Language of document : ECLI:EU:C:2023:701

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 21. September 2023(1)

Rechtssache C582/22

Die Länderbahn GmbH DLB,

Prignitzer Eisenbahn GmbH,

Ostdeutsche Eisenbahn,

Ostseeland Verkehrs GmbH

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

Beteiligte:

DB Netz AG

[Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Köln (Deutschland)]

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2012/34/EU – Art. 56 – Regulierungsstelle – Zuständigkeit für die Überprüfung von Entgelten für abgelaufene Netzfahrpläne – Möglichkeit des Erlasses rückwirkender Entscheidungen – Zeitliche Grenzen für die Erhebung von Klagen – Wirksamkeit der Entscheidungen der Regulierungsstelle – Zuständigkeit für die Anordnung der Rückzahlung von zu Unrecht erhobenen Entgelten durch den Infrastrukturbetreiber“






1.        Dieses Vorabentscheidungsersuchen geht auf einen Rechtsstreit zurück, der die Kontrollbefugnisse der deutschen Regulierungsstelle(2) in Bezug auf Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers über die von den Eisenbahnverkehrsunternehmen zu entrichtenden Entgelte betrifft. Einige dieser Unternehmen beantragten – allerdings ohne Erfolg – bei der Regulierungsstelle die Anordnung der Rückzahlung von Entgelten durch den Infrastrukturbetreiber, die sie ihrer Ansicht nach zu Unrecht gezahlt hatten.

2.        Das Gericht, das über den Rechtsstreit zu entscheiden hat, ersucht den Gerichtshof um Auslegung mehrerer Bestimmungen der Richtlinie 2012/34/EU(3), die die Zuständigkeit der nationalen Regulierungsstellen im Eisenbahnsektor betreffen.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht: Richtlinie 2012/34

3.        Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Eisenbahnunternehmen‘ jedes nach dieser Richtlinie zugelassene öffentlich-rechtliche oder private Unternehmen, dessen Haupttätigkeit im Erbringen von Eisenbahnverkehrsdiensten zur Beförderung von Gütern und/oder Personen besteht, wobei dieses Unternehmen die Traktion sicherstellen muss; dies schließt auch Unternehmen ein, die ausschließlich die Traktionsleistung erbringen;

2.      ‚Infrastrukturbetreiber‘ jede Stelle oder jedes Unternehmen, die bzw. das insbesondere für die Einrichtung, die Verwaltung und die Unterhaltung der Fahrwege der Eisenbahn, einschließlich Verkehrsmanagement, Zugsteuerung/Zugsicherung und Signalgebung, zuständig ist; mit den bei einem Netz oder Teilen eines Netzes wahrzunehmenden Funktionen des Infrastrukturbetreibers können verschiedene Stellen oder Unternehmen betraut werden;

19.      ‚Antragsteller‘ ein Eisenbahnunternehmen oder eine internationale Gruppierung von Eisenbahnunternehmen oder andere natürliche oder juristische Personen wie zuständige Behörden im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, Verlader, Spediteure und Unternehmen des kombinierten Verkehrs, die ein gemeinwirtschaftliches oder einzelwirtschaftliches Interesse am Erwerb von Fahrwegkapazität haben;

25.      ‚Netz‘ bzw. ‚Schienennetz‘ die gesamte Eisenbahninfrastruktur, [die] von einem Infrastrukturbetreiber verwaltet wird;

26.      ‚Schienennetz-Nutzungsbedingungen‘ eine detaillierte Darlegung der allgemeinen Regeln, Fristen, Verfahren und Kriterien für die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen einschließlich der zusätzlichen Informationen, die für die Beantragung von Fahrwegkapazität benötigt werden;

28.      ‚Netzfahrplan‘ die Daten zur Festlegung aller geplanten Zugbewegungen und Bewegungen der Fahrzeuge, die auf dem betreffenden Schienennetz während der Gültigkeitsdauer des Netzfahrplans durchgeführt werden;

…“

4.        Art. 55 („Regulierungsstelle“) bestimmt:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat richtet für den Eisenbahnsektor eine einzige nationale Regulierungsstelle ein. …

…“

5.        Art. 56 („Aufgaben der Regulierungsstelle“) lautet:

„(1)      Ist ein Antragsteller der Auffassung, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein, so hat er unbeschadet des Artikels 46 Absatz 6 das Recht, die Regulierungsstelle zu befassen, und zwar insbesondere gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers oder gegebenenfalls des Eisenbahnunternehmens oder des Betreibers einer Serviceeinrichtung betreffend:

d)      die Entgeltregelung;

e)      die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte;

(2)      Unbeschadet der Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Sicherstellung des Wettbewerbs in den Schienenverkehrsmärkten ist die Regulierungsstelle berechtigt, die Wettbewerbssituation in den Schienenverkehrsmärkten zu überwachen, insbesondere auch den Markt für Hochgeschwindigkeits-Personenverkehrsdienste und die Tätigkeiten der Infrastrukturbetreiber in Bezug auf Absatz 1 Buchstaben a bis j. Die Regulierungsstelle überprüft von sich aus insbesondere die Einhaltung der in Absatz 1 Buchstaben a bis j genannten Punkte, um der Diskriminierung von Antragstellern vorzubeugen. Sie prüft insbesondere, ob die Schienennetz-Nutzungsbedingungen diskriminierende Bestimmungen enthalten oder den Infrastrukturbetreibern einen Ermessensspielraum geben, der zur Diskriminierung von Antragstellern genutzt werden kann.

(6)      Die Regulierungsstelle gewährleistet, dass die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte dem Kapitel IV Abschnitt 2 entsprechen und nichtdiskriminierend sind. Verhandlungen zwischen Antragstellern und einem Infrastrukturbetreiber über die Höhe von Wegeentgelten sind nur zulässig, sofern sie unter Aufsicht der Regulierungsstelle erfolgen. Die Regulierungsstelle hat einzugreifen, wenn bei den Verhandlungen ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieses Kapitels droht.

(9)      Binnen eines Monats ab Erhalt einer Beschwerde prüft die Regulierungsstelle die Beschwerde und fordert gegebenenfalls einschlägige Auskünfte an und leitet Gespräche mit allen Betroffenen ein. Innerhalb einer vorab bestimmten angemessenen Frist, in jedem Fall aber binnen sechs Wochen nach Erhalt aller sachdienlichen Informationen entscheidet sie über die betreffenden Beschwerden, trifft Abhilfemaßnahmen und setzt die Betroffenen über ihre begründete Entscheidung in Kenntnis. Unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Sicherstellung des Wettbewerbs in den Schienenverkehrsmärkten entscheidet sie gegebenenfalls von sich aus über geeignete Maßnahmen zur Korrektur von Fällen der Diskriminierung von Antragstellern, Marktverzerrung und anderer unerwünschter Entwicklungen in diesen Märkten, insbesondere in Bezug auf Absatz 1 Buchstaben a bis j.

Entscheidungen der Regulierungsstelle sind für alle davon Betroffenen verbindlich und unterliegen keiner Kontrolle durch eine andere Verwaltungsinstanz. Die Regulierungsstelle muss ihre Entscheidungen durchsetzen können und gegebenenfalls geeignete Sanktionen, einschließlich Geldbußen, verhängen können.

…“.

6.        In Anhang VII („Zeitplan des Zuweisungsverfahrens“) heißt es:

„1.      Der Netzfahrplan wird einmal im Kalenderjahr erstellt.

2.      Der Wechsel des Netzfahrplans erfolgt am zweiten Samstag im Dezember um 24.00 Uhr. … Die Infrastrukturbetreiber können sich auf abweichende Termine verständigen; in diesem Fall unterrichten sie die Kommission entsprechend, falls der internationale Verkehr betroffen sein könnte.

…“

B.      Deutsches Recht: nationales Eisenbahnregulierungsgesetz(4)

7.        § 66 („Die Regulierungsbehörde und ihre Aufgaben“) bestimmt:

„(1)      Ist ein Zugangsberechtigter der Auffassung, durch Entscheidungen eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein, so hat er … das Recht, die Regulierungsbehörde anzurufen.

(3)      Kommt eine Vereinbarung über den Zugang oder über einen Rahmenvertrag nicht zustande, können die Entscheidungen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens durch die Regulierungsbehörde auf Antrag des Zugangsberechtigten oder von Amts wegen überprüft werden. Der Antrag ist innerhalb der Frist zu stellen, in der das Angebot zum Abschluss von Vereinbarungen … angenommen werden kann.

(4)      Überprüft werden können auf Antrag oder von Amts wegen insbesondere

5.      die Entgeltregelung,

6.      die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die der Zugangsberechtigte zu zahlen hat oder hätte,

7.      die Höhe und Struktur sonstiger Entgelte, die der Zugangsberechtigte zu zahlen hat oder hätte,

…“

8.        § 67 („Befugnisse der Regulierungsbehörde, Überwachung des Verkehrsmarktes, Vollstreckungsregelungen“) sieht vor:

(1)      Die Regulierungsbehörde kann gegenüber Eisenbahnen und den übrigen nach diesem Gesetz Verpflichteten die Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um Verstöße gegen dieses Gesetz oder unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes zu beseitigen oder zu verhüten.

…“

9.        § 68 („Entscheidungen der Regulierungsbehörde“) lautet:

„(1)      Binnen eines Monats ab Erhalt einer Beschwerde prüft die Regulierungsbehörde die Beschwerde. Dazu fordert sie von den Betroffenen die für die Entscheidung erforderlichen Auskünfte an und leitet Gespräche mit allen Betroffenen ein. Innerhalb einer vorab bestimmten angemessenen Frist, in jedem Fall aber binnen sechs Wochen nach Erhalt aller erforderlichen Informationen entscheidet sie über die Beschwerde, trifft Abhilfemaßnahmen und setzt die Betroffenen von ihrer Entscheidung, die zu begründen ist, in Kenntnis. Unabhängig von den Zuständigkeiten der Kartellbehörden entscheidet sie von Amts wegen über geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Diskriminierung und Marktverzerrung.

(2)      Beeinträchtigt im Fall des § 66 Absatz 1 oder 3 die Entscheidung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens das Recht des Zugangsberechtigten auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur, so

1.      verpflichtet die Regulierungsbehörde das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung der Entscheidung oder

2.      entscheidet die Regulierungsbehörde über die Geltung des Vertrags oder des Entgeltes, erklärt entgegenstehende Verträge für unwirksam und setzt die Vertragsbedingungen oder Entgelte fest.

Die Entscheidung nach Satz 1 kann auch Schienennetz-Nutzungsbedingungen oder Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen betreffen.

(3)      Die Regulierungsbehörde kann mit Wirkung für die Zukunft das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung von Maßnahmen im Sinne des § 66 Absatz 4 verpflichten oder diese Maßnahmen für ungültig erklären, soweit diese nicht mit den Vorschriften dieses Gesetzes oder unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes in Einklang stehen.“

II.    Sachverhalt der Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10.      In den Jahren 2002 bis 2011 setzte die DB Netz AG(5), die Infrastrukturbetreiberin eines Teils der deutschen Eisenbahninfrastruktur ist, die Wegeentgelte für jede Netzfahrplanperiode fest.

11.      Die Länderbahn GmbH DLB, die Prignitzer Eisenbahn GmbH, die Ostdeutsche Eisenbahn und die Ostseeland Verkehrs GmbH (im Folgenden: Klägerinnen) sind Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von DB Netz betriebene Infrastruktur nutzen.

12.      Die Klägerinnen bestritten die Zulässigkeit der Anwendung eines „Regionalfaktors“, der zu den Entgeltelementen für die Nutzung der Infrastruktur von DB Netz gehörte. Sie hielten die von DB Netz festgesetzten Entgelte für teilweise rechtswidrig, da der „Regionalfaktor“ Unternehmen, die Regionalverbindungen betrieben, diskriminiere(6). Dementsprechend zahlten sie entweder die verlangten Entgelte unter Vorbehalt oder behielten Zahlungen ein.

13.      Am 5. März 2010 erließ die Bundesnetzagentur bei der Überprüfung der von DB Netz festgesetzten Entgelte einen Bescheid(7), in dem sie

–      die Schienennetz-Nutzungsbedingungen für den Netzfahrplan 2011 für ungültig erklärte, soweit sie die Anwendung des „Regionalfaktors“ vorsahen;

–      darauf hinwies, dass es Sache der Zivilgerichte sei, auf der Grundlage der Billigkeit über die Rückzahlung gegebenenfalls zu viel gezahlter Entgelte zu entscheiden(8).

14.      Am 9. November 2017 ist das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache CTL Logistics(9) ergangen, in dem der Gerichtshof nach Prüfung der deutschen Regelung(10) festgestellt hat, dass die Richtlinie 2001/14/EG(11), die Vorgängerrichtlinie der Richtlinie 2012/34, „der Anwendung einer nationalen Regelung … entgegensteh[t], wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der … Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können“.

15.      Gestützt auf das Urteil CTL Logistics, beantragten die Klägerinnen bei der Bundesnetzagentur, die für die Netzfahrpläne von 2003 bis 2011 festgesetzten Entgelte für unwirksam zu erklären und DB Netz zur Rückzahlung der zu viel gezahlten Beträge zu verpflichten.

16.      Die Bundesnetzagentur wies die im Wesentlichen identischen Anträge der Klägerinnen mit Beschlüssen vom 11. Oktober 2019, 3. Juli 2020 und 11. Dezember 2020 zurück. Sie war der Ansicht, dass es für einen Antrag auf Durchführung einer nachträglichen Überprüfung keine Rechtsgrundlage gebe, da die Eisenbahnunternehmen die Möglichkeit zur Anfechtung nur während der Geltung der betroffenen Entgelte hätten.

17.      Mit ihren am 6. bzw. 9. November 2019 beim Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) erhobenen Klagen beantragen die Klägerinnen die Feststellung, dass die Bundesnetzagentur verpflichtet ist, eine nachträgliche Überprüfung durchzuführen, die ihr ermöglicht, die Unwirksamkeit der in Rede stehenden Wegeentgelte mit Wirkung für die Vergangenheit festzustellen und die Rückerstattung der entsprechenden Beträge durch DB Netz anzuordnen.

18.      Bevor das vorlegende Gericht über den Antrag der Klägerinnen entscheidet, muss es im Wesentlichen wissen,

–      ob Art. 56 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass die Eisenbahnunternehmen bei der Regulierungsstelle eine Ex-post-Kontrolle von Wegeentgelten für bereits abgelaufene Netzfahrpläne beantragen können, die Ex-tunc-Wirkung entfaltet,

–      und, bejahendenfalls, wie die Rückerstattung der unwirksamen Entgelte durchgesetzt werden kann, um die Eisenbahnunternehmen wieder vollständig in ihre Rechte einzusetzen.

19.      Vor diesem Hintergrund legt das Verwaltungsgericht Köln fünf Fragen zur Vorabentscheidung vor, wobei ich auf Wunsch des Gerichtshofs eine Antwort auf die ersten vier Fragen vorschlagen werde, die wie folgt lauten:

1.      Ist Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34/EU dahin auszulegen, dass eine Entgeltregelung auch dann tauglicher Beschwerdegegenstand sein kann, wenn der Geltungszeitraum für das zu überprüfende Entgelt bereits abgelaufen ist (Beschwerde gegen ein sogenanntes Altentgelt)?

2.      Wenn Frage 1 mit Ja beantwortet wird: Ist Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34/EU dahin auszulegen, dass die Regulierungsstelle bei einer Ex-post-Kontrolle von Altentgelten diese mit Ex-tunc-Wirkung für unwirksam erklären kann?

3.      Wenn Fragen 1 und 2 mit Ja beantwortet werden: Lässt die Auslegung des Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34/EU eine nationale Regelung zu, die eine Möglichkeit der Ex-post-Kontrolle von Altentgelten mit Ex-tunc-Wirkung ausschließt?

4.      Wenn Fragen 1 und 2 mit Ja beantwortet werden: Ist Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34/EU dahin auszulegen, dass die dort vorgesehenen Abhilfemaßnahmen der zuständigen Regulierungsstelle auf Rechtsfolgenseite dem Grunde nach auch die Anordnung der Rückzahlung von rechtswidrig erhobenen Entgelten durch den Infrastrukturbetreiber eröffnen, obwohl Rückzahlungsansprüche zwischen Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber auf dem Zivilrechtsweg eingefordert werden können?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 2. September 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

21.      Schriftliche Erklärungen wurden von der Prignitzer Eisenbahn GmbH, der Ostdeutsche Eisenbahn und der Ostseeland Verkehrs GmbH (gemeinsam), DB Netz, der deutschen, der litauischen, der norwegischen und der polnischen Regierung sowie der Europäischen Kommission eingereicht.

22.      An der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2023 haben Prignitzer Eisenbahn (ebenfalls prozessbevollmächtigt für Ostdeutsche Eisenbahn und Ostseeland Verkehr), DB Netz, die deutsche, die österreichische und die polnische Regierung sowie die Kommission teilgenommen.

IV.    Würdigung

A.      Vorbemerkungen

23.      Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass die Richtlinie 2012/34 anwendbar ist, und ersucht daher um die Auslegung ihres Art. 56 Abs. 1, 6 und 9.

24.      Die im Rechtsstreit in Rede stehenden Entgelte für den Zeitraum 2003 bis 2011 wurden jedoch festgesetzt und erhoben, als noch die Vorgängerrichtlinie 2001/14 in Kraft war, so dass man die Auffassung vertreten könnte, dass diese Richtlinie in zeitlicher Hinsicht anwendbar sein müsse(12).

25.      Jedenfalls entspricht der Wortlaut von Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34 im Wesentlichen dem des weniger detailliert formulierten Art. 30 Abs. 2, 3 und 5 der Richtlinie 2001/14(13). Daher spricht nichts dagegen, sich auf Art. 56 der Richtlinie 2012/34 zu konzentrieren, wie vom vorlegenden Gericht gewünscht; darüber sind sich alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig gewesen.

B.      Rechtsprechung des Gerichtshofs

26.      Im Vorlagebeschluss werden das Urteil CTL Logistics, auf das mehrfach Bezug genommen wird, und das Urteil vom 8. Juli 2021, Koleje Mazowieckie(14), angeführt. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorlagebeschlusses war das Urteil DB Station noch nicht ergangen.

27.      Auf das zuletzt genannte Urteil, das am 27. Oktober 2022 verkündet worden ist, haben mehrere der Parteien und Beteiligten des Verfahrens wiederholt Bezug genommen und daraus die Antworten auf einige der hier aufgeworfenen Vorlagefragen abgeleitet(15).

C.      Erste Vorlagefrage

28.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Entgeltregelung auch dann angefochten werden kann, „wenn der Geltungszeitraum für das zu überprüfende Entgelt bereits abgelaufen ist“.

29.      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Bundesnetzagentur bei ihrer Zurückweisung der Beschwerde der klagenden Unternehmen das Recht, die Festsetzung der Entgelte anzufechten, davon abhängig machte, dass die Beschwerde während des Geltungszeitraums der Entgelte erhoben wurde(16). Eine Anfechtung von „Altentgelten“ sei daher nicht möglich(17).

30.      Dieser Standpunkt scheint Ausdruck der seinerzeit von der deutschen Gesetzgebung(18) und Rechtsprechung(19) vertretenen Lösung zu sein, wonach die Bundesnetzagentur nur die geltenden Entgelte kontrollieren und Entscheidungen mit Wirkung für die Zukunft treffen konnte(20).

31.      Gleichwohl ist die Lösung, die sich aus dem Unionsrecht ergibt, mit dieser zeitlichen Beschränkung nicht vereinbar, wie die deutsche Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen(21) unter Verweis auf das Urteil DB Station selbst einräumt.

32.      Nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2012/34 kann ein Antragsteller „die Regulierungsstelle befassen“ mit einer Überprüfung der Entscheidungen „betreffend … die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte“. Wörtlich genommen, könnte diese Formulierung darauf hindeuten, dass die Rechtsbehelfe nur geltende oder zukünftige Entgelte betreffen können, aber das entspricht nicht der Auslegung durch den Gerichtshof.

33.      Vielmehr hat dieser im Urteil DB Station festgestellt, dass „die auf der Grundlage von Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14 angerufene [Regulierungsstelle] jedoch ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der in der Vergangenheit für die Nutzung von Infrastruktur gezahlten Entgelte nicht verneinen [kann]“(22). Dies gilt sogar, wenn „eine innerstaatliche Rechtsvorschrift … es ihr nicht ermöglich[t], über die Rechtmäßigkeit bereits gezahlter Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur zu entscheiden“(23).

34.      Die Regulierungsstelle ist daher befugt, die Rechtmäßigkeit der Entgelte zu prüfen, die im Rahmen vergangener Netzfahrpläne angewandt und gezahlt wurden, und sie gegebenenfalls für nichtig zu erklären.

35.      Es ist jedoch legitim, sich zu fragen, ob das Recht der Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Überprüfung von „Altentgelten“ zu beantragen, nicht an Fristen gebunden ist(24) oder ob es stattdessen zeitlichen Beschränkungen unterworfen werden kann, die sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit herleiten. Mit diesem Problem hat sich ein Gutteil der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente beschäftigt, auch wenn das vorlegende Gericht nicht ausdrücklich danach gefragt hat. Ich werde daher der Vollständigkeit halber darauf eingehen.

36.      Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung in der Richtlinie 2012/34 ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der Mitgliedstaaten, die zeitlichen Grenzen für Klagen festzulegen, mit denen Einzelne bei den nationalen Stellen die Rückerstattung von wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht rechtsgrundlos gezahlten Beträgen verlangen können. In jedem Fall müssen die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz beachten(25).

37.      Allerdings gibt es im deutschen Recht nach den in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben offenbar keine speziellen Fristen für die Rückforderung von Wegeentgelten(26).

38.      In diesem Zusammenhang wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, zu klären, ob das deutsche Recht tatsächlich die Klage über einen unbegrenzten Zeitraum ermöglicht oder ob es vielmehr zeitliche Grenzen für die Erhebung der Klage gibt, die sich auf die Verjährung der Ansprüche oder auf die Verwirkung (Präklusion) der Klagemöglichkeit stützen lassen.

39.      Im Rahmen dieser Würdigung des innerstaatlichen Rechts, die, wie ich betonen möchte, nur das vorlegende Gericht vornehmen kann, kann es angebracht sein, gegeneinander abzuwägen, ob der Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit haben muss (wobei zu berücksichtigen ist, dass der angewandte Regionalfaktor für rechtswidrig erklärt und anschließend aufgehoben wurde) und ob es einen Anhaltspunkt dafür gibt, dass ein berechtigtes Vertrauen darauf entstanden ist, dass die „Altentgelte“ nicht mehr Gegenstand einer Klage sein würden.

40.      Geht man davon aus, dass die allgemeinen Verjährungsfristen – unabhängig davon, ob es sich um zivil- oder verwaltungsrechtliche Fristen handelt – oder der Grundsatz der Verwirkung unmittelbar oder analog angewandt werden können, muss das vorlegende Gericht ermitteln, wann diese Fristen zu laufen beginnen, was sich ebenfalls grundsätzlich nach nationalem Recht richtet(27).

41.      In der mündlichen Verhandlung sind insoweit als Fristbeginn zwei mögliche Zeitpunkte in Betracht gezogen worden:

–      Prignitzer Eisenbahn hat vorgetragen, dass das Urteil CTL Logistics eine Wende darstelle und der Auslöser für die Einreichung ihres auf Feststellung der Nichtigkeit und Rückerstattung gerichteten Antrags an die Bundesnetzagentur im Jahr 2018 gewesen sei.

–      Dagegen macht DB Netz geltend, die Rechtslage sei bereits hinreichend klar gewesen, als sie im Jahr 2010 den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Bundesnetzagentur in Bezug auf den „Regionalfaktor“ geschlossen habe, und dass es keinen Grund gegeben habe, nicht schon zu diesem Zeitpunkt zu handeln.

42.      Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass das Urteil DB Station die Kernelemente für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage in dem Sinne enthält, dass die Regulierungsstelle die Rechtmäßigkeit von Entgelten, deren Geltungszeitraum bereits abgelaufen ist, überprüfen kann. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Ausübung des Rechts, diese Entgelte anzufechten, nach dem nationalen Recht Fristen unterliegt und ob diese Fristen in den Ausgangsverfahren eingehalten wurden.

D.      Zweite Vorlagefrage

43.      Für den Fall, dass seine erste Frage bejaht wird (wie ich vorschlage), möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nach Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34 „die Regulierungsstelle bei einer Ex-post-Kontrolle von Altentgelten diese mit ex-tunc-Wirkung für unwirksam erklären kann“.

44.      Im Zuge der Bestimmung ihrer Aufgaben stattet Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34 die Regulierungsstelle mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen aus, auf deren Grundlage sie geeignete Maßnahmen „zur Korrektur … unerwünschter Entwicklungen in diesen Märkten [(den Eisenbahnmärkten)], insbesondere in Bezug auf Absatz 1 Buchstaben a bis j“, ergreifen kann.

45.      Die Kontrollbefugnis der Regulierungsstelle, die sich, wie vorstehend ausgeführt, auf die „Altentgelte“ erstreckt, ermöglicht es ihr, die Ungültigkeit der angefochtenen Entscheidungen festzustellen, denen damit die Rechtsgrundlage genommen wird. Dies ergibt sich meines Erachtens aus Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34, der, wie ich soeben ausgeführt habe, die Regulierungsstelle ermächtigt, nach Erhalt und Bearbeitung einer Beschwerde(28) „Abhilfemaßnahmen“ zu treffen, indem sie Entscheidungen erlässt, die für alle Betroffenen verbindlich sind.

46.      Dem steht nicht entgegen, dass im nationalen Recht keine entsprechende Lösung vorgesehen ist: Der Gerichtshof hat unterstrichen, „dass die Bestimmungen [von Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34] unbedingt und hinreichend genau sind und damit unmittelbare Wirkung haben. Diese Bestimmungen gelten daher für alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, d. h. nicht nur für die nationalen Gerichte, sondern auch für alle Träger der Verwaltung, einschließlich der dezentralen Stellen, und diese Stellen sind verpflichtet, sie anzuwenden“(29).

47.      Die so festgestellte Unwirksamkeit wirkt zurück (ex tunc) auf den Zeitpunkt, in dem sie eingetreten ist. Dies ist die Logik jedes Rechtsbehelfssystems, das es einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht ermöglicht, die ihrer Prüfung unterliegenden Handlungen für nichtig zu erklären.

48.      Nach dieser Logik führt, wenn die Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers rechtswidrig und von der Regulierungsstelle wegen der darin enthaltenen Mängel für ungültig erklärt worden sind, diese Feststellung der Regulierungsstelle dazu, dass der angefochtene Rechtsakt von Anfang an ganz oder teilweise nichtig ist.

49.      Die Nichtigerklärung mit Ex-tunc-Wirkung scheint indessen nicht die Lösung gewesen zu sein, die der deutsche Gesetzgeber in § 68 Abs. 3 ERegG vorgesehen hat(30); aus den vorgenannten Gründen ist sie aber unionsrechtlich zwingend.

E.      Dritte Vorlagefrage

50.      Für den Fall der Bejahung der beiden vorhergehenden Fragen soll mit der dritten Frage geklärt werden, ob Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34 „eine nationale Regelung zu[lässt], die eine Möglichkeit der Ex-post-Kontrolle von Altentgelten mit ex-tunc-Wirkung ausschließt“.

51.      Tatsächlich ergibt sich die Antwort auf diese Frage aus der Antwort auf die zweite Frage (sie könnten eigentlich zusammen beantwortet werden), ausgehend von folgenden Prämissen:

–      Die Eisenbahnunternehmen haben das Recht, die Höhe des vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten individuellen Entgelts bei der Regulierungsstelle anzufechten.

–      Diesem Recht entspricht die unbedingte Verpflichtung der Regulierungsstelle, sich gegebenenfalls zur Rechtmäßigkeit bereits erhobener Wegeentgelte zu äußern.

52.      Folglich gestattet Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34 nicht, dass das nationale Recht die Regulierungsstellen für den Eisenbahnsektor daran hindert, die Rechtmäßigkeit der Entgelte für bereits abgelaufene Geltungszeiträume innerhalb der zulässigen zeitlichen Grenzen zu überprüfen. Eben dieser Artikel der Richtlinie 2012/34 steht dem entgegen, dass nach dem nationalen Recht die Feststellung der Nichtigkeit eines Entgelts nicht auf den Zeitpunkt zurückwirken darf, in dem dieses Entgelt Wirksamkeit erlangt hat (Ex-tunc-Wirkung).

F.      Vierte Vorlagefrage

53.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob „die … Abhilfemaßnahmen der zuständigen Regulierungsstelle … dem Grunde nach auch die Anordnung der Rückzahlung von rechtswidrig erhobenen Entgelten durch den Infrastrukturbetreiber eröffne[n], obwohl Rückzahlungsansprüche zwischen Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber auf dem Zivilrechtsweg eingefordert werden können“.

54.      Die Frage setzt voraus, dass die Eisenbahnunternehmen in Deutschland jedenfalls die Zivilgerichte anrufen können, um vom Infrastrukturbetreiber die Rückerstattung rechtswidrig erhobener Entgelte zu verlangen.

55.      Dementsprechend bezieht sich die Frage offenbar darauf, ob sich eben jene Eisenbahnunternehmen in Einklang mit der Richtlinie 2012/34 auch an die Regulierungsstelle wenden können, um eine Rückerstattung zu erhalten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Regulierungsstelle die Befugnis hätte, die Rückerstattung durch den Infrastrukturbetreiber anzuordnen.

56.      Aus Rn. 97 des Urteils CTL Logistics geht hervor, dass die Entscheidung der Regulierungsstelle ausschlaggebend für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entgelte ist, die eine unabdingbare Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Rückerstattung im Zivilrechtsweg ist. Diese Feststellung wird mit ähnlichen Worten und im Hinblick auf Anträge im Zusammenhang mit einer Haftungsklage im Urteil Koleje Mazowieckie bestätigt(31).

57.      Damit stellt sich also die Frage, ob Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34 der Regulierungsstelle für den Eisenbahnsektor die Befugnis einräumt, selbst die Rückerstattung des rechtswidrig erhobenen Entgelts anzuordnen, um parallele oder aufeinanderfolgende Verfahren zu vermeiden.

58.      Die Lösung dieses Problems hängt mit der Frage zusammen, ob sich die nationalen Regulierungsstellen in die Beziehungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern, die grundsätzlich dem Privatrecht unterliegen(32), einmischen dürfen, und zwar sowohl im Hinblick auf die deklaratorische Komponente (Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags)(33) als auch im Hinblick auf die vollstreckbare Komponente (Anordnung der Rückerstattung, Schadensersatzansprüche einer Partei gegen die andere). Auch hier ist es Sache des jeweiligen Mitgliedstaats, sich für die eine oder die andere Lösung zu entscheiden, wenn das Unionsrecht keine Lösung vorgibt.

59.      Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts genügt die Feststellung, dass durch das Urteil CTL Logistics, was die deklaratorische Komponente anbelangt, die Zweifel hinsichtlich der Befugnisse der Regulierungsstellen für den Eisenbahnsektor in dem zuvor dargelegten Sinne geklärt worden sind, und davon ist auch der deutsche Gesetzgeber ausgegangen(34).

60.      Dagegen enthält das Unionsrecht im Hinblick auf die vollstreckbare Komponente bislang keine ausdrücklichen Regelungen über eine Befugnis der Regulierungsstellen, die ihrer Kontrolle unterliegenden Unternehmen zur Rückzahlung rechtswidrig erlangter Beträge zu verpflichten. In Ermangelung solcher Bestimmungen verfügen die Mitgliedstaaten insoweit über einen Handlungsspielraum.

61.      In einer Rechtssache, die den Binnenmarkt für Elektrizität betrifft(35), hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Richtlinie 2009/72/EG(36) dem nicht entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis überträgt, die Elektrizitätsunternehmen anzuweisen, ihren Kunden Beträge zurückzuzahlen, die sie auf der Grundlage von für rechtswidrig erklärten Klauseln erhalten haben(37).

62.      Die Argumentation im Urteil Green Network kann für die vorliegende Rechtssache nützlich sein. Der Gerichtshof hat darin

–      herausgestellt, dass in den Aufgaben der Regulierungsbehörde gemäß Art. 37 Abs. 4 Buchst. d der Richtlinie 2009/72 nicht die Aufgabe aufgeführt ist, „von diesen Unternehmen die Rückzahlung aller Beträge zu verlangen, die sie als Gegenleistung für eine als rechtswidrig angesehene Vertragsklausel erhalten haben“(38);

–      festgestellt, dass, obwohl diese Aufgabe nicht ausdrücklich erwähnt wird, „[d]er Gebrauch der Wendung ‚die Regulierungsbehörde [muss] unter anderem über folgende Befugnisse verfügen‘ in Art. 37 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 … darauf hin[weist], dass einer solchen Behörde andere als die in Art. 37 Abs. 4 der Richtlinie ausdrücklich genannten Befugnisse übertragen werden können, damit sie die Aufgaben“ nach dieser Richtlinie erfüllen kann(39);

–      bestätigt, dass „ein Mitgliedstaat einer Regulierungsbehörde die Befugnis übertragen [kann], von diesen Wirtschaftsteilnehmern die Rückzahlung der Beträge zu verlangen, die sie unter Verstoß gegen die … [einschlägigen] Erfordernisse erhoben haben“(40);

–      den Schluss gezogen hat, dass „die Richtlinie 2009/72 … von den Mitgliedstaaten zwar nicht [verlangt], dass sie vorsehen, dass die nationale Regulierungsbehörde die Befugnis hat, die Rückzahlung von Beträgen anzuordnen, die ein Elektrizitätsunternehmen zu Unrecht bei seinen Kunden erhoben hat, doch hindert diese Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, dieser Behörde eine solche Befugnis zu übertragen“(41).

63.      Im Ergebnis hat der Gerichtshof entschieden, dass angesichts des offenen Wortlauts der Bestimmungen der Richtlinie 2009/72, auch wenn sie keine Verpflichtung enthält, die Regulierungsbehörde mit der Befugnis zur Anordnung der Rückerstattung auszustatten, jeder Mitgliedstaat dies in seinem innerstaatlichen Recht so vorsehen kann.

64.      Was die Richtlinie 2012/34 anbelangt, ist es „Aufgabe [der Regulierungsstelle], ‚die Wettbewerbssituation in den Schienenverkehrsmärkten zu überwachen‘ und in diesem Rahmen die Entscheidungen der Akteure des Eisenbahnsektors insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen in Art. 56 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 aufgeführten Gesichtspunkte nachzuprüfen“(42).

65.      Art. 56 Abs. 1 Buchst. d und e der Richtlinie 2012/34 gibt dem Antragsteller insbesondere das Recht, „die Regulierungsstelle zu befassen“, wenn er „der Auffassung [ist], ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein …, und zwar insbesondere gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers … betreffend: … die Entgeltregelung [und] die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte“.

66.      Diesem Recht steht spiegelbildlich die Befugnis der Regulierungsstelle gegenüber, festzustellen, ob die Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers über die Entgelte gültig sind oder nicht. Gemäß Art. 56 Abs. 6 der Richtlinie 2012/34 gewährleistet die Regulierungsstelle, „dass die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte dem Kapitel IV Abschnitt 2 entsprechen und nichtdiskriminierend sind“(43).

67.      Bis zu diesem Punkt deutet nichts darauf hin, dass die Entscheidungen der Regulierungsstelle für den Eisenbahnsektor lediglich rein feststellend sein müssen. Aus der Richtlinie 2012/34 lässt sich nicht ableiten, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten besteht, die Regulierungsstelle mit Exekutivbefugnissen auszustatten. Daher dürfte hier dasselbe Kriterium einschlägig sein, auf das im Urteil Green Network abgestellt worden ist (weder verlangt die Richtlinie es, noch steht sie dem entgegen).

68.      Man könnte jedoch argumentieren, dass die Aufgaben der Regulierungsstelle für den Eisenbahnsektor nach Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34 über das Feststellende hinausgehen, da sie befugt ist, „geeignete Maßnahmen zur Korrektur von Fällen der Diskriminierung von Antragstellern, Marktverzerrung und anderer unerwünschter Entwicklungen in diesen Märkten, insbesondere in Bezug auf Absatz 1 Buchstaben a bis j“, zu treffen.

69.      Bei dieser Argumentation geht die Eingriffsbefugnis, die die Richtlinie 2012/34 der Regulierungsstelle einräumt, weiter als die in der Richtlinie 2009/72 vorgesehene Befugnis. Ihre Befugnisse (zur „Abhilfe“ und „Korrektur“) gehen über das rein Feststellende hinaus und umfassen auch vollstreckbare Entscheidungen wie die Anordnung der Rückzahlung von rechtswidrig erhobenen Entgelten durch den Infrastrukturbetreiber.

70.      Gleichwohl denke ich nicht, dass die Unterschiede zwischen beiden Richtlinien so groß sind. Betrachtet man die Richtlinie 2009/72, so war auch hier die bindende Wirkung der Entscheidungen der Regulierungsbehörde im Elektrizitätssektor mit der Befugnis verknüpft, diese Entscheidungen durchzusetzen. So ermächtigte z. B. Art. 37 Abs. 10 dieser Richtlinie die Regulierungsbehörde, „falls erforderlich[,] von Betreibern von Übertragungsnetzen und Verteilernetzen zu verlangen, die … Vertragsbedingungen, einschließlich der Tarife … zu ändern“. In bestimmten Fällen war sie befugt, „über geeignete Ausgleichsmaßnahmen zu entscheiden“.

71.      Meines Erachtens kann eine so wichtige Entscheidung wie die, einer Regulierungsstelle mittels einer Richtlinie die Befugnis zur Anordnung der Rückerstattung von Beträgen zu übertragen, die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses festgesetzt worden sind, nur vom Unionsgesetzgeber getroffen werden. Wenn eine Richtlinie eine solche Befugnis nicht vorsieht, ist die Green-Network-Lösung anzuwenden.

72.      Der Unionsgesetzgeber wäre nicht daran gehindert, zu entscheiden, dass die Regulierungsstelle selbst den Infrastrukturbetreiber, der rechtswidrige Entgelte erhoben hat, zur Rückzahlung dieser Entgelte verpflichten kann, um die verletzte Rechtsordnung wiederherzustellen(44). Aber eine solche Vorschrift findet sich, wie ich wiederholen möchte, in der Richtlinie 2012/34 nicht.

73.      Mit anderen Worten bin ich nicht der Ansicht, dass die Richtlinie 2012/34 so weit geht, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, in jedem Fall eine Befugnis der Regulierungsstelle zur Anordnung der Rückerstattung vorzusehen, und erst recht nicht so weit, dass nur sie dazu befugt ist. A priori sind andere Systeme, die Koordinierungsmechanismen zwischen Stellen unterschiedlicher Art (Gerichten und Verwaltungsbehörden) umfassen, zulässig(45).

74.      Insbesondere im Hinblick auf die in der Richtlinie 2012/34 vorgesehenen Entgelte bestätigt das Urteil CTL Logistics, dass ihre Rückerstattung „nach den Vorschriften des Zivilrechts“ erfolgen kann(46).

75.      Es handelt sich daher um einen Bereich, der unter die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt. Diese müssen wählen, ob sie a) den Regulierungsstellen die Exekutivbefugnis einräumen, die Rückerstattung von Entgelten anzuordnen, wobei diese Befugnis neben der Zuständigkeit der Zivilgerichte bestehen kann, oder b) die Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche ausschließlich den Zivilgerichten vorbehalten, vorausgesetzt, dass die sich aus dem Urteil CTL Logistics ergebenden Voraussetzungen erfüllt sind und diese Verfahren den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen.

76.      Logischerweise ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das innerstaatliche Recht auszulegen, um zu klären, welches System für die Zuweisung der Zuständigkeit gilt. Ohne ihm in seiner Aufgabe vorgreifen zu wollen, bin ich der Ansicht, dass verschiedene Hinweise in den schriftlichen Erklärungen der Beteiligten und in der mündlichen Verhandlung darauf hindeuten könnten, dass das deutsche Recht eine Befugnis der Bundesnetzagentur zur Anordnung der Rückerstattung rechtswidriger Entgelte nicht ausschließt.

77.      Die deutsche Regierung hat nämlich vorgetragen, nach ihrer Auslegung des ERegG sei die Regulierungsstelle befugt, die Rückerstattung anzuordnen, wenn sie im Rahmen eines Verfahrens von Amts wegen entscheide, nicht aber, wenn das Verfahren auf Antrag (Beschwerde) eines Eisenbahnunternehmens eingeleitet worden sei(47).

78.      Auch wenn mir schwerfällt, zu verstehen, wieso die Regulierungsstelle auf Antrag nicht tun kann, was sie von Amts wegen tun kann(48), nachdem die Richtlinie 2012/34 diese Dualität des Tätigwerdens in gleicher Weise vorsieht(49), bleibe ich dabei, dass dies eine Frage ist, die nur die deutschen Gerichte durch Auslegung ihres innerstaatlichen Rechts beantworten können.

79.      Ich möchte ergänzen, dass es, sofern der nationale Gesetzgeber beschließt, der Regulierungsstelle die Befugnis zu übertragen, die Rückerstattung rechtswidrig erhobener Entgelte durch den Infrastrukturbetreiber anzuordnen, meines Erachtens keinen Grund für eine unterschiedliche Behandlung in Abhängigkeit davon gibt, ob die Regulierungsstelle auf Antrag oder von Amts wegen tätig geworden ist.

V.      Ergebnis

80.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 56 Abs. 1, 6 und 9 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums

ist dahin auszulegen, dass

–      er die Regulierungsstelle für den Eisenbahnsektor ermächtigt, die Rechtmäßigkeit der vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte auch nach Ablauf des Geltungszeitraums zu überprüfen,

–      die Regulierungsstelle im Zuge der Prüfung von Entgelten, deren Geltungszeitraum abgelaufen ist, die Ungültigkeit mit Ex-tunc-Wirkung feststellen kann, ohne dass ihr diese Befugnis durch eine nationale Regelung entzogen werden kann,

–      es Sache des jeweiligen Mitgliedstaats ist, zu entscheiden, ob die Regulierungsstelle für den Eisenbahnsektor befugt ist, die Rückzahlung der Entgelte, deren Unwirksamkeit sie festgestellt hat, durch den Infrastrukturbetreiber anzuordnen; diese Befugnis wird von Art. 56 der Richtlinie 2012/34 weder verlangt noch ausgeschlossen.


1      Originalsprache: Spanisch.


2      Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (im Folgenden: Bundesnetzagentur).


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. 2012, L 343, S. 32).


4      Eisenbahnregulierungsgesetz vom 29. August 2016 (BGBl. I, S. 2082), das zuletzt durch das Gesetz vom 9. Juni 2021 (BGBl. I, S. 1737) geändert worden ist. Im Folgenden: ERegG.


5      DB Netz ist ein öffentliches Unternehmen, das zum Konzern Deutsche Bahn AG gehört. Es betreibt das größte Eisenbahnnetz der Bundesrepublik Deutschland und erhebt als Infrastrukturbetreiber Wegeentgelte. Die Entgelte werden für jedes Eisenbahnverkehrsunternehmen individuell auf der Grundlage der von DB Netz in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vorgegebenen Entgeltregelung festgesetzt. Die Entgeltregelung gilt jeweils für eine Netzfahrplanperiode (in der Regel ein Jahr ab dem zweiten Samstag im Dezember, 24.00 Uhr, gemäß Anhang VII der Richtlinie 2012/34).


6      Nach den Ausführungen der Kommission entsprach der „Regionalfaktor“ einem Aufschlag von bis zu 191 % auf die Entgelte (Rn. 11 ihrer schriftlichen Erklärungen).


7      Nach dem Vorlagebeschluss, Rn. 8, schlossen die Bundesnetzagentur und DB Netz, nachdem DB Netz am 30. Juli 2010 Widerspruch gegen diesen Bescheid eingelegt hatte, „einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, mit dem der vorhergehende Bescheid [vom 5. März 2010] aufgehoben und zudem vereinbart wurde, dass [DB Netz] die Regionalfaktoren ab dem 11. Dezember 2011 nicht mehr und ausgewählte Regionalfaktoren ab dem 12. Dezember 2010 nur noch in reduzierter Höhe erheben werde“.


8      In einem Urteil vom 18. Oktober 2011 (KZR 18/10) bestätigte der Bundesgerichtshof (Deutschland), dass die Zivilgerichte über die Rückzahlungsansprüche zu entscheiden und die Billigkeit der Entgelte im Einzelfall zu beurteilen hätten.


9      Rechtssache C‑489/15, EU:C:2017:834. Im Folgenden: Urteil CTL Logistics.


10      Seinerzeit handelte es sich um das Allgemeine Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. 1993 I, S. 2378) und die Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung vom 3. Juni 2005 (BGBl. 2005 I, S. 1566) in der zu dem für jenen Fall maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung.


11      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. 2001, L 75, S. 29).


12      Es wäre dafür irrelevant, dass die Klagen von den Klägerinnen erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2012/34 erhoben worden sind.


13      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Oktober 2022, DB Station & Service (C‑721/20, EU:C:2022:832, Rn. 64, im Folgenden: Urteil DB Station).


14      C‑120/20, EU:C:2021:553. Im Folgenden: Urteil Koleje Mazowieckie.


15      Die deutsche Regierung ist der Auffassung, dass das Urteil DB Station „zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage eine hinreichende Grundlage bietet“, dass „die zweite Vorlagefrage durch die Feststellungen des Gerichtshofs [in diesem Urteil] beantwortet [ist]“ und dass eben diese Feststellungen im Zusammenhang mit der dritten Vorlagefrage „insoweit eindeutig [sind], als die Bundesnetzagentur ihre Unzuständigkeit [für Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Altentgelten] nicht … [wirksam] begründen kann“. Dagegen gebe das Urteil DB Station „für die Beantwortung der vierten Vorlagefrage … nichts her“. Nach Ansicht von Prignitzer Eisenbahn u. a. sind im Urteil DB Station „[d]ie ersten drei Vorlagefragen bereits vom Gerichtshof beantwortet worden“, und „[d]ie Beantwortung der vierten Vorlagefrage lässt sich aus der Entscheidung ebenfalls ableiten“. Demgegenüber trägt DB Netz vor, dass der Gerichtshof in diesem Urteil die „Fragen 1 [bis] 3 noch nicht [hinreichend] beantwortet“ habe.


16      Rn. 12 des Vorlagebeschlusses.


17      In der mündlichen Verhandlung wurde über den Geltungszeitraum der Entgelte im Hinblick auf die Frage diskutiert, ob sie an den Netzfahrplan oder an die Schienennetz-Nutzungsbedingungen gebunden seien. Meines Erachtens ist die Beantwortung dieser Frage für die klagenden Unternehmen nicht entscheidend: Für jedes dieser Unternehmen galten die Entgelte von 2003 bis 2011, und das ist in Wirklichkeit das zeitliche Element, das zu berücksichtigen ist.


18      § 66 Abs. 4 Nr. 6 und § 68 Abs. 3 ERegG.


19      Im Urteil DB Station (Rn. 34) sind die Erwägungen des vorlegenden Gerichts in jenem Verfahren wiedergegeben: „[D]er Bundesgerichtshof [(Deutschland) hat] mit seinem Urteil … vom 1. September 2020 festgestellt, dass die Regulierungsstelle nach Art. 30 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14 keine Befugnis zur Überprüfung bereits gezahlter Entgelte oder gar zur Anordnung einer Rückzahlung habe.“


20      In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache CTL Logistics (EU:C:2016:901, Nrn. 11 bis 17) hat Generalanwalt Mengozzi die Entwicklung der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung bis zum Jahr 2016 umfassend dargestellt.


21      Rn. 23 und 25.


22      Urteil DB Station (Rn. 87) (Hervorhebung nur hier). Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14 bezieht sich auf die „Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte“, ein Wortlaut, der mit dem von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2012/34 nahezu identisch ist.


23      Urteil DB Station (Rn. 74).


24      Mit den Worten von DB Netz gibt es „jedenfalls kein ewiges Beschwerderecht“ (Überschrift von Ziff. 4 des Abschnitts ihrer schriftlichen Erklärungen zur ersten Vorlagefrage).


25      Urteil vom 28. November 2000, Roquette Frères (C‑88/99, EU:C:2000:652, Rn. 20), unter Anführung weiterer Rechtsprechung. Auch wenn sich diese Rechtsprechung auf die Rückerstattung von zu Unrecht erhobenen nationalen Steuern bezieht und die Entgelte streng genommen keine Steuern sind, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, diese Rechtsprechung auf die Entgelte zu übertragen.


26      Über diesen Umstand bestand bei Prignitzer Eisenbahn, der Bundesnetzagentur und DB Netz Einigkeit. Die Bundesnetzagentur wies darauf hin, dass allgemeine Verjährungsfristen bestünden, die auf diesen Bereich aber nicht anwendbar seien.


27      Es kann gegebenenfalls prüfen, ob ein Grund für eine Hemmung oder eine Unterbrechung der Verjährung vorliegt.


28      In diesem Kontext liegt eine Beschwerde vor.


29      Urteil Koleje Mazowieckie (Rn. 58). Dieses Urteil bezieht sich u. a. auf Art. 30 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14, dessen Inhalt dem von Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34 ähnelt: „Die Regulierungsstelle hat über Beschwerden zu entscheiden und … Abhilfemaßnahmen zu treffen“.


30      „Die Regulierungsbehörde kann mit Wirkung für die Zukunft das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung von Maßnahmen im Sinne des § 66 Absatz 4 verpflichten oder diese Maßnahmen für ungültig erklären, soweit diese nicht mit den Vorschriften dieses Gesetzes oder unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes in Einklang stehen.“


31      Urteil Koleje Mazowieckie (Rn. 55): „[E]in ordentliches Gericht [kann] nicht über [die Anträge im Zusammenhang mit einer Haftungsklage] entscheiden, ohne dass die Regulierungsstelle oder das für die Entscheidung über Klagen gegen ihre Entscheidungen zuständige Gericht zuvor über die Rechtmäßigkeit der … Entscheidungen des Netzbetreibers entschieden hat.“


32      Ich möchte daran erinnern, dass nach der Richtlinie 2012/34 ein Infrastrukturbetreiber auch ein privates Unternehmen sein kann, dem der Betrieb, die Instandhaltung und die Erneuerung der Infrastruktur eines Netzes übertragen werden. Auch Eisenbahnverkehrsunternehmen sind üblicherweise privatrechtlich strukturiert.


33      Oder im Fall des Eisenbahnverkehrs der Vertragsbestimmungen über die Entgelte. DB Netz stellt den Verkehrsunternehmen ihre Eisenbahninfrastruktur auf der Grundlage individueller, für die Nutzung der einzelnen Strecken abzuschließender Nutzungsverträge zur Verfügung.


34      Gemäß § 68 Abs. 2 ERegG „entscheidet die Regulierungsbehörde über die Geltung des Vertrags oder des Entgeltes, erklärt entgegenstehende Verträge für unwirksam und setzt die Vertragsbedingungen oder Entgelte fest“. Vgl. allerdings die Auffassung des vorlegenden Gerichts in Rn. 44 des Vorlagebeschlusses: „Das Verhältnis der Eisenbahnunternehmen und der Infrastrukturbetreiber ist … vertraglich und damit zivilrechtlich geprägt. Das Regulierungsrecht als Teil des öffentlichen Rechts wirkt in dieses Vertragsverhältnis bindend nur ein, um die Regulierungsziele umzusetzen und einem monopolisierten Wettbewerb einen Rahmen zu setzen.“


35      Urteil vom 30. März 2023, Green Network (Anordnung der Rückzahlung von Kosten) (C‑5/22, EU:C:2023:273, Rn. 30). Im Folgenden: Urteil Green Network.


36      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).


37      Rn. 30 des Urteils Green Network lautet: „Art. 37 Abs. 1 Buchst. i und n und Abs. 4 Buchst. d sowie Anhang I der Richtlinie 2009/72 [sind] dahin auszulegen …, dass sie einen Mitgliedstaat nicht daran hindern, der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis zu übertragen, Elektrizitätsunternehmen anzuweisen, ihren Endkunden den Betrag der Gegenleistung zurückzuzahlen, die diese aufgrund einer von dieser Behörde für rechtswidrig gehaltenen Vertragsklausel als ‚Verwaltungskosten‘ gezahlt haben, und zwar auch in den Fällen, in denen die Rückzahlungsanordnung nicht auf Gründen der Qualität der betreffenden, von den Unternehmen erbrachten Dienstleistung beruht, sondern auf der Verletzung von Tariftransparenzanforderungen.“


38      Ebd. (Rn. 23).


39      Ebd. (Rn. 24). Hervorhebung nur hier.


40      Ebd. (Rn. 25). In jenem Fall ging es um die „Erfordernisse des Verbraucherschutzes, insbesondere hinsichtlich der Transparenzanforderungen und der Genauigkeit der Abrechnung“.


41      Ebd. (Rn. 28). Hervorhebung nur hier.


42      Urteil vom 3. Mai 2022, CityRail (C‑453/20, EU:C:2022:341, Rn. 56).


43      Diese Kontrollfunktion muss die Regulierungsstelle sowohl dann ausüben, wenn ihr Tätigwerden durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs ausgelöst wird, mit dem ein Antragsteller Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers anficht (Art. 56 Abs. 1), als auch dann, wenn sie von Amts wegen tätig wird (Art. 56 Abs. 2).


44      Wie die norwegische Regierung vorträgt (Rn. 29 ihrer schriftlichen Erklärungen), sind die Unwirksamerklärung von Entgelten und die Anordnung der Rückzahlung Maßnahmen, die Hand in Hand gehen. Ihrer Ansicht nach erscheint es überflüssig, von den Eisenbahnunternehmen zu verlangen, langwierige und kostenträchtige zivilrechtliche Klagen zu erheben, um eine Rückerstattung der zu Unrecht gezahlten Entgelte zu erreichen.


45      Der Gerichtshof hat dies im Zusammenhang mit der Richtlinie 2009/72 entschieden: Das koordinierte Vorgehen der Regulierungsbehörde mit anderen nationalen Behörden bedeutet nicht, dass nur eine dieser nationalen Behörden „die Rückerstattung der von den Elektrizitätsunternehmen bei den Endkunden zu Unrecht erhobenen Beträge anordnen kann“. Urteil Green Network (Rn. 26).


46      Urteil CTL Logistics (Rn. 97). In diesem Fall wurde die Frage, ob die Zuständigkeit der Regulierungsstelle über das rein Feststellende hinausgeht, nicht aufgeworfen, da es als Voraussetzung für die Klage auf dem Zivilrechtsweg ausreichte, dass die Regulierungsstelle die Rechtswidrigkeit des Entgelts festgestellt hatte.


47      In den Rn. 43 und 44 ihrer schriftlichen Erklärungen knüpft die deutsche Regierung die unterschiedliche Handlungsbefugnis der Regulierungsstelle – je nachdem, ob sie von Amts wegen oder auf Antrag tätig wird – an den jeweiligen Inhalt der §§ 67 und 68 ERegG. In der mündlichen Verhandlung hat sie sich auf die Bitte um Klarstellung der Gründe, die diesen Unterschied rechtfertigen sollen, auf den Ermessensspielraum des nationalen Gesetzgebers berufen.


48      Im Kontext von Art. 56 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2012/34 finden sich meines Erachtens keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kontrolle der Regulierungsstelle in Abhängigkeit davon, ob sie auf Antrag oder von Amts wegen tätig wird, einen unterschiedlichen Umfang hat. Hinzu kommt, dass diese gleichzeitigen Funktionen „bedeuten, dass, wenn eine … Regulierungsstelle mit einem Rechtsbehelf befasst wird, dieser Umstand die Befugnis dieser Stelle unberührt lässt, erforderlichenfalls von Amts wegen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um jeden Verstoß gegen die geltende Regelung abzustellen“. Urteil vom 3. Mai 2022, CityRail (C‑453/20, EU:C:2022:341, Rn. 61) (Hervorhebung nur hier).


49      Im Urteil DB Station heißt es in Rn. 65, dass „die Regulierungsstelle … sowohl als Beschwerdestelle zu fungieren als auch von sich aus über die Anwendung der Vorschriften der Richtlinie [2001/14] durch die Akteure des Eisenbahnsektors zu wachen hat. Sie ist nach Art. 30 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14[, der Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34 entspricht,] befugt, bei Verstößen gegen die Richtlinie Abhilfemaßnahmen zu treffen, gegebenenfalls von Amts wegen.“ Der angebliche Unterschied zwischen „Abhilfemaßnahmen“ und „Maßnahmen zur Korrektur“, auf den sich die deutsche Regierung bezieht, wird in dem Moment relativiert, in dem der Gerichtshof den Begriff „Abhilfemaßnahmen“ im Zusammenhang mit einem Tätigwerden von Amts wegen verwendet.