Language of document : ECLI:EU:C:2016:610

Rechtssache C‑294/16 PPU

JZ

gegen

Prokuratura Rejonowa Łódź – Śródmieście

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla Łodzi-Śródmieścia w Łodzi)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Art. 26 Abs. 1 – Europäischer Haftbefehl – Wirkungen der Übergabe – Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßten Haft – Begriff ‚Haft‘ – Freiheitsbeschränkende Maßnahmen neben der Inhaftierung – Mittels elektronischer Fußfessel überwachter Hausarrest – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 6 und 49“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 28. Juli 2016

1.        Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten – Verpflichtung, das nationale Recht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen

(Rahmenbeschluss 2002/584 des Rates in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung)

2.        Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Art. 26 Abs. 1 – Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßten Haft – Begriff der Haft – Freiheitsbeschränkende Maßnahmen neben der Inhaftierung – Mittels elektronischer Fußfessel überwachter Hausarrest – Ausschluss – Überprüfung durch das nationale Gericht

(Rahmenbeschluss 2002/584 des Rates in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung, Art. 26 Abs. 1)

1.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 32-33)

2.        Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Maßnahmen wie ein nächtlicher Hausarrest von neun Stunden in Verbindung mit der Überwachung des Betroffenen mittels einer elektronischen Fußfessel, der Verpflichtung, sich täglich oder mehrmals pro Woche zu festgelegten Zeiten bei einer Polizeidienststelle zu melden, sowie dem Verbot, die Ausstellung von Dokumenten für Reisen ins Ausland zu beantragen, in Anbetracht der Art, der Dauer, der Wirkungen und der Durchführungsmodalitäten dieses Bündels von Maßnahmen grundsätzlich keine so starke Zwangswirkung haben, dass mit ihnen eine mit einer Inhaftierung vergleichbare freiheitsentziehende Wirkung verbunden wäre und sie daher als „Haft“ im Sinne der genannten Bestimmung eingestuft werden können; dies zu prüfen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.

Bei der Umsetzung von Art. 26 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 muss die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats des Europäischen Haftbefehls nämlich prüfen, ob die gegenüber dem Betroffenen im Vollstreckungsmitgliedstaat angeordneten Maßnahmen einem Freiheitsentzug gleichzustellen sind und daher eine Haft im Sinne von Art. 26 Abs. 1 darstellen. Kommt die Justizbehörde im Rahmen ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass dies der Fall ist, ist sie nach Art. 26 Abs. 1 verpflichtet, die Gesamtdauer des Zeitraums, in dem die Maßnahmen angewendet wurden, auf die Dauer der von dieser Person im Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen Haftbefehls zu verbüßenden Freiheitsstrafe anzurechnen.

(vgl. Rn. 40, 44, 46-47, 53-55, 57 und Tenor)