Language of document : ECLI:EU:C:2021:211

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

17. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2009/147/EG – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – Art. 5 und 8 – Untersagung sämtlicher Methoden zum Fang von Vögeln – Art. 9 Abs. 1 – Genehmigung, hiervon abweichend eine traditionell übliche Methode anzuwenden – Voraussetzungen – Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung – Begründung des Fehlens einer ‚anderen zufriedenstellenden Lösung‘ allein mit der Bewahrung dieser traditionellen Methode – Selektivität des Fangs – Nationale Rechtsvorschriften, die den Fang von Vögeln unter Verwendung von Leimruten zulassen“

In der Rechtssache C‑900/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 29. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Dezember 2019, in dem Verfahren

One Voice,

Ligue pour la protection des oiseaux

gegen

Ministre de la Transition écologique et solidaire,

Beteiligte:

Fédération nationale des Chasseurs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von One Voice, vertreten durch A. Moreau, avocate,

–        der Fédération nationale des Chasseurs, vertreten durch H. Farge und C. Waquet, avocates,

–        der französischen Regierung, vertreten durch A.‑L. Desjonquères und E. Leclerc als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Hermes und F. Thiran als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. November 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7, im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen One Voice und der Ligue pour la protection des oiseaux einerseits und dem Ministre de la transition écologique et solidaire (Minister für den ökologischen und solidarischen Übergang, Frankreich) andererseits über die Gültigkeit von fünf Verordnungen vom 24. September 2018 über den Gebrauch von Leimruten zum Fang von Drosseln und Amseln, die während der Jagdsaison 2018-2019 in den Departements Alpes-de-Haute-Provence, Alpes-Maritimes, Bouches-du-Rhône, Vaucluse und Var (Frankreich) als Lockvögel dienen sollen (JORF vom 27. September 2018, Texte Nrn. 10 bis 13 und 15, im Folgenden: Verordnungen vom 24. September 2018).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5, 6, 7 und 8 abweichen:

c)      um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.“

4        Mit der Vogelschutzrichtlinie wurde die Richtlinie 79/409 kodifiziert und aufgehoben.

5        Die Erwägungsgründe 3 und 5 der Vogelschutzrichtlinie lauten:

„(3)      Bei vielen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist ein Rückgang der Bestände festzustellen, der in bestimmten Fällen sehr rasch vonstattengeht. Dieser Rückgang bildet eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt, da durch diese Entwicklung insbesondere das biologische Gleichgewicht bedroht wird.

(5)      Die Erhaltung der im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist für die Verwirklichung der [Ziele der Europäischen Union] auf den Gebieten der Verbesserung der Lebensbedingungen und der nachhaltigen Entwicklung erforderlich.“

6        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten.“

7        Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird.“

8        Art. 5 der Richtlinie sieht vor:

„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot

a)      des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;

…“

9        Art. 7 Abs. 1 und 3 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„(1)      Die in Anhang II aufgeführten Arten dürfen aufgrund ihrer Populationsgröße, ihrer geografischen Verbreitung und ihrer Vermehrungsfähigkeit in der gesamten [Union] im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bejagt werden. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Jagd auf diese Vogelarten die Anstrengungen, die in ihrem Verbreitungsgebiet zu ihrer Erhaltung unternommen werden, nicht zunichtemacht.

(3)      Die in Anhang II Teil B aufgeführten Arten dürfen nur in den Mitgliedstaaten, bei denen sie angegeben sind, bejagt werden.“

10      In Anhang II Teil B dieser Richtlinie sind u. a. die Arten Turdus merula (Schwarzdrossel), Turdus pilaris (Wacholderdrossel), Turdus philomelos (Singdrossel), Turdus iliacus (Rotdrossel) und Turdus viscivorus (Misteldrossel) aufgeführt.

11      Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Was die Jagd, den Fang oder die Tötung von Vögeln im Rahmen dieser Richtlinie betrifft, so untersagen die Mitgliedstaaten sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können, insbesondere die in Anhang IV Buchstabe a aufgeführten Mittel, Einrichtungen und Methoden.“

12      Leimruten gehören zu den in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie genannten Fangmitteln.

13      Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5 bis 8 abweichen:

c)      um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.

(2)      In den in Absatz 1 genannten Abweichungen ist anzugeben,

a)      für welche Vogelarten die Abweichungen gelten;

b)      die zugelassenen Fang- oder Tötungsmittel, ‑einrichtungen und ‑methoden;

c)      die Art der Risiken und die zeitlichen und örtlichen Umstände, unter denen diese Abweichungen getroffen werden können;

d)      die Stelle, die befugt ist zu erklären, dass die erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind, und zu beschließen, welche Mittel, Einrichtungen und Methoden in welchem Rahmen von wem angewandt werden können;

e)      welche Kontrollen vorzunehmen sind.“

 Französisches Recht

14      Titel II des Buchs IV des Code de l’environnement (Umweltgesetzbuch), der die Jagd betrifft, enthält u. a. ein Kapitel IV („Ausübung der Jagd“), das in sechs Abschnitte unterteilt ist, wobei Abschnitt 3 „Jagdarten und ‑methoden“ betrifft. Der zu diesem Abschnitt gehörende Art. L. 424-4 des Umweltgesetzbuchs bestimmt:

„Wenn die Jagd geöffnet ist, berechtigt die Lizenz ihren Inhaber zur Tagesjagd, sei es als Ansitzjagd, Hetzjagd, Treibjagd oder Flugjagd, gemäß den Unterscheidungen, die durch Verordnungen des für die Jagd zuständigen Ministers festgelegt werden. Als Tag gilt der Zeitraum, der eine Stunde vor Sonnenaufgang in der Hauptstadt des Departements beginnt und eine Stunde nach Sonnenuntergang endet.

Um unter streng überwachten Bedingungen selektiv die Jagd bestimmter Zugvögel in geringen Mengen zu ermöglichen, erlaubt der für die Jagd zuständige Minister unter den von ihm festgelegten Bedingungen den Einsatz traditionell üblicher Jagdarten und ‑mittel, die von den nach Absatz 1 erlaubten abweichen.

Die Leimruten werden eine Stunde vor Sonnenaufgang angebracht und vor elf Uhr entfernt.

Alle anderen Jagdmittel, einschließlich des Flugzeugs und des Kraftfahrzeugs – auch als Mittel für die Treibjagd –, sind verboten.

…“

15      Art. 1 der Verordnung des Secrétaire d’État auprès du Premier ministre, chargé de l’environnement et de la prévention des risques technologiques et naturels majeurs (Staatssekretär für Umwelt und Katastrophenschutz beim Premierminister) vom 17. August 1989 über den Gebrauch von Leimruten zum Fang von Drosseln und Amseln, die als Lockvögel dienen sollen, in den Departements Alpes-de-Haute-Provence, Alpes-Maritimes, Bouches-du-Rhône, Vaucluse und Var (JORF vom 13. September 1989, S. 11560, im Folgenden: Verordnung vom 17. August 1989) sieht vor:

„Der Gebrauch von Leimruten für den Fang von Mistel‑, Wacholder‑, Rot- und Singdrosseln und Amseln, die zu persönlichen Zwecken als Lockvögel dienen sollen, ist in den Departements Alpes-de-Haute-Provence, Alpes-Maritimes, Bouches-du-Rhône, Var und Vaucluse unter den nachfolgend festgelegten streng überwachten Bedingungen erlaubt, um den selektiven Fang dieser Vögel in geringen Mengen zu ermöglichen, da es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt.“

16      Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Die Leimruten dürfen nur in Anwesenheit eines Jägers angebracht bleiben. Jeder gefangene Vogel wird sofort gereinigt.“

17      Art. 6 der Verordnung sieht vor:

„Die Höchstzahl von Vögeln, die während der Saison gefangen werden dürfen, sowie gegebenenfalls die technischen Vorschriften eines bestimmten Departements werden jedes Jahr von dem für die Jagd zuständigen Minister festgelegt.“

18      Art. 11 der Verordnung bestimmt:

„Jedes versehentlich gefangene Wild außer Mistel‑, Wacholder‑, Rot- und Singdrosseln und Amseln wird umgehend gereinigt und freigelassen.“

19      Gemäß der Verordnung vom 17. August 1989 setzte der Ministre d’État, ministre de la Transition écologique et solidaire (Staatsminister für den ökologischen und solidarischen Übergang) mit Verordnungen vom 24. September 2018 die Höchstzahl von Drosseln und Amseln, die zur Verwendung als Lockvögel mit Leimruten gefangen werden dürfen, für die Jagdsaison 2018-2019 auf 2 900 im Departement Alpes-de-Haute-Provence, 400 im Departement Alpes-Maritimes, 11 400 im Departement Bouches-du-Rhône, 15 600 im Departement Vaucluse und 12 200 im Departement Var fest.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20      One Voice hat beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) fünf Klagen erhoben, mit denen beantragt wird, die Verordnungen vom 24. September 2018 für nichtig zu erklären und den Ministre de la Transition écologique et solidaire zur Aufhebung der Verordnung vom 17. August 1989 zu verpflichten. Die Ligue pour la protection des oiseaux hat bei demselben Gericht fünf Klagen auf Nichtigerklärung der Verordnungen vom 24. September 2018 erhoben. Diese verschiedenen Verfahren sind vom vorlegenden Gericht verbunden worden.

21      Zur Stützung ihrer Klagen machen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens u. a. geltend, die Verordnung vom 17. August 1989, auf deren Grundlage die Verordnungen vom 24. September 2018 erlassen worden seien, verstoße insbesondere dadurch gegen Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie, dass sie die Verwendung einer traditionellen nicht selektiven Jagdart zulasse, nämlich den Gebrauch von Leimruten, ohne darüber hinaus zu begründen, weshalb es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe. Außerdem trägt die Ligue pour la protection des oiseaux vor, die Verordnungen vom 24. September 2018 verstießen auch dadurch gegen die Richtlinie, dass sie die Entnahme von Vögeln unter nicht streng kontrollierten Bedingungen und ohne den Nachweis gestatteten, dass es sich bei den erlaubten Entnahmen um geringe Mengen handele.

22      Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich (252/85, EU:C:1988:202), entschieden habe, dass die Bestimmungen der Verordnung vom 27. Juli 1982, von denen sich die der Verordnung vom 17. August 1989 nicht wesentlich unterschieden, mit den Anforderungen der Richtlinie 79/409 vereinbar seien und insbesondere nicht gegen das Erfordernis einer „vernünftigen Nutzung bestimmter Vögel in geringen Mengen“ verstießen, da der verfügende Teil dieser Verordnungen „sehr genau“ sei.

23      In seinem nach dem Inkrafttreten von Art. 3 EUV und Art. 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ergangenen Urteil vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta (C‑557/15, EU:C:2018:477), habe der Gerichtshof jedoch festgestellt, dass nationale Rechtsvorschriften über die Zulassung eines anderen traditionellen Jagdverfahrens eine der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen für eine Abweichung von Art. 8 der Richtlinie nicht erfüllten, und zwar die, dass eine Methode selektiv sein müsse; dabei habe er sich auf das Vorhandensein von „Beifängen“ gestützt, ohne nähere Angaben zu deren Umfang zu machen.

24      In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin ausgelegt werden muss, dass er es den Mitgliedstaaten verwehre, den Einsatz von Fang- oder Tötungsmitteln, ‑einrichtungen oder ‑methoden zu erlauben, die, wenn auch nur minimal und zeitlich streng begrenzt, zu Beifängen führen könnten. Falls dies verneint werde, sei zu klären, welche Kriterien insbesondere hinsichtlich des begrenzten Anteils und Umfangs dieser Beifänge, des grundsätzlich nicht tödlichen Charakters des erlaubten Jagdverfahrens und der Verpflichtung, versehentlich gefangene Exemplare ohne ernsthafte Schäden freizulassen, herangezogen werden könnten, um das in diesen Bestimmungen aufgestellte Kriterium der Selektivität als erfüllt anzusehen.

25      Zweitens hebt das vorlegende Gericht hervor, dass der Gerichtshof im Urteil vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich (252/85, EU:C:1988:202), zwar auch entschieden habe, dass die in einigen französischen Departements traditionell übliche Jagdart des Gebrauchs von Leimruten für den Fang von Drosseln nicht gegen die in die Vogelschutzrichtlinie übernommenen Anforderungen der Richtlinie 79/409 verstoße. In seinem Urteil vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta (C‑557/15, EU:C:2018:477), habe er jedoch festgestellt, dass Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie eine präzise und angemessene Begründung für das Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung als der von einem Mitgliedstaat erlaubten Abweichung vorschreibe.

26      In der Verordnung vom 17. August 1989 heiße es, in Anbetracht der Tatsache, dass die Methode der Jagd mit Leimruten in den betreffenden Departements traditionell üblich sei, gebe es „keine andere zufriedenstellende Lösung“; deshalb bedürfe der Klärung, ob die Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen sei, dass das Ziel der Erhaltung traditionell üblicher Arten und Mittel der Vogeljagd zu Freizeitzwecken, sofern alle anderen in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen für eine solche Abweichung erfüllt seien, für sich genommen als Begründung dafür ausreiche, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gebe, so dass sie eine Abweichung von dem in ihrem Art. 8 aufgestellten grundsätzlichen Verbot dieser Jagdarten und ‑mittel gestatte.

27      Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Muss Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass er es den Mitgliedstaaten verwehrt, den Einsatz von Fang- oder Tötungsmitteln, ‑einrichtungen oder ‑methoden zu erlauben, die, wenn auch nur minimal und zeitlich streng begrenzt, zu Beifängen führen können? Welche Kriterien insbesondere hinsichtlich des begrenzten Anteils und Umfangs dieser Beifänge, des grundsätzlich nicht tödlichen Charakters des erlaubten Jagdverfahrens und der Verpflichtung, die versehentlich gefangenen Exemplare ohne ernsthafte Schäden freizulassen, können herangezogen werden, um das von der genannten Bestimmung aufgestellte Kriterium der Selektivität als erfüllt anzusehen?

2.      Muss die Vogelschutzrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass mit dem Ziel, den Einsatz traditionell üblicher Arten und Mittel der Vogeljagd zu Freizeitzwecken zu erhalten, sofern alle anderen Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c für eine solche Abweichung erfüllt sind, das Fehlen einer anderen zufriedenstellenden Lösung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 begründet werden kann, was es erlauben würde, von dem in Art. 8 der Richtlinie festgelegten grundsätzlichen Verbot dieser Jagdarten und ‑mittel abzuweichen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur zweiten Frage

28      Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der traditionelle Charakter einer Vogelfangmethode für sich genommen ausreicht, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Bestimmung ersetzt werden kann.

29      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der nationale rechtliche Rahmen, der es den zuständigen Stellen ermöglichen soll, von den in Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Abweichungen in unionsrechtskonformer Art und Weise Gebrauch zu machen, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs so zu gestalten ist, dass die Umsetzung der darin vorgesehenen abweichenden Bestimmungen dem Grundsatz der Rechtssicherheit entspricht. Daher muss die in diesem Bereich anwendbare nationale Regelung die Kriterien für die Abweichung klar und präzise anführen und die mit ihrer Anwendung betrauten Stellen verpflichten, sie zu berücksichtigen. Da es sich um eine Ausnahmeregelung handelt, die eng auszulegen ist und bei der die Beweislast für das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen für jede Abweichung die Stelle treffen muss, die über sie entscheidet, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Eingriff, der geschützte Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird (Urteil vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta, C‑557/15, EU:C:2018:477, Rn. 47).

30      Insbesondere müssen die Beweise dafür, dass die erforderlichen Voraussetzungen für eine Abweichung von der Schutzregelung der Vogelschutzrichtlinie erfüllt sind, auf überzeugenden wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Somit müssen den Behörden die besten einschlägigen Erkenntnisse zur Verfügung stehen, wenn sie die Genehmigungen erteilen (Urteil vom 23. April 2020, Kommission/Finnland [Frühjahrsjagd auf männliche Eiderenten], C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Außerdem müssen in der im Bereich der Erhaltung wildlebender Vogelarten anwendbaren nationalen Regelung, mit der die Ausnahmeregelung in Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie umgesetzt werden soll, zwar die Kriterien für die Abweichung klar und präzise angeführt werden, und die zuständige Stelle muss verpflichtet werden, sich zu vergewissern, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieses Artikels gibt, doch muss aus der Begründung für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung hervorgehen, dass die Voraussetzung des Fehlens einer anderen zufriedenstellenden Lösung erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta, C‑557/15, EU:C:2018:477, Rn. 48 und 50).

32      Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine nationale Regelung, mit der von der Ausnahmeregelung des Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie Gebrauch gemacht wird, die aus Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie hervorgehenden Anforderungen an die Begründungspflicht erfüllt, wenn sie lediglich die Angabe enthält, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe, ohne diese Angabe durch eine eingehende Begründung zu untermauern, die sich auf die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse stützt und die Gründe enthält, aus denen die zuständige Stelle zu dem Schluss kam, dass sämtliche Voraussetzungen für die Genehmigung einer Abweichung im Sinne von Art. 9 der Richtlinie, darunter die Voraussetzung, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, erfüllt seien.

33      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Jagd auf Wildvögel, die unter den in der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Voraussetzungen als Freizeitbeschäftigung ausgeübt wird, eine nach dieser Richtlinie zulässige „vernünftige Nutzung“ darstellen kann (Urteil vom 23. April 2020, Kommission/Finnland [Frühjahrsjagd auf männliche Eiderenten], C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter den Begriff „vernünftige Nutzung“ können auch die traditionellen Jagdmethoden fallen, denn gemäß Art. 2 der genannten Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten, wenn sie die in diesem Artikel angesprochenen Maßnahmen treffen, den freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung tragen.

34      Auch wenn Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu auffordert, diese Richtlinie unter Berücksichtigung der ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernisse sowie der wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernisse umzusetzen, stellt die Erhaltung der Vogelarten jedoch ihr Hauptziel dar.

35      Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Beibehaltung traditioneller Tätigkeiten keine eigenständige Abweichung von der durch die Vogelschutzrichtlinie geschaffenen Schutzregelung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 1987, Kommission/Belgien, 247/85, EU:C:1987:339, Rn. 8, vom 28. Februar 1991, Kommission/Deutschland, C‑57/89, EU:C:1991:89, Rn. 22, und vom 23. April 2020, Kommission/Finnland [Frühjahrsjagd auf männliche Eiderenten], C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 85).

36      Die Jagdmethoden gehören häufig zu lokalen Traditionen oder Bräuchen; wäre das Ziel, sie als solche zu bewahren, ein eigenständiger Abweichungsgrund, würde dies zur Genehmigung einer Vielzahl von Praktiken führen, die den Erfordernissen von Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie zuwiderlaufen. Ein solcher Ansatz liefe der gebotenen engen Auslegung dieser Bestimmung zuwider.

37      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die zuständige Stelle, wenn sie zu prüfen hat, ob es keine anderen zufriedenstellenden Lösungen gibt, die verschiedenen Lösungen, die den Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie entsprechen, miteinander vergleichen muss, um diejenige zu bestimmen, die als im größten Maße zufriedenstellend erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2020, Kommission/Österreich [Frühjahrsjagd auf die Waldschnepfe], C‑161/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:290, Rn. 51 bis 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Hierzu machen die Fédération nationale des Chasseurs und die französische Regierung geltend, die Aufzucht der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arten könne angesichts ihrer Kosten und der Tatsache, dass nach geltendem Recht der Handel mit diesen Arten verboten sei, keine zufriedenstellende Lösung sein.

39      Wie die Generalanwältin in Nr. 36 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist Art. 13 AEUV zu berücksichtigen, wonach die Union und die Mitgliedstaaten bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung tragen müssen. Daraus folgt, dass die Frage, ob Alternativlösungen zufriedenstellend sind, anhand der sinnvollen Optionen und der besten verfügbaren Techniken zu beurteilen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 9. März 2010, ERG u. a., C‑379/08 und C‑380/08, EU:C:2010:127, Rn. 62).

40      Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Aufzucht und die Fortpflanzung geschützter Arten in Gefangenschaft eine andere zufriedenstellende Lösung darstellen können, wenn sie sich als möglich erweisen (Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES, C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung), und dass der Transport rechtmäßig gefangener oder gehaltener Vögel ebenfalls eine vernünftige Nutzung im Sinne der Richtlinie 79/409 darstellt (Urteil vom 8. Juli 1987, Kommission/Belgien, 247/85, EU:C:1987:339, Rn. 48). Desgleichen ist der Umstand, dass die Aufzucht und die Fortpflanzung der betreffenden Arten in Gefangenschaft aufgrund der innerstaatlichen Regelung noch nicht in großem Umfang durchführbar sind, als solcher nicht geeignet, die Relevanz dieser anderen Lösungen in Frage zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES, C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 21).

41      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 30 und 38 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, folgt daraus, dass es offenbar andere Optionen gibt, um das in Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie vorgesehene Erfordernis zu erfüllen.

42      Überdies gehört der Fang von Vögeln mit Leimruten zwar als solcher zur jagdlichen Tätigkeit, stellt jedoch nur die Vorstufe zu anderen Entnahmemethoden dar, da die so gefangenen Vögel als Lockvögel dienen sollen, um andere Vögel derselben Art anzuziehen, die dann geschossen werden.

43      Die bloße Tatsache, dass eine andere Fangmethode eine Anpassung erfordern würde, so dass von bestimmten Merkmalen einer Tradition abgewichen werden müsste, reicht nicht aus, um zu dem Schluss zu kommen, dass es keine „andere zufriedenstellende Lösung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie gibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 1996, LRBPO und AVES, C‑10/96, EU:C:1996:504, Rn. 21).

44      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der traditionelle Charakter einer Vogelfangmethode für sich genommen nicht ausreicht, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Bestimmung ersetzt werden kann.

 Zur ersten Frage

45      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es in Abweichung von Art. 8 der Richtlinie erlaubt, auf eine Methode für den Fang von Vögeln zurückzugreifen, die in geringem Umfang und für begrenzte Zeit zu Beifängen führt.

46      Diese Frage impliziert eine Auslegung der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie aufgestellten Voraussetzung, dass der Fang, die Haltung oder die vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten selektiv erfolgen muss.

47      Hierzu haben die Parteien, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, auf die Urteile vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich (252/85, EU:C:1988:202), vom 9. Dezember 2004, Kommission/Spanien (C‑79/03, EU:C:2004:782), und vom 21. Juni 2018, Kommission/Malta (C‑557/15, EU:C:2018:477), verwiesen.

48      Im ersten dieser Urteile hat der Gerichtshof zwar ausgeführt, dass der verfügende Teil der geltenden nationalen Verordnung „sehr genau“ war und dass insbesondere die Erteilung der Fanggenehmigungen „von einer großen Anzahl einschränkender Bedingungen abhängig“ gemacht wurde. Er hat sich aber auf die Feststellung beschränkt, dass die von der Europäischen Kommission vorgelegten Beweise ihr Vorbringen, wonach die Regelung des betreffenden Mitgliedstaats gegen die Anforderungen der Richtlinie 79/409 verstoße, nicht stützen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich, 252/85, EU:C:1988:202, Rn. 29 und 30), ohne den Inhalt der Fangregelung speziell und explizit anhand des Kriteriums der Selektivität zu prüfen. Daher kann das Urteil nicht so verstanden werden, dass die genannte Regelung anhand dieses Kriteriums ausdrücklich für gültig erklärt wurde.

49      Die nationale Regelung, um die es in der Rechtssache ging, in der das zweite Urteil ergangen ist, und die eine besondere Form der Jagd mit Leimruten erlaubte, war weniger streng als die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, so dass die dort gewählte Lösung nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann.

50      Im dritten Urteil schließlich hatte der betreffende Mitgliedstaat selbst eingeräumt, dass die durch seine Regelung genehmigte Fangmethode nicht selektiv war.

51      Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie ergibt, dürfen die Mitgliedstaaten von dem in ihrem Art. 8 aufgestellten Verbot, auf die in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie aufgeführten Fangmethoden zurückzugreifen, u. a. unter der Voraussetzung abweichen, dass diese Methoden „selektiv“ den Fang bestimmter Vogelarten ermöglichen.

52      In Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie wird nicht näher erläutert, wie diese Voraussetzung zu verstehen ist. Auch eine Analyse der verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung liefert, wie die Generalanwältin in den Nrn. 53 und 54 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, keine Angaben dazu, in welchem Sinn der Begriff der Selektivität zu verstehen ist.

53      Da Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie keine Bezugnahme auf die nationalen Rechtsordnungen enthält, ist der Begriff der Selektivität ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der im Unionsgebiet einheitlich ausgelegt werden muss (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Juni 2020, A u. a. [Windkraftanlagen in Aalter und in Nevele], C‑24/19, EU:C:2020:503, Rn. 75). Außerdem sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 9. Oktober 2019, BGL BNP Paribas, C‑548/18, EU:C:2019:848, Rn. 25).

54      Was zunächst den Begriff der Selektivität betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass er nach dem üblichen Wortsinn alles umfasst, wodurch eine Auswahl vorgenommen wird, d. h. einen Prozess, mit dem aus einer bestimmten Gesamtheit anhand gewisser Merkmale einige Elemente unter Ausschluss der übrigen ausgewählt oder berücksichtigt werden.

55      Sodann ist zum Kontext von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie darauf hinzuweisen, dass in Art. 5 Buchst. a der Richtlinie, unbeschadet ihrer Art. 7 und 9, ein allgemeines Verbot des absichtlichen Tötens oder Fangens, mit welcher Methode auch immer, der unter ihren Art. 1 fallenden Vogelarten aufgestellt wird. In diesem Rahmen sieht Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass „die Mitgliedstaaten sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden [untersagen], mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können, insbesondere die in Anhang IV Buchstabe a aufgeführten Mittel, Einrichtungen und Methoden“, zu denen die Verwendung von Leimruten gehört.

56      Wie die Generalanwältin in Nr. 21 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass die Vogelschutzrichtlinie die Fangmethode mit Leimruten im Prinzip verbietet.

57      Somit stellt die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie eröffnete Möglichkeit der Abweichung das Pendant zu dem in ihrem Art. 8 Abs. 1 aufgestellten Verbot von Methoden wahlloser Entnahme und insbesondere der in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie aufgeführten Methoden dar.

58      Schließlich geht zu den mit der Vogelschutzrichtlinie verfolgten Zielen aus ihren Erwägungsgründen 3 und 5 hervor, dass „[d]ie Erhaltung der im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten … für die Verwirklichung der [Ziele der Union] auf den Gebieten der Verbesserung der Lebensbedingungen und der nachhaltigen Entwicklung erforderlich [ist]“ und dass der Rückgang der Bestände einer Vielzahl dieser Arten „eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt [bildet], da durch diese Entwicklung insbesondere das biologische Gleichgewicht bedroht wird“.

59      Um dieser Gefahr zu begegnen, heißt es in Art. 1 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie, dass sie „die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten [betrifft], die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind“, sowie „den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel [hat] und … [ihre] Nutzung … [regelt]“.

60      Außerdem fügt sich diese Richtlinie in den sowohl durch Art. 3 EUV als auch durch Art. 37 der Charta vorgegebenen Rahmen ein; sie sehen im Wesentlichen vor, dass die Union auf eine nachhaltige Entwicklung hinwirkt und ein hohes Maß an Umweltschutz sicherstellt.

61      Außerdem geht aus den Bestimmungen von Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie, die auf die strenge Überwachung der in diesem Artikel vorgesehenen Abweichung und die Selektivität der Fänge Bezug nehmen, wie im Übrigen auch aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hervor, dass diese Abweichung, von der ein Mitgliedstaat Gebrauch machen möchte, im rechten Verhältnis zu den Bedürfnissen stehen muss, die sie rechtfertigen (Urteil vom 23. April 2020, Kommission/Finnland [Frühjahrsjagd auf männliche Eiderenten], C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Folglich sind bei der Beurteilung der Selektivität einer Fangmethode im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie nicht nur die Modalitäten dieser Methode und der Umfang der mit ihr verbundenen Fänge von Vögeln, die nicht zu den Zielarten gehören, zu berücksichtigen, sondern angesichts der mit der Richtlinie verfolgten Schutzziele auch die etwaigen Folgen der Methode für die gefangenen Arten unter dem Gesichtspunkt ihnen zugefügter Schäden.

63      Insoweit ist danach zu unterscheiden, ob die Fangmethode tödlich ist oder nicht. Während im erstgenannten Fall eine eher strenge Auslegung der Voraussetzung der Selektivität zugrunde zu legen ist, kann sie im letztgenannten Fall trotz Beifängen als erfüllt angesehen werden, allerdings nur dann, wenn die Arten, auf die diese Methode nicht abzielt, nur in geringen Mengen und während eines bestimmten Zeitraums gefangen werden und wenn sie freigelassen werden können, ohne andere als unbedeutende Schäden zu erleiden.

64      Somit ist zwar der Umstand, dass eine grundsätzlich nicht tödliche Fangmethode zu Beifängen führt, für sich genommen kein Nachweis für die mangelnde Selektivität dieser Methode, doch geben die Menge dieser Beifänge sowie der Umfang etwaiger Auswirkungen auf die Zielarten und die übrigen Arten Aufschluss über das Maß an Selektivität einer solchen Methode.

65      Wie sowohl aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie im Licht ihres Art. 8 Abs. 1 als auch aus den Zielen der Richtlinie sowie aus dem durch Art. 3 EUV, Art. 37 der Charta, Art. 191 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV und dem das Wohlergehen der Tiere betreffenden Art. 13 AEUV gebildeten Rahmen, in den sich die Richtlinie einfügt, hervorgeht, ist die in ihrem Art. 9 Abs. 1 Buchst. c genannte Voraussetzung der Selektivität dahin zu verstehen, dass sie im Fall einer nicht tödlichen Methode, die zu Beifängen führt, nur dann erfüllt sein kann, wenn die Beifänge begrenzten Umfang haben, d. h., wenn nur eine sehr geringe Zahl von Exemplaren während eines begrenzten Zeitraums versehentlich gefangen wird und wenn diese freigelassen werden können, ohne andere als unbedeutende Schäden zu erleiden.

66      Im vorliegenden Fall hebt das vorlegende Gericht hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Fangmethode „grundsätzlich“ nicht tödlich sei und nur in geringen Mengen und für sehr begrenzte Zeit zu Beifängen führe. Außerdem sieht Art. 11 der Verordnung vom 17. August 1989 vor, dass jeder als Beifang gefangene Vogel „umgehend gereinigt und freigelassen“ wird.

67      Wie jedoch sowohl die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens als auch die Kommission ausgeführt haben und wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 und 64 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, ist es – vorbehaltlich der letztlich vom vorlegenden Gericht zu treffenden Feststellungen – sehr wahrscheinlich, dass die gefangenen Vögel trotz der Reinigung irreparable Schäden erleiden, da Leimruten ihrem Wesen nach geeignet sind, das Gefieder aller gefangenen Vögel zu schädigen.

68      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die zuständigen Stellen nach der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigungen über die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügen müssen, die den Nachweis ermöglichen, dass die Voraussetzungen für eine Abweichung von der durch die Vogelschutzrichtlinie geschaffenen Schutzregelung erfüllt sind.

69      Zum anderen müssen die zuständigen Stellen, nachdem die Abweichungen genehmigt wurden, gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie die erforderlichen Kontrollen durchführen, um sicherzustellen, dass die Beifänge so weit wie möglich dem ins Auge gefassten Umfang entsprechen und keine anderen als unbedeutende Schäden verursachen.

70      Daraus folgt, dass eine nicht tödliche Fangmethode, die zu Beifängen führt, dem in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Erfordernis der Selektivität nicht entspricht, wenn die Beifänge, auch wenn sie geringen Umfang haben und für begrenzte Zeit vorkommen, geeignet sind, den nicht zu den Zielarten gehörenden Exemplaren andere als unbedeutende Schäden zuzufügen.

71      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die in Abweichung von Art. 8 der Richtlinie eine zu Beifängen führende Fangmethode erlaubt, sofern die Beifänge, auch wenn sie geringen Umfang haben und für begrenzte Zeit vorkommen, geeignet sind, den nicht zu den Zielarten gehörenden Exemplaren andere als unbedeutende Schäden zuzufügen.

 Kosten

72      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten ist dahin auszulegen, dass der traditionelle Charakter einer Vogelfangmethode für sich genommen nicht ausreicht, um nachzuweisen, dass diese Methode nicht durch eine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne dieser Bestimmung ersetzt werden kann.

2.      Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/147 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die in Abweichung von Art. 8 der Richtlinie eine zu Beifängen führende Fangmethode erlaubt, sofern die Beifänge, auch wenn sie geringen Umfang haben und für begrenzte Zeit vorkommen, geeignet sind, den nicht zu den Zielarten gehörenden Exemplaren andere als unbedeutende Schäden zuzufügen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.