Language of document : ECLI:EU:C:2022:157

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 3. März 2022(1)(i)

Rechtssache C420/20

Strafverfahren gegen

HN,

Beteiligte:

Sofiyska rayonna prokuratura

(Vorabentscheidungsersuchen des Sofiyski Rayonen sad [Rayongericht Sofia, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie (EU) 2016/343 – Art. 8 Abs. 1 – Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung – Art. 8 Abs. 2 – Verzicht auf das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung – Vollstreckung einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung gegen einen im Rahmen eines Strafverfahrens verfolgten Drittstaatsangehörigen – Vereinbarkeit“






I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache ist durch ein Paradoxon gekennzeichnet, das zu einem schwer zu überwindenden Widerspruch führt. Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, wird von den bulgarischen Strafverfolgungsbehörden wegen der Begehung einer schweren Straftat verfolgt, für die die Bestimmungen der bulgarischen Strafprozessordnung seine Anwesenheit bei der Verhandlung verlangen. Gleichzeitig verlangen die Bestimmungen des bulgarischen Ausländergesetzes, dass er in sein Herkunftsland abgeschoben wird und für die Dauer von fünf Jahren einem Einreise- und Aufenthaltsverbot für das bulgarische Hoheitsgebiet unterliegt. Daraus ergibt sich, dass der Betroffene daran gehindert ist, zu der ihn betreffenden Verhandlung zu erscheinen, obwohl er nach den Bestimmungen des nationalen Rechts dazu verpflichtet und nach den Bestimmungen des Unionsrechts dazu berechtigt ist.

2.        Mit seinen Vorlagefragen ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof daher im Wesentlichen um Klarstellung, inwieweit das in Art. 8 der Richtlinie (EU) 2016/343(2) gewährleistete Recht der beschuldigten Person, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, einem Mitgliedstaat erlaubt, eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu vollstrecken, der wegen der Begehung einer schweren Straftat verfolgt wird und noch nicht abgeurteilt worden ist.

3.        Im Rahmen der vorliegenden Schlussanträge werde ich zunächst darlegen, weshalb diese Fragen unter Berücksichtigung zum einen der Vorgaben der Richtlinie 2016/343 über das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung und zum anderen der Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zu prüfen sind(3).

4.        Anschließend werde ich die Gründe erläutern, warum in einer Situation, in der eine Rückführungsentscheidung erlassen wird, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen einen im Rahmen eines Strafverfahrens verfolgten Drittstaatsangehörigen verbunden ist, die Einhaltung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 verlangt, dass im Einzelfall geprüft wird, ob die sofortige Vollstreckung dieser Entscheidung es dem Drittstaatsangehörigen ermöglicht, in der Verhandlung anwesend zu sein, und ob gegebenenfalls die Abschiebung nicht aufgeschoben oder das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 aufgehoben oder ausgesetzt werden muss.

5.        Außerdem werde ich feststellen, dass die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, diesen Drittstaatsangehörigen in seiner Abwesenheit zu verurteilen, sofern er rechtzeitig nicht nur über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens, sondern auch über die besonderen Maßnahmen, die ihm zur Verfügung gestellt werden, um zu der ihn betreffenden Verhandlung zu erscheinen, unterrichtet wurde, oder diese Person, nachdem sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem von ihr bevollmächtigten oder von Amts wegen bestellten Rechtsanwalt angemessen vertreten wird.

6.        Dagegen werde ich die Gründe darlegen, aus denen dieser Artikel der Durchführung einer Verhandlung in Abwesenheit entgegensteht, wenn die beschuldigte Person, obwohl sie über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde, ihren Willen, auf ihr Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung zu verzichten, nur im Laufe des Ermittlungsverfahrens, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Termin der Verhandlung noch nicht festgelegt war, zum Ausdruck gebracht hat.

7.        Schließlich werde ich erläutern, weshalb Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass beschuldigte Personen das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, meines Erachtens nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die vorsehen, dass die beschuldigte Person verpflichtet ist, zu ihrer Verhandlung zu erscheinen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2016/343

8.        Gemäß ihrem Art. 1 („Gegenstand“) enthält die Richtlinie 2016/343 Mindestvorschriften für bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung einerseits und das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung andererseits.

9.        Art. 8 („Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung“) dieser Richtlinie sieht in den Abs. 1 bis 4 vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige und beschuldigte Personen das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein.

(2)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass eine Verhandlung, die zu einer Entscheidung über die Schuld oder Unschuld eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person führen kann, in seiner bzw. ihrer Abwesenheit durchgeführt werden kann, sofern

a)      der Verdächtige oder die beschuldigte Person rechtzeitig über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde oder

b)      der Verdächtige oder die beschuldigte Person, nachdem er bzw. sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten wird, der entweder von dem Verdächtigen oder der beschuldigten Person oder vom Staat bestellt wurde.

(3)      Eine Entscheidung, die im Einklang mit Absatz 2 getroffen wurde, kann gegen die betreffende Person vollstreckt werden.

(4)      Wenn Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, Verhandlungen in Abwesenheit des Verdächtigen oder der beschuldigten Person zu führen, es jedoch nicht möglich ist, die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Voraussetzungen zu erfüllen, weil der Verdächtige oder die beschuldigte Person trotz angemessener Bemühungen nicht aufgefunden werden kann, so können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass gleichwohl eine Entscheidung ergehen und vollstreckt werden kann. In einem solchen Fall stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen, wenn sie über die Entscheidung unterrichtet werden, insbesondere wenn sie festgenommen werden, auch über die Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten, sowie über das Recht, gemäß Artikel 9 eine neue Verhandlung zu verlangen oder einen sonstigen Rechtsbehelf einzulegen, unterrichtet werden.“

10.      In Art. 9 („Recht auf eine neue Verhandlung“) der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen, wenn sie bei der sie betreffenden Verhandlung nicht anwesend waren und die in Artikel 8 Absatz 2 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt wurden, das Recht auf eine neue Verhandlung oder auf Einlegung eines sonstigen Rechtsbehelfs haben, die bzw. der eine neue Prüfung des Sachverhalts, einschließlich neuer Beweismittel, ermöglicht und zur Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung führen kann. In diesem Zusammenhang stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Verdächtigen und beschuldigten Personen das Recht haben, anwesend zu sein, im Einklang mit den Verfahren des nationalen Rechts effektiv mitzuwirken und ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen.“

2.      Richtlinie 2008/115

11.      Gemäß ihrem Art. 1 („Gegenstand“) enthält die Richtlinie 2008/115 „gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des [Unions‑] und des Völkerrechts [anzuwenden sind]“.

12.      Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

4.      ‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

5.      ‚Abschiebung‘: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat;

6.      ‚Einreiseverbot‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht;

…“

13.      In Art. 9 („Aufschub der Abschiebung“) Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können die Abschiebung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen angemessenen Zeitraum aufschieben. Die Mitgliedstaaten berücksichtigen insbesondere

a)      die körperliche oder psychische Verfassung der betreffenden Drittstaatsangehörigen;

b)      technische Gründe wie fehlende Beförderungskapazitäten oder Scheitern der Abschiebung aufgrund von Unklarheit über die Identität.“

14.      Art. 11 („Einreiseverbot“) Abs. 3 Unterabs. 4 dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„Die Mitgliedstaaten können in Einzelfällen oder bestimmten Kategorien von Fällen ein Einreiseverbot aus [anderen als den in den vorstehenden Unterabsätzen genannten] Gründen aufheben oder aussetzen.“

B.      Bulgarisches Recht

1.      Strafprozessordnung

15.      Art. 247b des Nakazatelno-protsesualen kodeks (Strafprozessordnung)(4) bestimmt:

„(1)      … Auf Anordnung des berichterstattenden Richters wird dem Angeklagten eine Abschrift der Anklageschrift zugestellt. Mit der Zustellung der Anklageschrift wird der Angeklagte über die Anberaumung der Vorverhandlung und über die in Art. 248 Abs. 1 genannten Fragen, über sein Recht, mit Verteidiger zu erscheinen, und die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich in den in Art. 94 Abs. 1 vorgesehenen Fällen einen Verteidiger bestellen zu lassen, sowie über den Umstand, dass über die Strafsache in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann, sofern die Voraussetzungen nach Art. 269 erfüllt sind, unterrichtet.

(2)      Der Staatsanwalt und der Verteidiger werden über die Vorverhandlung und die in Art. 248 Abs. 1 genannten Fragen unterrichtet. Auch der Geschädigte bzw. seine Erben oder die geschädigte juristische Person werden hierüber unterrichtet und auf ihr Recht zur Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts hingewiesen.

…“

16.      Art. 248 Abs. 1 NPK in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung lautet wie folgt:

„… In der Vorverhandlung werden folgende Fragen erörtert:

2.      ob Gründe für die Einstellung oder Aussetzung des Strafverfahrens vorliegen;

3.      ob im Ermittlungsverfahren ein zu behebender wesentlicher Verstoß gegen die Verfahrensregeln vorgefallen ist, der zur Einschränkung der Verfahrensrechte des Beschuldigten, des Geschädigten bzw. seiner Erben geführt hat;

4.      ob die Ermittlung des Falles besonderen Regeln zu unterwerfen ist;

8.      die Anberaumung der mündlichen Verhandlung und die zu ladenden Personen.“

17.      Art. 269 NPK bestimmt:

„(1)      In Strafsachen, in denen dem Angeklagten eine schwere Straftat vorgeworfen wird, ist dessen Anwesenheit in der Verhandlung zwingend.

(2)      Das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagte auch in Strafsachen erscheint, in denen seine Anwesenheit nicht zwingend vorgeschrieben ist, wenn dies für die Ermittlung der objektiven Wahrheit erforderlich ist.

(3)      Wenn es der Ermittlung der objektiven Wahrheit nicht entgegensteht, kann die Sache in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden, wenn

1.      er nicht unter der von ihm angegebenen Anschrift anzutreffen ist oder er die Anschrift geändert hat, ohne die Behörde davon zu unterrichten;

2.      sein Wohnort im Inland unbekannt ist und nicht im Anschluss an eine eingehende Untersuchung ermittelt wurde;

3.      … nach ordnungsgemäßer Ladung keine triftigen Gründe für sein Nichterscheinen angegeben hat und das in Art. 247b Abs. 1 vorgesehene Verfahren eingehalten wurde;

4.      … er sich außerhalb der Republik Bulgarien aufhält und

a)      sein Wohnort unbekannt ist;

b)      er aus anderen Gründen nicht vorgeladen werden kann;

c)      er ordnungsgemäß geladen wurde und keine triftigen Gründe für sein Nichterscheinen angegeben hat.“

2.      Gesetz über die Ausländer in der Republik Bulgarien

18.      Das Zakon za chuzhdentsite v Republika Balgaria (Gesetz über die Ausländer in der Republik Bulgarien)(5) vom 23. Dezember 1998 in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung setzt die Richtlinie 2008/115 um(6).

19.      In Art. 10 Abs. 1 ZChRB heißt es:

„(1)      … Die Ausstellung eines Visums oder die Einreise eines Ausländers ist zu verweigern, wenn

7.      … dieser die Ein- oder Durchreise unter Verwendung unechter oder gefälschter Urkunden bzw. eines unechten oder gefälschten Visums oder Aufenthaltstitels versucht hat;

22.      … Informationen vorliegen, dass der Zweck seiner Einreise darin besteht, das Land als Transitland für die Migration in einen Drittstaat zu nutzen;

…“

20.      Art. 10 Abs. 2 ZChRB bestimmt:

„(2)      … In den Fällen des Abs. 1 kann ein Visum erteilt oder die Einreise in das Hoheitsgebiet der Republik Bulgarien gestattet werden, wenn humanitäre Gründe vorliegen oder dies im Interesse des Staates oder zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen geboten ist.“

21.      Art. 41 Abs. 5 ZChRB lautet:

„… Die Rückführung ist anzuordnen, wenn

5.      … festgestellt wird, dass der Ausländer über die Landesgrenze rechtmäßig eingereist ist, aber an einer dafür nicht zugelassenen Übergangsstelle oder mit einem unechten oder gefälschten Pass oder Passersatz auszureisen versucht.“

22.      Art. 42h Abs. 1 ZChRB bestimmt:

„… Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird angeordnet, wenn:

1.      die Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 1 vorliegen;

3.      … Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird für [eine Dauer von maximal] fünf Jahren angeordnet. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union kann länger als fünf Jahre dauern, wenn die Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellt.

4.      … Das Einreiseverbot kann gleichzeitig mit der Zwangsmaßnahme gemäß Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 oder gemäß Art. 41 angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 1 vorliegen.“

23.      Art. 44 Abs. 5 ZChRB sieht vor:

„(5)      … Ist der Ausländer daran gehindert, unverzüglich das Land zu verlassen oder in ein anderes Land einzureisen und ist keine Maßnahme für seine sofortige Abschiebung vorgesehen, ordnet die Behörde, die die Verfügung erlassen hat, mit der die Verwaltungszwangsmaßnahme verhängt wurde, oder der Leiter der Direktion „Migration“ nach Prüfung der individuellen Umstände und der Fluchtgefahr oder der Gefahr der Behinderung der Rückkehr auf andere Weise, durch Verfügung nach Maßgabe der Anwendungsverordnung zu diesem Gesetz gemeinsam oder getrennt den Vollzug einer der folgenden Sicherungsmaßnahmen an:

1.      der Ausländer muss wöchentlich bei der Gebietsstelle des Innenministeriums an seinem Wohnort erscheinen;

…“

24.      In Art. 44 Abs. 6 ZChRB heißt es:

„(6)      … Wenn ein Ausländer, gegen den eine Verwaltungszwangsmaßnahme nach Art. 39a Abs. 1 Nrn. 2 und 3 verhängt wurde, den Vollzug der Verfügung behindert oder Fluchtgefahr besteht, können die in Abs. 1 genannten Behörden die zwangsweise Unterbringung des Ausländers in einer speziellen Einrichtung zur vorläufigen Unterbringung von Ausländern anordnen, um die Rückführung zur Grenze der Republik Bulgarien oder die Ausweisung durchzuführen. Die zwangsweise Unterbringung wird auch dann angeordnet, wenn der Ausländer die Bedingungen der in Abs. 5 vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen nicht beachtet.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

A.      Sachverhalt des Rechtsstreits

25.      Die Sofiyska rayonna prokuratura (Rayonstaatsanwaltschaft Sofia, Bulgarien) leitete ein Strafverfahren gegen HN, einen albanischen Staatsangehörigen, ein, weil dieser am 11. März 2020 an der Grenzübergangsstelle des Flughafens Sofia gefälschte Ausweispapiere, nämlich einen Reisepass und Personalausweis, verwendet habe, um das bulgarische Hoheitsgebiet zu verlassen und sich in das Vereinigte Königreich zu begeben. Diese Straftat stellt eine schwere Straftat im Sinne des anwendbaren nationalen Rechts dar, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist.

26.      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Granichno politseysko upravlenie (Grenzpolizeibehörde, Bulgarien) bei der Festnahme von HN am 11. März 2020 ein Ermittlungsverfahren vor der Rayonstaatsanwaltschaft Sofia einleitete. Am folgenden Tag erließ der Leiter der bulgarischen Grenzpolizeibehörde Sofia gegen HN zum einen gemäß Art. 41 Nr. 5 und Art. 44 Abs. 1 ZChRB eine Rückkehrentscheidung und zum anderen gemäß Art. 43h Abs. 3 und 4 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 22 sowie Art. 44 Abs. 1 ZChRB die Zwangsmaßnahme „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ für die Dauer von fünf Jahren, ab dem 12. März 2020 bis zum 11. März 2025.

27.      Gegen diese beiden Verwaltungszwangsmaßnahmen wurde kein Rechtsbehelf eingelegt.

28.      Am 27. April 2020 wurde HN in Begleitung seines von Amts wegen bestellten Verteidigers die Verfügung über seine förmliche Beschuldigung wegen bewusster Verwendung unechter Ausweispapiere gemäß Art. 316 in Verbindung mit Art. 308 Abs. 1 und 2 des Nakazatelen kodeks (Strafgesetzbuch) zugestellt. Dabei wurde er im Beisein eines Dolmetschers über seine Rechte, einschließlich der Rechte nach Art. 269 NPK über die Durchführung einer Verhandlung in Abwesenheit und die damit verbundenen Folgen, unterrichtet. In der am selben Tag erfolgten Vernehmung erklärte er, dass er die ihm erläuterten Rechte verstehe und er nicht zu der Verhandlung erscheinen wolle.

29.      Am 27. Mai 2020 wurde von der Rayonstaatsanwaltschaft Sofia beim vorlegenden Gericht die Anklageschrift eingereicht und auf ihrer Grundlage das Ausgangsstrafverfahren eingeleitet.

30.      Am 16. Juni 2020 verließ HN die Einrichtung zur vorläufigen Unterbringung von Ausländern und wurde zwecks Vollstreckung der gegen ihn verhängten Maßnahmen an die Staatsgrenze, an die Grenzübergangsstelle Gyueshevo, gebracht.

31.      Mit Verfügung vom 24. Juni 2020 wurde ein Termin zur Vorverhandlung am 23. Juli 2020 anberaumt und der Berichterstatter ordnete im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 274b Abs. 3 NPK an, HN über Bedienstete der Direktion „Migration“ des bulgarischen Innenministeriums Abschriften der Verfügung und der Anklageschrift in albanischer Übersetzung zuzustellen. Darin wurde auch darauf hingewiesen, dass die Anwesenheit von HN in der Gerichtsverhandlung gemäß Art. 269 Abs. 1 NPK zwingend sei und das Verfahren unter den Voraussetzungen des Art. 269 Abs. 3 NPK in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden könne.

32.      Am 16. Juli 2020 wurde dem vorlegenden Gericht von der Direktion „Migration“ des bulgarischen Innenministeriums mitgeteilt, dass HN die Hafteinrichtung verlassen habe und an die Grenze abgeschoben worden sei. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass HN nicht von der Eröffnung des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt worden war.

33.      In der öffentlichen Sitzung vom 23. Juli 2020 erklärte die Rayonstaatsanwaltschaft Sofia, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verfahrens in Abwesenheit erfüllt seien, da sich HN außerhalb des bulgarischen Hoheitsgebiets befinde und sein Aufenthaltsort unbekannt sei. Den bulgarischen Justizbehörden ist gegenwärtig nämlich nicht bekannt, wo sich diese Person aufhält.

B.      Ausgangsverfahren

34.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach Art. 10 Abs. 1 und 2 ZChRB in dem Fall, dass gegen einen Drittstaatsangehörigen ein Strafverfahren eingeleitet werde, weil er die Einreise in oder die Durchreise durch das Hoheitsgebiet unter Verwendung unechter oder gefälschter Urkunden versucht habe, sein Recht auf persönliche Teilnahme an dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren untergraben werde.

35.      Das vorlegende Gericht zieht daher drei Szenarien in Betracht, um dieser Verletzung der Rechte des Angeklagten abzuhelfen.

36.      Für den Fall, dass der Angeklagte abgeschoben wird und in dem Staat, in dem das Verfahren stattfindet, einem Einreise- und Aufenthaltsverbot unterliegt, ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass es möglich sei, den Aufenthaltsort dieser Person im Ausland gemäß den geltenden internationalen Vorgehensweisen zu ermitteln, um sie über das Verfahren zu unterrichten und das Verfahren in ihrer Abwesenheit durchzuführen, wobei sie von einem von Amts wegen bestellten Rechtsanwalt vertreten werde.

37.      Ein zweites Szenario bestehe darin, das Strafverfahren bis zum Ablauf der Maßnahme des Einreise- und Aufenthaltsverbots auszusetzen, um die Beachtung der Verfahrensrechte dieser Person zu gewährleisten.

38.      Ein drittes Szenario bestehe darin, die Verhandlungstermine vorab festzulegen und die Dienststellen der Grenzpolizei beim bulgarischen Innenministerium darüber zu informieren, dass sie verpflichtet seien, der angeklagten Person die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet zu gestatten, damit diese ihr Recht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, trotz des gegen sie verhängten Einreiseverbots in vollem Umfang ausüben könne. Dies würde jedoch darauf hinauslaufen, das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung von einer vorherigen Einreiseerlaubnis der Exekutivbehörden abhängig zu machen. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass diese Genehmigung nicht gerichtlich angefochten werden könne, wodurch faktisch administrative Hürden aufgestellt würden, die sich auf das Recht auf ein faires Verfahren auswirkten.

C.      Vorlagefragen

39.      Unter diesen Umständen hat der Sofiyski Rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist eine Einschränkung des in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 vorgesehenen Rechts der beschuldigten Personen, in der sie betreffenden Verhandlung persönlich anwesend zu sein, durch nationale Rechtsvorschriften, wonach gegen förmlich beschuldigte Ausländer ein verwaltungsrechtliches Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Land, in dem das Strafverfahren durchgeführt wird, verhängt werden darf, zulässig?

2.      Falls die erste Frage bejaht werden sollte, wären die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 Buchst. а und/oder b der Richtlinie 2016/343 für die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten ausländischen Person erfüllt, wenn diese ordnungsgemäß über die Strafsache und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde und von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten wird, der entweder von der beschuldigten Person oder vom Staat bestellt wurde, ihrem persönlichen Erscheinen aber ein im Verwaltungsverfahren erlassenes Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Land, in dem das Strafverfahren durchgeführt wird, entgegensteht?

3.      Ist es zulässig, das Recht der beschuldigten Person gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, durch nationale Rechtsvorschriften in eine verfahrensrechtliche Pflicht dieser Person umzuwandeln? Konkret: Gewährleisten die Mitgliedstaaten auf diese Weise ein höheres Schutzniveau im Sinne des 48. Erwägungsgrundes oder ist ein solches Vorgehen mit dem 35. Erwägungsgrund der Richtlinie, wo es heißt, dass das Recht des Beschuldigten nicht absolut gilt und darauf verzichtet werden kann, vielmehr unvereinbar?

4.      Ist ein Vorabverzicht des Beschuldigten auf das Recht gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, in der ihn betreffenden Verhandlung persönlich anwesend zu sein, der im Laufe des Ermittlungsverfahrens unmissverständlich erklärt wurde, zulässig, sofern der Beschuldigte über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde?

D.      Verfahren vor dem Gerichtshof

40.      Die deutsche, die ungarische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen zu diesen Fragen abgegeben.

41.      Am 5. Oktober 2021 hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht ein Auskunftsersuchen zum Rechtsrahmen des Ausgangsverfahrens übermittelt, auf das dieses am 11. Oktober 2021 geantwortet hat.

42.      HN und die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkung

43.      Ich möchte eine einleitende Bemerkung zum maßgeblichen Rechtsrahmen machen.

44.      Meines Erachtens erfordern die gestellten Fragen nämlich die Berücksichtigung anderer Normen des Unionsrechts als derjenigen, die in der Vorlageentscheidung ausdrücklich angeführt werden(7).

45.      Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof nämlich, den Wortlaut von Art. 8 der Richtlinie 2016/343 in einer besonderen Situation auszulegen, in der gegen den Beschuldigten in Anwendung des ZChRB zum einen eine Abschiebungsmaßnahme und zum anderen ein Einreise‑ und Aufenthaltsverbot für das nationale Hoheitsgebiet für eine Dauer von fünf Jahren verhängt worden war.

46.      Diese Maßnahmen stellen keine Strafe dar, sondern Zwangsmaßnahmen, die unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens ergriffen werden können. Auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hin hat das vorlegende Gericht klargestellt, dass das ZChRB, auf dessen Grundlage diese Maßnahmen erlassen wurden, die Richtlinie 2008/115 umsetze. In Anbetracht dieser Informationen und mangels näherer Angaben, die die bulgarische Regierung in dieser Rechtssache hätte geben können, bin ich der Ansicht, dass die Situation von HN in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt, wie er in deren Art. 2 Abs. 1 festgelegt ist. Nichts deutet darauf hin, dass die Republik Bulgarien sich dafür entschieden hätte, die Anwendung dieser Richtlinie auf die in ihrem Art. 2 Abs. 2 genannten Fälle auszuschließen.

47.      Demzufolge und wiederum vorbehaltlich der Klarstellungen, die mir die bulgarische Regierung hätte liefern können, bin ich zum einen der Auffassung, dass die Entscheidung, mit der die zuständigen nationalen Behörden die Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland angeordnet haben, eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115 darstellt, die daher die „Abschiebung“ des Betroffenen aus dem bulgarischen Hoheitsgebiet im Sinne von Art. 3 Nr. 5 dieser Richtlinie beinhaltet, und zum anderen, dass die Entscheidung, mit der diese Behörden ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen haben, ein „Einreiseverbot“ im Sinne von Art. 3 Nr. 6 dieser Richtlinie darstellt.

48.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts erfordern daher meines Erachtens, dass auf die Vorschriften der Richtlinie 2008/115 Bezug genommen wird, um sie mit den im Rahmen der Richtlinie 2016/343 aufgestellten Grundsätzen in Einklang zu bringen.

B.      Tragweite des in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 verankerten Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung (erste Frage)

49.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der die zuständigen nationalen Behörden eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen vollstrecken können, obwohl dieser im Rahmen eines Strafverfahrens wegen der Begehung einer schweren Straftat verfolgt wird und noch nicht zu seinem Verfahren erschienen ist.

50.      Die Frage stellt sich insofern, als offensichtlich die Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung, da sie die tatsächliche Verbringung des Betroffenen aus dem entsprechenden Mitgliedstaat mit sich bringt(8), und der Erlass eines Einreise‑ und Aufenthaltsverbots für das nationale Hoheitsgebiet für eine Dauer von fünf Jahren, da ihm damit untersagt wird, erneut in dieses Gebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten(9), das Recht dieses Betroffenen, zu seiner Verhandlung zu erscheinen, verletzen können, wenn der Betroffene parallel zum Erlass dieser Maßnahmen strafrechtlich verfolgt wird.

51.      Folglich ist eine Abstimmung zwischen dem Strafverfahren und dem Abschiebungs- und Rückkehrverfahren geboten. Zur Bestimmung der Modalitäten dieser Abstimmung werde ich meine Analyse mit einer Prüfung des Wortlauts von Art. 8 der Richtlinie 2016/343 beginnen, in dem das Recht der beschuldigten Person auf Anwesenheit in der Verhandlung verankert ist, bevor ich mich auf die Systematik und die Ziele dieser Richtlinie konzentriere(10). Ich werde auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Rechnung tragen. Der Unionsgesetzgeber hat nämlich in den Erwägungsgründen 11, 13, 33, 45, 47 und 48 dieser Richtlinie klar seinen Willen zum Ausdruck gebracht, eine wirksame Anwendung des Rechts auf ein faires Verfahren in Strafverfahren durch die Aufnahme der von diesem Gericht entwickelten Rechtsprechung zur Einhaltung von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(11) in das Unionsrecht stärken und gewährleisten zu wollen.

1.      Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343

52.      In Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 ist das Recht Verdächtiger und beschuldigter Personen verankert, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein(12). Indem der Unionsgesetzgeber von den Mitgliedstaaten verlangt, „[sicherzustellen], dass [Letztere] das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein“, erlegt er den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Personen die Ausübung dieses Rechts zu ermöglichen.

53.      Das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein, ist nämlich Bestandteil des Grundrechts auf ein faires Verfahren(13). Ich weise darauf hin, dass die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze sind, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat(14). Das Recht auf ein faires Verfahren ist sowohl in Art. 47 Abs. 2 und 3(15) sowie in Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(16) als auch in Art. 6 EMRK verankert.

54.      In Art. 48 Abs. 2 der Charta heißt es insbesondere, dass jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet wird(17). Diese Rechte erfordern u. a., dass die beschuldigte Person in die Lage versetzt wird, zu den gegen sie erhobenen Anschuldigungen sachgerecht Stellung zu nehmen.

55.      Insoweit geht aus dem Urteil Spetsializirana prokuratura (Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten Person) hervor, dass der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Strafrecht besondere Bedeutung zukommt, da der Einzelne zu Recht verlangen kann, „angehört“ zu werden und insbesondere Gelegenheit zu haben, sein Verteidigungsvorbringen mündlich vorzutragen, die belastenden Zeugenaussagen zu hören, Zeugen zu befragen und ins Kreuzverhör zu nehmen(18). Ferner hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte derselben Linie folgend entschieden, dass die Anwesenheit der beschuldigten Person in der sie betreffenden Verhandlung von herausragender Bedeutung ist, sowohl wegen deren Rechts, angehört zu werden, als auch wegen der Notwendigkeit, die Richtigkeit ihrer Aussagen zu prüfen und sie mit den Aussagen des Opfers, dessen Interessen zu schützen sind, sowie denjenigen der Zeugen zu konfrontieren(19).

56.      Außerdem ergibt sich aus dem Urteil vom 29. Juli 2019, Gambino und Hyka, dass die für eine Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten verantwortlichen Personen die Zeugen grundsätzlich persönlich zu hören haben(20). Die Möglichkeit für den Angeklagten, im Beisein des Richters, der nach der Verhandlung über seine Schuld entscheiden wird, den Zeugen und/oder den Opfern gegenüberzutreten, ist ein wichtiges Merkmal eines Strafverfahrens. Dieser Unmittelbarkeitsgrundsatz stelle eine wichtige Garantie im Strafverfahren dar, da die Beobachtungen dieses Richters zum Verhalten und zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen schwerwiegende Konsequenzen für den Angeklagten nach sich ziehen könnten(21). Diese Rechtsprechung beruht somit auf der Überzeugung, dass nur das Strafverfahren zur förmlichen Feststellung strafrechtlicher Schuld führen kann(22).

57.      In Anbetracht des Wortlauts von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 und der Stellung, die das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung im Unionsrecht einnimmt, können die Behörden eines Mitgliedstaats, die beschlossen haben, ein Strafverfahren gegen einen Drittstaatsangehörigen einzuleiten, meines Erachtens keine – zudem noch mit einem Einreise‑ und Aufenthaltsverbot für eine Dauer von fünf Jahren verbundene – Abschiebungsmaßnahme gegen den Drittstaatsangehörigen vollstrecken, ohne dass erforderliche verfahrensleitende Maßnahmen vorgesehen werden, die es dem Drittstaatsangehörigen ermöglichen, sein Recht auf Anwesenheit in der ihn betreffenden Verhandlung in vollem Umfang auszuüben, sofern er nicht in Kenntnis der Sachlage und unmissverständlich darauf verzichtet hat.

58.      Diese Auslegung wird meines Erachtens durch die Systematik der Richtlinie 2016/343 gestützt.

2.      Systematik der Richtlinie 2016/343

59.      Erstens ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber in Kapitel 3 der Richtlinie 2016/343 weder in deren Art. 8 noch in deren Art. 9 auf die Situation eingeht, dass die beschuldigte Person daran gehindert ist, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein.

60.      Gegenstand und Zweck von Art. 8 dieser Richtlinie ist es allein, in seinem Abs. 1 das Recht dieser Person auf Anwesenheit in der Verhandlung festzuschreiben und in Abs. 2 die Fälle festzulegen, in denen eine Person in ihrer Abwesenheit verurteilt werden kann. Der Unionsgesetzgeber stellt nämlich im 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie klar, dass dieses Recht nicht absolut gilt, da die beschuldigte Person unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich oder stillschweigend, aber unmissverständlich erklären kann, auf dieses Recht zu verzichten.

61.      Nach Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2016/343 können die Mitgliedstaaten somit vorsehen, die beschuldigte Person in ihrer Abwesenheit zu verurteilen und die nach Abschluss des Verfahrens ergangene Verurteilung zu vollstrecken, sofern diese Person rechtzeitig über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde oder, nachdem sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem von ihr bevollmächtigten oder vom Staat bestellten Rechtsanwalt vertreten wird. Dies kann belegen, dass der Beschuldigte in Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, persönlich zu der ihn betreffenden Verhandlung zu erscheinen.

62.      Für den Fall, dass die beschuldigte Person nicht über die sie betreffende Verhandlung unterrichtet wurde, weil sie trotz angemessener Bemühungen der zuständigen Behörden nicht aufgefunden werden konnte, gestattet der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2016/343, die Möglichkeit vorzusehen, diese Person in ihrer Abwesenheit zu verurteilen. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch in ihren Rechtsvorschriften vorsehen, dass die betreffende Person insbesondere bei ihrer aufgrund einer Verurteilung erfolgten Festnahme über die Möglichkeit unterrichtet wird, die im Anschluss an das Verfahren, zu dem sie nicht erschienen ist, ergangene Entscheidung anzufechten und ein neues Gerichtsverfahren gemäß Art. 9 dieser Richtlinie in Anspruch zu nehmen(23).

63.      Es ist festzustellen, dass die Situation, in der die beschuldigte Person beispielsweise aufgrund ihrer Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet und des gegen sie verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots daran gehindert ist, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, nicht unter diese Bestimmungen fällt.

64.      Zum einen unterscheidet sich eine solche Situation an sich von der in Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2016/343 genannten Situation, in der die beschuldigte Person in voller Kenntnis der Sachlage auf ihr Recht, vor Gericht zu erscheinen, verzichtet.

65.      Zum anderen kann eine solche Situation nicht notwendigerweise unter dem Blickwinkel von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2016/343 betrachtet werden, dessen Umsetzung erfordert, dass die zuständigen nationalen Behörden trotz angemessener Bemühungen nicht in der Lage sind, diese Person aufzufinden und sie über die sie betreffende Verhandlung zu unterrichten. Die zuständigen nationalen Behörden setzen sich nämlich dadurch, dass sie einen Drittstaatsangehörigen, deren strafrechtliche Verfolgung sie beschlossen haben, abschieben, bevor dieser über die ihn betreffende Verhandlung unterrichtet wurde, und nicht die erforderlichen Schritte einleiteten, um sicherzustellen, dass diese Person nach Rückkehr in ihr Herkunftsland über die sie betreffende Verhandlung unterrichtet werden kann, der Gefahr aus, die beschuldigte Person nicht mehr auffinden zu können, um sie über den Termin und den Ort der sie betreffenden Verhandlung zu informieren. Im vorliegenden Fall geht aus der mündlichen Verhandlung hervor, dass sich das im April 2020 gegen HN eingeleitete Strafverfahren aufgrund der Covid-19-Pandemie verzögert hat. Angesichts der Chronologie des Sachverhalts scheint mir jedoch, dass nicht alle erforderlichen Bemühungen unternommen wurden, um sicherzustellen, dass HN, der zu diesem Zeitpunkt in einer Hafteinrichtung festgehalten wurde, über die ihn betreffende Verhandlung unterrichtet wird. Beispielsweise hätte die Vollstreckung der Abschiebung bis zur Durchführung des Strafverfahrens ausgesetzt werden können. Ebenso hätten Instrumente der internationalen Rechtshilfe eingesetzt werden können(24).

66.      Dies veranlasst mich zweitens zu der Klarstellung, dass die Situation, in der die beschuldigte Person daran gehindert ist, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen, hingegen vom 34. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343 erfasst wird.

67.      In diesem Erwägungsgrund heißt es: „Können … beschuldigte Personen aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, in der Verhandlung nicht anwesend sein, so sollten sie innerhalb der im nationalen Recht vorgesehenen Frist einen neuen Verhandlungstermin beantragen können.“

68.      Zwar spiegelt sich dieser Erwägungsgrund nicht in den Bestimmungen der Richtlinie 2016/343 wider, und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kommt den Erwägungsgründen von Rechtsakten der Union keine eigene rechtliche Bedeutung zu, vielmehr sind sie deskriptiver und nicht normativer Natur(25). Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Unionsgesetzgeber hier seinen Willen bezeugt, Situationen zu berücksichtigen, in denen die beschuldigte Person aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen daran gehindert ist, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen, wobei der Mitgliedstaat in diesem Fall verpflichtet ist, Sorgfalt walten zu lassen, um zu gewährleisten, dass diese Person von ihrem Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung tatsächlich Gebrauch machen kann.

69.      Dieser Grundsatz beruht auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine Einzelfallprüfung der Art und der Schwere der von der beschuldigten Person geltend gemachten Verhinderungsgründe und der Sorgfalt vornimmt, die die zuständigen nationalen Behörden an den Tag gelegt haben, um die Anwesenheit dieser Person in der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten(26). So entschied dieses Gericht im Urteil vom 28. August 1991, FCB/Italien, dass es gegen Art. 6 EMRK verstößt, wenn ein italienisches Berufungsgericht die Verhandlung nicht vertagt, obwohl die beschuldigte Person, die wegen besonders schwerer Straftaten angeklagt worden war, in einer niederländischen Justizvollzugsanstalt inhaftiert gewesen war und nicht den Willen zum Ausdruck gebracht hat, auf ihr Erscheinen in der Verhandlung zu verzichten(27).

70.      Der Wortlaut des 34. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2016/343 ist meines Erachtens hinreichend weit gefasst, um Situationen abzudecken, in denen die beschuldigte Person an der Anwesenheit in der Verhandlung gehindert ist, weil sie in ein Drittland abgeschoben wurde und es ihr aufgrund der gegen sie verhängten Verwaltungszwangsmaßnahmen auch nicht möglich ist, sich in das Hoheitsgebiet des Urteilsstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten. Dieser Erwägungsgrund scheint jedoch auf Situationen abzustellen, in denen diese Person Kenntnis vom Zeitpunkt ihrer Verhandlung hat, da sie beim Gericht deren Vertagung beantragt, was in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall ist. Außerdem reichen die vom Unionsgesetzgeber in diesem Erwägungsgrund vorgesehenen Maßnahmen nicht aus, um dieser Person die Teilnahme an der Verhandlung zu ermöglichen. Der Unionsgesetzgeber sieht in diesem Erwägungsgrund nämlich nur die Vertagung der Verhandlung vor(28). Die Art, der Umfang und die Dauer der Verhinderung, die sich aus der Vollstreckung einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung ergibt, die, wie bereits ausgeführt, fünf Jahre betragen kann, erfordern jedoch, dass andere Maßnahmen zur Organisation des Verfahrens ergriffen werden, und zwar sowohl von den Verwaltungsbehörden, indem sie beispielsweise die Abschiebung aufschieben, als auch von den Justizbehörden, indem sie u. a. auf die internationale Rechtshilfe zurückgreifen.

71.      Solche Maßnahmen sind im Hinblick auf die Zielsetzung der Richtlinie 2016/343 geboten.

3.      Zielsetzung der Richtlinie

72.      Nach dem neunten Erwägungsgrund und Art. 1 der Richtlinie 2016/343 sollen mit ihr das Recht auf ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person im Rahmen eines Strafverfahrens gestärkt werden, indem gemeinsame Mindestvorschriften u. a. für das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung festgelegt werden.

73.      Erstens implizieren der wirksame Zugang zu einem Gericht und die Ausübung der Verteidigungsrechte, dass diese Person in der sie betreffenden Verhandlung anwesend sein kann. Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen, gegen den die Behörden des Mitgliedstaats ein Strafverfahren wegen der Begehung einer schweren Straftat eingeleitet haben, und das überdies auferlegte Verbot, in das Hoheitsgebiet dieses Staates einzureisen und sich dort aufzuhalten, obwohl die ihn betreffende Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, nimmt dem Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung jedoch jede Wirksamkeit, wenn diese Maßnahmen nicht mit besonderen Bestimmungen einhergehen, die es ermöglichen, diese Person über Termin und Ort der Verhandlung zu unterrichten und ihr Erscheinen oder ihre Vertretung in der Verhandlung zu gewährleisten.

74.      Zweitens geht aus den Erwägungsgründen 2, 4 und 10 der Richtlinie 2016/343 hervor, dass der Unionsgesetzgeber auch das Ziel verfolgt, das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweilige Strafrechtspflege zu stärken, um auf diese Weise die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, mit denen die beschuldigte Person verurteilt wird, einschließlich der Entscheidung, mit der die zu verbüßende Freiheitsstrafe festgesetzt wird, zu erleichtern(29). Die gegenseitige Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Verurteilung setzt jedoch voraus, dass diese unter Bedingungen erfolgt ist, die die Wahrung der Verfahrensrechte der betreffenden Person gewährleisten. Andernfalls stellt dies einen Grund für die Versagung der Vollstreckung dar, wie er beispielsweise in Art. 9 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union vorgesehen ist(30). Die vorliegende Rechtssache fügt sich zwar in einen anderen Kontext ein, an dem ein Mitgliedstaat und ein Drittland beteiligt sind. Ich stelle jedoch fest, dass die die Auslieferung betreffenden Bestimmungen des Völkerrechts im gleichen Sinne ausgelegt werden(31). Unter diesen Umständen ist es daher unerlässlich, dass die zuständigen nationalen Behörden alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die beschuldigte Person entweder vor oder nach ihrer Abschiebung von der sie betreffenden Verhandlung unterrichtet wird, und dass diese Behörden gegebenenfalls die für das Erscheinen der Person erforderlichen Schritte einleiten, sofern diese abgeschoben wurde.

75.      Drittens verlangt das Recht auf ein faires Verfahren, auf dem die Richtlinie 2016/343 beruht, eine geordnete Rechtspflege. Die Vollstreckung einer Rückführungsentscheidung, die nicht nur unmittelbar, sondern auch gleichzeitig mit einem Strafverfahren erfolgt, ohne dass Maßnahmen ergriffen werden, die die Feststellung des Aufenthaltsorts der beschuldigten Person im Hoheitsgebiet des Drittstaats gewährleisten, kann es den Justizbehörden de facto unmöglich machen, diese Person über die Durchführung des sie betreffenden Verfahrens zu unterrichten. So führte im vorliegenden Fall die Abschiebung des Betroffenen in ein Drittland dazu, dass Schritte bei den Konsularbehörden dieses Landes unternommen wurden, die erfolglos blieben. Eine solche Situation kann zu einer faktischen Aussetzung des Strafverfahrens und damit zu dessen Verlängerung oder zu einer Verurteilung in Abwesenheit führen, die dann von dem mit einem Rechtshilfeersuchen befassten Land möglicherweise nicht anerkannt oder nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2016/343 im Hinblick auf eine neue Verhandlung angefochten werden könnte.

76.      In Anbetracht dessen halte ich es zum einen für wesentlich, dass die zuständigen Strafverfolgungs- und Verwaltungsbehörden zusammenarbeiten. So kann man nicht umhin, auf die Chronologie der vorliegenden Rechtssache hinzuweisen: Nach seiner Festnahme am 11. März 2020 wurde der Betroffene von den Justizbehörden am 23. April 2020 über seine förmliche Beschuldigung unterrichtet und am 16. Juni 2020 von der Grenzpolizei aus dem Hoheitsgebiet abgeschoben, d. h. acht Tage vor der Festsetzung des Termins für die Vorverhandlung auf den 23. Juli 2020.

77.      Zum anderen halte ich es für unerlässlich, dass die zuständigen nationalen Behörden eine Abwägung der verschiedenen in Rede stehenden Interessen vornehmen, um zugleich die Grundrechte der beschuldigten Person und das Allgemeininteresse des Mitgliedstaats zu wahren. Diese Abwägung erfordert meines Erachtens, dass diese Behörden Folgen, die mit der Durchführung der fraglichen Verwaltungsmaßnahmen verbunden sind, durch geeignete Verfahrensmechanismen ausgleichen, korrigieren oder auch beheben, um ein zufriedenstellendes Maß an Fairness in dem Verfahren zu gewährleisten. Ich bin der Auffassung, dass die Behörden prüfen sollten, wie die mit dem einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung zu vollstrecken ist, und insbesondere, ob die sofortige Vollstreckung der Rückkehrentscheidung erforderlich ist, obwohl ein Strafverfahren anhängig ist. In diesem Zusammenhang sollten sie die Schwere der angeblich begangenen Straftat und die mit der Anwesenheit der betreffenden Person im Hoheitsgebiet verbundenen Gefahren berücksichtigen können. Insoweit kann der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger verdächtigt wird, eine schwere Straftat begangen zu haben, für sich allein nicht rechtfertigen, dass dieser Drittstaatsangehörige unmittelbar aus dem Hoheitsgebiet abgeschoben wird, ohne dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um ihm zu ermöglichen, in der Verhandlung anwesend zu sein.

78.      Im Hinblick auf diese Analyse des Wortlauts, aber auch der Systematik und der Zielsetzung der Richtlinie 2016/343 bin ich der Ansicht, dass Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung gegen einen in einem Strafverfahren wegen der Begehung einer schweren Straftat verfolgten Drittstaatsangehörigen vollstreckt wird, ohne dass die zuständigen nationalen Behörden besondere Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um es dem Drittstaatsangehörigen zu ermöglichen, seine Verteidigungsrechte in vollem Umfang wahrzunehmen und in der ihn betreffenden Verhandlung anwesend zu sein.

79.      Da die Richtlinie 2016/343 keine solchen Mechanismen vorsieht, bin ich der Ansicht, dass es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der Mitgliedstaaten ist, sie gegebenenfalls unter Einsatz der Instrumente, die ihnen im Rahmen der Richtlinie 2008/115 zur Verfügung stehen, einzuführen.

4.      In der Richtlinie 2008/115 vorgesehene Verfahrensmechanismen

80.      Im Einklang mit Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV soll mit der Richtlinie 2008/115 – wie aus ihren Erwägungsgründen 2 und 24 hervorgeht – eine wirksame Rückkehr- und Rückübernahmepolitik festgelegt werden, die auf gemeinsamen Normen und Rechtsgarantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden(32). Daraus folgt, dass die auf der Grundlage dieser Richtlinie erlassenen Maßnahmen unbeschadet des Rechts des Drittstaatsangehörigen auf ein faires Verfahren und unter Beachtung seines Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung durchgeführt werden müssen.

81.      Außerdem stellt der Unionsgesetzgeber im sechsten Erwägungsgrund dieser Richtlinie klar, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass der illegale Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen Verfahrens beendet wird und Entscheidungen im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts auf Grundlage des Einzelfalls und anhand anderer objektiver Kriterien als dem des bloßen illegalen Aufenthalts des Drittstaatsangehörigen getroffen werden. So hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, bei allen Schritten des durch die Richtlinie geschaffenen Rückführungsverfahrens, wozu der die Rückführungsentscheidung betreffende zählt, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren(33). Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass die zuständigen nationalen Behörden verpflichtet sind, den Betroffenen vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung anzuhören, da dieser berechtigt ist, seinen Standpunkt zu den Modalitäten seiner Rückkehr vorzutragen(34).

82.      Unter diesen Umständen erfordert der Erlass einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung meines Erachtens, dass die zuständigen nationalen Behörden im Einzelfall prüfen, inwieweit ihre sofortige Vollstreckung die Verteidigungsrechte des betreffenden Drittstaatsangehörigen beeinträchtigen könnte.

83.      Im Übrigen sieht der Unionsgesetzgeber in Art. 9 der Richtlinie 2008/115 Bestimmungen über den Aufschub der Abschiebung vor.

84.      Nach Art. 9 Abs. 2 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten „die Abschiebung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen angemessenen Zeitraum aufschieben“. Zwar fordert der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck auf, Gründe zu berücksichtigen, die mit der körperlichen oder psychischen Verfassung der betreffenden Drittstaatsangehörigen oder mit technischen Gründen wie beispielsweise fehlenden Beförderungskapazitäten zusammenhängen, doch zeugt die Verwendung des Adverbs „insbesondere“ davon, dass andere Umstände berücksichtigt werden können. Die von den zuständigen nationalen Behörden vorzunehmende Einzelfallprüfung sollte es daher ermöglichen, Kenntnis vom Vorliegen einer gegen diesen Drittstaatsangehörigen eingeleiteten Strafverfolgung zu erlangen, um zu bestimmen, inwieweit ein Aufschub – und nicht die Nichtvollstreckung – der Abschiebung in Betracht gezogen werden sollte.

85.      Insoweit weise ich darauf hin, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 den Mitgliedstaaten im Fall eines Aufschubs der Abschiebung gestattet, dem Betroffenen zur Vermeidung der Fluchtgefahr bestimmte Verpflichtungen aufzuerlegen, wie z. B. eine regelmäßige Meldepflicht bei den Behörden oder die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Diese Verpflichtungen sind in Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie aufgeführt.

86.      Der Gesetzgeber sieht in Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 4 der Richtlinie auch Bestimmungen über die Aufhebung oder Aussetzung des Einreiseverbots vor.

87.      Dieser Mechanismus ermöglicht es den Mitgliedstaaten, ein Einreiseverbot „in Einzelfällen oder bestimmten Kategorien von Fällen … aus sonstigen Gründen“ aufzuheben oder auszusetzen. Dieser Artikel räumt den Mitgliedstaaten offensichtlich einen relativ weiten Ermessensspielraum in Bezug auf die Situationen ein, in denen sie beschließen können, ein Einreiseverbot aufzuheben oder auszusetzen. In diesem Zusammenhang und aus den gleichen Gründen wie den in Nr. 83 dieser Schlussanträge genannten bin ich der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, die Vollstreckung des Einreise‑ und Aufenthaltsverbots für ihr Hoheitsgebiet aufzuheben oder auszusetzen, um die Achtung der Rechte des betreffenden Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten, indem sie ihm gegebenenfalls die Möglichkeit geben, zu der ihn betreffenden Verhandlung zu erscheinen.

88.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Abschiebungsmaßnahme gegen einen Drittstaatsangehörigen vollstreckt wird, obwohl die betreffende Person wegen der Begehung einer schweren Straftat strafrechtlich verfolgt wird, ohne dass die zuständigen nationalen Behörden besondere Maßnahmen ergreifen, um es diesem Drittstaatsangehörigen zu ermöglichen, in der ihn betreffenden Verhandlung anwesend zu sein. Unter diesen Umständen schlage ich dem Gerichtshof ferner vor, für Recht zu erkennen, dass der Erlass einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Abschiebungsmaßnahme erfordert, dass, wenn gegen diese Person ein Strafverfahren eingeleitet wurde, geprüft wird, ob die sofortige Vollstreckung dieser Maßnahme mit den Verteidigungsrechten dieser Person vereinbar ist und ob gegebenenfalls die Abschiebung nicht aufgeschoben oder das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben oder ausgesetzt werden muss, wie in Art. 9 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 vorgesehen.

C.      Zulässigkeit des Verzichts auf das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343

89.      Nunmehr sind die zweite und die dritte Frage zu den Voraussetzungen zu prüfen, unter denen eine beschuldigte Person, gegen die eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung erlassen wurde, gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 auf die Anwesenheit in der sie betreffenden Verhandlung verzichten kann.

90.      Zunächst ist festzustellen, dass Art. 8 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie die Möglichkeit vorsieht, eine Person in ihrer Abwesenheit zu verurteilen und die nach Abschluss dieses Verfahrens gegebenenfalls ergangene Verurteilung so zu vollstrecken, als wäre dieses Verfahren kontradiktorisch gewesen. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2016/343 sieht ebenfalls die Möglichkeit vor, diese Person in ihrer Abwesenheit zu verurteilen, jedoch mit dem Recht dieser Person, die Verurteilung anzufechten und eine neue Verhandlung nach Maßgabe von Art. 9 dieser Richtlinie zu erwirken. Zwischen den beiden Fällen wird danach unterschieden, ob die beschuldigte Person Kenntnis von der sie betreffenden Verhandlung hatte und bewusst darauf verzichtet hat, zu erscheinen, oder ob sie keine Kenntnis von der Verhandlung hatte.

1.      Situation, in der die beschuldigte Person aufgrund der Vollstreckung einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung daran gehindert ist, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen (zweite Frage)

91.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen, ob Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die beschuldigte Person in ihrer Abwesenheit verurteilen kann, wenn sie, obwohl sie aufgrund der gegen sie erlassenen, mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung nicht zu ihrer Verhandlung erscheinen kann, über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde und sie von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten wird, der entweder von der beschuldigten Person oder von Amts wegen bestellt wurde.

92.      Nach Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2016/343 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Person in ihrer Abwesenheit abgeurteilt und eine etwaige Verurteilung vollstreckt wird, ohne dass sie Anspruch auf eine neue Verhandlung hat, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

93.      Der Unionsgesetzgeber weist nämlich im 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie darauf hin, dass das Recht von Verdächtigen und beschuldigten Personen auf Anwesenheit in der Verhandlung nicht absolut gilt und Verdächtige und beschuldigte Personen unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich oder stillschweigend, aber unmissverständlich auf dieses Recht verzichten können sollten(35). Ein solcher Verzicht kann daher grundsätzlich nur in den beiden in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2016/343 genannten Fällen erfolgen(36).

94.      Der erste, in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie genannte Fall betrifft die Unterrichtung der beschuldigten Person. Er erfasst die Situation, in der diese Person rechtzeitig über die sie betreffende Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde. Aus dem 36. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt sich, dass die Wirksamkeit dieser Information zum einen voraussetzt, dass diese Person persönlich geladen wird oder auf anderem Wege amtlich über den Termin und Ort der Verhandlung in einer Weise unterrichtet wird, dass sie von der Verhandlung Kenntnis nehmen kann, und zum anderen, dass eine Entscheidung über die Verurteilung auch dann ergehen kann, wenn sie der Verhandlung fernbleibt. Nach dem 38. Erwägungsgrund der Richtlinie müssen die zuständigen nationalen Behörden die erforderliche Sorgfalt an den Tag legen, um die betroffene Person zu unterrichten, und diese muss die erforderliche Sorgfalt im Zusammenhang mit der Entgegennahme der an sie gerichteten Informationen an den Tag legen(37), um jeden Zweifel daran auszuräumen, dass sie nicht an der Verhandlung teilnehmen will.

95.      Der zweite, in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2016/343 genannte Fall betrifft die Vertretung der beschuldigten Person durch einen Rechtsanwalt. Er erfasst die Situation, in der sich diese Person, nachdem sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, bewusst dafür entschieden hat, sich durch einen Rechtsbeistand vertreten zu lassen, anstatt persönlich zu der Verhandlung zu erscheinen(38). Diese Entscheidung vermag grundsätzlich ihren Verzicht auf die persönliche Teilnahme an der Verhandlung zu belegen, wobei damit zugleich ihr Recht auf Verteidigung gewahrt bleibt, so dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht auf das Recht auf eine neue Verhandlung gemäß Art. 9 der Richtlinie berufen kann.

96.      In Anbetracht dessen spricht nichts dagegen, dass eine beschuldigte Person, gegen die zudem eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung ergangen ist, darauf verzichtet, zu der Verhandlung zu erscheinen. Dieses Recht richtet sich nämlich an alle im Rahmen eines Strafverfahrens beschuldigte Personen, unabhängig von ihrer Rechtsstellung in dem Mitgliedstaat(39).

97.      Ein solcher Verzicht muss jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden mit besonderen Garantien versehen sein.

98.      Erstens setzt der Verzicht der beschuldigten Person auf das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2016/343 für sich genommen voraus, dass diese Person tatsächlich in Kenntnis der Sachlage auf dieses Recht verzichten kann. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass diese Person freiwillig und unmissverständlich auf dieses Recht verzichtet hat, wenn sie ihrer Bewegungsfreiheit beraubt wird, weil sie entweder zur Vollstreckung der Abschiebungsmaßnahme in Haft genommen wurde oder weil gegen sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt wurde. In diesem Fall sollten die zuständigen nationalen Behörden besondere Maßnahmen vorsehen, die es dieser Person ermöglichen, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen (z. B. durch Genehmigung des Verlassens der Hafteinrichtung, durch Aufschub der Abschiebung oder durch Aussetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots) und die Person davon in Kenntnis setzen.

99.      Zweitens setzt der Verzicht der beschuldigten Person auf das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2016/343 voraus, dass die Modalitäten der Vertretung der beschuldigten und aus dem Hoheitsgebiet abgeschobenen Person durch einen Rechtsanwalt berücksichtigt werden. Ich möchte daran erinnern, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Umstand große Bedeutung beimisst, dass die Abwesenheit des Angeklagten im Verfahren nicht durch die Verweigerung des Rechts auf Beistand durch einen Verteidiger sanktioniert wird(40). Denn „[d]as Recht jedes Angeklagten, sich von einem ihm erforderlichenfalls von Amts wegen beizuordnenden Rechtsanwalt tatsächlich verteidigen zu lassen, gehört, auch wenn es nicht absolut gilt, zu den grundlegenden Merkmalen eines fairen Prozesses. Ein Angeklagter verliert dieses Recht nicht bereits dadurch, dass er nicht in der Hauptverhandlung zugegen ist“(41). Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zufolge „ist es für die Fairness des Strafrechtssystems entscheidend, dass der Angeklagte sowohl in der ersten Instanz als auch in der Berufung angemessen verteidigt wird“(42). Da, wie der vorliegende Fall zeigt, die Vollstreckung einer Abschiebungsmaßnahme das Risiko mit sich bringt, dass der Kontakt zwischen der beschuldigten Person und ihrem Anwalt abbricht, muss den Modalitäten dieser Vertretung meiner Meinung nach daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

100. Drittens sind solche Garantien im Hinblick auf die in den Nrn. 72 ff. der vorliegenden Schlussanträge genannten Ziele der Richtlinie 2016/343 geboten. Zwar räumt der Unionsgesetzgeber in Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie der beschuldigten Person das Recht ein, darauf zu verzichten, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen, doch ist es angesichts des grundlegenden Charakters des Rechts auf ein faires Verfahren und der mit dem Verzicht auf das Erscheinen verbundenen Folgen unerlässlich, dass dieser Verzicht unter Bedingungen ausgesprochen wird, die keinen Raum für Zweifel lassen.

101. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat einen Drittstaatsangehörigen, gegen den eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot für das nationale Hoheitsgebiet verbundene Rückkehrentscheidung ergangen ist, in dessen Abwesenheit verurteilt, sofern diese Person rechtzeitig nicht nur über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens, sondern auch über die besonderen Maßnahmen, die ihr zur Verfügung gestellt werden, um zu der Verhandlung erscheinen zu können, unterrichtet wurde, und sie freiwillig und unmissverständlich darauf verzichtet hat, oder diese Person, nachdem sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem von ihr bevollmächtigten oder von Amts wegen bestellten Rechtsanwalt angemessen vertreten wird.

2.      Situation, in der die beschuldigte Person ihren Verzicht auf das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung während des Ermittlungsverfahrens zum Ausdruck gebracht hat (vierte Frage)

102. Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die beschuldigte Person in deren Abwesenheit verurteilen kann, wenn diese, nachdem sie über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde, im Lauf des Ermittlungsverfahrens und vor Festlegung des Verhandlungstermins unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, auf das Recht auf Anwesenheit in der sie betreffenden Verhandlung zu verzichten.

103. Meines Erachtens hat der Unionsgesetzgeber in Art. 8 Abs. 2 den vom vorlegenden Gericht angeführten Fall nicht ausdrücklich vorgesehen.

104. Unter diesen Umständen stellt sich daher die Frage, ob ein Mitgliedstaat vorsehen kann, eine Person auch in einer anderen als der in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 ausdrücklich genannten Situation in Abwesenheit zu verurteilen. Wie in Nr. 89 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, besteht der Unterschied zwischen der rechtlichen Regelung des Art. 8 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie und der des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie nicht in der Möglichkeit, eine Person in ihrer Abwesenheit zu verurteilen, sondern in den Folgen im Hinblick auf die Vollstreckung der am Ende dieses Abwesenheitsverfahrens ergangenen Entscheidung.

105. Erstens sind nämlich die Bestimmungen in Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2016/343 eng auszulegen, da jeder Verzicht auf das Recht, vor Gericht zu erscheinen, die Vollstreckung der in Abwesenheit ergangenen Entscheidung und die Unmöglichkeit für die beschuldigte Person zur Folge hat, eine neue Verhandlung zu beantragen. Aus diesem Grund geht es bei den in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und b genannten Fällen um Situationen, in denen diese Person, nachdem sie über den Termin und den Ort der sie betreffenden Verhandlung(43), unterrichtet wurde, weiß, dass ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet wurde, und die Art und den Grund der Anklage kennt, so dass sie unmissverständlich darauf verzichtet, persönlich zu erscheinen.

106. Ein solcher „vorab“ während der Ermittlungen geäußerter Verzicht ist jedoch nicht unmissverständlich, da der Umstand, dass die beschuldigte Person über die Folgen eines Nichterscheinens informiert wird, diese nicht beseitigen kann. Dieser Verzicht erfolgt nämlich in einem frühen Stadium des Strafverfahrens, in dem die zuständige Justizbehörde den Fall untersucht, d. h. Tatsachen ermittelt, die möglicherweise eine Straftat darstellen können oder nicht. Würde man zulassen, dass ein solcher Verzicht als Zustimmung zu einer Verurteilung in Abwesenheit anzusehen wäre, liefe dies daher den vom Unionsgesetzgeber aufgestellten Grundsätzen und der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Rechtsprechungslinie zuwider. Diese Rechtsprechungslinie verlangt, wie bereits ausgeführt, dass dieser Person die gegen sie erhobenen Anklagepunkte persönlich zugestellt wurden und dass sie ordnungsgemäß vorgeladen wurde(44). Andernfalls verlangt sie, dass dieser Verzicht auf der Grundlage genauer, objektiver und relevanter Tatsachen festgestellt wird, mit denen dargetan werden kann, dass diese Person davon unterrichtet wurde, dass gegen sie ein Strafverfahren lief, dass sie die Art und den Gegenstand der Anklage kannte und dass sie somit unmissverständlich auf ihr Recht verzichtet hat, persönlich zu erscheinen und sich zu verteidigen(45). Jedenfalls reicht es nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht aus, dass die beschuldigte Person „eine Ahnung“ von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie hatte(46).

107. Zweitens zeugt die Klarstellung der in Art. 8 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2016/343 genannten Situationen meines Erachtens vom Willen des Unionsgesetzgebers, abschließend und aus Gründen der Rechtssicherheit die Fälle vorzusehen, in denen davon auszugehen ist, dass die Verfahrensrechte einer nicht persönlich zur Verhandlung erschienenen Person nicht verletzt worden sind. Zwar handelt es sich dabei um gemeinsame Mindestvorschriften für die Mitgliedstaaten. Deren Definition soll jedoch die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ermöglichen, indem die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen erleichtert wird(47). Ließe man zu, dass ein Mitgliedstaat eine Person in ihrer Abwesenheit und mit ihrem Einverständnis aus einem anderen Grund als den in Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten verurteilen kann, so bestünde unter diesen Umständen die Gefahr, dass dieser Zweck verfehlt würde.

108. In Anbetracht dessen bin ich daher der Ansicht, dass Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, davon auszugehen, dass eine Person freiwillig auf die Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet hat, wenn sie, obwohl sie über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde, diesen Willen im Laufe des Ermittlungsverfahrens, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Termin der Verhandlung noch nicht festgelegt war, zum Ausdruck gebracht hat.

109. Im vorliegenden Fall war der Verzicht des Betroffenen auf sein Recht, zu der ihn betreffenden Verhandlung zu erscheinen, zwar mit Mindestgarantien versehen. Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen war er tatsächlich von seinem von Amts wegen bestellten Rechtsanwalt begleitet. Ihm wurde die Verfügung über seine förmliche Beschuldigung zugestellt und er erlangte in Gegenwart eines Dolmetschers von seinen Rechten Kenntnis, darunter die in Art. 269 NPK genannten, die den Ablauf und die Folgen eines „in Abwesenheit“ geführten Verfahrens betreffen. Zwar hat er erklärt, diese Rechte zu verstehen und nicht zur Verhandlung erscheinen zu wollen, doch hat er weder eine Abschrift der Anklageschrift noch der Verfügung, mit der der Termin der Vorverhandlung auf den 23. Juli 2020 festgesetzt worden war, erhalten, da er am 16. Juni 2020 aus dem Hoheitsgebiet abgeschoben worden war, wobei seine Anschrift bis heute unbekannt ist. Daraus folgt, dass er nicht rechtzeitig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2016/343 über Termin und Ort seiner Verhandlung informiert wurde, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass er freiwillig und unmissverständlich auf seine Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet hat.

D.      Bestehen einer verfahrensrechtlichen Verpflichtung zur Anwesenheit in der Verhandlung (dritte Frage)

110. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die beschuldigte Person das Recht hat, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen diese Person verpflichtet ist, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen.

111. Diese Frage geht auf den Umstand zurück, dass die Anwesenheit des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung nach Art. 269 Abs. 1 und 2 NPK zwingend ist, wenn er eine schwere Straftat wie die im Ausgangsverfahren begangene begangen hat oder wenn dies für die Ermittlung der objektiven Wahrheit erforderlich ist(48).

112. Offenkundig ist es weder Gegenstand noch Ziel der Richtlinie 2016/343, Verdächtigen und beschuldigten Personen eine Verpflichtung aufzuerlegen, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen.

113. Mit dieser Richtlinie soll das Recht der im Rahmen eines Strafverfahrens beschuldigten Personen auf ein faires Verfahren „gestärkt“ werden, indem sie von den Mitgliedstaaten verlangt, sicherzustellen, dass diese Personen das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein. Wie ich bereits ausgeführt habe, erlegt dieser Artikel den Mitgliedstaaten eine positive Verpflichtung auf, Maßnahmen zum Schutz der Rechte aus den Art. 47 und 48 der Charta zu ergreifen.

114. Art. 8 der Richtlinie 2016/343 hat daher als einzigen Gegenstand und Ziel, in seinem Abs. 1 das Recht der verfolgten Person auf Anwesenheit in der sie betreffenden Verhandlung zu verankern, und in seinem Abs. 2 die Grenzen dieses Rechts festzulegen, indem er die Voraussetzungen klarstellt, unter denen diese Person darauf verzichten kann(49). Der Unionsgesetzgeber stellt nämlich im 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie klar, dass dieses Recht nicht absolut gilt, da die beschuldigte Person unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich oder stillschweigend, aber unmissverständlich, auf dieses Recht verzichten kann. Entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihren Erklärungen bin ich daher der Ansicht, dass der Unionsgesetzgeber sehr wohl ein Recht auf Nichtteilnahme an der Verhandlung verankert, ebenso wie er in Art. 7 der Richtlinie 2016/343 das Recht, die Aussage zu verweigern, und das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, festschreibt.

115. In seiner zustimmenden Meinung zum Urteil Van Geyseghem/Belgien(50) hat Richter Bonello im Übrigen ausgeführt, dass „[d]as Recht der beschuldigten Person, nicht an der Verhandlung teilzunehmen, … dem Recht, die Aussage zu verweigern, sehr nahe [kommt]. Wenn die Anwesenheit des Angeklagten bei der ihn betreffenden Verhandlung aufgrund der anerkannten Vorteile, die sich daraus für die geordnete Rechtspflege ergeben, als Vorbedingung für jede Verteidigung angesehen wird, könnte man die gleichen Argumente geltend machen, um ihn dazu zu zwingen, auf sein Recht, die Aussage zu verweigern, zu verzichten, d. h. ebenfalls das Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung geltend machen … In der Praxis kann ich mir keinen Fall vorstellen, in dem bei der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den Interessen der Gesellschaft und diesem Grundrecht des Angeklagten (selbst wenn man davon ausgeht, dass ein solches Vorhaben legitim wäre) dieses Grundrecht gegenüber den genannten Interessen zurücktreten würde.“

116. Zwar hat die Richtlinie 2016/343, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, zum Gegenstand, gemeinsame Mindestvorschriften festzulegen und ist damit kein vollständiges und abschließendes Instrument, das darauf abzielt, sämtliche Voraussetzungen für den Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu regeln(51). So stellt der Unionsgesetzgeber im 48. Erwägungsgrund dieser Richtlinie klar, dass die Mitgliedstaaten „die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte ausweiten können [sollten], um ein höheres Schutzniveau zu gewährleisten“. Meines Erachtens weitet jedoch ein Mitgliedstaat, indem er von der beschuldigten Person verlangt, zu der sie betreffenden Verhandlung zu erscheinen, nicht deren Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung aus, sondern schränkt es vielmehr ein, indem er dieses Recht in eine Pflicht umwandelt und es der – in dieser Richtlinie jedoch ausdrücklich anerkannten – Möglichkeit beraubt, freiwillig auf das Erscheinen zu verzichten. Eine solche Maßnahme kann daher nicht als Beitrag zur Stärkung der Verfahrensrechte der betreffenden Person angesehen werden, wobei die Mitgliedstaaten, wenn ein wichtiges Interesse dies erfordert, Maßnahmen ergreifen können, um das Erscheinen des Betroffenen vor Gericht zu gewährleisten, wie etwa die sofortige Vorladung oder aber die Unterstellung unter richterliche Kontrolle oder die vorläufige Festnahme des Betroffenen.

117. Diese Auslegung steht im Einklang mit der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Rechtsprechungslinie. Zwar erkennt dieser die Bedeutung des Erscheinens des Beschuldigten an, und zwar sowohl wegen dessen Rechts, angehört zu werden, als auch wegen der Notwendigkeit, die Richtigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit den Aussagen des Opfers und der Zeugen zu konfrontieren, stellt es jedoch den Mitgliedstaaten anheim, die Verfahrensregeln so zu gestalten, dass der kontradiktorische Charakter der Verhandlung gewährleistet ist und die Anwesenheit des Beschuldigten „gefördert wird“. Dieser Gerichtshof beschränkt sich somit darauf, den nationalen Gesetzgeber aufzufordern, ungerechtfertigtes Fernbleiben „weniger attraktiv zu machen“(52), indem er die Mittel nutzt, die ihm in seiner nationalen Rechtsordnung zur Verfügung stehen. Wie die verwendete Terminologie zeigt, legt dieser Gerichtshof der beschuldigten Person somit keine Verpflichtung auf, zu der Verhandlung zu erscheinen.

118. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass beschuldigte Personen das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die beschuldigte Person verpflichtet ist, zu der Verhandlung zu erscheinen.

V.      Ergebnis

119. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Sofiyski Rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundene Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen vollstreckt wird, obwohl diese Person wegen der Begehung einer schweren Straftat strafrechtlich verfolgt wird, ohne dass die zuständigen nationalen Behörden besondere Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um es dem Drittstaatsangehörigen zu ermöglichen, in der ihn betreffenden Verhandlung anwesend zu sein.

Unter diesen Umständen erfordert der Erlass einer mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verbundenen Rückkehrentscheidung, dass im Einzelfall geprüft wird, ob die sofortige Vollstreckung dieser Entscheidung mit den Verteidigungsrechten der beschuldigten Person vereinbar ist und ob gegebenenfalls die Abschiebung nicht aufgeschoben oder das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben oder ausgesetzt werden muss, wie in Art. 9 und Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehen.

2.      Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat einen Drittstaatsangehörigen, gegen den eine mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot für das nationale Hoheitsgebiet verbundene Rückkehrentscheidung ergangen ist, in dessen Abwesenheit verurteilt, sofern diese Person rechtzeitig nicht nur über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens, sondern auch über die besonderen Maßnahmen, die ihr zur Verfügung gestellt werden, um ihr die Teilnahme an der Verhandlung zu ermöglichen, unterrichtet wurde, und sie freiwillig und unmissverständlich darauf verzichtet hat, oder diese Person, nachdem sie über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem von ihr bevollmächtigten oder von Amts wegen bestellten Rechtsanwalt angemessen vertreten wird.

3.      Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, davon auszugehen, dass eine Person freiwillig auf die Anwesenheit in der Verhandlung verzichtet hat, wenn sie, obwohl sie über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde, diesen Willen im Laufe des Ermittlungsverfahrens, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Termin der Verhandlung noch nicht festgelegt war, zum Ausdruck gebracht hat.

4.      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass beschuldigte Personen das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die beschuldigte Person verpflichtet ist, zu der Verhandlung zu erscheinen.


1      Originalsprache: Französisch.


i      Die vorliegende Sprachfassung ist in der Kopfzeile gegenüber der ursprünglich online gestellten Sprachfassung geändert worden.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. 2016, L 65, S. 1).


3      ABl. 2008, L 348, S. 98.


4      Im Folgenden: NPK.


5      DV Nr. 153, im Folgenden: ZChRB.


6      Auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hin hat das vorlegende Gericht klargestellt, dass nach Abs. 16 des Zakon za izmenenie i dopalnenie na zakona za chuzhdentsite v Republika Balgaria (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausländer in der Republik Bulgarien, DV Nr. 36) vom 15. Mai 2009 die Anforderungen der Richtlinie 2008/115 umgesetzt worden seien.


7      Ich erinnere daran, dass es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Gerichtshofs ist, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu kann der Gerichtshof auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die in den Vorlagefragen nicht angeführt sind, soweit sie für die Untersuchung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sind. Vgl. u. a. Urteile vom 29. April 2021, Banco de Portugal u. a. (C‑504/19, EU:C:2021:335, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 23. November 2021, IS (Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses) (C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 99).


8      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 2012, Sagor (C‑430/11, EU:C:2012:777, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).


9      Vgl. u. a. Urteil vom 3. Juni 2021, Westerwaldkreis (C‑546/19, EU:C:2021:432, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts ist nach ständiger Rechtsprechung nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Vgl. zur Veranschaulichung Urteil vom 14. Oktober 2021, Dyrektor Z. Oddziału Regionalnego Agencji Restrukturyzacji i Modernizacji Rolnictwa (C‑373/20, EU:C:2021:850, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom (im Folgenden: EMRK).


12      Urteil vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg (C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 43).


13      Vgl. 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343.


14      Urteil vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a. (C‑305/05, EU:C:2007:383, Rn. 29).


15      Nach Art. 47 Abs. 2 der Charta hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird; jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.


16      Im Folgenden: Charta.


17      Urteil vom 29. Juli 2019, Gambino und Hyka (C‑38/18, EU:C:2019:628, Rn. 38).


18      Vgl. u. a. Urteil vom 13. Februar 2020 (C‑688/18, EU:C:2020:94, Rn. 36), das auf die Urteile des EGMR vom 23. November 2006, Jussila/Finnland (CE:ECHR:2006:1123JUD007305301, § 40), und vom 4. März 2008, Hüseyin Turan/Türkei (CE:ECHR:2008:0304JUD001152902, § 31), verweist.


19      Vgl. Urteil des EGMR vom 23. Mai 2000, Van Pelt/Frankreich (CE:ECHR:2000:0523JUD003107096, § 66).


20      C‑38/18, EU:C:2019:628, Rn. 42.


21      Vgl. Urteil vom 29. Juli 2019, Gambino und Hyka (C‑38/18, EU:C:2019:628, Rn. 43).


22      Insoweit weise ich darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ so zu verstehen ist, dass sie sich auf das Verfahren bezieht, das zu der justiziellen Entscheidung geführt hat, durch die die Person rechtskräftig verurteilt wurde; für den Fall, dass der Strafprozess aus mehreren Instanzen bestanden hat, die zu aufeinanderfolgenden Entscheidungen geführt haben, hat er entschieden, dass diese Wendung auf die letzte Instanz des Strafprozesses Bezug nimmt, in der ein Gericht den Betroffenen nach Prüfung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht rechtskräftig für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hat. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2017, Ardic (C‑571/17 PPU, EU:C:2017:1026, Rn. 64 und 65). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass diese Wendung unabhängig von den materiell- und verfahrensrechtlichen Wertungen und Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten, die ihrem Wesen nach im Strafrecht unterschiedlich ausfallen, eine autonome und einheitliche Auslegung in der Union erhalten muss (Rn. 63). Ferner hat der Gerichtshof klargestellt, dass diese Wendung auch ein nachfolgendes Verfahren erfasst, nach dessen Abschluss eine justizielle Entscheidung erlassen wird, durch die eine oder mehrere zuvor verhängte Strafen endgültig neu bemessen werden, sofern die betreffende Behörde beim Erlass dieser Entscheidung über ein Ermessen verfügte (Rn. 66).


23      Zur Auslegung der Art. 8 und 9 der Richtlinie 2016/343 vgl. meine Schlussanträge in der derzeit beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache Spetsializirana prokuratura u. a. (Verfahren gegen einen flüchtigen Angeklagten) (C‑569/20, EU:C:2022:26), die die Frage betrifft, inwieweit eine flüchtige Person ein neues Gerichtsverfahren in Anspruch nehmen kann.


24      Vgl. z. B. das am 20. April 1959 in Straßburg unterzeichnete Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, STE Nr. 30.


25      Vgl. zur Bedeutung der Erwägungsgründe die Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Planet49 (C‑673/17, EU:C:2019:246, Nr. 71).


26      Vgl. z. B. im Fall der Inhaftierung Urteile des EGMR vom 28. August 1991, FCB/Italien (CE:ECHR:1991:0828JUD001215186), und vom 31. März 2005, Mariani/Frankreich (CE:ECHR:2005:0331JUD004364098), in Bezug auf einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK. Für den Fall der Verfolgungsgefahr vgl. u. a. Urteil des EGMR vom 2. Oktober 2018, Bivolaru/Rumänien (CE:ECHR:2018:1002JUD006658012), zum Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen diesen Artikel der EMRK. Im Hinblick auf Gesundheitsgründe vgl. zur Veranschaulichung die Entscheidung des EGMR vom 12. Februar 2004, De Lorenzo/Italien (Nr. 69264/01, CE:ECHR:2004:0212DEC006926401), zum Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen diesen Artikel der EMRK. Wegen Aufenthalts im Ausland vgl. Urteil des EGMR vom 24. März 2005, Stoichkov/Bulgarien (CE:ECHR:2005:0324JUD000980802), in dem ein Verstoß gegen diesen Artikel der EMRK festgestellt wurde.


27      CE:ECHR:1991:0828JUD001215186.


28      Dies unterscheidet die Richtlinie 2016/343 von der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates (ABl. 2012, L 315, S. 57), deren Art. 17 den Rechten von Opfern mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat gewidmet ist.


29      Vgl. Urteile vom 22. Dezember 2017, Ardic (C‑571/17 PPU, EU:C:2017:1026), und vom 13. Februar 2020, Spetsializirana prokuratura (Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten Person) (C‑688/18, EU:C:2020:94).


30      ABl. 2008, L 327, S. 27. Vgl. auch Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. 2009, L 81, S. 24), soweit er den Art. 4a in den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) einfügt. Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Abs. 1 dieses Artikels ergibt, kann die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus diesem Haftbefehl geht hervor, dass die in Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg (C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


31      Vgl. z. B. Urteil des EGMR vom 17. Januar 2012, Othman (Abu Qatada)/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2012:0117JUD000813909, §§ 258 und 259).


32      Vgl. Erwägungsgründe 2 und 11 der Richtlinie 2008/115 sowie Urteile vom 18. Dezember 2014, Abdida (C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 42), und vom 2. Juli 2020, Stadt Frankfurt am Main (C‑18/19, EU:C:2020:511, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


33      Urteil vom 11. Juni 2015, Zh. und O. (C‑554/13, EU:C:2015:377, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34      Vgl. Rn. 69 und 70 dieses Urteils.


35      Der Unionsgesetzgeber übernimmt hier die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach weder der Wortlaut noch der Grundgedanke von Art. 6 EMRK eine Person daran hindert, freiwillig auf die Garantien eines fairen Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zu verzichten. Ein solcher Verzicht muss jedoch unmissverständlich festgestellt werden. Vgl. zur Veranschaulichung Urteile des EGMR vom 1. März 2006, Sejdovic/Italien (CE:ECHR:2006:0301JUD005658100, § 86), und vom 13. März 2018, Vilches Coronado u. a./Spanien (CE:ECHR:2018:0313JUD005551714, § 36). Vgl. hierzu auch Urteil vom 13. Februar 2020, Spetsializirana prokuratura (Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten Person) (C‑688/18, EU:C:2020:94, Rn. 37).


36      Für den Fall, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden können, weil die beschuldigte Person trotz entsprechender Bemühungen der zuständigen nationalen Behörden nicht aufgefunden werden kann, verlangen Art. 8 Abs. 4 und Art. 9 der Richtlinie 2016/343 von den Mitgliedstaaten, dass sie eine neue Verhandlung gewährleisten.


37      Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen die nationalen Gerichte die erforderliche Sorgfalt an den Tag legen, indem sie den Angeklagten ordnungsgemäß vorladen. Vgl. zur Veranschaulichung Urteile des EGMR vom 12. Februar 1985, Colozza/Italien (CE:ECHR:1985:0212JUD000902480, § 32), und vom 12. Juni 2018, M.T.B./Türkei (CE:ECHR:2018:0612JUD004708106, §§ 49 bis 53). Dies impliziert, dass er von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht nur insoweit unterrichtet wird, dass er Kenntnis von Datum, Uhrzeit und Ort der mündlichen Verhandlung erlangt, sondern auch, dass er über genügend Zeit verfügt, um seine Verteidigung vorzubereiten und sich zum Gerichtssaal zu begeben. Vgl. in diesem Sinne Urteil des EGMR vom 28. August 2018, Vyacheslav Korchagin/Russland (CE:ECHR:2018:0828JUD001230716, § 65).


38      Vgl. auch 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343.


39      Vgl. insoweit zwölfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343.


40      Vgl. u. a. Urteil des EGMR vom 14. Juni 2001, Medenica/Schweiz (CE:ECHR:2001:0614JUD002049192), in dem dieser Gerichtshof zum Fall eines Betroffenen, der rechtzeitig über das gegen ihn eingeleitete Verfahren und den Zeitpunkt der Verhandlung informiert wurde, ausführt, dass „[seine] Verteidigung in der Verhandlung … durch zwei Rechtsanwälte seiner Wahl sichergestellt [war]“ (§ 56).


41      Vgl. hierzu Urteile des EGMR vom 13. Februar 2001, Krombach/Frankreich (CE:ECHR:2001:0213JUD002973196, § 89), und vom 1. März 2006, Sejdovic/Italien (CE:ECHR:2006:0301JUD005658100, § 91).


42      Vgl. u. a. Urteil des EGMR vom 1. März 2006, Sejdovic/Italien (CE:ECHR:2006:0301JUD005658100, § 91). Hervorhebung nur hier.


43      In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ nach dem Gerichtshof unabhängig von den materiell- und verfahrensrechtlichen Wertungen und Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten, die ihrem Wesen nach im Strafrecht unterschiedlich ausfallen, eine autonome und einheitliche Auslegung in der Union erhalten muss. Diese Wendung erfasst nach der Definition des Gerichtshofs das Verfahren, das zu der justiziellen Entscheidung geführt hat, durch die die Person rechtskräftig verurteilt wurde. Für den Fall, dass der Strafprozess aus mehreren Instanzen bestanden hat, die zu aufeinanderfolgenden Entscheidungen geführt haben, hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Wendung auf die letzte Instanz des Strafprozesses Bezug nimmt, in der ein Gericht den Betroffenen nach Prüfung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht rechtskräftig für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hat. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2017, Ardic (C‑571/17 PPU, EU:C:2017:1026, Rn. 63 bis 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).


44      Vgl. zur Veranschaulichung Urteile des EGMR vom 12. Februar 1985, Colozza/Italien (CE:ECHR:1985:0212JUD000902480, § 32), und vom 12. Juni 2018, M.T.B./Türkei (CE:ECHR:2018:0612JUD004708106, §§ 49 bis 53). Nach der Rechtsprechung dieses Gerichts kann ein solcher Verzicht weder aus einer vagen und inoffiziellen Kenntnis (vgl. u. a. EGMR, 23. Mai 2006, Kounov/Italien [CE:ECHR:2006:0523JUD002437902, § 47]) noch aus einer bloßen Vermutung oder der bloßen Eigenschaft als untergetauchte Person (vgl. EGMR, 12. Februar 1985, Colozza/Italien [CE:ECHR:1985:0212JUD000902480, § 28]) abgeleitet werden.


45      Vgl. Urteile des EGMR vom 1. März 2006, Sejdovic/Italien (CE:ECHR:2006:0301JUD005658100, §§ 98 und 99), vom 23. Mai 2006, Kounov/Bulgarien (CE:ECHR:2006:0523JUD002437902, § 47), vom 26. Januar 2017, Lena Atanasova/Bulgarien (CE:ECHR:2017:0126JUD005200907, § 52), und vom 2. Februar 2017, Ait Abbou/Frankreich (CE:ECHR:2017:0202JUD004492113, §§ 62 bis 65).


46      Vgl. Urteil des EGMR vom 12. Februar 1985, Colozza/Italien (CE:ECHR:1985:0212JUD000902480, § 28).


47      Vgl. Erwägungsgründe 2, 3, 4 und 10 der Richtlinie 2016/343.


48      Ich weise jedoch darauf hin, dass zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel bestehen. Insbesondere bestimmt Art. 269 Abs. 4 NPK, dass die Anwesenheit des Betroffenen nicht zwingend vorgeschrieben ist, wenn dies der Ermittlung der objektiven Wahrheit nicht entgegensteht, wenn er sich außerhalb des Hoheitsgebiets der Republik Bulgarien befindet und sein Wohnort unbekannt ist.


49      Vgl. auch 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343.


50      Vgl. die zustimmende Meinung des Richters Giovanni Bonello im Urteil des EGMR vom 21. Januar 1999, Van Geyseghem/Belgien (CE:ECHR:1999:0121JUD002610395).


51      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2018, Milev (C‑310/18 PPU, EU:C:2018:732, Rn. 45 bis 47), und vom 13. Februar 2020, Spetsializirana prokuratura (Verhandlung in Abwesenheit der beschuldigten Person) (C‑688/18, EU:C:2020:94, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).


52      Vgl. insbesondere Urteile des EGMR vom 23. November 1993, Poitrimol/Frankreich (CE:ECHR:1993:1123JUD001403288, § 35), und vom 9. Juli 2015, Tolmachev/Estland (CE:ECHR:2006:0709JUD007374813, § 47).