Language of document : ECLI:EU:C:2023:1026

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

21. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 2 Abs. 2 Buchst. b – Anwendungsbereich – Ausschluss von Finanzdienstleistungen – Langfristige Vermietung von Kraftfahrzeugen – Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 und 2 – Dienstleistungen, die einer vorherigen Genehmigung bedürfen“

In der Rechtssache C‑278/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb, Kroatien) mit Entscheidung vom 12. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2022, in dem Verfahren

AUTOTECHNICA FLEET SERVICES d.o.o., vormals ANTERRA d.o.o.,

gegen

Hrvatska agencija za nadzor financijskih usluga

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Fünften Kammer sowie der Richter M. Ilešič, I. Jarukaitis und D. Gratsias (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der AUTOTECHNICA FLEET SERVICES d.o.o., vertreten durch G. Božić, Odvjetnik, A. Komninos, Dikigoros, D. Simeunović, Odvjetnica, und J. Tomas, Odvjetnik,

–        der Hrvatska agencija za nadzor financijskih usluga, vertreten durch K. Brkljačić und I. Budiša,

–        der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Auvret, M. Mataija, R. Mrljić, A. Nijenhuis und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV, von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) sowie von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AUTOTECHNICA FLEET SERVICES d.o.o., vormals ANTERRA d.o.o. (im Folgenden: Autotechnica), und der Hrvatska agencija za nadzor financijskih usluga Republike Hrvatske (Kroatische Agentur für die Finanzdienstleistungsaufsicht der Republik Kroatien, im Folgenden: Agentur) wegen eines Bescheids, mit dem Autotechnica untersagt wurde, Leasingleistungen ohne vorherige Genehmigung der Agentur zu erbringen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2006/123

3        In den Erwägungsgründen 18, 33 und 54 der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„(18)      Finanzdienstleistungen sollten aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein, da diese Tätigkeiten Gegenstand besonderer Gemeinschaftsrechtsvorschriften sind, die wie die vorliegende Richtlinie darauf abzielen, einen wirklichen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu schaffen. Folglich sollte dieser Ausschluss für alle Finanzdienstleistungen wie Bankdienstleistungen, Kreditgewährung, Versicherung, einschließlich Rückversicherung, betriebliche oder individuelle Altersversorgung, Wertpapiere, Geldanlagen, Zahlungen und Anlageberatung, einschließlich der in Anhang I der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute [(ABl. 2006, L 177, S. 1)] aufgeführten Dienstleistungen gelten.

(33)      Die von dieser Richtlinie erfassten Dienstleistungen umfassen einen weiten Bereich von Tätigkeiten, die einem ständigen Wandel unterworfen sind … Die von dieser Richtlinie erfassten Dienstleistungen umfassen ferner Dienstleistungen, die sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher angeboten werden, wie etwa … die Vermietung von Kraftfahrzeugen …

(54)      Die Möglichkeit zur Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit sollte nur von einer Genehmigung der zuständigen Behörde abhängig gemacht werden, wenn diese Entscheidung nicht diskriminierend sowie notwendig und verhältnismäßig ist. Demnach sollten Genehmigungsregelungen insbesondere nur zulässig sein, wenn eine nachträgliche Kontrolle nicht gleich wirksam wäre, weil Mängel der betreffenden Dienstleistung später nicht festgestellt werden können, wobei die Risiken und Gefahren zu berücksichtigen sind, die sich aus dem Verzicht auf eine Vorabkontrolle ergeben könnten. …“

4        Wie in Art. 1 Abs. 1 ausgeführt, enthält diese Richtlinie allgemeine Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.

5        Art. 2 der Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1) Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2) Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

b)      Finanzdienstleistungen wie Bankdienstleistungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung und Rückversicherung, betrieblicher oder individueller Altersversorgung, Wertpapieren, Geldanlagen, Zahlungen, Anlageberatung, einschließlich der in Anhang I der Richtlinie [2006/48] aufgeführten Dienstleistungen;

…“

6        In Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

1.      ‚Dienstleistung‘ jede von Artikel [57 AEUV] erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird;

6.      ‚Genehmigungsregelung‘ jedes Verfahren, das einen Dienstleistungserbringer oder ‑empfänger verpflichtet, bei einer zuständigen Behörde eine förmliche oder stillschweigende Entscheidung über die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu erwirken;

8.      ‚zwingende Gründe des Allgemeininteresses‘ Gründe, die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als solche anerkannt hat, einschließlich folgender Gründe: öffentliche Ordnung; öffentliche Sicherheit; Sicherheit der Bevölkerung; öffentliche Gesundheit; Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherung; Schutz der Verbraucher, der Dienstleistungsempfänger und der Arbeitnehmer; Lauterkeit des Handelsverkehrs; Betrugsbekämpfung; Schutz der Umwelt und der städtischen Umwelt; Tierschutz; geistiges Eigentum; Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes; Ziele der Sozialpolitik und Ziele der Kulturpolitik;

…“

7        Art. 9 („Genehmigungsregelungen“) der Richtlinie 2006/123 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann Genehmigungsregelungen unterwerfen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      [D]ie Genehmigungsregelungen sind für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend;

b)      die Genehmigungsregelungen sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt;

c)      das angestrebte Ziel kann nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

(3)      Dieser Abschnitt gilt nicht für diejenigen Aspekte der Genehmigungsregelungen, die direkt oder indirekt durch andere Gemeinschaftsrechtsakte geregelt sind.“

8        Art. 10 („Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung“) Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Genehmigungsregelungen müssen auf Kriterien beruhen, die eine willkürliche Ausübung des Ermessens der zuständigen Behörden verhindern.

(2)      Die in Absatz 1 genannten Kriterien müssen:

a)      nicht diskriminierend sein;

b)      durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)      in Bezug auf diesen Grund des Allgemeininteresses verhältnismäßig sein;

d)      klar und unzweideutig sein;

e)      objektiv sein;

f)      im Voraus bekannt gemacht werden;

g)      transparent und zugänglich sein.“

9        Die Art. 11 bis 13 der Richtlinie betreffen die Geltungsdauer der Genehmigung, die Auswahl zwischen mehreren Bewerbern und die Genehmigungsverfahren.

 Richtlinie 2013/36/EU

10      Gemäß Art. 163 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) wurde die Richtlinie 2006/48 aufgehoben. Diesem Art. 163 ist in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 2013/36 zu entnehmen, dass die Verweisungen auf Anhang I der Richtlinie 2006/48 als Verweisungen auf Anhang I der Richtlinie 2013/36 gelten. Letzterer Anhang I („Liste der Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt“) führt in seiner Nr. 3 das „Finanzierungsleasing“ auf.

 Verordnung Nr. 575/2013

11      Art. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 betrifft die einheitlichen Regeln für allgemeine Aufsichtsanforderungen, die im Rahmen der Richtlinie 2013/36 beaufsichtigte Institute erfüllen müssen.

12      Der Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Richtlinie wird in deren Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 definiert.

 Kroatisches Recht

 Gesetz über die kroatische Agentur für Finanzdienstleistungsaufsicht

13      Art. 15 Nr. 1 des Zakon o Hrvatskoj agenciji za nadzor financijskih usluga (Gesetz über die kroatische Agentur für Finanzdienstleistungsaufsicht) (Narodne novine, Nrn. 140/05, 154/11 und 12/12) bestimmt, dass die Agentur befugt ist, Durchführungsvorschriften, d. h. Vorschriften insbesondere über Finanzdienstleistungen, zu erlassen. Nach Art. 15 Nr. 2 ist die Agentur befugt, die Tätigkeiten der in Art. 15 Nr. 1 genannten beaufsichtigten Unternehmen zu überwachen und Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Rechtswidrigkeiten und Unregelmäßigkeiten zu ergreifen.

 Leasinggesetz

14      Nach Art. 2 Abs. 4 des Zakon o leasingu (Leasinggesetz) (Narodne novine, Nr. 141/13) ist eine „Leasinggesellschaft“ eines Mitgliedstaats eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene juristische Person, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats berechtigt ist, Leasinggeschäfte durchzuführen.

15      Nach Art. 3 Abs. 1 dieses Gesetzes ist eine „Leasinggesellschaft“ eine Handelsgesellschaft mit Sitz in Kroatien, die im Gerichtsregister auf der Grundlage einer von der Agentur nach Maßgabe dieses Gesetzes erteilten Genehmigung für die Erbringung von Leasingleistungen eingetragen ist.

16      Gemäß Art. 4 Abs. 1 dieses Gesetzes ist ein Leasinggeschäft ein Rechtsgeschäft, bei dem der Leasinggeber den Leasinggegenstand in der Weise beschafft, dass er von demjenigen, der den Leasinggegenstand zur Verfügung stellt, das Eigentum an diesem Gegenstand durch Kauf erwirbt, und dem Leasingnehmer den Leasinggegenstand für eine bestimmte Zeit zur Nutzung überlässt, wobei sich dieser dafür zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet.

17      Nach Art. 5 Abs. 1 des Leasinggesetzes kann ein Leasinggeschäft in Abhängigkeit von seinem Inhalt und seiner Merkmale entweder ein Finanzierungsleasing (financijski leasing) oder ein operatives Leasing (operativni leasing) sein.

18      Das „Finanzierungsleasing“ wird in Art. 5 Abs. 2 des Leasinggesetzes als ein Rechtsgeschäft definiert, bei dem der Leasingnehmer dem Leasinggeber während der Zeit der Nutzung des Leasinggegenstands ein unter Berücksichtigung des Gesamtwerts dieses Gegenstands vereinbartes Entgelt zahlt, die Amortisationskosten des Leasinggegenstands trägt und durch eine Kaufoption das Eigentum an diesem Gegenstand zu einem bestimmten Preis erwerben kann, der zum Zeitpunkt der Ausübung dieser Kaufoption unter dem tatsächlichen Wert des Leasinggegenstands liegt, den er zu diesem Zeitpunkt hat, wobei die Risiken und die Vorteile im Zusammenhang mit dem Eigentum am Leasinggegenstand größtenteils auf den Leasingnehmer übertragen werden.

19      Nach Art. 5 Abs. 3 des Leasinggesetzes ist das „operative Leasinggeschäft“ ein Rechtsgeschäft, bei dem der Leasingnehmer dem Leasinggeber während der Zeit der Nutzung des Leasinggegenstands ein bestimmtes, nicht notwendigerweise unter Berücksichtigung des Gesamtwerts des Leasinggegenstands vereinbartes Entgelt zahlt, der Leasinggeber die Amortisationskosten dieses Gegenstands trägt und der Leasingnehmer keine vertraglich vereinbarte Kaufoption hat, wobei die Risiken und die Vorteile im Zusammenhang mit dem Eigentum am Leasinggegenstand größtenteils beim Leasinggeber verbleiben, d. h., nicht auf den Leasingnehmer übertragen werden.

20      Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Leasinggesetzes kann eine Leasinggesellschaft im Sinne von Art. 3 dieses Gesetzes, eine Leasinggesellschaft eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 46 dieses Gesetzes und eine Zweigniederlassung einer Leasinggesellschaft eines Drittstaats im Sinne von Art. 48 dieses Gesetzes Leasingleistungen erbringen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21      Autotechnica ist eine in Kroatien eingetragene Gesellschaft, die Leistungen im Bereich „Verleasen von Kraftfahrzeugen“, „Vermieten von Pkw oder Lkw (mit und ohne Fahrer) und Verleasen von Pkw oder Lkw“ sowie „Vermieten und Verleasen von Fahrrädern, Motorrollern u. Ä.“ erbringt. Sie ist Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, die in diesem Mitgliedstaat gleichartige Dienstleistungen erbringt.

22      Bei einer Kontrolle der Autotechnica stellte die Agentur fest, dass dieses Unternehmen drei langfristige Mietverträge für insgesamt vier Fahrzeuge abgeschlossen hatte, wobei sie die Fahrzeuge später auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Kunden vom Lieferanten käuflich erwarb, wodurch sie deren Eigentümerin wurde, und sodann den Kunden zur Nutzung überließ.

23      Die Agentur ging auf der Grundlage dieses Sachverhalts davon aus, dass Autotechnica Leasingleistungen ohne gültige Genehmigung erbracht habe. Mit Bescheid vom 14. Februar 2019 untersagte sie Autotechnica daher die Erbringung dieser Leistungen.

24      Gegen diesen Bescheid erhob Autotechnica Klage auf Nichtigerklärung beim Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb, Kroatien). Sie macht eine Verletzung der Rechte, die ihr aus dem Unionsrecht erwüchsen, geltend und führt hierzu aus, dass die Republik Kroatien das operative Leasing nicht als Finanzdienstleistung behandeln dürfe und die Erbringung dieser Leistungen somit nicht der Aufsicht der Agentur unterliege.

25      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Anhang I der Richtlinie 2013/36 in seiner kroatischen Sprachfassung nur auf das „financijski lizing (Finanzierungsleasing)“ Bezug nehme und nicht das „operativni lizing (operatives Leasing)“ erfasse, auf das daher im Umkehrschluss die Bestimmungen der Richtlinie 2006/123 anzuwenden seien. Die Richtlinie 2006/123 erfasse nach ihrem 33. Erwägungsgrund und ihrem Art. 2 einen weiten Bereich von Dienstleistungen, einschließlich des Vermietens von Kraftfahrzeugen, das als operatives Leasing angesehen werden könne.

26      Das vorlegende Gericht führt ergänzend aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende kroatische Regelung geeignet sei, Autotechnica und in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen, die sich in Kroatien geschäftlich niederlassen wollten, daran zu hindern oder davon abzuhalten, geschäftliche Tätigkeiten im Bereich der Vermietung oder des operativen Leasings auszuüben, so dass diese Regelung möglicherweise mit den Anforderungen nach Art. 49 AEUV nicht vereinbar sei.

27      Unter diesen Umständen hat der Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      a)      Fallen Dienstleistungen des operativen Leasings und/oder der Langzeitvermietung von Kraftfahrzeugen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123, wie er sich aus dem Handbuch zur Umsetzung der Richtlinie 2006/123 vom 13. März 2008 ergibt, das von der Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen der Europäischen Kommission erstellt worden ist?

b)      Ist ein Wirtschaftssubjekt, das die Tätigkeit des operativen Leasings (jedoch nicht des Finanzierungsleasings) und/oder die Tätigkeit der Langzeitvermietung von Kraftfahrzeugen ausübt, als Finanzinstitut im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 anzusehen?

2.      Bei Bejahung der ersten Teilfrage und Verneinung der zweiten Teilfrage: Steht Art. 49 AEUV in Verbindung mit den Art. 9 bis 13 der Richtlinie 2006/123 dem entgegen, dass die Agentur befugt ist, die Aufsicht über die Erbringung von operativen Leasingleistungen und/oder Leistungen der Langzeitvermietung von Kraftfahrzeugen auszuüben, wobei sie diese Aufgabe nach Art. 6 Abs. 1 des Zakon o leasingu (Leasinggesetz) wahrnimmt, sowie befugt ist, auf diesem Gebiet tätigen Unternehmern zusätzliche Anforderungen und Beschränkungen aufzuerlegen?

3.      Sind Art. 49 AEUV und die Art. 9 bis 13 der Richtlinie 2006/123 unter Umständen wie denen dieses Rechtsstreits, die darin bestehen, dass die in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft über eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gleichartige Dienstleistungen wie im Sitzmitgliedstaat erbringen möchte, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung (Zakon o leasingu [Leasinggesetz]) nicht entgegenstehen, wonach der Tochtergesellschaft zusätzliche Anforderungen und Beschränkungen auferlegt werden können, wodurch die Erbringung dieser Dienstleistungen erschwert und/oder weniger attraktiv gemacht wird?

 Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

28      In ihren Erklärungen haben die Agentur und die kroatische Regierung Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung geäußert, dass die Merkmale der Ausgangsrechtssache sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats, im vorliegenden Fall der Republik Kroatien, hinauswiesen.

29      Erstens geht in Bezug auf Art. 49 AEUV aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die in diesem Artikel verankerte Niederlassungsfreiheit für die im Einklang mit den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Europäischen Union haben, mit dem Recht nach Art. 54 AEUV verbunden ist, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch u. a. eine Tochtergesellschaft auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2021, Lexel, C‑484/19, EU:C:2021:34, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall steht fest, dass Autotechnica die Tochtergesellschaft einer in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Kroatien gegründeten Gesellschaft ist. Daher kann weder behauptet werden, dass die Merkmale des Ausgangsrechtsstreits sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, noch, dass die zweite und die dritte Frage, soweit sie Art. 49 AEUV betreffen, hypothetischer Natur sind. Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf Art. 49 AEUV zulässig.

31      Zweitens kann das Vorabentscheidungsersuchen auch nicht für unzulässig erklärt werden, soweit es die Richtlinie 2006/123 betrifft. Denn jedenfalls sind die Art. 9 bis 13 dieser Richtlinie, die in der zweiten und der dritten Vorlagefrage genannt werden, auch auf einen Sachverhalt anwendbar, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2019, Kirschstein (C‑393/17, EU:C:2019:563, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt, enthalten muss, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen (Urteil vom 26. Januar 2023, Ministerstvo na vatreshnite raboti [Registrierung biometrischer und genetischer Daten durch die Polizei], C‑205/21, EU:C:2023:49, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht dieser Verpflichtung in Bezug auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013, auf den sich der zweite Teil der ersten Frage bezieht, nicht nachgekommen. Das vorlegende Gericht hat nämlich in keiner Weise erläutert, welchen Zusammenhang es zwischen dieser Bestimmung und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

34      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Finanzinstitut“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung definiert wird, die, wie es in ihrem Art. 1 heißt, einheitliche Regeln für allgemeine Aufsichtsanforderungen festlegt, die im Rahmen der Richtlinie 2013/36 beaufsichtigte Institute erfüllen müssen. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch nicht hervor, dass das Ausgangsverfahren die Erfüllung dieser Anforderungen betrifft.

35      Daraus folgt, dass der zweite Teil der ersten Frage unzulässig ist.

 Zu den Vorlagefragen

 Zum ersten Teil der ersten Frage

36      Soweit sich der Wortlaut des ersten Teils der ersten Frage auf „Dienstleistungen des operativen Leasings und/oder der Langzeitvermietung von Kraftfahrzeugen“ bezieht, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das nationale Recht, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, zwischen einem operativen Leasing und einem Finanzierungsleasing unterscheidet. Im Unterschied zu Letzterem stelle das operative Leasing eine besondere Form der Vermietung von Kraftfahrzeugen dar, die dadurch gekennzeichnet sei, dass der Leasinggeber das vermietete Objekt auf Wunsch des Leasingnehmers erwerbe und Letzterem gegen Entgelt überlasse, bei denen der Gesamtwert des Gegenstands nicht berücksichtigt werde, da dessen Amortisationskosten nicht vom Leasingnehmer getragen würden, der auch am Ende des Mietzeitraums keine Kaufoption habe.

37      Mit dem ersten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen ist, dass Dienstleistungen, die im Rahmen eines langfristigen Mietvertrags über ein Kraftfahrzeug erbracht werden, das der Leasinggeber auf Wunsch des Leasingnehmers zu dem Zweck erworben hat, es Letzterem gegen Entgelt zu überlassen, „Finanzdienstleistungen“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

38      Aus Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 geht hervor, dass diese Richtlinie keine Anwendung auf Finanzdienstleistungen wie Dienstleistungen u. a. im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, einschließlich der in Anhang I der Richtlinie 2006/48 aufgeführten Dienstleistungen, findet.

39      Zum Begriff „Finanzdienstleistungen“ ist darauf hinzuweisen, dass er weder in dieser Richtlinie noch mittelbar durch einen Verweis auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten definiert wird. Daher ist bei diesem Begriff davon auszugehen, dass es sich bei ihm um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, der im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123, sondern auch der Zusammenhang, in den sich diese Bestimmung einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Erstens ist, soweit diese Bestimmung unter den in ihr aufgeführten Beispielen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Kreditgewährung nennt, festzustellen, dass die Richtlinie 2006/123 keine Definition des Begriffs „Kreditgewährung“ enthält. Im gewöhnlichen juristischen Sprachgebrauch bezeichnet dieser Begriff jedoch die Bereitstellung eines Geldbetrags oder von Zahlungsfristen oder Finanzierungshilfen durch den Kreditgeber an den Kreditnehmer zur Finanzierung oder zum Zahlungsaufschub, so dass unter einem Kreditvertrag ein Vertrag zu verstehen ist, bei dem ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form einer Zahlungsfrist, eines Darlehens oder jeder anderen vergleichbaren Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht (Urteil vom heutigen Tag, BMW u. a., C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21, Rn. 144).

41      Folglich ist ein Vertrag über eine Finanzdienstleistung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung dadurch gekennzeichnet, dass er mit einer Finanzierung oder aufgeschobenen Zahlung in Form von Mitteln, Zahlungsfristen oder Finanzierungshilfen in Zusammenhang steht, die der Unternehmer dem Verbraucher zu diesem Zweck zur Verfügung stellt (Urteil vom heutigen Tag, BMW u. a., C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21, Rn. 145).

42      Um zu klären, ob ein langfristiger Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung steht und damit die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 betrifft, ist bei der Prüfung, ob das Kreditelement gegenüber dem Mietelement überwiegt oder umgekehrt, auf seinen Hauptzweck abzustellen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, BMW u. a., C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21, Rn. 147).

43      Somit kann ein langfristiger Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug, in dessen Rahmen der Verbraucher als Gegenleistung für das Recht zur Nutzung des Fahrzeugs eine Miete zu zahlen hat, nicht als „Vertrag über eine Finanzdienstleistung“ eingestuft werden, vorausgesetzt, der Vertrag sieht keine Pflicht zum Kauf des Fahrzeugs am Ende der Leasingzeit vor, der Verbraucher hat nicht die Vollamortisation der Kosten zu tragen, die demjenigen, der das Fahrzeug zur Verfügung stellt, für dessen Erwerb entstanden sind, und er trägt nicht die Risiken, die mit dem Restwert des Fahrzeugs bei Vertragsende verbunden sind. Auch die Verpflichtung des Verbrauchers, den Wertverlust des Fahrzeugs auszugleichen, wenn bei seiner Rückgabe festgestellt wird, dass es sich nicht in einem seinem Alter entsprechenden Zustand befindet oder dass die vereinbarte Höchstfahrleistung überschritten wurde, ermöglicht keine Unterscheidung zwischen diesen Vertragstypen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, BMW u. a., C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21, Rn. 148 und 149).

44      Zweitens ist auch Anhang I der Richtlinie 2013/36 zu berücksichtigen, auf den Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 verweist. In Nr. 3 dieses Anhangs I wird unter den Finanzdienstleistungen das „Finanzierungsleasing“ genannt.

45      Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 2013/36 den Begriff „Finanzierungsleasing“ weder definiert noch für die Bestimmung des Sinnes oder der Tragweite dieses Begriffs auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist. Daher ist nach der in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung bei diesem Begriff davon auszugehen, dass er als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen ist, der im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist. Somit schließt der bloße Umstand, dass ein langfristiger Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug nicht unter den Begriff „Finanzierungsleasing“ im Sinne der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung fällt, für sich genommen nicht aus, dass dieser Vertrag einen Leasingvertrag im Sinne von Anhang I Nr. 3 der Richtlinie 2013/36 darstellt und somit die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 betrifft.

46      Der Begriff „Finanzierungsleasing“ in Anhang I Nr. 3 der Richtlinie 2013/36 ist daher unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im gewöhnlichen juristischen Sprachgebrauch auszulegen, in dem der Begriff „Leasingvertrag“ einen Vertrag umfasst, mit dem eine der Parteien der anderen Partei einen Kredit zur Finanzierung der Nutzung eines Gegenstands, dessen Eigentümerin sie bleibt und den die andere Partei bei Vertragsende zurückgeben oder kaufen kann, im Wege der Miete gewährt, wobei die meisten mit dem rechtlichen Eigentum verbundenen Chancen und Risiken während der gesamten Laufzeit des Vertrags auf die andere Partei übergehen (Urteil vom heutigen Tag, BMW u. a., C‑38/21, C‑47/21 und C‑232/21, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Was drittens den Zusammenhang betrifft, in dem Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 steht, ist auf den 33. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hinzuweisen, aus dem hervorgeht, dass die Vermietung von Kraftfahrzeugen eine Dienstleistung darstellt, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt und daher nicht als „Finanzdienstleistung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie eingestuft werden kann.

48      Was viertens das Ziel betrifft, das mit dem Ausschluss von Finanzdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123 gemäß deren Art. 2 Abs. 2 Buchst. b verfolgt wird, ergibt sich aus dem 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass dieser Ausschluss dadurch gerechtfertigt ist, dass diese Tätigkeiten Gegenstand besonderer Unionsvorschriften sind. Wie aus der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 hervorgeht, die Teil dieser besonderen Vorschriften sind, sehen Letztere die Beaufsichtigung der Erbringung von Finanzdienstleistungen durch bestimmte Arten von Instituten vor und legen Aufsichtsanforderungen fest, denen diese Institute genügen müssen.

49      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich das Leasing, handle es sich nun um operatives Leasing oder Finanzierungsleasing, im nationalen Recht dadurch von einem einfachen langfristigen Mietvertrag unterscheidet, dass der Vermieter nicht der ursprüngliche Eigentümer des vermieteten Gegenstands ist, sondern diesen auf Wunsch des Leasingnehmers erwirbt, gerade um ihn an diesen zu vermieten.

50      Zwar erwirbt der Leasinggeber im Rahmen eines Leasinggeschäfts das Eigentum an einem Gegenstand und vermietet ihn dann an den Leasingnehmer, wobei das nach dem Leasingvertrag geschuldete Entgelt der Rückzahlung der vom Leasinggeber zur Verfügung gestellten Mittel dient.

51      Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass jeder langfristige Mietvertrag über ein Kraftfahrzeug, das der Leasinggeber auf Wunsch des Leasingnehmers erworben hat, um es an diesen zu vermieten, zwangsläufig einen Leasingvertrag darstellt, der die Erbringung einer „Finanzdienstleistung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 zum Gegenstand hat. Der Erwerb des Fahrzeugs durch den Leasinggeber auf besonderen Wunsch seines Kunden hat nämlich für sich genommen keinen Einfluss auf die Frage, ob die im Rahmen dieses Vertrags erbrachten Dienstleistungen das eine oder das andere der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils genannten relevanten Kriterien erfüllen, um als Finanzdienstleistungen eingestuft zu werden.

52      Außerdem ist in Anbetracht der Ausführungen in Rn. 43 des vorliegenden Urteils darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer Kaufoption im langfristigen Mietvertrag über ein Fahrzeug für sich allein nicht als ausreichend angesehen werden kann, um die im Rahmen dieses Vertrags erbrachten Dienstleistungen nicht als „Finanzdienstleistungen“ anzusehen.

53      Je nach Art des vermieteten Gegenstands und nach seinem Wertminderungssatz ist es nämlich möglich, dass dieser Gegenstand nach einer langfristigen Vermietung nahezu seinen gesamten Wert verloren haben wird, so dass der Mieter kein Interesse daran haben wird, sein Eigentümer zu werden.

54      Nach alledem ist auf den ersten Teil der ersten Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen ist, dass Dienstleistungen, die im Rahmen eines langfristigen Mietvertrags über ein Kraftfahrzeug erbracht werden, das der Leasinggeber auf Wunsch des Leasingnehmers zu dem Zweck erworben hat, es Letzterem gegen Entgelt zu überlassen, keine „Finanzdienstleistungen“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen, es sei denn:

–        Der Mietvertrag ist mit der Verpflichtung verbunden, das Fahrzeug am Ende des Mietzeitraums zu kaufen,

–        das vom Leasingnehmer aufgrund dieses Vertrags geleistete Entgelt soll es dem Leasinggeber ermöglichen, die Kosten, die ihm durch den Erwerb des Fahrzeugs entstanden sind, vollständig zu amortisieren, oder

–        dieser Vertrag umfasst eine Übertragung der mit dem Restwert des Fahrzeugs am Ende der Vertragslaufzeit verbundenen Risiken.

 Zur zweiten Frage

55      Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zum einen zu entnehmen, dass jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf Unionsebene abschließend harmonisiert wurde, nicht anhand der Bestimmungen des Primärrechts, sondern anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme zu beurteilen ist, und zum anderen, dass mit den Art. 9 bis 13 der Richtlinie 2006/123 eine abschließende Harmonisierung in Bezug auf die in ihren Anwendungsbereich fallenden Dienstleistungen vorgenommen wird (Urteil vom 14. Juli 2016, Promoimpresa u. a., C‑458/14 und C‑67/15, EU:C:2016:558, Rn. 59 und 61). Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die zweite Frage anhand dieser Richtlinie zu prüfen, ohne dass es erforderlich wäre, auf Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit Bezug zu nehmen.

56      Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegenstehen, die eine Genehmigungsregelung im Sinne von Art. 4 Nr. 6 dieser Richtlinie für die langfristige Vermietung von Kraftfahrzeugen einführt und die mit der Durchführung dieser Regelung betraute nationale Behörde ermächtigt, den Unternehmen, die solche Dienstleistungen erbringen, Anforderungen und Beschränkungen aufzuerlegen.

57      Zunächst ist klarzustellen, dass die zweite Frage, wie ihr Wortlaut bestätigt, die Erbringung von Dienstleistungen der langfristigen Vermietung von Kraftfahrzeugen betrifft und nicht Finanzdienstleistungen, die im Rahmen eines Vertrags über eine solche Vermietung erbracht werden. Solche Tätigkeiten sind nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123 ausgenommen.

58      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 die Mitgliedstaaten die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur dann einer Genehmigungsregelung unterwerfen dürfen, wenn diese Genehmigungsregelung für den betreffenden Dienstleistungserbringer nicht diskriminierend ist, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und das angestrebte Ziel nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, insbesondere weil eine nachträgliche Kontrolle zu spät erfolgen würde, um wirksam zu sein.

59      Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung erfüllt sind, soweit diese die Erbringung von Dienstleistungen der langfristigen Vermietung von Fahrzeugen betrifft, die keine Finanzdienstleistung darstellen.

60      Um dem vorlegenden Gericht bei seiner Beurteilung eine Richtung vorzugeben, ist erstens darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge festgestellt hat, die dem Gerichtshof vorliegende Akte keinen Anhaltspunkt dafür enthält, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung Autotechnica diskriminiert. Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, gegebenenfalls die erforderlichen Prüfungen vorzunehmen.

61      Zweitens haben die Agentur und die kroatische Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geltend gemacht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung dem Schutz der Verbraucher diene. Wie sich aus Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2006/123 ergibt, stellt der Schutz der Verbraucher einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der zur Rechtfertigung einer Genehmigungsregelung gemäß Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie angeführt werden kann.

62      Gleichwohl ist nicht ersichtlich, dass das kroatische Recht die Ausübung von Tätigkeiten, die der langfristigen Vermietung von Kraftfahrzeugen ähneln, insbesondere die kurzfristige Vermietung solcher Fahrzeuge, einer Genehmigungsregelung unterwirft. Hierzu ist festzustellen, dass weder die Agentur noch die kroatische Regierung in ihren Erklärungen Gründe angeführt haben, die diese besondere Behandlung allein der Dienstleistungen der langfristigen Vermietung von Kraftfahrzeugen rechtfertigen könnten.

63      Außerdem ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung von der Agentur durchgeführt wird, die nach nationalem Recht befugt ist, die Finanztätigkeiten zu beaufsichtigen. Die Agentur und die kroatische Regierung haben in ihren Erklärungen aber auch keine möglichen Rechtfertigungsgründe dafür angeführt, dass eine Genehmigungsregelung, die die Erbringung von Dienstleistungen erfasst, bei denen es sich nicht um Finanzdienstleistungen handelt, durch eine solche nationale Behörde durchgeführt wird.

64      Daher wird das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung nur die langfristige Vermietung von Kraftfahrzeugen, nicht aber andere, ähnliche Dienstleistungen erfasst, und des Umstands, dass diese Regelung von einer mit der Aufsicht über die Finanzdienstleistungen betrauten nationalen Behörde durchgeführt wird, zu prüfen haben, ob bei dieser Regelung davon ausgegangen werden kann, dass sie durch die Verfolgung des Zieles des Schutzes der Verbraucher gerechtfertigt ist.

65      Drittens ist es, selbst wenn dies der Fall sein sollte, noch erforderlich, zu prüfen, ob, wie Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 im Licht ihres 54. Erwägungsgrundes verlangt, das Ziel des Schutzes der Verbraucher im vorliegenden Fall nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, wie z. B. regelmäßige Kontrollen von Unternehmen, die Dienstleistungen der langfristigen Vermietung von Kraftfahrzeugen erbringen.

66      Viertens wird das vorlegende Gericht, wenn sich herausstellt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Genehmigungsregelung die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, noch zu prüfen haben, ob diese Regelung, wie es Art. 10 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie verlangt, auf Kriterien beruht, die dem Ermessen der für ihre Durchführung zuständigen Behörde, im vorliegenden Fall der Agentur, Grenzen setzen; diese Kriterien müssen klar, unzweideutig, transparent und zugänglich, im Voraus bekannt gemacht, objektiv, nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den von der Agentur und der kroatischen Regierung geltend gemachten Schutz der Verbraucher gerechtfertigt und in Bezug auf diesen Grund verhältnismäßig sein.

67      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zum einen eine Genehmigungsregelung im Sinne von Art. 4 Nr. 6 dieser Richtlinie für die langfristige Vermietung von Kraftfahrzeugen im Rahmen eines Vertrags einführt, der nicht die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie umfasst, und zum anderen die mit der Durchführung dieser Regelung betraute nationale Behörde ermächtigt, den Unternehmen, die solche Dienstleistungen erbringen, Anforderungen und Beschränkungen aufzuerlegen, es sei denn, diese Regelung entspricht den Anforderungen gemäß Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie.

 Zur dritten Frage

68      In Anbetracht der Ausführungen in Rn. 55 des vorliegenden Urteils und der Antwort auf die zweite Frage braucht die dritte Frage nicht beantwortet zu werden, da sie einen grenzüberschreitenden Sachverhalt betrifft, der unter Art. 49 AEUV fällt.

 Kosten

69      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt

ist dahin auszulegen, dass

Dienstleistungen, die im Rahmen eines langfristigen Mietvertrags über ein Kraftfahrzeug erbracht werden, das der Leasinggeber auf Wunsch des Leasingnehmers zu dem Zweck erworben hat, es Letzterem gegen Entgelt zu überlassen, keine „Finanzdienstleistungen“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen, es sei denn:

–        Der Mietvertrag ist mit der Verpflichtung verbunden, das Fahrzeug am Ende des Mietzeitraums zu kaufen,

–        das vom Leasingnehmer aufgrund dieses Vertrags geleistete Entgelt soll es dem Leasinggeber ermöglichen, die Kosten, die ihm durch den Erwerb des Fahrzeugs entstanden sind, vollständig zu amortisieren, oder

–        dieser Vertrag umfasst eine Übertragung der mit dem Restwert des Fahrzeugs am Ende der Vertragslaufzeit verbundenen Risiken.

2.      Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/123

sind dahin auszulegen, dass

sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zum einen eine Genehmigungsregelung im Sinne von Art. 4 Nr. 6 dieser Richtlinie für die langfristige Vermietung von Kraftfahrzeugen im Rahmen eines Vertrags einführt, der nicht die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie umfasst, und zum anderen die mit der Durchführung dieser Regelung betraute nationale Behörde ermächtigt, den Unternehmen, die solche Dienstleistungen erbringen, Anforderungen und Beschränkungen aufzuerlegen, es sei denn, diese Regelung entspricht den Anforderungen gemäß Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Kroatisch.