Language of document :

Verbundene Rechtssachen T-64/01 und T-65/01

Afrikanische Frucht-Compagnie GmbH und Internationale Fruchtimport Gesellschaft Weichert & Co.

gegen

Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhr aus AKP-Staaten und Drittländern – Referenzmenge – Verordnungen (EG) Nrn. 1924/95 und 2362/98 – Schadensersatzklage“

Leitsätze des Urteils

1.      Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, den Einzelnen schützenden Rechtsnorm – Organ, das über keinen Entscheidungsspielraum verfügt – Bloßer Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ausreichend

(Artikel 288 Absatz 2 EG)

2.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhrregelung – Zollkontingent – Einführung und Aufteilung – Übergangsvorschriften nach dem Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens – Verordnung Nr. 1924/95 – Anwendbarkeit nur im Rahmen der Regelung der Verordnung Nr. 1442/93 – Anwendbarkeit nur bis zum Außerkrafttreten der Verordnung Nr. 1442/93

(Verordnung Nr. 404/93 des Rates; Verordnungen Nr. 1442/93, Nr. 1924/95, Artikel 6 und Nr. 2362/98 der Kommission)

3.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhrregelung – Zollkontingent – Einführung und Aufteilung – Erteilung von Einfuhrlizenzen – Bestimmung der Kriterien – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Kein Verstoß

(Verordnung Nr. 404/93 des Rates; Verordnung Nr. 1442/93 der Kommission)

4.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhrregelung – Zollkontingent – Einführung und Aufteilung – Verordnung Nr. 2362/98 – Berücksichtigung der „tatsächlichen“ Einfuhren während eines Zeitraums vor Veröffentlichung der Verordnung Nr. 2362/98 – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

(Verordnungen Nrn. 1442/93 und 2362/98 der Kommission)

5.      Landwirtschaft – Gemeinsame Marktorganisation – Bananen – Einfuhrregelung – Zollkontingent – Verordnungen – Verfahren des Zustandekommens – Unterscheidung zwischen Grundverordnungen und Durchführungsverordnungen – Allgemein gefasste Ermächtigung der Kommission durch den Rat – Rechtmäßigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 155 vierter Gedankenstrich [jetzt Artikel 211 vierter Gedankenstrich EG];Verordnung Nr. 404/93 des Rates, Artikel 19 Absatz 1)

6.      Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtmäßiges Handeln – Tatsächlicher Schaden, Kausalzusammenhang sowie außergewöhnlicher und besonderer Schaden – Kumulativer Charakter

(Artikel 288 Absatz 2 EG)

1.      Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 288 Absatz 2 EG ist an das Zusammentreffen mehrerer Voraussetzungen geknüpft: Die den Gemeinschaftsorganen vorgeworfene Handlung muss rechtswidrig sein, es muss ein tatsächlicher Schaden eingetreten sein, und zwischen der Handlung und dem behaupteten Schaden muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.

Was die erste dieser Voraussetzungen anbelangt, so ist ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm nachzuweisen, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß als hinreichend qualifiziert anzusehen ist, besteht darin, ob das betreffende Gemeinschaftsorgan die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Verfügt das Organ nur über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum, so kann die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts genügen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.

(vgl. Randnrn. 70-71)

2.      Artikel 6 der Verordnung Nr. 1924/95 mit infolge des Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens erforderlichen Übergangsmaßnahmen zur Anwendung der Zollkontingentregelung für die Einfuhr von Bananen, der festlegte, wie die Rechte der Marktbeteiligten, die die neuen Mitgliedstaaten im Jahr 1995 versorgt hatten, bei der Bestimmung der Referenzmengen für einen Zeitraum, der das Jahr 1995 mit umfasste, berechnet werden, war offenkundig nur im Rahmen der Regelung der Verordnung Nr. 1442/93 mit Durchführungsbestimmungen zu der Einfuhrregelung für Bananen, auf die Artikel 6 der Verordnung Nr. 1924/95 verwies, und nur während der Geltungsdauer dieser Regelung, also bis zum 31. Dezember 1998, anwendbar. Das wird insbesondere bestätigt durch den mit Artikel 6 der Verordnung Nr. 1924/95 verfolgten Zweck, zu gewährleisten, dass am Ende der Übergangsmaßnahmen, die für den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten erlassen wurden, die Referenzmengen für alle Marktbeteiligten einschließlich derjenigen, die die neuen Mitgliedstaaten 1995 versorgt hatten, nach genau den gleichen Kriterien festgesetzt würden. Diese Zielsetzung war nicht mehr sinnvoll, nachdem die Regelung von 1993 aufgehoben und vom 1. Januar 1999 an durch die neue Regelung der Verordnung Nr. 3262/98 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 404/93 betreffend die Einfuhrregelung für Bananen in die Gemeinschaft abgelöst worden war.

(vgl. Randnrn. 79-80)

3.      Die Gemeinschaftsorgane verfügen bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer Politik erforderlichen Mittel über einen Ermessensspielraum, so dass die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen dürfen, die durch im Ermessen der Organe liegende Entscheidungen verändert werden kann. Dies gilt insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt.

Soweit die Festlegung der Kriterien, nach denen bestimmte Lizenzen vergeben werden, von der Wahl der Mittel abhängt, die zur Verwirklichung der Politik der Gemeinschaftsorgane erforderlich sind, verfügen die Organe über einen Ermessensspielraum. Insoweit können die Marktbeteiligten daher nicht schutzwürdig darauf vertrauen, dass die nach einer bisherigen Regelung geltenden Vergabekriterien für die Festlegung ihrer Referenzmenge künftig beibehalten werden.

(vgl. Randnrn. 83-84)

4.      Zwar darf nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit als Beginn der Geltungsdauer eines Gemeinschaftsaktes nicht ein Zeitpunkt vor dem Datum seiner Veröffentlichung gewählt werden, jedoch läuft es diesem Grundsatz nicht zuwider, dass für die Durchführung einer erst nach ihrer Veröffentlichung anwendbaren Regelung bestimmte davor liegende Umstände berücksichtigt werden.

Im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Bananen galt die Verordnung Nr. 2362/98 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 404/93 betreffend die Einfuhrregelung von Bananen in die Gemeinschaft, die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 31. Oktober 1998 veröffentlicht wurde und für die Einfuhr von Bananen in die Gemeinschaft vom 1. Januar 1999 an eine neue Regelung schaffen sollte, nur für Bananenimporte, die nach dem 1. Januar 1999 stattfanden. Dass in der Verordnung Nr. 2362/98 zur Bestimmung der den Marktbeteiligten im Rahmen der durch diese Verordnung geschaffenen Regelung von 1999 zuzuteilenden Referenzmengen die „tatsächlichen“ Einfuhren während eines vorherigen Referenzzeitraums berücksichtigt und bestimmte Regeln für den Nachweis dieser Einfuhren aufgestellt wurden, hatte keine Auswirkungen auf bereits vor Veröffentlichung der Verordnung abgeschlossene Tatbestände und ließ insbesondere die im Rahmen der früheren, durch die Verordnung Nr. 1442/93 geschaffenen Regelung von 1993 festgesetzten Referenzmengen unberührt.

(vgl. Randnrn. 90-91)

5.      Nach Artikel 155 vierter Gedankenstrich EG-Vertrag (jetzt Artikel 211 EG) übt die Kommission, um das ordnungsgemäße Funktionieren und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, die Befugnisse aus, die ihr der Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt. Aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages, in den dieser Artikel gestellt werden muss, und aus den Anforderungen der Praxis ergibt sich, dass der Begriff „Durchführung“ weit auszulegen ist. Da nur die Kommission in der Lage ist, die Entwicklung der Agrarmärkte ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der gebotenen Schnelligkeit zu handeln, kann sich der Rat veranlasst sehen, ihr auf diesem Gebiet weitgehende Befugnisse zu übertragen. Daher sind die Grenzen dieser Befugnisse namentlich nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation zu beurteilen. So ist die Kommission auf dem Gebiet der Landwirtschaft befugt, alle für die Durchführung einer Grundverordnung erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit diese nicht gegen die Grundverordnung oder die Anwendungsregeln des Rates verstoßen.

Weiter ist zu unterscheiden zwischen Vorschriften, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen, und Vorschriften, deren Erlass, da sie nur der Durchführung dienen, der Kommission übertragen werden kann. Als wesentlich können dabei nur solche Bestimmungen angesehen werden, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang genügt als Ermächtigungsgrundlage eine allgemein gefasste Bestimmung. Daher kann der Rat, wenn er in einer Grundverordnung die wesentlichen Vorschriften für die zu regelnde Materie festgelegt hat, der Kommission die allgemeine Befugnis übertragen, die Modalitäten von deren Anwendung zu regeln, ohne dass er die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnisse genau festlegen müsste.

Im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Bananen wird diesen Grundsätzen durch Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 404/93 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen in der Fassung der Verordnung Nr. 1637/98 genügt, der die Kommission zum Erlass der Durchführungsvorschriften über die Verwaltung der Zollkontingente und der Einfuhren von traditionellen AKP-Bananen ermächtigt. So hat der Rat insbesondere mit der Formulierung, dass „[b]ei der Verwaltung der Zollkontingente gemäß Artikel 18 Absätze 1 und 2 sowie der Einfuhren von traditionellen AKP-Bananen … nach der Methode der traditionellen Handelsströme (traditionelle/neue) verfahren“ wird, die Hauptbestandteile der der Kommission eingeräumten Durchführungszuständigkeit hinreichend umschrieben.

(vgl. Randnrn. 118-120)

6.      Wenn der Grundsatz einer außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln im Gemeinschaftsrecht anzuerkennen wäre, würde diese jedenfalls voraussetzen, dass kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich der tatsächliche Eintritt des angeblich entstandenen Schadens, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem den Gemeinschaftsorganen zur Last gelegten Handeln sowie ein außergewöhnlicher und besonderer Charakter des Schadens. Ein Schaden ist ein „besonderer“ Schaden, wenn er eine besondere Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen unverhältnismäßig belastet, und ein „außergewöhnlicher“ Schaden, wenn er die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken überschreitet, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, ohne dass die dem geltend gemachten Schaden zugrunde liegende Regelung durch ein allgemeines wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt wäre.

(vgl. Randnrn. 150-151)