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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 24. Januar 2019(1)

Rechtssache C1/18

SIA „Oribalt Rīga“, vormals SIA „Oriola Rīga“,

weiterer Beteiligter:

Valsts ieņēmumu dienests

(Vorabentscheidungsersuchen der Augstākā tiesa [Oberster Gerichtshof, Lettland])

„Verordnung (EG) Nr. 2913/92 – Zollkodex der Gemeinschaften – Zollwert – Arzneimittel – Art. 30 Abs. 2 Buchst. b – Begriff ‚gleichartige Waren‘ – Zu berücksichtigende Faktoren – Art. 30 Abs. 2 Buchst. c – Deduktive Methode auf der Grundlage des Preises je Einheit – Frist von 90 Tagen – Rabatte“






1.        Bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren wird in erster Linie die „Transaktionswertmethode“ angewandt. Nach dieser Methode wird der Betrag der Zollabgaben (sowie die Einfuhrumsatzsteuer) auf der Grundlage des dem Verkäufer zum Zeitpunkt der Ausfuhr tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises ermittelt.

2.        Diese Methode kann jedoch nur angewandt werden, wenn zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung bereits ein Kaufvertrag über die fraglichen Waren abgeschlossen wurde. In anderen Fällen, wie dem Konsignationsverkauf, kann die Transaktionswertmethode nicht angewandt werden. Das Unionsrecht sieht unter solchen Umständen fünf „Auffangmethoden“ vor, die nacheinander in der in den maßgeblichen Rechtsvorschriften(2) vorgesehenen Reihenfolge anzuwenden sind.

3.        Die Anwendung dieser Methoden ist nicht immer frei von Schwierigkeiten. Bei der Berechnung des Zollwerts sind eine Reihe von Details zu beachten. Darüber hinaus müssen diese Details in der gesamten Union einheitlich angewandt werden, um ein „forum shopping“ der Importeure zu vermeiden.

4.        Die von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) in dieser Rechtssache zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen betreffen die Faktoren, die für die Berechnung des Zollwerts anhand der alternativen Methoden zu seiner Ermittlung in Art. 30 Abs. 2 des Zollkodex im speziellen Kontext der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Arzneimittel maßgebend sind. Angesichts des erheblichen Wertes von Arzneimitteln kann der ermittelte Zollwert je nach der angewandten Bewertungsmethode zu einem erheblichen Unterschied bei den Zollabgaben oder der Einfuhrumsatzsteuer führen.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Zollkodex

5.        Auf den Rechtsstreit vor dem vorlegenden Gericht findet der frühere Zollkodex der Gemeinschaften und insbesondere dessen Kapitel 3 („Zollwert der Waren“) Anwendung.

6.        Der den Zollwert der Waren betreffende Art. 29 bestimmt in Abs. 1:

„Der Zollwert eingeführter Waren ist der Transaktionswert, das heißt der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der [Europäischen Union] tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, gegebenenfalls nach Berichtigung gemäß den Artikeln 32 und 33 …

…“

7.        Ferner sieht Art. 30 vor:

„(1)      Kann der Zollwert nicht nach Artikel 29 ermittelt werden, so ist er in der Reihenfolge des Absatzes 2 Buchstaben a) bis d) zu ermitteln, und zwar nach dem jeweils ersten zutreffenden Buchstaben mit der Maßgabe, dass die Inanspruchnahme der Buchstaben c) und d) auf Antrag des Anmelders in umgekehrter Reihenfolge erfolgt; nur wenn der Zollwert nicht nach einem bestimmten Buchstaben ermittelt werden kann, darf der nächste Buchstabe in der in diesem Absatz festgelegten Reihenfolge herangezogen werden.

(2)      Der nach diesem Artikel ermittelte Zollwert ist einer der folgenden Werte:

a)      der Transaktionswert gleicher Waren, die zur Ausfuhr in die [Europäische Union] verkauft und zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt wie die zu bewertenden Waren ausgeführt wurden;

b)      der Transaktionswert gleichartiger Waren, die zur Ausfuhr in die [Europäische Union] verkauft und zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt wie die zu bewertenden Waren ausgeführt wurden;

c)      der Wert auf der Grundlage des Preises je Einheit, zu dem die eingeführten Waren oder[(3)] eingeführte gleiche oder gleichartige Waren in der größten Menge insgesamt in der [Europäischen Union] an Personen verkauft werden, die mit den Verkäufern nicht verbunden sind;

d)      der errechnete Wert, bestehend aus der Summe folgender Elemente:

–        Kosten oder Wert des Materials, der Herstellung sowie sonstiger Be- oder Verarbeitungen, die bei der Erzeugung der eingeführten Waren anfallen;

–        Betrag für Gewinn und Gemeinkosten, der dem Betrag entspricht, der üblicherweise von Herstellern im Ausfuhrland bei Verkäufen von Waren der gleichen Art oder Beschaffenheit wie die zu bewertenden Waren zur Ausfuhr in die [Europäische Union] angesetzt wird;

–        Kosten oder Wert aller anderen Aufwendungen nach Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe e).

…“

8.        In Art. 31 Abs. 1, der die sechste und letzte Bewertungsmethode enthält, heißt es:

„Kann der Zollwert der eingeführten Waren nicht nach den Artikeln 29 und 30 ermittelt werden, so ist er auf der Grundlage von in der [Europäischen Union] verfügbaren Daten durch zweckmäßige Methoden zu ermitteln, die übereinstimmen mit den Leitlinien und allgemeinen Regeln

–        der Vorschriften dieses Kapitels.“

B.      Durchführungsverordnung

9.        Nach Art. 142 Abs. 1 Buchst. d der Durchführungsverordnung bezeichnet „gleichartige Waren“ „Waren, die in demselben Land hergestellt sind und – obwohl sie nicht in jeder Hinsicht gleich sind – gleiche Eigenschaften und gleiche Materialzusammensetzungen aufweisen, die es ihnen ermöglichen, die gleichen Aufgaben zu erfüllen und im Handel austauschbar zu sein; bei der Feststellung, ob Waren als gleichartig anzusehen sind, sind unter anderem die Qualität der Waren, ihr Ansehen und das Vorhandensein eines Warenzeichens zu berücksichtigen“.

10.      Ferner sieht Art. 151 vor:

„(1)      Zur Ermittlung des Zollwerts im Sinne des Artikels 30 Absatz 2 Buchstabe b) des Zollkodex (Transaktionswert gleichartiger Waren) ist der Transaktionswert gleichartiger Waren aus einem Kaufgeschäft auf der gleichen Handelsstufe und über im Wesentlichen gleiche Mengen wie die zu bewertenden Waren heranzuziehen. Kann ein solches Kaufgeschäft nicht festgestellt werden, so ist der Transaktionswert gleichartiger Waren heranzuziehen, die auf einer anderen Handelsstufe und/oder auch in abweichenden Mengen verkauft worden sind; dieser Transaktionswert ist hinsichtlich der Unterschiede in Bezug auf die Handelsstufe und/oder auch die Menge zu berichtigen, sofern diese Berichtigungen auf der Grundlage vorgelegter Nachweise vorgenommen werden können, welche die Richtigkeit und Genauigkeit der Berichtigung klar darlegen, unabhängig davon, ob diese zu einer Erhöhung oder Verminderung des Wertes führt.

(4)      Bei der Anwendung dieses Artikels wird ein Transaktionswert von Waren, die von einer anderen Person hergestellt worden sind, nur in Betracht gezogen, wenn kein Transaktionswert nach Absatz 1 für gleichartige Waren festgestellt werden kann, die von derselben Person hergestellt worden sind, die auch die zu bewertenden Waren hergestellt hat.

…“

11.      Art. 152 Abs. 1 legt fest:

„a)      Werden die eingeführten Waren oder eingeführte gleiche oder gleichartige Waren in der [Europäischen Union] in dem Zustand, in dem sie eingeführt wurden, verkauft, so wird ihr Zollwert nach Artikel 30 Absatz 2 Buchstabe c) des Zollkodex auf der Grundlage des Preises je Einheit ermittelt, zu dem die eingeführten Waren oder eingeführte gleiche oder gleichartige Waren im selben oder annähernd im selben Zeitpunkt wie die Einfuhr der zu bewertenden Waren in der größten Menge insgesamt an Personen verkauft werden, die mit den Personen, von denen sie solche Waren kaufen, nicht verbunden sind; hierbei sind abzuziehen:

i)      die bei Verkäufen in der [Europäischen Union] in der Regel gezahlten oder vereinbarten Provisionen oder die üblichen Zuschläge für Gewinn und Gemeinkosten (einschließlich der direkten und indirekten Absatzkosten) bei eingeführten Waren derselben Gattung oder Art;

ii)      die in der [Europäischen Union] anfallenden üblichen Beförderungs- und Versicherungskosten sowie damit zusammenhängende Kosten und

iii)      Einfuhrabgaben und andere aufgrund der Einfuhr oder des Verkaufs der Waren in der [Europäischen Union] zu zahlende Abgaben.

b)      Werden weder die eingeführten Waren noch die eingeführten gleichen oder gleichartigen Waren im Zeitpunkt der Einfuhr der zu bewertenden Waren oder annähernd im selben Zeitpunkt verkauft, so wird der Zollwert der eingeführten Waren nach diesem Artikel vorbehaltlich des Absatzes 1 Buchstabe a) auf der Grundlage des Preises je Einheit ermittelt, zu dem die eingeführten Waren oder eingeführte gleiche oder gleichartige Waren zum frühesten Zeitpunkt nach der Einfuhr der zu bewertenden Waren, jedoch vor Ablauf von 90 Tagen nach dieser Einfuhr in dem Zustand, in dem sie eingeführt wurden, in der [Europäischen Union] verkauft werden.“

12.      Ferner heißt es in Art. 152 Abs. 3, dass „der „Preis je Einheit, zu dem die eingeführten Waren in der größten Menge insgesamt verkauft werden, der Preis [ist], zu dem die größte Anzahl von Einheiten bei Verkäufen an Personen verkauft wird, die mit den Personen nicht verbunden sind, von denen sie diese Waren auf der ersten Handelsstufe nach der Einfuhr, auf der diese Verkäufe stattfinden, kaufen“.

II.    Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13.      Im Jahr 2005 schlossen die SIA Oribalt Rīga (vormals SIA Oriola Rīga, im Folgenden: Oribalt Rīga) und die indische Gesellschaft Ranbaxy Laboratories Ltd (im Folgenden: Ranbaxy Laboratories) einen Konsignationsvertrag ab. Nach diesem Vertrag sollte Oribalt Rīga in Lettland für Ranbaxy Laboratories Konsignationsdienstleitungen einschließlich der Bereitstellung von Lagerraum und der Abwicklung von Bestellungen der Kunden von Ranbaxy Laboratories in Lettland, Litauen und Estland erbringen.

14.      Nach den Bestimmungen des Konsignationsvertrags führte Oribalt Rīga die Waren (Arzneimittel) nach Lettland zur Überführung in den freien Verkehr im Binnenmarkt ein. Im Rahmen des Zollverfahrens gab Oribalt Rīga in den Zolldokumenten an, sowohl die Empfängerin als auch die Anmelderin zu sein. Sie errechnete den Zollwert der eingeführten Waren anhand der in Art. 29 Abs. 1 des Zollkodex festgelegten Methode zur Bestimmung des Transaktionswerts mittels Pro-forma-Rechnungen, die Ranbaxy Laboratories für Zollzwecke erstellt hatte, und reichte diese bei den Zollbehörden ein. Die Pro-forma-Rechnungen gaben die Art der eingeführten Waren, den Gegenstand, den Marktpreis je Einheit und den Gesamtpreis an.

15.      Die eingeführten Waren wurden von Oribalt Rīga gelagert, aber das Eigentum daran ging erst dann über, wenn sie an Kunden verkauft wurden. Ranbaxy Laboratories bestimmte, an wen die eingeführten Waren verkauft wurden, die Verkaufsbedingungen, den Verkaufspreis und die anwendbaren Rabatte. Oribalt Rīga erhielt und bearbeitete die Bestellungen der Kunden von Ranbaxy Laboratories. In diesem Kontext vervollständigte Oribalt Rīga die Rechnungen anhand des Verkaufspreises der Waren, der ihr von Ranbaxy Laboratories in einer autorisierten Pro-forma-Bestellung zur Verfügung gestellt wurde.

16.      Der Konsignationsvertrag legte fest, dass die Waren, deren Verfallsdatum am nächsten lag, zuerst verkauft werden sollten. Somit konnten zwischen der Einfuhr und dem Verkauf der Waren mehrere Monate vergehen. Infolgedessen konnte der Verkaufswert der fraglichen Waren zum Zeitpunkt des Verkaufs von ihrem zum Zeitpunkt der Einfuhr erklärten Wert abweichen. Der tatsächliche Verkaufspreis der Waren wurde auch durch die Rabatte beeinflusst, die Ranbaxy Laboratories den Kunden gewährte.

17.      Sobald die Waren verkauft worden waren, stellte Ranbaxy Laboratories Oribalt Rīga neue Rechnungen für die verkauften Waren aus.

18.      In den Jahren 2010 und 2011 führte der Valsts ieņēmumu dienests (nationale Steuerbehörde, Lettland, im Folgenden: VID) bei Oribalt Rīga Zollprüfungen und andere Steuerprüfungen für die Jahre 2008 bis 2010 durch. Danach erließ der VID die vor dem vorlegenden Gericht angefochtene Entscheidung, mit der Oribalt Rīga eine zusätzliche Zahlung (bestehend aus einer Mehrwertsteuernachzahlung, einem Säumniszuschlag und einem Bußgeld) für Waren auferlegt wurde, die während des geprüften Zeitraums eingeführt worden waren.

19.      In der angefochtenen Entscheidung heißt es, dass der Wert der in Rede stehenden Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex unter Heranziehung der in den Rechnungen, die Ranbaxy Laboratories Oribalt Rīga nach dem Verkauf der fraglichen Waren an ihre Kunden ausgestellt habe, enthaltenen Angaben zum Verkauf (Warenart, Gegenstand, Preis je Einheit und Gesamtpreis) zu ermitteln sei. Ferner heißt es in der angefochtenen Entscheidung, heranzuziehen sei der Verkaufspreis der in diesen Rechnungen aufgeführten Waren ohne die von Ranbaxy Laboratories ihren Kunden eingeräumten Rabatte.

20.      Die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) wies die Klage von Oribalt Rīga auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung ab. Ihr Rechtsmittel gegen dieses Urteil wurde von der Administratīvā apgabaltiesa (Regionales Oberverwaltungsgericht, Lettland) zurückgewiesen. Oribalt Rīga hat daraufhin beim vorlegenden Gericht ein weiteres Rechtsmittel eingelegt.

21.      Die Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof) hat, da sie Zweifel an der korrekten Auslegung der relevanten Vorschriften des Unionsrechts hegt, entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist im Fall der Einfuhr von Arzneimitteln bei der Bestimmung ihres Zollwerts anhand von Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex und von Art. 151 Abs. 4 der Durchführungsverordnung davon auszugehen, dass „gleichartige Waren“ Arzneimittel sind, deren Wirkstoff und deren Wirkstoffmenge gleich (oder gleichartig) sind, oder ist zur Bestimmung gleichartiger Waren auch die Marktstellung, d. h. Beliebtheit und Nachfrage, des betreffenden eingeführten Arzneimittels und seines Herstellers zu berücksichtigen?

2.      Ist bei der Bestimmung des Zollwerts eingeführter Waren anhand von Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex die in Art. 152 Abs. 1 Buchst. b der Durchführungsverordnung festgelegte Frist von 90 Tagen flexibel zu handhaben?

3.      Falls die genannte Frist flexibel zu handhaben ist, sind dann vorrangig Angaben zu Umsätzen heranzuziehen, die dem Zeitpunkt der Einfuhr der zu bewertenden Waren am nächsten liegen und identische oder gleichartige, in einer zur Bestimmung des Preises je Einheit hinreichenden Menge verkaufte Waren zum Gegenstand haben, oder sind Angaben zu zeitlich weiter entfernt liegenden Umsätzen heranzuziehen, die aber konkret die eingeführten Waren zum Gegenstand hatten?

4.      Sind bei der Bestimmung des Zollwerts eingeführter Waren anhand von Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex gewährte Ermäßigungen zu berücksichtigen, die für den tatsächlichen Verkaufspreis der Waren maßgebend waren?

22.      Im vorliegenden Verfahren haben Oribalt Rīga, die lettische Regierung und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Alle Parteien haben in der Sitzung vom 29. November 2018 mündlich verhandelt.

III. Würdigung

23.      Während die von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof) vorgelegten Fragen auf den ersten Blick eher technisch anmuten, berühren sie de facto die Grundprinzipien der Zollbewertung.

24.      Daher erscheint es sinnvoll, zuerst einen kurzen Überblick über die Grundgedanken der Zollbewertung im Zollkodex zu geben. Anschließend werde ich die vorgelegten Fragen der Reihe nach ansprechen.

A.      Vorbemerkungen

25.      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mit der unionsrechtlichen Zollwertregelung ein gerechtes, einheitliches und neutrales System geschaffen werden soll, das die Anwendung willkürlicher oder fiktiver Zollwerte ausschließt. Der Zollwert sollte daher, wann immer möglich, den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widerspiegeln und alle Elemente solcher Waren, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen(4).

26.      Dieser Grundsatz ist in Art. 29 des Zollkodex verankert. Art. 29 sieht die Bewertung eingeführter Waren auf der Grundlage ihres Transaktionswerts vor. Die „Transaktionswertmethode“ berücksichtigt den für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis.

27.      Um den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widerzuspiegeln, sind u. a. die mit der Verpackung oder der Beförderung der Waren in die Europäische Union verbundenen Kosten, dem Käufer unentgeltlich erbrachte oder gelieferte Leistungen oder Gegenstände sowie Lizenzgebühren dem Transaktionswert hinzuzurechnen(5). Bei Verkäufen, bei denen Käufer und Verkäufer miteinander verbunden sind und bei denen diese Verbindung einen Einfluss auf den Preis der eingeführten Waren gehabt haben könnte, mag eine zusätzliche Zahlung angebracht sein, um den Zollwert dem Wert von Waren vergleichbarer Natur anzunähern und dadurch eine gerechte Bewertung zu gewährleisten.

28.      Da die Transaktionswertmethode den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren mit größtmöglicher Genauigkeit widerspiegelt, ist sie die Standardmethode für die Zollbewertung(6). Gleichwohl sehen die Art. 30 und 31 des Zollkodex weitere Methoden für die Zollwertermittlung unter Umständen vor, in denen die Ermittlung des tatsächlichen Transaktionswerts nicht möglich ist. Die vier Bewertungsmethoden nach Art. 30 stellen damit „sekundäre“ Bewertungsmethoden dar, mit denen der Zollwert auf der Grundlage klarer Regeln ermittelt wird. Art. 31 sieht hingegen eine Auffangmethode vor, die nur dann angewandt werden kann, wenn es keine andere praktikable Möglichkeit gibt, und bei der der Regelungsrahmen der Zollwertbestimmung flexibler angewandt wird.

29.      Alles in allem sind die Bewertungsmethoden im Zollkodex streng hierarchisch aufgebaut und einander nachgeordnet. Daher sind sie der Reihe nach anzuwenden. Nur wenn der Zollwert nicht anhand einer bestimmten Methode ermittelt werden kann, ist die Methode heranzuziehen, die ihr im Zollkodex unmittelbar nachfolgt(7).

30.      Die hilfsweisen Bewertungsmethoden nach den Art. 30 und 31 des Zollkodex finden somit Anwendung, wenn es entweder keinen tatsächlichen Transaktionswert gibt, weil die zu bewertenden Waren noch nicht an einen Käufer in der Europäischen Union verkauft wurden, oder wenn die Authentizität des Transaktionswerts nicht überprüft werden kann.

31.      Unter solchen Umständen wird auf andere Bewertungsmethoden zurückgegriffen, um einen gerechten Zollwert zu ermitteln, der den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren zu demselben oder annähernd demselben Einfuhrzeitpunkt so weit wie möglich widerspiegelt. Der Unionsgesetzgeber hat erkannt, dass sich der Wert der fraglichen Waren je nach ihrer Natur im Lauf der Zeit erheblich verändern kann.

32.      In dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Fall kann die Transaktionswertmethode keine Anwendung finden, da die Waren als Konsignationswaren verkauft wurden und das Eigentum erst nach ihrer Einfuhr in den Binnenmarkt der Europäischen Union übergeht. Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens besteht jedoch Uneinigkeit darüber, welche der alternativen Bewertungsmethoden in Art. 30 des Zollkodex im konkreten Fall anzuwenden ist.

33.      Während Oribalt Rīga geltend macht, der Wert der eingeführten Waren müsse auf der Grundlage des Transaktionswerts gleicher oder gleichartiger Waren, die zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt wie die zu bewertenden Waren zur Ausfuhr in die Europäische Union verkauft worden seien, bestimmt werden(8), ist der VID der Auffassung, der Wert der Waren müsse auf der Grundlage des Preises je Einheit, zu dem die eingeführten Waren letztlich verkauft würden, ermittelt werden, ohne jedoch die den Kunden von Ranbaxy Laboratories gewährten Rabatte zu berücksichtigen(9).

34.      Genauer gesagt ist die Umsetzung der verschiedenen Bewertungsmethoden in Art. 30 Abs. 2 des Zollkodex zwischen den Parteien streitig. Das vorlegende Gericht muss daher abschließend darüber befinden, welche Methode zur Ermittlung des Wertes der eingeführten Waren Anwendung findet und wie sie anzuwenden ist.

35.      Hierzu sind dem Gerichtshof die Fragen vorgelegt worden, die ich nun nacheinander ansprechen werde.

B.      Erste Vorlagefrage: Faktoren, die bei der Ermittlung des Zollwerts von Arzneimitteln nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex zu berücksichtigen sind

36.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Faktoren bei der Auswahl angemessener „gleichartiger Waren“ im Rahmen der Anwendung der in Art. 30 Abs. 2 Buchst. b festgelegten deduktiven Methode auf Arzneimittel zu berücksichtigen sind.

37.      Diese Frage ist für den beim vorlegenden Gericht anhängigen Fall von zentraler Bedeutung, denn der VID argumentiert, der Wert der eingeführten Waren könne nicht auf der Grundlage des Art. 30 Abs. 2 Buchst. b ermittelt werden, da es den lettischen Zollbehörden an dem notwendigen Wissen und den notwendigen Angaben fehle, um zu beurteilen, ob die von anderen Verkäufern hergestellten Arzneimittel den von Ranbaxy Laboratories hergestellten Waren tatsächlich gleichartig seien.

38.      Bei der Auslegung des Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex bietet die Durchführungsverordnung Hinweise; sie definiert „gleichartige Waren“ als „Waren, die in demselben Land hergestellt sind und – obwohl sie nicht in jeder Hinsicht gleich sind – gleiche Eigenschaften und gleiche Materialzusammensetzungen aufweisen, die es ihnen ermöglichen, die gleichen Aufgaben zu erfüllen und im Handel austauschbar zu sein; bei der Feststellung, ob Waren als gleichartig anzusehen sind, sind unter anderem die Qualität der Waren, ihr Ansehen und das Vorhandensein eines Warenzeichens zu berücksichtigen“(10).

39.      Wie die Kommission ausführt, ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass bei der Ermittlung des Zollwerts auf der Grundlage eines zuvor ermittelten Zollwerts vergleichbarer Waren die wichtigsten zu berücksichtigenden Faktoren in den Eigenschaften und der Materialzusammensetzung bestehen, aufgrund deren die Waren die gleichen Aufgaben erfüllen und im Handel austauschbar sein können. Die Qualität der Waren, ihr Ansehen und das Vorhandensein eines Warenzeichens sind weitere zu berücksichtigende Faktoren.

40.      Als solche ist die Definition eher weit gefasst und beruht auf einer detaillierten Beurteilung der zu bewertenden Waren, um eine umfassende Anwendung auf Waren jeder Art zu ermöglichen. Die Definition macht deutlich, dass die ausdrücklich als bei der Beurteilung zu berücksichtigen genannten Faktoren Beispiele darstellen.

41.      Gleichzeitig verkörpert die Definition das Grundprinzip des Zollkodex für die Ermittlung des Zollwerts, nämlich einen Zollwert zu ermitteln, der den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren widerspiegelt und alle Elemente dieser Waren berücksichtigt, die einen wirtschaftlichen Wert haben(11).

42.      Demzufolge haben die Zollbehörden in erster Linie zu berücksichtigen, ob die verglichenen Waren die gleichen Aufgaben erfüllen und ob sie im Handel austauschbar sind. Alle weiteren für die Zwecke der Beurteilung zu berücksichtigenden Faktoren hängen von den konkret zu bewertenden Waren ab und sollten alle Elemente solcher Waren berücksichtigen, die ihren wirtschaftlichen Wert beeinflussen könnten.

43.      Wenn die Zollbehörden nicht über die notwendigen Fachkenntnisse und Angaben verfügen, um diese Beurteilung bei den zu bewertenden Waren vorzunehmen, sind verschiedene Vorgehensweisen möglich: i) Die Zollbehörde kann vom Anmelder weitere Unterlagen und Angaben anfordern, die sie für die Festlegung des Zollwerts nach einer der Bewertungsmethoden in den Art. 30 und 31 des Zollkodex als notwendig erachtet(12). ii) Die Zollbehörde kann von allen Personen, die unmittelbar oder mittelbar an den betreffenden Vorgängen im Rahmen des Warenverkehrs beteiligt sind, alle Unterlagen und Angaben anfordern(13). iii) Die Zollbehörde kann andere Zollbehörden in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um Amtshilfe ersuchen, um die notwendigen Auskünfte zu erhalten(14). iv) Die Zollbehörde kann auf Kosten des Anmelders Analysen oder Sachverständigengutachten für die zu bewertenden Waren einholen(15).

44.      Alle vertraulichen Angaben, die im Lauf der Wertermittlung mitgeteilt werden, fallen unter die Geheimhaltungspflicht und dürfen von den zuständigen Behörden nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Person oder der Behörde, die sie gemacht hat, weitergegeben werden(16). Ein Anmelder kann sich somit nicht auf die Vertraulichkeit angeforderter Angaben stützen, um der Verpflichtung, diese Angaben mitzuteilen, zu entgehen.

45.      Die Zollbehörden müssen nach Möglichkeit ein Verkaufsgeschäft über gleichartige Waren auf der gleichen Handelsstufe und über im Wesentlichen die gleiche Menge wie die zu bewertenden Waren heranziehen. Gibt es kein solches Verkaufsgeschäft, können Verkaufsgeschäfte zu abweichenden Bedingungen herangezogen werden. Unter solchen Umständen sind Berichtigungen bei den geänderten Faktoren vorzunehmen. Wichtig ist, dass solche Berichtigungen nur auf der Grundlage vorgelegter Nachweise vorgenommen werden können, die die Richtigkeit und Genauigkeit der Berichtigung klar belegen. In Ermangelung eines solchen objektiven Maßstabs ist die Bestimmung des Zollwerts nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. b nicht angebracht(17).

46.      Angesichts der streng hierarchischen Natur der Vorschriften über die Wertermittlung im Zollkodex haben die Zollbehörden die Pflicht, die Wertermittlung nach der zuerst genannten Vorschrift zu gewährleisten, mit Vorrang vor den im Zollkodex danach genannten Methoden.

47.      Darüber hinaus erfordert das Recht auf eine gute Verwaltung insoweit, als es einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts widerspiegelt, dass die Zollbehörde alle ihre Entscheidungen einschließlich der Wahl der Bewertungsmethode begründet. Dies versetzt den Adressaten einer solchen Entscheidung in die Lage, seine Rechte unter bestmöglichen Voraussetzungen geltend zu machen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es von Nutzen ist, mit einer Klage dagegen vorzugehen. Es ist außerdem notwendig, um den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen zu ermöglichen(18).

48.      Falls zwischen den Parteien auch die Heranziehung der Bewertungsmethode in Art. 30 Abs. 2 Buchst. a des Zollkodex streitig sein sollte, kämen dieselben Erwägungen zum Tragen.

49.      Wurden identische Waren (d. h. im Wesentlichen gleiche Waren mit anderen Seriennummern) von Oribalt Rīga zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt wie die fraglichen Waren eingeführt und würde ihr Wert auf der Grundlage ihres Transaktionswerts nach Art. 29 des Zollkodex ermittelt, müsste der Wert der fraglichen Waren zwangsläufig auf der Grundlage des Art. 30 Abs. 2 Buchst. a ermittelt werden. Wurden keine solchen identischen Waren eingeführt, müsste auf Art. 30 Abs. 2 Buchst. b zurückgegriffen und der Zollwert auf der Grundlage des Transaktionswerts gleichartiger Waren ermittelt werden.

50.      Wird auf die Bewertungsmethode in Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex zurückgegriffen, dürfte es meines Erachtens im Fall von Generika nicht allzu schwer sein, gleichartige Waren zu finden. Solange in demselben Land andere Generika hergestellt werden, die als gleichwertiger Ersatz für dasselbe Markenarzneimittel wie die zu bewertenden Waren anzusehen sind und deren Wert auf der Grundlage ihres Transaktionswerts ermittelt wurde, stellen solche anderen eingeführten Arzneimittel für die Zwecke des Art. 30 Abs. 2 Buchst. b gleichartige Waren dar.

51.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass die Zollbehörden bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex und Art. 151 Abs. 4 der Durchführungsverordnung ungeachtet ihrer Natur zur Identifizierung gleichartiger Waren in erster Linie berücksichtigen müssen, ob die Waren die gleichen Aufgaben erfüllen und ob sie im Handel austauschbar sind. Zu diesem Zweck ist je nach der konkreten Natur der fraglichen Waren eine detaillierte Beurteilung vorzunehmen, unter Berücksichtigung aller Elemente solcher Waren, die ihren wirtschaftlichen Wert beeinflussen können.

C.      Zweite und dritte Vorlagefrage: die Frist von 90 Tagen in Art. 152 Abs. 1 der Durchführungsverordnung

52.      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 152 Abs. 1 der Durchführungsverordnung als Referenzzeitraum für gleichartige Waren festgelegte Frist von 90 Tagen flexibel gehandhabt werden kann, um „gleichartigere“ Waren zu berücksichtigen, die nach Ablauf eines Zeitraums von 90 Tagen eingeführt wurden.

53.      Aus dem Wortlaut des Art. 152 Abs. 1 Buchst. b der Durchführungsverordnung ergibt sich eindeutig, dass der Zeitraum von 90 Tagen eine Ausschlussfrist darstellt. Andernfalls hätte der Unionsgesetzgeber ein Wort wie „etwa“ hinzugefügt. Diese Auslegung stützt sich auf den der Zollwertermittlung zugrunde liegenden Grundsatz, dass ein Zollwert zu ermitteln ist, der den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Waren zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt widerspiegelt, in dem die zu bewertenden Waren in den Binnenmarkt eingeführt werden. Der in Art. 152 Abs. 1 Buchst. b angegebene Zeitraum von 90 Tagen stellt eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar und ist eng auszulegen. Somit stellen 90 Tage die Obergrenze dar, die den Zollbehörden bei der Wertermittlung von Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex zur Verfügung steht.

54.      Der VID hat in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Fall die Frist des Art. 152 Abs. 1 Buchst. b bei der Bestimmung des Zollwerts der von Oribalt Rīga eingeführten Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c flexibel gehandhabt. Insoweit verweisen sowohl das vorlegende Gericht als auch die lettische Regierung auf die Erläuternden Anmerkungen in Anhang 23 der Durchführungsverordnung. In der relevanten Anmerkung heißt es, das Erfordernis von „90 Tagen“ könne bei der Ermittlung des Zollwerts nach Art. 31 Abs. 1 des Zollkodex großzügig gehandhabt werden. Der VID überträgt diese Auslegung somit auf die Anwendung des Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex.

55.      Art. 31 des Zollkodex stellt die letzte in der strengen Hierarchie der Bewertungsmethoden des Zollkodex erwähnte Vorschrift dar. Daher ist hervorzuheben, dass die Bewertung eingeführter Waren nach Art. 31 eine Auffangmethode darstellt, die nur als letztes Mittel anzuwenden ist, wenn der Zollwert eingeführter Waren nicht nach den Art. 29 oder 30 ermittelt werden kann.

56.      Unter solchen Umständen lässt Art. 31 es zu, die Bewertungsmethoden der Art. 29 und 30 des Zollkodex großzügig zu handhaben. Angesichts der strengen Hierarchie der Bestimmungen über die Zollwertermittlung müssen die Zollbehörden jedoch zuerst feststellen, dass eine Wertermittlung auf der Grundlage der Art. 29 und 30 Abs. 2 Buchst. a bis d nicht möglich ist.

57.      Jede andere Auslegung der Frist von 90 Tagen in Art. 152 Abs. 1 der Durchführungsverordnung würde Art. 31 des Zollkodex überflüssig machen und ihn seiner praktischen Wirksamkeit berauben.

58.      Demzufolge ist der in Art. 152 Abs. 1 der Durchführungsverordnung festgelegte Zeitraum von 90 Tagen strikt anzuwenden.

59.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite und die dritte Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex der in Art. 152 Abs. 1 der Durchführungsverordnung festgelegte Zeitraum von 90 Tagen strikt anzuwenden ist.

D.      Vierte Vorlagefrage: Rabatte

60.      Mit der vierten Vorlagefrage möchte das nationale Gericht wissen, ob die gewährten Rabatte, die den Preis bestimmten, zu dem eingeführte Waren tatsächlich verkauft wurden, bei der Ermittlung des Zollwerts nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex zu berücksichtigen sind.

61.      Art. 30 Abs. 2 Buchst. c sieht vor, dass der Wert eingeführter Waren auf der Grundlage des Preises je Einheit (oder Listenpreises) ermittelt wird, zu dem die eingeführten oder gleiche oder gleichartige eingeführte Waren in der größten Menge insgesamt in der Europäischen Union an Personen verkauft werden, die mit den Verkäufern nicht verbunden sind.

62.      Weitere dahin gehende Hinweise gibt Art. 152 der Durchführungsverordnung. Demzufolge findet der Preis je Einheit der eingeführten Waren oder gleicher oder gleichartiger Waren, die zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt wie dem der Einfuhr verkauft werden, als Grundlage für die Wertermittlung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex Anwendung(19). Die Vorschrift sieht weiter vor, dass „Preis je Einheit“ auf den Preis verweist, zu dem die größte Anzahl von Einheiten bei Verkäufen an Personen verkauft wird, die mit den Personen nicht verbunden sind, von denen sie die Waren auf der ersten Handelsstufe nach der Einfuhr, auf der diese Verkäufe stattfinden, kaufen(20).

63.      Die Bewertungsmethode in Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex unterscheidet sich in wichtigen Aspekten von der in Art. 29 festgelegten Standardbewertungsmethode.

64.      Nach Art. 29 wird der Zollwert auf der Grundlage des tatsächlichen Transaktionswerts ermittelt, wobei Berichtigungen auf der Grundlage bestimmter Elemente vorgenommen werden, die den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren beeinflussen(21). Als solche können bei der Ermittlung des Zollwerts Rabatte Berücksichtigung finden, soweit sie sich auf die eingeführten Waren beziehen und zum Zeitpunkt, zu dem die Zollanmeldung abgegeben wird, ein gültiger Anspruch auf den Rabatt besteht(22).

65.      Die Bewertungsmethoden in den Art. 30 und 31 ergeben hingegen einen Zollwert, der eine Annäherung an den wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren oder eher seine Schätzung darstellt(23). Im Vergleich zum tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren ist daher eine gewisse Fehlermarge unvermeidlich.

66.      Wie die in Kapitel 3 des Zollkodex festgelegte strenge hierarchische Struktur zeigt, hat der Unionsgesetzgeber berücksichtigt, dass bestimmte Bewertungsmethoden bessere Schätzungen des wirtschaftlichen Wertes eingeführter Waren liefern als andere. Folglich könnte der Zollwert potenziell umso weiter vom tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren entfernt sein, je weiter eine Zollbehörde bei der Ermittlung des Zollwerts innerhalb der Hierarchie dieser Vorschriften voranschreiten muss(24).

67.      Der nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex ermittelte Zollwert ist in dieser Hinsicht noch weiter vom tatsächlichen wirtschaftlichen Wert entfernt als der Wert nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. a oder b. Die Bewertungsmethode in Art. 30 Abs. 2 Buchst. c zieht nicht nur als Grundlage einen abstrakten Preis je Einheit statt einer konkreten wirtschaftlichen Transaktion heran. Sie stützt den Zollwert auch auf den Preis je Einheit bei Verkäufen auf der ersten Handelsstufe nach der Einfuhr. Demgegenüber nehmen die Art. 29 und 30 Abs. 2 Buchst. a und b auf den Transaktionswert zu dem Zeitpunkt Bezug, zu dem die Waren im Ursprungsland zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union verkauft werden.

68.      Um gleichwohl die Fehlermarge bei der Ermittlung des Zollwerts nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c zu reduzieren, hat der Unionsgesetzgeber im Zollkodex vorgesehen, dass bestimmte Maßnahmen nötig sein können.

69.      Zum Beispiel unterliegt zur Berücksichtigung des wertmäßigen Unterschiedes, der zwischen einem zur Ausfuhr in einem Drittland getätigten Verkauf einerseits und einem Verkauf innerhalb der Europäischen Union andererseits bestehen mag(25), der nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c ermittelte Zollwert bestimmten Abzügen.

70.      Dabei können für die Zwecke des Zollwerts Abzüge für i) die bei Verkäufen in der Europäischen Union in der Regel gezahlten oder vereinbarten Provisionen oder die üblichen Zuschläge für Gewinn und Gemeinkosten (einschließlich der direkten und indirekten Absatzkosten) bei eingeführten Waren derselben Gattung oder Art, ii) die in der Europäischen Union anfallenden üblichen Beförderungs- und Versicherungskosten sowie damit zusammenhängende Kosten und iii) Einfuhrabgaben und andere aufgrund der Einfuhr oder des Verkaufs der Waren in der Europäischen Union zu zahlende Abgaben(26) vorgenommen werden.

71.      Wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig ergibt, ist die Aufzählung dieser Abzüge abschließend und hat nicht nur Beispielcharakter. Darüber hinaus folgt aus der Gesamtstruktur des Kapitels 3, dass die Abzüge, auf die in Art. 152 Abs. 1 Buchst. a Bezug genommen wird, einen potenziellen Wertunterschied zwischen zur Ausfuhr verkauften Waren und nach der Einfuhr verkauften Waren ausgleichen sollen. Daher können entgegen dem Vorbringen von Oribalt Rīga die in Art. 152 Abs. 1 Buchst. a genannten Abzüge nicht so verstanden werden, dass sie sich auf Handelsrabatte wie diejenigen erstrecken, die den Kunden von Ranbaxy Laboratories gewährt wurden.

72.      Darüber hinaus berücksichtigt Art. 30 Abs. 2 Buchst. c dadurch, dass er die Heranziehung des Preises je Einheit für in der größten Menge insgesamt verkaufte Waren vorsieht, bereits gewisse Mengenrabatte(27). Wenn einzelnen Kunden gewährte Rabatte neben diesen Mengenrabatten Berücksichtigung fänden, würden die eingeführten Waren de facto unterbewertet.

73.      Schließlich muss auf die alternativen Bewertungsmethoden oft unter Umständen zurückgegriffen werden, in denen die Importeure die zur Berechnung des Transaktionswerts notwendigen Angaben und Unterlagen nicht zur Verfügung stellen können oder wollen. Die Zollbehörden der Europäischen Union haben keine Möglichkeit, Händler in Drittländern zu solchen Angaben zu zwingen. Die Berücksichtigung von Rabatten nur zur Wertermittlung nach Art. 29 und nur, wenn solche Rabatte durch die notwendigen Unterlagen nachgewiesen werden, scheint mir daher ein legitimer Anreiz dafür zu sein, solche Angaben zu machen.

74.      Ich habe den Eindruck, dass Oribalt Rīga mit dem Vorbringen, der nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex ermittelte Zollwert müsse den Rabatten Rechnung tragen, die den Preis bestimmt hätten, zu dem die Waren tatsächlich verkauft worden seien, da sie ein Element darstellten, das den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der eingeführten Waren beeinflusse, schlicht die zwei verschiedenen Bewertungsmethoden in den Art. 29 und 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex durcheinanderbringt.

75.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die vierte Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex die gewährten Rabatte, die den Preis bestimmt haben, zu dem die Waren tatsächlich verkauft wurden, nicht berücksichtigt werden können.

IV.    Ergebnis

76.      Im Licht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) wie folgt zu antworten:

Die Zollbehörden müssen bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften und Art. 151 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 ungeachtet ihrer Natur zur Identifizierung gleichartiger Waren in erster Linie berücksichtigen, ob die Waren die gleichen Aufgaben erfüllen und ob sie im Handel austauschbar sind. Zu diesem Zweck ist je nach der konkreten Natur der fraglichen Waren eine detaillierte Beurteilung vorzunehmen, unter Berücksichtigung aller Elemente solcher Waren, die ihren wirtschaftlichen Wert beeinflussen können.

Bei der Ermittlung des Zollwerts der eingeführten Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2913/92 ist der in Art. 152 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 festgelegte Zeitraum von 90 Tagen strikt anzuwenden.

Bei der Ermittlung des Zollwerts eingeführter Waren nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 2913/92 können die gewährten Rabatte, die den Preis bestimmt haben, zu dem die Waren tatsächlich verkauft wurden, nicht berücksichtigt werden.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zollkodex).


3      Ein Vergleich sowohl mit der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1993, L 253, S. 1) (im Folgenden: Durchführungsverordnung) und den Erläuternden Anmerkungen in deren Anhang 23 als auch mit anderen Sprachfassungen zeigt, dass die englische Sprachfassung des Zollkodex an dieser Stelle einen Druckfehler enthält („for“ statt „or“).


4      Vgl. Urteil vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland (C‑529/16, EU:C:2017:984, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5      Vgl. Art. 32 des Zollkodex. Vgl. auch Art. 33 des Zollkodex, der regelt, was nicht in den Transaktionswert einzubeziehen ist.


6      Vgl. Urteil vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland (C‑529/16, EU:C:2017:984, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Vgl. Urteil vom 9. November 2017, LS Customs Services (C‑46/16, EU:C:2017:839, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).


8      Vgl. Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b des Zollkodex.


9      Vgl. Art. 30 Abs. 2 Buchst. c des Zollkodex.


10      Vgl. Art. 142 Abs. 1 Buchst. d der Durchführungsverordnung.


11      Siehe oben, Nr. 25.


12      Vgl. Art. 178 der Durchführungsverordnung sowie das Kompendium der Zollwerttexte (TAXUD/800/2002‑DE) des Ausschusses für den Zollkodex (im Folgenden: Zollkompendium), S. 33.


13      Vgl. Art. 14 des Zollkodex.


14      Vgl. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung (ABl. 1997, L 82, S. 1).


15      Vgl. Art. 11 Abs. 2 des Zollkodex.


16      Vgl. Art. 15 des Zollkodex.


17      Vgl. Art. 151 der Durchführungsverordnung und die Erläuternden Anmerkungen in ihrem Anhang 23.


18      Vgl. Art. 6 Abs. 3 des Zollkodex und Urteile vom 9. November 2017, LS Customs Services (C‑46/16, EU:C:2017:839, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 16. Juni 2016, EURO 2004. Hungary (C‑291/15, EU:C:2016:455, Rn. 35).


19      Vgl. Art. 152 Abs. 1 Buchst. a der Durchführungsverordnung.


20      Vgl. Art. 152 Abs. 3 der Durchführungsverordnung.


21      Vgl. Art. 29, 32 und 33 des Zollkodex. Siehe auch oben, Nr. 24.


22      Vgl. Zollkompendium, S. 48 und 49. Vgl. auch Art. 145 Abs. 2 der Durchführungsverordnung und entsprechend Urteile vom 20. Dezember 2017, Hamamatsu Photonics Deutschland (C‑529/16, EU:C:2017:984, Rn. 34 und 35), und vom 6. Juni 1990, Unifert (C‑11/89, EU:C:1990:237, Rn. 35).


23      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati (C‑263/06, EU:C:2008:128, Rn. 58).


24      Dies ist auch der Grund dafür, dass selbst innerhalb des Art. 30 Abs. 2 Buchst. c eine hierarchische Anwendung der Bewertungsmethode besteht. Dementsprechend geht der Preis je Einheit der eingeführten, zu bewertenden Waren dem Preis je Einheit gleicher oder gleichartiger Waren zum Zweck der Zollwertbestimmung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. c vor. Nur unter Umständen, in denen der Preis je Einheit der zu bewertenden Waren nicht eindeutig ist oder nicht nachgewiesen werden kann, können die Zollbehörden der Reihe nach auf den Preis je Einheit gleicher oder gleichartiger Waren zurückgreifen. Vgl. in diesem Sinne Zollkompendium, S. 78.


25      Ein Wertunterschied kann sich aus verschiedenen Gründen ergeben, z. B. aufgrund der Verlagerung mit der Beförderung der Waren in die Europäische Union verbundener Risiken oder aufgrund eines Unterschieds beim Marktpreis.


26      Vgl. Art. 152 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i bis iii der Durchführungsverordnung.


27      Vgl. die Anmerkungen zu Art. 152 Abs. 3 der Erläuternden Anmerkungen in Anhang 23 der Durchführungsverordnung.