Language of document : ECLI:EU:C:2020:263

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

2. April 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 93/13/EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Art. 1 Abs. 1 – Art. 2 Buchst. b – Begriff ‚Verbraucher‘ – Eigentümergemeinschaft“

In der Rechtssache C‑329/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) mit Entscheidung vom 1. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 2019, in dem Verfahren

Condominio di Milano, via Meda

gegen

Eurothermo SpA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Eurothermo SpA, vertreten durch A. Fracchia, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. Manzo, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer Eigentümergemeinschaft, dem Condominio di Milano, via Meda (im Folgenden: Condominio Meda), und der Eurothermo SpA wegen der Zahlung von Verzugszinsen, die diese vom Condominio Meda im Zusammenhang mit der Erfüllung eines Vertrags über die Lieferung von Wärmeenergie fordert.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 93/13

3        Im zwölften Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:

„Beim derzeitigen Stand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften kommt … nur eine teilweise Harmonisierung in Betracht. … Den Mitgliedstaaten muss es freigestellt sein, dem Verbraucher unter Beachtung des Vertrags einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu gewähren.“

4        Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist deren Zweck die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

5        Art. 2 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:

b)      Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.

…“

6        Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist eine Vertragsklausel in einem Verbrauchervertrag, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

7        Gemäß Art. 8 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem AEU-Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.

 Richtlinie 2011/83

8        Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64) heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin befugt sein, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten können daher den Bestimmungen oder einigen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechende nationale Rechtsvorschriften für Verträge, die nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, beibehalten oder einführen. So können die Mitgliedstaaten beispielsweise beschließen, die Anwendung dieser Richtlinie auf juristische oder natürliche Personen auszudehnen, die keine ‚Verbraucher‘ im Sinne dieser Richtlinie sind, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, neu gegründete oder kleine und mittlere Unternehmen. …“

 Italienisches Recht

 Zivilgesetzbuch

9        Art. 1117 des Codice civile (Zivilgesetzbuch) sieht vor:

„Zum gemeinschaftlichen Eigentum der Eigentümer der einzelnen Liegenschaftseinheiten eines Gebäudes, auch mit Teilzeitnutzungsrecht, gehören, sofern aus dem Rechtstitel nichts Gegenteiliges hervorgeht:

1.      alle für den gemeinschaftlichen Gebrauch notwendigen Teile des Gebäudes wie das Grundstück, auf dem das Gebäude steht, die Grundmauern und Hauptmauern, die vertikalen und horizontalen tragenden Strukturen, Dächer und Dachterrassen, Treppen, Hauseingänge, Vorhallen, Gänge, Lauben, Hofräume und Fassaden;

2.      Parkflächen sowie Räumlichkeiten für gemeinschaftliche Einrichtungen wie die Hausmeisterloge einschließlich Hausmeisterwohnung, die Waschküche, Einrichtungen zum Aufhängen der Wäsche und Dachräume, die aufgrund ihrer strukturellen und funktionellen Eigenschaften für den gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmt sind;

3.      Anlagen, Einbauten und Einrichtungen jeder Art, die für den gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmt sind, wie Aufzüge, Brunnen, Zisternen, Wasser- und Abwasseranlagen, zentrale Gasverteilungs‑, Elektro‑, Heizungs- und Klimaanlagen, Zentralanlagen für den Radio- und Fernsehempfang und für den Zugang zu sonstigen Arten des Informationsflusses, auch über Satellitenanlagen oder Kabel, sowie die diesbezüglichen Verbindungen bis zur Abzweigungsstelle zu den im Sondereigentum der einzelnen Miteigentümer stehenden Räumlichkeiten, oder, bei geschlossenen Anlagen, bis zur Nutzungsstelle, unbeschadet dessen, was die einschlägigen Bestimmungen im Bereich öffentlicher Netze vorsehen.“

10      In Art. 1117bis („Anwendungsbereich“) des Zivilgesetzbuchs heißt es:

„Die Bestimmungen dieses Abschnitts werden, sofern vereinbar, auf alle Fälle angewandt, in denen mehrere Liegenschaftseinheiten oder mehrere Gebäude … gemeinschaftliche Teile im Sinne von Artikel 1117 haben.“

11      Art. 1129 („Bestellung, Abberufung und Pflichten des Verwalters“) Abs. 1 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„Bei mehr als acht Miteigentümern wird, falls die Versammlung nicht dafür sorgt, auf Antrag eines Miteigentümers oder mehrerer Miteigentümer oder des scheidenden Verwalters vom Gericht ein Verwalter bestellt.“

12      Art. 1131 („Vertretung“) des Zivilgesetzbuchs sieht vor:

„Im Rahmen [seiner] Aufgaben … ist der Verwalter befugt, die Teilhaber zu vertreten und sowohl gegen die Miteigentümer als auch gegen Dritte vor Gericht Klage zu erheben.“

 Verbrauchergesetzbuch

13      Mit dem Decreto legislativo n° 206 – Codice del consumo, a norma dell’articolo 7 della legge 29 luglio 2003, n° 229 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 206 über das Verbrauchergesetzbuch nach Art. 7 des Gesetzes Nr. 229 vom 29. Juli 2003) vom 6. September 2005 (Supplemento ordinario Nr. 162 zur GURI Nr. 235 vom 8. Oktober 2005, im Folgenden: Verbrauchergesetzbuch) wurde die Richtlinie 93/13 in italienisches Recht umgesetzt. Art. 3 Abs. 1 des Verbrauchergesetzbuchs in der durch das Gesetzesvertretende Dekret Nr. 221 vom 23. Oktober 2007 (GURI Nr. 278 vom 29. November 2007) geänderten Fassung definiert den „Verbraucher“ als „natürliche Person, die zu einem Zweck handelt, der nicht der von ihr gegebenenfalls ausgeübten geschäftlichen, gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14      Am 2. April 2010 schloss das Condominio Meda in Mailand (Italien), vertreten durch seinen Verwalter, mit Eurothermo einen Vertrag über die Lieferung von Wärmeenergie, nach dessen in Art. 6.3 enthaltener Klausel der Schuldner bei Zahlungsverzug „Verzugszinsen in Höhe von 9,25 %, und zwar mit Ablauf der Frist zur Schlusszahlung“ zu zahlen hat.

15      Am 18. April 2016 forderte Eurothermo das Condominio Meda auf der Grundlage einer Mediationsvereinbarung vom 14. November 2014 förmlich auf, ihr den Betrag von 21 025,43 Euro zu zahlen, die Verzugszinsen auf eine sich aus dieser Vereinbarung ergebende Verbindlichkeit entsprechen und anhand der am 17. Februar 2016 fälligen Hauptschuld berechnet wurden.

16      Gegen die förmliche Zahlungsaufforderung erhob das Condominio beim vorlegenden Gericht Widerspruch und machte geltend, es sei Verbraucher im Sinne der Richtlinie 93/13 und die Klausel in Art. 6.3 des Vertrags sei missbräuchlich.

17      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass diese Klausel tatsächlich missbräuchlich sei und es sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von Amts wegen für ungültig erklären könne. Es hat jedoch Zweifel, ob eine Eigentümergemeinschaft, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, als zur Kategorie der Verbraucher im Sinne der Richtlinie 93/13 gehörend angesehen werden kann.

18      In diesem Zusammenhang verweist das vorlegende Gericht auf die Rechtsprechung der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), wonach es sich bei dieser Art von Eigentümergemeinschaft zwar nicht um eine juristische Person handle, ihr aber die Eigenschaft als „eigenständiges Rechtssubjekt“ zuerkannt werde. Zum anderen fänden nach dieser Rechtsprechung die Verbraucherschutzvorschriften auf Verträge zwischen einem Gewerbetreibenden und dem Verwalter einer Eigentümergemeinschaft, definiert als „Verwaltungsorgan, das keine andere Rechtspersönlichkeit hat als die der Miteigentümer“, Anwendung, da der Verwalter für Rechnung der einzelnen Miteigentümer handele, die als Verbraucher anzusehen seien.

19      Darüber hinaus weist es auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hin, insbesondere das Urteil vom 22. November 2001, Cape und Idealservice MN RE (C‑541/99 und C‑542/99, EU:C:2001:625), wonach dem Begriff „Verbraucher“ die Eigenschaft des betreffenden Rechtssubjekts als natürliche Person zugrunde zu legen sei. Würde die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13 nur deshalb ausgeschlossen, weil die betreffende Person weder eine natürliche noch eine juristische Person sei, bestünde jedoch – so das vorlegende Gericht – die Gefahr, dass bestimmte Rechtssubjekte in den Fällen nicht geschützt würden, in denen eine Situation der Unterlegenheit gegenüber dem Gewerbetreibenden gegeben sei, die die Anwendung der Verbraucherschutzregelung rechtfertigen könne.

20      Unter diesen Umständen hat das Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht der in der Richtlinie 93/13 vorgesehene Begriff des Verbrauchers der Einstufung eines Rechtssubjekts (wie der Eigentümergemeinschaft im italienischen Recht), das nicht unter den Begriff „natürliche Person“ bzw. „juristische Person“ fällt, als Verbraucher entgegen, wenn dieses Subjekt einen Vertrag zu nicht der beruflichen Tätigkeit zuzurechnenden Zwecken schließt, sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und ihm gegenüber einen geringeren Informationsstand besitzt?

 Zur Vorlagefrage

21      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsprechung entgegenstehen, wonach die Rechtsvorschriften, mit denen diese Richtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden soll, so ausgelegt werden, dass die in ihr enthaltenen Verbraucherschutzvorschriften auch auf einen Vertrag Anwendung finden, den ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, mit einem Gewerbetreibenden schließt.

22      Für die Beantwortung der Vorlagefrage ist zunächst der Anwendungsbereich der Richtlinie zu prüfen, um zu klären, ob ein Rechtssubjekt, das keine natürliche Person ist, beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts unter den Begriff „Verbraucher“ im Sinne dieser Richtlinie fallen kann.

23      Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist deren Zweck die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

24      Nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 ist unter dem Begriff „Verbraucher“ „eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“, zu verstehen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Person unter diesen Begriff fällt, nämlich, dass es sich um eine natürliche Person handelt und dass diese ihre Tätigkeit zu einem Zweck ausübt, der nicht gewerblich oder beruflich ist.

25      Zur ersten Voraussetzung hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass eine andere als eine natürliche Person, die einen Vertrag mit einem Gewerbetreibenden schließt, nicht als Verbraucher im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 angesehen werden kann (Urteil vom 22. November 2001, Cape und Idealservice MN RE, C‑541/99 und C‑542/99, EU:C:2001:625, Rn. 16).

26      Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass eine Eigentümergemeinschaft im italienischen Recht ein Rechtssubjekt sei, das weder eine „natürliche Person“ noch eine „juristische Person“ sei.

27      Hierzu ist festzustellen, dass beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts der Begriff „Eigentum“ auf Ebene der Europäischen Union nicht harmonisiert ist und zwischen den Mitgliedstaaten Unterschiede fortbestehen können. Gemäß Art. 345 AEUV lassen die Verträge die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt. Darüber hinaus ist in einer weiteren systematischen Auslegung festzustellen, dass dingliche Rechte nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. k der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107) von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind.

28      Deshalb steht es den Mitgliedstaaten, solange der Unionsgesetzgeber diesbezüglich nicht tätig geworden ist, weiterhin frei, den rechtlichen Status der Eigentümergemeinschaft in ihren jeweiligen nationalen Rechtsordnungen zu regeln, indem sie sie als „juristische Person“ einstufen oder nicht.

29      Demnach erfüllt eine Eigentümergemeinschaft wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens die erste in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 genannte Voraussetzung nicht und fällt deshalb nicht unter den Begriff „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung, so dass ein Vertrag zwischen einer solchen Eigentümergemeinschaft und einem Gewerbetreibenden vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen ist.

30      Diese Feststellung wird nicht durch das Urteil vom 5. Dezember 2019, EVN Bulgaria Toplofikatsia und Toplofikatsia Sofia (C‑708/17 und C‑725/17, EU:C:2019:1049, Rn. 59), in Frage gestellt. Denn der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass die Verträge über die Wärmeenergieversorgung eines in Miteigentum stehenden Gebäudes, um die es in der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache ging, zur Kategorie der Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83 gehören, jedoch waren diese Verträge von den Miteigentümern selbst und nicht, wie im Ausgangsverfahren, von der Eigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, geschlossen worden.

31      Allerdings ist noch zu klären, ob eine nationale Rechtsprechung wie die der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof), wonach die Rechtsvorschriften, mit denen die Richtlinie 93/13 in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden soll, so ausgelegt werden, dass die in ihr enthaltenen Verbraucherschutzvorschriften auch auf einen Vertrag Anwendung finden, den ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, mit einem Gewerbetreibenden schließt, Sinn und Zweck des Systems des Verbraucherschutzes innerhalb der Union zuwiderläuft.

32      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 169 Abs. 4 AEUV strengere Verbraucherschutzmaßnahmen beibehalten oder ergreifen können, wenn sie mit den Verträgen vereinbar sind.

33      Nach dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 wird mit dieser nur eine teilweise und minimale Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln vorgenommen, wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, dem Verbraucher unter Beachtung des Vertrags einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu gewähren. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten nach Art. 8 der genannten Richtlinie auf dem durch diese geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.

34      Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten nach dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 im Einklang mit dem Unionsrecht weiterhin befugt, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen. Die Mitgliedstaaten können u. a. beschließen, die Anwendung der Richtlinie auf juristische oder natürliche Personen auszudehnen, die keine „Verbraucher“ in deren Sinne sind.

35      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) eine Rechtsprechungslinie entwickelt hat, mit der Verbraucher dadurch besser geschützt werden sollen, dass der Anwendungsbereich des in der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Schutzes auf ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, das nach dem nationalen Recht keine natürliche Person ist, ausgedehnt wird.

36      Diese Rechtsprechungslinie fügt sich in das mit der Richtlinie verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes ein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Banco Santander und Escobedo Cortés, C‑96/16 und C‑94/17, EU:C:2018:643, Rn. 69).

37      Folglich können die Mitgliedstaaten, obwohl ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, nicht unter den Begriff „Verbraucher“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 fällt, Bestimmungen dieser Richtlinie auf Bereiche anwenden, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juli 2012, SC Volksbank România, C‑602/10, EU:C:2012:443, Rn. 40), sofern durch eine solche Auslegung der nationalen Gerichte ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher gewährleistet wird und die Verträge nicht verletzt werden.

38      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegenstehen, wonach die Rechtsvorschriften, mit denen diese Richtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden soll, so ausgelegt werden, dass die in ihnen enthaltenen Verbraucherschutzvorschriften auch auf einen Vertrag Anwendung finden, den ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, mit einem Gewerbetreibenden schließt, obwohl dieses Rechtssubjekt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegenstehen, wonach die Rechtsvorschriften, mit denen diese Richtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden soll, so ausgelegt werden, dass die in ihnen enthaltenen Verbraucherschutzvorschriften auch auf einen Vertrag Anwendung finden, den ein Rechtssubjekt, wie das „Condominio“ im italienischen Recht, mit einem Gewerbetreibenden schließt, obwohl dieses Rechtssubjekt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.