Language of document : ECLI:EU:C:2023:524

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

29. Juni 2023(*)

Inhaltsverzeichnis



„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Besondere Schutzgebiete – Atlantische biogeografische Region – Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 – Unterbliebene Ausweisung besonderer Schutzgebiete und unterbliebene Festlegung der Erhaltungsziele – Unterbliebene oder nicht ausreichende Erhaltungsmaßnahmen“

In der Rechtssache C‑444/21

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingelegt am 16. Juli 2021,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Irland, vertreten durch M. Browne, A. Joyce, M. Lane und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von E. Barrington, SC, A. Carroll, BL, und M. Gray, SC,

Beklagter,

unterstützt durch:

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2022,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. Februar 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Irland dadurch, dass

–        es 217 der 423 in seinem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region, wie sie in der Entscheidung 2004/813/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2004, L 387, S. 1) in der durch die Entscheidung 2008/23/EG der Kommission vom 12. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 1) und die Entscheidung 2009/96/EG der Kommission vom 12. Dezember 2008 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer zweiten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2009, L 43, S. 466) aktualisierten Fassung aufgelistet sind (im Folgenden: in Rede stehende Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung), nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat,

–        es für 140 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine konkreten gebietsspezifischen Erhaltungsziele festgelegt hat,

–        es für die 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie) und der Arten nach Anhang II der Richtlinie 92/43 entsprechen,

gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

I.      Rechtlicher Rahmen

2        In der Habitatrichtlinie heißt es in den Erwägungsgründen 3 und 8:

„Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Diese Richtlinie leistet somit einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt kann in bestimmten Fällen die Fortführung oder auch die Förderung bestimmter Tätigkeiten des Menschen erfordern.

In jedem ausgewiesenen Gebiet sind entsprechend den einschlägigen Erhaltungszielen die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.“

3        Art. 1 Buchst. l der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

l)      ‚Besonderes Schutzgebiet‘: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden.“

4        Art. 2 Abs. 2 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.“

5        Art. 3 der Habitatrichtlinie bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)      Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.

(2)      Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von ‚Natura 2000‘ bei. Zu diese[m] Zweck weist er nach den Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.“

6        Art. 4 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)      Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen diese Gebiete den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen. Für im Wasser lebende Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, werden solche Gebiete nur vorgeschlagen, wenn sich ein Raum klar abgrenzen lässt, der die für das Leben und die Fortpflanzung dieser Arten ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung dieser Liste im Lichte der Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung vor.

Binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie wird der Kommission diese Liste gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet. Diese Informationen umfassen eine kartographische Darstellung des Gebietes, seine Bezeichnung, seine geographische Lage, seine Größe sowie die Daten, die sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten Kriterien ergeben, und werden anhand eines von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 ausgearbeiteten Formulars übermittelt.

(2)      Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der neun in Artikel 1 Buchstabe c) Ziffer iii) erwähnten biogeographischen Regionen sowie des in Artikel 2 Absatz 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind.

Die Mitgliedstaaten, bei denen Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) und einer oder mehreren prioritären Art(en) flächenmäßig mehr als 5 v. H. des Hoheitsgebiets ausmachen, können im Einvernehmen mit der Kommission beantragen, dass die in Anhang III (Phase 2) angeführten Kriterien bei der Auswahl aller in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung flexibler angewandt werden.

Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 festgelegt.

(3)      Die in Absatz 2 erwähnte Liste wird binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie erstellt.

(4)      Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes ‚Natura 2000‘ sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

(5)      Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

7        Art. 6 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)      Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)      Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)      Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)      Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von ‚Natura 2000‘ geschützt ist. …

…“

II.    Vorprozessuales Verfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

8        Mit der Entscheidung 2004/813 legte die Kommission eine Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen Region fest. Die Frist für die Ausweisung dieser Gebiete als besondere Schutzgebiete, die nach Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie sechs Jahre betrug, lief am 7. Dezember 2010 ab. Die Liste wurde mit den Entscheidungen 2008/23 und 2009/96 aktualisiert. Bei Irland wurden zwei Gebiete zusammengelegt und elf weitere Gebiete aufgenommen. Damit liegen nun 423 Gebiete im Hoheitsgebiet Irlands.

9        Mit Schreiben vom 23. April 2013 forderte die Kommission Irland auf, ihr mitzuteilen, welche Maßnahmen es ergriffen habe, um seinen Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nachzukommen. Sie wollte insbesondere wissen, wie hinsichtlich der Ausweisung der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete und der Vorbereitung der Erhaltungsziele und ‑maßnahmen der Stand des Verfahrens sei.

10      In Anbetracht der Antwort, die sie am 11. September 2013 von Irland erhielt, gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass Irland gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen habe. Sie forderte Irland daher mit Schreiben vom 27. Februar 2015 auf, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

11      Nach Prüfung der Antwort, die Irland mit einem Schreiben vom 5. Mai 2015 übermittelte, und der Berichte über die Fortschritte, die in der Sache erzielt wurden, gab die Kommission am 29. April 2016 gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie Irland vorwarf, folgenden Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein:

–        Verpflichtung, 401 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete auszuweisen;

–        Verpflichtung, für 335 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie die Erhaltungsziele festzulegen;

–        Verpflichtung, für alle in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen.

12      Was die Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie angeht, wies Irland in seiner Antwort vom 27. Juni 2016 darauf hin, dass das Verfahren der Ausweisung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete kompliziert sei. Die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete werde voraussichtlich im Laufe des Jahres 2017 abgeschlossen werden. Die in Rede stehenden Gebiete seien nach irischem Recht als „Gebiete, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kommen“, aber bereits geschützt.

13      Mit Schreiben vom 9. November 2018, das Irland noch am selben Tag zuging, übermittelte die Kommission Irland eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme und forderte die irischen Behörden auf, dieser innerhalb von zwei Monaten ab Zugang nachzukommen. Sie ging nunmehr davon aus, dass die Vertragsverletzungen Irlands beträfen:

–        unterbliebene Ausweisung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete: 255 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung;

–        unterlassene Festlegung konkreter Erhaltungsziele: 198 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung;

–        unterbliebene Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen: alle 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung.

14      Irland teilte mit Schreiben vom 11. Januar 2019 mit, dass es vorhabe, die restlichen Gebiete bis Ende 2020 als besondere Schutzgebiete auszuweisen und für sie die Erhaltungsziele festzulegen, und dass diese Gebiete als Gebiete, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, bereits geschützt seien. Irland wies ferner auf ein Programm zur Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen hin.

15      Mit E‑Mails vom 26. April 2019, 2. Mai 2019, 11. Oktober 2019, 12. Dezember 2019, 14. Januar 2020 und 14. April 2020 hielt Irland die Kommission hinsichtlich der Ausweisung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete und der Festlegung der Erhaltungsziele über den Fortschritt des Verfahrens auf dem Laufenden.

16      Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass Irland nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen habe, um seinen Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nachzukommen. Sie hat deshalb am 16. Juli 2021 die vorliegende Klage erhoben.

17      Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2021 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin auf Seiten Irlands zugelassen worden.

III. Zur Klage

18      Die Kommission erhebt mit ihrer Klage drei Rügen. Mit den ersten beiden rügt sie einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie, mit der dritten einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie. Die Kommission macht erstens geltend, dass 217 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden seien, zweitens, dass für 140 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine Erhaltungsziele festgelegt worden seien, und drittens, dass für die in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine ausreichenden Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden seien.

19      Irland beantragt, die Vertragsverletzungsklage abzuweisen. Die Bundesrepublik Deutschland ist Irland beigetreten, nimmt jedoch nur zur dritten Rüge Stellung.

A.      Zur ersten Rüge: unterbliebene Ausweisung der besonderen Schutzgebiete

1.      Vorbringen der Parteien

20      Mit ihrer ersten Rüge wirft die Kommission Irland vor, dass es dadurch, dass es 217 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren nach dem Erlass der Entscheidungen 2004/813 und 2009/96 als besondere Schutzgebiete ausgewiesen habe, seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verletzt habe.

21      Die zu den Schutzgebieten im Sinne der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 27. Februar 2003, Kommission/Belgien, C‑415/01, EU:C:2003:118, Rn. 22 und 23, und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich, C‑535/07, EU:C:2010:602, Rn. 64) gelte auch im vorliegenden Fall, da sowohl mit der Habitatrichtlinie und als auch mit der Vogelschutzrichtlinie das Ziel der Erhaltung verfolgt werde. Demnach wiesen die Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete und die geschützten Arten aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann eine unbestreitbare Verbindlichkeit auf, wenn sie veröffentlicht worden seien.

22      Nach ihrem Vermerk vom 14. Mai 2012 über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete müssten die Bezeichnung und die Lage des Gebiets sowie die Arten und Lebensraumtypen, für die das besondere Schutzgebiet ausgewiesen wurde, klar angegeben werden, ebenso die Abgrenzung des besonderen Schutzgebiets, der Zweck der Ausweisung und die für das besondere Schutzgebiet geltenden Schutzvorschriften.

23      Irland habe ihr mitgeteilt, dass die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete mit Sekundärrechtsakten erfolge. Sie habe gegen eine solche Methode der Ausweisung nichts einzuwenden. Zum für die Beurteilung der Vertragsverletzung maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der mit der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist seien aber lediglich 206 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete ausgewiesen gewesen. Denn Irland habe eingeräumt, lediglich 212 Gebiete als besondere Schutzgebiete ausgewiesen zu haben. Davon gehörten aber sechs (Hempton’s Turbot Bank SAC, Porcupine Bank Canyon SAC, South-East Rockall Bank, Codling Fault Zone SAC, Blackwater Bank SAC und West Connacht Coast SAC) nicht zu den 423 in Rede stehenden Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift seien immer noch 154 Gebiete nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen gewesen.

24      Der Schutz, der den betreffenden Gebieten sofort nach ihrer Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gewährt werde, ändere nichts an der Verpflichtung, die Gebiete gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

25      Irland weist in der Klagebeantwortung darauf hin, dass mit Art. 6 der Habitatrichtlinie das allgemeine Ziel verfolgt werde, den Mitgliedstaaten eine ganze Reihe von Verpflichtungen aufzuerlegen, die darauf abzielten, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Europäische Union zu bewahren oder wiederherzustellen, um das übergeordnete Ziel der Richtlinie zu verwirklichen, ein hohes Niveau des Umweltschutzes zu gewährleisten (Urteile vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 106, und vom 7. November 2018, Holohan u. a., C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Irland macht als Erstes geltend, dass die von der Kommission genannten Maßnahmen (siehe oben, Rn. 22) über den Schutz, den das irische Recht allen „europäischen Gebieten“ gewähre, für alle in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung getroffen worden seien. Es handele sich dabei um einen Begriff des irischen Rechts, unter den auch die Gebiete, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, und damit die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung fielen. Das Ziel, ein hohes Niveau des Umweltschutzes zu gewährleisten und zur Errichtung des Netzes „Natura 2000“ beizutragen, sei mithin bei allen in Rede stehenden Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung verwirklicht worden.

27      Ein Gebiet, das für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht komme, genieße nämlich denselben Schutz wie ein besonderes Schutzgebiet.

28      So erlegten etwa die Teile 4 und 5 der European Communities (Birds and Natural Habitats) Regulations 2011 (Rechtsverordnung von 2011 betreffend die Europäischen Gemeinschaften [Vögel und natürliche Lebensräume], im Folgenden: Durchführungsverordnung) dem Minister for Housing, Local Government and Heritage (Minister für Wohnungswesen, kommunale Selbstverwaltung und Natur- und Kulturerbe, im Folgenden: zuständiger Minister) bestimmte Verpflichtungen betreffend Tätigkeiten, Pläne oder Projekte, die europäische Gebiete betreffen könnten, auf. Dadurch würden die Gebiete also, unabhängig davon, ob sie formal als besondere Schutzgebiete ausgewiesen seien oder nicht, in gleicher Weise geschützt.

29      Nach Art. 28 der Durchführungsverordnung sei der zuständige Minister, wenn er zu der Einschätzung gelange, dass sich eine Tätigkeit erheblich auf ein europäisches Gebiet auswirken könne, verpflichtet, die Tätigkeit grundsätzlich zu verbieten. Die Durchführungsverordnung enthalte deshalb eine Liste mit genehmigungspflichtigen Tätigkeiten, die die Behörden zu berücksichtigen hätten, wenn sie einen Antrag auf Genehmigung gemäß irgendeiner gesetzlichen Regelung prüften oder die Annahme eigener Pläne oder Projekte vorschlügen.

30      Im Übrigen sehe Teil 5 der Durchführungsverordnung ein Verfahren vor, nach dem eine Behörde bei einem Plan oder einem Projekt, für den bzw. das bei ihr ein Antrag auf Genehmigung eingegangen sei oder den oder das sie selbst durchführen möchte, gegebenenfalls eine Verträglichkeitsprüfung vornehme.

31      Nach Art. 11 der Durchführungsverordnung müsse die Identifizierung eines Gebiets als Gebiet, das für die Ausweisung als besonderes Schutzgebiet in Betracht komme, auf der Website des Kabinetts des zuständigen Ministers eingesehen werden können und müssten die angegebenen Organisationen, die Grundstückseigentümer und die gesamte Bevölkerung unterrichtet werden. Die auf diese Weise abrufbaren Informationen umfassten u. a. eine kartographische Darstellung, in der die Grenzen des Gebiets eingezeichnet seien, die Bezeichnung, die geographische Lage und die Größe des Gebiets und die Gründe, warum das Gebiet als Gebiet, das für die Ausweisung als besonderes Schutzgebiet in Betracht komme, identifiziert worden sei.

32      Unabhängig davon weist Irland als Zweites darauf hin, dass das Verfahren der formalen Ausweisung der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete kompliziert sei. Meistens müssten die betroffenen Eigentümer unterrichtet werden und ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwände gegen die Ausweisung als besonderes Schutzgebiet zu erheben. Dies sei für den Rechtsschutz der betroffenen Eigentümer von grundlegender Bedeutung. So hätten bei der formalen Ausweisung der in Rede stehenden Gebiete als besondere Schutzgebiete 18 516 Eigentümer konsultiert und 674 Rechtsbehelfe, die von diesen eingelegt worden seien, bearbeitet werden müssen.

33      Außerdem handele es sich bei 20 der noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesenen Gebiete um Hochmoore. Bei ihnen hänge der Abschluss des Verfahrens der Ausweisung als besondere Schutzgebiete von einer Vereinbarung mit der Kommission über die Lösung der allgemeinen Verwaltung des Netzes solcher Hochmoore ab, über die ein intensiver Dialog mit der Kommission stattfinde.

34      In ihrer Erwiderung bestreitet die Kommission, dass das Verfahren der Ausweisung dieser 20 Hochmoore als besondere Schutzgebiete vom Ausgang der Gespräche über die Art und Weise ihrer Verwaltung abhänge. Was die Kompliziertheit des Verfahrens der formalen Ausweisung besonderer Schutzgebiete nach irischem Recht angeht, etwa wegen der Erforderlichkeit, die Rechtsbehelfe der Eigentümer zu bearbeiten, weist die Kommission darauf hin, dass sich die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnung berufen könnten, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (Urteil vom 12. November 2019, Kommission/Irland [Windfarm Derrybrien], C‑261/18, EU:C:2019:955, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Aus dem systematischen Zusammenhang von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ergebe sich, dass eine Verpflichtung bestehe, das dort vorgesehene Verfahren mit der Ausweisung eines Gebiets als besonderes Schutzgebiet abzuschließen. Durch die gegenteilige Auslegung, wie sie von Irland vorgeschlagen werde, würde Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie jegliche praktische Bedeutung genommen.

36      Die Verpflichtung, die Gebiete noch vor ihrer Ausweisung als besondere Schutzgebiete zu schützen, sei im Übrigen in Art. 4 Abs. 5 der Habitatrichtlinie vorgesehen.

37      Abgesehen davon gehe der Schutz, den das irische Recht Gebieten gewähre, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, nicht so weit wie der, der besonderen Schutzgebieten, für die allein die Verpflichtung gelte, gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, gewährt werden müsse.

38      Er entspreche auch nicht dem Erfordernis der Klarheit und der Rechtssicherheit. Die Liste mit den Gebieten, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, könnte nämlich je nach den Einwänden, die von den betroffenen Personen erhoben würden, Änderungen erfahren.

39      Irland macht in seiner Gegenerwiderung geltend, dass das Verfahren für die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete nach dem oben in Rn. 22 angesprochenen Vermerk der Kommission unter das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten falle. Nach dem Gestaltungsspielraum, über den es verfüge, habe es sich dafür entschieden, die besonderen Schutzgebiete auszuweisen, indem es diesen als europäische Gebiete jeglichen erforderlichen Schutz gewährt habe.

40      Die Behauptung, dass sich der Umfang der Gebiete vor ihrer formalen Ausweisung als besondere Schutzgebiete ändern könne, sei nicht belegt. Außerdem erhielten die betreffenden Gebiete durch ihre Ausweisung als besondere Schutzgebiete keine endgültigen Grenzen. Bei einem wissenschaftlichen Irrtum könnten diese auch nach der Ausweisung als besonderes Schutzgebiet geändert werden.

41      Die Auslegung, für die sich Irland ausspreche, nehme Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie auch nicht ihre praktische Bedeutung. Das irische Recht trage den Verpflichtungen aus dieser Bestimmung nämlich Rechnung. Indem es die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes und die Vornahme der Prüfungen gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie vorschreibe, gewährleiste es, dass die betreffenden Gebiete geschützt würden.

42      Der Schutz, den die irische Regelung den Gebieten, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, biete, gehe über den Schutz gemäß Art. 4 Abs. 5 der Habitatrichtlinie hinaus. Die irische Regelung sehe nämlich die Veröffentlichung der Einzelheiten und der Größe des betreffenden Gebiets, der zu berücksichtigenden Interessen und einer Liste der genehmigungspflichtigen Tätigkeiten vor.

43      Zum Zeitpunkt der Einreichung der Gegenerwiderung weist Irland darauf hin, dass 339 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung formal als besondere Schutzgebiete ausgewiesen worden seien.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

44      Nach Art. 3 Abs. 2 der Habitatrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, im Verhältnis der in ihrem Hoheitsgebiet vorhandenen natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I der Richtlinie und Habitate der Arten des Anhangs II der Richtlinie zur Errichtung von „Natura 2000“ beizutragen und zu diesem Zweck nach den Bestimmungen von Art. 4 der Richtlinie nach Abschluss des in der Richtlinie vorgesehenen Verfahrens Gebiete als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

45      Das Verfahren der Ausweisung der Gebiete als besondere Schutzgebiete gemäß Art. 4 der Habitatrichtlinie läuft in vier Stufen ab. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen und einheimischen Arten aufgeführt sind, die der Kommission zugeleitet wird (erste Stufe). Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (zweite Stufe). Auf der Grundlage dieses Entwurfs legt die Kommission die Liste der ausgewählten Gebiete fest (dritte Stufe). Ist ein Gebiet als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps oder einer Art und für die Kohärenz des Netzes „Natura 2000“ fest (vierte Stufe) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2019, CFE, C‑43/18, EU:C:2019:483, Rn. 37).

46      Irland bestreitet nicht, dass die 217 Gebiete, um die es geht, bei Ablauf der in der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht alle formal als besondere Schutzgebiete ausgewiesen waren, sondern macht geltend, dass der Schutz, den es den Gebieten, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete in Betracht kämen, gewähre, dem Schutz entspreche, über den die besonderen Schutzgebiete verfügten, so dass die Ziele der Habitatrichtlinie erfüllt würden.

47      Die Portugiesische Republik hatte in einem gegen sie eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren zu ihrer Verteidigung vorgebracht, dass bestehende nationale Erhaltungsmaßnahmen und ‑programme, die für die Behörden verbindlich seien, ab der Übermittlung der von ihr erstellten Liste an die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 1 der Habitatrichtlinie auf die betreffenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung anwendbar seien (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 31).

48      Hierzu hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass die Bestimmungen einer Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden müssen, die notwendig sind, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu genügen (Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 35).

49      Zum anderen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Portugiesische Republik mit dem Vorbringen, dass die Verfahren zur Ausweisung der betreffenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete formal noch nicht abgeschlossen seien, nicht in Abrede stellte, dass sie diese Gebiete bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hatte (Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 37).

50      Dasselbe gilt für das Verteidigungsvorbringen Irlands, dass der Schutz, der den Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung und den für eine Ausweisung in Betracht kommenden Gebieten durch die irische Regelung gewährt werde, ausreiche, um den Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nachzukommen.

51      Im vorliegenden Fall kann mit der von Irland in Bezug auf die erste Rüge der Klageschrift der Kommission angeführten nationalen Regelung, die den Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Auffassung Irlands auch dann einen ausreichenden Schutz gewährt, wenn sie nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen sind, nicht der speziellen Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nachgekommen werden, die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung formal als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

52      Diese Verpflichtung stellt nämlich eine zwingende Stufe der Regelung des Schutzes der Lebensräume und Arten gemäß der Habitatrichtlinie dar.

53      Zu ihr kommen hinzu die Verpflichtung, die Erhaltungsziele festzulegen (Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie), und die Verpflichtung, die Erhaltungsmaßnahmen festzulegen (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 50).

54      Nach der oben in Rn. 45 dargestellten Rechtsprechung unterscheidet sich diese letztgenannte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die für den Schutz der besonderen Schutzgebiete nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die in Art. 6 der Habitatrichtlinie vorgesehen ist, von der in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen formalen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen.

55      Zu dem Vorbringen Irlands, dass das Verfahren der formalen Ausweisung als besonderes Schutzgebiet insbesondere wegen der Rechtsbehelfe, die die Eigentümer der betreffenden Gebiete gegen die Ausweisung als besonderes Schutzgebiet eingelegt hätten, kompliziert sei, ist festzustellen, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnung berufen können, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (Urteil vom 12. November 2019, Kommission/Irland [Windfarm Derrybrien], C‑261/18, EU:C:2019:955, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Somit ist festzustellen, dass Irland dadurch, dass es 217 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

57      Folglich ist der ersten Rüge stattzugeben.

B.      Zur zweiten Rüge: unterbliebene Festlegung der Erhaltungsziele

1.      Vorbringen der Parteien

58      Die Kommission wirft Irland mit ihrer zweiten Rüge vor, dass es dadurch, dass es für 140 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine konkreten Erhaltungsziele festgelegt habe, seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verletzt habe.

59      Die Kommission leitet die Verpflichtung, für jedes Gebiet spätestens binnen sechs Jahren konkrete Erhaltungsziele festzulegen, aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 46 bis 52), ab.

60      Bei Ablauf der in der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist sei Irland dieser Verpflichtung für 140 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung noch nicht nachgekommen.

61      In der Klagebeantwortung räumt Irland ein, dass es das Verfahren der Festlegung und Veröffentlichung der konkreten Erhaltungsziele nicht für alle 423 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung abgeschlossen habe.

62      Irland habe aber erhebliche Anstrengungen unternommen, um konkrete Erhaltungsziele festzulegen und zu veröffentlichen. Durch die Covid‑19-Pandemie sei es jedoch zu Verzögerungen gekommen. Zum Zeitpunkt der Klagebeantwortung seien für 371 Gebiete Erhaltungsziele festgelegt gewesen, zum Zeitpunkt der Gegenerwiderung für alle Gebiete.

63      Wegen der erreichten Fortschritte liege kein schwerwiegender Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie vor.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

64      Zum Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist festzustellen, dass in der Bestimmung nicht ausdrücklich von einer Verpflichtung zur Festlegung von Erhaltungszielen die Rede ist. Die Bestimmung verlangt aber, dass die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats bei der Ausweisung des besonderen Schutzgebiets die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines Lebensraumtyps festlegen. Die Festlegung dieser Prioritäten setzt allerdings voraus, dass die Erhaltungsziele festgelegt sind (Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 46).

65      Entsprechend hat der Gerichtshof unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs und des Zwecks von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie festgestellt, dass, wenn die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete und die Festlegung der Erhaltungsprioritäten nach dieser Bestimmung so schnell wie möglich zu erfolgen haben, spätestens aber binnen sechs Jahren, nachdem ein Gebiet nach dem Verfahren gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden ist, auch die Festlegung der Erhaltungsziele, die für die Festlegung der Erhaltungsprioritäten erforderlich sind und damit vor deren Festlegung festgelegt werden müssen, innerhalb dieser Frist zu erfolgen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 47 bis 53).

66      Außerdem sind nur spezifische und konkrete Ziele Erhaltungsziele im Sinne der Habitatrichtlinie (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 59).

67      Im vorliegenden Fall lief die Frist von sechs Jahren, die Irland bei der Ausweisung der in den Entscheidungen 2004/813 und 2009/96 aufgeführten Gebiete als besondere Schutzgebiete einzuhalten hatte, am 7. Dezember 2007 bzw. 12. Dezember 2014 ab.

68      Irland räumt ein, dass es bei Ablauf der mit der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist am 9. Januar 2019 für die 140 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, auf die sich die zweite Rüge bezieht, in der nationalen Rechtsordnung noch keine gebietsspezifischen Erhaltungsziele festgelegt hatte.

69      Daher ist festzustellen, dass Irland dadurch, dass es für 140 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine konkreten gebietsspezifischen Erhaltungsziele festgelegt hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

70      Folglich ist der zweiten Rüge stattzugeben.

C.      Zur dritten Rüge: Verstoß gegen die Verpflichtung zur Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen

1.      Vorbringen der Parteien

71      Die Kommission wirft Irland in der Klageschrift vor, dass es dadurch, dass es die nötigen Erhaltungsmaßnahmen nicht festgelegt habe, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen habe. Für 230 Gebiete seien überhaupt keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden, für die übrigen 149 Gebiete nur teilweise. Die vollständigen Erhaltungsmaßnahmen, die es für 44 Gebiete gebe, zählten nicht, da sie vor der Festlegung der Erhaltungsziele festgelegt worden seien. Schließlich rügt die Kommission die allgemeine Praxis Irlands, Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die nicht konkret genug seien.

a)      Gebiete, für die es nach den Angaben der Kommission überhaupt keine oder nur unvollständige Erhaltungsmaßnahmen gibt

72      Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen innerhalb der in Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete vorgesehenen Frist von sechs Jahren festzulegen waren. Die Erhaltungsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie müssten, gemäß den Urteilen vom 5. September 2019, Kommission/Portugal (Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete) (C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 52), und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 76), im Rahmen dieser besonderen Schutzgebiete festgelegt und durchgeführt werden und damit innerhalb der Frist zu deren Ausweisung.

73      Aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gehe eindeutig hervor, dass die Mitgliedstaaten für alle besonderen Schutzgebiete ihres Hoheitsgebiets Erhaltungsmaßnahmen treffen müssten.

74      Irland habe ihr für 230 der 423 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung überhaupt keine Erhaltungsmaßnahmen mitgeteilt.

75      Was die übrigen 193 Gebiete angehe, für die es Erhaltungsmaßnahmen gebe, seien letztere in Anbetracht der Urteile vom 5. September 2019, Kommission/Portugal (Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete) (C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 55), und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 86), für jede einzelne Art und jeden einzelnen Lebensraumtyp, die bzw. der in dem betreffenden Gebiet vorkomme, festzulegen. Irland habe Erhaltungsmaßnahmen aber nur für einen Teil der in den 149 Gebieten geschützten Arten und/oder Lebensraumtypen festgelegt.

76      Diese Zahl ergebe sich aus einem Vergleich der Zahl der die entsprechenden Voraussetzungen erfüllenden Arten und Lebensraumtypen der Gebiete, wie Irland sie in den Standardformularen für die relevanten Daten angegeben habe, mit der Zahl der die entsprechenden Voraussetzungen erfüllenden Arten und Lebensraumtypen der Gebiete, für die Irland angebe, Erhaltungsmaßnahmen festgelegt zu haben.

77      Die Maßnahmen, die Irland auf ihre mit Gründen versehene Stellungnahme hin genannt habe, genügten nicht, um die Zahl der Gebiete zu senken, für die Erhaltungsmaßnahmen nur teilweise festgelegt seien. Sie würden größtenteils erst noch ausgearbeitet, d. h., sie befänden sich im Stadium der Vorbereitung. Im Übrigen habe Irland nicht dargetan, dass die Erhaltungsmaßnahmen damit vollständig wären und mithin alle Arten und natürlichen Lebensraumtypen von Interesse, die in den betreffenden Gebieten vorkämen, abgedeckt würden.

78      In der Klagebeantwortung führt Irland aus, dass es über zehn nationale Programme umfassende konkrete Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt habe. Die Programme seien nicht nach Gebieten, sondern nach Lebensraumtypen und Arten ausgearbeitet worden. Sie würden aber gebietsspezifisch durchgeführt. Dies zeige, dass Irland nicht nur Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie beachte, sondern dass es auch gewillt sei, den Anforderungen dieser Bestimmung eher auf pragmatische Weise zu genügen, indem es einen angemessenen Schutz der betreffenden Arten und Lebensräume gewährleiste.

79      Irland weist darauf hin, dass es für 79 Gebiete, die in der Anlage der Klagebeantwortung aufgeführt seien, vollständige Erhaltungsmaßnahmen festgelegt habe, und legt beispielhaft die festgelegten Maßnahmen für eine Stichprobe von sechs Gebieten vor. In vielen Gebieten gebe es zumindest unvollständige Erhaltungsmaßnahmen.

80      Die Durchführungsverordnung enthalte insoweit Erhaltungsmaßnahmen, als sie für die Ausübung einer Tätigkeit eine Genehmigungspflicht vorschreibe und somit darauf abziele, eine Schädigung des betreffenden Gebiets zu verhindern. Es gebe mithin in allen in Rede stehenden Gebieten Erhaltungsmaßnahmen.

81      Es habe möglicherweise ein Problem bei der Art und Weise der Übermittlung der Informationen an die Kommission gegeben. Es existiere kein zentrales Datenverwaltungssystem zur Erfassung der Maßnahmen der Verwaltung der in Rede stehenden Gebiete. Deshalb sei es für Irland schwer, die von der lokalen Ebene der Verwaltung der Gebiete erzielten und belegten Ergebnisse vollständig auf die nationale Ebene zu übertragen. Eine zentrale Datenplattform sei in Planung.

82      Die Kommission macht geltend, dass die zehn nationalen Programme, auf die Irland hinweise, und die Liste mit 79 Gebieten, für die es angeblich vollständige Erhaltungsmaßnahmen gebe, zusammen lediglich 137 Gebiete beträfen. Irland räume also ein, dass es mindestens 286 Gebiete ohne Erhaltungsmaßnahmen gebe.

83      Was die 79 Gebiete, bei denen es angeblich vollständige Erhaltungsmaßnahmen gibt, und die weiteren Gebiete angeht, auf die sich die zehn nationalen Programme beziehen, auf die Irland unter Berufung auf den Inhalt der seiner Klagebeantwortung als Anlagen beigefügten Dokumente hinweist, macht die Kommission geltend, dass Irland in der Klagebeantwortung nicht angebe, wo genau in den Anlagen davon die Rede sei, dass die Erhaltungsmaßnahmen für diese 79 Gebiete „erschöpfend und vollständig“ seien, noch auf die zehn Programme verweise, die es in einer dieser Anlagen zusammengefasst habe, um sich gegen den Vorwurf zu wehren, dass die Erhaltungsmaßnahmen unvollständig seien. Die in diesen Anlagen enthaltenen Angaben seien daher nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht zu berücksichtigen.

84      Abgesehen davon seien von den genannten zehn Programmen vier nach Ablauf des in der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist angenommen worden. Und aus der Anlage der Klagebeantwortung gehe hervor, dass bestimmte dieser Programme die in den betreffenden Gebieten vorkommenden Arten und Lebensraumtypen, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllten, nur teilweise abdeckten.

85      In der Gegenerwiderung macht Irland geltend, die von der Kommission vertretene Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, wonach dargetan werden müsse, dass in allen Gebieten Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt worden seien und auch griffen, sei nicht durchführbar und realitätsfremd. Eine solche Auslegung finde weder im Wortlaut der Richtlinie noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Stütze.

86      Erhaltungsmaßnahmen bedürften wesensbedingt der Anpassung, so dass mit der Feststellung, dass ergänzende oder andere Maßnahmen getroffen worden seien, nicht bereits bewiesen sei, dass Irland gegen seine Verpflichtungen verstoßen hätte. Es genüge, dass Irland die Einhaltung der Erhaltungsmaßnahmen, die in dem gesamten Netz „Natura 2000“ durchgeführt würden, ständig überwache, um sich zu vergewissern, dass den für die einzelnen Gebiete festgestellten Bedrohungen und Belastungen Rechnung getragen werde. Diese Auslegung werde durch die Art. 11 und 17 der Habitatrichtlinie bestätigt, die vorsähen, dass die Erhaltungsmaßnahmen bewertet würden und ihre Durchführung angepasst werde, soweit dies erforderlich sei, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu gewährleisten.

87      Der Umstand, dass die Erhaltungsprogramme nicht ausdrücklich an die Grenzen der Gebiete gebunden seien, ändere nichts daran, dass es sich um wirksame Maßnahmen handele. Vielmehr habe die Einrichtung umfassender Programme anstatt einzelner Maßnahmen für jedes Gebiet umfassende Auswirkungen auf den Schutz der Arten und Lebensräume. Auf diese Weise würden die Maßnahmen koordiniert, was erforderlich sei, um der Komplexität des Ziels der Erhaltung Rechnung zu tragen.

88      Als Anlage der Gegenerwiderung legt Irland die für sechs weitere Gebiete der Liste der 79 Gebiete und für 21 Gebiete betreffend die Fledermaus Rhinolophus hipposideros beschlossenen Erhaltungsmaßnahmen und weitere Dokumente vor, die die wenigen Gebiete betreffen, die sie in der Klagebeantwortung beispielhaft ausgewählt hatte.

89      Die Bundesrepublik Deutschland wendet sich in ihrem Streithilfeschriftsatz gegen die Auslegung, dass die Erhaltungsmaßnahmen für jede Art und jeden Lebensraumtyp, die bzw. der in den betreffenden Gebieten vorkämen, getroffen werden müssten.

90      Der Gerichtshof stelle in seiner Rechtsprechung nicht darauf ab, dass eigene oder individuelle Erhaltungsmaßnahmen für jede einzelne Art bzw. jeden einzelnen Lebensraumtyp getroffen werden müssten, sondern auf Erhaltungsmaßnahmen, die mit Blick auf die ökologischen Erfordernisse jeder Art und jedes Lebensraumtyps ergriffen würden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 55).

91      In dem Urteil vom 7. Dezember 2000, Kommission/Frankreich (C‑374/98, EU:C:2000:670, Rn. 20), das die Vogelschutzrichtlinie betreffe, aber auf die Habitatrichtlinie übertragbar sei, habe der Gerichtshof die gegenüber der Französischen Republik erhobene Rüge, dass die besonderen Schutzmaßnahmen unzulänglich gewesen seien, da sie nicht für alle in dem betreffenden Gebiet vorkommenden wildlebenden Vogelarten jeweils artspezifische Vorgaben enthalten hätten, mit der Begründung zurückgewiesen, dass die betreffenden innerstaatlichen Vorschriften, da sie Tätigkeiten untersagten, die die betreffenden Biotope als solche beeinträchtigen könnten, sämtlichen Vogelarten zugutekämen, die die von der betreffenden Regelung erfassten Gebiete besuchten.

92      Je nach Kontext könnten den Hauptbedrohungen und ‑belastungen des betreffenden Gebiets bereits mit allgemeinen Verboten begegnet werden oder seien differenzierende Maßnahmen erforderlich. Generell auf gebietsspezifischen Maßnahmen zu bestehen, wäre übertrieben formalistisch.

93      In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland verwahrt sich die Kommission gegen den Vorwurf eines bloßen Formalismus.

94      Sie stimmt mit der Bundesrepublik Deutschland darin überein, dass eine Erhaltungsmaßnahme durchaus auf mehrere Lebensraumtypen und Arten bezogen sein könne, wenn deren ökologischen Erfordernisse vergleichbar seien. Es müsse aber für jeden in dem Gebiet vorkommenden Lebensraum und jede in dem Gebiet vorkommende Art die nötigen Erhaltungsmaßnahmen geben, die auf spezifische Erhaltungsziele gestützt sein müssten. Dies sei hier, da Irland nur für einen Teil der relevanten Lebensräume und Arten Maßnahmen mitgeteilt habe, allerdings nicht der Fall.

b)      Gebiete, bei denen die Erhaltungsmaßnahmen nach den Angaben der Kommission nicht auf die Erhaltungsziele gestützt sind

95      Die Kommission wirft Irland in der Klageschrift vor, bei 44 der in Rede stehenden Gebiete, für die es vollständige Erhaltungsmaßnahmen gebe, Erhaltungsmaßnahmen festgelegt zu haben, obwohl die Erhaltungsziele noch gar nicht festgelegt gewesen seien.

96      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere des Urteils vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 46 bis 52), müssten die Erhaltungsmaßnahmen nämlich auf die Erhaltungsziele gestützt sein.

97      Es bestehe deshalb die gesetzliche Verpflichtung, die Erhaltungsmaßnahmen auf eindeutig festgelegte gebietsspezifische Erhaltungsziele zu stützen. Diese Verpflichtung habe eine materielle und eine zeitliche Komponente: Die Ziele und die Maßnahmen müssten zueinander passen, und die Ziele dürfen nicht nach den Maßnahmen festgelegt werden. Dies werde bestätigt durch die systematische Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie in Verbindung mit deren Art. 6 Abs. 3, wonach die Prüfung von Projekten, die ein besonderes Schutzgebiet beeinträchtigen könnten, die Erhaltungsziele zu berücksichtigen habe.

98      In der Klagebeantwortung wendet sich Irland gegen die Auslegung des Urteils vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047), für die sich die Kommission ausspricht. Sie sei zu wörtlich und werde dem Geist und dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nicht gerecht. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, sei überhaupt kein Erhaltungsziel festgelegt worden. Ein solcher Fall sei von Fällen wie dem vorliegenden zu unterscheiden, in dem die Erhaltungsziele nach der Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden seien.

99      Die Kommission ergänzt in der Erwiderung, dass es das Ziel und der Zweck der Habitatrichtlinie geböten, dass die Erhaltungsziele vor den Erhaltungsmaßnahmen festgelegt würden. Mit den Erhaltungszielen würden nämlich die Parameter festgelegt, anhand deren geprüft werden könne, ob die Erhaltungsziele mit den Erhaltungsmaßnahmen verwirklicht würden. Würden die Erhaltungsziele nach den Erhaltungsmaßnahmen festgelegt, bestünde die Gefahr, dass sie lediglich die vorher festgelegten Erhaltungsmaßnahmen abbildeten.

100    In der Gegenerwiderung macht Irland geltend, dass die Auslegung der Kommission darauf hinauslaufen würde, dass von den Mitgliedstaaten zum Zwecke der Durchführung der Habitatrichtlinie getroffene Erhaltungsmaßnahmen deshalb außer Betracht bleiben müssten, weil sie vor Veröffentlichung der Erhaltungsziele getroffen worden seien.

101    Die in Rede stehenden Erhaltungsmaßnahmen seien aber auf eine angepasste Beurteilung der Bedrohungen und Belastungen gestützt gewesen.

102    In ihrem Streithilfeschriftsatz vertritt auch die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung, dass sich ein Verstoß nicht schon allein daraus ergeben könne, dass die Erhaltungsziele nicht vor den Erhaltungsmaßnahmen festgelegt worden seien. Entscheidend für die Feststellung einer Vertragsverletzung sei, ob die Erhaltungsmaßnahmen effektiv seien. Es komme nicht darauf an, wann sie festgelegt worden seien.

103    Anderenfalls müssten auch effektive und den materiellen Kriterien von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie vollauf genügende Maßnahmen neu getroffen werden. Dies wäre bloßer Formalismus. Eine solche formale Anforderung stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere zum Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Wald von Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 213), wonach es primär darauf ankomme, dass die nötigen Erhaltungsmaßnahmen tatsächlich getroffen würden.

104    Abgesehen davon sei die Argumentation der Kommission auch in sich widersprüchlich. Einerseits vertrete die Kommission die Auffassung, dass die Erhaltungsziele bereits unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Bezeichnung eines Gebiets als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung festgelegt werden müssten. Andererseits räume sie ein, dass für die Festlegung der Erhaltungsziele die in Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie vorgesehen Frist von sechs Jahren gelte.

105    In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland macht die Kommission geltend, dass es reiner Zufall sei, wenn Erhaltungsmaßnahmen, die vor der Festlegung der Erhaltungsziele festgelegt worden sein, Letzteren entsprächen. Es stünde vielmehr zu befürchten, dass im Nachhinein festgelegte Erhaltungsziele ihre Funktion der Festlegung des potenziellen Beitrags eines Gebiets zum Netz „Natura 2000“ nicht erfüllten, weil sie lediglich den Ehrgeiz der bereits bestehenden Erhaltungsmaßnahmen widerspiegeln würden, die nicht auf Erhaltungsziele gestützt und damit nicht auf das übergeordnete Ziel der Habitatrichtlinie, einen günstigen Erhaltungszustand zu wahren oder wiederherzustellen, ausgerichtet gewesen seien. Dieses Problem werde verschärft, wenn wie hier alle Maßnahmen vor der Festlegung der Erhaltungsziele festgelegt worden seien.

106    Im Übrigen sei ihre Argumentation in keiner Weise widersprüchlich. Die zeitliche Reihenfolge, die durch die Habitatrichtlinie vorgegeben werde, folge aus dem Wortlaut der Art. 4 und 6 der Richtlinie.

c)      Ständige allgemeine Praxis, Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die nicht konkret genug sind und mit denen nicht allen Hauptbedrohungen und belastungen begegnet werden kann

107    Die Kommission macht in der Klageschrift geltend, dass Erhaltungsmaßnahmen klar und konkret sein müssten. Allgemeine Maßnahmen, Maßnahmen, die nur Leitlinien vorgäben, oder Maßnahmen, die zu ihrer wirksamen Durchführung einer Konkretisierung bedürften, genügten nicht (Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 77 und 78 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

108    Außerdem sehe Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie auch das materielle Erfordernis vor, dass allen Hauptbedrohungen und ‑belastungen begegnet werden müsse.

109    Im vorliegenden Fall seien die von Irland getroffenen Erhaltungsmaßnahmen ständig allgemein nicht bestimmt und konkret genug, um sämtlichen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen.

110    Die Kommission könne gemäß Art. 258 AEUV Klage auf Feststellung erheben, dass durch eine gegen die Vorschriften einer Richtlinie verstoßende allgemeine Praxis der Behörden eines Mitgliedstaats, die gegebenenfalls durch Einzelfälle illustriert werde, gegen die betreffenden Vorschriften verstoßen worden sei (Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 27).

111    Die Kommission will also mit einer qualitativen Prüfung eines breiten Spektrums irischer Gebiete, für die es bereits Erhaltungsmaßnahmen gibt, dartun, dass die in den irischen Gebieten getroffenen Erhaltungsmaßnahmen ständig allgemein ungenügend seien, weil sie nicht bestimmt und konkret genug seien oder nicht genügten, um sämtlichen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen.

112    Die Kommission zeigt diesen systematischen Fehler beispielhaft anhand zweier wichtiger prioritärer Lebensraumtypen, die in einem breiten Spektrum irischer Gebiete vorkommen, nämlich der Lagunen des Küstenraumes und der Flächenmoore, und einer besonders bedrohten Art, der Flussperlmuschel, auf, die sie näher untersucht.

113    Die Kommission meint, dass diese Beispiele repräsentativ seien. An ihnen werde daher deutlich, dass Irland ständig allgemein gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoße. Die Beispiele beträfen eine Vielzahl von Gebieten, die insbesondere wegen des ungünstigen oder schlechten Erhaltungszustands, wie er in den von Irland gemäß Art. 17 der Richtlinie erstellten Berichten festgestellt worden sei, und der Bedeutung der betreffenden Lebensräume und Arten ausgewählt worden seien, also insbesondere wegen des Umstands, dass in Irland ein Großteil der Flächenmoore und der Süßwasserperlmuscheln vorkämen. Die räumliche Aufteilung der untersuchten Gebiete sei für die räumliche Konfiguration des Netzes der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der besonderen Schutzgebiete in Irland repräsentativ.

114    Die Kommission führt zunächst das Beispiel der Lagunen des Küstenraumes an, für die als Erhaltungsmaßnahmen u. a. die „Verschlammung“, die „Flutung“ und die „Regelung der Wasserstände“ mitgeteilt worden seien. Diese Maßnahmen seien in quantitativer Hinsicht und was die Angabe der Verantwortlichen und der durchzuführenden Tätigkeiten angehe, nicht konkret genug. Außerdem werde mit ihnen nicht der Belastung durch die Wasserverschmutzung begegnet.

115    Dass der Lebensraum der Lagunen des Küstenraumes einer Vielzahl von Belastungen ausgesetzt sei und die genannten Maßnahmen nicht ausreichten, werde bestätigt durch den von Irland 2019 gemäß der Habitatrichtlinie erstellten Bericht, aus dem sich ergebe, dass sich die Lagunen in einem schlechten Zustand befänden, der sich zunehmend verschlechtere.

116    Sodann zieht die Kommission das Beispiel der Flächenmoore heran. Sie meint, dass die Erhaltungsmaßnahmen für die betreffenden Gebiete zu allgemein seien. In diesem Zusammenhang nennt die Kommission etwa die „mechanische Entnahme von Torf“, die „Extraktion von Torf“, das „Verbrennen“, die „Abholzung“, die „Beweidung“, die „allgemeine Forstwirtschaft“, die „Regelung der Wasserstände“, die „anderen Folgen der Tourismus‑ und Freizeitaktivitäten“, die „Jagd“, die „Entfernung von Buschwerk“, die „Entfernung/Überwachung von Pflanzenarten“ und die „Einzäunung“.

117    Aus dem Bericht, den Irland gemäß der Habitatrichtlinie für das Jahr 2013 erstellt habe, gehe hervor, dass mit diesen Maßnahmen vor allem der Gefahr der Überweidung begegnet werden sollte. Den übrigen Hauptbelastungen und ‑bedrohungen für Flächenmoore, etwa Windparks und andere Anlagen, dem Torfabbau, der Erosion, dem Verbrennen, der Aufforstung, landwirtschaftlichen Tätigkeiten, mit denen Stickstoff eingetragen werde, oder der Entwässerung, werde mit ihnen aber, wie aus dem Bericht Irlands für das Jahr 2019 hervorgehe, nicht hinreichend begegnet. Den beiden Berichten zufolge befänden sich die Deckenmoore in einem schlechten Zustand, der sich zunehmend verschlechtere.

118    Die Kommission führt schließlich das Beispiel der Gebiete an, in denen die Flussperlmuschel geschützt wird. Bei den Erhaltungsmaßnahmen für diese Gebiete beanstandet sie, dass sehr allgemein die Rede von „Müll“, „Beseitigung von Hausmüll“, „Wasserverschmutzung“ oder „Bewässerung“ sei, ohne dass konkrete Erhaltungsmaßnahmen mit Angaben zum Umfang, zu den Verantwortlichen und zum zeitlichen Ablauf benannt würden.

119    Abgesehen davon werde mit diesen Maßnahmen nicht den von Irland festgestellten Belastungen durch „die diffuse Verschmutzung des Oberflächenwassers durch land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten“, den „Rückhalt von Oberflächenwasser für die allgemeine Wasserversorgung“, „Brände“ oder die „Aufforstung brachliegender Flächen“ begegnet.

120    Die Maßnahmen des Projekts „KerryLIFE“, auf die Irland in seiner Antwort auf ihre ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme verweise, reichten nicht aus, insbesondere, weil mit ihnen nicht den Belastungen durch die Forstwirtschaft in den betreffenden Gebieten begegnet werde. Irland verweise auch auf das Projekt der Europäischen Innovationspartnerschaft, das sieben Gebiete, in denen die Flussperlmuschel geschützt werde, betreffe, lege aber nicht dar, inwieweit mit den entsprechenden Maßnahmen den einzelnen Hauptbedrohungen und ‑belastungen begegnet werde, denen die Flussperlmuschel in diesen Gebieten ausgesetzt sei.

121    Der Bericht, den Irland gemäß der Habitatrichtlinie für das Jahr 2019 erstellt habe, bestätige die Belastungen dieser Gebiete und zeige, dass die Erhaltungsmaßnahmen nicht genügen. Es werde dort nämlich ein schlechter Gesamtzustand festgestellt, der sich „zunehmend verschlechtere“.

122    In der Klagebeantwortung erläutert Irland beispielhaft, dass für das gesamte Netz der Hochmoore Irlands, die als besondere Schutzgebiete ausgewiesen seien, darunter 53 der in Rede stehenden Gebiete, gebietsspezifische Pläne der Wiederherstellung und Entwässerung ausgearbeitet worden seien und dass derzeit im diesem gesamten Netz Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt würden. Die Erhaltungsmaßnahmen, die in den Plänen jeweils dargestellt seien, seien so gestaltet worden, dass für jedes besondere Schutzgebiet die Ziele erreicht würden, die durch das für den in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten Lebensraum „Lebende Hochmoore“ spezifische Erhaltungsziel vorgesehen seien. Diese Pläne würden derzeit gemäß den verschiedenen Teilen des Programms zur Erhaltung der Hochmoore umgesetzt.

123    Die Kommission macht in der Erwiderung geltend, dass Irland mit seinen pauschalen Ausführungen in der Klagebeantwortung und deren Anlagen für die Lebensraumtypen und die Arten, auf die sich die vorliegende Rüge beziehe, nicht dargetan habe, dass die getroffenen Maßnahmen bestimmt und konkret genug wären. Irland habe nicht angegeben, „wer wann wo was tue“ und ob die getroffenen Maßnahmen ausreichten, um allen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen.

124    Von den sechs Gebieten, die oben in Rn. 79 angesprochen werden, die Teil der 79 Gebiete sind, bei denen Irland behauptet, vollständige Erhaltungsmaßnahmen getroffen zu haben, sei das Gebiet Carrownagappul Bog SAC eines der Hochmoorgebiete, für die Wiederherstellungspläne erst im Entwurfsstadium existierten, und betreffe das Gebiet Slieve Bloom Mountains ein Flächenmoor, das eine aktive Wiederherstellung erfordere und für das noch kein Wiederherstellungsplan ausgearbeitet worden sei.

125    Das Fehlen von Erhaltungsmaßnahmen, um den Problemen zu begegnen, die im Einzugsgebiet der Gebiete, in denen Flussperlmuscheln vorkämen, durch die Forstwirtschaft verursacht würden, werde durch die letzte wissenschaftliche Untersuchung über diese Art und ihre Erhaltung bestätigt. Darin werde das Projekt KerryLIFE kritisiert, weil es nicht die Wiederherstellung der Gebiete, die für die Forstwirtschaft trockengelegt worden seien, ermöglicht habe.

126    Irland weist in der Gegenerwiderung auf die Anstrengungen hin, die es unternommen habe, um die Erhaltungsmaßnahmen zu verbessern. Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verlange nicht, dass mit den Erhaltungsmaßnahmen unbedingt allen Bedrohungen und Belastungen begegnet werde, denen ein Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgesetzt sei.

127    In ihrem Streithilfeschriftsatz wendet sich die Bundespolitik Deutschland gegen das Maß an Vollständigkeit und Präzision, das von der Kommission verlangt werde, und gegen die Heranziehung der von Irland gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie erstellten Berichte als Nachweise für die Vertragsverletzung.

128    Was die Vollständigkeit der Maßnahmen angeht, macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass mitunter bereits mit einem allgemeinen Verbot schädigender Handlungen allen Hauptbedrohungen und ‑belastungen begegnet werden könne. Allgemein zu fordern, dass für jede Bedrohung oder jede Art und jeden natürlichen Lebensraum stets eine eigene gebietsspezifische Maßnahme zu treffen wäre, liefe daher auf einen bloßen Formalismus hinaus.

129    Was das Maß an Präzision angeht, macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass aus dem Erfordernis klarer und bestimmter Erhaltungsmaßnahmen nicht zu folgern sei, dass diese stets quantitative Vorgaben und Zeitschienen für das Handeln aufweisen oder spezifizieren müssten, „wer wann wo was tue“.

130    Nach dem Urteil vom 10. Mai 2007, Kommission/Österreich (C‑508/04, EU:C:2007:274, Rn. 76), schreibe die Habitatrichtlinie nämlich das Ergreifen der nötigen Erhaltungsmaßnahmen vor und begrenze die etwaigen Regelungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der nationalen Behörden auf die im Rahmen dieser Maßnahmen einzusetzenden Mittel und zu treffenden technischen Entscheidungen. Weiter habe der Gerichtshof in dem zu der Vogelschutzrichtlinie ergangenen Urteil vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (C‑535/07, EU:C:2010:602, Rn. 60), entschieden, dass die Vogelschutzrichtlinie zwar für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet werde, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sei, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung der Richtlinie überlasse.

131    Was die Verwertung der von Irland gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie erstellten Berichte angeht, macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass sich diese Berichte nicht spezifisch auf die Situation in den in Rede stehenden Gebieten bezögen, sondern auf die im gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats. Daher ließen sich aus ihnen keine Rückschlüsse auf die Effektivität der in den in Rede stehenden Gebieten getroffenen Maßnahmen ziehen.

132    Die in den Berichten festgestellten Entwicklungen könnten auch damit zusammenhängen, dass es sich um natürliche Populationen und Ökosysteme mit einer zum Teil hohen – naturbedingten – Fluktuation bzw. Eigendynamik handele, die zudem durch diverse anthropogene Einwirkungen verstärkt, überlagert oder beeinträchtigt werden könnten, die nicht durchgängig durch schutzgebietsbezogene Maßnahmen aufgefangen werden könnten.

133    In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Bundesrepublik Deutschland macht die Kommission geltend, dass sich eine Erhaltungsmaßnahme durchaus auf mehrere Lebensraumtypen oder Arten beziehen könne, wenn deren ökologische Erfordernisse vergleichbar seien. Bei vielen irischen Gebieten habe das Problem aber darin bestanden, dass Irland Maßnahmen nur für eine Teilgesamtheit der relevanten Lebensraumtypen oder Arten übermittelt habe.

134    Im Übrigen sei der Gestaltungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Mittel der Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen verfügten, beschränkt. Es ergebe sich aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, dass mit den Erhaltungsmaßnahmen allen Hauptbedrohungen und ‑belastungen begegnet werden müsse, die die in dem Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten beeinträchtigen könnten. Die Erhaltungsmaßnahmen müssten klar und bestimmt sein. Der Gerichtshof habe entschieden, dass Erhaltungsmaßnahmen, die allgemein seien und nur Leitlinien vorgäben oder zu ihrer wirksamen Durchführung einer Konkretisierung bedürften, nicht genügten (Urteile vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 55, und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 82). Die Merkmale der Erhaltungsmaßnahmen, u. a. ihre Konkretheit, würden also nicht der freien Beurteilung durch die Mitgliedstaaten überlassen.

135    Außerdem heiße es in dem gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie erstellten Bericht, dass beim Erhaltungszustand der Lebensräume „Lagunen des Küstenraumes“ und „Flächenmoore“ und der besonders bedrohten Art Flussperlmuschel eine Tendenz „zur Verschlechterung“ im Netz „Natura 2000“ zu verzeichnen sei. Es werde in dem Bericht also ausdrücklich auf die Lage in den Natura‑2000-Gebieten Bezug genommen.

2.      Würdigung durch den Gerichtshof

a)      Vorbemerkungen

136    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 der Habitatrichtlinie eine Reihe spezifischer Verpflichtungen und Verfahren vorsieht, die, wie sich aus Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie ergibt, darauf abzielen, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Union zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen, um das übergeordnete Ziel der Richtlinie, ein hohes Niveau des Umweltschutzes für die gemäß der Richtlinie geschützten Gebiete zu gewährleisten, zu verwirklichen (Urteil vom 7. November 2018, Holohan u. a., C‑461/17, EU:C:2018:883, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

137    Nach Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für jedes besondere Schutzgebiet die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtypen und der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Arten entsprechen, die in dem Gebiet vorkommen (Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 207).

138    Die Mitgliedstaaten haben ihren Verpflichtungen aus Art. 6 der Habitatrichtlinie, u. a. der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen, auf wirksame Weise und durch vollständige, klare und konkrete Maßnahmen nachzukommen (Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass Irland, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 56), 217 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat. Die nötigen Erhaltungsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie müssen jedoch im Rahmen dieser besonderen Schutzgebiete festgelegt und durchgeführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 52).

140    Die Feststellung, dass Irland seiner Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nicht nachgekommen ist, die in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen, befreit es aber nicht von der Verpflichtung, für diese Gebiete gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, und hindert nicht die Feststellung einer Vertragsverletzung im Falle eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 52 bis 54).

b)      Gebiete, für die es überhaupt keine oder nur unvollständige Erhaltungsmaßnahmen gibt

141    Nach einer ständigen Rechtsprechung zur Beweislast im Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV obliegt es der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Die Kommission muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, die es ihm ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, ohne dass sie sich dabei auf irgendeine Vermutung stützen kann (Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Schweden [Abwasserbehandlungsanlagen], C‑22/20, EU:C:2021:669, Rn. 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142    Die Mitgliedstaaten sind jedoch nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, der Kommission die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern, zu denen es gemäß Art. 17 Abs. 1 EUV u. a. gehört, für die Anwendung des Vertrags sowie der von den Organen aufgrund des Vertrags erlassenen Bestimmungen Sorge zu tragen. Insbesondere ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die nationalen Bestimmungen, mit denen die wirksame Durchführung einer Richtlinie sichergestellt werden soll, in der Praxis korrekt angewandt werden, die Kommission, die über keine eigenen Ermittlungsbefugnisse auf diesem Gebiet verfügt, weitgehend auf die Angaben etwaiger Beschwerdeführer und des betroffenen Mitgliedstaats angewiesen ist (Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Schweden [Abwasserbehandlungsanlagen], C‑22/20, EU:C:2021:669, Rn. 144 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143    Das bedeutet insbesondere, dass es dann, wenn die Kommission genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts beigebracht hat, dem Mitgliedstaat obliegt, diese Angaben substantiiert zu bestreiten (Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 44).

144    Im vorliegenden Fall behauptet die Kommission, dass Irland ihr für 230 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine Erhaltungsmaßnahmen mitgeteilt habe. Weiter behauptet die Kommission auf der Grundlage des oben in Rn. 71 angesprochenen Vergleichs, dass es bei den übrigen 193 Gebieten, für die es Erhaltungsmaßnahmen gebe, bei 149 Gebieten keine vollständigen Maßnahmen für jede signifikant vorkommende Art und jeden signifikant vorkommenden Lebensraumtyp gebe.

145    Irland macht insoweit zum einen geltend, dass die Erhaltungsmaßnahmen über zehn nationale Programme, die für die Lebensraumtypen und Arten ausgearbeitet worden seien, und durch die Durchführungsverordnung, nach der Tätigkeiten, die erhebliche oder schädliche Auswirkungen haben könnten oder durch die ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung verschlechtert werden könne, genehmigungspflichtig seien, durchgeführt würden.

146    Zum anderen macht Irland geltend, dass es für 79 der in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vollständige Erhaltungsmaßnahmen festgelegt habe.

147    Als Erstes ist zu der Durchführungsverordnung festzustellen, dass Art. 6 der Habitatrichtlinie die Maßnahmen in drei Kategorien unterteilt, und zwar in Erhaltungs‑, Vorbeugungs- und Ausgleichsmaßnahmen gemäß den Abs. 1, 2 bzw. 4 dieses Artikels (Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 et C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 33).

148    Art. 6 der Habitatrichtlinie sieht die Verpflichtung vor, die Verschlechterung der Gebiete zu vermeiden (Abs. 2), und die Verpflichtung, bei Plänen oder Projekten, die die Gebiete erheblich beeinträchtigen könnten, eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen (Abs. 3). Die beiden Vorschriften zielen mithin auf den Schutz der Gebiete vor Verschlechterungen ab.

149    Für die Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie kann es erforderlich sein, sowohl Abwehrmaßnahmen gegenüber externen, vom Menschen verursachten Beeinträchtigungen und Störungen als auch Maßnahmen zu ergreifen, um natürliche Entwicklungen zu unterbinden, die den Erhaltungszustand von Arten und natürlichen Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können (Urteil vom 20. Oktober 2005, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑6/04, EU:C:2005:626, Rn. 34).

150    Erst recht dürfen sich die Erhaltungsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie grundsätzlich nicht auf Abwehrmaßnahmen gegenüber externen, vom Menschen verursachten Beeinträchtigungen und Störungen beschränken. Sie müssen, soweit erforderlich, auch positive proaktive Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines Erhaltungszustands des Gebiets umfassen.

151    Die Durchführungsverordnung, nach der lediglich Tätigkeiten, die erhebliche oder schädliche Auswirkungen haben können oder durch die ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung verschlechtert werden kann, genehmigungspflichtig sind, genügt daher nicht, um den Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nachzukommen.

152    Was als Zweites die zehn nationalen Programme, die Irland für die einzelnen Lebensraumtypen und Arten ausgearbeitet hat, und die Liste der 79 Gebiete angeht, bei denen Irland behauptet, vollständige Erhaltungsmaßnahmen festgelegt zu haben, ist erstens festzustellen, dass die Informationen, die Irland dem Gerichtshof vorgelegt hat, nicht genügen, um das Vorbringen der Kommission zu widerlegen, dass es für die 230 Gebiete, auf die sich die vorliegende Rüge bezieht, keine Erhaltungsmaßnahmen gebe.

153    Zweitens geht aus den Informationen, die Irland dem Gerichtshof vorgelegt hat, nicht hervor, dass die von ihm getroffenen Maßnahmen für alle 193 Gebiete, die oben in Rn. 144 genannt sind, und für mehr als die 44 Gebiete, bei denen die Kommission dies anerkennt, durchweg im Hinblick auf die ökologischen Erfordernisse der einzelnen in den Gebieten vorkommenden Arten und Lebensraumtypen festgelegte Erhaltungsmaßnahmen enthielten. Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verlangt aber, dass die Erhaltungsmaßnahmen im Hinblick auf die ökologischen Erfordernisse der einzelnen Arten und Lebensraumtypen festgelegt werden, die in den in Rede stehenden Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung jeweils vorkommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Portugal [Ausweisung und Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑290/18, EU:C:2019:669, Rn. 55).

154    Somit ist festzustellen, dass Irland dadurch, dass es für 230 der 423 betreffenden Gebiete keine und für 149 der übrigen 193 Gebiete keine vollständigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

c)      Gebiete, für die es Erhaltungsmaßnahmen gibt, die nicht auf Erhaltungsziele gestützt sind

155    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen entsprechen, wobei die Bestimmung Letzterer voraussetzt, dass die Erhaltungsziele festgelegt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 49).

156    Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Festlegung der Erhaltungsziele eine notwendige Voraussetzung für die Festlegung der Erhaltungsprioritäten und ‑ziele ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 50).

157    Die Festlegung der Erhaltungsziele stellt demnach eine zwingend notwendige Stufe zwischen der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete und der Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen dar (Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland, C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 52).

158    Wie sich aus den Rn. 64 bis 70 des vorliegenden Urteils und dem Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, EU:C:2020:1047, Rn. 42 bis 61), ergibt, verstößt ein Mitgliedstaat, der keine spezifischen konkreten Erhaltungsmaßnahmen erlässt, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie.

159    Wie die Generalanwältin im Wesentlichen in den Nrn. 85 bis 88 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie aber nicht unbedingt, dass die Erhaltungsmaßnahmen nach der Festlegung der Erhaltungsziele festgelegt werden.

160    Die Erhaltungsmaßnahmen müssen jedoch auch in den Fällen, in denen die Erhaltungsziele nach ihnen festgelegt werden, Letzteren entsprechen.

161    Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei den 44 Gebieten, bei denen sie annimmt, dass es für sie vollständige Erhaltungsmaßnahmen gebe, aber nicht dargetan, dass die konkreten Erhaltungsmaßnahmen, die Irland festgelegt hat, nicht den nach ihrer Festlegung festgelegten Erhaltungszielen entsprächen.

162    Daher ist festzustellen, dass Irland nicht bereits deshalb gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, weil es für die in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, bevor es die Erhaltungsziele festgelegt hat, so dass die Kommissionen für die betreffenden 44 Gebiete nicht nachgewiesen hat, dass die festgelegten Erhaltungsmaßnahmen nicht den Anforderungen dieser Vorschrift entsprächen.

d)      Ständige allgemeine Praxis, Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die nicht konkret genug sind und mit denen nicht allen Hauptbedrohungen und belastungen begegnet werden kann

163    Die Habitatrichtlinie schreibt das Ergreifen der nötigen Erhaltungsmaßnahmen vor, so dass insoweit jeglicher Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist, und begrenzt die etwaigen Regelungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der nationalen Behörden auf die im Rahmen dieser Maßnahmen einzusetzenden Mittel und zu treffenden technischen Entscheidungen (Urteil vom 10. Mai 2007, Kommission/Österreich, C‑508/04, EU:C:2007:274, Rn. 76).

164    Im vorliegenden Fall führt die Kommission zum Nachweis, dass die in Irland festgelegten und angewandten Erhaltungsmaßnahmen ständig allgemein nicht bestimmt und konkret genug sind und nicht genügen, um sämtlichen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen, drei Beispiele, nämlich zwei prioritäre Lebensraumtypen (Lagunen des Küstenraumes und Flächenmoore) und eine prioritäre Art (Flussperlmuschel), an, die ihrer Auffassung nach ein breites Spektrum von Gebieten abdecken.

165    Die Kommission ist grundsätzlich nicht daran gehindert, Verstößen gegen Bestimmungen der Richtlinie, die auf dem Verhalten der Behörden eines Mitgliedstaats in von ihr im Einzelnen belegten konkreten Fällen beruhen, und zugleich Verstößen gegen dieselben Bestimmungen weiter nachzugehen, soweit sie darauf beruhen, dass bei diesen Behörden eine diesen Bestimmungen entgegenstehende allgemeine Praxis besteht, die durch diese Einzelfälle gegebenenfalls illustriert wird, sofern die Kommission ihrer Verpflichtung nachkommt, in beiden Situationen der ihr obliegenden Beweislast zu genügen (Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 27).

166    Hat die Kommission genügend Anhaltspunkte dafür beigebracht, dass sich bei den Behörden eines Mitgliedstaats eine wiederholt angewandte, fortbestehende Praxis herausgebildet hat, die gegen die Bestimmungen einer Richtlinie verstößt, obliegt es dem betreffenden Mitgliedstaat, diese Angaben und deren Folgen substantiiert zu bestreiten (Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 47).

167    Die Kommission kann sich in Anbetracht ihrer Pflicht zum Nachweis der behaupteten Vertragsverletzung aber auch nicht mit dem Vorwurf, der betreffende Mitgliedstaat habe generell und anhaltend seine unionsrechtlichen Pflichten verletzt, der Pflicht entledigen, die gerügte Vertragsverletzung anhand konkreter, für den Verstoß gegen die von ihr angeführten spezifischen Bestimmungen kennzeichnender Anhaltspunkte nachzuweisen, und sich auf bloße Vermutungen oder schematische Kausalzusammenhänge stützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. September 2019, Kommission/Italien [Bakterium Xylella fastidiosa], C‑443/18, EU:C:2019:676, Rn. 80).

168    Die vorliegende Klage betrifft 423 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung der atlantischen biogeografischen Region.

169    Viele Gebiete, die in dieser Region liegen, sind Gegenstand der Rüge der Kommission. Und wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, zeichnet sich diese Region durch eine außerordentliche Vielfalt der in diesen Gebieten vorkommenden Arten und Lebensräumen aus.

170    Wie die Generalanwältin im Wesentlichen in Rn. 106 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat die Kommission in einem solchen Fall nach der oben in Rn. 167 dargestellten Rechtsprechung darzutun, dass die Arten und Lebensräume, die sie beispielhaft angeführt hat, um die Rüge zu stützen, die auf die Feststellung einer ständigen allgemeinen Verletzung der Verpflichtungen aus der Habitatrichtlinie abzielt, für sämtliche in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung repräsentativ sind.

171    Im vorliegenden Fall hat die Kommission den ihr nach der vorstehenden Randnummer obliegenden Beweis aber nicht geführt.

172    Zwar hat die Kommission in der Klageschrift geltend gemacht, dass sie beim Ablauf der in der ergänzenden mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist auf der Grundlage einer qualitativen Prüfung einer großen Bandbreite irischer Gebiete, für die es bereits Erhaltungsmaßnahmen gebe, angenommen habe, dass die getroffenen Erhaltungsmaßnahmen ständig allgemein ungenügend seien, weil sie nicht bestimmt und konkret genug seien oder nicht genügten, um sämtlichen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen.

173    Sie hat aber weder in der Klageschrift noch in der Erwiderung mit hinreichend bestimmten, klaren und detaillierten Angaben und Argumenten rechtlich hinreichend dargetan, dass die Lebensräume und Arten, die sie beispielhaft angeführt hat, nämlich die Lagunen des Küstenraumes, die Flächenmoore und die Flussperlmuschel, für sämtliche in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung repräsentativ wären.

174    Was speziell die Feststellung der Kommission angeht, dass die räumliche Aufteilung der untersuchten Gebiete für die räumliche Konfiguration des Netzes der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der besonderen Schutzgebiete in Irland repräsentativ sei, ist festzustellen, dass die Kommission insoweit auf die Anlagen A.21 und A.22 der Klageschrift Bezug nimmt, die Karten von Irland enthalten. Aus diesen Karten allein lässt sich – ohne eine konkrete, detaillierte und umfassende Erläuterung der darin enthaltenen Daten durch die Kommission in der Klageschrift – nicht schließen, inwieweit die drei in der vorstehenden Randnummer genannten Beispiele für sämtliche in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung repräsentativ wären.

175    Dem Vorbringen der Kommission, dass die von Irland getroffenen Erhaltungsmaßnahmen generell ständig allgemein ungenügend seien, weil sie nicht hinreichend bestimmt und konkret seien oder nicht genügten, um sämtlichen Hauptbedrohungen und ‑belastungen zu begegnen, kann daher nicht gefolgt werden.

176    Die dritte Rüge ist also nur insoweit begründet, als Irland für die 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Habitatrichtlinie entsprechen.

177    Nach alledem ist festzustellen, dass Irland

–        dadurch, dass es 217 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat;

–        dadurch, dass es für 140 der 423 in Rede stehenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine konkreten gebietsspezifischen Erhaltungsziele festgelegt hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat;

–        dadurch, dass es nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Habitatrichtlinie entsprechen, die in den 423 in Rede stehenden Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung vorkommen, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

178    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 Kosten

179    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, Irland die Kosten aufzuerlegen und Irland in großem Umfang unterlegen ist, sind Irland die Kosten aufzuerlegen.

180    Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Entsprechend sind der Bundesrepublik Deutschland ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Irland hat dadurch, dass es 217 der 423 in seinem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung – wie sie in der Entscheidung 2004/813/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region in der durch die Entscheidung 2008/23/EG der Kommission vom 12. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region und die Entscheidung 2009/96/EG der Kommission vom 12. Dezember 2008 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer zweiten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region aktualisierten Fassung aufgelistet sind – nicht so schnell wie möglich, spätestens aber binnen sechs Jahren als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung verstoßen.

2.      Irland hat dadurch, dass es für 140 der 423 in Nr. 1 des Tenors bezeichneten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine konkreten gebietsspezifischen Erhaltungsziele festgelegt hat, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung verstoßen.

3.      Irland hat dadurch, dass es nicht die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung entsprechen, die in den 423 in Nr. 1 des Tenors bezeichneten Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung vorkommen, gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in der geänderten Fassung verstoßen.

4.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.      Irland trägt seine eigenen Kosten sowie die der Europäischen Kommission.

6.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.