URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)
17. Juni 1998 (1)
„Abkommen über die Sozialpolitik Nichtigerklärung einer Richtlinie
Zulässigkeit Stellung der Sozialpartner im Verfahren zum Erlaß der Richtlinie
Repräsentativität der Sozialpartner“
In der Rechtssache T-135/96
Union européenne de l'artisanat et des petites et moyennes entreprises (UEAPME),
Vereinigung belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel, Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Francis Herbert und Daniel Tomasevic, Brüssel, sowie
Rechtsanwältin Geneviève Tuts, Lüttich, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Rechtsanwalts Carlos Zeyen, 67, rue Ermesinde, Luxemburg,
unterstützt durch
Conféderation générale des petites et moyennes entreprises et du patronat réel
(CGPME), Vereinigung französischen Rechts mit Sitz in Puteaux (Frankreich),
Union professionnelle artisanale (UPA), Vereinigung französischen Rechts mit Sitz
in Paris,
Nationaal Christelijk Middenstandsverbond (NCMV), Vereinigung belgischen
Rechts mit Sitz in Brüssel,
Koninklijke Vereniging MKB-Nederland, Vereinigung niederländischen Rechts mit
Sitz in Delft (Niederlande),
Fédération des artisans, Vereinigung luxemburgischen Rechts mit Sitz in
Luxemburg,
Confederazione generale italiana del artigianato (Confartigianato), Vereinigung
italienischen Rechts mit Sitz in Rom,
Wirtschaftskammer Österreich, öffentlich-rechtliche Einrichtung österreichischen
Rechts mit Sitz in Wien,
Bundesvereinigung der Fachverbände des deutschen Handwerks eV (BFH),
Vereinigung deutschen Rechts mit Sitz in Bonn (Deutschland),
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Paul Beghin, Luxemburg,
Zustellungsanschrift: 67, rue Ermesinde,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch Frédéric Anton, Juristischer Dienst,
als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Alessandro Morbilli,
Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank,
100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,
unterstützt durch
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Maria Patakia,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter:
Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der
von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über
Elternurlaub (ABl. L 145, S. 4)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin P. Lindh, sowie der Richter
R. García-Valdecasas, K. Lenaerts, J. D. Cooke und M. Jaeger,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11.
März 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt und Verfahren
- 1.
- Die Klägerin ist eine europäische Vereinigung, die die Interessen kleiner und
mittlerer Unternehmen (nachstehend: KMU) auf europäischer Ebene vertritt und
wahrnimmt.
- 2.
- Am 3. Juni 1996 erließ der Rat gemäß Artikel 4 Absatz 2 des dem Protokoll Nr.
14 über die Sozialpolitik im Anhang des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft beigefügten Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs
Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik (nachstehend: Abkommen)
die Richtlinie 96/34/EG zu der von der Union der Industrien der Europäischen
Gemeinschaft (UNICE), der Europäischen Zentrale der öffentlichen Wirtschaft
(CEEP) und vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) geschlossenen
Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (ABl. L 145, S. 4).
- 3.
- Diese Richtlinie ist die erste Regelung auf der Grundlage der Artikel 3 und 4 des
Abkommens. Diese lauten wie folgt:
„Artikel 3
(1) Die Kommission hat die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf
Gemeinschaftsebene zu fördern, und erläßt alle zweckdienlichen Maßnahmen, um
den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für
Ausgewogenheit bei der Unterstützung der Parteien sorgt.
(2) Zu diesem Zweck hört die Kommission vor Unterbreitung von Vorschlägen
im Bereich der Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage, wie eine
Gemeinschaftsaktion gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte.
(3) Hält die Kommission nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsmaßnahme
für zweckmäßig, so hört sie die Sozialpartner zum Inhalt des in Aussicht
genommenen Vorschlags. Die Sozialpartner übermitteln der Kommission eine
Stellungnahme oder gegebenenfalls eine Empfehlung.
(4) Bei dieser Anhörung können die Sozialpartner der Kommission mitteilen,
daß sie den Prozeß nach Artikel 4 in Gang setzen wollen. Die Dauer des
Verfahrens darf höchstens neun Monate betragen, sofern die betroffenen
Sozialpartner und die Kommission nicht gemeinsam eine Verlängerung beschließen.
Artikel 4
(1) Der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene kann, falls
sie es wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des
Abschlusses von Vereinbarungen, führen.
(2) Die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen
Vereinbarungen erfolgt entweder nach den jeweiligen Verfahren und
Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder in den durch
Artikel 2 erfaßten Bereichen auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien
durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission.
Sofern nicht die betreffende Vereinbarung eine oder mehrere Bestimmungen
betreffend einen der in Artikel 2 Absatz 3 genannten Bereiche enthält und somit
ein einstimmiger Beschluß erforderlich ist, beschließt der Rat mit qualifizierter
Mehrheit.“
- 4.
- In ihrer Mitteilung über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik
(KOM[93] 600 endg.; nachstehend: Mitteilung) vertrat die Kommission die
Auffassung, daß die Klägerin ein „sehr repräsentativer“ Arbeitgeberverband für
spezifische Unternehmenskategorien oder spezifische Aspekte ihrer Tätigkeit sei
und zur Gruppe der überbereichlichen Organisationen gehöre, die bestimmte
Berufsgruppen von Arbeitnehmern oder Unternehmen verträten. Die Klägerin ist
in dieser Eigenschaft im Verzeichnis der Organisationen in Anhang 2 der
Mitteilung aufgeführt, die den in Ziffer 24 der Mitteilung festgelegten Kriterien zur
Sicherstellung eines funktionierenden Anhörungsverfahrens nach Artikel 3 des
Abkommens entsprechen. Dieses Verzeichnis umfaßt insbesondere überbereichliche
Organisationen mit allgemeiner Bestimmung und überbereichliche Organisationen,
die bestimmte Berufsgruppen von Arbeitnehmern oder Unternehmen vertreten. In
Ziffer 49 der Mitteilung erklärt die Kommission, daß sie „der Ansicht ist, daß diese
Mitteilung einige Grundregeln für die Anwendung der neuen Verfahren aufstellt,
mit denen ein effizientes und offenes Arbeiten möglich ist“.
- 5.
- 1983 hatte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über Elternurlaub
und Urlaub aus familiären Gründen ausgearbeitet, die jedoch vom Rat nicht
erlassen wurde. Am 21. Januar 1995 beschloß die Kommission, die Sozialpartner
zur möglichen Ausrichtung einer Gemeinschaftsmaßnahme im Bereich der
Abstimmung des Arbeits- mit dem Familienleben nach Artikel 3 Absatz 2 des
Abkommens zu hören.
- 6.
- Die Klägerin und andere an der Anhörung beteiligte repräsentative Vereinigungen
richteten am 6. April 1995 eine gemeinsame Stellungnahme an die Kommission.
Die Verfasser dieser Stellungnahme legten Wert darauf, daß die Kommission „alles
in ihrer Macht Stehende tut, um bestimmte wichtige Fragen und bestimmte
Vertreter der Sozialpartner nicht von den Verhandlungen auszuschließen“.
- 7.
- Im Juni 1995 hörte die Kommission, die eine Gemeinschaftsmaßnahme für
zweckmäßig hielt, die Sozialpartner gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Abkommens
erneut zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags. Am 5. Juli 1995 legten
die Klägerin und die anderen an der Anhörung beteiligten Vereinigungen wiederum
eine gemeinsame Stellungnahme vor.
- 8.
- Am gleichen Tag teilten die Vereinigungen UNICE, CEEP und EGB der
Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 4 des Abkommens mit, daß sie das Verfahren
nach Artikel 4 Absatz 1 des Abkommens eröffnen und in Verhandlungen über den
Elternurlaub eintreten wollten.
- 9.
- Am 6. November 1995 einigten sich UNICE, CEEP und EGB über einen
Vorschlag einer Rahmenvereinbarung. Am 14. Dezember 1995 schlossen die drei
Vereinigungen die Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (nachstehend:
Rahmenvereinbarung) und übermittelten sie der Kommission mit dem Antrag, sie
nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens durch einen Beschluß des Rates auf
Vorschlag der Kommission durchzuführen. In der Zwischenzeit teilte die Klägerin
der Kommission mit Schreiben vom 30. November und 13. Dezember 1995 mit, sie
bedaure, daß sie am Sozialdialog nicht habe teilnehmen können, und übermittelte
ihr zugleich kritische Anmerkungen zum Vorschlag der Rahmenvereinbarung.
- 10.
- Am 20. Dezember 1995 übermittelte die Kommission die betreffende
Rahmenvereinbarung den von ihr gehörten oder zuvor informierten Vereinigungen,
die nicht zu den Unterzeichnern gehörten, und lud sie zu einer Informations- und
Gesprächssitzung am 5. Januar 1996 ein. Die Klägerin nahm an dieser Sitzung teil.
- 11.
- Der Rat erließ am 3. Juni 1996 die Richtlinie 96/34 zur Durchführung der
Rahmenvereinbarung.
- 12.
- Mit Klageschrift, die am 5. September 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat die Klägerin gemäß Artikel 173 des Vertrages Klage auf
Nichtigerklärung der Richtlinie 96/34 erhoben.
- 13.
- Mit besonderem Schriftsatz, der am 21. November 1996 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, hat der Rat gemäß Artikel 114 § 1 der
Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Die
Klägerin hat zur Frage der Zulässigkeit mit Schriftsatz vom 30. Januar 1997, bei der
Kanzlei des Gerichts eingegangen am 31. Januar 1997, Stellung genommen. Das
Gericht (Vierte Kammer) hat mit Beschluß vom 18. März 1997 die Entscheidung
über die Zulässigkeit dem Endurteil vorbehalten.
- 14.
- Mit am 20. Januar 1997 eingegangener Antragsschrift hat die Kommission gemäß
Artikel 115 der Verfahrensordnung des Gerichts und Artikel 37 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der
Anträge des Rates zugelassen zu werden. Mit Beschluß vom 18. März 1997 hat der
Präsident der Vierten Kammer die Kommission als Streithelferin zugelassen. Die
Kommission hat am 17. Juni 1997 einen Streithilfeschriftsatz eingereicht. Die
Klägerin hat sich zu diesem Streithilfeschriftsatz am 9. September 1997 geäußert.
- 15.
- Mit am 24. Januar 1997 eingegangener Antragsschrift haben die Conféderation
générale des petites et moyennes entreprises et du patronat réel (CGPME),
Vereinigung französischen Rechts mit Sitz in Puteaux (Frankreich), die Union
professionnelle artisanale (UPA), Vereinigung französischen Rechts mit Sitz in
Paris, der Nationaal Christelijk Middenstandsverbond (NCMV), Vereinigung
belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel, die Koninklijke Vereniging MKB-Nederland,
Vereinigung niederländischen Rechts mit Sitz in Delft (Niederlande), die
Fédération des artisans, Vereinigung luxemburgischen Rechts mit Sitz in
Luxemburg, die Confederazione generale italiana del artigianato (Confartigianato),
Vereinigung italienischen Rechts mit Sitz in Rom, die Wirtschaftskammer
Österreich, öffentlich-rechtliche Einrichtung österreichischen Rechts mit Sitz in
Wien, und die Bundesvereinigung der Fachverbände des deutschen Handwerks eV
(BFH), Vereinigung deutschen Rechts mit Sitz in Bonn (Deutschland), gemäß
Artikel 115 der Verfahrensordnung des Gerichts und Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge
der Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluß vom 18. März 1997 hat der
Präsident der Vierten Kammer die Antragsteller als Streithelfer zugelassen
(UEAPME/Rat, Slg. 1997, II-373). Diese Beteiligten haben am 18. Juni 1997 einen
Streithilfeschriftsatz eingereicht. Der Rat hat sich zu diesem Streithilfeschriftsatz
am 8. September 1997 geäußert.
- 16.
- Mit Beschluß vom 18. April 1997 hat das Gericht die Rechtssache an die Vierte
erweiterte Kammer verwiesen. Die Parteien haben dieser Verweisung zugestimmt.
- 17.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte erweiterte Kammer)
beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu
eröffnen. Es hat jedoch im Wege prozeßleitender Verfügungen die Beteiligten
ersucht, vor der Sitzung bestimmte Fragen schriftlich zu beantworten, und den Rat
aufgefordert, Auszüge aus bestimmten Schriftstücken vorzulegen. Die Beteiligtensind dem fristgerecht nachgekommen.
- 18.
- In der Sitzung vom 11. März 1998 haben die Beteiligten mündlich verhandelt und
die Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Beteiligten
- 19.
- Die Klägerin beantragt,
die Richtlinie 96/34 gemäß Artikel 173 des Vertrages für nichtig zu erklären;
hilfsweise, die Richtlinie 96/34 gemäß Artikel 173 des Vertrages lediglich
insoweit für nichtig zu erklären, als sie auf KMU im Sinne des Artikels 2
Absatz 2 des Abkommens Anwendung findet;
dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 20.
- Der Rat beantragt,
die Klage als unzulässig abzuweisen;
hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;
der Klägerin und ihren Streithelfern die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen.
- 21.
- Die Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Klägerin beantragen,
zu bestätigen, daß sie die Anträge der Klägerin unterstützen, wie diese sie
gestellt hat;
die Richtlinie 96/34 gemäß Artikel 173 des Vertrages für nichtig zu erklären,
hilfsweise, die Richtlinie 96/34 gemäß Artikel 173 des Vertrages lediglich
insoweit für nichtig zu erklären, als sie auf KMU im Sinne des Artikels 2
Absatz 2 des Abkommens Anwendung findet;
dem Rat die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich ihrer Kosten
als Streithelfer aufzuerlegen.
- 22.
- Die Kommission als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates
beantragt,
die Klage als unzulässig abzuweisen;
hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;
der Klägerin und ihren Streithelfern die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen.
- 23.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Klagegründe, mit denen sie erstens eine
Verletzung der Artikel 3 Absatz 1 und 4 Absatz 1 des Abkommens, zweitens einen
Verstoß gegen den Grundsatz „patere legem quam ipse fecisti“, drittens eine
Ungleichbehandlung der repräsentativen Organisationen, viertens eine Verletzung
des Artikels 2 Absatz 2 des Abkommens und fünftens einen Verstoß gegen die
Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit geltend macht.
Zur Zulässigkeit
Vorbringen der Beteiligten
- 24.
- Der Rat macht mit seiner Einrede der Unzulässigkeit geltend, die Klage sei wegen
der Rechtsnatur des angefochtenen Rechtsakts, hilfsweise deswegen unzulässig, weil
die Klägerin durch die Richtlinie 96/34 weder unmittelbar noch individuell betroffen
sei.
- 25.
- Der Rat legt dar, die Richtlinie 96/34 könne, da sie ein normativer Akt sei, nicht
gemäß Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages von einer juristischen Person wie der
Klägerin mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden. Nach ständiger
Rechtsprechung setze die Zulässigkeit der von einem einzelnen erhobenen
Nichtigkeitsklage voraus, daß der angefochtene Rechtsakt unabhängig von seiner
Form und seiner Bezeichnung in Wahrheit eine Entscheidung im Sinne des Artikels
189 des Vertrages sei (Urteile des Gerichtshofes vom 6. Oktober 1982 in der
Rechtssache 307/81, Alusuisse/Rat und Kommission, Slg. 1982, 3463, vom 29.
Januar 1985 in der Rechtssache 147/83, Binderer/Kommission, Slg. 1985, 257, vom
24. Februar 1987 in der Rechtssache 26/86, Deutz und Geldermann/Rat, Slg. 1987,
941, Randnr. 6, und vom 29. Juni 1989 in den Rechtssachen 250/86 und 11/87,
RAR/Rat und Kommission, Slg. 1989, 2045). Im vorliegenden Fall weise der
angefochtene Rechtsakt alle für eine Richtlinie typischen Merkmale auf. Es sei
nicht möglich, die Zahl oder gar die Identität der von der Richtlinie betroffenen
Rechtssubjekte mehr oder weniger genau zu bestimmen. Außerdem sei die
Klägerin in der Richtlinie nicht genannt. Zudem könne die Richtlinie 96/34, da sie
besonders allgemein gehalten sei, erst nach Umsetzung durch die Mitgliedstaaten
angewandt werden, die dabei über einen erheblichen Beurteilungsspielraum
verfügten.
- 26.
- Hilfsweise macht der Rat geltend, die Klägerin sei durch den angefochtenen
Rechtsakt weder unmittelbar noch individuell betroffen. Zum einen könne sie
durch die Richtlinie 96/34 nicht unmittelbar betroffen sein, da diese nicht einzelnen
Rechte gewähren, sondern lediglich Pflichten für die Mitgliedstaaten begründen
solle, denen bei der Erfüllung ihrer Umsetzungspflicht ein sehr weiter
Beurteilungsspielraum eingeräumt sei. Zum anderen habe die Klägerin keine nur
ihr eigenen Merkmale oder Umstände nachgewiesen, durch die sie aus dem Kreis
aller anderen Personen in einer Weise herausgehoben werde, daß sie als durch die
Richtlinie 96/34 individuell betroffen gelten könne. Der Rat legt hierzu die
einzelnen, für seinen Standpunkt maßgebenden Gesichtspunkte dar.
- 27.
- Die Klägerin könne sich, um die Zulässigkeit ihrer Nichtigkeitsklage darzutun, nicht
mit einem Hinweis auf ihre Beteiligung am Verfahren zum Erlaß der Richtlinie
begnügen, da die Richtlinie ungeachtet dessen ein normativer, allgemeiner und
abstrakter Rechtsakt sei, der nicht an die Klägerin gerichtet sei (vgl. Beschluß des
Gerichtshofes vom 23. November 1995 in der Rechtssache C-10/95 P,
Asocarne/Rat, Slg. 1995, I-4149, Randnr. 40, und Beschlüsse des Gerichts vom 20.
Oktober 1994 in der Rechtssache T-99/94, Asocarne/Rat, Slg. 1994, II-871, und vom
11. Januar 1995 in der Rechtssache T-116/94, Cassa nazionale di previdenza ed
assistenza a favore degli avvocati e procuratori/Rat, Slg. 1995, II-1).
- 28.
- Die Urteile des Gerichtshofes vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85,
68/85 und 70/85 (Van der Kooy/Kommission, Slg. 1988, 219) und vom 24. März
1993 in der Rechtssache C-313/90 (CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125) über
Entscheidungen zur Aufhebung von Beihilfen oder zur Ablehnung der Eröffnung
eines Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages seien ebenfalls nicht
maßgebend. Die Klage einer Vereinigung, an die der angefochtene Rechtsakt nicht
gerichtet sei, sei nur dann zulässig, wenn diese an die Stelle eines oder mehrerer
ihrer Mitglieder getreten sei, die Klage hätten erheben können (Urteil des Gerichts
vom 6. Juli 1995 in den Rechtssachen T-447/93, T-448/93 und T-449/93, AITEC
u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1971, Randnr. 60), oder wenn sie ein eigenes
Klageinteresse darlegen könne (Urteil Van der Kooy/Kommission, Randnrn. 17 bis
25).
- 29.
- Im vorliegenden Fall könne die Klägerin nicht für sich in Anspruch nehmen, mit
der Erhebung dieser Klage an die Stelle eines oder mehrerer ihrer Mitglieder
getreten zu sein, die durch die Richtlinie individuell betroffen seien. Keines der
Mitglieder der Klägerin hätte eine zulässige Klage erheben können.
- 30.
- Ebensowenig könne die Klägerin geltend machen, die Richtlinie 96/34 habe ihr
Recht zur Aushandlung von Verträgen zwischen Sozialpartnern nach Artikel 4 des
Abkommens beeinträchtigt, weil sie eine Vereinbarung zur Anwendung bringe, an
deren Abschluß sie nicht beteiligt gewesen sei, obwohl sie an den Anhörungen
teilgenommen habe, die der Aushandlung dieser Vereinbarung vorausgegangen
seien.
- 31.
- Der Rat legt sodann dar, daß keine unmittelbare Verbindung zwischen der
Anerkennung der Repräsentativität der Klägerin im Hinblick auf bestimmte
Interessen und ihrem Klageinteresse in Zusammenhang mit der vorliegenden Klage
bestehe. Die fehlende Repräsentativität der Klägerin in bezug auf den
Anwendungsbereich des angefochtenen Rechtsakts stehe der Zulässigkeit ihrer
Klage entgegen. Da die Klägerin nur bestimmte Gruppen von Unternehmen
vertrete, könne sie nicht befugt sein, einen Rechtsakt anzufechten, der alle
Unternehmen betreffe. Im übrigen bestreite die Klägerin nicht, daß sie im
Verzeichnis in Anhang 2 der Mitteilung unter „Überbereichliche Organisationen,
die gewisse Berufsgruppen von Arbeitnehmern oder Unternehmen vertreten“
eingestuft sei. Außerdem habe die Klägerin weder ein Recht noch eine natürliche
Bestimmung, jedwede soziale Regelung auf europäischer Ebene auszuhandeln.
Jedenfalls habe die Klägerin, selbst wenn ihre Repräsentativität in bezug auf den
Anwendungsbereich des angefochtenen Rechtsakts anzuerkennen sein sollte, damit
noch kein Klageinteresse, weil die Richtlinie 96/34 sie nicht wegen besonderer
Umstände berühre, die sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushöben. Die
Klägerin müsse, wenn sie solche Umstände für sich in Anspruch nehmen wolle,
vorher nachweisen, daß die von ihr behauptete Repräsentativität ausschließlich ihr
zukomme. Dies habe die Klägerin aber nicht dargetan.
- 32.
- Der Rat meint im übrigen, die Klägerin könne sich für ihr Klageinteresse weder
darauf berufen, daß sie die „Eigenschaft eines Verhandlungsteilnehmers“ oder ein
„Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen“ habe, noch könne sie ein Recht auf
effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte geltend machen.
- 33.
- Zunächst berufe sich die Klägerin zu Unrecht auf ihre „Eigenschaft als
Verhandlungsteilnehmer“ und ihr „Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen“.
Die Eigenschaft eines Verhandlungsteilnehmers sei eine tatsächliche Frage, die
aufgrund der Lage der betreffenden Organisation am Ende der Verhandlung
festgestellt werden müsse. Im vorliegenden Fall habe indessen die Klägerin zu
keinem Zeitpunkt an den Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern
teilgenommen, die zum Abschluß der Rahmenvereinbarung geführt hätten. Da die
Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß sie in irgendeiner Weise am betreffenden
Verhandlungsprozeß beteiligt gewesen sei, könne sie nicht die Eigenschaft eines
Verhandlungsteilnehmers für sich beanspruchen. Zum anderen könne das von der
Klägerin geltend gemachte „Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen“ nicht aus
der bloßen Anhörung oder ihrer Beteiligung am Anhörungsverfahren abgeleitet
werden.
- 34.
- Der Vorgang, der mit der Anhörung begonnen und durch den Erlaß der Richtlinie
96/34 abgeschlossen worden sei, sei keine Abfolge von Handlungen, die zu ein und
demselben Verfahren gehörten. Die Artikel 2 und 4 des Abkommens hätten
nämlich zwei getrennte Verfahren geschaffen.
- 35.
- Das erste, in Artikel 2 des Abkommens geregelte Verfahren werde mit der
Anhörung der Sozialpartner zur Ausarbeitung des in Artikel 3 Absatz 3 des
Abkommens angesprochenen Vorschlags eingeleitet. Die Klägerin sei in der
Anhörungsphase dieses ersten Verfahrens gehört worden. Das zweite Verfahren
nach Artikel 4 des Abkommens werde durch die Verhandlung zwischen den
Sozialpartnern zwecks Erarbeitung eines Vorschlags eröffnet. Die Kommission
greife in der Verhandlungsphase dieses zweiten Verfahrens nicht ein; der
ausgehandelte Vertragstext sei damit eine Vereinbarung zwischen Privatpersonen.
Die Klägerin habe an dieser Verhandlungsphase, mit der das zweite Verfahren
eröffnet werde, nicht teilgenommen.
- 36.
- Sodann gebe es zwischen den beiden Verfahren keine andere Verbindung als den
Beginn des zweiten Verfahrens, der in die Anhörungsphase des ersten Verfahrens
falle. Außerdem führten die beiden Verfahren nicht zum Erlaß von Rechtsakten
der gleichen Art. Das erste Verfahren sei ein klassisches Gesetzgebungsverfahren
und führe im sogenannten Verfahren der „Zusammenarbeit“ mit dem
Europäischen Parlament gemäß Artikel 189c des Vertrages und nach Anhörung des
Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Erlaß eines Rechtsakts des Rates nach
Artikel 2 des Abkommens. Das zweite Verfahren habe den Charakter von
Vertragsverhandlungen, die die interessierten Vertreter der wirtschaftlichen und
sozialen Interessen gestalteten; es führe zum Erlaß eines Rechtsakts durch den Rat
nach Artikel 4 des Abkommens und in einem Verfahren, das weder die Anhörung
des Europäischen Parlaments noch die des Wirtschafts- und Sozialausschusses
vorsehe. Folglich gewähre die erfolgte Anhörung im ersten Verfahren nicht das
Recht, über den Ausschluß vom zweiten Verfahren Beschwerde zu führen.
- 37.
- Schließlich gewähre keine Rechtsvorschrift einem Sozialpartner das Recht,
irgendeine Regelung mit anderen Sozialpartnern deshalb auszuhandeln, weil ihm
ein Recht auf Anhörung durch die Kommission zustehe. Nach dem Abkommen,
insbesondere nach Artikel 3 Absatz 4, hätten die Sozialpartner lediglich die
Möglichkeit zu Verhandlungen miteinander, aber keinen Anspruch hierauf. Das
einzige Recht, das die Klägerin geltend machen könne, sei das auf Anhörung durch
die Kommission, weil sie in das Verzeichnis im Anhang des Abkommens
aufgenommen worden sei. Im vorliegenden Fall sei sie auch ordnungsgemäß gehört
worden.
- 38.
- Auf die Äußerungen der Klägerin zu den Beschlüssen des Gerichts vom 21.
Februar 1995 in der Rechtssache T-117/94 (Associazione agricoltori della provincia
di Rovigo u. a./Kommission, Slg. 1995, II-455) und vom 3. Juni 1997 in der
Rechtssache T-60/96 (Merck u. a./Kommission, Slg. 1997, II-849) entgegnet der Rat,
der Grundsatz, den die Klägerin im übrigen zu Unrecht dieser Rechtsprechung
e contrario entnehme, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil er als
Urheber des Rechtsakts nicht verpflichtet gewesen sei, die Klägerin zu hören. Diese
Pflicht zur Anhörung treffe nämlich allein die Kommission.
- 39.
- Selbst wenn man der Klägerin ein Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen
zugestünde, würde dies keinesfalls ausreichen, sie zu individualisieren, weil dieses
Recht auch jedem anderen Sozialpartner zustünde, der zwar gehört worden wäre,
an den Verhandlungen über die Rahmenvereinbarung aber nicht teilgenommen
hätte.
- 40.
- Zweitens könne sich die Klägerin nicht auf ein Recht auf effektiven Rechtsschutz
durch die Gerichte berufen, um damit ihr Klageinteresse zu rechtfertigen. Zunächst
habe die Klägerin nicht dargetan, daß ein Vorabentscheidungsverfahren nach
Artikel 177 des Vertrages unzureichend sei, um die Kontrolle der Rechtmäßigkeit
der Richtlinie 96/34 zu gewährleisten. Sodann stehe der Klägerin kein eigenes
Recht auf Teilnahme an Kollektivverhandlungen zu, so daß sie sich nicht auf die
von ihr angeführte Rechtsprechung (Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 1990 in
der Rechtssache C-70/88, Slg. 1990, I-2041) berufen könne. Schließlich bedeute die
Unzulässigkeit der vorliegenden Klage nicht, daß sich der Gemeinschaftsrichter
weigere, die Repräsentativität der Klägerin zur allgemeinen Vertretung der
Interessen der KMU anzuerkennen.
- 41.
- Die Kommission als Streithelferin des Rates hält die vorliegende Klage ebenfalls
für unzulässig und führt hierfür insbesondere zwei Gesichtspunkte an. Zum einen
könne die Klägerin nicht als durch die betreffende Maßnahme individuell betroffen
gelten. Die Stellung der Klägerin ähnele der der Landwirtschafts- und
Fischereiverbände in der Rechtssache Associazione agricoltori della provincia di
Rovigo u. a./Kommission, in der das Gericht die Auffassung vertreten habe, diese
Verbände seien durch den angefochtenen Rechtsakt nicht individuell betroffen. In
dieser Rechtssache habe das Gericht, obwohl die Kläger ebenfalls geltend gemacht
hätten, durch die angefochtene Entscheidung individuell betroffen zu sein, weil sie
an dem Verfahren der Ausarbeitung eines der Kommission zur Genehmigung
durch die angefochtene Entscheidung vorgelegten Programms beteiligt gewesen
seien, bestätigt, daß ein Verband in seiner Eigenschaft als Repräsentant einer
Gruppe von Unternehmen grundsätzlich von einer die allgemeinen Interessen
dieser Gruppe berührenden Entscheidung nicht individuell betroffen sein könne,
weil diese eine Maßnahme von allgemeiner Tragweite sei, die auf objektiv
bestimmte Sachverhalte Anwendung finde und rechtliche Wirkungen gegenüber
allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen entfalte (Beschluß
Associazione agricoltori della provincia di Rovigo u. a./Kommission, Randnrn. 16
und 24).
- 42.
- Zum anderen könne sich die Klägerin für die Zulässigkeit ihrer Klage nicht auf ein
unmittelbares Betroffensein im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes
berufen. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne davon nur dann gesprochen
werden, wenn die Rechtswirkungen, die der angefochtene Rechtsakt gegenüber der
Klägerin entfaltet haben solle, sich unmittelbar aus diesem Rechtsakt selbst
ergäben und nicht die Folge eines späteren Beschlusses seien, der sich nicht
notwendig oder automatisch aus dem angefochtenen Rechtsakt ergebe (vgl. die
Schlußanträge von Generalanwalt Van Gerven in der durch Urteil des
Gerichtshofes vom 15. Juni 1993 entschiedenen Rechtssache C-213/91, Abertal
u. a./Kommission, Slg. 1993, I-3177, I-3183, Nr. 20). Im vorliegenden Fall lasse aber
der angefochtene Rechtsakt den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Mittel zur
Verwirklichung der in ihm festgelegten Ziele einen erheblichen
Beurteilungsspielraum. Gerade wegen der Natur und des Inhalts der
Rahmenvereinbarung, die einen beträchtlichen Beurteilungsspielraum bei ihrer
Durchführung auf nationaler Ebene gewähre, habe sie dem Rat den Erlaß einer
Richtlinie vorgeschlagen.
- 43.
- Die Klägerin tritt dem Vorbringen des Rates und der Kommission entgegen.
- 44.
- Auf das Vorbringen des Rates entgegnet sie erstens, die Zulässigkeit ihrer Klage
müsse anhand der spezifischen Natur der betreffenden Richtlinie beurteilt werden.
Die Richtlinie 96/34 sei der erste Regelungsakt, der auf der Grundlage des
Abkommens und des Protokolls erlassen worden sei. Ihr einziger Zweck sei es, die
Mitgliedstaaten zur Durchführung einer Rahmenvereinbarung zu verpflichten, die
von drei überbereichlichen Organisationen mit allgemeiner Bestimmung
abgeschlossen worden sei. Im vorliegenden Fall hätten die Organisationen selbst
den Inhalt der Richtlinie festgelegt, während die Gemeinschaftsorgane, die im
allgemeinen im Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken hätten, eine rein formale
Rolle gespielt hätten (vgl. dreizehnte und vierzehnte Begründungserwägung der
Richtlinie 96/34 und den Bericht des Parlaments über den Richtlinienvorschlag der
Kommission). Im übrigen sei bezeichnend, daß die Kommission in ihrer Mitteilung
die Auffassung vertreten habe, daß der Rat nicht mehr befugt sei, die von den
Sozialpartnern getroffene Vereinbarung abzuändern. Folglich sei die
Harmonisierung des Elternurlaubs in sämtlichen Mitgliedstaaten mit Ausnahme des
Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland allein der Verantwortung
der drei Sozialpartner überlassen, die das Verhandlungsverfahren nach Artikel 4
Absatz 2 des Abkommens aus eigener Initiative eingeleitet hätten, ohne die übrigen
von der Kommission anerkannten Sozialpartner daran zu beteiligen. In einem
solchen Zusammenhang könne die Richtlinie 96/34 nicht den Richtlinien
gleichgestellt werden, die bisher in der Rechtsprechung des Gerichtshofes behandelt
worden seien. Sie unterscheide sich von einer klassischen Richtlinie in zweifacher
Hinsicht.
- 45.
- Zum einen sei im vorliegenden Fall die Verwendung der Richtlinie als
Regelungsinstrument nicht durch eine Bestimmung des Vertrages vorgegeben
gewesen, sondern auf zwei Entscheidungen zurückzuführen. Die an den
Verhandlungen über die Rahmenvereinbarung beteiligten Sozialpartner hätten sich
dafür entschieden, ihr eine Wirkung erga omnes zu geben, obwohl sie sich auch
damit hätten begnügen können, eine einfache Vereinbarung auszuhandeln, die
lediglich inter partes gewirkt hätte. Die Kommission habe sich dafür entschieden,
dem Rat den Vorschlag einer Richtlinie zu unterbreiten, um die
Rahmenvereinbarung erga omnes verbindlich zu gestalten, obwohl sie gemäß
Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens ein anderes in Artikel 189 des Vertrages
vorgesehenes Regelungsinstrument hätte wählen oder auch nur, wie die deutsche
Regierung in einer Stellungnahme zu den Verfahrensfragen im Zusammenhang mit
der Anwendung des Abkommens angeregt habe, den Erlaß eines Beschlusses sui
generis hätte vorschlagen können. Wegen dieser beiden Entscheidungen seien
daher die im allgemeinen für die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage eines
einzelnen gegen eine Richtlinie vorgebrachten Gründe im vorliegenden Fall nicht
maßgebend. Es sei nämlich paradox, anzunehmen, daß die vorliegende Klage
wegen des Regelungscharakters der Richtlinie unzulässig sei, denn dies liefe auf die
Aussage hinaus, daß die Klägerin als von den Verhandlungen ausgeschlossene
repräsentative Organisation die Rechtmäßigkeit der Rahmenvereinbarung und ihrer
Entstehung deshalb nicht durch den Gemeinschaftsrichter überprüfen kassen
könne, weil sich die Berufsvereinigungen, die diese Vereinbarung getroffen hätten,
für eine Erstreckung ihrer Wirkungen auf die anderen Sozialpartner entschieden
hätten, obwohl gerade die Rechtmäßigkeit dieser Erstreckung von ihr in Frage
gestellt werde. Dieses Argument würde es außerdem der Kommission erlauben, der
Klägerin durch die Wahl der Richtlinie als Regelungsinstrument jeden Rechtsschutz
zu entziehen, obwohl die Kommission eine Maßnahme anderer Art hätte
vorschlagen können oder sogar müssen.
- 46.
- Zum anderen weise die spezifische Natur der Richtlinie 96/34 den von den
Verhandlungen ausgeschlossenen repräsentativen Organisationen eine besondere
Stellung zu, die der Rat nicht außer acht lassen dürfe. Das Argument, daß sie
deshalb nicht individuell betroffen sei, weil sie die Vereinbarung nicht mit
unterzeichnet habe, gehe fehl, weil gerade die Frage, ob sie an den Verhandlungen
hätte beteiligt werden und die Rahmenvereinbarung hätte unterzeichnen müssen,
der Kern dieses Rechtsstreits sei.
- 47.
- Der Rat verkenne auch die Besonderheit der Richtlinie 96/34, wenn er aufgrund
einer Prüfung ihres Inhalts zu dem Ergebnis gelange, daß sie Regelungscharakter
habe. Das Argument, die Klägerin sei in der Richtlinie nicht genannt, sei
zurückzuweisen, weil die Klage zulässig gewesen wäre, wenn sie an den
Verhandlungen teilgenommen hätte. Dieses Argument stelle somit einen weiteren
Grund für die an den Verhandlungen beteiligten Sozialpartner dar, die Klägerin
nicht an den Verhandlungen zu beteiligen. Auch das Vorbringen, daß der Inhalt
der Richtlinie recht unbestimmt sei und den Mitgliedstaaten einen erheblichen
Beurteilungsspielraum lasse, berücksichtige nicht, daß dieser Inhalt von den
Sozialpartnern und nicht vom Rat festgelegt worden und gerade diese fehlende
Bestimmtheit mit dem ersten materiell-rechtlichen Klagegrund gerügt werde (vgl.
Randnr. 23 dieses Urteils).
- 48.
- Zweitens weist die Klägerin darauf hin, daß der normative Charakter eines
Rechtsakts nach ständiger Rechtsprechung nicht ausschließe, daß er bestimmte
beteiligte Wirtschaftsteilnehmer individuell betreffe (Urteile des Gerichtshofes vom
21. Februar 1984 in den Rechtssachen 239/82 und 275/82, Allied Corporation
u. a./Kommission, Slg. 1984, 1005, Randnr. 11, vom 23. Mai 1985 in der
Rechtssache 53/83, Allied Corporation u. a./Rat, Slg. 1985, 1621, Randnr. 4, vom
16. Mai 1991 in der Rechtssache C-358/89, Extramet Industrie/Rat, Slg. 1991,
I-2501, Randnr. 13, und vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89,
Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Randnr. 19). Auch wenn diese Rechtsprechung nur
Klagen gegen Verordnungen betreffe, gebe es doch keinen Grund, sie nicht
heranzuziehen, wenn der angefochtene Rechtsakt eine Richtlinie sei, weil der
Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsakten nicht auf ihrer allgemeinen
Bedeutung beruhe, sondern darauf, daß die Richtlinie dem oder den
Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sei, das „zu erreichende Ziel“ vorgebe, ihnen
aber die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung dieses Zieles überlasse (vgl.
Schlußanträge von Generalanwalt Van Gerven zum Urteil des Gerichtshofes vom
12. Februar 1992 in den Rechtssachen C-48/90 und C-66/90, Niederlande
u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565, I-589, I-597).
- 49.
- Der Zulässigkeit ihrer Klage stehe auch eine wörtliche Auslegung des Artikels 173
Absatz 4 des Vertrages nicht entgegen, wonach ein einzelner nur Entscheidungen
mit einer Nichtigkeitsklage anfechten könne. Die Bestimmungen über den
Rechtsweg zum Gemeinschaftsrichter seien stets im Sinne eines wirksamen
gerichtlichen Rechtsschutzes ausgelegt worden, und zwar sowohl bezüglich der
anfechtbaren Rechtsakte (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 9. Februar 1984 in den
Rechtssachen 316/82 und 40/83, Kohler/Rechnungshof, Slg. 1984, 641, und Urteil
des Gerichts vom 24. März 1994 in der Rechtssache T-3/93, Air
France/Kommission, Slg. 1994, II-121) als auch bezüglich der betroffenen Organe
(Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juni 1976 in der Rechtssache 110/75,
Mills/Investitionsbank, Slg. 1976, 955, vom 23. April 1986 in der Rechtssache
294/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache
34/86, Rat/Parlament, Slg. 1986, 2155, und vom 2. Dezember 1992 in der
Rechtssache C-370/89, SGEEM und Etroy/Investitionsbank, Slg. 1992, I-6211).
- 50.
- Der Beschluß des Gerichts vom 20. Oktober 1994 in der Rechtssache Asocarne/Rat
(Randnr. 17), in dem dieses die Unzulässigkeit der Nichtigkeitsklage eines
einzelnen gegen eine Richtlinie mit dem Hinweis begründet habe, daß in diesem
Fall „der gerichtliche Rechtsschutz des einzelnen ordnungsgemäß und ausreichend
von den nationalen Gerichten gesichert wird, die die Umsetzung der Richtlinien in
das jeweilige innerstaatliche Recht kontrollieren“, sei in der Lehre kritisch
aufgenommen worden; der Beschluß des Gerichtshofes vom 23. November 1995
(Asocarne/Rat) habe zwar den Beschluß des Gerichts bestätigt, die Zurückweisung
des Rechtsmittels aber nicht nur darauf gestützt, daß die Urteile Van der
Kooy/Kommission und CIRFS u. a./Kommission, die Entscheidungen betroffen
hätten, nicht auf den zu entscheidenden Fall übertragbar seien, weil es um eine
Richtlinie gehe, sondern auch auf die Erwägung, daß die Richtlinie im Anschluß
an ein Verfahren erlassen worden sei, das, anders als in der Rechtssache CIRFS
u. a./Kommission, eine Beteiligung der Klägerin nicht vorgesehen habe. Im
vorliegenden Fall sei die Richtlinie aber in einem Verfahren erlassen worden, das
nicht nur eine Beteiligung der Sozialpartner wie der Klägerin vorsehe, sondern
überhaupt nur aufgrund dieser Beteiligung und der Entscheidung der Sozialpartner
zustande gekommen sei, die ihre wahren Urheber seien.
- 51.
- Drittens sei sie durch die Richtlinie individuell betroffen, weil diese sie wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften und besonderer, sie aus dem Kreis aller
übrigen Personen heraushebender Umstände berühre. Sie sei von der Kommission
in deren Mitteilung als eine Organisation anerkannt worden, die den in Ziffer 24
der Mitteilung festgelegten Kriterien der Repräsentativität entspreche. Außerdem
sei sie von der Kommission in den beiden Phasen nach Artikel 3 Absätze 2 und 3
des Abkommens angehört worden. Allein die von ihr vertretenen Interessen
genössen den spezifischen Schutz des Artikels 2 Absatz 2 des Abkommens, wonach
der Erlaß von Vorschriften nach dem Abkommen die Gründung und Entwicklung
der KMU nicht beeinträchtigen dürfe. Schließlich berühre der Gegenstand der
Rahmenvereinbarung die KMU so stark, daß die Klägerin zur Vermeidung
schwerer Nachteile und eines offensichtlichen Verstoßes gegen Artikel 2 Absatz 2
des Abkommens an den Verhandlungen hätte beteiligt werden müssen. Mithin sei
sie aufgrund der Rolle, die sie bei der Erarbeitung der Richtlinie hätte spielen
müssen, durch diese individuell betroffen.
- 52.
- Nach alledem erfülle ihre Klage die Voraussetzungen, die in den Urteilen Van derKooy/Kommission und CIRFS u. a./Kommission für den Nachweis festgelegt
worden seien, daß eine Vereinigung individuell betroffen sei. Außerdem ergebe sich
aus dem Urteil des Gerichts vom 27. April 1995 in der Rechtssache T-96/92 (CCE
de la Société générale des grandes sources u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1213,
Randnrn. 35 und 36), daß sie schon dann durch die Richtlinie individuell betroffen
sei, wenn ihr das Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen zustehe; eine
effektive Teilnahme sei nicht erforderlich. Jedenfalls könne sich der Rat nicht
darauf berufen, daß sie wegen der fehlenden Teilnahme an den Verhandlungen
nicht individuell betroffen sei, weil es in dieser Rechtssache im Kern gerade darum
gehe, daß der Klägerin ihre Stellung und ihre Eigenschaft als
Verhandlungsteilnehmer bei der Ausarbeitung der Richtlinie nicht zugestanden
worden sei.
- 53.
- Viertens zeigten die beiden Teile des Streitgegenstands, daß ihre Interessen durch
den Erlaß der Richtlinie unmittelbar beeinträchtigt seien.
- 54.
- Der erste Teil betreffe die Entstehung der Richtlinie; hier werde gerügt, daß die
Klägerin als anerkannte repräsentative Organisation willkürlich von den
Verhandlungen ausgeschlossen worden sei. Die normative Handlung, die eine
Rahmenvereinbarung in Kraft setze, an der sie nicht beteiligt worden sei,
beeinträchtige ihre eigenen Interessen unmittelbar insoweit, als sie eine ihrer
Hauptaufgaben nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens berühre, nämlich die
Teilnahme an Verhandlungen über Sozialvereinbarungen (vgl. in diesem Sinn Urteil
CCE de la Société générale des grandes sources u. a./Kommission, Randnr. 38).
- 55.
- Der zweite Teil betreffe den Inhalt der Rahmenvereinbarung; hier werde deren
Ungenauigkeit und Allgemeinheit gerügt, da sie den Mitgliedstaaten die Befugnis
lasse, „besondere Vorkehrungen“ zu treffen, um den Bedürfnissen der KMU in
bezug auf Arbeitsweise und Organisation gerecht zu werden. Sie habe ein
unmittelbares Interesse daran, daß die Interessen der KMU in der in den
Mitgliedstaaten umzusetzenden Rahmenvereinbarung berücksichtigt würden.
- 56.
- In ihrer Erwiderung weist die Klägerin darauf hin, daß auch der Rat der Ansicht
sei, daß die Frage der Zulässigkeit ihrer Klage nicht von den materiell-rechtlichen
Fragen zu trennen sei. Gleichwohl sei die Haltung des Rates in diesem Punkt zu
beanstanden. Zum einen sei es ein sonderbares Argument zu behaupten, eine für
die KMU repräsentative Organisation könne auf die Einhaltung des Artikels 2
Absatz 2 des Abkommens nur bei einer Richtlinie pochen, die allein für KMU
gelte, denn in diesem Fall würde es sich um eine Richtlinie handeln, die nur auf die
KMU anwendbar wäre und verwaltungsmäßige, finanzielle und rechtliche Zwänge
mit sich bringe, die der Gründung und Entwicklung dieser Unternehmen gerade
entgegenstünden. Zum anderen sei die Annahme paradox, daß dann, wenn die
Richtlinie nicht nur für die KMU gelte, eine für diese repräsentative Vereinigung
das Gericht nicht wegen der Nichteinhaltung einer Vorschrift anrufen könne, die
wie Artikel 2 Absatz 2 des Abkommens einen spezifischen Schutz der Interessen
dieser Unternehmen vorschreibe, nur weil die Vereinigung gerade diese
Unternehmen vertrete.
- 57.
- Die Klägerin meint, daß sie bei Verletzung ihrer Rechte auf Teilnahme an den
Verhandlungen, die ihr als repräsentativem Sozialpartner zustünden, den
gerichtlichen Rechtsschutz nach dem Gemeinschaftsrecht ungeachtet des Inhalts
der erlassenen Regelung in Anspruch nehmen können müsse. Sie unterstreicht
erneut die Bedeutung ihrer Repräsentativität für die Frage der Zulässigkeit ihrer
Klage und vergleicht ihre Stellung mit der des CEEP, das allein die Interessen der
öffentlichen Unternehmen vertrete.
- 58.
- Auf das Vorbringen der Kommission entgegnet die Klägerin, es komme in
Wahrheit nicht darauf an, ob sie durch die Richtlinie 96/34 unmittelbar und
individuell betroffen sei, sondern darauf, wie sie eine Ahndung der Verletzung ihres
Rechts auf Teilnahme an kollektiven Verhandlungen über Rahmenvereinbarungen
erreichen könne, die auf europäischer Ebene stattfänden. Jedenfalls seien die
beiden Argumente der Kommission zurückzuweisen.
- 59.
- Zum einen sei sie durch die angefochtene Handlung individuell betroffen. Die
Fallgestaltung im Beschluß Associazione agricoltori della provincia di Rovigo
u. a./Kommission sei eine andere gewesen als im vorliegenden Fall. Das Gericht
habe in dieser Rechtssache die Klage nicht deshalb für unzulässig erklärt, weil es
der Auffassung gewesen wäre, daß die Pflicht der Kommission, die betreffenden
Vereinigungen anzuhören, nicht ausreiche, um diese zu individualisieren, sondern
weil es der Meinung gewesen sei, daß eine solche Pflicht zur Anhörung nach den
für den Erlaß der angefochtenen Maßnahme geltenden Bestimmungen nicht
bestehe (Randnrn. 30 und 31). E contrario sei daraus abzuleiten, daß
Wirtschaftsteilnehmer ein individuelles Interesse an der Anfechtung eines
Rechtsakts dann hätten, wenn sie vor dessen Erlaß aufgrund einer entsprechenden
Verpflichtung des anhörenden Organs gehört worden seien. Außerdem habe das
Gericht diese Auslegung in seinem Beschluß Merck u. a./Kommission (Randnrn.
73 und 74) bestätigt, als es eine Klage deshalb für unzulässig erklärt habe, weil die
Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, die Klägerinnen vor Erlaß der
angefochtenen Maßnahme anzuhören. Es sei bemerkenswert, daß die Kommission
in jener Rechtssache ausdrücklich eingeräumt habe, daß das individuelle
Betroffensein anzuerkennen sei, wenn parallel eine Pflicht zur Anhörung des
Klägers während der Vorbereitung der Entscheidung bestanden habe (Randnr. 34).
- 60.
- Außerdem habe sie ein unmittelbares Interesse an der Nichtigerklärung der
Richtlinie 96/34. Da diese Richtlinie keinen eigenen Regelungsgehalt habe und sich
auf die Bestätigung einer unter Verletzung ihres Rechts auf Teilnahme an den
kollektiven Verhandlungen zustande gekommenen Rahmenvereinbarung
beschränke, gelte ihre Kritik der Art und Weise, wie die Rahmenvereinbarung
ausgehandelt worden sei, was ein unmittelbares Interesse an der Anfechtung der
Richtlinie 96/34 in ihrer Person begründe. In dem Urteil CCE de la Société
générale des grandes sources u. a./Kommission (Randnr. 38) habe sich das Gericht
geweigert, ein unmittelbares Interesse der klagenden Gewerksschaftsorganisationen
anzuerkennen, weil nicht in die eigenen Rechte der Arbeitnehmervertreter
eingegriffen worden sei.
- 61.
- Sie sei daher kein lediglich durch den Inhalt einer Gemeinschaftsbestimmung
berührter einzelner, sondern ein Rechtssubjekt, das aufgrund höherrangiger
Bestimmungen der Gemeinschaftsrechtsordnung an den Verhandlungen über die
betreffende normative Regelung hätte beteiligt werden müssen. Da die Kommission
nicht für die Einhaltung des Abkommens gesorgt habe, müsse die Klägerin Zugang
zum Gericht haben, dessen Aufgabe es sei, im Rahmen der Nichtigkeitsklage für
die Beachtung des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen. Um die Ahndung eines
Vorgehens zu erreichen, das ihre besonderen Rechte als europäischer Sozialpartner
mißachtet habe, stehe ihr kein anderer Klageweg offen, schon gar nicht die
hypothetischen Möglichkeiten der Untätigkeitsklage oder des
Vorabentscheidungsverfahrens (Urteil Rat/Parlament, Randnr. 20).
Würdigung durch das Gericht
- 62.
- Zu prüfen ist im vorliegenden Fall die Zulässigkeit der von einer juristischen
Person nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages erhobenen Klage auf
Nichtigerklärung einer vom Rat gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens
erlassenen Richtlinie.
- 63.
- Zwar behandelt Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages die Zulässigkeit der von einer
juristischen Person gegenüber einer Richtlinie erhobenen Nichtigkeitsklage nicht
ausdrücklich, der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist jedoch zu entnehmen, daß
dies allein nicht ausreicht, solche Klagen für unzulässig zu erklären (vgl. hierzu
Urteil des Gerichtshofes vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-298/89,
Gibraltar/Rat, Slg. 1993, I-3605, und Rechtsmittelbeschluß des Gerichtshofes vom
23. November 1995 in der Rechtssache Asocarne/Rat). So hat der Gerichtshof im
Beschluß Asocarne/Rat zunächst festgestellt, daß es sich bei der angefochtenen
Maßnahme um eine Richtlinie handelte, und dann geprüft, ob nicht eine die
Klägerin im Sinne des Artikels 173 Absatz 4 unmittelbar und individuell
betreffende Entscheidung vorlag, die nur dem äußeren Anschein nach eine
Richtlinie war. Die Gemeinschaftsorgane können den Rechtsschutz, den diese
Vertragsbestimmung für die einzelnen vorsieht, nicht einfach durch die Wahl der
Form des betreffenden Rechtsakts ausschließen (vgl. Beschluß des Gerichts vom
30. September 1997 in der Rechtssache T-122/96, Federolio/Kommission, Slg. 1997,
II-1559, Randnr. 50). Außerdem bestimmt im vorliegenden Fall Artikel 4 Absatz
2 Unterabsatz 1 des Abkommens: „Die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene
geschlossenen Vereinbarungen erfolgt entweder nach den jeweiligen Verfahren und
Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder in den durch
Artikel 2 erfaßten Bereichen auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien
durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission.“ Unter diesen
Umständen kann der Rat nicht durch die bloße Wahl der Form der Richtlinie die
einzelnen an der Ausübung der Klagerechte hindern, die der Vertrag ihnen zur
Verfügung stellt.
- 64.
- Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Richtlinie ein normativer Akt ist oder ob
sie als Entscheidung in der Gestalt einer Richtlinie anzusehen ist. Bei der Prüfung,
ob ein Rechtsakt allgemeine Geltung hat oder nicht, sind seine Rechtsnatur und
die Rechtswirkungen zu ermitteln, die er erzeugen soll oder tatsächlich erzeugt
(Urteil Alusuisse/Rat und Kommission, Randnr. 8).
- 65.
- Im vorliegenden Fall bestimmt Artikel 1 der Richtlinie 96/34, daß mit dieser „die
am 14. Dezember 1995 zwischen den europäischen Sozialpartnern (UNICE, CEEP
und EGB) geschlossene Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, die im Anhang
enthalten ist, durchgeführt werden [soll]“. Paragraph 1 Nummern 1 und 2 der
Rahmenvereinbarung mit der Überschrift „Ziel und Anwendungsbereich“ lauten:
„In dieser Vereinbarung sind Mindestanforderungen niedergelegt, die darauf
abzielen, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben erwerbstätiger Eltern
zu erleichtern. Diese Vereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer, Männer und Frauen,
die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem
jeweiligen Mitgliedstaat über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem
Arbeitsverhältnis stehen.“
- 66.
- Die Klägerin hat zwar die Wahl der Form der Richtlinie zur Durchführung der
Rahmenvereinbarung gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens beanstandet, sie
hat aber nicht behauptet, daß die Richtlinie 96/34 als solche nicht den
Anforderungen des Artikels 189 des Vertrages genüge. Insoweit genügt der
Hinweis, daß die Richtlinie 96/34 an die Mitgliedstaaten gerichtet ist (Artikel 3),
die alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um jederzeit gewährleisten
zu können, daß die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt
werden (Artikel 2 Absatz 1), und daß der Wortlaut der Rahmenvereinbarung, auf
die Artikel 1 verweist, den nationalen Stellen die Wahl der Form und der Mittel
freistellt, die die Erreichung dieser Ergebnisse möglich machen.
- 67.
- Folglich hat die Richtlinie 96/34 ihrem Wesen nach normativen Charakter und ist
keine Entscheidung im Sinne des Artikels 189 des Vertrages.
- 68.
- Sodann ist zu prüfen, ob die Klägerin trotz des normativen Charakters der
Richtlinie 96/34 durch diese unmittelbar und individuell betroffen sein kann.
- 69.
- Nach der Rechtsprechung kann auch ein normativer Akt, der auf alle betroffenen
Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, unter bestimmten Umständen einige von
ihnen individuell betreffen (vgl. hierzu Urteile Extramet Industrie/Rat, Randnr. 13,
Codorniu/Rat, Randnr. 19, sowie Beschluß Federolio/Kommission, Randnr. 58).
Eine natürliche oder juristische Person ist jedoch nur dann individuell betroffen,
wenn die fragliche Handlung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder
besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände
berührt (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62,
Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 239; Urteil des Gerichts vom 27. April 1995
in der Rechtssache T-12/93, CCE de Vittel u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1247,
Randnr. 36, und Beschluß Federolio/Kommission, Randnr. 59).
- 70.
- In diesem Punkt beruhen die Argumente der Klägerin sämtlich auf der Prämisse,
daß ihr im Rahmen der durch das Abkommen geschaffenen
Verfahrensmechanismen, mit denen der Erlaß von Rechtsakten innerhalb seines
Geltungsbereichs ermöglicht werden soll, besondere Rechte zustünden, die im
vorliegenden Fall mißachtet worden seien.
- 71.
- Bei der Prüfung, ob die Klägerin durch die Richtlinie 96/34 tatsächlich wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller
übrigen Personen heraushebender Umstände berührt wird, sind die Besonderheiten
des Verfahrens, das zum Erlaß der Richtlinie geführt hat, und hierbei zunächst die
durch das Abkommen geschaffenen Verfahrensmechanismen zu untersuchen.
Dessen Bestimmungen ist zu entnehmen, daß für den Erlaß der Rechtsakte, die zur
Verwirklichung der von ihm angestrebten Ziele erforderlich sind, alternativ zwei
Verfahren zur Verfügung stehen.
- 72.
- Diese beiden Verfahren haben eine gemeinsame Anfangsphase, die in derAnhörung der Sozialpartner durch die Kommission nach Artikel 3 Absätze 2 und
3 des Abkommens besteht. Artikel 3 bestimmt jedoch nicht, wer die betreffenden
Sozialpartner sind. Die Kommission hat daher in ihrer Mitteilung bestimmte
Kriterien festgelegt, anhand deren sich die Sozialpartner ermitteln lassen, deren
Repräsentativität nach Meinung der Kommission ihre Anhörung in dieser
Anfangsphase, die jeder Gemeinschaftsinitiative auf der Grundlage der
Bestimmungen des Abkommens vorausgehen muß, rechtfertigt. Anhand dieser
Kriterien hat die Kommission ein Verzeichnis erstellt, das ihrer Mitteilung als
Anhang 2 beigefügt ist. In Ziffer 24 der Mitteilung heißt es, daß dieses Verzeichnis
entsprechend den Erfahrungen in diesem Bereich überprüft werden wird. Die
Klägerin ist in diesem Verzeichnis als überbereichliche Organisation aufgeführt, die
bestimmte Berufsgruppen von Arbeitnehmern oder Unternehmen vertritt. Zwischen
den Parteien ist unstreitig, daß die Klägerin im vorliegenden Fall gemäß Artikel 3
Absätze 2 und 3 des Abkommens von der Kommission gehört wurde.
- 73.
- Was das erste Verfahren angeht, kann der Rat auf den in Artikel 2 Absatz 1 des
Abkommens genannten Gebieten in dem Verfahren nach Artikel 189c des
Vertrages nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie auf den in
Artikel 2 Absatz 3 des Abkommens genannten Gebieten durch einstimmigen
Beschluß auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen
Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien erlassen. Für das
zweite Verfahren ergibt sich aus Artikel 4 des Abkommens, daß eine auf
Gemeinschaftsebene geschlossene Vereinbarung entweder nach den jeweiligen
Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder in
den durch Artikel 2 erfaßten Bereichen auf gemeinsamen Antrag der
Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der
Kommission durchgeführt wird. Der angefochtene Rechtsakt ist in einem Verfahren
der zweiten Art erlassen worden.
- 74.
- Das zweite Verfahren, das mit einer Anhörung nach Artikel 3 Absätze 2 und 3 des
Abkommens beginnt, verläuft folgendermaßen. Nach Artikel 3 Absatz 4 des
Abkommens können die Sozialpartner bei dieser Anhörung der Kommission
mitteilen, daß sie den Prozeß nach Artikel 4 in Gang setzen wollen. Die Dauer des
Verfahrens darf höchstens neun Monate betragen, sofern nicht die betroffenen
Sozialpartner und die Kommission gemeinsam eine Verlängerung beschließen.
Gemäß Artikel 4 kann, wie bereits ausgeführt, der Dialog zwischen den
Sozialpartnern zum Abschluß von Vereinbarungen führen, die in den durch Artikel
2 erfaßten Bereichen durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der
Kommission durchgeführt werden können.
- 75.
- In Artikel 3 Absatz 4 und Artikel 4 des Abkommens wird somit nicht ausdrücklich
gesagt, wer die Sozialpartner sind, für die das erwähnte Verfahren der Verhandlung
gelten soll. Die Anordnung der genannten Vorschriften und die vorausgehende
Anhörungsphase lassen jedoch erkennen, daß die an den Verhandlungen beteiligten
Sozialpartner jedenfalls zu denen gehören, die von der Kommission gehört wurden.
Das bedeutet jedoch nicht, daß alle von der Kommission gehörten Sozialpartner,
d. h. die in dem Verzeichnis in Anhang 2 der Mitteilung aufgeführten Sozialpartner,
berechtigt wären, an den geplanten Verhandlungen teilzunehmen. Die Initiative für
die Verhandlungsphase, die gegebenenfalls während der von der Kommission
eingeleiteten Anhörungsphase beginnt, liegt nämlich allein bei den Sozialpartnern,
die solche Verhandlungen in Gang setzen möchten. Die an dieser
Verhandlungsphase beteiligten Sozialpartner sind mithin diejenigen, die einander
ihren Willen bekundet haben, den Prozeß nach Artikel 4 einzuleiten und zu Ende
zu führen.
- 76.
- In Ziffer 31 der Mitteilung, die Teil des Abschnitts „Von der Anhörung zur
Verhandlung“ ist, heißt es im übrigen: „Bei ihren autonomen Verhandlungen sind
die Sozialpartner in keiner Weise verpflichtet, dem Inhalt des bei der Kommission
in Ausarbeitung befindlichen Vorschlags zu folgen oder sich auf etwaige
Änderungen zu beschränken, wobei als vereinbart gilt, daß nur die vom Vorschlag
der Kommission betroffenen Bereiche Gegenstand einer Gemeinschaftsaktion sein
können. Betroffen sind diejenigen Sozialpartner, die Verhandlungen miteinander
vereinbart haben. Der Abschluß einer solchen Vereinbarung ist ausschließlich
Sache der verschiedenen Organisationen. Die Kommission ist jedoch der Ansicht,
daß die Organisationen, die ein Abkommen unterzeichnen, die Bestimmungen zu
den kleinen und mittleren Unternehmen in Artikel 2 Absatz 2 des Abkommens
nicht aus den Augen verlieren sollten.“
- 77.
- Außerdem ist der Mitteilung zu entnehmen, daß die Aufstellung des Verzeichnisses
in Anhang 2, das die von der Kommission als repräsentativ betrachteten
Sozialpartner enthält, ausschließlich der Notwendigkeit entspricht, die Phase der
Anhörung der Sozialpartner nach Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Abkommens zu
organisieren. Die Kommission erwähnt dieses Verzeichnis nämlich lediglich in dem
der „Anhörung der Sozialpartner“ gewidmeten Abschnitt der Mitteilung, und zwar
in den Ziffern 22 bis 28 unter der Überschrift „Die anzuhörenden Organisationen“,
nicht dagegen in den Abschriften, die der Verhandlungsphase gelten (Ziffern 29 bis
36 mit der Überschrift „Von der Anhörung zur Verhandlung“).
- 78.
- Aus alledem ergibt sich, daß Artikel 3 Absätze 2, 3 und 4 und Artikel 4 des
Abkommens keinem Sozialpartner, gleich welche Interessen er zu vertreten
behauptet, ein allgemeines Recht auf Teilnahme an allen nach Artikel 3 Absatz 4
des Abkommens eingeleiteten Verhandlungen verleihen, auch wenn alle nach
Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Abkommens gehörten Sozialpartner befugt sind,
solche Verhandlungen einzuleiten.
- 79.
- Der Umstand allein, daß die Klägerin im vorliegenden Fall die Kommission
mehrfach gebeten hat, sie an den von anderen Sozialpartnern begonnenen
Verhandlungen teilnehmen zu lassen, kann hieran nichts ändern, da die Herrschaft
über die eigentliche Verhandlungsphase ausschließlich bei den betreffenden
Sozialpartnern und nicht bei der Kommission liegt.
- 80.
- Ebensowenig gewährt Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Abkommens der
Klägerin ein Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen gemäß Artikel 3 Absatz
4 des Abkommens. Zwar bestimmt Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 Satz 2, daß
„[d]iese Richtlinien ... keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen
Auflagen vorschreiben [sollen], die der Gründung und Entwicklung von kleinen und
mittleren Unternehmen entgegenstehen“, doch begründet diese Bestimmung kein
Recht der Vertreter der KMU, automatisch an allen Verhandlungen der
Sozialpartner nach Artikel 3 Absatz 4 des Abkommens beteiligt zu werden (vgl.
hierzu Urteil CCE de la Société générale des grandes sources u. a./Kommission,
Randnr. 29). Es handelt sich um eine Bestimmung, mit der eine materiell-rechtliche
Verpflichtung aufgestellt wird, deren Einhaltung jeder Betroffene mittels des
geeigneten Rechtsbehelfs durch den Gemeinschaftsrichter überprüfen lassen kann
und nicht nur die Klägerin im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Artikel 173
Absatz 4 des Vertrages. Folglich kann keine überbereichliche Organisation, die die
Interessen der KMU vertritt, aus Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Abkommens
ein Recht auf Teilnahme an solchen Verhandlungen ableiten, ohne daß es hierfür
im übrigen auf den Grad der Repräsentativität ankäme, die sie für sich
beansprucht.
- 81.
- Zurückzuweisen ist auch das von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung
vorgebrachte Argument, daß der Rechtsprechung zu entnehmen sei, daß
bestimmten materiellen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts prozessuale
Wirkungen zuerkannt werden müßten, damit sie ihre praktische Wirksamkeit
entfalten könnten. Anhand der von der Klägerin hierzu angeführten
Rechtsprechung läßt sich nämlich Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 des
Abkommens nicht entnehmen, daß ihr ein Recht auf Teilnahme an allen
Verhandlungen der Sozialpartner nach Artikel 3 Absatz 4 des Abkommens
zustünde. So hat der Gerichtshof zum einen in seinem Beschluß vom 17. Januar
1980 in der Rechtssache 792/79 R (Camera Care/Kommission, Slg. 1980, 119) keine
prozessualen Wirkungen materieller Bestimmungen, im entschiedenen Fall der
Artikel 85 und 86 des Vertrages, anerkannt, sondern die Tragweite einer
Bestimmung ermittelt, die der Kommission bereits eine besondere Zuständigkeit
zuweist, nämlich Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962,
Nr. 13, S. 204). Zum anderen hat sich der Gerichtshof in seinem Urteil vom 27.
Oktober 1993 in der Rechtssache C-127/92 (Enderby, Slg. 1993, I-5535) im Rahmen
einer Vorabentscheidung zur Verteilung der Beweislast für den diskriminierenden
Charakter einer Praktik im Hinblick auf Artikel 119 des Vertrages in den
Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geäußert. Anders als im
vorliegenden Fall hatte der Gerichtshof daher in dem letztgenannten Fall nicht
darüber zu befinden, ob einem einzelnen im Rahmen eines Verfahrens zum Erlaß
einer Maßnahme durch ein Gemeinschaftsorgan ein Verfahrensrecht zuzuerkennen
ist.
- 82.
- Nach alledem kann die Klägerin auf der Grundlage der Bestimmungen des
Abkommens weder ein allgemeines Recht auf Teilnahme an der
Verhandlungsphase des zweiten Verfahrens nach dem Abkommen noch ein
besonderes Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen über die
Rahmenvereinbarung für sich in Anspruch nehmen.
- 83.
- Aus diesen Erwägungen allein ergibt sich jedoch noch nicht die Unzulässigkeit der
vorliegenden Klage. Die Besonderheiten des Verfahrens, das zum Erlaß der
Richtlinie 96/34 auf der Grundlage des Artikels 4 Absatz 2 des Abkommens geführt
hat, machen vielmehr des weiteren die Prüfung der Frage notwendig, ob der Rat
oder die Kommission durch die etwaige Nichtbeachtung der ihnen im Rahmen
dieses Verfahrens obliegenden Pflichten ein Recht der Klägerin verletzt haben, zu
dessen gerichtlichem Schutz die Klägerin als aufgrund bestimmter persönlicher
Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen
heraushebender Umstände unmittelbar und individuell betroffen angesehen werden
muß (vgl. die in Randnr. 69 dieses Urteils zitierte Rechtsprechung).
- 84.
- Hierzu ist festzustellen, daß zwar die Initiative für und die Herrschaft über die
eigentliche Verhandlungsphase des Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 4 und Artikel
4 des Abkommens ausschließlich bei den Sozialpartnern liegt (vgl. Randnrn. 75 und
76 dieses Urteils); wenn diese aber eine Vereinbarung treffen, deren Durchführung
auf Gemeinschaftsebene sie gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens gemeinsam
beantragen, wird der Rat auf Vorschlag der Kommission tätig. Die betreffenden
Sozialpartner richten also ihren gemeinsamen Antrag an die Kommission, die damit
die Herrschaft über das Verfahren übernimmt und prüft, ob ein entsprechender
Vorschlag an den Rat zu richten ist.
- 85.
- Das Eingreifen der Kommission muß den Grundsätzen entsprechen, die für ihr
Tätigwerden im Bereich der Sozialpolitik gelten und insbesondere in Artikel 3
Absatz 1 des Abkommens wie folgt konkretisiert sind: „Die Kommission hat die
Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern, und
erläßt alle zweckdienlichen Maßnahmen, um den Dialog zwischen den
Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für Ausgewogenheit bei der Unterstützung
der Parteien sorgt.“ Wie sowohl die Klägerin als auch die Kommission selbst zu
Recht ausgeführt haben, hat die Kommission insbesondere die Repräsentativität
der Unterzeichner dieser Vereinbarung zu prüfen, sobald sie wieder in den Ablauf
des Verfahrens eingreifen darf.
- 86.
- Die Kommission hat sich im übrigen in ihrer Mitteilung selbst dazu verpflichtet, die
Repräsentativität der Sozialpartner zu prüfen, die Unterzeichnerparteien einer
Vereinbarung sind, bevor sie dem Rat einen Beschluß vorschlägt, mit dem diese auf
Gemeinschaftsebene durchgeführt wird. Sie hat nämlich in Ziffer 39 der Mitteilung
erklärt, daß sie „ihren Vorschlag für einen Beschluß des Rates auf die Prüfung des
Vertretungsanspruchs der Vertragsparteien, ihres Mandats und der
.Rechtmäßigkeit' aller Bestimmungen des Tarifvertrags nach dem
Gemeinschaftsrecht sowie der Einhaltung der Bestimmungen zu den kleinen und
mittleren Unternehmen in Artikel 2 Absatz 2 [stützt]“.
- 87.
- Der Rat hat seinerseits zu prüfen, ob die Kommission die Verpflichtungen erfüllt
hat, die ihr nach den Bestimmungen des Abkommens obliegen, weil er sonst einen
Verfahrensfehler bestätigen würde, der die Rechtmäßigkeit des von ihm letztlich
erlassenen Rechtsakts beeinträchtigen könnte.
- 88.
- Die Bedeutung dieser Verpflichtung der Kommission und des Rates, die
Repräsentativität der Sozialpartner, die Unterzeichnerparteien einer Vereinbarung
nach Artikel 3 Absatz 4 und Artikel 4 des Abkommens sind, zu prüfen, wenn die
Durchführung der Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene beim Rat beantragt wird,
ist hervorzuheben. Denn zu diesem Zeitpunkt des durch die genannten
Bestimmungen geregelten Verfahrens bewirkt das Eingreifen der beiden Organe,
daß eine von Sozialpartnern getroffene Vereinbarung eine legislative
gemeinschaftsrechtliche Grundlage erhält, ohne daß hierfür auf die klassischen
Gesetzgebungsverfahren nach dem Vertrag zurückgegriffen würde, die die
Beteiligung des Europäischen Parlaments vorsehen. Nach der Rechtsprechung
spiegelt dessen Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft ein
grundlegendes demokratisches Prinzip auf Gemeinschaftsebene wider, wonach die
Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen
Gewalt beteiligt sind (Urteile des Gerichtshofes vom 11. Juni 1991 in derRechtssache C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991, I-2867, Randnr. 20, vom 29.
Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79, Roquettes Frères/Rat, Slg. 1980, 3333,
Randnr. 33, und in der Rechtssache 139/79, Maizena/Rat, Slg. 1980, 3393, Randnr.
34). Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich die demokratische Legitimität der vom
Rat nach Artikel 2 des Abkommens erlassenen Rechtsakte aus der Beteiligung des
Europäischen Parlaments an diesem ersten Verfahren (vgl. Randnr. 73 dieses
Urteils).
- 89.
- Demgegenüber sieht das zweite, in Artikel 3 Absatz 4 und Artikel 4 des
Abkommens geregelte Verfahren eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments
nicht vor. Die Wahrung des demokratischen Prinzips, auf dem die Union beruht,
macht es, wenn das Europäische Parlament an einem Gesetzgebungsverfahren nicht
beteiligt ist, erforderlich, daß die Beteiligung der Völker an diesem Verfahren auf
andere Weise sichergestellt wird, im zu entscheidenden Fall durch Vermittlung der
Sozialpartner, die die Vereinbarung geschlossen haben, der der Rat durch einen
mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Beschluß eine legislative Grundlage auf
Gemeinschaftsebene verleiht. Um die Einhaltung dieses Erfordernisses zu
kontrollieren, haben Kommission und Rat die Repräsentativität der betreffenden
Sozialpartner zu überprüfen.
- 90.
- Bei dieser Prüfung müssen sie untersuchen, ob die Sozialpartner, die die
betreffende Vereinbarung unterzeichnet haben, im Hinblick auf deren Inhalt
insgesamt hinreichend repräsentativ sind. Fehlt eine solche Gesamtrepräsentativität,
so müssen Kommission und Rat eine Durchführung der geschlossenen
Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene ablehnen. In diesem Fall haben von der
Kommission gemäß Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Abkommens gehörte
Sozialpartner, die am Abschluß der betreffenden Vereinbarung nicht beteiligt
waren und deren eigene Repräsentativität im Hinblick auf den Inhalt der
Vereinbarung zur Herstellung der Gesamtrepräsentativität notwendig ist, das Recht,
Kommission und Rat daran zu hindern, die Vereinbarung auf Gemeinschaftsebene
durch einen Gesetzgebungsakt durchzuführen. Der gerichtliche Rechtsschutz, der
zur Gewährleistung dieses Rechts zur Verfügung stehen muß, verlangt, daß die
Sozialpartner, die die Vereinbarung nicht unterzeichnet haben und diese Merkmale
erfüllen, bei Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen den Rechtsakt des Rates, mit
dem die Vereinbarung gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens auf
Gemeinschaftsebene durchgeführt werden soll, als durch diesen unmittelbar und
individuell betroffen angesehen werden müssen. Im übrigen haben der Gerichtshof
und das Gericht bereits aus ähnlichen Gründen Nichtigkeitsklagen, die gegen einen
normativen Akt erhoben wurden, für zulässig erklärt, wenn eine höherrangige
Rechtsnorm dem Urheber des Rechtsakts die Berücksichtigung der besonderen
Lage der klagenden Partei vorschrieb (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 17.
Januar 1985 in der Rechtssache 11/82, Piraiki-Patraiki/Kommission, Slg. 1985, 207,
Randnrn. 11 bis 32, und vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-152/88,
Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2477, Randnrn. 11 bis 13, sowie Urteil des
Gerichts vom 14. September 1995 in den Rechtssachen T-480/93 und T-483/93,
Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2305, Randnrn. 67 bis 78).
- 91.
- Im vorliegenden Fall ist erstens zu untersuchen, ob die Kommission und der Rat
die Frage der ausreichenden Gesamtrepräsentativität der Unterzeichner der
Rahmenvereinbarung tatsächlich geprüft haben. Den vom Rat vorgelegten
Unterlagen läßt sich entnehmen, daß diese Prüfung stattgefunden hat. Rat und
Kommission haben im vorliegenden Verfahren erklärt, daß sich ihre Prüfung zum
einen auf den Grad der Repräsentativität der Unterzeichner und zum anderen auf
ihre Repräsentativität im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich der
Rahmenvereinbarung erstreckt habe. In der dreizehnten Begründungserwägung der
Richtlinie 96/34 heißt es im übrigen, daß die Kommission ihren Vorschlag für eine
Richtlinie des Rates nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens unter
Berücksichtigung der Repräsentativität der Unterzeichnerparteien ausgearbeitet
habe. Außerdem hat der Rat auf ein in Form einer prozeßleitenden Verfügung
ergangenes Ersuchen des Gerichts Auszüge aus Niederschriften über Sitzungen der
„Ratsgruppe für soziale Fragen“ vom 22. Februar, 5. März und 12. März 1996
vorgelegt, denen zu entnehmen ist, daß die Frage der Repräsentativität der
Unterzeichner im Rat erörtert worden ist.
- 92.
- Unter diesen Umständen kann die Klägerin mit der bloßen Behauptung,
Kommission und Rat hätten die Repräsentativität der Unterzeichner der
Rahmenvereinbarung nicht geprüft, nicht in Frage stellen, daß diese Prüfung durch
Kommission und Rat tatsächlich erfolgt ist, wie sich aus den vom Rat vorgelegten
Beweisstücken ergibt. Jedenfalls belegen die verschiedenen Tabellen, die der Rat
als Anlage zu seiner Gegenerwiderung vorgelegt hat, und die Studie der
Kommission, die der übrigens seinerzeit von der Klägerin nicht beanstandeten
Einstufung der Sozialpartner im Verzeichnis in Anhang 2 der Mitteilung zugrunde
lag, zumindest, daß Rat und Kommission laufend über die Repräsentativität der
verschiedenen beteiligten Sozialpartner informiert waren.
- 93.
- Zweitens ist zu prüfen, ob die Prüfung der Gesamtrepräsentativität der
Unterzeichner der Rahmenvereinbarung durch Kommission und Rat den insoweit
geltenden Anforderungen genügt, wie sie in den Randnummern 83 bis 90 dieses
Urteils dargestellt sind.
- 94.
- Die Rahmenvereinbarung bezweckt, Mindestanforderungen für alle
Arbeitsverhältnisse ungeachtet ihres jeweiligen Rahmens festzulegen (vgl. Randnr.
65 dieses Urteils). Das Erfordernis einer ausreichenden Gesamtrepräsentativität ist
somit nur dann erfüllt, wenn die einzelnen Unterzeichner der Rahmenvereinbarung
alle Gruppen von Unternehmen und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene
repräsentieren können.
- 95.
- Im vorliegenden Fall sind die Unterzeichner der Rahmenvereinbarung im
vorliegenden Fall die drei Sozialpartner, die die Kommission in dem Verzeichnis
in Anhang 2 der Mitteilung als überbereichliche Organisationen mit allgemeiner
Bestimmung im Unterschied namentlich zu den überbereichlichen Organisationen,
die nur bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern und Unternehmen vertreten und
zu denen die Klägerin gehört, eingestuft hat.
- 96.
- Daher ist a priori nicht zu beanstanden, daß der Rat auf der Grundlage der
Beurteilung durch die Kommission davon ausgegangen ist, daß die Unterzeichner
der Rahmenvereinbarung angesichts ihres überbereichlichen Charakters und ihrer
allgemeinen Bestimmung über eine ausreichende Gesamtrepräsentativität im
Hinblick auf den Inhalt der Vereinbarung verfügen.
- 97.
- Die Klägerin bestreitet zwar nicht den überbereichlichen Charakter der
Organisationen, die die Rahmenvereinbarung unterzeichnet haben, meint indessen,
daß die beiden überbereichlichen Unternehmensorganisationen UNICE und CEEP
keine allgemeinere Bestimmung als sie selbst hätten. Sie weist insoweit darauf hin,
daß sie zum einen viel mehr KMU (jeder Größe) vertrete als die UNICE und daß
zum anderen das CEEP nur die Interessen öffentlicher Unternehmen vertrete, die
wirtschaftlich gesehen nicht so bedeutend seien wie die von ihr vertretenen
Unternehmen.
- 98.
- Zur UNICE ist festzustellen, daß diese zum Zeitpunkt des Abschlusses der
Rahmenvereinbarung unstreitig Unternehmen jeder Größe des privaten Sektors
vertrat, so daß sie auch KMU vertreten konnte, und daß zu ihren Mitgliedern auch
KMU-Vereinigungen gehörten, von denen mehrere auch der Klägerin
angeschlossen waren. Auch die Tabelle in der Anlage 2 zur Gegenerwiderung
(S. 36), zu der die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keine Stellung
genommen hat, weist aus, daß die der UNICE angeschlossenen nationalen
Vereinigungen Unternehmen der Industrie, des Dienstleistungssektors, des Handels
und des Handwerks sowie KMU zu ihren Mitgliedern zählen.
- 99.
- Die Klägerin kann die allgemeine Bestimmung der UNICE auch nicht durch den
Hinweis darauf in Frage stellen, daß ihre Mitglieder mehr KMU verträten als die
Mitglieder der UNICE. Dieser Umstand spricht nämlich eher für als gegen die
allgemeine Bestimmung der UNICE, die die Aufgabe hat, die Interessen von
Unternehmen aller Art zu vertreten, während eine Berufsvereinigung wie die
Klägerin eine spezifischere Bestimmung hat.
- 100.
- Was das CEEP angeht, so spielt zwar die Klägerin dessen wirtschaftliche
Bedeutung herunter, bestreitet indessen nicht, daß diese überbereichliche
Organisation die Gesamtheit der Unternehmen des öffentlichen Sektors auf
Gemeinschaftsebene ohne Rücksicht auf die Unternehmensgröße vertritt. Daß ihr
in Anhang 2 der Mitteilung und Artikel 1 der Richtlinie 96/34 eine allgemeine
Bestimmung zuerkannt wird, kann daher die Prüfung der ausreichenden
Gesamtrepräsentativität, die Rat und Kommission vorzunehmen hatten, ebenfalls
nicht fehlerhaft machen. Außerdem zeigt sich, daß anders als im Fall der Klägerin
das Fehlen des CEEP unter den Unterzeichnern der Rahmenvereinbarung deren
ausreichende Gesamtrepräsentativität im Hinblick auf den Inhalt der Vereinbarung
entscheidend beeinträchtigt hätte, weil eine besondere Gruppe von Unternehmen,
nämlich die des öffentlichen Sektors, im vorliegenden Fall überhaupt nicht
vertreten gewesen wäre.
- 101.
- Zu prüfen ist noch, ob, wie die Klägerin meint, trotz der allgemeinen Bestimmung
der überbereichlichen Unternehmensorganisationen, die die Rahmenvereinbarung
geschlossen haben, ihre Gesamtrepräsentativität im Hinblick auf deren Inhalt nicht
ausreichend war. Nach Auffassung der Klägerin folgt aus der Zahl der von ihr
vertretenen KMU und der besonderen Aufmerksamkeit, die Artikel 2 Absatz 2
Unterabsatz 1 des Abkommens dieser Unternehmensgruppe widmet, zwingend, daß
ihre Nichtberücksichtigung bei den Verhandlungen über die Rahmenvereinbarung
die Gesamtrepräsentativität der mit der Wahrnehmung der
Unternehmensinteressen betrauten Sozialpartner unzureichend macht. Dies zeige
der Inhalt der Rahmenvereinbarung, der den Interessen der KMU entgegen Artikel
2 Absatz 2 des Abkommens besonders abträglich sei.
- 102.
- Diesen Rügen der Klägerin ist nicht zu folgen. Zunächst ist festzustellen, daß sie
allein auf dem Kriterium der Zahl der von ihr selbst und der von der UNICE
vertretenen KMU beruhen. Auch wenn dieses Kriterium bei der Prüfung der Frage
berücksichtigt werden kann, ob die Gesamtrepräsentativität der Partner der
Rahmenvereinbarung ausreicht, kann es doch im Hinblick auf deren Inhalt nicht
als entscheidend betrachtet werden. Da diese Vereinbarung Arbeitverhältnisse aller
Art betrifft (vgl. Randnr. 65 dieses Urteils), ist weniger die Unternehmens- als
vielmehr die Arbeitgebereigenschaft entscheidend. Gegenüber der Erklärung des
Rates, daß die meisten Mitglieder der Klägerin, die hauptsächlich das Handwerk
vertrete, keine Angestellten hätten, hat die Klägerin trotz ausdrücklicher
Aufforderung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung keinen
Anhaltspunkt für das Gegenteil liefern können. Sie hat bei dieser Gelegenheit
lediglich einige vereinzelte Prozentsätze für den einen oder anderen Mitgliedstaat,
für den das Abkommen gilt, angeführt.
- 103.
- Außerdem ergibt sich aus den verschiedenen Tabellen, die die Klägerin als Anlage
zu ihrer Erwiderung und der Rat als Anlage zu seiner Gegenerwiderung übermittelt
haben, daß von den KMU, die die Klägerin in den vierzehn vom Abkommen
betroffenen Mitgliedstaaten vertritt (5 565 300 nach der Tabelle in Anlage 1 zur
Erwiderung; 4 835 658 nach der Tabelle in Anlage 1 zur Gegenerwiderung, ergänzt
durch die Antworten der Klägerin auf die schriftlichen Fragen des Gerichts, sowie
6 600 000 nach Bekundung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung), ein
Drittel (2 200 000 von 6 600 000 nach den Angaben der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung) bzw. zwei Drittel (3 217 000 von 4 835 658 nach der
Tabelle in Anlage 1 zur Gegenerwiderung) noch zusätzlich einer Organisation
angeschlossen sind, die von der UNICE vertreten wird.
- 104.
- Schließlich kann die Klägerin nicht aus Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 des
Abkommens einen Grad von Repräsentativität ableiten, aus dem zwingend folgen
würde, daß der Abschluß einer Vereinbarung zwischen überbereichlichen
Organisationen mit allgemeiner Bestimmung ohne ihre Beteiligung nicht dem
Erfordernis einer ausreichenden Gesamtrepräsentativität entspräche. Insoweit ist
erneut darauf hinzuweisen, daß es sich hier um eine materiell-rechtliche
Bestimmung handelt, deren Einhaltung jeder Betroffene mittels des geeigneten
Rechtsbehelfs erzwingen kann (vgl. Randnr. 80 dieses Urteils).
- 105.
- Was schließlich die Berücksichtigung der Interessen der KMU angeht, so ergibt sich
bereits aus dem Wortlaut der Rahmenvereinbarung, daß diese in den
Verhandlungen, die zum Abschluß der Vereinbarung geführt haben, nicht
unberücksichtigt geblieben sind. So heißt es in Ziffer 12 der Allgemeinen
Erwägungen der Rahmenvereinbarung: „Diese Vereinbarung berücksichtigt die
Notwendigkeit, die sozialpolitischen Anforderungen zu verbessern, die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der Gemeinschaft zu stärken und zu
vermeiden, daß verwaltungstechnische, finanzielle und rechtliche Zwänge auferlegt
werden, die Gründung und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen
hemmen.“ In Paragraph 2 Nummer 3 Buchstabe f der Rahmenvereinbarung heißt
es, daß die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner „die Genehmigung erteilen
[können], daß besondere Vorkehrungen getroffen werden, um den Bedürfnissen der
kleinen Unternehmen im Blick auf Arbeitsweise und Organisation gerecht zu
werden“.
- 106.
- Jedenfalls lassen die Beanstandungen, die die Klägerin unter Behauptung eines
Verstoßes gegen Artikel 2 Absatz 2 des Abkommens gegen den Inhalt der
Rahmenvereinbarung vorbringt, in keiner Weise erkennen, daß irgendeine ihrer
Bestimmungen verwaltungsmäßige, finanzielle und rechtliche Zwänge auferlegte,
die der Gründung und Entwicklung von KMU entgegenstünden. Zweck des Artikels
2 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Abkommens ist nicht, den Erlaß von Maßnahmen zu
verbieten, die zu verwaltungsmäßigen, finanziellen und rechtlichen Zwängen für die
KMU führen könnten; die Bestimmung soll vielmehr dafür Sorge tragen, daß die
im sozialen Bereich erlassenen Maßnahmen die Gründung und Entwicklung von
KMU nicht durch verwaltungsmäßige, finanzielle und rechtliche Zwänge
verhältnismäßig behindern. Außerdem verfügen die Mitgliedstaaten und/oder die
Sozialpartner entsprechend der Natur der Maßnahme des Rates zur Durchführung
der Rahmenvereinbarung noch über einen Beurteilungspielraum bei der Umsetzung
der Mindestbestimmungen dieser Rahmenvereinbarung.
- 107.
- Zunächst läßt sich entgegen der Ansicht der Klägerin Paragraph 2 Nummer 3
Buchstaben e und f der Rahmenvereinbarung nicht entnehmen, daß die mittleren
Unternehmen die Gewährung des von einem Arbeitnehmer beantragten
Elternurlaubs nicht verschieben dürften. Der Wortlaut des Paragraphen 2 Nummer
3 Buchstabe e läßt eine solche Annahme nicht zu. Außerdem ist die Aufzählung
der Gründe, aus denen von dieser Befugnis zur Verschiebung der Gewährung des
Elternurlaubs Gebrauch gemacht werden kann, nicht erschöpfend, weil nach dem
Wortlaut der Rahmenvereinbarung die in der Klammer genannten Gründe lediglich
Beispielcharakter haben. Die von der Klägerin vorgetragene Auslegung des
Paragraphen 2 Nummer 3 Buchstabe e trifft daher offensichtlich nicht zu.
Paragraph 2 Nummer 3 Buchstabe f der Rahmenvereinbarung ist so zu verstehen,
daß er allein zugunsten der kleinen Unternehmen eine ergänzende Möglichkeit
eröffnet, die Inanspruchnahme des Rechts auf Elternurlaub auszugestalten, um
deren Bedürfnissen im Hinblick auf Arbeitsweise und Organisation gerecht zu
werden. Diese nur für kleine Unternehmen bestehende Möglichkeit bedeutet
indessen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, daß mittleren Unternehmen
das Recht nach Paragraph 2 Nummer 3 Buchstabe e der Rahmenvereinbarung auf
Verschiebung der Gewährung des Elternurlaubs aus bestimmten Gründen
genommen würde.
- 108.
- Sodann sieht zwar der Wortlaut der Rahmenvereinbarung nicht die Möglichkeit
einer Ausnahmeregelung für den Kündigungsschutz in dem Fall vor, daß die
wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers durch die Aufrechterhaltung des
Arbeitsvertrags während und nach dem Elternurlaub beeinträchtigt werden.
Abgesehen davon, daß die Zulassung einer Vertragsauflösung durch den
Arbeitgeber wegen des Elternurlaubs dem Begriff des Elternurlaubs jeden Sinn
nähme, hat die Klägerin jedoch nicht nachgewiesen oder vor dem Gericht auch nur
dargelegt, inwieweit das Fehlen einer solchen Möglichkeit für die KMU im
vorliegenden Fall der Auferlegung solcher verwaltungsmäßiger, finanzieller und
rechtlicher Zwänge gleichkäme, daß die Gründung und Entwicklung kleiner und
mittlerer Unternehmen behindert wäre.
- 109.
- Schließlich können auch die Bestimmungen der Rahmenvereinbarung über die
Dauer des Elternurlaubs als solche nicht gegen Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 1
des Abkommens verstoßen. Paragraph 2 Nummer 1 der Rahmenvereinbarung
schreibt nämlich für den Elternurlaub zwingend eine Mindestdauer von drei
Monaten vor, sieht jedoch keine allgemeine und absolute Höchstdauer vor, so daß
diese bei der Umsetzung festgelegt werden kann. Es heißt dort: „Nach dieser
Vereinbarung haben erwerbstätige Männer und Frauen nach Maßgabe des
Paragraphen 2 Nummer 2 ein individuelles Recht auf Elternurlaub im Fall der
Geburt oder Adoption eines Kindes, damit sie sich bis zu einem bestimmten Alter
des Kindes das Alter kann bis zu acht Jahren gehen für die Dauer von
mindestens drei Monaten um dieses Kind kümmern können. Die genauen
Bestimmungen sind von den Mitgliedstaaten und/oder Sozialpartnern festzulegen.“
Der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt zum einen, daß mit ihr keine
verwaltungsmäßigen, finanziellen und rechtlichen Zwänge auferlegt werden, die die
Gründung und Entwicklung von KMU behindern könnten, und zum anderen, daß
ein weiter Beurteilungsspielraum für diejenigen verbleibt, die die
Rahmenvereinbarung umzusetzen haben.
- 110.
- Folglich sind Kommission und Rat gemäß ihren Verpflichtungen, die sich für sie
insbesondere aus dem Gebot der Wahrung eines grundlegenden demokratischen
Prinzips ergeben, zu Recht davon ausgegangen, daß die Gesamtrepräsentativität
der Unterzeichnerparteien der Rahmenvereinbarung im Hinblick auf deren Inhalt
ausreichend war, um diese Vereinbarung mit einer Gesetzgebungsmaßnahme des
Rates nach Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens durchzuführen. Diese auf den
vorliegenden Fall beschränkte Feststellung berührt weder die eigene
Repräsentativität der Klägerin als überbereichlicher Organisation, die spezifisch
und ausschließlich die Interessen der KMU vertritt, noch die Beurteilung der Frage,
ob im Fall einer anderen Vereinbarung, deren Durchführung durch den Rat gemäß
Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens beantragt werden sollte, die Sozialpartner, die
diese Vereinbarung unterzeichnet haben, über eine ausreichende
Gesamtrepräsentativität verfügen.
- 111.
- Die Klägerin hat demnach nicht dargetan, daß sie sich im vorliegenden Fall
aufgrund ihrer Repräsentativität von allen anderen von der Kommission angehörten
Organisationen der Sozialpartner unterscheidet, die die Rahmenvereinbarung
ebenfalls nicht abgeschlossen haben, und daß sie daher das Recht hatte, vom Rat
zu verlangen, daß er die Durchführung der Rahmenvereinbarung auf
Gemeinschaftsebene verhindert (vgl. Randnr. 90 dieses Urteils).
- 112.
- Aus alledem folgt, daß die Klägerin, da sie durch die Richtlinie 96/34 nicht wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften und besonderer, sie aus dem Kreis aller
übrigen Personen heraushebender Umstände berührt wird, im vorliegenden Fall
nicht als durch diese Richtlinie individuell betroffen angesehen werden kann.
Demgemäß ist die Klage für unzulässig zu erklären.
Kosten
- 113.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin und ihre Streithelfer mit
ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem dahingehenden Antrag
des Rates dessen Kosten aufzuerlegen.
- 114.
- Gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die
Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
Demnach sind der Kommission als Streithelferin ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Klägerin und ihre Streithelfer tragen die Kosten des Rates.
3. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten.
Lindh García-Valdecasas Lenaerts
Cooke Jaeger
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juni 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
P. Lindh