Language of document : ECLI:EU:C:2022:813

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

20. Oktober 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz personenbezogener Daten – Verordnung (EU) 2016/679 – Anwendungsbereich – Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Begriff ‚Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt‘ – Nationale und europäische Wahlen – Art. 6 Abs. 1 Buchst. e – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung – Art. 58 – Von den Aufsichtsbehörden erlassener Rechtsakt, mit dem die Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen beschränkt oder gegebenenfalls verboten wird“

In der Rechtssache C‑306/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 23. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2021, in dem Verfahren

Komisia za zashtita na lichnite danni,

Tsentralna izbiratelna komisia

gegen

Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Obedinenie“

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters N. Piçarra in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Komisia za zashtita na lichnite danni, vertreten durch V. Karadzhov,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch L.‑E. Baţagoi, E. Gane und A. Wellman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, C. Georgieva und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, im Folgenden: DSGVO).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Komisia za zashtita na lichnite danni (Kommission für den Schutz personenbezogener Daten, Bulgarien) (im Folgenden: KZLD) und der Tsentralna izbiratelna komisia (Zentrale Wahlkommission, Bulgarien) (im Folgenden: TSIK) auf der einen sowie der Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Оbedinenie“ (im Folgenden: Koalitsia), einer Koalition von bulgarischen politischen Parteien, auf der anderen Seite, wegen der von der KZLD und der TSIK erlassenen Leitlinien für die Verarbeitung und den Schutz personenbezogener Daten im Wahlverfahren (im Folgenden: streitige Leitlinien).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 4, 16 und 129 der DSGVO heißt es:

„(4)      Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte im Dienste der Menschheit stehen. Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht; es muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Diese Verordnung steht im Einklang mit allen Grundrechten und achtet alle Freiheiten und Grundsätze, die mit der [Charta der Grundrechte der Europäischen Union] anerkannt wurden und in den Europäischen Verträgen verankert sind, insbesondere Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation, Schutz personenbezogener Daten, Gedanken‑, Gewissens- und Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, unternehmerische Freiheit, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.

(16)      Diese Verordnung gilt nicht für Fragen des Schutzes von Grundrechten und Grundfreiheiten und des freien Verkehrs personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, wie etwa die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten. Diese Verordnung gilt nicht für die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der [Europäischen] Union durchgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten.

(129)      Um die einheitliche Überwachung und Durchsetzung dieser Verordnung in der gesamten Union sicherzustellen, sollten die Aufsichtsbehörden in jedem Mitgliedstaat dieselben Aufgaben und wirksamen Befugnisse haben, darunter … Untersuchungsbefugnisse, Abhilfebefugnisse und Sanktionsbefugnisse und Genehmigungsbefugnisse und beratende Befugnisse … Dazu sollte auch die Befugnis zählen, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen. … Insbesondere sollte jede Maßnahme im Hinblick auf die Gewährleistung der Einhaltung dieser Verordnung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein …“

4        Art. 2 („Sachlicher Anwendungsbereich“) der DSGVO sieht vor:

„(1)      Diese Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen.

(2)      Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten

a)      im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt,

b)      durch die Mitgliedstaaten im Rahmen von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich von Titel V Kapitel 2 EUV fallen,

…“

5        Art. 3 der DSGVO definiert deren räumlichen Anwendungsbereich. Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 „findet [die DSGVO] Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Union erfolgt, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Union stattfindet.“

6        In Art. 4 der DSGVO heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

2.      ‚Verarbeitung‘ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;

…“

7        Art. 5 („Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten“) der DSGVO sieht vor:

„(1)      Personenbezogene Daten müssen

c)      dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein (‚Datenminimierung‘);

…“

8        Art. 6 („Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) der DSGVO sieht in seinen Abs. 1 bis 3 vor:

„(1)      Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

e)      die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

(2)      Die Mitgliedstaaten können spezifischere Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung in Bezug auf die Verarbeitung zur Erfüllung von Absatz 1 Buchstaben c und e beibehalten oder einführen, indem sie spezifische Anforderungen für die Verarbeitung sowie sonstige Maßnahmen präziser bestimmen, um eine rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgende Verarbeitung zu gewährleisten, einschließlich für andere besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX.

(3)      Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Absatz 1 Buchstaben c und e wird festgelegt durch

a)      Unionsrecht oder

b)      das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt.

Der Zweck der Verarbeitung muss in dieser Rechtsgrundlage festgelegt oder hinsichtlich der Verarbeitung gemäß Absatz 1 Buchstabe e für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Diese Rechtsgrundlage kann spezifische Bestimmungen zur Anpassung der Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung enthalten, unter anderem Bestimmungen darüber, welche allgemeinen Bedingungen für die Regelung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung durch den Verantwortlichen gelten, welche Arten von Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, an welche Einrichtungen und für welche Zwecke die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, welcher Zweckbindung sie unterliegen, wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche Verarbeitungsvorgänge und ‑verfahren angewandt werden dürfen, einschließlich Maßnahmen zur Gewährleistung einer rechtmäßig und nach Treu und Glauben erfolgenden Verarbeitung, wie solche für sonstige besondere Verarbeitungssituationen gemäß Kapitel IX. Das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten müssen ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen.“

9        Art. 58 („Befugnisse“) Abs. 2 bis 4 der DSGVO bestimmt:

„(2)      Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Abhilfebefugnisse, die es ihr gestatten,

f)      eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen,

(3)      Jede Aufsichtsbehörde verfügt über sämtliche folgenden Genehmigungsbefugnisse und beratenden Befugnisse, die es ihr gestatten,

b)      zu allen Fragen, die im Zusammenhang mit dem Schutz personenbezogener Daten stehen, von sich aus oder auf Anfrage Stellungnahmen an das nationale Parlament, die Regierung des Mitgliedstaats oder im Einklang mit dem Recht des Mitgliedstaats an sonstige Einrichtungen und Stellen sowie an die Öffentlichkeit zu richten,

(4)      Die Ausübung der der Aufsichtsbehörde gemäß diesem Artikel übertragenen Befugnisse erfolgt vorbehaltlich geeigneter Garantien einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren gemäß dem Unionsrecht und dem Recht des Mitgliedstaats im Einklang mit der [Charta der Grundrechte].“

10      Art. 85 („Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“) der DSGVO lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang.

(2)      Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

(3)      Jeder Mitgliedstaat teilt der [Europäischen] Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit.“

 Bulgarisches Recht

11      Art. 272 des Izboren kodeks (Wahlordnung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„Bei der Öffnung der Wahlurnen und bei der Feststellung der Ergebnisse der Stimmabgabe können in den Wahllokalen Kandidaten, Unterstützer und Vertreter von Parteien, Koalitionen und Aktionsausschüssen …, Beobachter …, je ein registrierter Interviewer einer registrierten Agentur für soziologische Studien und Vertreter der Massenmedien anwesend sein, wobei ihnen bei der Auszählung der Stimmen direkte Sicht zu gewähren ist.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12      Die streitigen Leitlinien wurden mit Entscheidung der KZLD vom 28. Januar 2021 und mit Entscheidung der TSIK vom 8. Februar 2021 erlassen.

13      In Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videoaufzeichnung (Aufzeichnung oder Live-Übertragung) im Rahmen des Wahlverfahrens heißt es in den streitigen Leitlinien, dass es Zweck einer solchen Verarbeitung ist, Transparenz, Objektivität, Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens, die Gleichbehandlung der Personen in diesem Verfahren sowie die Meinungsfreiheit und das Recht auf Information zu gewährleisten.

14      Was die Modalitäten der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videoaufzeichnung während des Wahlverfahrens betrifft, sehen die streitigen Leitlinien zum einen vor, dass die Massenmedien personenbezogene Daten durch Videoaufzeichnung nur bei Eröffnung des Wahltags, dessen Schließung, Feststellung der Ergebnisse der Stimmabgabe sowie der Höhe der laufenden Nummern der Stimmzettel verarbeiten.

15      Zum anderen heißt es in diesen Leitlinien, dass alle anderen Akteure des Wahlverfahrens personenbezogene Daten nicht durch Videoaufzeichnung verarbeiten dürfen, weil ihre Rolle im Wahlverfahren damit nicht vereinbar ist.

16      Mit Klage vom 10. Februar 2021 focht die Koalitsia die Rechtmäßigkeit dieser Leitlinien beim Administrativen sad Sofia (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) an, soweit diese für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videoaufzeichnung gelten.

17      Mit Urteil vom 15. März 2021 hob dieses Gericht folgende Teile auf:

–        Abschnitt I („Allgemeines“) Nr. 2 der streitigen Leitlinien, soweit diese Nummer die Verantwortlichen, Auftragsverarbeiter und Personen betrifft, die personenbezogene Daten im Rahmen eines Wahlverfahrens gemäß der Weisung des Verantwortlichen verarbeiten, und vorsieht, dass „[i]hre Rechte und Pflichten in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt [sind], soweit ihre Rechte und Pflichten im Rahmen des Wahlverfahrens erschöpfend und abschließend festgelegt sind“, dass „[d]ie Fälle, in denen diese Personen personenbezogene Daten verarbeiten, in der Wahlordnung ausdrücklich festgelegt [sind] (Recht auf direkte Sicht bei der Feststellung der Ergebnisse der Stimmabgabe, Recht auf den Erhalt von Kopien der Wahlbezirksprotokolle usw.)“ und dass „[b]ei der Verarbeitung personenbezogener Daten diese Personen nicht über die in der Wahlordnung vorgesehenen Rechte und Pflichten hinausgehen [dürfen]“, sowie

–        Abschnitt II („Leitlinien für die Verantwortlichen“) Nr. 9, soweit diese Nummer bestimmt, dass „[a]lle anderen Akteure des Wahlverfahrens personenbezogene Daten nicht durch Videoaufzeichnung und/oder Verbreitung verarbeiten [dürfen], weil ihre Rolle im Wahlverfahren nicht mit dem Ziel der Verarbeitung personenbezogener Daten im Wahlverfahren durch Videoaufzeichnung vereinbar ist“, und dass „[d]ie Aufgaben und die Rolle dieser Akteure im Wahlverfahren ausdrücklich und erschöpfend in der Wahlordnung festgelegt [sind]“.

18      Nach Ansicht des Administrativen sad Sofia (Verwaltungsgericht Sofia) findet die DSGVO nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a keine Anwendung im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nämlich die Durchführung von Wahlen des nationalen Parlaments oder der lokalen Gebietskörperschaften eines Mitgliedstaats. Folglich entbehrten die streitigen Leitlinien, soweit sie Maßnahmen zur Durchführung der DSGVO seien, einer Rechtsgrundlage.

19      Am 29. März 2021 legten die KZLD und die TSIK beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil ein.

20      Mit Antrag vom 2. April 2021 beantragte die KZLD, unterstützt durch die TSIK, den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Anwendbarkeit des Unionsrechts auf das Ausgangsverfahren zu ersuchen.

21      Die Koalitsia macht vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass das Urteil aufrechterhalten werden müsse und dass kein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten sei.

22      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die streitigen Leitlinien ein Verwaltungsakt seien, der bei Wahlen wiederholt Rechtswirkungen entfalte. Die streitigen Leitlinien gälten für alle nationalen, lokalen und europäischen Wahlen, die im Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien durchgeführt würden.

23      Das vorlegende Gericht wirft insbesondere die Frage auf, ob die DSGVO im Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat anwendbar ist, und fragt für den Fall ihrer Anwendbarkeit in diesem Zusammenhang nach den Auswirkungen der Bestimmungen der DSGVO auf die Möglichkeit der für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Behörden, die Verarbeitung solcher Daten im Rahmen des Wahlverfahrens zu beschränken oder gegebenenfalls zu verbieten.

24      Vor diesem Hintergrund hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO dahin auszulegen, dass er der Anwendung dieser Verordnung auf einen scheinbar rein internen Sachverhalt wie die Durchführung von Wahlen zum nationalen Parlament entgegensteht, wenn Schutzgegenstand die personenbezogenen Daten von Personen – Bürgern der Europäischen Union – sind und die Datenverarbeitungsvorgänge sich nicht auf die Erhebung der Daten im Rahmen der betreffenden Tätigkeit beschränken?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Befreit der Abschluss der Durchführung der Wahlen zum nationalen Parlament, die scheinbar nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, die Verantwortlichen, Auftragsverarbeiter und personenbezogene Daten speichernden Personen von ihren Verpflichtungen aus der Verordnung als dem einzigen Mittel zum Schutz personenbezogener Daten der Unionsbürger auf Unionsebene? Hängt die Anwendbarkeit der Verordnung allein von der Tätigkeit ab, für die die personenbezogenen Daten erzeugt bzw. erhoben wurden, was auch zu dem Schluss führt, dass ihre spätere Anwendbarkeit ausgeschlossen ist?

3.      Falls die erste Frage verneint wird: Stehen Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO und der in ihren Erwägungsgründen 4 und 129 verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung zur Durchführung der Verordnung wie der in Rede stehenden entgegen, die von vornherein die Möglichkeit ausschließt und beschränkt, dass bei der Erfassung der Wahlergebnisse in den Wahllokalen irgendwelche Videoaufzeichnungen gemacht werden, keine Differenzierung und Regelung einzelner Bestandteile des Aufzeichnungsverfahrens zulässt und die Möglichkeit ausschließt, die Ziele der Verordnung – den Schutz der personenbezogenen Daten von Personen – mit anderen Mitteln zu erreichen?

4.      Alternativ und im Kontext des Anwendungsbereichs des Unionsrechts – bei der Durchführung von Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament: Stehen Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO und der in ihren Erwägungsgründen 4 und 129 verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung zur Durchführung der Verordnung wie der in Rede stehenden entgegen, die von vornherein die Möglichkeit ausschließt und beschränkt, dass bei der Erfassung der Wahlergebnisse in den Wahllokalen irgendwelche Videoaufzeichnungen gemacht werden, eine Differenzierung und Regelung einzelner Bestandteile des Aufzeichnungsverfahrens weder vornimmt noch auch nur zulässt und die Möglichkeit ausschließt, die Ziele der Verordnung – den Schutz der personenbezogenen Daten von Personen – mit anderen Mitteln zu erreichen?

5.      Steht Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO einer Einstufung der Tätigkeiten der Feststellung der rechtmäßigen Durchführung und Erfassung der Ergebnisse abgehaltener Wahlen als einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe entgegen, die einen bestimmten, dem Verhältnismäßigkeitserfordernis unterliegenden Eingriff in Bezug auf die persönlichen Daten der in den Wahllokalen anwesenden Personen rechtfertigt, wenn diese eine amtliche, öffentliche, gesetzlich geregelte Aufgabe erfüllen?

6.      Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Steht der Schutz personenbezogener Daten der Einführung eines nationalen rechtlichen Verbots der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten entgegen, das die Möglichkeit beschränkt, begleitende Tätigkeiten der Videoaufzeichnung von Materialien, Objekten oder Gegenständen, die keine personenbezogenen Daten enthalten, vorzunehmen, wenn im Aufzeichnungsverfahren potenziell die Möglichkeit besteht, dass bei der Videoaufzeichnung von im Wahllokal anwesenden Personen, die zu dem betreffenden Zeitpunkt eine Tätigkeit im öffentlichen Interesse ausüben, auch personenbezogene Daten erhoben werden?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

25      Am 14. September 2021 hat der Gerichtshof ein Auskunftsersuchen an das vorlegende Gericht gerichtet und dieses gebeten, die etwaigen Auswirkungen der nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens erfolgten Änderung von Art. 272 der Wahlordnung auf die Relevanz der vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu erläutern.

26      In seiner Antwort vom 29. Oktober 2021 hat das vorlegende Gericht ausgeführt, dass es nach nationalem Verfahrensrecht die Rechtmäßigkeit der streitigen Leitlinien nicht unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Gesetzesänderung, sondern des Zeitpunkts des Erlasses der streitigen Leitlinien zu beurteilen habe. Die Erheblichkeit der Vorlage zur Vorabentscheidung werde daher durch diese nach dem Erlass der streitigen Leitlinien erfolgte Gesetzesänderung nicht in Frage gestellt.

27      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über eine von einem nationalen Gericht gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage nur dann ablehnen, wenn etwa die in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführten Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens nicht erfüllt sind oder offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 25. März 2021, Obala i lučice, C‑307/19, EU:C:2021:236, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Im vorliegenden Fall geht aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts eindeutig hervor, dass es die Beantwortung der vorgelegten Fragen für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich hält.

29      Das Vorabentscheidungsersuchen ist folglich zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

30      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO dahin auszulegen ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.

31      Erstens gilt die DSGVO gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Nach Art. 4 Nr. 2 dieser Verordnung fällt unter die Definition des Begriffs „Verarbeitung“ u. a. jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie insbesondere das Erheben, das Erfassen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung.

32      Daraus folgt, dass die Videoaufzeichnung von natürlichen Personen eine Verarbeitung personenbezogener Daten darstellt, die grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2014, Ryneš, C‑212/13, EU:C:2014:2428, Rn. 35).

33      Zweitens sind die Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung in deren Art. 2 Abs. 2 und 3 erschöpfend festgelegt.

34      Im vorliegenden Fall wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videoaufzeichnung bei der Durchführung sowohl europäischer als auch nationaler Wahlen unter die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO vorgesehene Ausnahme fällt, wonach diese Verordnung keine Anwendung findet auf die Verarbeitung personenbezogener Daten „im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt“.

35      Diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der DSGVO ist, wie die anderen in ihrem Art. 2 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahmen, eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Wie der Gerichtshof festgestellt hat, ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO in Verbindung mit ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und ihrem 16. Erwägungsgrund zu lesen, wonach diese Verordnung nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit „Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, wie etwa die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten“, und den Tätigkeiten „im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union“ gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 63).

37      Daraus folgt, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der DSGVO teilweise an Art. 3 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31) anknüpft. Folglich kann Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der DSGVO nicht dahin ausgelegt werden, dass er weiter gefasst ist als die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 95/46, wonach bereits diese Richtlinie keine Anwendung fand u. a. auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, „die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemäß den Titeln V und VI des [EU‑]Vertrags [in seiner Fassung vor dem Vertrag von Lissabon], und auf keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates … “ (Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 64).

38      Indessen waren nur Verarbeitungen personenbezogener Daten im Rahmen einer in Art. 3 Abs. 2 ausdrücklich genannten spezifischen Tätigkeit des Staates oder staatlicher Stellen oder einer Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46 ausgeschlossen (Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Daher sollen mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO im Licht ihres 16. Erwägungsgrundes vom Anwendungsbereich dieser Verordnung allein Verarbeitungen personenbezogener Daten ausgenommen werden, die von staatlichen Stellen im Rahmen einer Tätigkeit, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, oder einer Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann, vorgenommen werden, so dass der bloße Umstand, dass eine Tätigkeit eine spezifische Tätigkeit des Staates oder einer Behörde ist, nicht dafür ausreicht, dass diese Ausnahme automatisch für diese Tätigkeit gilt (Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Die auf die Wahrung der nationalen Sicherheit abzielenden Tätigkeiten, auf die Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO abstellt, umfassen insbesondere solche, die den Schutz der grundlegenden Funktionen des Staates und der grundlegenden Interessen der Gesellschaft bezwecken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 67).

41      Mit den Tätigkeiten, die die Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat betreffen, wird jedoch kein solches Ziel verfolgt, so dass sie nicht der Kategorie der auf die Wahrung der nationalen Sicherheit abzielenden Tätigkeiten zugeordnet werden können, auf die Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO abstellt.

42      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der DSGVO dahin auszulegen ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.

 Zur dritten bis zur sechsten Frage

43      Zunächst ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, Pensionsversicherungsanstalt [Kindererziehungszeiten im Ausland], C‑576/20, EU:C:2022:525, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof aus dem gesamten von dem vorlegenden Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat, C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit im Wesentlichen die Frage betrifft, ob die für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Behörden die Verarbeitung solcher Daten in Bezug auf die Möglichkeit, das Wahlverfahren und insbesondere die Auszählung der Stimmen zu filmen, beschränken oder ausschließen können.

46      Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten bis sechsten Frage, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 6 Abs. 1 Buchst. e und Art. 58 der DSGVO dahin auszulegen sind, dass sie dem Erlass einer allgemeingültigen Verwaltungsmaßnahme durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Beschränkung oder gegebenenfalls das Verbot der Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen bei Wahlen in diesem Mitgliedstaat vorsieht.

47      Erstens legt Art. 6 der DSGVO die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten fest.

48      Was insbesondere Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO betrifft, auf den sich das Vorabentscheidungsersuchen speziell bezieht, geht aus dieser Bestimmung hervor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtmäßig ist, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde.

49      Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO ist in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 der DSGVO zu lesen, wonach die Rechtsgrundlage für die Verarbeitungen gemäß Buchst. e durch das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, festgelegt wird.

50      Art. 6 Abs. 1 Buchst. e in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 der DSGVO gestattet es den Mitgliedstaaten somit, Vorschriften über die Rechtsgrundlage zu erlassen, nach denen die Verantwortlichen personenbezogene Daten im Rahmen der Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, verarbeiten dürfen.

51      Im vorliegenden Fall scheint das vorlegende Gericht im Rahmen seiner fünften Frage davon auszugehen, dass bestimmte bei der Stimmenauszählung in den Wahllokalen anwesende Akteure eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO wahrnehmen könnten.

52      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten durch solche Akteure auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der DSGVO nicht nur voraussetzt, dass davon ausgegangen werden kann, dass sie eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe wahrnehmen, sondern auch, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung einer solchen Aufgabe auf einer Rechtsgrundlage im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der DSGVO beruht.

53      Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausgeführt hat, scheinen die von den zuständigen bulgarischen Aufsichtsbehörden erlassenen streitigen Leitlinien keine solche Rechtsgrundlage darzustellen. Es scheint sich vielmehr um eine Maßnahme zu handeln, die auf den Schutz der personenbezogenen Daten der in den Wahllokalen anwesenden Personen abzielt, indem sie die Verarbeitung solcher Daten durch Videoaufzeichnung in einer spezifischen Phase des Wahlverfahrens, nämlich der Auszählung der Stimmen, für die Vertreter der Massenmedien beschränkt und für die anderen in den Wahllokalen anwesenden Akteure verbietet.

54      Zweitens sind die Befugnisse der Aufsichtsbehörden in Art. 58 der DSGVO festgelegt.

55      Aus Art. 58 Abs. 2 Buchst. f der DSGVO, gelesen im Licht des 129. Erwägungsgrundes der DSGVO, geht hervor, dass die Aufsichtsbehörden u. a. über die Befugnis verfügen, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich eines Verbots, zu verhängen, und dass diese Befugnis unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuüben ist. Ebenso verfügt gemäß Art. 58 Abs. 3 Buchst. b der DSGVO jede Aufsichtsbehörde über die Befugnis, zu allen Fragen, die im Zusammenhang mit dem Schutz personenbezogener Daten stehen, von sich aus oder auf Anfrage im Einklang mit dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats Stellungnahmen an andere Einrichtungen und Stellen als das nationale Parlament oder die Regierung dieses Mitgliedstaats sowie an die Öffentlichkeit zu richten. Schließlich erfolgt die Ausübung dieser Befugnisse gemäß Art. 58 Abs. 4 dieser Verordnung vorbehaltlich geeigneter Garantien einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe.

56      Die Darstellung des bulgarischen Rechts und der streitigen Leitlinien, wie sie sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt, lässt vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen nicht den Schluss zu, dass die zuständigen bulgarischen Behörden die Befugnisse, über die sie auf der Grundlage von Art. 58 Abs. 2 Buchst. f und Abs. 3 Buchst. b der DSGVO verfügen, überschritten haben, und insbesondere nicht, dass die streitigen Leitlinien gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

57      Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass die streitigen Leitlinien die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Videoaufzeichnung in einer spezifischen Phase des Wahlverfahrens, nämlich der Öffnung der Wahlurnen und der Feststellung der Ergebnisse der Stimmabgabe, für die Vertreter der Massenmedien beschränke und für die anderen in den Wahllokalen anwesenden Akteure verbiete. Dagegen scheinen diese Leitlinien nicht die Möglichkeit der bei der Stimmenauszählung in den Wahllokalen anwesenden Akteure zu beschränken, die Öffnung der Wahlurnen und die Feststellung der Ergebnisse der Stimmabgabe zu beobachten, was im Einklang mit dem Zweck der Leitlinien die Transparenz, Objektivität und Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens, die Gleichbehandlung der Personen in diesem Verfahren sowie die Meinungsfreiheit und das Recht auf Information gewährleisten kann.

58      Somit ist davon auszugehen, dass die streitigen Leitlinien nach dem in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der DSGVO genannten Grundsatz der Datenminimierung dazu bestimmt sind, die durch die Videoaufzeichnung des Wahlverfahrens verursachte Beeinträchtigung des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten zu minimieren.

59      Drittens und letztens ist vorsorglich noch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten Abweichungen und Ausnahmen von bestimmten Bestimmungen der DSGVO vorsehen können, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

60      Nach Art. 85 Abs. 1 der DSGVO bringen die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken, in Einklang. Gemäß Art. 85 Abs. 2 der DSGVO sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von bestimmten Kapiteln der DSGVO vor, darunter auch Kapitel II, zu dem Art. 6 der DSGVO gehört. Diese Abweichungen oder Ausnahmen sind auf das zu beschränken, was erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

61      Nach alledem ist auf die dritte bis sechste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. e und Art. 58 der DSGVO dahin auszulegen sind, dass diese Bestimmungen dem Erlass eines allgemeingültigen Verwaltungsakts durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, der die Beschränkung oder gegebenenfalls das Verbot der Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen bei Wahlen in diesem Mitgliedstaat vorsieht, nicht entgegenstehen.

 Kosten

62      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.

2.      Art. 6 Abs. 1 Buchst. e und Art. 58 der Verordnung 2016/679

sind dahin auszulegen, dass

diese Bestimmungen dem Erlass eines allgemeingültigen Verwaltungsakts durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, der die Beschränkung oder gegebenenfalls das Verbot der Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen bei Wahlen in diesem Mitgliedstaat vorsieht, nicht entgegenstehen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.