Language of document : ECLI:EU:T:2005:48

Rechtssache T-229/02

Kurdistan Workers’ Party (PKK) und Kurdistan National Congress (KNK)

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Parteifähigkeit – Klagebefugnis – Vereinigung – Zulässigkeit“

Leitsätze des Beschlusses

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss über restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus – Vereinigungen und Körperschaften, gegen die diese Maßnahmen gerichtet sind – Zulässigkeit – Einzelfallprüfung

(Artikel 230 Absatz 4 EG)

2.      Verfahren – Zulässigkeit der Klagen – Beurteilung nach der Lage zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift – Keine Auswirkung eines Beschlusses, der den angefochtenen Beschluss während des laufenden Verfahrens ersetzt

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Klage einer Vereinigung, die die allgemeinen Interessen einer Gruppe natürlicher oder juristischer Personen wahrnimmt – Voraussetzung – Individuelle Klagebefugnis ihrer Mitglieder – Keine Berücksichtigung der Klagebefugnis ehemaliger Mitglieder

(Artikel 230 Absatz 4 EG)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Handlung mit allgemeiner Geltung – Begriff der von einer Bestimmung mit allgemeiner Geltung individuell betroffenen Person

(Artikel 230 Absatz 4 EG)

1.      Die Vorschriften über die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage sind, soweit es um Vereinigungen oder Körperschaften geht, die restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus unterliegen, nach den Umständen des konkreten Falles auszulegen. Denn es kann vorkommen, dass sie rechtlich nicht existieren oder nicht in der Lage waren, die gewöhnlich für juristische Personen geltenden Rechtsvorschriften zu beachten. Ein übertriebener Formalismus liefe daher darauf hinaus, dass in bestimmten Fällen jede Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage ausgeschlossen wäre, auch wenn diese Vereinigungen und Körperschaften Gegenstand restriktiver Gemeinschaftsmaßnahmen waren.

(vgl. Randnr. 28)

2.      Der Grundsatz einer geordneten Rechtspflege gebietet, dass der Kläger, wenn die angefochtene Handlung während des Verfahrens durch eine andere Handlung mit dem gleichen Gegenstand ersetzt wird, keine neue Klage erheben muss, sondern seinen ursprünglichen Antrag dahin erweitern oder anpassen kann, dass er die neue Handlung umfasst. Allerdings beurteilt sich die Zulässigkeit einer Klage zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Auch wenn also ein Kläger seine Anträge während des Verfahrens an eine neue Handlung anpasst, so können doch die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Klage – abgesehen von derjenigen, die den Fortbestand des Rechtsschutzinteresses betrifft – durch eine solche Anpassung nicht berührt werden. Soweit es um die Zulässigkeit einer Klage geht, besteht daher kein Anlass, dem Kläger die Möglichkeit zu eröffnen, seine Anträge angesichts des Erlasses einer neuen Handlung anzupassen.

(vgl. Randnrn. 29-30)

3.      Eine Vereinigung, die zur Wahrnehmung der kollektiven Interessen einer Gruppe von Personen gegründet worden ist, kann nicht als von einer Handlung, die die allgemeinen Interessen dieser Gruppe berührt, im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG individuell betroffen angesehen werden, weshalb sie keine Nichtigkeitsklage erheben kann, wenn ihre Mitglieder dies einzeln auch nicht tun könnten. Insoweit kann nicht angenommen werden, dass die ehemalige Zugehörigkeit einer Person zu einer Vereinigung es dieser Vereinigung erlaubt, sich auf ein Vorgehen dieser Person zu berufen. Ließe man nämlich eine derartige Argumentation zu, so liefe das darauf hinaus, dass einer Vereinigung eine Art von dauerndem Klagerecht eröffnet würde, obwohl sie nicht mehr behaupten kann, dass sie die Interessen ihres ehemaligen Mitglieds vertritt.

(vgl. Randnrn. 45, 49)

4.      Eine natürliche oder juristische Person kann nur dann geltend machen, von einer Handlung mit allgemeiner Geltung individuell betroffen zu sein, wenn sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt wird. Dass ein Rechtsakt mit allgemeiner Geltung für die verschiedenen Rechtssubjekte, für die er gilt, konkrete unterschiedliche Auswirkungen haben kann, hebt diese Rechtssubjekte nicht aus dem Kreis aller übrigen betroffenen Personen heraus, da die Anwendung dieses Rechtsakts aufgrund einer objektiv bestimmten Situation erfolgt.

Ein Beschluss über das Verbot, einer Vereinigung Gelder zur Verfügung zu stellen, der sich an alle Rechtssubjekte der Europäischen Gemeinschaft richtet, gilt für objektiv bestimmte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen.

Eine Vereinigung, die wie alle anderen Personen in der Gemeinschaft gezwungen ist, das mit dem entsprechenden Beschluss aufgestellte Verbot zu beachten, ist von diesem Beschluss nicht individuell betroffen.

(vgl. Randnrn. 51-52)