn. 70).


35      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Januar 2005, Streekgewest (C‑174/02, EU:C:2005:10, Rn. 26), vom 27. Oktober 2005, Distribution Casino France u. a. (C‑266/04 bis C‑270/04, C‑276/04 und C‑321/04 bis C‑325/04, EU:C:2005:657, Rn. 40), und Urteil Essent Netwerk Noord (Rn. 90).