Language of document : ECLI:EU:C:2021:250

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 25. März 2021(1)

Rechtssache C22/20

Europäische Kommission

gegen

Königreich Schweden

(Abwasserbehandlungsanlagen)

„Vertragsverletzung – Richtlinie 91/271/EWG – Behandlung von kommunalem Abwasser – Zweitbehandlung von Abwasser – Weiter gehende Behandlung von Einleitungen in empfindliche Gebiete – Loyale Zusammenarbeit – Vorlage von Informationen“






I.      Einleitung

1.        Mit der Abwasserrichtlinie(2) verpflichtet die Union die Mitgliedstaaten, für Siedlungen gewisser Größenordnungen Abwasserbehandlungsanlagen mit einer bestimmten Reinigungsleistung zu errichten und zu betreiben. Im vorliegenden Verfahren wirft die Kommission Schweden vor, diese Verpflichtung in einigen Gemeinden verletzt zu haben.

2.        Dabei ist erstens zu klären, ob eine Ausnahme in der Richtlinie für Standorte im Hochgebirge aufgrund ähnlicher Umweltbedingungen auch auf Standorte im Hohen Norden angewendet werden muss. Zweitens streiten die Parteien darüber, anhand welcher Messdaten die Leistungsfähigkeit einer Abwasserbehandlungsanlage bestimmt wird. Und drittens rügt die Kommission, Schweden habe bestimmte Messdaten nicht vorgelegt, die notwendig seien, um ein Verteidigungsmittel zu beurteilen, nämlich die sogenannte natürliche Reduzierung von Stickstoff.

II.    Rechtlicher Rahmen

3.        Art. 4 der Abwasserrichtlinie sieht eine sogenannte Zweitbehandlung von Abwasser vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Kanalisationen eingeleitetes kommunales Abwasser vor dem Einleiten in Gewässer bis zu folgenden Zeitpunkten einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird:

—       bis zum 31. Dezember 2000 in Gemeinden mit mehr als 15 000 EW [(Einwohnerwerten)];

—       bis zum 31. Dezember 2005 in Gemeinden von 10 000 bis 15 000 EW;

—       bis zum 31. Dezember 2005 in Gemeinden von 2 000 bis 10 000 EW, welche in Binnengewässer und Ästuare einleiten.

(1a)      …

(2)      Kommunales Abwasser in Hochgebirgsregionen (höher als 1 500 m über dem Meeresspiegel), bei dem aufgrund niedriger Temperaturen eine wirksame biologische Behandlung schwierig ist, kann einer weniger gründlichen als der in Abs. 1 beschriebenen Behandlung unterzogen werden, sofern anhand eingehender Untersuchungen nachgewiesen wird, dass die Umwelt durch das Einleiten dieses Abwassers nicht geschädigt wird.

(3)      Abwasser im Ablauf kommunaler Behandlungsanlagen gemäß den Abs. 1 und 2 muss den einschlägigen Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B entsprechen. …“

4.        Art. 5 der Abwasserrichtlinie begründet besondere Anforderungen für Ableitungen in besonders empfindliche Gebiete:

„(1)      Für die Zwecke des Abs. 2 weisen die Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 1993 empfindliche Gebiete gemäß den in Anhang II festgelegten Kriterien aus.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das in empfindliche Gebiete eingeleitete kommunale Abwasser aus Kanalisationen von Gemeinden mit mehr als 10 000 EW spätestens ab 31. Dezember 1998 vor dem Einleiten in Gewässer einer weitergehenden als der in Art. 4 beschriebenen Behandlung unterzogen wird.

(2a)      …

(3)      Abwasser aus kommunalen Behandlungsanlagen gemäß Abs. 2 muss den einschlägigen Anforderungen von Anhang I Abschnitt B entsprechen. …“

5.        Art. 10 der Abwasserrichtlinie betrifft das lokale Klima:

„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass zur Erfüllung der Anforderungen der Art. 4, 5, 6 und 7 Abwasserbehandlungsanlagen so geplant, ausgeführt, betrieben und gewartet werden, dass sie unter allen normalen örtlichen Klimabedingungen ordnungsgemäß arbeiten. Bei der Planung der Anlagen sind saisonale Schwankungen der Belastung zu berücksichtigen.“

6.        Nach Art. 15 Abs. 1 erster Spiegelstrich der Abwasserrichtlinie überwachen die zuständigen Behörden oder Stellen Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen entsprechend dem Kontrollverfahren nach Anhang I Abschnitt D, um die Einhaltung der Anforderungen des Anhangs I Abschnitt B zu überprüfen.

7.        Anhang I Abschnitt B („Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen in Gewässer“) der Abwasserrichtlinie sieht unter Nr. 2 vor:

„Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen, die einer Behandlung nach den Art. 4 und 5 der Richtlinie unterliegen, müssen den Anforderungen in Tabelle 1 entsprechen.“

8.        Tabelle 1 des Anhangs I der Abwasserrichtlinie trägt die Überschrift „Anforderungen an Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen, die den Bestimmungen der Art. 4 und 5 unterliegen“, und stellt sich wie folgt dar:

„Parameter

Konzentration

Prozentuale Mindestverringerung …

Biochemischer Sauerstoffbedarf (BSB5 bei 20 °C) ohne Nitrifikation …

25 mg/l O2

70‑90

40 gemäß Art. 4 Abs. 2

Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB)

125 mg/l O2

75

…“


9.        Nach Nr. 3 von Anhang I Abschnitt B der Abwasserrichtlinie müssen „Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen in empfindliche Gebiete … zusätzlich den Anforderungen in Tabelle 2 des vorliegenden Anhangs entsprechen“.

10.      Tabelle 2 des Anhangs I der Abwasserrichtlinie regelt insbesondere die Reduzierung von Stickstoff:

„Anforderungen an Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen in empfindlichen Gebieten, in denen es zur Eutrophierung kommt. Je nach den Gegebenheiten vor Ort können ein oder beide Parameter verwendet werden. Anzuwenden ist der Konzentrationswert oder die prozentuale Verringerung.“

„Parameter

Konzentration

Prozentuale Mindestverringerung …

Stickstoff insgesamt …

15 mg/l (10 000—100 000 EW) …

70 – 80


10 mg/l (mehr als 100 000 EW) …


…“


11.      In Anhang I Abschnitt D der Abwasserrichtlinie sind die Referenzmethoden für die Überwachung und Auswertung der Ergebnisse festgelegt. Nach Nr. 3 soll die Mindestzahl jährlicher Probenahmen entsprechend der Größe der Abwasserbehandlungsanlage festgesetzt werden, wobei die Proben in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu entnehmen sind. Für Behandlungsanlagen mit einer Kapazität von 2 000 bis 9 999 EW gilt eine Mindestzahl von zwölf Probenim ersten Jahr. In den darauffolgenden Jahren werden vier Proben verlangt, wenn die Proben im ersten Jahr der Abwasserrichtlinie entsprechen. Wenn eine der vier Proben den Grenzwert überschreitet, sind im folgenden Jahr zwölf Proben zu entnehmen. Für Behandlungsanlagen mit einer Kapazität von 10 000 bis 49 000 EW beträgt die Mindestzahl zwölf Proben.

12.      Anhang I Abschnitt D Nr. 4 der Abwasserrichtlinie regelt das Verhältnis zwischen den verschiedenen Messergebnissen und den Grenzwerten:

„Für das behandelte Abwasser gelten die einschlägigen Werte als eingehalten, wenn für jeden einzelnen untersuchten Parameter die Wasserproben dem betreffenden Wert wie folgt entsprechen:

a)      Für die in Tabelle 1 … genannten Parameter ist in Tabelle 3 die höchstzulässige Anzahl von Proben angegeben, bei denen die als Konzentrationswerte und/oder prozentuale Verringerung ausgedrückten Anforderungen nach Tabelle 1 … nicht erfüllt sein müssen.

b)      Für die Tabelle 1 genannten und in Konzentrationswerten ausgedrückten Parameter darf die Abweichung von den Parameterwerten bei normalen Betriebsbedingungen nicht mehr als 100 % betragen. …

c)      Für die in Tabelle 2 aufgeführten Parameter darf der Jahresmittelwert der Proben für jeden Parameter den maßgeblichen Wert nicht überschreiten.“

13.      Tabelle 3 des Anhangs I der Abwasserrichtlinie regelt die Zahl der Proben und die zulässigen Abweichungen von den Grenzwerten nach Art. 4.

Anzahl der Probenahmen innerhalb eines Jahres

Höchstzulässige Anzahl von Proben, bei denen Abweichungen zulässig sind

4 – 7

1

8 – 16

2

17 – 28

3

29 – 40

4

41 – 53

5

54 – 67

6

III. Vorverfahren und Anträge

14.      In den Jahren 2010, 2014 und 2017 forderte die Kommission Schweden auf, sich zur Anwendung der Abwasserrichtlinie zu äußern. Darauf aufbauend richtete sie am 8. November 2018 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Schweden, mit der sie den Mitgliedstaat aufforderte, den Beanstandungen innerhalb von zwei Monaten, also bis zum 8. Januar 2019, nachzukommen.

15.      Da die Kommission mit den schwedischen Antworten nicht zufrieden war, hat sie die vorliegende Klage erhoben und beantragt,

–      festzustellen, dass das Königreich Schweden seinen Verpflichtungen nach Art. 4 Abs. 3 EUV nicht nachgekommen ist, indem es ihr nicht die Auskünfte erteilt hat, die sie benötigt, um beurteilen zu können, ob die Behauptung zutrifft, dass die Gemeinden Habo und Töreboda die Anforderungen der Abwasserrichtlinie erfüllen,

–      festzustellen, dass das Königreich Schweden seinen Verpflichtungen nach Art. 4 in Verbindung mit den Art. 10 und 15 der Abwasserrichtlinie nicht nachgekommen ist, indem es nicht sichergestellt hat, dass das Abwasser der Gemeinden Lycksele, Malå, Mockfjärd, Pajala, Robertsfors und Tänndalen gemäß den Anforderungen der Richtlinie vor dem Einleiten in Gewässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird,

–      festzustellen, dass das Königreich Schweden seinen Verpflichtungen nach Art. 5 in Verbindung mit den Art. 10 und 15 der Abwasserrichtlinie nicht nachgekommen ist, indem es nicht sichergestellt hat, dass das Abwasser der Gemeinden Borås, Skoghall, Habo und Töreboda gemäß den Anforderungen der Richtlinie vor dem Einleiten in Gewässer einer weiter gehenden als der in Art. 4 der Richtlinie beschriebenen Behandlung unterzogen wird,

–      dem Königreich Schweden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

16.      Das Königreich Schweden räumt ein, dass die Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Lycksele, Pajala und Malå nicht den Anforderungen des Art. 4 der Abwasserrichtlinie genügen und beantragt,

–      die Klage im Übrigen abzuweisen sowie

–      der Europäischen Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17.      Die Beteiligten haben sich schriftlich geäußert.

IV.    Rechtliche Würdigung

18.      Das Vertragsverletzungsverfahren betrifft die Beachtung von zwei Verpflichtungen der Abwasserrichtlinie, nämlich die Zweitbehandlung nach Art. 4 (dazu unter A) und die weitere Reinigung nach Art. 5 (dazu unter B), in insgesamt zehn schwedischen Gemeinden. Darüber hinaus macht die Kommission geltend, Schweden habe nicht loyal mit ihr zusammengearbeitet, weil es bestimmte Informationen nicht vorgelegt habe (dazu unter C).

A.      Art. 4 der Abwasserrichtlinie – Zweitbehandlung von Abwasser

19.      In Bezug auf sechs Gemeinden, Lycksele, Malå, Pajala, Mockfjärd, Robertsfors und Tänndalen, rügt die Kommission eine Verletzung der Art. 4, 10 und 15 der Abwasserrichtlinie.

20.      Nach Art. 4 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass in Gemeinden von 10 000 bis 15 000 Einwohnerwerten (EW) in Kanalisationen eingeleitetes kommunales Abwasser vor dem Einleiten in Gewässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird. Diese Verpflichtung betrifft im vorliegenden Verfahren die Gemeinde Lycksele. Die gleiche Verpflichtung gilt nach Art. 4 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Abwasserrichtlinie für Gemeinden von 2 000 bis 10 000 EW, welche in Binnengewässer und Ästuare einleiten. Davon sind im vorliegenden Fall die Gemeinden Malå, Mockfjärd, Pajala, Robertsfors und Tänndalen betroffen.

21.      Art. 4 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie verweist zur Präzisierung der Anforderungen an die Abwasserreinigung auf Anhang I Abschnitt B, dessen Nr. 2 wiederum auf Tabelle 1 des Anhangs I verweist. Daraus geht hervor, dass der „biochemische Sauerstoffbedarf“ von Einleitungen aus kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen, die den Bestimmungen der Art. 4 und 5 der Richtlinie unterliegen, maximal 25 mg/l Sauerstoff betragen darf oder bezogen auf die Belastung des Zulaufs dieser Anlagen um mindestens 70 % reduziert werden muss und dass der „chemische Sauerstoffbedarf“ dieser Einleitungen 125 mg/l Sauerstoff nicht überschreiten darf oder bezogen auf die Belastung des Zulaufs der Anlagen um 75 % reduziert werden muss.(3)

22.      Die Kommission erwähnt die Gemeinde Töreboda zwar nicht in ihrem Klageantrag zu den Art. 4, 10 und 15 der Abwasserrichtlinie, beanstandet aber im Zusammenhang mit dem Klageantrag zu den Art. 5, 10 und 15 auch dort einen übermäßigen biochemischen Sauerstoffbedarf. Die entsprechenden Anforderungen nach Anhang I Tabelle 1 gelten nach Anhang I Abschnitt B Nr. 2 auch gemäß Art. 5. Aufgrund der thematischen Nähe untersuche ich dieses Vorbringen im vorliegenden Abschnitt A.

23.      Gemäß Art. 10 der Abwasserrichtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass zur Erfüllung der Anforderungen des Art. 4 Abwasserbehandlungsanlagen so geplant, ausgeführt, betrieben und gewartet werden, dass sie unter allen normalen örtlichen Klimabedingungen ordnungsgemäß arbeiten.

24.      Art. 15 Abs. 1 erster Spiegelstrich und Anhang I Abschnitt D der Abwasserrichtlinie schließlich regeln die Kontrollverfahren. Anhang I Abschnitt D Nr. 3 sieht bei Gemeinden zwischen 10 000 und 49 999 EW, vorliegend also den Gemeinden Lycksele und Töreboda, zwölf Proben vor. Bei Gemeinden zwischen 2 000 und 9 999 EW, also den übrigen fünf Gemeinden, sind es im ersten Jahr des Betriebs der Abwasserbehandlungsanlage mindestens zwölf Proben. In den folgenden Jahren reichen vier Proben, es sei denn, eine der Proben im vorangegangenen Jahr entsprach nicht den Anforderungen. In diesem Fall sind zwölf Proben zu entnehmen. In allen Fällen sind die Proben in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu entnehmen. Außerdem legt Anhang I Tabelle 3 in Abhängigkeit von der Probenzahl fest, wie viele Proben von den Grenzwerten abweichen dürfen.

1.      Gemeinden Lycksele, Malå und Pajala– unstreitige Verstöße

25.      Die Beteiligten sind sich einig, dass der chemische Sauerstoffbedarf des Wassers im Ablauf der Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Lycksele, Malå und Pajala höher ist als nach Art. 4 Abs. 3 und Anhang I Abschnitt B der Abwasserrichtlinie zulässig. Dies gilt bei der Gemeinde Lycksele auch für den biochemischen Sauerstoffbedarf.

26.      Mit diesen Verstößen hinsichtlich der Reinigungsleistung gemäß Art. 4 der Abwasserrichtlinie geht zwangsläufig ein Verstoß gegen Art. 10 einher, da diese Abwasserbehandlungsanlagen offenkundig nicht so geplant, ausgeführt, betrieben und gewartet wurden, dass sie unter allen normalen örtlichen Klimabedingungen ordnungsgemäß arbeiten, also den Anforderungen von Art. 4 genügen.

27.      Insoweit ist die Klage der Kommission folglich begründet.

28.      Die Kommission hat dagegen nicht dargelegt, dass die Beprobung des Abwassers in diesen Gemeinden mit Art. 15 der Abwasserrichtlinie unvereinbar war. Insoweit ist die Klage folglich unbegründet.

2.      Gemeinden Malåund Pajalabiochemischer Sauerstoffbedarf

29.      Es steht ebenfalls fest, dass der biochemische Sauerstoffbedarf des Wassers im Ablauf der Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Malå und Pajala die Werte von Art. 4 Abs. 3 und Anhang I Abschnitt B der Abwasserrichtlinie überschreitet, die Reinigungsleistung der Abwasserbehandlungsanlage dafür also zu schwach ist.

a)      Die Gleichsetzung mit Standorten in Hochgebirgen

30.      Allerdings beruft sich Schweden auf Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie, um dies zu rechtfertigen. Danach kann kommunales Abwasser in Hochgebirgsregionen (höher als 1 500 m über dem Meeresspiegel), bei dem aufgrund niedriger Temperaturen eine wirksame biologische Behandlung schwierig ist, einer weniger gründlichen als der in Abs. 1 beschriebenen Behandlung unterzogen werden, sofern anhand eingehender Untersuchungen nachgewiesen wird, dass die Umwelt durch das Einleiten dieses Abwassers nicht geschädigt wird.

31.      Zwar befinden sich die Gemeinden Malå und Pajala nicht in einer Hochgebirgsregion, doch Schweden legt unwidersprochen dar, dass die klimatischen Bedingungen in dieser nördlichen Region des Landes eine wirksame biologische Behandlung von Abwasser ähnlich erschweren wie in den Hochgebirgsregionen anderer Bereiche der Union. Daraus schließt Schweden, Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie sei auf die genannten Gemeinden anwendbar.

32.      Entgegen der Auffassung Schwedens ist dieses Ergebnis nicht durch eine Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie zu erreichen, da dieser in allen Sprachfassungen eindeutig auf klar abgegrenzte Hochgebirgsregionen oberhalb einer Höhe von 1 500 m über dem Meeresspiegel beschränkt ist. Tatsächlich läuft die schwedische Auffassung daher darauf hinaus, die geografische Voraussetzung von Art. 4 Abs. 2 vollständig zu ignorieren. Überall, wo aufgrund niedriger Temperaturen eine wirksame biologische Behandlung von Abwasser schwierig ist, müsste man eine weniger wirksame Behandlung zulassen, sofern anhand eingehender Untersuchungen nachgewiesen wird, dass die Umwelt durch das Einleiten dieses Wassers nicht geschädigt wird. Schweden verlangt also eine Auslegung contra legem und erhebt somit implizit eine Einrede der Teilnichtigkeit von Art. 4 Abs. 2 im Hinblick auf die Voraussetzung eines Standorts im Hochgebirge.(4)

33.      Zwar spricht höherrangiges Recht für diese Einrede (dazu unter b), doch Mitgliedstaaten können mit solchen Argumenten die Gültigkeit von Sekundärrecht im Vertragsverletzungsverfahren nicht in Frage stellen (dazu unter c).

b)      Höherrangiges Recht

34.      Die Begrenzung von Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie auf Hochgebirgsregionen könnte im Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen. So achtet die Union nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen. Außerdem ergibt sich aus Art. 191 Abs. 3 zweiter Spiegelstrich AEUV, dass die Union bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik die Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Union berücksichtigt.

35.      Zwar hat der Gerichtshof noch nicht präzisiert, wie die Gleichheit der Mitgliedstaaten auszulegen ist, doch es ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung zum Grundsatz der Gleichbehandlung auch zugunsten der Mitgliedstaaten gilt. Danach dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine derartige Behandlung objektiv gerechtfertigt ist.(5)

36.      Eine Beschränkung der Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie auf die ausdrücklich genannten Standorte im Hochgebirge könnte eine mit diesen Prinzipien unvereinbare Ungleichbehandlung der Mitgliedstaaten bewirken. Standorte in bestimmten Mitgliedstaaten würden von Anforderungen befreit, Standorte in anderen dagegen nicht, obwohl die zu berücksichtigenden Umweltbedingungen in beiden Fällen ähnliche Schwierigkeiten bei der Erfüllung dieser Anforderungen aufwerfen und eine Abweichung die Abwesenheit nachteiliger Umweltauswirkungen voraussetzt.

37.      Hier kann offenbleiben, inwieweit sich Einzelne, Unternehmen oder NGOs, die dem Unionsrecht unterworfen sind, in solchen Fällen auf die Staatengleichheit oder den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen können.

c)      Zu den Einwänden von Mitgliedstaaten

38.      Jedenfalls kann ein Mitgliedstaat nach Ablauf der Klagefrist einer Nichtigkeitsklage die Rechtmäßigkeit eines vom Unionsgesetzgeber erlassenen Rechtsakts, der ihm gegenüber bestandskräftig geworden ist, nicht in Frage stellen. Daher kann er sich nach ständiger Rechtsprechung zur Verteidigung gegenüber einer Vertragsverletzungsklage wegen Verletzung einer Richtlinie nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit dieser Richtlinie berufen.(6) Aus den gleichen Gründen ist im Übrigen auch die Kommission daran gehindert, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Verletzung von Primärrecht zu betreiben, wenn die innerstaatlichen Maßnahmen nicht angefochtenem Sekundärrecht entsprechen.(7) Auch sonstige Parteien können sich nicht inzident auf die Nichtigkeit einer Maßnahme des Unionsrechts berufen, wenn sie ohne jeden Zweifel befugt gewesen wären, ihre Nichtigerklärung im Wege der Direktklage zu beantragen.(8)

39.      Der Gerichtshof stützt diese Rechtsprechung auf das Rechtsschutzsystem der Verträge und insbesondere auf die Funktion der Klagefrist, Rechtssicherheit zu schaffen. Die Beschränkung des Vorbringens von Mitgliedstaaten und der Kommission rechtfertigt sich aber auch dadurch, dass sie an der Gestaltung des Unionsrechts maßgeblich beteiligt sind und nach Art. 263 Abs. 2 AEUV eine privilegierte Stellung hinsichtlich seiner Kontrolle haben.

40.      Daher liegt es in ihrer Verantwortung, Beeinträchtigungen der Staatengleichheit bereits im Gesetzgebungsverfahren zu verhindern oder sie unmittelbar im Anschluss daran vor dem Gerichtshof anzufechten. Geschieht dies nicht, so widerspricht es dem Rechtsschutzsystem der Union, dass der Gerichtshof die unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu ihren Gunsten später im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren durch eine den Wortlaut sprengende Auslegung korrigiert.

41.      Zwar war Schweden am Gesetzgebungsverfahren zum Erlass der Abwasserrichtlinie nicht beteiligt, sondern ist der Union erst später beigetreten. Mit dem Beitritt hat Schweden der Abwasserrichtlinie, einschließlich Art. 4 Abs. 2, jedoch ausdrücklich zugestimmt und es versäumt, auf eine Anpassung der Regelung an die Umweltbedingungen im Hohen Norden hinzuwirken.(9) Dass solche Anpassungen möglich waren, zeigen z. B. die territorialen Ausnahmen vom Schutz des Bibers (Castor fiber) und des Wolfes (Canis lupus) nach der Habitatrichtlinie.(10)

42.      Obwohl daher eine solche Anpassung fehlt, kann Schweden als Mitglied des Rates außerdem immer noch die Initiative ergreifen, um sie herbeizuführen. Neben informellen Kontakten mit der Kommission(11) kann Schweden insbesondere darauf hinwirken, dass der Rat die Kommission nach Art. 241 AEUV auffordert, geeignete Untersuchungen vorzunehmen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.

43.      In einem solchen Rahmen ist es deutlich besser möglich als in einem gerichtlichen Verfahren, die Umweltauswirkungen einer Ausdehnung der Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie auf den Hohen Norden abzuschätzen. Auch könnten so die betroffenen Regionen präzise festgelegt werden. Denn die schwedische Lesart der Bestimmung führt zu großen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der erfassten Gebiete. Welche nördlichen Standorte entsprechen den Regionen oberhalb von 1 500 m?

44.      Somit ist die Sperrwirkung der Klagefrist nicht nur aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, sondern auch zweckmäßig. Die Berufung Schwedens auf Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie ist folglich zurückzuweisen.

d)      Zwischenergebnis

45.      Daher hat Schweden auch hinsichtlich des biochemischen Sauerstoffbedarfs des Wassers im Ablauf der Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Malå und Pajala gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie verstoßen.

3.      Gemeinde Mockfjärd – unregelmäßige Probenentnahme

46.      Bei der Gemeinde Mockfjärd entsprechen die Ergebnisse der Proben Art. 4 und Anhang I der Abwasserrichtlinie. Zwar wiesen zwischen dem 11. Januar und dem 27. Dezember 2018 drei von 19 Proben einen übermäßigen biochemischen Sauerstoffbedarf auf und eine von 17 Proben einen übermäßigen chemischen Sauerstoffbedarf.(12) Doch nach Anhang I Tabelle 3 sind bei 17 bis 28 Proben pro Jahr bis zu drei Abweichungen zulässig.

47.      Allerdings wurden zwischen dem 16. Mai und dem 18. Oktober 2018 gar keine Proben entnommen. Daraus leitet die Kommission eine Verletzung der Art. 4, 10 und 15 der Abwasserrichtlinie ab.

48.      Diese Beprobungslücke ist mit Art. 15 und Anhang I Abschnitt D Nr. 3 der Abwasserrichtlinie unvereinbar, denn danach müssen die Proben in regelmäßigen Abständen entnommen werden. Die Abstände sind aber nicht regelmäßig, wenn alle Proben während eines Zeitraums von sieben Monaten genommen werden, während fünf Monate ohne eine Probe bleiben. Das gilt auch, wenn man die Verpflichtung zur Regelmäßigkeit auf die Mindestanzahl von vier obligatorischen Proben beschränkt, die im Fall der Gemeinde Mockfjärd im Jahr 2018 entnommen werden mussten.

49.      Die Kommission vertritt die Auffassung, daraus folge zwangsläufig eine Verletzung der Reinigungsstandards der Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie, weil sie ohne regelmäßige Beprobung über ein ganzes Jahr nicht über die notwendigen Informationen verfüge, um die Einhaltung dieser Anforderungen festzustellen.

50.      Diese Position überzeugt allerdings nicht. Ich habe bereits dargelegt, dass die Beprobung keine Voraussetzung der Einhaltung der Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie ist, sondern ein Beweismittel, um die Beachtung dieser Bestimmungen oder einen Verstoß zu belegen.(13) So ist es auch zu erklären, dass der Gerichtshof in einem Verfahren eine einzige Probe ausreichen ließ, um die Leistungsfähigkeit der betreffenden Abwasserbehandlungsanlage anzuerkennen.(14)

51.      Dem Beprobungsprogramm nach Art. 15 und Anhang I der Abwasserrichtlinie kommt allerdings eine erhebliche Indizwirkung für die Beurteilung zu, ob eine bestimmte Abwasserbehandlungsanlage den Anforderungen der Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie entspricht. Wenn die Proben einer Anlage z. B. regelmäßig aufgrund von äußeren Bedingungen, etwa dem Wetter oder der Beherbergung vieler Touristen, während bestimmter Jahreszeiten Grenzwerte überschreiten, so wäre daraus zu schließen, dass die Reinigungsleistung nicht den Anforderungen an eine Zweitbehandlung nach den Art. 4 und 10 der Richtlinie entspricht.

52.      Dass einzelne Proben während anderer Perioden den Anforderungen genügen, würde nicht ausreichen, um dieses Indiz zu entkräften. Für die Beachtung von Art. 4 der Abwasserrichtlinie reicht es nämlich nicht aus, dass eine Anlage zu bestimmten Zeitpunkten oder während bestimmter Perioden eine ausreichende Reinigung gewährleistet. Vielmehr muss die Anlage vorbehaltlich bestimmter, sehr seltener Ausnahmesituationen immer eine ausreichende Reinigung des Abwassers sicherstellen. Art. 10 der Abwasserrichtlinie verlangt genau aus diesem Grund, dass die Anlagen saisonalen Schwankungen der Belastung und normalen örtlichen Klimabedingungen gewachsen sind.

53.      Dementsprechend hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 4 der Abwasserrichtlinie verletzt ist, wenn die betreffenden Abwasserbehandlungsanlagen und Kanalisationssysteme zu häufig unbehandeltes Abwasser aus den Regenüberläufen in Gewässer einleiteten.(15) Für diese Frage ist es unerheblich, ob Proben vorliegen, die für andere Zeitpunkte eine ausreichende Reinigungsleistung nachweisen.

54.      Aus diesem Blickwinkel ist die Beprobungslücke ein Anhaltspunkt dafür, dass die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Mockfjärd zwischen Mai und Oktober 2018 den Anforderungen der Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie nicht genügte. Ein weiterer Anhaltspunkt für eine Verletzung dieser Anforderung liegt darin, dass Schweden die Beprobungslücke mit Umbauarbeiten an der Abwasserbehandlungsanlage erläutert. Es wäre nicht überraschend, wenn die Reinigungsleistung der Anlage deshalb reduziert gewesen wäre.

55.      Allerdings beantragt die Kommission nicht die Feststellung, dass die Leistung der Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Mockfjärd zwischen Mai und Oktober 2018 hinter den Anforderungen zurückblieb. Ein solcher Antrag wäre zwar vorstellbar,(16) aber im vorliegenden Fall unzulässig, da dieser Zeitraum nicht Gegenstand der Aufforderung zur Äußerung oder der mit Gründen versehenen Stellungnahme war.

56.      Auch richtet sich der Klageantrag der Kommission nicht darauf, eine in bestimmtem Grad verfestigte und allgemeine Praxis bzw. eine generelle und fortgesetzte Vertragsverletzung festzustellen.(17) Eine solche Auslegung des Antrags wäre zwar möglich, aber das Vorbringen der Kommission zielt offensichtlich nicht darauf ab, einen Verstoß über einen längeren Zeitraum darzulegen. Das zeigt sich inbesondere daran, dass die Klageschrift nur die Daten des Jahres 2018 erörtert, ohne auf Daten früherer oder späterer Zeiträume einzugehen.

57.      Der Klageantrag richtet sich vielmehr auf die Feststellung, dass die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Mockfjärd grundsätzlich nicht den Anforderungen der Art. 4 und 10 sowie Anhang I der Abwasserrichtlinie genügt. Dem Verstoß gegen Art. 15 kommt in diesem Zusammenhang keine eigenständige Bedeutung zu, sondern er dient nur zum Beleg des Verstoßes.

58.      Das Vorliegen einer solchen Vertragsverletzung ist aber anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat beim Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war.(18) Im Übrigen kann eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 Abs. 2 AEUV nur dann erhoben werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission nicht in der darin gesetzten Frist nachgekommen ist.(19)

59.      Im vorliegenden Fall kommt es also auf den Zustand am 8. Januar 2019 an.

60.      Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage zu diesem Zeitpunkt sind Schlussfolgerungen auf die Leistungsfähigkeit während der Beprobungslücke nur ein Indiz, das durch andere Indizien entkräftet wird.

61.      Am 8. Januar 2019 lagen nämlich seit dem Ende der Beprobungslücke, also über fast drei Monate, elf Proben zum biochemischen Sauerstoffbedarf vor, die alle den Anforderungen der Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie genügten.

62.      Zum chemischen Sauerstoffbedarf liegen acht Proben nach der Lücke vor, von denen eine einen (deutlich) überhöhten Bedarf aufweist, aber die Werte für den chemischen Sauerstoffbedarf entsprachen vor der Beprobungslücke durchgängig den Anforderungen. Bei insgesamt 17 Proben wären aber nach Anhang I Tabelle 3 sogar drei Abweichungen zulässig gewesen.

63.      In Ermangelung von weiteren Indizien für eine unzureichende Reinigungsleistung reichen diese Ergebnisse, um Zweifel an der Reinigungsleistung der Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Mockfjärd beim Ablauf der Frist der mit Gründen versehenen Stellungnahme zu entkräften. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Anlage zu diesem Zeitpunkt – womöglich auch aufgrund der Umbauarbeiten(20) – den Anforderungen der Art. 4 und 15 der Abwasserrichtlinie genügte.

64.      Somit ist die Klage hinsichtlich der Gemeinde Mockfjärd abzuweisen.

4.      Gemeinde Robertsfors – biochemischer Sauerstoffbedarf

65.      Bei der Gemeinde Robertsfors scheint die Lage ähnlich wie bei der Gemeinde Mockfjärd. Im Jahr 2018 wiesen zwar zunächst elf von 24 Proben einen überhöhten biochemischen Sauerstoffbedarf auf, doch seit dem 23. Oktober 2018 zeigten alle sechs Proben eine Reduktion um mindestens 70 %, was den Anforderungen genügte.(21) Allerdings legt die Kommission auch dar, dass sich die Lage im Jahr 2018 deutlich schlechter darstellt als noch im Jahr 2016. Damals zeigten nur sechs von 24 Proben einen überhöhten Bedarf an.(22)

66.      Unter Berücksichtigung aller dargelegten Umstände reicht dieser Anhaltspunkt für eine Verschlechterung der Leistung der Anlage aber nicht aus, um auf einen Verstoß zum maßgeblichen Zeitpunkt zu schließen. Schweden legte nämlich bereits in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme dar, dass es in dieser Abwasserbehandlungsanlage im Jahr 2018 Betriebsprobleme gab und Maßnahmen zur Abhilfe ergriffen wurden.(23) Die Werte der letzten sechs Proben sind daher Anhaltspunkte dafür, dass die Anlage wegen dieser Maßnahmen zum 8. Januar 2019 eine ausreichende Reinigungsleistung aufwies.

67.      Somit ist die Klage auch hinsichtlich der Gemeinde Robertsfors abzuweisen.

5.      Gemeinde Tänndalen – biochemischer Sauerstoffbedarf

68.      Bei der Gemeinde Tänndalen wiesen sechs von 35 Proben im Jahr 2018 einen übermäßigen biochemischen Sauerstoffbedarf auf, obwohl nur vier Überschreitungen zulässig gewesen wären.

69.      Alle unzureichenden Ergebnisse stammen aus der Zeit von Ende Februar bis Mitte April. Die 21 nachfolgenden Proben bis Ende Dezember weisen dagegen einen sehr niedrigen Bedarf auf.(24) Daraus könnte man auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Anlage schließen.

70.      Bedenklich ist allerdings, dass die Proben für das Jahr 2016 ein ähnliches Muster aufweisen, nämlich vier Proben mit übermäßigem Bedarf von Januar bis April und anschließend Proben mit sehr niedrigem Bedarf. Dies bestätigt ein von der Kommission angeführtes Schreiben der zuständigen Gemeindeverwaltung vom 20. Dezember 2018. Sie legt dar, dass die im Jahr 2018 ergriffenen Ertüchtigungsmaßnahmen nicht ausreichten, um während der Hauptbelastungszeit („högbelastningssäsong“) den Anforderungen der Abwasserrichtlinie zu genügen.(25)

71.      Allerdings legt Schweden mit der Klagebeantwortung zusätzliche Probendaten bis Mai 2019 vor, die keinen übermäßigen biochemischen Sauerstoffbedarf mehr anzeigen.

72.      Die Kommission hält dem zwar entgegen, dass diese Daten (fast vollständig) aus der Zeit nach dem Ablauf der Frist der begründeten Stellungnahme am 8. Januar 2019 herrühren und sie daher für die Beurteilung der Rüge unerheblich seien. Damit verkennt die Kommission allerdings, dass auch Daten, die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erhoben wurden, Schlussfolgerungen auf die Leistungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage zu diesem Zeitpunkt zulassen.(26) Wenn es erneut zu Überschreitungen der Grenzwerte während der Hauptbelastungszeit in den ersten Monaten des Jahres gekommen wäre, hätte man nämlich schlussfolgern müssen, dass die Anlage weiterhin unzureichend war. Ohne solche Überschreitungen ist dagegen anzunehmen, dass die Anlage zum maßgeblichen Zeitpunkt im Unterschied zu den Vorjahren den Anforderungen genügte – vermutlich aufgrund der zwischenzeitlich vorgenommenen Ertüchtigungsmaßnahmen.

73.      Folglich ist die Klage auch hinsichtlich der Gemeinde Tänndalen abzuweisen.

6.      Gemeinde Töreboda – biochemischer Sauerstoffbedarf

74.      Schließlich streiten die Parteien darüber, ob die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Töreboda den biochemischen Sauerstoffbedarf des ausgeleiteten Abwassers ausreichend reduziert.

75.      Schweden hat in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme für den Zeitraum zwischen dem 8. November 2017 und dem 6. November 2018 50 Proben mitgeteilt.(27) Zwar legt Schweden mit der Gegenerwiderung zusätzliche Daten für November und Dezember 2018 vor,(28) doch entgegen Art. 128 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs fehlt jede Begründung für diese Verspätung. Daher ist dieser Beweis unzulässig.(29)

76.      Die Parteien streiten darüber, ob neun Abweichungen während der ersten Jahreshälfte zeigen, dass die Abwasserbehandlungsanlage den biochemischen Sauerstoffbedarf unzureichend reduziert. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an.

77.      Nach der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme wurde die biologische Reinigungsstufe der Abwasserbehandlungsanlage nämlich in der ersten Jahreshälfte von 2018 umgebaut.(30) Da diese Stufe der Kern der Zweitbehandlung ist,(31) erklärt dieser Umbau, warum der biochemische Sauerstoffbedarf während der zweiten Jahreshälfte weitaus geringer ausfällt als während der ersten Jahreshälfte und die Ergebnisse der späteren Proben die Anforderungen der Richtlinie deutlich übertreffen.

78.      Die rechtzeitig vorgelegten Daten der zweiten Jahreshälfte erlauben daher die Schlussfolgerung, dass die Anlage zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem 8. Januar 2019, den Art. 4 und 10 der Abwasserrichtlinie entspricht. Insoweit ist die Klage daher im Hinblick auf die Gemeinde Töreboda abzuweisen.

79.      Falls der Gerichtshof sich dennoch mit den Daten der ersten Jahreshälfte 2018 beschäftigen möchte, ist daran zu erinnern, dass nach Art. 4 und Anhang I Tabelle 1 der Abwasserrichtlinie der biochemische Sauerstoffbedarf maximal 25 mg/l Sauerstoff betragen darf oder bezogen auf die Belastung des Zulaufs der Abwasserbehandlungsanlage um mindestens 70 % reduziert werden muss. Die Überschrift der Tabelle hält fest, dass der Konzentrationswert oder die prozentuale Verringerung anzuwenden ist.

80.      Zwar betont die Kommission, dass 18 der Proben einen Sauerstoffbedarf von mehr als 25 mg/l aufwiesen, doch bei neun dieser Proben war der Sauerstoffbedarf bezogen auf die Belastung des Zulaufs um mindestens 70 % reduziert. Sie entsprachen daher den Anforderungen nach Anhang I Tabelle 1 der Abwasserrichtlinie.

81.      Bei den verbleibenden neun Proben wurde die prozentuale Reduzierung des Bedarfs dagegen nicht ermittelt. Sie zeigen daher Abweichungen von Anhang I Tabelle 1 der Abwasserrichtlinie an. Nach Tabelle 3 sind bei 41 bis 53 Proben innerhalb eines Jahres aber höchstens fünf Abweichungen zulässig.

82.      Schweden vertritt jedoch die Auffassung, nur die 23 Proben, bei denen die prozentuale Reduzierung des Sauerstoffbedarfs ermittelt wurde, seien zu berücksichtigen. Unter diesen Proben befindet sich nur eine Abweichung, während bei dieser Zahl von Proben sogar drei Abweichungen zulässig wären.

83.      Da nach der Überschrift der Tabelle 2 des Anhangs I der Abwasserrichtlinie der Konzentrationswert oder die prozentuale Verringerung anzuwenden ist, könnte die schwedische Position als Entscheidung für den zweiten Beurteilungsmaßstab verstanden werden. Sieht man die Proben jedoch als Beweismittel für die Beachtung von Art. 4, so dürfen neun dokumentierte Abweichungen von den Vorgaben nicht ignoriert werden. Sie sind daher Anhaltspunkte für eine Verletzung während des ersten Halbjahrs des Jahres 2018.

84.      Die Kommission bemängelt im Übrigen zu Recht, dass diese Daten nicht ausreichend regelmäßig erhoben wurden, weil die im vorliegenden Verfahren zulässigerweise vorgelegten Daten(32) insbesondere November und Dezember 2018 nicht abdecken.

85.      Allerdings stellen diese Gesichtspunkte die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage zum 8. Januar 2019 nicht in Frage, weil diese – wie bereits in den Nrn. 77 und 78 festgestellt – durch die rechtzeitig vorgelegten Messergebnisse des zweiten Halbjahrs 2018 nachgewiesen wird und die schlechteren Ergebnisse des ersten Halbjahrs auf die Umbauarbeiten zurückgeführt werden können.

86.      Hinsichtlich der Gemeinde Töreboda ist daher im vorliegenden Verfahren nicht feststellbar, dass die Abwasserbehandlungsanlage zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem 8. Januar 2019, den biochemischen Sauerstoffbedarf unzureichend reduzierte.

7.      Zwischenergebnis

87.      Somit ist Schweden seinen Verpflichtungen nach Art. 4 in Verbindung mit Art. 10 der Abwasserrichtlinie nicht nachgekommen, weil es nicht sichergestellt hat, dass das Abwasser der Gemeinden Lycksele, Malå und Pajala vor dem Einleiten in Gewässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird.

88.      Im Übrigen ist dieser Klagegrund abzuweisen.

B.      Art. 5 der Abwasserrichtlinie – Stickstoffreduzierung

89.      Im Hinblick auf vier Gemeinden, Borås, Skoghall, Habo und Töreboda, beanstandet die Kommission eine Verletzung der Verpflichtung zur weiter gehenden Behandlung gemäß den Art. 5, 10 und 15 der Abwasserrichtlinie.

90.      Nach Art. 5 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie müssen die zuständigen Stellen die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um das kommunale Abwasser aus Kanalisationen von Gemeinden mit mehr als 10 000 EW vor dem Einleiten in empfindliche Gebiete spätestens ab 31. Dezember 1998 einer weiter gehenden als der in Art. 4 der Richtlinie beschriebenen Behandlung zu unterziehen.

91.      Welchen Regeln die weiter gehende Behandlung von Einleitungen in solche empfindlichen Gebiete unterliegt, ergibt sich aus einer Verweisungskette: Art. 5 Abs. 3 der Abwasserrichtlinie verweist auf Anhang I Abschnitt B. Nr. 3 dieses Abschnitts verweist wiederum auf die Vorgaben in Tabelle 2 dieses Anhangs.

92.      Schweden hat die Küstengewässer zwischen der norwegischen Grenze und der Gemeinde Norrtälje als aufgrund von Stickstoffeinleitungen eutrophierungsempfindlich oder ‑gefährdet eingestuft. In diese Gewässer leiten die betroffenen Gemeinden indirekt ihre Abwässer ein. Sie müssen daher bei der Abwasserbehandlung Stickstoff reduzieren.

93.      Abschnitt D. Nr. 4 Buchst. c und Tabelle 2 des Anhangs I der Abwasserrichtlinie verlangen für Stickstoff entweder eine Verringerung, die es ermöglicht, einen Jahresmittelwert von 15 mg/l für Gemeinden mit 10 000 bis 100 000 EW bzw. 10 mg/l für größere Gemeinden einzuhalten, oder eine prozentuale Mindestverringerung von 70 % bis 80 %.

94.      Im Übrigen verpflichtet Art. 10 der Abwasserrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu, Abwasserbehandlungsanlagen auch zur Erfüllung der Anforderungen des Art. 5 so zu planen, auszuführen, zu betreiben und zu warten, dass sie unter allen normalen örtlichen Klimabedingungen ordnungsgemäß arbeiten.

1.      Gemeinde Borås

95.      Das Abwasser der Gemeinde Borås wurde zunächst von der Abwasserbehandlungsanlage Gässlösa behandelt, die aber zum 28. Mai 2018 durch die Abwasserbehandlungsanlage Sobacken ersetzt wurde. Letztere hat eine Kapazität von über 100 000 EW und muss daher einen Wert von 10 mg/l Stickstoff unterschreiten oder eine prozentuale Mindestverringerung von 70 % bis 80 % bewirken.

96.      Aufgrund der Umstellung war es Schweden nicht möglich, mit der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme bereits einen Jahresmittelwert für diese Anlage mitzuteilen. Stattdessen hat Schweden für beide Anlagen einen Jahresmittelwert von 18 mg/l Stickstoff, also eine Überschreitung, mitgeteilt.(33)

97.      Mit der Klagebeantwortung legte Schweden aber zusätzliche Probendaten bis zum 5. September 2019 vor, die für die Anlage Sobacken einen Jahresmittelwert von 9 mg/l und eine Stickstoffreduzierung von durchschnittlich 70 % nachweisen.(34)

98.      Diese Daten erlauben nach den Überlegungen im Zusammenhang mit den Daten der Gemeinde Tänndalen(35) die Schlussfolgerung, dass die Abwasserbehandlungsanlage Sobacken zum maßgeblichen Zeitpunkt, also am 8. Januar 2019, den Anforderungen nach den Art. 5 und 10 der Abwasserrichtlinie genügte.

99.      Für diese Schlussfolgerung spricht im Übrigen auch die Erwägung, dass es eine gewisse Zeit dauern kann, bis eine neu errichtete Abwasserbehandlungsanlage optimal betrieben wird. Die vorgelegten Daten weisen dementsprechend zunächst deutlich überhöhte Werte auf, die sich dann allerdings stark verbessern und relativ stabil bleiben.

100. Bezüglich der Gemeinde Borås ist die Klage folglich abzuweisen.

2.      Gemeinde Skoghall

101. Die Gemeinde Skoghall verfügt über zwei Abwasserbehandlungsanlagen, nämlich Sättersviken mit 5 457 EW und Hammarö mit 15 000 EW. Die Beteiligten sind sich darin einig, dass beide Anlagen jeweils den Grenzwert für Anlagen von Gemeinden zwischen 10 000 und 100 000 EW beachten müssen, also einen Höchstwert von 15 mg/l Stickstoff oder eine Stickstoffreduzierung um 70 % bis 80 %. Diese Auffassung ist richtig, da die Anforderungen an große Gemeinden durch die Aufteilung der Abwässer auf mehrere kleine Abwasserbehandlungsanlagen umgangen werden könnten.

102. In der Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme gab Schweden aber für die Anlage Sättersviken einen Jahresdurchschnittswert von 17 mg/l für den Zeitraum vom 9. November 2017 bis zum 6. November 2018 an.(36) Daher geht die Kommission von einer Verletzung der Art. 5 und 10 der Abwasserrichtlinie aus.

103. Mit der Klagebeantwortung trägt Schweden vor, dass es im Betrieb dieser Abwasserbehandlungsanlage Probleme gegeben habe, die behoben worden seien. Außerdem legt dieser Mitgliedstaat zusätzliche Probendaten vor, so dass für den Zeitraum vom 6. April 2018 bis zum 15. Mai 2019 ein Jahresdurchschnittswert von 12 mg/l Stickstoff und eine durchschnittliche Stickstoffreduzierung von 73 % nachgewiesen sind.(37)

104. Dieses Vorbringen in Verbindung mit den neuen Daten erlaubt nach den Überlegungen im Zusammenhang mit den Daten der Gemeinde Tänndalen(38) die Schlussfolgerung, dass die Abwasserbehandlungsanlage Sättersviken der Gemeinde Skoghall zum maßgeblichen Zeitpunkt, also am 8. Januar 2019, den Anforderungen nach den Art. 5 und 10 der Abwasserrichtlinie genügte.

105. In diesem Punkt ist die Klage daher abzuweisen.

3.      Gemeinde Habo

106. Die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Habo hat eine Kapazität von 17 000 EW. Sie verfügt über keine besondere Ausrüstung zur Reduzierung des Stickstoffs im Abwasser und entfernt daher nur etwa 30 %, was zu einem Jahresdurchschnittswert von 40 mg/l führt. Schweden beruft sich jedoch darauf, dass der eingeleitete Stickstoffanteil in Flüssen und Seen durch natürliche Prozesse um 87 % reduziert werde. Diese Reduzierung ergebe sich aus einem wissenschaftlich anerkannten Modell. Zusammen mit der Reduzierung durch die Abwasserbehandlungsanlage würden somit 91 % des ursprünglich im Abwasser enthaltenen Stickstoffs entfernt, bevor das Wasser die empfindlichen Küstengewässer erreiche.(39)

107. Diese Anlage muss aufgrund ihrer Kapazität den Grenzwert von 15 mg/l Stickstoff oder eine Stickstoffreduzierung um 70 % bis 80 % erreichen. Bei der Beurteilung der Reduzierung hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass eine natürliche Reduzierung berücksichtigt wird.(40) Die Kommission verlangt allerdings, dass die Wirksamkeit dieser Reduzierung durch aktuelle Messdaten belegt wird. Dieser Einwand ist nachvollziehbar, denn nur anhand aktueller Messdaten kann die Kommission das Modell überprüfen.

108. Die Verteidigung Schwedens ist nicht völlig frei von Widersprüchen. Einerseits sei es nicht praktikabel, kontinuierlich die Stickstoffeingänge und Ausgänge aller mit Stickstoff belasteten Gewässer Schwedens zu messen.(41) Andererseits habe man dennoch neuere Messungen vorgenommen, um das Modell zu bestätigen und zu kalibrieren.(42) Diese Daten seien im Internet frei zugänglich.(43)

109. Diesem Vorbringen hält die Kommission in der Erwiderung entgegen, Schweden habe die geforderten Daten nicht vorgelegt. Diese Kritik ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, denn nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. d der Verfahrensordnung muss die Klagebeantwortung die Beweise und Beweisangebote enthalten. Normalerweise müssen daher Daten zur Unterstützung des rechtlichen Vorbringens, also Beweise, dem Gerichtshof mit dem Schriftsatz vorgelegt werden.

110. Allerdings hat die Kommission weder im gerichtlichen Verfahren noch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme genau bezeichnet, welche Messdaten sie benötigt, um das Modell der natürlichen Reduzierung von Stickstoff überprüfen zu können. Daher war Schweden nicht in der Lage, genau diese Daten vorzulegen. Der Verweis auf die im Internet verfügbaren Daten ist daher vielmehr als Beweisangebot anzusehen, auf dessen Grundlage die Kommission ihre Kritik an der Verwendung des Modells hätte präzisieren können.

111. Dafür hätte sich die Kommission mit den im Internet verfügbaren Daten inhaltlich auseinandersetzen müssen. Falls die Prüfung der Daten sehr zeitaufwendig gewesen wäre, hätte sie notfalls eine Fristverlängerung oder eine Aussetzung des Verfahrens beantragen müssen.

112. Nichts davon ist geschehen.

113. Der Einwand der Kommission, Schweden habe die notwendigen Messdaten zur Überprüfung nicht vorgelegt, ist daher zurückzuweisen. Somit ist die Klage auch im Hinblick auf die Gemeinde Habo unbegründet.

4.      GemeindeTöreboda

114. Die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Töreboda muss aufgrund ihrer Kapazität von 35 500 EW ebenfalls den Grenzwert von 15 mg/l Stickstoff oder eine Stickstoffreduzierung um 70 % bis 80 % erreichen.

115. Nach der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme verfügt sie über keine besondere Ausrüstung zur Reduzierung des Stickstoffs im Abwasser und entfernte daher nur etwa 43 %. Schweden berief sich allerdings auf eine natürliche Reduktion um weitere 50 %, so dass der Stickstoff im Abwasser insgesamt um 71 % reduzierte werde, bevor es die empfindlichen Küstengewässer erreicht.(44) Nach den soeben angestellten Überlegungen zur Gemeinde Habo reichen diese Werte, um eine ausreichende Reduzierung des Stickstoffs nachzuweisen.

116. Mit der Klagebeantwortung legt Schweden außerdem die Ergebnisse von Proben der Stickstoffreduzierung vor, die zwischen dem 4. Januar und dem 30. Dezember 2019 erhoben wurden. Danach hat die Anlage auch ohne Berücksichtigung einer natürlichen Reduzierung im Jahr 2019 einen Durchschnittswert von 14 mg/l und eine durchschnittliche Reduzierung von 73 % erreicht – vermutlich aufgrund der Umbauten im ersten Halbjahr 2018.(45) Diese Werte belegen erst recht, dass die Abwasserbehandlungsanlage der Gemeinde Töreboda zum maßgeblichen Zeitpunkt die Stickstofflast des Abwassers ausreichend reduzierte.

117. Somit ist der Vorwurf unbegründet, Schweden habe hinsichtlich der Gemeinde Töreboda die Art. 5, 10 und 15 der Abwasserrichtlinie verletzt.

5.      Zwischenergebnis

118. Der zweite Klagegrund ist somit insgesamt zurückzuweisen.

C.      Art. 4 Abs. 3 EUV – loyale Zusammenarbeit

119. Die Kommission macht schließlich geltend, Schweden habe seine Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt, weil es in Bezug auf die Gemeinden Habo und Töreboda im Vorverfahren nicht alle notwendigen Daten vorgelegt habe. Schweden habe der Kommission insbesondere nicht die Auskünfte erteilt, die diese benötige, um die Stichhaltigkeit seines Vorbringens zum Umfang der natürlichen Stickstoffreduzierung und der darauf beruhenden Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie hinsichtlich der Stickstoffelimination beurteilen zu können.

120. Zwar obliegt es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie ist es also, die dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern muss, die es diesem ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, und kann sich hierfür nicht auf irgendwelche Vermutungen stützen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, der Kommission die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern, zu denen es gemäß Art. 17 Abs. 1 EUV u. a. gehört, für die Anwendung des Vertrags sowie der von den Organen aufgrund des Vertrags erlassenen Bestimmungen Sorge zu tragen. Insbesondere ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die nationalen Bestimmungen, mit denen die wirksame Durchführung einer Richtlinie sichergestellt werden soll, in der Praxis korrekt angewandt werden, die Kommission, die über keine eigenen Ermittlungsbefugnisse auf diesem Gebiet verfügt, weitgehend auf die Angaben etwaiger Beschwerdeführer und des betroffenen Mitgliedstaats angewiesen ist. Das bedeutet insbesondere, dass es dann, wenn die Kommission genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts im Gebiet des beklagten Mitgliedstaats beigebracht hat, diesem obliegt, diese Angaben und deren Folgen substantiiert zu bestreiten.(46)

121. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme hat die Kommission dargelegt, Schweden sei dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, weil es keine neueren Messergebnisse zur Reduzierung von Stickstoff zwischen der Ausleitung des Wassers aus den Abwasserbehandlungsanlagen und den empfindlichen Küstengewässern vorgelegt habe.(47) Wie bereits gesagt,(48) ist diese Forderung nachvollziehbar, da eine Modellrechnung nur anhand tatsächlicher Messwerte überprüft werden kann.

122. Darauf hat Schweden insbesondere mit einer Stellungnahme des Sveriges meteorologiska och hydrologiska institut (Schwedisches meteorologisches und hydrologisches Institut, SMHI) geantwortet.(49) Dabei hält das SMHI ausdrücklich fest, dass neuere Messwerte für den Stickstoffgehalt in den Gewässern zwar verwendet wurden, aber auf der Webseite des SMHI nicht verfügbar seien, weil sie aus der Datenbank einer anderen Institution entnommen würden.(50)

123. Mit dieser unvollständigen Auskunft hat Schweden das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit verletzt und das vorliegende Verfahren behindert. Obwohl die Kommission den Mangel an Daten beanstandet hatte, teilte das SMHI weder solche Daten mit noch nannte es die Quelle der neueren Daten oder die Fundstelle im Internet. Dieses Versäumnis ist umso schwerwiegender, als entsprechende Angaben – wie die Klagebeantwortung zeigt – problemlos möglich gewesen wären. Zugleich hätte es guter wissenschaftlicher Praxis entsprochen, die allgemein zugängliche Fundstelle der verwendeten Daten zu nennen. Auf dieser Grundlage hätte die Kommission die vorliegende Klage deutlich besser vorbereiten können und sie hätte vielleicht sogar die Rügen hinsichtlich der Gemeinden Habo und Töreboda aufgegeben.

124. Weil diese Angaben so bedeutsam gewesen wären, hätte es zwar ebenfalls dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit entsprochen, wenn die Kommission nochmals zumindest informell um die Übermittlung dieser Messerwerte gebeten hätte. Allerdings konnte sie nicht wissen, dass der Zugang so unproblematisch möglich gewesen wäre. Daher schließt das Fehlen einer weiteren Nachfrage von Seiten der Kommission die Feststellung der Verletzung des Prinzips der loyalen Zusammenarbeit durch Schweden nicht aus.

125. Somit hat Schweden seine Verpflichtungen nach Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt, da es der Kommission während des Vorverfahrens nicht die Auskünfte erteilt hat, die sie benötigt hätte, um beurteilen zu können, ob die Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Habo und Töreboda den Anforderungen der Abwasserrichtlinie genügen.

V.      Kosten

126. Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn beide – wie hier – teilweise obsiegen und teilweise unterliegen.

VI.    Ergebnis

127. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Das Königreich Schweden ist seinen Verpflichtungen nach Art. 4 in Verbindung mit Art. 10 der Richtlinie 91/271/EWG über die Behandlung von kommunalem Abwasser nicht nachgekommen, weil es nicht sichergestellt hat, dass das Abwasser der Gemeinden Lycksele, Malå und Pajala vor dem Einleiten in Gewässer einer Zweitbehandlung oder einer gleichwertigen Behandlung unterzogen wird.

2)      Das Königreich Schweden hat seine Verpflichtungen nach Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt, da es der Europäischen Kommission während des Vorverfahrens nicht die Auskünfte erteilt hat, die sie benötigt hätte, um beurteilen zu können, ob die Abwasserbehandlungsanlagen der Gemeinden Habo und Töreboda den Anforderungen der Richtlinie 91/271 genügen.

3)      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4)      Die Europäische Kommission und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.


1      Originalsprache: Deutsch.


2      Anwendbar ist die Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser (ABl. 1991, L 135, S. 40) in der Fassung der Richtlinie 2013/64/EU des Rates vom 17. Dezember 2013 (ABl. 2013, L 353, S. 8).


3      Vgl. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen „Evaluation of the Council Directive 91/271/EEC of 21 May 1991, concerning urban waste-water treatment“, SWD(2019) 700 final, S. 3, Einträge „Biochemical oxygen demand“ und „Chemical oxygen demand“.


4      Vgl. Urteile vom 1. Oktober 2020, Entoma (C‑526/19, EU:C:2020:769, Rn. 43), sowie vom 17. Dezember 2020, De Masi und Varoufakis/EZB (C‑342/19 P, EU:C:2020:1035, Rn. 35 und 36). Siehe zur Bedeutung des Wortlauts auch Urteile vom 24. November 2005 (Deutsches Milch-Kontor, C-136/04, EU:C:2005:716, Rn. 32), und vom 19. Dezember 2019, Puppinck u. a./Kommission (C-418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 76).


5      Urteile vom 19. Oktober 1977, Ruckdeschel u. a. (117/76 und 16/77, EU:C:1977:160, Rn. 7), vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld (C‑303/05, EU:C:2007:261, Rn. 56), vom 12. Mai 2011, Luxemburg/Parlament und Rat (C‑176/09, EU:C:2011:290, Rn. 31), und vom 8. Dezember 2020, Polen/Parlament und Rat (C‑626/18, EU:C:2020:1000, Rn. 93).


6      Urteile vom 27. Oktober 1992, Kommission/Deutschland (C‑74/91, EU:C:1992:409, Rn. 10), vom 6. Juli 2006, Kommission/Portugal (C‑53/05, EU:C:2006:448, Rn. 30), und vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C‑189/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:455, Rn. 15).


7      Urteil vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland (C‑475/01, EU:C:2004:585, Rn. 17 ff.).


8      Urteile vom 9. März 1994, TWD Textilwerke Deggendorf (C‑188/92, EU:C:1994:90, Rn. 17), und vom 25. Juli 2018, Georgsmarienhütte u. a. (C‑135/16, EU:C:2018:582, Rn. 17).


9      Auch bei der Anwendung der Abwasserrichtlinie auf die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums, insbesondere auf Norwegen und Island, sah man offenbar keinen Anlass, die Ausnahme des Art. 4 Abs. 2 der Abwasserrichtlinie auf Gemeinden im Hohen Norden auszudehnen. Siehe Art. 74 und Anhang XX Nr. 13 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 496).


10      Anhang I Abschnitt VIII. E. Nr. 4 Buchst. d (1) der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 175).


11      Vgl. Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen „Evaluierung der Richtlinie des Rates 91/271/EWG vom 21. Mai 1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser“ (SWD[2019] 700, S. 167).


12      Anhang 8 zur Klage, S. 1133.


13      Meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Portugal (C‑557/14, EU:C:2016:119, Nrn. 29 bis 31). Vgl. auch Urteil vom 14. September 2017, Kommission/Griechenland (C‑320/15, EU:C:2017:678, Rn. 34), sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in dieser Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑320/15, EU:C:2017:246, Nr. 57).


14      Urteil vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 39).


15      Urteile vom 18. Oktober 2012, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑301/10, EU:C:2012:633, Rn. 85, 86 und 93), und vom 4. Mai 2017, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑502/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:334, Rn. 44 bis 46).


16      Vgl. zur Luftqualität Urteil vom 10. Mai 2011, Kommission/Schweden (C‑479/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:287).


17      Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Bulgarien (C‑488/15, EU:C:2016:862, Nrn. 39 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).


18      Urteile vom 16. Dezember 1997, Kommission/Italien (C‑316/96, EU:C:1997:614, Rn. 14), vom 6. Dezember 2007, Kommission/Deutschland (C‑456/05, EU:C:2007:755), und vom 29. Juli 2019, Kommission/Österreich (Ziviltechniker, Patentanwälte und Tierärzte) (C‑209/18, EU:C:2019:632, Rn. 48).


19      Urteile vom 31. März 1992, Kommission/Italien (C‑362/90, EU:C:1992:158, Rn. 9), vom 27. Oktober 2005, Kommission/Italien (C‑525/03, EU:C:2005:648, Rn. 13), und vom 18. Mai 2006, Kommission/Spanien (Fischotter) (C‑221/04, EU:C:2006:329, Rn. 22 und 23).


20      Vgl. das Schreiben der Dala Vatten och Avfall AB vom 21. Dezember 2018, Anhang 10 zur Klage, S. 1175, und oben, Nr. 54


21      Anhang 10 zur Klage, S. 1131.


22      Anhang 7 zur Klage, S. 937.


23      Vgl. Anhang 10 zur Klage, S. 1085 und 1086 sowie 1173.


24      Anhang 10 zur Klage, S. 1115.


25      Anhang 10 zur Klage, S. 1167 und 1168.


26      Vgl. Urteil vom 10. März 2016, Kommission/Spanien (C‑38/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:156, Rn. 45).


27      Anhang 10 zur Klage, S. 1150.


28      Anhang 4 der Gegenerwiderung.


29      Urteile vom 10. November 2016, Kommission/Griechenland (C‑504/14, EU:C:2016:847, Rn. 86), sowie in diesem Sinn vom 14. April 2005, Gaki-Kakouri/Gerichtshof (C‑243/04 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:238, Rn. 33).


30      Anhang 10 zur Klage, S. 991.


31      Vgl. die Definition des Begriffs Zweitbehandlung in der in Fn. 3 zitierten Arbeitsunterlage (S. 6).


32      Zu den verspätet vorgelegten Daten, die diese Lücke schließen würden, siehe Nr. 75.


33      Anhang 10 zur Klage, S. 1153.


34      Anhang B.15.


35      Siehe oben, Nr. 72.


36      Anhang 10 zur Klage, S. 1145.


37      Anhang B.16.


38      Siehe oben, Nr. 72.


39      Anhang 10 zur Klage, S. 1139 und 1140.


40      Urteil vom 6. Oktober 2009, Kommission/Schweden (C‑438/07, EU:C:2009:613, Rn. 101 und 104).


41      Rn. 21 der Klagebeantwortung.


42      Rn. 29 der Klagebeantwortung.


43      Schweden verweist auf die Webseite miljodata.slu.se/mvm/.


44      Anhang 10 zur Klage, S. 1149 und 1150.


45      Siehe oben, Nr. 77.


46      Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 41 bis 44), und vom 18. Oktober 2012, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑301/10, EU:C:2012:633, Rn. 70 bis 72).


47      Siehe zur Gemeinde Habo Rn. 95 und zur Gemeinde Töreboda Rn. 122 (Anhang 9 zur Klage, S. 1149 sowie 1152 und 1153).


48      Siehe oben, Nr. 107.


49      Anhang 10 zur Klage, S. 1349 ff.


50      Anhang 10 zur Klage, S. 1350.