Language of document : ECLI:EU:T:2008:416

Rechtssache T-73/04

Le Carbone-Lorraine

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb − Kartelle − Markt für elektrotechnische und mechanische Kohlenstoff- und Graphitprodukte − Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen − Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung − Mildernde Umstände − Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens − Grundsatz der Verhältnismäßigkeit − Grundsatz der Gleichbehandlung“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Komplexe Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

2.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Einheitliche Zuwiderhandlung

(Art. 81 Abs. 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

3.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Anwendung durch die Kommission – Selbständigkeit gegenüber den Beurteilungen der Behörden von Drittstaaten

(Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG und Art. 81 EG)

4.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Berücksichtigung der Auswirkungen der gesamten Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Festsetzung der Preise – Verpflichtung der Kommission, sich bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Wettbewerb zu beziehen, der ohne Zuwiderhandlung geherrscht hätte

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

6.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Schwere der Beteiligung jedes Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98C 9/03 der Kommission)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens – Mit den Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, erzielter Umsatz

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Begründungspflicht

(Art. 253 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98C 9/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckungswirkung – Allgemeines Erfordernis, von dem sich die Kommission bei der gesamten Bußgeldberechnung leiten lassen muss

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Einführung eines Programms zur Befolgung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Passive Mitwirkung oder Mitläufertum des Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3, erster Gedankenstrich)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Verordnung Nr. 2842/98 der Kommission; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Von den kartellinternen Vereinbarungen abweichendes Verhalten

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3, zweiter Gedankenstrich)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Abstellung der Zuwiderhandlung vor dem Eingreifen der Kommission

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3, dritter Gedankenstrich)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit, die es erlaubt, den Grad der Beteiligung eines anderen Unternehmens zu bestimmen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3, sechster Gedankenstrich)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission, Abschnitt D Abs. 2)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Finanzlage des betreffenden Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15)

1.      Im Rahmen der Anwendung von Art. 81 EG ist gegebenenfalls der relevante Markt festzulegen, um zu bestimmen, ob eine Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezweckt oder bewirkt. Folglich ist die Kommission nur dann verpflichtet, in einer Entscheidung aufgrund von Art. 81 EG eine Abgrenzung des relevanten Markts vorzunehmen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht bestimmt werden kann, ob die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise, um die es geht, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezweckt oder bewirkt.

Die Kommission ist nicht verpflichtet, die relevanten Produktmärkte abzugrenzen, um die Schwere einer Zuwiderhandlung für jede betroffene Produktkategorie prüfen zu können. Zunächst sind nämlich nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Markts zu berücksichtigen. Nach den Leitlinien ist die Kommission aber nicht verpflichtet, die Auswirkungen eines Kartells speziell für jede relevante Produktkategorie zu prüfen. Zudem ist die Kommission bei einer komplexen einheitlichen Zuwiderhandlung, die mehrere Produkte betrifft, nicht verpflichtet, jeden Teil der Zuwiderhandlung getrennt zu untersuchen, und sie braucht auch nicht die Schwere jeder Zuwiderhandlung zu prüfen, wenn sie einem Unternehmen, das mehrere Zuwiderhandlungen begangen hat, eine einzige Geldbuße auferlegt; diese Schlussfolgerung lässt keine willkürliche Kollektivbestrafung der an einem Kartell beteiligten Unternehmen zu.

Nach Nr. 1 Teil A Abs. 6 der Leitlinien kann eine eingeschränkte Marktpräsenz unter Umständen im Rahmen der „differenzierten Behandlung“ der an einem Kartell beteiligten Unternehmen zu einem geringeren Ausgangsbetrag führen. Zudem muss die Kommission das relative Gewicht der Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens bei der Beurteilung etwaiger mildernder Umstände prüfen.

(vgl. Randnrn. 36, 45-46, 48-52)

2.      Im Rahmen der Anwendung von Art. 81 EG steht es der Kommission frei, für Verhaltensweisen, die mehrere gesonderte Produkte betreffen, nur ein Verfahren einzuleiten, das zum Erlass einer einheitlichen Entscheidung führen kann, mit der festgestellt wird, dass ein Unternehmen mehrere gesonderte Zuwiderhandlungen begangen hat, und gegen dieses Unternehmen ebenso viele gesonderte Geldbußen verhängt werden, von denen jede innerhalb der in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 festgelegten Grenzen bleibt. Ist die Kommission der Ansicht, dass insbesondere in Anbetracht der Funktionsweise des fraglichen Kartells alle vom Verfahren erfassten Produkte Gegenstand einer komplexen einheitlichen Zuwiderhandlung sind, so kann sie beschließen, eine einheitliche Entscheidung zu erlassen, mit der jedem betroffenen Unternehmen eine einheitliche Geldbuße auferlegt wird; dies ist weder unlogisch, noch verstößt es gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung.

(vgl. Randnrn. 56, 63-66)

3.      Die Praxis der der mit dem Schutz des freien Wettbewerbs betrauten Behörden von Drittstaaten nicht die Kommission binden kann, die für die Durchführung und Ausrichtung der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft verantwortlich ist. Die Ausübung der Befugnisse durch die Behörden von Drittstaaten im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit muss den in diesen Staaten bestehenden Anforderungen genügen. Die den Rechtsordnungen anderer Staaten im Bereich des Wettbewerbs zugrunde liegenden Elemente enthalten nämlich nicht nur spezielle Zwecke und Zielsetzungen, sondern führen auch zum Erlass besonderer materieller Vorschriften sowie zu ganz unterschiedlichen Rechtsfolgen im Bereich des Verwaltungs-, Straf- oder Zivilrechts, wenn die Behörden der genannten Staaten das Vorliegen von Zuwiderhandlungen gegen die anwendbaren Wettbewerbsregeln festgestellt haben. Ganz anders ist die Rechtslage dagegen, wenn auf ein Unternehmen im Bereich des Wettbewerbs ausschließlich das Gemeinschaftsrecht und das Recht eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zur Anwendung kommt, d. h., wenn sich ein Kartell ausschließlich auf den örtlichen Anwendungsbereich der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft beschränkt.

Daraus folgt, dass die Kommission, wenn sie das rechtswidrige Verhalten eines Unternehmens ahndet, auch dann, wenn dieses Verhalten seinen Ursprung in einem Kartell mit internationalem Charakter hat, zum Schutz des freien Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts tätig wird, der nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG ein grundlegendes Ziel der Gemeinschaft darstellt. Aufgrund des speziellen Charakters des auf Gemeinschaftsebene geschützten Rechtsguts können die Beurteilungen, die die Kommission aufgrund ihrer einschlägigen Befugnisse vornimmt, erheblich von den Beurteilungen durch die Behörden von Drittstaaten abweichen.

(vgl. Randnrn. 57-60)

4.      Ist die Kommission der Auffassung, dass eine Gesamtheit von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen eine komplexe und einheitliche Zuwiderhandlung darstellt, so ist sie bei der Beurteilung des Ausgangsbetrags der Geldbußen weder verpflichtet, die rechtswidrigen Verhaltensweisen auf jedem der betroffenen Märkte konkret zu prüfen, noch braucht sie das von einem Unternehmen behauptete tatsächliche Verhalten zu berücksichtigen; zu berücksichtigen sind allein die Auswirkungen der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit.

(vgl. Randnrn. 80, 89-90, 95, 97, 102)

5.      Bei der Beurteilung der konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt muss sich die Kommission auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne eine Zuwiderhandlung geherrscht hätte.

Im Fall einer Preisabsprache darf die Kommission annehmen, dass die Zuwiderhandlung Auswirkungen hatte, wenn die Kartellmitglieder Maßnahmen zur Anwendung der vereinbarten Preise trafen, indem sie diese z. B. den Kunden ankündigten, ihre Mitarbeiter anwiesen, sie als Verhandlungsgrundlage zu benutzen, und die Anwendung durch ihre Konkurrenten sowie ihren eigenen Vertrieb überwachten. Um auf eine Auswirkung auf den Markt schließen zu können, genügt es nämlich, dass die vereinbarten Preise als Grundlage für die Festlegung individueller Transaktionspreise dienten und damit den Verhandlungsspielraum der Kunden einschränkten.

Dagegen kann, wenn die Umsetzung eines Kartells erwiesen ist, von der Kommission nicht verlangt werden, systematisch darzulegen, dass die Vereinbarungen es den betroffenen Unternehmen tatsächlich ermöglichten, ein höheres Niveau der Transaktionspreise als ohne Kartell zu erzielen. Insoweit kann der These, bei der Ermittlung der Schwere der Zuwiderhandlung könne nur berücksichtigt werden, dass ohne Absprache ein anderes Niveau der Transaktionspreise bestanden hätte, nicht gefolgt werden Im Übrigen wäre es unverhältnismäßig, eine solche Darlegung zu verlangen, die beträchtliche Ressourcen in Anspruch nehmen würde, weil sie den Rückgriff auf hypothetische Berechnungen anhand wirtschaftlicher Modelle erfordern würde, deren Genauigkeit nur schwer gerichtlich nachprüfbar und deren Unfehlbarkeit keineswegs erwiesen ist.

Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ist entscheidend, ob die Kartellmitglieder alles in ihrer Macht Stehende taten, damit ihre Pläne konkrete Auswirkungen hatten. Die Kartellmitglieder können externe Faktoren, die ihre Bemühungen durchkreuzten, nicht zu ihren Gunsten anführen und zu Umständen umdeuten, die eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigen.

Die Kommission ist somit berechtigt, aus der Umsetzung des Kartells auf das Vorliegen einer Auswirkung auf den Markt zu schließen, ohne dass es einer genauen Bezifferung des Umfangs dieser Auswirkung bedarf.

Die Einstufung einer Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ kann auch dann angemessen sein, wenn die Kommission eine konkrete Auswirkung des Kartells nicht in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen hat. Die drei nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, bei der Ermittlung der Schwere des Verstoßes zu berücksichtigenden Aspekte – die Art des Verstoßes, seine konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Markts – haben nämlich im Rahmen der Gesamtprüfung nicht das gleiche Gewicht. Die Art der Zuwiderhandlung spielt insbesondere bei der Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ eine vorrangige Rolle. Insoweit ergibt sich aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den Leitlinien, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere auf die Festsetzung der Preise abzielen, allein schon aufgrund ihres Wesens als „besonders schwer“ eingestuft werden können, ohne dass diese Verhaltensweisen durch eine besondere Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet zu sein brauchen. Dies wird dadurch bestätigt, dass in der Beschreibung der schweren Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Markts zum Tragen kommen, während die Beschreibung der besonders schweren Verstöße kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder von Auswirkungen in einem besonderen räumlichen Bereich enthält.

(vgl. Randnrn. 83-87, 91)

6.      im Rahmen der Ermittlung des Betrags einer Geldbuße wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln anhand der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ist zwischen der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung, die das Ausgangsniveau der Geldbuße bestimmen soll, und der Beurteilung der relativen Schwere des Tatbeitrags jedes betroffenen Unternehmens zu unterscheiden, wobei die letztgenannte Frage im Rahmen der eventuellen Berücksichtigung erschwerender oder mildernder Umstände zu prüfen ist.

(vgl. Randnr. 100)

7.      Die Kommission ist bei der Ermittlung der Höhe der Geldbußen anhand von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung nicht verpflichtet, ihre Berechnung ausgehend von Beträgen vorzunehmen, die auf dem Umsatz der betreffenden Unternehmen, insbesondere auf dem mit den relevanten Produkten erzielten Umsatz, beruhen. Wenn somit auch der letztgenannte Umsatz eine geeignete Grundlage darstellen kann, um die Schädigung des Wettbewerbs auf dem betroffenen Produktmarkt und die relative Bedeutung der Kartellteilnehmer im Hinblick auf die betroffenen Produkte zu ermitteln, ist doch dieser Gesichtspunkt bei weitem nicht das einzige Kriterium, nach dem die Kommission die Schwere der Zuwiderhandlung zu beurteilen hat. Diesem Gesichtspunkt würde eine übermäßige Bedeutung zuerkannt, wenn die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Ausgangsbetrags der Geldbuße darauf beschränkt bliebe, nur das Verhältnis dieses Betrags zu dem Umsatz mit den in Frage stehenden Produkten zu würdigen. Die Art der Zuwiderhandlung, ihre konkreten Auswirkungen, der räumliche Umfang des betroffenen Markts und die erforderliche Abschreckungskraft der Geldbuße sind weitere Kriterien, die den genannten Betrag rechtfertigen können.

(vgl. Randnrn. 114, 118-119)

8.      Bei der Festsetzung von Geldbußen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts genügt die Kommission ihrer Begründungspflicht, wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die es ihr ermöglichten, Schwere und Dauer der begangenen Zuwiderhandlung zu ermessen; sie ist nicht verpflichtet, darin eingehendere Ausführungen oder Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen. Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbußen sind, so nützlich sie auch sein mögen, für die Beachtung der Begründungspflicht nicht unabdingbar.

Was die Begründung für die Ausgangsbeträge in absoluten Zahlen angeht, so stellen die Geldbußen ein Instrument der Wettbewerbspolitik der Kommission dar, die bei ihrer Festsetzung eines Ermessens bedarf, um die Unternehmen dazu anhalten zu können, die Wettbewerbsregeln einzuhalten. Außerdem muss verhindert werden, dass die Geldbußen für die Wirtschaftsteilnehmer leicht vorhersehbar sind. Daher kann nicht verlangt werden, dass die Kommission insoweit andere als die die Schwere der Zuwiderhandlung betreffenden Begründungsfaktoren liefert.

(vgl. Randnrn. 129-130)

9.      Da die Abschreckung einen Zweck der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, ist das Erfordernis ihrer Gewährleistung ein allgemeines Erfordernis, von dem sich die Kommission bei der gesamten Bußgeldberechnung leiten lassen muss, so dass diese Berechnung nicht zwingend einen speziellen Abschnitt umfassen muss, der zur Gesamtbeurteilung aller für die Verwirklichung dieses Zweckes relevanten Umstände dient.

Die Kommission hat für die Berücksichtigung des Abschreckungszwecks in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, keine individualisierten Methoden oder Kriterien festgelegt, deren Einzeldarstellung verbindlich sein könnte. Nr. 1 Teil A Abs. 4 der Leitlinien erwähnt im Zusammenhang mit den Hinweisen zur Beurteilung der Schwere eines Verstoßes nur, dass es nötig sein wird, die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet.

(vgl. Randnrn. 131-132)

10.    Es ist zwar wichtig, dass ein Unternehmen Maßnahmen wie die Schaffung eines Programms zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln ergreift, um künftige erneute Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhindern, doch ändert dies nichts an der Tatsache der festgestellten Zuwiderhandlung. Die Kommission ist somit nicht verpflichtet, diesen Gesichtspunkt im Rahmen der Ermittlung der Höhe einer Geldbuße wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln oder bei der Berücksichtigung der Abschreckungswirkung der Geldbuße als mildernden Umstand heranzuziehen, vor allem nicht, wenn die fragliche Zuwiderhandlung einen offensichtlichen Verstoß gegen Art. 81 EG darstellt. Insoweit ist es unerheblich, dass solche Maßnahmen vor dem Eingreifen der Kommission getroffen wurden. Überdies lässt sich nicht feststellen, wie wirksam interne Maßnahmen eines Unternehmens sind, die weitere Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht verhindern sollen.

(vgl. Randnrn. 143-144, 231)

11.    Die „ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum“ eines Unternehmens bei der Verwirklichung einer Zuwiderhandlung stellen, wenn erwiesen, nach Nr. 3 erster Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, einen mildernden Umstand dar, wobei diese passive Rolle impliziert, dass sich das betroffene Unternehmen nicht hervorgetan hat, d. h. nicht aktiv an der Ausarbeitung der wettbewerbswidrigen Absprache(n) teilgenommen hat.

Ein Anhaltspunkt für die passive Rolle eines Unternehmens innerhalb eines Kartells kann sein, dass es deutlich seltener als dessen übrige Mitglieder an den Besprechungen teilgenommen hat, dass es spät in den Markt, auf dem die Zuwiderhandlung stattgefunden hat, eingetreten ist, unabhängig davon, wie lange es an der Zuwiderhandlung mitgewirkt hat, oder dass es entsprechende ausdrückliche Aussagen von Vertretern dritter an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen gibt. Es genügt daher nicht, dass sich das betreffende Unternehmen während bestimmter Zeiträume des Kartells oder hinsichtlich bestimmter Absprachen des Kartells „nicht hervorgetan“ hat Eine Betrachtungsweise, die darin besteht, das Verhalten eines Unternehmens je nach Gegenstand der betreffenden Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen getrennt voneinander zu beurteilen, erscheint zudem zumindest dann theoretisch, wenn sie zu einer allgemeinen, die Vorgehensweisen der Kartellmitglieder auf dem Markt festlegenden und ihre kommerzielle Handlungsfreiheit beschränkenden Strategie gehören, die einen gleichen wettbewerbswidrigen Zweck und ein einheitliches wirtschaftliches Ziel verfolgt, nämlich die Verfälschung der normalen Preisentwicklung und die Beschränkung des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt.

Im Übrigen rechtfertigt der Umstand, dass ein Unternehmen seine Beteiligung am Kartell nur einige Monate vor den anderen Kartellmitgliedern beendete, keine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund des mildernden Umstandes „ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum“.

(vgl. Randnrn. 163-164, 179-180, 184)

12.    Wendet die Kommission in einer Entscheidung die in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, festgelegte Methode an und kommt in Bezug auf ein Unternehmen zu dem Ergebnis, dass keine mildernden Umstände vorliegen, so ist dieses Unternehmen berechtigt, vom Gemeinschaftsrichter die Zubilligung eines mildernden Umstands und die entsprechende Herabsetzung der Geldbuße zu verlangen, auch wenn es dies in seiner Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht gefordert hatte.

Art. 4 der Verordnung Nr. 2842/98 über die Anhörung in bestimmten Verfahren nach Artikel [81 EG] und [82 EG], der vorsieht, dass die Beteiligten, die zu den gegen sie in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten Stellung nehmen wollen, sich schriftlich äußern und in ihrer schriftlichen Äußerung alles zu ihrer Verteidigung Zweckdienliche vortragen können, verlangt nicht, dass Unternehmen, an die sich eine Mitteilung der Beschwerdepunkte richtet, Anträge auf Anerkennung mildernder Umstände in einer speziellen Form stellen.

Die Mitteilung der Beschwerdepunkte ist ferner ein vorbereitender Akt im Verhältnis zur Entscheidung, die den Abschluss des Verfahrens bildet und in der die Kommission sich zur Verantwortung der Unternehmen und gegebenenfalls zu den ihnen aufzuerlegenden Sanktionen äußert.

Bei der Festsetzung der Geldbußen hat die Kommission alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung, die als Kriterien in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 ausdrücklich genannten werden. Wird eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen, so hat die Kommission die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen von ihnen zu prüfen, um zu ermitteln, ob bei ihnen erschwerende oder mildernde Umstände vorliegen. Die Nrn. 2 und 3 der Leitlinien, von denen die Kommission nicht abweichen darf, sehen eine Abstufung des Grundbetrags der Geldbuße nach bestimmten erschwerenden und mildernden Umständen vor, die dem jeweils betroffenen Unternehmen zuzuordnen sind.

(vgl. Randnrn. 188-194)

13.    Um zu klären, ob einem Unternehmen aufgrund einer tatsächlichen Nichtanwendung wettbewerbswidriger Vereinbarungen ein mildernder Umstand gemäß Nr. 3 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, zuzubilligen ist, ist zu prüfen, ob sich das Unternehmen im Zeitraum seiner Teilnahme an den fraglichen Vereinbarungen tatsächlich deren Durchführung entzog, indem es sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhielt, oder ob es sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung des Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzte, dass dadurch sogar dessen Funktionieren selbst gestört wurde.

(vgl. Randnr. 196)

14.    Einem Unternehmen, das an einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft teilgenommen hat, kann kein mildernder Umstand im Sinne von Nr. 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, zugebilligt werden, wenn es die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen nach dem Eingreifen der Wettbewerbsbehörden von Drittstaaten beendet hat.

(vgl. Randnr. 230)

15.    Bei der Ermittlung der Höhe einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft ist eine Herabsetzung der Geldbuße aufgrund einer Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des betreffenden Unternehmens der Kommission ermöglicht hat, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung leichter festzustellen und sie gegebenenfalls zu beenden.

Wurden Informationen zur Verfügung gestellt, die die Kommission in die Lage versetzten, den Grad der Zusammenarbeit eines in ein Kartell verwickelten Unternehmens im Verfahren zur Festsetzung der Höhe seiner Geldbuße genauer zu beurteilen, und die somit die Aufgabe der Kommission bei ihrer Untersuchung erleichterten, so kann eine „aktive Mitwirkung … außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung [über Zusammenarbeit]“ im Sinne von Nr. 3 sechster Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vorliegen.

Da sich die genannten Informationen auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen beziehen müssen, die Gegenstand der Untersuchung sind, können jedoch Informationen, die sich auf ein anderes als das den Gegenstand der Untersuchung bildende räumliche Gebiet beziehen, nicht berücksichtigt werden.

(vgl. Randnrn. 238-239, 253)

16.    Der Kommission steht hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft ein weites Ermessen zu; sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. Sie verfügt auch über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Qualität und Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen. Angesichts dieses Ermessens, das seinen Ausdruck insbesondere in der Spanne von 10 % bis 50 % findet, die in der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen für den Umfang des Abschlags angesetzt wird, lässt sich der maximale Abschlag von 50 % nicht automatisch aus der Feststellung ableiten, dass die in Abschnitt D Abs. 2 erster und zweiter Gedankenstrich der genannten Mitteilung vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen.

Die Kommission kann sich bei ihrer Beurteilung der Höhe des Abschlags darauf stützen, dass zum einen die von dem betreffenden Unternehmen beigebrachten Beweise gegenüber den Beweisen, die sich bereits in ihrem Besitz befinden, nur von begrenztem Wert sind und dass zum anderen die Zusammenarbeit des genannten Unternehmens begann, nachdem es ein Auskunftsverlangen im Sinne von Art. 11 der Verordnung Nr. 17 erhalten hatte.

Zum einen beruht nämlich die Herabsetzung von Geldbußen im Fall der Kooperation von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft beteiligt waren, auf der Erwägung, dass eine solche Kooperation der Kommission ihre Aufgabe erleichtert, eine Zuwiderhandlung festzustellen und ihr gegebenenfalls ein Ende zu setzen Die Kommission kann daher nicht die Nützlichkeit der vorgelegten Information unberücksichtigt lassen, die sich zwangsläufig nach dem Beweismaterial richtet, das sich bereits in ihrem Besitz befindet. Insoweit kann sie, auch wenn der wesentliche Unterschied, der den Abschnitten B, C und D der Mitteilung über Zusammenarbeit zugrunde liegt, in der Nützlichkeit der beigebrachten Information besteht, das Nützlichkeitskriterium verwenden, um über die Höhe des Abschlags für jede in den genannten Abschnitten vorgesehene Kategorie der Herabsetzung von Geldbußen zu entscheiden.

Zum anderen kann die Kommission im Rahmen einer Gesamtwürdigung den Umstand berücksichtigen, dass ein Unternehmen ihr erst nach Erhalt eines Auskunftsverlangens Unterlagen zur Verfügung gestellt hat, wobei sie diesen Umstand jedoch nicht als ausschlaggebend dafür ansehen darf, die Kooperation eines Unternehmens gemäß Abschnitt D Nr. 2 erster Gedankenstrich der Mitteilung über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen geringer zu bewerten.

(vgl. Randnrn. 271-274, 276-277, 279, 283)

17.    Die Kommission ist zwar nicht verpflichtet, bei der Ermittlung der Höhe einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft die defizitäre finanzielle Lage des betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen; sie kann jedoch beschließen, die Geldbuße wegen erheblicher finanzieller Schwierigkeiten, verbunden damit, dass kurz zuvor mehrere Geldbußen wegen gleichzeitig begangener Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht festgesetzt worden waren, herabzusetzen, weil sie nicht für erforderlich hält, gegen das Unternehmen den vollen Betrag der Geldbuße zu verhängen, um eine abschreckende Wirkung sicherzustellen.

(vgl. Randnrn. 308, 314-315)