URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
20. Mai 1999 (1)
„Milch Referenzmenge Durchführung eines Urteils des Gerichtshofes“
In der Rechtssache T-220/97
H & R Ecroyd Holdings Ltd, Gesellschaft englischen Rechts, mit Sitz in Brinsop
House, Credenhill (Vereinigtes Königreich), Prozeßbevollmächtigter: William
Neville, Solicitor, im Beistand von Peter Duffy, QC, Philippa Watson und Paul
Stanley, Barristers, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Elvinger, Hoss
und Prussen, 2, place Winston Churchill, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Ana Maria Alves
Vieira und Xavier Lewis, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch Michelle
Ewing, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, im Beistand von
Kenneth Parker und Andrew Macnab, Barristers, Zustellungsanschrift: Botschaft
des Vereinigten Königreichs, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg,
wegen Aufhebung der Entscheidung der Kommission (vom 16. Mai 1997), mit der
diese es abgelehnt hat, zur Durchführung des Urteils des Gerichtshofes vom 6. Juni
1996 in der Rechtssache C-127/94, Ecroyd, tätig zu werden,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten R. M. Moura Ramos, der Richterin V. Tiili sowie
des Richters P. Mengozzi,
Kanzler: J. Vanhamme, Rechtsreferent
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11.
Februar 1999,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
- Im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik erließ der Rat am 27. Juni 1968 die
Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch
und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13).
- 2.
- Aufgrund bedeutender und wachsender Überschüsse bei Milch und
Milcherzeugnissen erließ der Rat am 17. Mai 1977 die Verordnung (EWG) Nr.
1078/77 zur Einführung einer Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch
und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände (ABl. L 131,
S. 1). Gemäß Artikel 2 Absatz 2 war Voraussetzung für die Gewährung der Prämie,
daß sich der Erzeuger schriftlich verpflichtete, während eines Zeitraums von fünf
Jahren keine Milch oder Milcherzeugnisse aus seinem Betrieb zu vermarkten.
- 3.
- Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1078/77 sah folgende Berechnungs- und
Zahlungsweise für die Nichtvermarktungsprämien vor:
„Die Nichtvermarktungsprämie wird nach der Menge Milch bzw. den in
Milchäquivalente umgerechneten Milcherzeugnissen berechnet, die vom Erzeuger
im Kalenderjahr 1976 geliefert wurden.
...
Ein Betrag in Höhe von 50 % der Prämie wird in den ersten drei Monaten des
Nichtvermarktungszeitraums gezahlt.
Der Restbetrag wird in zwei gleichen Raten von jeweils 25 % der Prämie im dritten
und fünften Jahr gezahlt, sofern der Begünstigte der zuständigen Behörde
nachgewiesen hat, daß die in Artikel 2 genannten Verpflichtungen eingehalten
worden sind.“
- 4.
- Aus Artikel 6 der Verordnung ging hervor, daß sich jeder Betriebsnachfolger den
Restbetrag der seinem Vorgänger gewährten Prämie zuweisen lassen konnte, sofern
er sich schriftlich verpflichtete, die von diesem eingegangenen Verpflichtungen
weiterhin zu erfüllen.
- 5.
- 1984 stellte sich heraus, daß zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren, um das
Gleichgewicht im Milchsektor wiederherzustellen. Durch die Verordnung (EWG)
Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG)
Nr. 804/68 (ABl. L 90, S. 10) wurde in die letztgenannte Verordnung Artikel 5c
eingefügt. Durch diese Vorschrift wurde ein System zusätzlicher Abgaben
geschaffen, die jeder Erzeuger oder Käufer von Milch oder anderen
Milcherzeugnissen für die Menge zu entrichten hatte, die eine üblicherweise als
„Milchquote“ bezeichnete jährliche individuelle Referenzmenge überschritten. Nach
diesem Artikel durfte die Summe der den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern in
jedem Staat zugeteilten Referenzmengen eine Gesamtgarantiemenge nicht
überschreiten, die der Summe der Milchmengen entspricht, die in einem
Referenzjahr in jedem Mitgliedstaat an Milch oder andere Milcherzeugnisse be-
oder verarbeitende Unternehmen geliefert wurden.
- 6.
- Die Regeln für die Anwendung der Abgabe wurden durch Verordnung (EWG) Nr.
857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der
Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und
Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 13) geschaffen. Bei den Erzeugern entsprach die
Referenzmenge nach Artikel 2 dieser Verordnung der Milch- oder
Milchäquivalenzmenge, die von dem Erzeuger im Kalenderjahr 1981 geliefert
wurde, zuzüglich 1 %. Die Mitgliedstaaten konnten jedoch vorsehen, daß diese
Referenzmenge auf ihrem Gebiet der im Kalenderjahr 1982 oder im Kalenderjahr
1983 gelieferten Milch- oder Milchäquivalenzmenge unter Anwendung eines
Prozentsatzes entsprach, der so festgesetzt wurde, daß die Garantiemenge des
jeweiligen Mitgliedstaats nicht überschritten wurde. Im Vereinigten Königreich
wurde die Referenzmenge auf der Grundlage des Jahres 1983 festgelegt.
- 7.
- In der Verordnung Nr. 857/84 war die Möglichkeit der Zuteilung einer Milchquote
an die sogenannten „SLOM-Erzeuger“, die wegen ihrer Teilnahme an der in der
Verordnung Nr. 1078/77 enthaltenen vorübergehenden Nichtvermarktungsregelung
in dem für die Zuteilung der Quoten maßgebenden Referenzjahr keine Milch
geliefert oder verkauft hatten, nicht vorgesehen.
- 8.
- Im Anschluß an die Urteile, in denen der Gerichtshof die Verordnung Nr. 857/84
insoweit für ungültig erklärt hatte, als sie keine Zuteilung einer Referenzmenge an
SLOM-Erzeuger vorsah (Urteile vom 28. April 1988 in den Rechtssachen 120/86,
Mulder, Slg. 1988, 2321, und 170/86, Von Deetzen, Slg. 1988, 2355), erließ der Rat
die Verordnung Nr. 764/89 vom 20. März 1989 zur Änderung der Verordnung Nr.
857/84 (ABl. L 84, S. 2), die die vorläufige Zuteilung einer spezifischen
Referenzmenge (oder „SLOM-Quote“) an SLOM-Erzeuger, die bestimmte
Voraussetzungen erfüllten, vorsah.
- 9.
- Gemäß dem neuen, durch die Verordnung Nr. 764/89 eingefügten Artikel 3a
Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 mußte der Zuteilungsantrag vom Erzeuger
binnen drei Monaten nach dem 29. März 1989 eingereicht werden.
- 10.
- Nach Artikel 3a Absatz 2 lag die Höhe der spezifischen Referenzmenge bei einem
bestimmten Prozentsatz der Milchmenge, die vom Erzeuger in dem Zeitraum von
zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Einreichung des Antrags auf
Gewährung der Nichtvermarktungsprämie geliefert wurde, sofern der Erzeuger den
Prämienanspruch nicht verloren hatte.
- 11.
- Aus Artikel 3a Absatz 1 ergab sich jedoch auch, daß die Übernehmer einer
Nichtvermarktungsprämie, die schon unter den Bedingungen gemäß Artikel 2 der
Verordnung eine Primärquote erhalten hatten, keine SLOM-Quote beanspruchen
konnten (sogenannte „Antikumulierungsvorschrift“).
- 12.
- Im Anschluß an verschiedene Urteile und insbesondere an das Urteil des
Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-314/89 (Rauh, Slg. 1991,
I-1647) zur Auslegung und zur Gültigkeit des Artikels 3a erließ der Rat die
Verordnung Nr. 1639/91 vom 13. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr.
857/84 (ABl. L 150, S. 35), mit der die Milchquotenregelung erneut geändert
wurde. So wurde an Artikel 3a Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 ein zweiter
Unterabsatz angefügt, dessen zweiter Gedankenstrich folgenden Wortlaut hat:
„Erzeuger, ... die den Betrieb infolge einer Erbschaft oder auf ähnliche Weise nach
Ablauf der gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1078/77 vom Erblasser
eingegangenen Verpflichtung, jedoch vor dem 29. Juni 1989 übernommen haben,
erhalten auf Antrag, der innerhalb von drei Monaten ab dem 1. Juli 1991
einzureichen ist, ... vorläufig eine spezifische Referenzmenge.“ Diese Gruppe von
Erzeugern trägt im allgemeinen die Bezeichnung „SLOM-II-Erzeuger“.
- 13.
- Im Urteil vom 3. Dezember 1992 in der Rechtssache C-264/90 (Wehrs, Slg. 1992,
I-6285) hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 3a Absatz 1 zweiter
Gedankenstrich der Verordnung Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung Nr.
764/89 insoweit ungültig war, als er die Erzeuger, die einen an der
Nichtvermarktungsregelung gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 teilnehmenden
Betrieb übernommen hatten und die aus diesem Grund Übernehmer von
Nichtvermarktungsprämien waren, von der Zuteilung von SLOM-Quoten ausschloß,
wenn sie bereits eine Primärquote nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 857/84
erhalten hatten („SLOM-III-Erzeuger“).
- 14.
- Die Verordnung (EWG) Nr. 2055/93 des Rates vom 19. Juli 1993 zur Zuteilung
einer spezifischen Referenzmenge an bestimmte Erzeuger von Milch oder
Milcherzeugnissen (ABl. L 187, S. 8) sollte diese Ungültigkeit dadurch heilen, daß
den Übernehmern der Nichtvermarktungsprämie, die von der Anwendung des
Artikels 3a der Verordnung Nr. 857/84 ausgeschlossen worden waren, weil sie eine
Referenzmenge gemäß Artikel 2 dieser Verordnung erhalten hatten, das Recht
eingeräumt wurde, auf Antrag, der vor dem 1. November 1993 bei der zuständigen
Behörde des betreffenden Mitgliedstaats zu stellen war, eine spezifische
Referenzmenge zu erhalten, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllten. Eine
dieser Voraussetzungen bestand darin, daß der Übernehmer der
Nichtvermarktungsprämie den übernommenen Betrieb oder Betriebsteil zum
Zeitpunkt der Antragstellung nicht vollständig abgetreten hat.
Sachverhalt
- 15.
- Die H & R Ecroyd Ltd (im folgenden: Ecroyd Ltd), deren Rechtsnachfolger am
10. Mai 1993 die H & R Ecroyd Holdings Ltd (im folgenden: Ecroyd Holdings oder
Klägerin) wurde, ist eine Gesellschaft, die 1966 von Richard Ecroyd und
verschiedenen Vertretern von Familieninteressen, darunter den Treuhändern eines
1965 von Richard Ecroyd für seine Kinder geschaffenen „Children's settlement
trust“ (Erbregelungstreuhand; im folgenden: Erbtreuhand), erworben wurde.
- 16.
- Ecroyd Ltd war Pächterin von neun Höfen, die im Eigentum der Familie Ecroyd
und der Erbtreuhand standen.
- 17.
- 1976 gründeten Ecroyd Ltd und ein Partner, die Firma Fountain Farming, die
Firma Credenhill Farming. Vier der neun genannten Höfe, darunter einer namens
Lyvers Ocle, wurden von Ecroyd Ltd an Credenhill Farming unterverpachtet.
- 18.
- Credenhill Farming wurde für einen Zeitraum von fünf Jahren, der am 14.
November 1980 begann und am 13. November 1985 endete, die Teilnahme an
einer Nichtvermarktungsregelung gestattet. Ecroyd Ltd erzeugte ihrerseits weiterhin
Milch auf den fünf von ihr als Pächterin bewirtschafteten Höfen, für die sie 1984
auf ihren Antrag eine Primärquote gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 857/84
erhielt (2 001 338 kg).
- 19.
- Zwischen 1980 und 1984 änderte sich die Zusammensetzung von Credenhill
Farming mehrfach. Schließlich wurde diese, nachdem ihr nur noch die beiden
Gesellschafter Ecroyd Ltd und Richard Ecroyd angehörten, am 30. September 1984
im Anschluß an das Ausscheiden von Richard Ecroyd aufgelöst. Das Vermögen und
die Tätigkeit der Gesellschaft wurden von Ecroyd Ltd übernommen. Von diesem
Zeitpunkt an verfügte Ecroyd Ltd folglich über fünf aktive Milchwirtschaftsbetriebe
und vier (von der Credenhill Farming übernommene) landwirtschaftliche Betriebe,
für die die Nichtvermarktungsregelung galt. Da sich Ecroyd Ltd an die von
Credenhill Farming eingegangene Nichtvermarktungsverpflichtung gebunden fühlte,
erzeugte sie während des restlichen Teils des von dieser Verpflichtung erfaßten
Fünfjahreszeitraums auf den zuvor von der aufgelösten Gesellschaft
bewirtschafteten Grundstücken keine Milch, ohne sich jedoch hierzu schriftlich zu
verpflichten.
- 20.
- Ecroyd Ltd stellte zwei Anträge auf Gewährung einer spezifischen Referenzmenge
für die zuvor von Credenhill Farming bewirtschafteten Grundstücke. Der erste
wurde im August 1989 nach dem Erlaß der Verordnung Nr. 764/89 gestellt, die den
Anspruch auf SLOM-Quoten eröffnete, und der zweite im September 1991 im
Anschluß an die Urteile des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1990 in den
Rechtssachen C-189/89 (Spagl, Slg. 1990, I-4539) und C-217/89 (Pastätter, Slg. 1990,
I-4585) und das Urteil Rauh. Die beiden Anträge wurden vom Ministerium für
Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung (im folgenden: Ministerium) abgelehnt.
Ecroyd Ltd erhob daraufhin Klage gegen das Ministerium und machte geltend, daß
sie Anspruch auf eine SLOM-Quote habe.
- 21.
- Vor dem nationalen Gericht machte sie geltend, obwohl die übrigen Gesellschafter
von Credenhill Farming die Gesellschaft während der Laufzeit derNichtvermarktungsverpflichtung verlassen hätten, so daß sie den Betrieb dann für
eigene Rechnung geführt habe, habe kein Betriebsübergang von Credenhill
Farming auf sie im Sinne von Artikel 6 der Verordnung Nr. 1078/77 stattgefunden.
Es sei folglich nicht erforderlich gewesen, daß sie eine neue
Nichtvermarktungsverpflichtung eingehe, zumal sie ohnehin während des gesamten
streitigen Zeitraums an die von Credenhill Farming eingegangene Verpflichtung
gebunden gewesen sei. Sie fügte hinzu, daß sie die Nichtvermarktungsverpflichtung
in vollem Umfang eingehalten habe. Schließlich führte sie in bezug auf die
Antikumulierungsvorschrift aus, die Tatsache, daß sie für einen anderen Betrieb
eine Primärquote erhalten habe, stehe nach dem Urteil Wehrs der Gewährung
einer SLOM-Quote für den zuvor von Credenhill Farming geführten Betrieb nicht
entgegen.
- 22.
- Nach Ansicht des Ministeriums ist am 30. September 1984 eine Übertragung von
einem Erzeuger auf einen anderen erfolgt, und zwar von Credenhill Farming auf
Ecroyd Ltd. Da letztere bei der Übernahme des Betriebes von Credenhill Farming
keine Nichtvermarktungsverpflichtung eingegangen sei, könne sie keine spezifische
Referenzmenge beanspruchen. Falls Credenhill Farming und Ecroyd Ltd dagegen
der Sache nach als derselbe „Erzeuger“ anzusehen seien, habe Ecroyd Ltd ihre
Verpflichtung verletzt, in ihrem Betrieb keine Milch zu erzeugen, und daher ihren
Anspruch auf die Nichtvermarktungsprämie verloren, weil sie während des von der
Prämienregelung für die Nichtvermarktung erfaßten Zeitraums auf den fünf Höfen,
die nicht an Credenhill Farming unterverpachtet worden seien, die Milcherzeugung
fortgesetzt habe. Die Argumentation des Gerichtshofes im Urteil Wehrs sei auf die
Klägerin nicht anwendbar, da dieses Urteil nur den Fall der Übernehmer einer
Nichtvermarktungsprämie betreffe und Ecroyd Ltd diese Eigenschaft nicht habe.
- 23.
- Das Ministerium fügte hinzu, selbst wenn man unterstelle, daß die Verordnung Nr.
857/84 in der Fassung der Verordnung Nr. 764/89 insoweit ungültig sei, als sie einen
Erzeuger, der sich in der Lage der Klägerin befinde, von der Zuteilung einer
spezifischen Referenzmenge ausschließe, sei es jedenfalls nicht berechtigt, der
Klägerin eine Quote zuzuteilen, bevor der Rat die erforderlichen Maßnahmen
getroffen habe.
- 24.
- Mit Beschluß vom 27. Oktober 1993 hat der High Court of Justice, Queen's Bench
Division, was die Anträge der Ecroyd Ltd angeht, das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist das beklagte Ministerium berechtigt und/oder verpflichtet, der Klägerin
eine vorläufige spezifische Referenzmenge zuzuteilen und/oder sie so zu
behandeln, als wäre ihr eine spezifische Referenzmenge zugeteilt worden,
und zwar
i) nach der Verordnung Nr. 857/84 ... in der Fassung der Verordnung
Nr. 764/89 ... und/oder
ii) im Anschluß an das Urteil ... Wehrs ...,
wenn
a) die Klägerin einer Gesellschaft angehörte, die den Betrieb
bewirtschaftete und die eine Verpflichtung aufgrund einer
Nichtvermarktungsregelung einging,
b) alle anderen Gesellschafter vor dem Ende der Laufzeit der
Nichtvermarktungsregelung aus der Gesellschaft ausschieden und der
Betrieb, in bezug auf den die Nichtvermarktungsverpflichtung von der
Gesellschaft eingegangen worden war, danach von der Klägerin für
eigene Rechnung bewirtschaftet wurde,
c) die Klägerin nach dem Ausscheiden der anderen Gesellschafter
während der Restlaufzeit der von der Gesellschaft eingegangenen
ursprünglichen Nichtvermarktungsverpflichtung in dem Betrieb keine
Milch erzeugte,
d) die Klägerin sich nach dem Ausscheiden der anderen Gesellschafter
nicht gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 1078/77 ... erneut
schriftlich verpflichtete, die von der Gesellschaft eingegangene
Nichtvermarktungsverpflichtung zu erfüllen,
e) die Klägerin Primärquoten für einen gesonderten Betrieb erhalten
hatte?
Wenn ja: Wann ist eine solche Berechtigung und/oder Verpflichtung
entstanden?
2. Wenn Frage 1 dahin zu beantworten ist, daß keine solche Berechtigung
und/oder Verpflichtung des beklagten Ministeriums besteht, ist dann Artikel
3a Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 des Rates in der Fassung der
Verordnung Nr. 764/89 des Rates insoweit rechtswidrig und ungültig, als er
einen Antragsteller unter den oben wiedergegebenen Umständen von der
Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge ausschließt?
3. Wenn Frage 2 dahin zu beantworten ist, daß Artikel 3a Absatz 1 der
Verordnung Nr. 857/84 des Rates insoweit rechtswidrig und ungültig ist, als
er die Klägerin von der Zuteilung von Milchquoten ausschließt, ist das
beklagte Ministerium dann berechtigt und/oder verpflichtet, der Klägerin
Milchquoten zuzuteilen und/oder sie so zu behandeln, als wäre ihr eine
spezifische Referenzmenge zugeteilt worden, bevor weitere
Gemeinschaftsvorschriften erlassen worden sind, um die Ungültigkeit der
fraglichen Maßnahme zu heilen oder ihr Rechnung zu tragen?
Wenn ja: Wann entsteht eine solche Berechtigung und/oder Verpflichtung,
oder wann ist sie entstanden?
4. Wenn die vorstehenden Fragen dahin zu beantworten sind, daß das beklagte
Ministerium berechtigt und/oder verpflichtet war, der Klägerin vor dem
Erlaß neuer Rechtsvorschriften durch den Ministerrat und/oder im Anschluß
an das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-264/90 (Wehrs) eine
spezifische Referenzmenge zuzuteilen und/oder sie so zu behandeln, als
wäre ihr eine spezifische Referenzmenge zugeteilt worden, hat die Klägerin
dann grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte
Ministerium, weil dieses ihr keine spezifische Referenzmenge zugeteilt hat?
5. Wenn Frage 4 dahin zu beantworten ist, daß die Klägerin einen
Schadensersatzanspruch gegen das Ministerium hat, auf welcher Grundlage
ist ein solcher Schadensersatz dann zu berechnen?
- 25.
- Mit Urteil vom 6. Juni 1996 in der Rechtssache C-127/94 (Ecroyd, Slg. 1996,
I-2731) hat der Gerichtshof in bezug auf die Quotenanträge der Ecroyd Ltd
entschieden:
1. Die zuständige nationale Behörde war nicht verpflichtet, gemäß der
Verordnung ... Nr. 857/84 ... in der Fassung der Verordnung ... Nr. 764/89 ...,
insbesondere Artikel 3a Absatz 1, den Erzeugern, die sich in der in den
Abschnitten a bis e der ersten Vorlagefrage geschilderten Lage befanden,
eine vorläufige spezifische Referenzmenge zuzuteilen, und sie war dazu
auch nicht berechtigt.
2. Die zuständige nationale Behörde war im Anschluß an das Urteil ... Wehrs
... nicht verpflichtet, den Erzeugern, die sich in der genannten Lage
befanden, eine vorläufige spezifische Referenzmenge zuzuteilen, und sie war
dazu auch nicht berechtigt.
3. Artikel 3a Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 in der Fassung der
Verordnung Nr. 764/89 ist insoweit ungültig, als er die Erzeuger, die sich in
der genannten Lage befinden, von der Zuteilung einer spezifischen
Referenzmenge ausschließt.
4. Die zuständige nationale Behörde ist vor dem Erlaß weiterer
Gemeinschaftsvorschriften, mit denen die festgestellte Ungültigkeit geheilt
werden soll, nicht verpflichtet, Erzeugern, die sich in der genannten Lage
befinden, eine spezifische Referenzmenge zuzuteilen, und sie ist dazu auch
nicht berechtigt.
- 26.
- Nach der Verkündung dieses Urteils fragten die gesetzlichen Vertreter der Klägerin
die Kommission mit Schreiben vom 26. Juli 1996, welche Maßnahmen sie zur
Durchführung dieses Urteils zu ergreifen beabsichtige. Nachdem die Klägerin keine
Antwort erhalten hatte, schickte sie am 9. August 1996 ein neues Schreiben.
- 27.
- Am 6. September 1996 führten die gesetzlichen Vertreter der Klägerin ein
Telefongespräch mit den zuständigen Dienststellen der Kommission, in dessen
Verlauf diese mitteilten, daß sie die rechtlichen Auswirkungen des Urteils Ecroyd
bei einer innerdienstlichen Besprechung am 5. September 1996 festgestellt hätten.
Mit Schreiben vom 9. September 1996 verlangten die gesetzlichen Vertreter der
Klägerin, über die diesbezüglichen Schlußfolgerungen der Kommission schriftlich
unterrichtet zu werden.
- 28.
- Nachdem die Kommission nicht geantwortet hatte, wiederholten die gesetzlichen
Vertreter der Klägerin ihre Aufforderung am 19. September 1996, wobei sie an das
Telefongespräch vom 6. September 1996 und ihr Schreiben vom 9. September 1996
erinnerten.
- 29.
- Mit Schreiben vom 10. Oktober 1996 an das Ministerium legte die Kommission
vorläufig ihre Auffassung zu drei Fragen dar, nämlich
zu den auf Gemeinschaftsebene zur Durchführung des Urteils Ecroyd
gebotenen Maßnahmen;
zu den Ansprüchen der Klägerin auf eine Quote im Rahmen der geltenden
Rechtsvorschriften;
zu den sich aus der Anwendung des Urteils Ecroyd ergebenden
Verpflichtungen der nationalen Behörden.
- 30.
- Zur ersten Frage führte die Kommission aus, durch den Erlaß der Verordnung Nr.
2055/93 sei der vom Gerichtshof festgestellten Ungültigkeit bereits abgeholfen
worden und es sei aus diesem Grund nicht erforderlich, auf Gemeinschaftsebene
weitere Maßnahmen zu ergreifen. Zur zweiten Frage erklärte sie, wenn die
Klägerin als SLOM-III-Erzeugerin anerkannt wäre, könnte sie aufgrund der
Verordnung Nr. 2055/93 eine Quote erhalten. Schließlich führte die Kommission
zur dritten Frage aus, im Licht der Antworten des Gerichtshofes auf die
Vorabentscheidungsfragen des High Court of Justice seien die nationalen Behörden
nicht zur Zuteilung einer Quote verpflichtet.
- 31.
- In einem am selben Tag an die gesetzlichen Vertreter der Klägerin gerichteten
Schreiben erklärte die Kommission, die Verordnung Nr. 2055/93 stelle eine zur
Durchführung des Urteils des Gerichtshofes geeignete gesetzgeberische Antwort
dar und es sei Sache der nationalen Behörden, zu prüfen, ob die Klägerin die
Voraussetzungen für die Zuteilung einer Quote im Rahmen dieser Verordnung
erfülle.
- 32.
- Am 8. April 1997 antwortete der Rat auf ein Schreiben, das die gesetzlichen
Vertreter der Klägerin an ihn gerichtet hatten, es sei Sache der Kommission, dafür
Sorge zu tragen, daß das Urteil Ecroyd durchgeführt werde, und es sei dem Rat
nicht möglich, tätig zu werden, wenn die Kommission zu diesem Zweck keinen
Gesetzgebungsvorschlag mache.
- 33.
- In einem Schreiben vom 16. Mai 1997 bestätigte die Kommission die
Schlußfolgerungen, die sie in ihrem Schreiben vom 10. Oktober 1996 vorläufig
dargelegt hatte.
Verfahren und Anträge der Parteien
- 34.
- Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 29. Juli 1997 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
- 35.
- Durch Beschluß des Präsidenten der Dritten Kammer des Gerichts vom 12. Mai
1998 ist das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland auf seinen bei
der Kanzlei am 11. Februar 1998 eingereichten Antrag hin als Streithelfer zur
Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen worden.
- 36.
- Das schriftliche Verfahren hat am 2. Oktober 1998 geendet.
- 37.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche
Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Jedoch sind die Parteien
im Rahmen von verfahrensleitenden Maßnahmen aufgefordert worden, vor der
mündlichen Verhandlung einige Fragen schriftlich zu beantworten. Die Parteien
haben in der öffentlichen Sitzung am 11. Februar 1999 mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
- 38.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung der Kommission vom 16. Mai 1997 aufzuheben;
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
alle sonstigen als sachdienlich angesehenen Maßnahmen zur
Wiedergutmachung anzuordnen.
- 39.
- Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Vorbringen der Beteiligten
- 40.
- Die Klägerin hat im wesentlichen einen Klagegrund, nämlich einen Verstoß gegen
die Artikel 211 und 233 EG (früher Artikel 155 und 176) geltend gemacht.
- 41.
- Sie weist darauf hin, daß diese Artikel für die Kommission eine rechtliche
Verpflichtung begründeten, die sich aus einem Urteil des Gerichtshofes ergebenden
Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere müsse die Kommission Maßnahmen
ergreifen, wenn der Gerichtshof eine Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht
festgestellt habe. Die Kommission müsse daher die Prüfung der Lage desjenigen,
der Opfer einer rechtswidrigen Behandlung geworden sei, wiederaufnehmen. Im
vorliegenden Fall habe die Kommission diese Verpflichtung offenkundig verletzt.
- 42.
- Die Durchführung eines Urteil des Gerichts müsse effektiv sein und es könne nicht
hingenommen werden, daß die Organe die Durchführung behinderten.
- 43.
- Die Verpflichtung, für die effektive Durchführung der Urteile des Gerichtshofes
Sorge zu tragen, sei so grundlegend, daß eine Verletzung dieser Verpflichtung
einen eigenständigen Grund darstelle, der die Haftung der Organe für die
finanziellen Einbußen desjenigen auslöse, der Opfer dieser Pflichtverletzung sei.
Artikel 233 EG mache den Ersatz des Schadens nicht davon abhängig, daß ein von
der im Urteil festgestellten Rechtswidrigkeit unterscheidendes rechtswidriges
Verhalten vorliege, sondern sehe den Ersatz des Schadens vor, der sich aus dieser
Rechtswidrigkeit ergebe und der wegen der Weigerung, das Nichtigkeitsurteil
durchzuführen, fortbestehe. Die Klägerin habe dadurch, daß ihr die Quote, auf die
sie Anspruch gehabt hätte, vorenthalten worden sei, erhebliche finanzielle Verluste
erlitten. Diese Verluste nähmen weiter zu und ihre kumulierten Auswirkungen
führten zu einem Konkursrisiko.
- 44.
- Die Beklagte trägt vor, die Verordnung Nr. 2055/93 sei auf das Urteil Wehrs hin
erlassen worden und stelle, was die Übernehmer von
Nichtvermarktungsverpflichtungen angehe, eine sachgerechte gesetzgeberische
Antwort dar. Sie erfasse insbesondere die Lage der SLOM-III-Erzeuger. Sie hätte
auch die Klägerin erfaßt, wenn diese Milcherzeugerin gewesen wäre.
- 45.
- Im Urteil Ecroyd habe der Gerichtshof festgestellt, daß die Lage der Klägerin „der
des Übernehmers einer gemäß der Verordnung Nr. 1078/77 gewährten Prämie, der
eine Referenzmenge nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 857/84 erhalten hat,
gleichgestellt werden“ könne. Die Klägerin habe daher am 30. September 1984,
d. h. als Credenhill Farming aufgelöst und ihr Vermögen auf die Ecroyd Ltd
übertragen worden sei, als „Übernehmer einer Nichtvermarktungsverpflichtung“ im
Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2055/93 qualifiziert werden
müssen. Die Verordnung Nr. 2055/93 erfaßte folglich die Lage, in der die Klägerin
sich zu dem Zeitpunkt befunden habe, als die Nichtvermarktungsverpflichtung
ausgelaufen sei.
- 46.
- Auch werde im Urteil Ecroyd nicht die Lage der Klägerin in dem Rechtsstreit, der
Gegenstand der Vorabentscheidungsvorlage sei, in bezug auf die Verordnung Nr.
2055/93 geprüft. Die Fragen 1 und 3, die dem Gerichtshof in bezug auf die Ecroyd
Ltd vorgelegt worden seien, beträfen nämlich die Zuteilung einer SLOM-III-Quote
vor Erlaß der zur Änderung der rechtswidrigen Antikumulierungsvorschrift
erforderlichen Rechtsvorschriften.
- 47.
- Die Verordnung Nr. 2055/93 stelle eine richtige Antwort gemäß Artikel 233 EG auf
den im Urteil Ecroyd festgestellten rechtswidrigen Zustand dar, da dieser
rechtswidrige Zustand der gleiche wie der im Urteil Wehrs festgestellte sei.
- 48.
- Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland unterstützt die
Auffassung der Kommission, daß die Klägerin keinen Anspruch auf eine spezifische
Referenzmenge im Rahmen der Verordnung Nr. 2055/93 habe, weil sie im
maßgeblichen Zeitpunkt weder rechtlich noch tatsächlich Milcherzeugerin gewesen
sei.
Beurteilung durch das Gericht
- 49.
- Nach ständiger Rechtsprechung hat die Entscheidung des Gerichtshofes, wenn
dieser im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 234 EG die Ungültigkeit einer
von einem Gemeinschaftsorgan erlassenen Handlung feststellt, die Rechtsfolge, daß
die zuständigen Organe der Gemeinschaft verpflichtet sind, die zur Behebung der
festgestellten Rechtswidrigkeit erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen (Urteile des
Gerichtshofes vom 19. Oktober 1977 in den verbundenen Rechtssachen 117/76 und
16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, 1753, Randnr. 13, und vom 29. Juni 1988 in der
Rechtssache 300/86, Van Landschoot/Mera, Slg. 1988, 3443, Randnr. 22. In diesem
Fall obliegt es ihnen, die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Durchführung des
Vorabentscheidungsurteils ebenso wie nach Artikel 233 EG (früher Artikel 176) zur
Durchführung eines Urteils erforderlich sind, durch die eine Handlung für nichtig
oder die Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans für rechtswidrig erklärt wird. Aus
der oben genannten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, daß die Verpflichtung aus
Artikel 233 EG entsprechend gilt, wenn durch ein Vorabentscheidungsurteil die
Ungültigkeit einer Handlung der Gemeinschaft festgestellt wird.
- 50.
- Wenn die Kommission über die erforderlichen Befugnisse verfügt, um Maßnahmen
zu ergreifen, die geeignet sind, die vom Gerichtshof in einem
Vorabentscheidungsurteil festgestellte Rechtswidrigkeit zu beseitigen, fällt ihre
Verpflichtung, in diesem Sinne tätig zu werden, im übrigen offenkundig auch unter
ihre allgemeine Überwachungsverpflichtung aus Artikel 211 EG (Urteil des
Gerichtshofes vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache 804/79, Kommission/Vereinigtes
Königreich, Slg. 1981, 1045, Randnr. 30).
- 51.
- Im Licht dieser Vorbemerkungen ist zu prüfen, ob die Kommission zu Recht
entschieden hat, daß alle zur Durchführung des Urteils Ecroyd erforderlichen
Maßnahmen bereits getroffen worden seien.
- 52.
- Der Teil des Tenors des Urteils Ecroyd, auf den sich diese Entscheidung der
Kommission im wesentlichen bezieht, lautet wie folgt:
„In bezug auf Ecroyd [Ltd]
...
3. Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 in der Fassung der
Verordnung Nr. 764/89 ist insoweit ungültig, als er die Erzeuger, die sich in
der genannten Lage befinden, von der Zuteilung einer spezifischen
Referenzmenge ausschließt.“
- 53.
- Wie von den Beteiligten bejaht wird, betrifft diese Ungültigkeitserklärung die
sogenannten „Antikumulierungsvorschrift“. Die Ungültigkeit dieser Vorschrift war
vom Gerichtshof bereits 1992 im Urteil Wehrs festgestellt worden. In diesem Urteil
hatte der Gerichtshof wie folgt entschieden: „Artikel 3a Absatz 1 zweiter
Gedankenstrich der Verordnung ... Nr. 857/84 ... in der Fassung der Verordnung
... Nr. 764/89 ... ist insoweit ungültig, als er die Übernehmer einer gemäß der
Verordnung ... Nr. 1078/77 ... gewährten Prämie, die eine Referenzmenge nach
Artikel 2 der Verordnung ... Nr. 857/84 erhalten haben, von der Zuteilung einer
spezifischen Referenzmenge ausschließt.“
- 54.
- In dem zitierten Tenor des Urteils Ecroyd wird die allgemeine Formulierung der
im Urteil Wehrs enthaltenen Ungültigkeitserklärung aber nicht übernommen. Es
wird darin ausdrücklich erklärt, daß durch die Antikumulierungsvorschrift die
Erzeuger von der Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge rechtswidrig
ausgeschlossen worden sind, die sich in der „genannten Lage“ befinden, das heißt
u. a. die „Ecroyd [Ltd]“, der die nationalen Behörden die Zuteilung einer
spezifischen Referenzmenge 1989 und 1991 verweigert haben (siehe oben, Randnr.
20), wobei der Gerichtshof feststellt, daß die nationalen Behörden keine
Möglichkeit hatten, anders zu entscheiden (siehe die Nrn. 1, 2 und 4 des in Randnr.
25 zitierten Tenors).
- 55.
- Unter diesen Umständen durfte die Kommission, als sie von der Klägerin nach den
Maßnahmen gefragt wurde, die sie nach diesem Urteil zu ergreifen beabsichtige,
sich nicht auf die Antwort beschränken, daß die Antikumulierungsvorschrift in der
Zwischenzeit aufgehoben worden sei. Trotz der Beseitigung der rechtswidrigen
Handlung auf der Ebene der Gesetzgebung und der Verwaltung hatte sie
festzustellen, ob diese Handlung für die Klägerin zu einem Nachteil geführt hatte,
der auszugleichen war (Urteil des Gerichtshofes vom 5. März 1980 in der
Rechtssache 76/79, Könecke/Kommission, Slg. 1980, 665, Randnr. 15). Durch den
Erlaß der Verordnung Nr. 2055/93 konnte das Unrecht, das der Klägerin nach dem
Urteil Ecroyd durch die Anwendung der Antikumulierungsvorschrift zugefügt
worden war, nämlich nicht wiedergutgemacht werden. Die Verordnung Nr. 2055/93
ermöglichte es, unter bestimmten Voraussetzungen eine spezifische Referenzmenge
den Erzeugern zuzuteilen, denen sie rechtswidrig verweigert worden war, sie sollte
aber nicht die Nachteile ausgleichen, die diese Erzeuger wegen der Anwendung
dieser Vorschrift bereits erlitten hatten.
- 56.
- Die Kommission ist folglich zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, daß die
Gemeinschaft nicht mehr verpflichtet sei, konkrete Maßnahmen zur
Wiedergutmachung der gegenüber der Klägerin begangenen und im Urteil Ecroyd
festgestellten Rechtsverletzung zu erlassen. Es ist nicht Sache des Gerichts, anstelle
der Kommission die konkreten Maßnahmen festzulegen, die diese hätte treffen
müssen. Die Verpflichtung der Organe, die erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, um die vom Gemeinschaftsrichter festgestellten rechtswidrigen Zustände
zu beseitigen, geht nämlich nicht nur dahin, daß sie die unbedingt erforderlichen
gesetzgeberischen oder Verwaltungsmaßnahmen zu erlassen haben, sondern auch
dahin, daß sie den Schaden wiedergutzumachen haben, der sich aus dem
rechtswidrigen Verhalten ergibt, sofern die Voraussetzungen des Artikels 288
Absatz 2 EG (früher Artikel 215 Absatz 2), nämlich ein rechtswidriges Verhalten,
ein Schaden und ein Kausalzusammenhang, vorliegen (Urteil des Gerichtshofes
vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-412/94 P, Slg. 1994, I-3757, Randnr. 24;
Urteil des Gerichts vom 8. Oktober 1992 in der Rechtssache T-84/91,
Meskens/Parlament, Slg. 1992, II-2335, Randnrn. 78 und 79). Daher hätte die
Kommission von sich aus zu einer Entschädigung der Klägerin tätig werden können.
Die Erfüllung der Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der
Gemeinschaft läßt sich nämlich aus dem Urteil Ecroyd ableiten, wenn man es in
Verbindung mit der „Milchquoten“-Rechtsprechung liest.
- 57.
- Zunächst war die Ungültigkeit der Antikumulierungsvorschrift vom Gerichtshof
wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes festgestellt
worden (Urteil Wehrs, Randnr. 14), der eine die einzelnen schützende
höherrangige Rechtsnorm darstellt (siehe u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 19.
Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 und C-37/90, Mulder
u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061, Randnr. 15). Diese vom Gerichtshof
erneut im Urteil Ecroyd festgestellte Ungültigkeit stellte folglich eine hinreichend
qualifizierte Rechtsverletzung dar, die geeignet ist, die außervertragliche Haftung
der Gemeinschaft auszulösen (wie dies durch das Urteil des Gerichts vom 9.
September 1997 in den verbundenen Rechtssachen T-195/94 und T-202/94, Quiller
und Heusmann/Rat und Kommission, Slg. 1997, II-2247, Randnrn. 53 bis 57,
bestätigt worden ist).
- 58.
- Was das Vorliegen eines Schadens und eines Kausalzusammenhangs angeht, ist
sodann festzuhalten, daß die Lage der Ecroyd Ltd nach den Entscheidungsgründen
des Urteils Ecroyd bei Stellung der Quotenanträge in den Jahren 1989 und 1991
der Lage eines Übernehmers einer aufgrund der Verordnung Nr. 1078/77
gewährten Prämie, der eine Referenzmenge nach Artikel 2 der Verordnung Nr.
857/84 erhalten hat, gleichgestellt werden konnte (Randnr. 62 des Urteils). Es ist
darüber hinaus unstreitig, daß die Ecroyd Ltd im Urteil Ecroyd sowohl in den
Entscheidungsgründen als auch im Urteilstenor als Milcherzeugerin im Sinne der
Gemeinschaftsregelung qualifiziert wird. Diese Feststellungen widerlegen im
wesentlichen die Begründungen der ablehnenden Entscheidungen über die Quoten
(siehe oben, Randnr. 22) und zeigen damit, daß ein Kausalzusammenhang zwischen
der rechtswidrigen Antikumulierungsvorschrift und diesen ablehnenden
Entscheidungen besteht. Daß die Verweigerung einer Quote für einen
Milcherzeuger von Nachteil ist, kann im übrigen vernünftigerweise nicht bestritten
werden, erst recht wenn dieser Erzeuger oder sein Nachfolger, wie es hier der Fall
ist, die Vermarktung von Milch später wiederaufgenommen und damit gezeigt hat,
daß er die Milcherzeugung nicht aufgegeben hat (siehe dazu Urteil Mulder
u. a./Rat und Kommission, Randnr. 23).
- 59.
- Nach alledem hat die Kommission dadurch, daß sie es abgelehnt hat, zur
Durchführung des Urteils Ecroyd tätig zu werden, ihre Verpflichtung verletzt,
gegenüber der Klägerin die konkreten Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich
sind, um den vom Gerichtshof festgestellten rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
Kosten
- 60.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem
Vorbringen unterlegen ist und die Klägerin beantragt hat, der Kommission die
Kosten aufzuerlegen, sind dieser ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin
aufzuerlegen.
- 61.
- Nach Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung trägt das Vereinigte Königreich
Großbritannien und Nordirland seine eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung der Kommission vom 16. Mai 1997, mit der diese es
abgelehnt hat, zur Durchführung des Urteils des Gerichtshofes vom 6. Juni
1996 in der Rechtssache C-127/94, Ecroyd, tätig zu werden, wird
aufgehoben.
2. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin.
3. Das Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.
Moura RamosTiili
Mengozzi
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Mai 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
R. M. Moura Ramos