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Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 5. März 2019 (Vorabentscheidungsersuchen der Tallinna Ringkonnakohus – Estland) – Eesti Pagar AS/Ettevõtluse Arendamise Sihtasutus, Majandus- ja Kommunikatsiooniministeerium

(Rechtssache C-349/17)1

(Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Verordnung [EG] Nr. 800/2008 [Gruppenfreistellungsverordnung] – Art. 8 Abs. 2 – Beihilfen, die einen Anreizeffekt haben – Begriff ‚Beginn des Vorhabens‘ – Befugnisse der nationalen Behörden – Rechtswidrige Beihilfe – Fehlen eines Beschlusses der Europäischen Kommission oder einer Entscheidung eines nationalen Gerichts – Verpflichtung der nationalen Behörden, eine rechtswidrige Beihilfe aus eigener Initiative zurückzufordern – Rechtsgrundlage – Art. 108 Abs. 3 AEUV – Allgemeiner unionsrechtlicher Grundsatz des Vertrauensschutzes – Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde, mit der eine Beihilfe gemäß der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt wird – Kenntnis von Umständen, die die Förderfähigkeit des Beihilfeantrags ausschließen – Begründung eines berechtigten Vertrauens – Fehlen – Verjährung – Aus einem Strukturfonds kofinanzierte Beihilfen – Anwendbare Vorschriften – Verordnung [EG, Euratom] Nr. 2988/95 – Nationale Regelung – Zinsen – Verpflichtung, Zinsen zu verlangen – Rechtsgrundlage – Art. 108 Abs. 3 AEUV – Anwendbare Vorschriften – Nationale Regelung – Effektivitätsgrundsatz)

Verfahrenssprache: Estnisch

Vorlegendes Gericht

Tallinna Ringkonnakohus

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Eesti Pagar AS

Beklagte: Ettevõtluse Arendamise Sihtasutus, Majandus- ja Kommunikatsiooniministeerium

Tenor

Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel [107 und 108 AEUV] (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) ist dahin auszulegen, dass mit der „[Durchführung] des Vorhabens oder der Tätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung begonnen wurde, wenn vor der Stellung eines Beihilfeantrags durch den Abschluss einer bedingungslosen und rechtsverbindlichen Verpflichtung eine erste Bestellung von Anlagen, die für dieses Vorhaben oder für diese Tätigkeit bestimmt sind, aufgegeben wurde, egal wie hoch die eventuellen Kosten für den Rücktritt von dieser Verpflichtung sind.

Art. 108 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung von der nationalen Stelle verlangt, aus eigener Initiative eine Beihilfe zurückzufordern, die sie nach der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt hat, wenn sie in der Folge feststellt, dass die in dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt waren.

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass eine nationale Stelle, wenn sie eine Beihilfe unter rechtsfehlerhafter Anwendung der Verordnung Nr. 800/2008 gewährt, kein berechtigtes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit dieser Beihilfe zugunsten von deren Empfänger begründen kann.

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass, wenn eine nationale Stelle unter rechtsfehlerhafter Anwendung der Verordnung Nr. 800/2008 eine Beihilfe aus einem Strukturfonds gewährt hat, die auf die Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe anwendbare Verjährungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vier Jahre beträgt, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Verordnung erfüllt sind, oder, wenn dies nicht der Fall ist, die im anwendbaren nationalen Recht vorgesehene Frist gilt.

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Stelle, wenn sie aus eigener Initiative eine von ihr zu Unrecht nach der Verordnung Nr. 800/2008 gewährte Beihilfe zurückfordert, obliegt, vom Empfänger dieser Beihilfe Zinsen gemäß den Vorschriften des anwendbaren nationalen Rechts zu verlangen. Hierbei verlangt Art. 108 Abs. 3 AEUV, dass diese Regeln eine vollständige Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe sicherstellen können und dass dem Beihilfeempfänger somit aufgegeben wird, für den gesamten Zeitraum, in dem er in den Genuss der Beihilfe gekommen ist, Zinsen in Höhe eines Zinssatzes zu zahlen, der genauso hoch ist wie der, der angewendet worden wäre, wenn er den Betrag der in Rede stehenden Beihilfe während dieses Zeitraums auf dem Markt hätte leihen müssen.

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1     ABl. C 269 vom 14.8.2017.