SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
YVES BOT
vom 4. Juli 2018(1)
Rechtssache C‑308/17
Hellenische Republik
gegen
Leo Kuhn
(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – Anwendungsbereich – Art. 1 Abs. 1 – Begriff ‚Zivil- und Handelssachen‘ – Anleihen eines Mitgliedstaats – Beteiligung an der Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld – Einseitige, rückwirkende Änderung der Anleihebedingungen – Collective Action Clause – Von privaten Gläubigern, die als natürliche Personen Inhaber dieser Anleihen sind, gegen den Staat erhobene Klage – Haftung des Staates für acta iure imperii – Besondere Zuständigkeiten – Art. 7 Nr. 1 Buchst. a – Zuständigkeit für Klagen in Vertragsangelegenheiten – Begriff ‚Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag‘ – Begriff ‚von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung‘ – Begriff ‚Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre‘ – Bedingungen für die Zeichnung der Staatsanleihe – Aufeinanderfolgende Übertragungen der Forderung – Tatsächlicher Erfüllungsort der Hauptpflicht – Zahlung von Zinsen“
I. Einleitung
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2).
2. Dieses Ersuchen stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hellenischen Republik und Herrn Leo Kuhn über einen Anspruch auf Einhaltung der Anleihebedingungen im Zusammenhang mit von Herrn Kuhn gehaltenen Anleihen dieses Mitgliedstaats bzw. Schadensersatz wegen Nichteinhaltung der Bedingungen.
3. Zur besseren Einschätzung der Bedeutung und des Umfangs dieser Forderung ist diese in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
4. Zum einen handelt es sich bei diesem Verfahren, in dem es um die Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld unter Beteiligung des Privatsektors im März 2012 geht(3), nicht um einen Einzelfall.
5. Zum anderen geht die Bedeutung der vom Obersten Gerichtshof (Österreich) vorgelegten Fragen weit über ihre technischen Aspekte hinaus, die gewöhnlich als schwieriger angesehen werden, was die auszulegende Vorschrift betrifft. Sie hängt grundlegend mit der Entwicklung der staatlichen Anleihetechniken sowie mit den wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen zusammen, die die verfahrensmäßige Behandlung der Staatsschulden als hochsensibel erscheinen lassen.
6. Die Entscheidung, die Finanzierung über Anleihen auf den Märkten vorzunehmen(4), hatte nämlich zur Folge, dass die Verwaltung der Staatsschulden komplizierter wurde, weil die vertraglichen Mechanismen nicht an die Verschiedenartigkeit der Gläubiger, bei denen es sich um öffentliche, private und institutionelle Gläubiger oder Privatpersonen handeln konnte, und vor allem nicht daran angepasst waren, dass es zwischen diesen keine Koordinierung gab.
7. Daher führt bei Eintritt einer staatlichen Finanzkrise das Fehlen eines Verfahrens zur allgemeinen und organisierten Behandlung der Zahlungsunfähigkeit von Staaten dazu, dass der Ausgang des Umstrukturierungsverfahrens den Gerichten überantwortet wird(5).
8. Die komplexen rechtlichen Probleme, die sich aus der Modifizierung und Internationalisierung der Verfahren ergeben, können daher nicht losgelöst vom wirtschaftlichen Kontext betrachtet werden, in dem sie sich stellen(6).
9. Im Fall der Umstrukturierung der griechischen Schuld im Jahr 2012, die einen historischen Umfang aufwies(7), stellten sich die üblicherweise anzutreffenden Schwierigkeiten angesichts der auf Euro lautenden Titel und der sich daraus ergebenden Gefahr einer systemischen Krise in einem neuen Licht dar(8). Sie rechtfertigten finanzielle und rechtliche Lösungen, deren Ausnahmecharakter die Schwere der zu lösenden Probleme erklärt.
10. Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte bereits Gelegenheit, die heikle Frage der Auswirkungen dieser Umstrukturierung auf die Rechte der Inhaber griechischer Anleihen unter dem Blickwinkel der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke, d. h. in einem frühen Stadium des Verfahrens, vor jeder Sachprüfung, im Urteil vom 11. Juni 2015, Fahnenbrock u. a. (C‑226/13, C‑245/13 und C‑247/13, im Folgenden: Urteil Fahnenbrock u. a., EU:C:2015:383), zu untersuchen.
11. Seitdem sind weitere Entscheidungen europäischer Gerichte ergangen, die von sehr zahlreichen anderen Inhabern griechischer Anleihen mit demselben Ziel angerufen wurden, nämlich ihre vertraglichen Rechte zu wahren oder die von ihnen geltend gemachten Schäden ersetzt zu bekommen.
12. So hat das Gericht der Europäischen Union mit Urteil vom 7. Oktober 2015, Accorinti u. a./EZB(9), die am 11. Februar 2013 von mehr als 200, überwiegend italienischen Inhabern privater griechischer Titel erhobene Klage auf Ersatz des ihnen insbesondere aufgrund des Beschlusses der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 5. März 2012 über die Notenbankfähigkeit der von der griechischen Regierung begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel im Rahmen des Angebots der Hellenischen Republik zum Schuldentausch(10) sowie aufgrund weiterer im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld stehenden Maßnahmen der EZB entstandenen Schadens abgewiesen. Mit Urteil vom 24. Januar 2017, Nausicaa Anadyomène und Banque d’escompte/EZB(11), hat das Gericht sodann die am 21. Dezember 2015 von Geschäftsbanken erhobene Schadensersatzklage abgewiesen und jede Haftung der EZB unter Bestätigung der von ihm in Bezug auf die natürlichen Personen, die Inhaber griechischer Schuldtitel waren, getroffenen Entscheidung ausgeschlossen.
13. Im Übrigen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) die im Lauf der Monate September und Oktober 2014 von 6 320 griechischen Staatsangehörigen, die als natürliche Personen Anleihen des griechischen Staates im Wert von 10 000 Euro bis 1 510 000 Euro gezeichnet hatten, wegen ihrer erzwungenen Beteiligung an der Reduzierung der griechischen Staatsschuld durch Umtausch ihrer Anleihen in andere von geringerem Wert erhobenen Klagen geprüft. Mit Urteil vom 21. Juli 2016(12) stellte der EGMR einstimmig fest, dass weder Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(13) noch Art. 14 EMRK in Verbindung mit Art. 1 dieses Protokolls verletzt worden seien(14).
14. Nunmehr ist der Gerichtshof aufgerufen, seine Analyse zu vervollständigen, indem er sich zu den Regeln äußert, die für die Bestimmung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gelten, im Anschluss an das Urteil Fahnenbrock u. a. sowie das Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, im Folgenden: Urteil Kolassa, EU:C:2015:37), was die Art der Rechtsbeziehungen zwischen dem Emittenten einer Staatsanleihe und deren Erwerber angeht.
15. Die Fragen des vorlegenden Gerichts und die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten müssen den Gerichtshof dazu veranlassen, vorab zu prüfen, ob der Ausgangsrechtsstreit unter die Verordnung Nr. 1215/2012 fällt, die gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 in Zivilsachen anzuwenden ist, nicht aber insbesondere auf die Haftung des Staates für Handlungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Gewalt (acta iure imperii). Wenn der Rechtsstreit in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, wird anschließend geklärt werden müssen, ob er als Rechtsstreit betreffend einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung in der Auslegung durch den Gerichtshof einzustufen ist, der eine besondere Zustellungsregel vorsieht, die von der allgemeinen Regel abweicht, wonach die Gerichte des Mitgliedstaats des Wohnsitzes des Beklagten zuständig sind. Wenn dies der Fall ist, wird schließlich festzustellen sein, welches im Sinne dieses Art. 7 der „Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“, ist.
16. Zum Abschluss meiner Prüfung werde ich – lediglich hilfsweise – Antworten auf diese beiden letztgenannten Fragen betreffend die Anwendungsvoraussetzungen für die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 vorschlagen.
17. Ich werde nämlich in erster Linie die Auffassung vertreten, dass der Rechtsstreit nicht in den Anwendungsbereich dieser Regelung fällt.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
18. Die Erwägungsgründe 4, 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012(15) lauten:
„(4) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind.
…
(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“
19. Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).“
20. Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung in Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) ihres Kapitels II („Zuständigkeit“) lautet:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
21. Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 in Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) desselben Kapitels II sieht vor:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“(16).
B. Griechisches Recht
22. Der Vorlageentscheidung zufolge(17) hat die Hellenische Republik in Griechenland dem griechischen Recht unterliegende und an der Athener Börse gehandelte Staatsanleihen als Wertrechte (Schuldbuchforderungen) ausgegeben. Diese wurden im Girosystem der griechischen Zentralbank registriert(18), das auf Konten im Namen der jeweiligen, vom Gouverneur der griechischen Zentralbank zugelassenen Systemteilnehmer basiert(19).
23. Nach Art. 6 Abs. 2 dieses Gesetzes können die Teilnehmer am Girosystem der griechischen Zentralbank Dritten (Investoren) Rechtspositionen in Bezug auf die Anleihe einräumen(20); ein solches Rechtsgeschäft wirkt jedoch nur zwischen den betreffenden Parteien und hat ausdrücklich keine Wirkung für oder gegen die Hellenische Republik.
24. Gemäß Art. 6 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 2198/1994 wird eine Anleihe durch Gutschrift auf dem Konto des Teilnehmers übertragen.
25. Art. 6 Abs. 5 bis 7 dieses Gesetzes erleichtert das Verständnis des vom vorlegenden Gericht beschriebenen „Systems“. Es heißt dort:
„(5) Die Konten der Teilnehmer werden im System erfasst. Die Konten der Anleger werden bei den Teilnehmern erfasst.
(6) Sowohl im System als auch bei den Teilnehmern werden die Konten separat je nach Kategorie der Titel erfasst, die gemeinsame Merkmale aufweisen.
(7) Im System werden für jeden Teilnehmer separate Konten erfasst, zum einen für die Titel aus seinem eigenen Portefeuille und zum anderen für die Titel des Portefeuilles seiner Anlagekunden. Das Konto des Portefeuilles der Anleger eines jeden Teilnehmers wird für alle Anleger des Teilnehmers kumulativ erfasst.“
26. Art. 8 des Gesetzes bestimmt:
„…
(2) Der Anleger hat eine Forderung aus seinem Titel ausschließlich gegen den Teilnehmer, bei dem sein Konto geführt wird. Falls der Staat seine Verpflichtungen gemäß Abs. 6 dieses Artikels nicht erfüllt hat, hat der Anleger eine Forderung aus dem Titel nur gegen den Staat.
…
(6) Die Zahlung der fälligen Zinsen und der Kapitalbeträge der Titel durch den Staat an die Bank von Griechenland führt zum Erlöschen der Verpflichtungen des Staates. Die Bank von Griechenland zahlt die Zinsen und den Kapitalbetrag der Titel bei Fälligkeit der Anleihe an den Träger. Diese Zahlung führt zum Erlöschen der Verpflichtungen der Bank von Griechenland.
…“
27. Im Übrigen sieht das Nómos Nr. 4050/2012 – Kanónes tropopoiíseos títlon ekdóseos í engyíseos tou Ellinikoú Dimosíou me symfonía ton Omologioúchon (Gesetz Nr. 4050/2012 – Regeln zur Änderung von Schuldtiteln, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleiheinhaber)(21) vom 23. Februar 2012 vor, dass die Inhaber bestimmter griechischer Staatsanleihen ein Angebot zur „Umstrukturierung“ erhalten.
28. Dieser vom vorlegenden Gericht verwendete Begriff findet sich ebenfalls im Urteil Fahnenbrock u. a. (Rn. 8). Meines Erachtens ist zwischen der „Umstrukturierung der öffentlichen Schulden“ und dem Vorschlag der Beteiligung an dieser zu unterscheiden, die in der „Änderung der in Betracht kommenden Titel“ gemäß Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 4050/2012 besteht, in dem es heißt
„Der Ministerrat beschließt auf Vorschlag des Ypourgoú Oikonomikón [Finanzminister, Griechenland], das Verfahren der Änderung in Betracht kommender Titel durch die Anleiheinhaber, bestimmt die in Betracht kommenden Titel und legt – im Fall des Austauschs – das Kapital oder den Nennbetrag, den Zinssatz oder den Ertrag, die Fälligkeit, das (englische oder ein anderes) Recht, dem die vom griechischen Staat ausgegebenen neuen Titel unterliegen werden, fest und ermächtigt den Organismós Diacheírisis Dimósiou Chréous [Agentur zur Verwaltung der öffentlichen Schulden, Griechenland], eine oder mehrere Aufforderungen seitens des griechischen Staates vorzunehmen.
Mit dieser Aufforderung werden die Inhaber der darin genannten in Betracht kommenden Titel gebeten, innerhalb einer festgesetzten Frist zu entscheiden, ob sie der Änderung der in Betracht kommenden Titel, wie sie vom griechischen Staat gemäß dem in diesem Artikel vorgesehenen Verfahren vorgeschlagen wird, zustimmen.“
29. Dieses Gesetz Nr. 4050/2012 sieht die Einführung einer „Umstrukturierungsklausel“(22) oder „Collective Action Clause“ (im Folgenden: CAC) vor, die eine Änderung der ursprünglichen Emissionsbedingungen mit qualifizierter Mehrheit des ausstehenden Kapitals ermöglicht und auch für die Minderheit gilt.
30. In Rn. 9 des Urteils Fahnenbrock u. a.heißt es, dass „[n]ach Art. 1 Abs. 4 des Gesetzes … die Änderung der genannten Schuldtitel eines Quorums in Höhe von 50 % des gesamten ausstehenden Kapitals der betreffenden Anleihen und einer qualifizierten Mehrheit [bedarf], die zwei Dritteln des teilnehmenden Kapitals entspricht“.
31. Zur Vervollständigung der Zusammenfassung in Rn. 10 dieses Urteils ist das von der griechischen Regierung angeführte Zitat von Art. 1 Abs. 9 des Gesetzes wiederzugeben, in dem es heißt:
„Ab Veröffentlichung des genehmigenden Beschlusses des Ministerrats im Amtsblatt der Hellenischen Republik gilt die Entscheidung der Anleiheinhaber, wie sie vom Verfahrensverwalter bestätigt wurde, gegenüber allen, bindet die Gesamtheit der Anleiheinhaber und Investoren der teilnahmeberechtigten Titel und hat Vorrang vor jeder entgegenstehenden allgemeinen oder besonderen Vorschrift eines Gesetzes, eines sonstigen Rechtsakts oder einer Vereinbarung. Im Falle des Umtauschs teilnahmeberechtigter Titel werden mit Eintragung der neuen Titel in das System die teilnahmeberechtigten Titel, die gegen neue Titel umgetauscht werden, kraft Gesetzes annulliert und alle aus ihnen fließenden Rechte und Pflichten, einschließlich aller Rechte und Pflichten, die zu irgendeinem Zeitpunkt Bestandteil dieser Titel waren, erlöschen.“
32. Art. 1 Abs. 11 des im Urteil Mamatas (Rn. 48) ebenfalls zitierten Gesetzes Nr. 4050/2012 lautet:
„Die Vorschriften dieses Artikels bezwecken den Schutz des übergeordneten öffentlichen Interesses, sind zwingendes und unmittelbar anwendbares Recht, haben Vorrang vor jeder entgegenstehenden allgemeinen oder besonderen Vorschrift eines Gesetzes, eines sonstigen Rechtsakts oder einer Vereinbarung …, und ihre Anwendung führt weder zur Entstehung noch zur Aktivierung irgendeines vertraglichen oder gesetzlichen Rechts zugunsten der Anleiheinhaber oder der Investoren, noch zu irgendeiner vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht zulasten des Emittenten oder Garanten der Titel, mit Ausnahme derjenigen, die in den Vorschriften dieses Artikels ausdrücklich vorgesehen sind.“
III. Sachverhalt und Vorlagefragen
33. Herr Kuhn, wohnhaft in Wien (Österreich), hat über eine in Österreich niedergelassene Depotbank als Kommissionärin(23) von der Hellenischen Republik begebene, griechischem Recht unterliegende Anleihen im Nennwert von 35 000 Euro(24) erworben. Diese öffentlichen Anleihen wurden dem von der Depotbank geführten Wertpapierkonto gutgeschrieben, dessen Inhaber Herr Kuhn ist(25). Es handelt sich um Inhaberpapiere, die dem Inhaber das Recht auf Kapitaltilgung bei Fälligkeit und „pünktliche Zahlung“(26) entsprechend den Anleihebedingungen geben.
34. Wie das vorlegende Gericht ausführt, emittierte der griechische Staat diese Staatsanleihen in Griechenland nach griechischem Recht, und sie wurden an der Athener Börse als „Wertrechte“, d. h. im Staatsschuldbuch eingetragene Forderungen, gehandelt. Sie wurden im Girosystem der griechischen Zentralbank registriert, in dem die vom Gouverneur der griechischen Zentralbank zugelassenen Systemteilnehmer über ein auf ihren Namen lautendes Konto verfügen.
35. Dem vorlegenden Gericht zufolge ergibt sich sowohl aus dem Gesetz Nr. 2198/1994 als auch aus den Anleihebedingungen der fraglichen Staatsanleihen, dass zunächst die Teilnehmer an dem genannten System Inhaber und Gläubiger dieser Anleihen wurden, die durch Gutschrift auf ihr Konto übertragen wurden, bevor sie die mit diesen Anleihen verbundenen Rechtspositionen anderen Investoren einräumten, wobei ein solches Rechtsgeschäft nur zwischen den Parteien wirkt, unter Ausschluss der Hellenischen Republik.
36. Nach dem Erlass des Gesetzes Nr. 4050/2012 wandelte die Hellenische Republik die von Herrn Kuhn erworbenen Anleihen um und ersetzte sie durch neue Staatsanleihen mit einem niedrigeren Nennwert.
37. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts hat die Hellenische Republik dem Vorbringen von Herrn Kuhn zufolge bis zum Zeitpunkt dieser Umwandlung Zinsen auf sein Konto bei einer in Österreich niedergelassenen Bank überwiesen. Herr Kuhn habe die konvertierten Anleihen für 7 831,58 Euro verkauft(27), wodurch ihm ein Schaden von 28 673,42 Euro entsprechend dem Nennwert der Anleihen bei Fälligkeit am 20. Februar 2012(28) zuzüglich Zinsen und Kosten entstanden sei.
38. Unter diesen Umständen hat Herr Kuhn Klage beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (Österreich) auf Erfüllung der Anleihebedingungen betreffend die streitigen Anleihen bzw. auf Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung erhoben(29).
39. Mit Beschluss vom 8. Januar 2016 hat dieses Gericht seine internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über diese Klage verneint.
40. Auf das gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsmittel hat das Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die Einrede der Unzuständigkeit der österreichischen Gerichte mit der Begründung abgelehnt, Herr Kuhn leite seinen Anspruch nicht aus einem griechischen Gesetzgebungsakt ab, sondern aus den ursprünglichen Anleihebedingungen der fraglichen Staatsanleihen; das zuständige Gericht bestimme sich nach dem – den Parteien zufolge anwendbaren – griechischen Recht, und damit dem Wohnsitz des Gläubigers als Erfüllungsort für die Geldschuld.
41. Die Hellenische Republik hat gegen diesen Beschluss einen außerordentlichen Revisionsrekurs beim vorlegenden Gericht eingelegt.
42. Diesem Gericht zufolge beruft sich Herr Kuhn, indem er die Erfüllung der Anleihebedingungen der fraglichen Staatsanleihen begehrt, zu Recht auf das behauptete Rechtsverhältnis zwischen ihm als Erwerber und der Hellenischen Republik als Emittentin der Staatsanleihen, so dass ein vertraglicher „(Sekundär‑)Anspruch“(30) nach Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorliege.
43. Herr Kuhn mache hinsichtlich der Erfüllung der Anleihebedingungen einen Erfüllungsanspruch aus dem Zahlungsversprechen der Hellenischen Republik als Anleiheschuldnerin geltend, und die Emission der Anleihen „(Inhaberschuldverschreibungen)“(31) sei nicht den acta iuri imperii gleichzustellen. Es handele sich daher bei dem Rechtsstreit um eine Zivil- und Handelssache.
44. Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen,
– dass sich der Erfüllungsort im Sinn dieser Bestimmung auch im Fall eines – wie hier – mehrfachen vertraglichen Übergangs einer Forderung nach der erstmaligen vertraglichen Vereinbarung richtet,
– dass der tatsächliche Erfüllungsort im Fall der Geltendmachung eines Anspruchs auf Einhaltung der Bedingungen einer Staatsanleihe – wie der hier konkret von der Hellenischen Republik begebenen – bzw. des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung dieses Anspruchs bereits durch die Zahlung von Zinsen aus dieser Staatsanleihe auf ein Konto eines Inhabers eines inländischen Wertpapierdepots(32) begründet wird,
– dass der Umstand, dass durch die erstmalige vertragliche Vereinbarung ein rechtlicher Erfüllungsort im Sinn dieser Bestimmung begründet wurde, der Annahme entgegensteht, dass die nachfolgende tatsächliche Erfüllung eines Vertrags einen – weiteren – Erfüllungsort im Sinn dieser Bestimmung begründet?
IV. Würdigung
45. Die drei Vorabentscheidungsfragen des vorlegenden Gerichts gehen im Wesentlichen dahin, ob Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem eine Person über eine Depotbank von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hat und gegen diesen unter Berufung auf die Anleihebedingungen eine Forderung geltend macht, dahin auszulegen ist, dass der „Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“, durch die bei der Emission der Anleihen geltenden Anleihebedingungen bestimmt wird, ungeachtet späterer Übertragungen dieser Anleihen, oder durch den Ort der tatsächlichen Erfüllung der Anleihebedingungen, wie Zahlung der Zinsen.
46. Die Hellenische Republik sowie die griechische und die italienische Regierung tragen vor, der Ausgangsrechtsstreit falle weder in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012, da er im Kern auf das souveräne Recht eines Mitgliedstaats gestützt sei, Rechtsvorschriften zur Umstrukturierung seiner Staatsschulden zu erlassen, noch bildeten „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a, da keine vertragliche Beziehung zwischen dem Mitgliedstaat und dem Inhaber staatlicher Anleihen bestehe. Folglich müsse der Gerichtshof vorab klären, ob die Klage als eine Klage in „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung einzustufen ist(33). Nur bei Bejahung dieser Frage werde der Gerichtshof über die vorstehend wiedergegebene zweite Vorlagefrage zu befinden haben.
A. Fällt der Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012?
47. Für die Annahme, dass es sich bei dem Rechtsstreit um eine Zivil- oder Handelssache handele, hat das vorlegende Gericht – nach der Feststellung, dass der Kläger die Erfüllung der Anleihebedingungen bzw. Schadensersatz für deren Nichterfüllung durch den beklagten Staat als Emittent der Staatsanleihen begehre, gestützt auf das von diesem als Anleiheschuldner eingegangene Zahlungsversprechen(34) – auf das Urteil Fahnenbrock u. a. verwiesen. Auch wenn dieser Ansatz in gewissem Umfang überzeugend erscheinen mag, bin ich ganz anderer Auffassung, was die daraus zu ziehenden Konsequenzen angeht, da die Würdigung der Zuständigkeit auf einer anderen Grundlage beruhen muss, die ich nun prüfen werde.
1. Zur Tragweite des Urteils Fahnenbrock u. a.
48. Zum ersten Übereinstimmungsaspekt ist darauf hinzuweisen, dass der Streitgegenstand, der auf gleichsam entsprechende tatsächliche Umstände zurückgeht(35), gleichartig ist, da in einer der Rechtssachen (Kickler u. a., C‑578/13), auf die der Gerichtshof das Urteil Fahnenbrock u. a. gestützt hat, griechische Anleiheinhaber von der Hellenischen Republik neben der Zahlung von Schadensersatz die vertragliche Erfüllung der fällig gewordenen ursprünglichen Anleihen verlangten. Anspruchsgrundlage ist in allen Fällen eine Verletzung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag(36).
49. Unter diesen Umständen ist der zweite Übereinstimmungsaspekt von besonderer Bedeutung, da sich der Gerichtshof zur Auslegung von Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007(37) geäußert hat, der denselben Wortlaut hat wie Art. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012. Ihr Anwendungsbereich ist auf das „Zivil- und Handelsrecht“ beschränkt und erstreckt sich insbesondere nicht auf die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii)(38).
50. Der Gerichtshof hat im Urteil Fahrenbrock u. a. für Recht erkannt, dass „Art. 1 Abs. 1 der [Verordnung Nr. 1393/2007] dahin auszulegen ist, dass Klagen auf Entschädigung wegen Besitz- und Eigentumsstörung, auf Vertragserfüllung und auf Schadensersatz, wie sie in den Ausgangsverfahren von Privatpersonen, die Staatsanleihen erworben haben, gegen den emittierenden Staat erhoben worden sind, in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, es sei denn, dass sie offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen sind“(39).
51. Jedenfalls kommt dem Urteil Fahnenbrock u. a. meines Erachtens nicht die Bedeutung zu, die ihm das vorlegende Gericht beimisst. Die vom Gerichtshof für die Auslegung gezogenen Grenzen verlangen nämlich besondere Beachtung.
52. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zunächst darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof von den früheren, auf die Harmonisierung der Auslegung desselben Begriffs zielenden Lösungen entfernt hat, und zwar wegen der unterschiedlichen angestrebten Ziele(40). So ergibt sich aus den auf methodologischer Ebene angesiedelten Gründen dieser Entscheidung(41), dass der Gerichtshof eindeutig den durch die Verordnung Nr. 1393/2007 eingeführten Mechanismus bevorzugt hat, um deren volle Wirksamkeit zu gewährleisten, in dem Bestreben, einen schnellen Zugang zum Hauptsachegericht und das Recht auf ein gerechtes Verfahren zu gewährleisten(42).
53. Der Gerichtshof bejahte sodann den besonderen Charakter der vom Richter im Stadium des Antrags auf Zustellung vorgenommenen Prüfung, indem er davon ausging, dass es dem angerufenen Gericht im Rahmen des späteren kontradiktatorischen Verfahrens oblag, über die Frage der Zuständigkeit zu entscheiden(43).
54. Insoweit hat er die Auffassung vertreten, dass der Fall der Rücksendung des Zustellungsantrags durch die Empfangsstelle den Rechtsstreitigkeiten vorbehalten bleiben müsse, die offenkundig nicht in den Bereich des Zivil- und Handelsrechts fielen(44).
55. Schließlich hat der Gerichtshof zwei Antwortelemente vorgegeben, die für die Zwecke einer Prima‑facie-Prüfung oder, anders gesagt, einer Prüfung mit einer dem verfolgten Ziel der Schnelligkeit angemessenen Intensität in dem konkreten Fall zweckmäßig sind, in dem a priori am zivilrechtlichen Charakter der Klage gezweifelt werden kann, da sie gegen einen Staat gerichtet ist und die Emission von Staatsanleihen durch diesen betrifft.
56. Der Gerichtshof hat erstens festgestellt, dass „[d]ie Emission von Anleihen … nicht notwendigerweise die Wahrnehmung von Befugnissen voraus[setzt], die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen“(45). Zweitens hat er einige Elemente angeführt, die eine gründliche Prüfung der Natur der Beziehung zwischen dem Staat und dem Inhaber rechtfertigen. Es handele sich um die finanziellen Bedingungen der betreffenden Schuldtitel, die „auf der Grundlage der Marktbedingungen, die den Handel und die Rendite dieser Finanzinstrumente regeln“(46), festgelegt worden sein könnten, und um die Änderungen dieser finanziellen Bedingungen, „die im Anschluss an eine Entscheidung einer Mehrheit der Anleiheinhaber“ auf der Grundlage einer in die Emissionsverträge eingefügten Vertragsklausel hätten erfolgen sollen(47).
57. Der Gerichtshof, der zuvor auf die Komplexität der Fragen verwiesen hatte, die eine Auswirkung auf die Staatenimmunität haben(48), hat daraus abgeleitet, dass „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass die Ausgangsverfahren offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen im Sinne der Verordnung Nr. 1393/2007 sind, so dass diese Verordnung auf sie anwendbar ist“(49).
58. Folglich ist – da es, wie der Gerichtshof festgestellt hat(50), Sache des angerufenen Gerichts ist, seine Zuständigkeit zu prüfen – die Prüfung der Einstufung des Rechtsstreits wieder aufzunehmen und die Diskussion wieder auf die Elemente zu konzentrieren, die vom Gerichtshof im Urteil Fahnenbrock u. a. herausgestellt wurden, um seine Vorbehalte hinsichtlich der Offensichtlichkeit der Ausübung hoheitlicher Rechte zu rechtfertigen.
2. Einstufung des Rechtsstreits
59. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Methoden, die bisher zur Auslegung der früheren Instrumente zur Regelung der Zuständigkeit verwendet wurden(51), auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gelten(52).
60. So führt nach gefestigter Rechtsprechung die Auslegung des autonomen Begriffs „Zivil- und Handelssachen“ dazu, dass der Anwendungsbereich der Instrumente zur Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit aufgrund „der Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder … des Gegenstands des Rechtsstreits“ bestimmt wird(53). Daher müssen das zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsverhältnis bestimmt und die Grundlage der erhobenen Klage sowie die Modalitäten ihrer Erhebung geprüft werden(54).
61. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die von einer Privatperson gegenüber einem Staat, der eine Anleihe begeben hat, erhobene Schadensersatzklage ihre materielle Grundlage in einem Hoheitsakt hat, oder ob, konkret gesagt, das Rechtsverhältnis zwischen dem griechischen Staat und Herrn Kuhn, wie es sich aus den Anleihebedingungen ergibt, durch eine Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse durch den Schuldnerstaat insofern geprägt ist, als Befugnisse wahrgenommen werden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen(55).
62. Meines Erachtens ergibt sich diese Wahrnehmung in der vorliegenden Rechtssache ebenso wie in den vorherigen, die die Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld betrafen, sowohl aus der Natur und den Modalitäten der Änderungen der Vertragsbeziehung zwischen dem griechischen Staat und den Anleiheinhabern als auch aus dem Kontext, in dem diese Änderungen eingetreten sind.
63. Die im Allgemeinen verwendeten Begriffe „Änderung“ oder „Konvertierung“ von Schuldtiteln beschönigen nämlich erheblich die Realität des vorgenommenen Wertpapierumtauschs(56): Die ursprünglichen Schuldtitel wurden annulliert und durch neue Schuldtitel mit niedrigerem Nennwert ersetzt, was zu einem Kapitalverlust von 53,5 % oder – wenn man die Änderung des Zeitpunkts berücksichtigt, zu dem die alten Schuldtitel fällig werden sollten – sogar mehr führte(57), da ein Teil von ihnen zwischen 2023 und 2042 fällig werden soll. Die Jahreszinsen für die Auszahlung der Kupons wurden geändert. Schließlich unterliegen die Schuldtitel nicht mehr griechischem, sondern englischem Recht(58).
64. Wegen ihres substanziellen Charakters lässt sich diese Ersetzung von Schuldtiteln nicht mit Änderungen gleichsetzen, die im Allgemeinen als mit dieser Art von Investitionen verbundene und vom Schuldnermitgliedstaat völlig beherrschte Risiken angesehen werden(59), die für einen normal verständigen Erwerber von Anleihen vorhersehbar sind(60).
65. Auf die Modalitäten dieser Ersetzung ist auch deswegen hinzuweisen, da sie weder in den Anleihebedingungen noch im griechischen Recht zum Zeitpunkt der Emission der Schuldtitel, für die es galt, vorgesehen waren. Sie wurden vom griechischen Gesetzgeber durch das Gesetz Nr. 4050/2012 vorgegeben, das die rückwirkende Einführung der CAC bewirkte.
66. Aufgrund dieser Klauseln konnten mit der Vereinbarung, die zwischen dem Staat und den Anleiheinhabern, die sich mit qualifizierter Mehrheit für die vom griechischen Staat vorgeschlagenen vertraglichen Änderungen entschieden hatten, geschlossen wurde, der Minderheit von Inhabern die Änderungen auferlegt werden, einschließlich derjenigen Inhaber, die sie hätten ablehnen wollen.
67. Der Rückgriff auf diesen Mechanismus lässt keinen Zweifel am unmittelbaren und sofortigen Charakter(61) der Änderungen der Anleihebedingungen in Bezug auf die Minderheit der Anleiheinhaber, umso mehr, als das Gesetz Nr. 4050/2012 genau dieses Ziel erreichen wollte, um zu verhindern, dass Griechenland zahlungsunfähig wurde(62). Der EGMR hat im Übrigen aus dem CAC‑Mechanismus abgeleitet, dass „die Modalitäten, unter denen der Umtausch … erfolgte, eindeutig belegen, dass die Teilnahme [der Beschwerdeführer] am Schuldenschnittprozess unfreiwillig war(63).
68. Zur Entscheidung über die sich vorliegend stellende Frage der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1215/2012 lässt sich auch nicht das Argument heranziehen, dass aufgrund der CAC die Zustimmung der Anleiheinhaber in einem vertraglichen Rahmen erfolgt sei(64). Diese Zustimmung lässt sich nämlich nicht von den Umständen trennen, unter denen die rückwirkende Einfügung dieser Klauseln in die Anleihebedingungen akzeptiert wurde.
69. Zwar setzt das Gesetz Nr. 4050/2012 die Vereinbarung aus den Verhandlungen zwischen der Hellenischen Republik und den privaten Investoren (Private Sector Involvement, im Folgenden: PSI) um, deren Beteiligung eine „zentrale Rolle dabei [zugeschrieben wurde], die Tragfähigkeit der … Schulden [der Hellenischen Republik] herzustellen“(65), doch steht fest, dass die natürlichen Personen, die nur eine Minderheit der Inhaber griechischer Staatsanleihen darstellten und ungefähr 1 % der gesamten griechischen Staatsschuld ausmachten, an diesen mit den institutionellen Anlegern – namentlich Banken und Kreditinstituten – geführten Unterredungen nicht teilnahmen(66).
70. Darüber hinaus müssen andere Aspekte des außergewöhnlichen Kontextes, in dem das Gesetz Nr. 4050/2012 erlassen wurde, ebenfalls berücksichtigt werden.
71. Erstens ist das durch dieses Gesetz vorgeschriebene verbindliche Verfahren das Ergebnis der Suche nach „eine[r] außergewöhnliche[n] und einmalige[n] Lösung“(67) für die Situation der Hellenischen Republik. Sie ist untrennbar mit der Währungspolitik der Union verbunden, da sie darauf abzielte, den Schutz der Finanzorgane eines Mitgliedstaats und, allgemeiner noch, die finanzielle Stabilität der Eurozone insgesamt zu wahren(68).
72. Zweitens sollte der ganz neuartige Rückgriff(69) auf die rückwirkende Einbeziehung der CAC dem Risiko eines Scheiterns des Umschuldungsprojekts begegnen(70), das sich insbesondere daraus ergeben konnte, dass die von der Hellenischen Republik auf dem nationalen Markt vorgenommenen Anleiheemissionen keine CAC(71) enthielten. Da das angestrebte Ziel darin bestand, die Beteiligung sämtlicher privater Gläubiger sicherzustellen, machten sich die griechischen Behörden den Umstand, dass die Anleiheschuld zu mehr als 90 % griechischem Recht unterlag, zunutze, um sie durch die Einführung dieser Klauseln zu ändern(72).
73. Drittens ist die Durchführung eines solchen Verfahrens durch den Staat, der zugleich als Vertragspartner und als Gesetzgeber tätig wird, zeitlich begrenzt(73). Zum einen unterliegen die aus der Konvertierung hervorgegangenen neuen Schuldtitel nämlich englischem Recht, und dieses sieht CAC vor(74). Zum anderen finden sich nach dem im November 2010 getroffenen und in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24. und 25. März 2011(75) angenommenen Beschluss der Finanzminister der Eurozone von November 2010, den Rückgriff auf den CAC‑Mechanismus verbindlich zu machen, aufgrund von Art. 12 Abs. 3 des am 2. Februar 2012 in Brüssel geschlossenen Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)(76) seit dem 1. Januar 2013 CAC in allen Schuldtiteln mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr betreffend die Staatsschulden der Mitgliedstaaten der Eurozone(77). Sie stellen nunmehr eines der Mittel dar, die es erlauben, die finanzielle Stabilität der Eurozone zu wahren, und tragen damit zu dem Ziel bei, „staatliche Liquiditätskrisen zu bewältigen“(78) und Anleger zu beruhigen.
74. All diese Gesichtspunkte machen deutlich, wie wichtig die Verfolgung eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels ist, das nicht auf Griechenland beschränkt ist, sondern die gesamte Eurozone betrifft. Wenn unter solchen Bedingungen angenommen wird, dass der Rechtsstreit nicht strikt auf den vertraglichen Bereich beschränkt ist(79), erscheint mir dies nicht dazu angetan zu sein, den Rückgriff der Schuldnerstaaten auf das Gesetz zu erleichtern, um Verträge über Staatsschulden u. a. durch eine rückwirkende Änderung der Anleihebedingungen zu „immunisieren“(80).
75. Ich leite daraus ab, dass der Ausgangsrechtsstreit seine materielle Grundlage in einem Hoheitsakt hat, durch den rückwirkend sowie unter außergewöhnlichen Bedingungen und Umständen die Umwandlung der Schuldtitel und die Änderung der ursprünglichen Anleihebedingungen angeordnet wurden, um zu verhindern, dass Griechenland zahlungsunfähig wird, und um die Stabilität der Eurozone sicherzustellen.
76. Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen zu antworten, dass eine von einer natürlichen Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hat, gegen diesen Staat erhobene Klage auf Erfüllung der ursprünglichen Anleihebedingungen bzw. auf Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung aufgrund des Umtauschs dieser Anleihen gegen Anleihen von geringerem Wert, der dieser natürlichen Person durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen verabschiedetes Gesetz auferlegt wurde, das die für diese Anleihen geltenden Bedingungen einseitig und rückwirkend änderte und in diese eine CAC einfügte, die es einer Mehrheit der Inhaber dieser Anleihen erlaubte, der Minderheit einen solchen Umtausch aufzuerlegen, nicht unter die „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.
77. Falls der Gerichtshof jedoch annehmen sollte, dass sich die Klage darauf beschränkt, „Rechtsverhältnisse des Privatrechts [zwischen dem Erwerber einer Staatsanleihe und dem Staat, der eine Handlung iure gestionis vorgenommen hat,] einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen“(81), müsste festgestellt werden, ob der Rechtsstreit einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zum Gegenstand hat im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung.
B. Hat der Rechtsstreit einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zum Gegenstand im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012?
78. Nach einer Darstellung der Grundlagen der Überlegungen und einer Präzisierung der Gründe, aus denen das Urteil Kolassa nicht als Referenz dienen kann, werde ich meine Auffassung zur Einstufung des Ausgangsrechtsstreits darlegen.
1. Darstellung der Auslegungsgrundsätze
79. Zunächst werde ich die Grundlagen darstellen, auf denen jede Auslegung des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ beruht.
80. Wie bei der Auslegung von Art. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012(82) ist auf die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung von Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 zu verweisen, da sie ebenfalls für Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, der an dessen Stelle getreten ist(83).
81. Hieraus folgt erstens, dass Art. 7 eng auszulegen ist, da er dem Kläger eine Zuständigkeitsoption und damit die Möglichkeit einer Ausnahme von der grundsätzlichen Zuständigkeit des Gerichts des Wohnsitzstaats des Beklagten einräumt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erlauben die besonderen Zuständigkeitsregeln folglich keine Auslegung, die über die in dieser Verordnung ausdrücklich geregelten Fälle hinausgeht(84).
82. Zweitens müssen Lösungen gefunden werden, die mit dem angestrebten, im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten allgemeinen Ziel in Einklang stehen. Es geht darum, eine geordnete Rechtspflege zuzulassen, wenn „eine enge Verbindung zwischen einem Rechtsstreit und dem für seine Entscheidung zuständigen Gericht besteht“(85). Das Gericht des Ortes, an dem die den Gegenstand des Verfahrens bildende Vertragspflicht zu erfüllen wäre, ist besonders wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten geeignet, über den Rechtsstreit zu entscheiden(86). Die Gewissheit der schnellen Vollstreckung der Entscheidung kann ebenfalls berücksichtigt werden(87).
83. Drittens setzt nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung zum autonomen Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“(88) und damit zum Ausschluss der „Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates“(89) die Anwendung der hierfür vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 die Feststellung einer von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen rechtlichen Verpflichtung voraus, auf die sich die betreffende Klage stützt, unabhängig davon, dass es an einem Vertragsschluss fehlt(90) oder dass der Vertrag zwingenden Vorschriften unterliegt(91).
84. Diesbezüglich hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Haftungsklage einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ betreffen kann, „wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen“, und dass „[d]ies wiederum … grundsätzlich der Fall [ist], wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Beklagten und dem Kläger unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das dem Beklagten vom Kläger vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist“(92). Der Begriff „unerlaubte Handlung“ kommt nur in Betracht, wenn die Klage nicht eng mit einem Vertrag verbunden ist(93).
85. Bei einer Klage wie derjenigen des Ausgangsverfahrens soll es nach Auffassung der Hellenischen Republik genügen, die Rechtsprechung des Urteils Kolassa zu übertragen. Aus den im Folgenden dargelegten Gründen kann ich mich dieser Auffassung nicht anschließen.
2. Tragweite des Urteils Kolassa
86. In diesem Urteil, das den Erwerb von Schuldtiteln auf dem Sekundärmarkt betrifft, bei dem wie im Ausgangsrechtsstreit mehrere Zwischenhändler eingeschaltet wurden, hat der Gerichtshof u. a. für Recht erkannt, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass sich ein Kläger, der eine Inhaberschuldverschreibungen bei einem Dritten erworben hat, ohne dass ihr Emittent ihm gegenüber freiwillig eine Verpflichtung übernommen hätte – was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist –, für eine Klage, mit der er den Emittenten aus den Anleihebedingungen, wegen Verletzung der Informations- und Kontrollpflichten sowie aus Prospekthaftung in Anspruch nimmt, nicht auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Zuständigkeit berufen kann(94).
87. Nach Auffassung des Gerichtshofs ergab sich aus der knappen Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts, dass es an einer von der emittierenden Bank freiwillig eingegangenen rechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Kläger, der bei einem Dritten eine Inhaberschuldverschreibung erworben hatte, fehlte(95).
88. Meiner Auffassung nach unterscheidet sich der Ausgangsrechtsstreit aus verschiedenen Gründen von der Situation, die zu diesem Urteil geführt hat. Erstens handelte es sich bei den Verpflichtungen, auf die sich der Anleger stützte, um vorvertragliche Verpflichtungen. Er machte die Haftung des Emittenten der von ihm erworbenen Schuldtitel aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung und der Verletzung anderer diesem Emittenten obliegender gesetzlicher Informationspflichten als Beleg dafür geltend, dass er eine solche Anlage nicht getätigt hätte, wenn er besser informiert worden wäre.
89. Zweitens unterliegt die vom vorlegenden Gericht beschriebene Emission der Staatsanleihen, die den üblichen Vermittlungen von Staatsanleihen entspricht, völlig anderen Bedingungen als denen für Zertifikate wie diejenigen, in die Herr Kolassa investiert hatte. Die betreffenden Zertifikate waren von einer Privatbank in der Form von Inhaberschuldverschreibungen ausgegeben worden, deren Wert sich nach einem Index richtete, der aus einem Portfolio gebildet wurde, mit dessen Verwaltung eine Gesellschaft betraut war(96).
90. Drittens hat der Gerichtshof ausgeführt, der Kläger sei nicht Inhaber dieser Schuldverschreibungen(97), nachdem er festgestellt hatte, dass diese von der Bank, mit der er in direkter Verbindung gestanden habe, über deren Muttergesellschaft geordert und erworben worden seien, dass diese Gesellschaften die Order in ihrem Namen vorgenommen hätten und dass diese Schuldverschreibungen von der vermittelnden Bank im eigenen Namen auf Rechnung des Klägers als Deckungsbestand gehalten worden seien(98).
91. Dies ist im Ausgangsverfahren nicht der Fall. Dem vorlegenden Gericht zufolge ist der Kläger nämlich Inhaber von Schuldtiteln, die in seinem Namen von der Depotbank in ihrer Eigenschaft als Kommissionärin erworben wurden.
92. Folglich stellt sich die Frage nach der spezifischen Einstufung dieser Beziehungen. Im Hinblick auf die Entscheidung für den autonomen Charakter des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“(99) obliegt es dem Gerichtshof, sich hierzu zu äußern.
3. Die spezifische Einstufung auf dem Gebiet der Emission von Staatsanleihen
93. Auf dem Gebiet der Emission von Staatsanleihen ist diese Frage der Einstufung neu und komplex wegen ihres doppelten Gegenstands, nämlich der besonderen Natur der Staatsanleihe und der Übertragung der Rechte oder der mit ihr verbundenen Forderungsabtretung.
94. Ferner ist zu berücksichtigen, dass „[d]ie Rechte an den Schuldtiteln nunmehr überwiegend durch die Eintragung auf Wertpapierkonten gehalten, übertragen oder verpfändet werden“(100).
95. Auch wenn verschiedene Autoren die Auffassung vertreten, zwischen dem Emittenten und dem Anleger auf dem Sekundärmarkt bestehe keine vertragliche Beziehung, sind andere der Ansicht, dieser Ansatz sei relativierbar(101). Wie Letztere bin ich der Auffassung, dass auf diesem Gebiet zwar einzuräumen ist, dass mangels eines vom Emittenten und dem Inhaber unterzeichneten Titels keine unmittelbare vertragliche Beziehung mehr besteht(102), „im Allgemeinen [jedoch] nicht angenommen werden kann, dass die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Emittenten und dem Anleger, der diese Instrumente erwirbt (sei es auch auf dem Sekundärmarkt), nicht vertraglicher Art sind. Eine solche Frage kann nur für jeden Einzelfall beantwortet werden, nach Maßgabe der genauen Art der Finanzinstrumente, der für sie maßgeblichen Dokumente sowie der Rechte und Verpflichtungen, die sich aus ihnen für den Emittenten und den Anleger ergeben“(103).
96. Eine Ermutigung, weiter in diese Richtung zu gehen, ergibt sich meines Erachtens aus Rn. 41 des Urteils Kolassa, die nicht ausschließt, dass der Rechtsstreit unter einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag fällt.
97. Die Bedingungen, unter denen Anleihen von einem Staat zur Zeichnung aufgelegt werden und wie sie vom vorlegenden Gericht beschrieben werden, können daher meiner Ansicht nach nicht als „Kette von Verträgen“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs(104) eingestuft werden.
98. Wie sich nämlich aus den Akten, insbesondere dem „subscription agreement“ (Zeichnungsvereinbarung), ergibt, hat der griechische Staat mit „managers“oder Teilnehmern am Primärmarkt abgeschlossen, die die Anleihen als deren Erstinhaber auf dem Sekundärmarkt absetzen können. Ihre Rolle lässt sich mit anderen Worten als die eines Vertreibers bei den Anlegern auf dem Sekundärmarkt einstufen, auf dem die Transaktionen, die diese Anleihen betreffen, erfolgen.
99. Der griechische Staat hat ferner, wie jeder Staat, der Anleihen begibt, ein Dokument („offering circular“ oder Emissionsprospekt) erstellt, das die grundlegenden Anleihebedingungen enthält und rechtlich den mit seinen Gläubigern geschlossenen Vertrag darstellt(105). Im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses verpflichtet sich der Staat zur Auszahlung der Kupons und zur Rückzahlung des Darlehens bei Fälligkeit an jeden Titelinhaber, zwar nicht unmittelbar, sondern über die Vermittler, die die Titel für Rechnung des Inhabers erworben haben. In diesem Verhältnis kann auch angenommen werden, dass „die Übertragung des Titels auf den Inhaber eine Abtretung der in dem Titel verkörperten Rechte darstellt: Da der Zeichner sich von Anfang an gegenüber jedem Inhaber des Titels verpflichtet hat, ist der Träger Inhaber eines eigenen Rechts gegenüber dem Emittenten“(106). In Übereinstimmung damit heißt es in Rn. 91 des Urteils vom 7. Oktober 2015, Accorinti u. a./EZB(107), dass „die Zentralbanken nach dem anwendbaren Privatrecht mit dem Erwerb der staatlichen Schuldtitel ebenso wie die privaten Anleger die Stellung eines Gläubigers des begebenden Staates und Schuldners erlangten“(108).
100. Zwei zusätzliche Argumente lassen sich aus der Intervention des Staates als Gesetzgeber zur Änderung der Anleihebedingungen des Staates als Vertragspartner gewinnen. Zum einen sollte das streitige Gesetz eine unmittelbare und sofortige Wirkung auf die Schuldtitel im Besitz privater institutioneller Anleger oder natürlicher Personen ausüben, unabhängig von der Vermittlung durch Kreditinstitute.
101. Zum anderen belegt diese Gesetzgebungsinitiative, dass der Staat sich vollständig im Klaren war über den Umfang seiner Verpflichtungen als Vertragspartner(109) gegenüber den Eigentümern von Schuldtiteln(110), da er deren Inhalt geändert hat, bevor er zahlungsunfähig und damit Anträgen auf vorzeitige Rückzahlung der Schuld ausgesetzt war, die sofort an ihn gestellt worden wären.
102. Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die Klage, mit der sich der Erwerber von in einem Mitgliedstaat begebenen Anleihen gegenüber diesem Staat auf Rechte aus diesen Schuldtiteln beruft, insbesondere nachdem der Mitgliedstaat die Anleihebedingungen einseitig rückwirkend geändert hat, unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.
103. Folglich muss geklärt werden, was dem vorlegenden Gericht im Hinblick auf die Bestimmung des Erfüllungsorts der geltend gemachten Verpflichtung geantwortet werden kann.
C. Zur Bestimmung des Erfüllungsorts der streitigen Verpflichtung
104. Es muss festgestellt werden, ob in einer Situation wie derjenigen des Ausgangsverfahrens der „Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“, im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 derjenige ist, der sich aus den Anleihebedingungen der betreffenden Anleihen ergibt oder ob sich dieser Ort mit den Forderungsabtretungen in Bezug auf diese Anleihen ändern kann, oder ob dies der Ort der Vereinnahmung der Zinsen durch den Gläubiger sein kann.
105. Nach ständiger Rechtsprechung(111) ist der Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung mangels Bestimmung durch die Vertragsparteien nach dem Recht zu ermitteln, das nach den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts auf diese Verpflichtung anzuwenden ist.
106. Wie bereits ausgeführt, erfolgt die dem griechischen Recht unterliegende Ausgabe der Anleihen im Rahmen der Bestimmungen des „offering circular“ (Emissionsprospekt). In diesem Dokument wird die griechische Zentralbank im Einklang mit Art. 8 Abs. 6 des auf staatliche Schulden anwendbaren Gesetzes Nr. 2198/1994 als „paying agent“ bezeichnet, als anwendbares Recht wird das griechische Recht bestimmt und „bond holders“ sind danach die „relevant participants of the Bank of Greece Book entry system“. Daraus schließe ich, dass der Erfüllungsort der Verpflichtung, die Gegenstand des Verfahrens ist, der Verpflichtung zur Auszahlung der Kupons und zur Rückzahlung des Kapitals, entsprechend diesem Gesetz Nr. 2198/1994 in Griechenland liegt. Der Umtausch der unter das griechische Recht fallenden Schuldtitel gemäß dem Gesetz Nr. 4050/2012 zeigt ebenfalls, dass es sich um den Ort handelt, an dem die Entscheidungen über die Modalitäten der Anlagen und deren Durchführung getroffen werden.
107. Unter diesen Umständen und im Hinblick auf meine Untersuchung betreffend die Einstufung der Übertragung des Titels auf den Inhaber insoweit, als sie eine Abtretung der in dem Titel verkörperten Rechte darstellt, d. h. eine Forderungsabtretung, bin ich der Auffassung, dass frühere Abtretungen die Bestimmung des Erfüllungsorts im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht ändern können(112).
108. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit, das sich aus dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 ergibt(113), da sie die Möglichkeit ausschließt, dass gegen den Beklagten vor einem Gericht eines Mitgliedstaats Klage erhoben wird, den er nicht vorhersehen könnte, wenn dessen Bestimmung von der Wahl des Ortes abhängen müsste, an dem der Titel hinterlegt wird, und weil sie zur geordneten Rechtspflege im Sinne des 16. Erwägungsgrundes dieser Verordnung beiträgt.
109. Diese Ziele könnten auch nicht erreicht werden, wenn der Erfüllungsort nach Maßgabe des Ortes der Vereinnahmung der dem Inhaber einer Staatsanleihe geschuldeten Zinsen bestimmt würde(114).
110. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, für Recht zu erkennen, dass Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Erfüllungsort einer Staatsanleihe nach den Anleihebedingungen bei der Emission dieses Titels bestimmt, ungeachtet dessen, ob dieser später abgetreten wird oder die tatsächliche Erfüllung der Anleihebedingungen betreffend die Zahlung der Zinsen oder die Rückzahlung des Kapitals an einem anderen Ort erfolgt.
V. Ergebnis
111. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Obersten Gerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:
In erster Linie:
– Eine von einer natürlichen Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hat, gegen diesen Staat erhobene Klage auf Erfüllung der ursprünglichen Anleihebedingungen bzw. auf Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung aufgrund des Umtauschs dieser Anleihen gegen Anleihen von geringerem Wert, der dieser natürlichen Person durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen verabschiedetes Gesetz auferlegt wurde, das die für diese Anleihen geltenden Bedingungen einseitig und rückwirkend änderte und in diese eine Collective Action Clause einfügte, die es einer Mehrheit der Inhaber dieser Anleihen erlaubte, der Minderheit einen solchen Umtausch aufzuerlegen, fällt nicht unter die „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof befinden sollte, dass der Rechtsstreit unter die „Zivil- oder Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt:
– Die Klage, mit der sich der Erwerber von in einem Mitgliedstaat begebenen Anleihen gegenüber diesem Staat auf Rechte aus diesen Schuldtiteln beruft, insbesondere nachdem der Mitgliedstaat die Anleihebedingungen einseitig rückwirkend geändert hat, fällt unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012.
– Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass sich der Erfüllungsort einer Staatsanleihe nach den Anleihebedingungen bei der Emission dieses Titels bestimmt, ungeachtet dessen, ob dieser später abgetreten wird oder die tatsächliche Erfüllung der Anleihebedingungen betreffend die Zahlung der Zinsen oder die Rückzahlung des Kapitals an einem anderen Ort erfolgt.