Language of document : ECLI:EU:C:2024:485

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

7. Juni 2024(*)

„Beschleunigtes Verfahren“

In den verbundenen Rechtssachen C‑185/24 und C‑189/24 [Tudmur](i)

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Beschlüssen vom 14. Februar 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2024 (C‑185/24) und am 8. März 2024 (C‑189/24), in den Verfahren

RL (C‑185/24),

QS (C‑189/24)

gegen

Bundesrepublik Deutschland

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung der Berichterstatterin K. Jürimäe und des Generalanwalts M. Szpunar


folgenden

Beschluss

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung).

2        Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen RL bzw. QS auf der einen Seite und der Bundesrepublik Deutschland auf der anderen Seite über Bescheide, mit denen Asylanträge von RL und QS als unzulässig abgelehnt wurden und ihre Abschiebung nach Italien angeordnet wurde.

3        Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) hat beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in beiden Rechtssachen gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung dahin gehend auszulegen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringen, wenn dieser Mitgliedstaat aufgrund staatlich angeordneter Aussetzung der Annahme von Überstellungen die (Wieder‑)Aufnahme von Asylantragstellern für einen unbestimmten Zeitraum grundsätzlich verweigert?

2.      Falls Frage 1 zu verneinen ist: Ist Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin‑III-Verordnung dahin gehend auszulegen, dass die unionsrechtlichen Vorgaben an die Sachverhaltsaufklärung, die die Feststellung objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen zu überstellender Antragsteller erfordern, eine Einschränkung erfahren, wenn das erkennende Gericht diese Angaben nicht erhalten kann, sondern nur einen hypothetischen Sachverhalt ermitteln könnte, weil der in den Blick zu nehmende Mitgliedstaat grundsätzlich die (Wieder‑)Aufnahme von Asylantragstellern aufgrund staatlich angeordneter Aussetzung der Annahme von Überstellungen für einen unbestimmten Zeitraum grundsätzlich verweigert?

4        Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. April 2024 sind die Rechtssachen C‑185/24 und C‑189/24 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

5        Das vorlegende Gericht hat ferner beantragt, die vorliegenden Rechtssachen im beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu behandeln.

6        Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs, wenn die Art einer Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert, auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, die Rechtssache einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen.

7        Angesichts der Gründe, auf die das vorlegende Gericht seinen Antrag auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens in den vorliegenden Rechtssachen stützt, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die beträchtliche Zahl von Personen oder Rechtsverhältnissen, die möglicherweise von der Entscheidung betroffen sind, die ein vorlegendes Gericht zu treffen hat, nachdem es den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, als solche keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte. Das Gleiche gilt für die beträchtliche Zahl von Rechtssachen, die bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt werden könnten (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. November 2023, Barało, C‑530/23, EU:C:2023:927, Rn. 6).

8        In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall die Zahl der von den Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts betroffenen Rechtssachen nicht so groß ist, dass die Ungewissheit über ihren Ausgang die Gefahr bärge, das Funktionieren des durch die Dublin‑III-Verordnung eingeführten Systems zu beeinträchtigen und infolgedessen das vom Unionsgesetzgeber in Anwendung von Art. 78 AEUV geschaffene gemeinsame europäische Asylsystem zu schwächen (vgl. im Umkehrschluss Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15. Februar 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:120, Rn. 11, und vom 15. Februar 2017, Jafari, C‑646/16, EU:C:2017:138, Rn. 11).

9        Nach alledem erfordert die Art der vorliegenden Vorabentscheidungssachen nicht ihre rasche Erledigung. Folglich kann den Anträgen des vorlegenden Gerichts, diese Rechtssachen gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung in einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu behandeln, nicht stattgegeben werden.


Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

Die Anträge des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) auf Behandlung der Rechtssachen C185/24 und C189/24 im beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs werden zurückgewiesen.

Luxemburg, den 7. Juni 2024

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


i      Die vorliegenden Rechtssachen sind mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.