Language of document : ECLI:EU:T:2015:253

Rechtssache T‑135/13

Hitachi Chemical Europe GmbH u. a.

gegen

Europäische Agentur für chemische Stoffe (ECHA)

„REACH – Ermittlung bestimmter Inhalationsallergene als besonders besorgniserregende Stoffe – Anlass zu ebenso großer Besorgnis – Nichtigkeitsklage – Unmittelbare Betroffenheit – Zulässigkeit – Verteidigungsrechte – Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Fünfte Kammer) vom 30. April 2015

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien – Beschluss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), mit dem ein besonders besorgniserregender Stoff ermittelt wurde – Klage gegen den Lieferanten des Stoffes – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 31 Abs. 9 und Art. 59)

2.      Nichtigkeitsklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Natürliche oder juristische Personen – Klage mehrerer Kläger gegen denselben Beschluss – Klagebefugnis einer von ihnen – Zulässigkeit der Klage als Ganzes

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Begriff des Rechtsakts mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV – Handlungen mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte – Beschluss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), mit dem ein besonders besorgniserregender Stoff ermittelt wurde – Einbeziehung – Rechtsakt, der keine Durchführungsmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift des Vertrags enthält

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 Buchst. f und Art. 59)

4.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Liste der in Art. 57 Buchst. f der Verordnung aufgeführten Stoffe – Nicht abschließender Charakter

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, 16. Erwägungsgrund, Art. 57 Buchst. f und Art. 59)

5.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Ermessen der Unionsbehörden – Umfang – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen – Offensichtlicher Fehler, Ermessensmissbrauch oder offensichtliche Überschreitung des Ermessens

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 und 59)

6.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Möglichkeit, die negativen Auswirkungen eines Stoffes durch die Anwendung von Managementmaßnahmen zu beherrschen – Umstand, der nicht die Ermittlung des Stoffes als besonders besorgniserregend hindert – Pflicht der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), eine Beurteilung der Risiken für einen Stoff der Kategorie 1 der Richtlinie 67/548 vorzunehmen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 57 Buchst. a bis f, Art. 58 Abs. 2, Art. 59 Abs. 4, Art. 60 Abs. 2, und Anhang XIV; Richtlinie 67/548 des Rates)

7.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Stoffe, die persistente, bioakkumulierbare und toxische oder sehr persistente und sehr bioakkumulierbare Eigenschaften aufweisen – Pflicht, Informationen über die Ersatzstoffe zu geben – Umfang – Mögliche Auswirkungen solcher Informationen auf einen Beschluss, mit dem ein Stoff als besonders besorgniserregend ermittelt wurde – Grenzen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 59)

8.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Bestimmung, wie besorgniserregend ein Stoff ist – Prüfung von Fall zu Fall in Ermangelung einer Festlegung objektiver Kriterien in der Verordnung – Verletzung der Verteidigungsrechte – Fehlen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, 16. Erwägungsgrund und Art. 57 Buchst. a bis f und Art. 59; Leitlinien zur Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe, Nr. 3.3.3.2)

9.      Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Vom Bewertungsverfahren getrennter und unabhängiger Charakter

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgründe 19 bis 21 und 69 sowie Art. 14, 44 bis 48 und 59)

10.    Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Beschluss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), mit dem Hexahydromethylphthalsäureanhydrid als ein besonders besorgniserregender Stoff ermittelt wurde – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, 16. Erwägungsgrund und Art. 14 Abs. 6, Art. 44 bis 48, 55, 58 Abs. 5, Art. 59 und 69 sowie Anhang XVII)

11.    Rechtsangleichung – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – REACH-Verordnung – Besonders besorgniserregende Stoffe – Ermittlungsverfahren – Einstimmige Einigung des Ausschusses der Mitgliedstaaten – Enthaltung eines Mitgliedstaats – Keine Auswirkung auf einen Beschluss, der durch Einstimmigkeit der anwesenden Mitgliedstaaten zustande gekommen ist

(Art. 238 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 59 Abs. 8; Verfahrensordnung des Ausschusses der Mitgliedstaaten der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), Art. 19 Abs. 1)

1.      Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit einer natürlichen oder juristischen Person im Rahmen einer Klage gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV verlangt erstens, dass sich die beanstandete Maßnahme auf die Rechtsstellung des Betreffenden unmittelbar auswirkt, und zweitens, dass sie den Adressaten dieser Maßnahme, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessens lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Regelung der Europäischen Union ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt.

Ein Beschluss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA), mit dem ein besonders besorgniserregender Stoff nach dem Verfahren des Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe ermittelt wurde, wirkt sich unmittelbar auf die Rechtsstellung der Lieferanten dieses Stoffs aus aufgrund der Verpflichtung, gemäß Art. 31 Abs. 9 dieser Verordnung das Sicherheitsdatenblatt zu aktualisieren. Daher sind Lieferanten von dem Beschluss der ECHA unmittelbar betroffen.

(vgl. Rn. 27, 36 bis 38)

2.      Aus Gründen der Prozessökonomie ist in dem Fall, dass ein Beschluss von mehreren Klägern im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV angefochten wird und einer dieser Kläger erwiesenermaßen klagebefugt ist, die Klagebefugnis der anderen Kläger vom Unionsgericht nicht mehr zu prüfen.

(vgl. Rn. 39)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 40)

4.      Art. 57 Buchst. f der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, der Stoffe betrifft, die die Kriterien der Buchst. d oder e dieses Artikels nicht erfüllen und die im Einzelfall gemäß dem Verfahren des Art. 59 der Verordnung ermittelt werden, schließt nicht aus, dass Inhalationsallergene in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen. Zwar nimmt Art. 57 Buchst. f der Verordnung Nr. 1907/2006 nämlich nicht auf diese Kategorie von Stoffen Bezug; gleichwohl werden die in der genannten Vorschrift ausdrücklich erwähnten Stoffe nur als Beispiel aufgeführt, wie aus dem vom Gesetzgeber verwendeten Ausdruck „wie etwa solche“ hervorgeht. Darüber hinaus liefe eine enge Auslegung dieser Vorschrift dem Ziel der Verordnung Nr. 1907/2006, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen, insoweit zuwider, als eine ganze Reihe gefährlicher Stoffe, die schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt haben, aus dem Anwendungsbereich des in Titel VII der genannten Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahrens gestrichen würde.

(vgl. Rn. 44 bis 46)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 52, 53, 111)

6.      Was die Beurteilung der Europäischen Agentur für chemische Stoffe in Bezug auf die Frage betrifft, ob ein Stoff ebenso besorgniserregend ist wie die in Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe aufgeführten Stoffe, um als besonders besorgniserregender Stoff ermittelt zu werden, lässt dieser Umstand, dass die ECHA nicht berücksichtigt hat, dass die Verwender des betreffenden Stoffes wirksame Risikomanagementmaßnahmen ergreifen würden, nicht die Annahme zu, dass diese Beurteilung mit einem offensichtlichen Fehler behaftet ist. Die Tatsache, dass die mit der Verwendung eines Stoffes verbundenen negativen Auswirkungen auf angemessene Weise kontrolliert werden können, hindert nämlich gemäß Art. 60 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1907/2006 nicht seine Einstufung als besonders besorgniserregenden Stoff. Andernfalls wäre die Möglichkeit, einen Stoff zuzulassen, dessen Risiken angemessen beherrscht werden können, nach der fraglichen Vorschrift unerheblich. Dies wird durch Art. 58 Abs. 2 dieser Verordnung bestätigt.

In diesem Zusammenhang ist zwischen den Gefahren und den Risiken zu unterscheiden. Die Bewertung der Gefahren ist die erste Phase des Verfahrens zur Risikobewertung, die ein genaueres Konzept darstellt. Eine Bewertung der durch die Eigenschaften eines Stoffes bedingten Gefahren darf – anders als eine Risikobewertung – nicht auf bestimmte Verwendungen beschränkt werden und kann unabhängig vom Ort der Verwendung des Stoffes, vom Expositionsweg und vom Grad der Exposition ordnungsgemäß erfolgen.

Darüber hinaus beruhen die mit der Richtlinie 67/548 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe angeordnete Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe auf der Übermittlung von Informationen über die durch die Eigenschaften der Stoffe bedingten Gefahren. Da die Einstufung als krebserzeugender, erbgutverändernder und fortpflanzungsgefährdender Stoff der Kategorie 1 der Verordnung Nr. 67/548 für die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend im Sinne von Art. 57 Buchst. a bis c der Verordnung Nr. 1907/2006 genügt, lässt sich nicht darauf schließen, dass die Europäische Agentur für chemische Stoffe bei der Ermittlung eines Stoffes gemäß Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung eine Risikobewertung berücksichtigen muss.

(vgl. Rn. 61, 68 bis 71, 81)

7.      Aus dem Ermittlungsverfahren des Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe geht nicht hervor, dass Informationen über Ersatzstoffe für den Ausgang dieses Verfahrens relevant sind.

(vgl. Rn. 88)

8.      Das Fehlen objektiver Kriterien, die in Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe vorgesehen sind, kann für die Feststellung, ob ein Stoff im Sinne von Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung ebenso besorgniserregend ist wie andere in Art. 57 Buchst. a bis e dieser Verordnung aufgeführte Stoffe, keine Verletzung der Verteidigungsrechte eines Lieferanten eines Stoffes darstellen, der von der Europäischen Agentur für chemische Stoffe als besonders besorgniserregend ermittelt wurde. Der Zweck dieses Art. 57 Buchst. f besteht nämlich darin, die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend von Fall zu Fall – ohne die objektiven Kriterien des Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 – zu ermöglichen. Insoweit muss ein Stoff nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 aufgeführten Stoffe.

Die in Nr. 3.3.3.2 der Leitlinien zur Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe vorgesehenen Kriterien, die insbesondere die Schwere der Wirkungen, die Irreversibilität der gesundheitlichen Auswirkungen, die Folgen für die Gesellschaft und die Schwierigkeiten bei der Durchführung einer auf der Konzentration des in Rede stehenden Stoffes beruhenden Risikobewertung umfassen, haben zwar allgemeinen Charakter; gleichwohl sind sie hinreichend genau, um es den interessierten Parteien zu ermöglichen, zur Beurteilung der Frage, ob ein Stoff ebenso besorgniserregend ist wie andere in Art. 57 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1907/2006 aufgeführte Stoffe, in sachdienlicher und wirksamer Weise Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang kann der Umstand, dass diese Kriterien weder von den zuständigen Behörden genehmigt noch zwischen den interessierten Parteien diskutiert worden seien, keine Verletzung der Verteidigungsrechte dieser Parteien begründen, soweit diese aus ausgearbeiteten Dossiers über die Ermittlung eines Stoffes umfassend über die Kriterien und ihre Anwendung unterrichtet sind.

(vgl. Rn. 101 bis 104)

9.      Aus der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe ergibt sich nichts dafür, dass der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, das Ermittlungsverfahren nach Art. 59 dieser Verordnung, das Teil des Zulassungsverfahrens nach Titel VII dieser Verordnung ist, vom Registrierungsverfahren nach Titel II dieser Verordnung, dem die Verpflichtungen des Art. 14 dieser Verordnung zuzuordnen sind, oder vom Bewertungsverfahren nach den Art. 44 bis 48 dieser Verordnung abhängig zu machen. Das Registrierungsverfahren und das Bewertungsverfahren, das nach dem 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1907/2006 als eine Nacharbeit im Anschluss an die Registrierung konzipiert ist, dienen zwar auch der verbesserten Information der Öffentlichkeit und der interessierten Kreise über die Gefahren und Risiken eines Stoffes, wie aus den Erwägungsgründen 19 und 21 dieser Verordnung hervorgeht. Da jedoch die registrierten Stoffe, wie sich aus dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1907/2006 ergibt, frei im Binnenmarkt verkehren können sollen, besteht das Ziel des Zulassungsverfahrens, zu dem das Ermittlungsverfahren des Art. 59 dieser Verordnung gehört, u. a. darin, schrittweise die besonders besorgniserregenden Stoffe durch geeignete Alternativstoffe oder ‑technologien zu ersetzen, wenn diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind. Ferner soll nach dem Willen des Gesetzgebers, wie sich aus dem 69. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1907/2006 ergibt, bei besonders besorgniserregenden Stoffen mit großer Umsicht vorgegangen werden.

(vgl. Rn. 107, 120)

10.    EinBeschluss der Europäischen Agentur für chemische Stoffe, mit dem Hexahydromethylphthalsäureanhydrid, Hexahydro-4-methylphthalsäureanhydrid, Hexahydro-1-methylphthalsäureanhydrid und Hexahydro-3-methylphthalsäureanhydrid (MHHPA) nach dem Verfahren des Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe als besonders besorgniserregende Stoffe ermittelt wurden, ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Wird ein Stoff als besonders besorgniserregend ermittelt, unterliegen die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nämlich Informationspflichten. Der Beschluss ist aber für die Verwirklichung der Ziele der Verordnung Nr. 1907/2006 geeignet, soweit eine solche Ermittlung der verbesserten Information der Öffentlichkeit und der Fachkreise über die Gefahren dient, so dass diese Feststellung infolgedessen als ein Mittel zur Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit, dem Hauptziel dieser Verordnung, zu betrachten ist. Auch überschreitet ein solcher Beschluss nicht die Grenzen dessen, was zur Verwirklichung der mit der Verordnung Nr. 1907/2006 verfolgten Ziele notwendig ist.

Erstens sind nämlich weder die Stoffbewertung nach den Art. 44 bis 48 der Verordnung Nr. 1907/2006 noch die vorgeschlagenen Risikomanagementmaßnahmen nach Art. 14 Abs. 6 dieser Verordnung geeignete Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der genannten Verordnung bei der Behandlung besonders besorgniserregender Stoffe und stellen daher keine weniger belastenden Maßnahmen dar.

Zweitens hindert der bloße Umstand, dass ein Stoff in der Liste in Art. 59 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006 enthalten ist, nicht daran, diesen Stoff, sofern er in einem Artikel aufgeführt ist, Beschränkungen statt einer Zulassung zu unterwerfen. Wie aus Art. 58 Abs. 5 und Art. 69 der Verordnung Nr. 1907/2006 folgt, kann die Kommission oder ein Mitgliedstaat stets vorschlagen, dass die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung eines Stoffes als solchem, in einem Gemisch oder in einem Erzeugnis Beschränkungen statt einer Zulassung unterliegt. Ferner können, wie sich aus Anhang XVII der Verordnung Nr. 1907/2006 ergibt, die nach dem Verfahren des Titels VIII dieser Verordnung erlassenen Beschränkungen, die auf die Herstellung, das Inverkehrbringen oder die Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe, Gemische und Erzeugnisse anwendbar sind, von besonderen Bedingungen für die Herstellung oder das Inverkehrbringen eines Stoffes bis zum vollständigen Verbot der Verwendung eines Stoffes reichen. Selbst unterstellt, die Beschränkungsmaßnahmen seien auch zur Verwirklichung der mit dieser Verordnung verfolgten Ziele geeignet, stellen sie als solche daher keine weniger belastenden Maßnahmen dar als die Ermittlung eines Stoffes, die nur Informationspflichten zur Folge hat.

Im Übrigen können Rechtsvorschriften im Bereich des Arbeitnehmerschutzes, die Risikomanagementmaßnahmen für Arbeitnehmer vorsehen, keine zur Verwirklichung der mit der Verordnung Nr. 1907/2006 verfolgten Ziele geeignete und weniger belastende Maßnahme bei der Behandlung besonders besorgniserregender Stoffe, insbesondere bei dem Ziel, besonders besorgniserregende Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder ‑technologien zu ersetzen, sofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind, darstellen.

(vgl. Rn. 113, 114, 122, 124 bis 126)

11.    Es trifft zwar zu, dass sich der Ausschuss der Mitgliedstaaten der Europäischen Agentur für chemische Stoffe (ECHA) gemäß Art. 59 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe einstimmig auf die Ermittlung eines Stoffes verständigen muss, damit die ECHA ihn in die in Abs. 1 dieses Artikels genannte Liste aufnehmen kann. Jedoch führt der Umstand, dass ein Mitgliedstaat bei der Abstimmung über die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend absichtlich abwesend war, nicht dazu, dass sich der Ausschuss der Mitgliedstaaten der ECHA nicht auf eine einstimmige Einigung verständigt hätte. Gemäß Art. 238 Abs. 4 AEUV, auf dem die Verfahrenspraxis dieses Ausschusses beruht, steht die Stimmenthaltung von anwesenden oder vertretenen Mitgliedern dem Zustandekommen von Beschlüssen, zu denen Einstimmigkeit erforderlich ist, nämlich nicht entgegen. Darüber hinaus wird gemäß Art. 19 Abs. 1 der Verfahrensordnung der ECHA jedes Mitglied, das in der Sitzung weder anwesend ist noch durch eine beauftragte Person vertreten wird, so behandelt, als habe es dem Konsens oder der Mehrheitsmeinung des Ausschusses stillschweigend zugestimmt, wenn eine Frage Gegenstand einer Abstimmung ist.

(vgl. Rn. 132)