Language of document : ECLI:EU:T:2012:161

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

28. März 2012(*)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Gemeinschaftsbildmarke OUTBURST – Ältere nationale Wortmarke OUTBURST – Ernsthafte Benutzung der älteren Marke – Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (jetzt Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung [EG] Nr. 207/2009) – Vorlage von Beweismitteln erstmals vor der Beschwerdekammer – Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009) – Regel 22 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95“

In der Rechtssache T‑214/08

Paul Alfons Rehbein (GmbH & Co.) KG mit Sitz in Glinde (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt T. Lampel,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch D. Botis und P. Geroulakos als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte des Verfahrens vor der Beschwerdekammer des HABM:

Hervé Dias Martinho, wohnhaft in Plessis-Trévise (Frankreich),

Manuel Carlos Dias Martinho, wohnhaft in Plessis-Trévise,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des HABM vom 13. März 2008 (Sache R 1261/2007‑2) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Paul Alfons Rehbein (GmbH & Co.) KG auf der einen Seite sowie Hervé Dias Martinho und Manuel Carlos Dias Martinho auf der anderen Seite

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas sowie der Richter V. Vadapalas und K. O’Higgins (Berichterstatter),

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 9. Juni 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 31. Oktober 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund der am 12. Januar 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Erwiderung,

aufgrund der Antwort der Klägerin auf die durch das Gericht ergangene Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen,

aufgrund der Antwort des HABM auf die vom Gericht gestellte schriftliche Frage,

auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2011

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 2. März 2005 meldeten Hervé Dias Martinho und Manuel Carlos Dias Martinho nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in ihrer geänderten Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das folgende Bildzeichen:

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3        Die Waren, für die die Marke angemeldet wurde, gehören u. a. zu den Klassen 18 und 25 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung und entsprechen dort folgender Beschreibung:

–        Klasse 18: „Reise- und Handkoffer, Regenschirme, Brieftaschen, Geldbörsen, nicht aus Edelmetall; Handtaschen, Rucksäcke, Einkaufstaschen mit Rollen, Reisetaschen, Badetaschen; Kosmetikkoffer“;

–        Klasse 25: „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen, Hemden, Bekleidungsstücke aus Leder oder Lederimitationen, Gürtel (Bekleidung), Handschuhe (Bekleidung), Halstücher, Wirkwaren, Socken, Hausschuhe, Strandschuhe, Skischuhe oder Sportschuhe, Unterwäsche; Kombinationen, nämlich Surfkombinationen, Skianzüge“.

4        Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 39/2005 vom 26. September 2005 veröffentlicht.

5        Am 23. Dezember 2005 erhob die Klägerin, die Paul Alfons Rehbein (GmbH & Co.) KG, nach Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009) Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für alle oben in Randnr. 3 genannten Waren.

6        Der Widerspruch wurde auf die Wortmarke OUTBURST gestützt, die am 31. August 1999 in Deutschland unter der Nr. 39940713 für Waren der Klasse 25 des Abkommens von Nizza eingetragen worden war, die folgender Beschreibung entsprechen: „Bekleidungsstücke, Schuhwaren und Kopfbedeckungen“.

7        Der Widerspruch war auf alle von der älteren Marke erfassten Waren gestützt.

8        Begründet wurde der Widerspruch mit einem Eintragungshindernis gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009).

9        Am 10. Juli 2006 verlangten Hervé Dias Martinho und Manuel Carlos Dias Martinho nach Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 42 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 207/2009), dass die Klägerin den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke erbringe.

10      Mit Schreiben vom 12. Juli 2006 forderte das HABM die Klägerin auf, diesen Nachweis innerhalb einer Frist von zwei Monaten, also bis spätestens 13. September 2006, zu erbringen.

11      In Beantwortung dieses Schreibens legte die Klägerin am 11. September 2006 folgende Nachweise vor:

–        eine schriftliche Erklärung ihres Geschäftsführers vom 25. August 2006, in der dieser angab, dass ihre Tochtergesellschaft, die Heinrich Nickel GmbH & Co. KG, die ältere Marke seit dem Jahr 2000 in großem Umfang für Sportbekleidung benutze, und für die Jahre 2000 bis 2005 jeweils die Absatzzahlen dieser Tochtergesellschaft für Bekleidung dieser Marke und die Zahl der betreffenden Kleidungsstücke nannte;

–        als Belege in Anlage zu dieser schriftlichen Erklärung eine nach Kunden aufgeschlüsselte Aufstellung der Jahresabsätze von Bekleidung der älteren Marke von 2000 bis 2005, eine nach Art des Bekleidungsstücks aufgeschlüsselte Aufstellung dieser Absätze, verschiedene Auftragsscheine, Lieferscheine und Rechnungen, zwei Seiten (davon eine mit Datum August 2004) aus zwei für Handelsmessen aufgelegten Katalogen, Fotos von Bekleidungsstücken, Etiketten von Bekleidungsstücken und einen zweiseitigen Auszug aus einem Werbeprospekt;

–        eine schriftliche Erklärung des Geschäftsführers einer Gesellschaft vom 4. September 2006, in der dieser angab, dass die betreffende Gesellschaft bei Heinrich Nickel Sportbekleidung der älteren Marke gekauft und in ihren Einzelhandelsgeschäften mindestens seit dem Jahr 2000 „in großem Maßstab“ verkauft habe, wobei für die Jahre 2000 bis 2005 jeweils der Betrag dieser Einkäufe und die Zahl der gekauften Kleidungsstücke genannt wurden.

12      Mit Entscheidung vom 26. Juni 2007 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch in vollem Umfang zurück und begründete dies damit, dass die Klägerin nicht den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke erbracht habe.

13      Am 8. August 2007 legte die Klägerin beim HABM nach den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009) Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein. Am 23. Oktober 2007 reichte sie beim HABM ihre Beschwerdebegründung ein, in deren Anlage sie die bereits im ersten Verfahrenszug vorgelegten Beweise um weitere Beweise ergänzte.

14      Mit Entscheidung vom 13. März 2008 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Zweite Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Die von der Klägerin am 11. September 2006 beigebrachten Beweise (vgl. oben, Randnr. 11) hielt die Beschwerdekammer für „insgesamt“ nicht ausreichend für den Nachweis einer ernsthaften Benutzung der älteren Marke. Die ergänzenden Beweise sah die Beschwerdekammer unter Berufung auf Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 und Regel 22 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) als verspätet an, da sie nach Ablauf der vom HABM gesetzten Frist (vgl. oben, Randnr. 10) beigebracht worden seien und es keine neu zutage getretenen Gesichtspunkte gebe, die die verspätete Beibringung rechtfertigen könnten. Unter diesen Umständen war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr nicht geprüft zu werden brauchten.

 Anträge der Parteien

15      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

16      Das HABM beantragt,

–        den ersten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen;

–        falls das Gericht entscheiden sollte, dass Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 im vorliegenden Fall anwendbar ist, auch den zweiten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, die Klage insgesamt abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen;

–        falls das Gericht entscheiden sollte, dass Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, die Sache an die Beschwerdekammer zur Ermessensausübung gemäß Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009) zurückzuverweisen und dem HABM nur seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Die Klägerin macht zwei Klagegründe geltend, nämlich einen Verstoß gegen Art. 43 Abs. 2 und 3 und Art. 76 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 78 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 207/2009) in Verbindung mit Regel 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 und einen Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 in Verbindung mit Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95.

18      Der erste Klagegrund wirft die Frage auf, ob die Beweise, die die Klägerin vor der Widerspruchsabteilung innerhalb der gesetzten Frist beibrachte, eine ernsthafte Benutzung der älteren Marke rechtlich hinreichend nachweisen, und beim zweiten Klagegrund stellt sich die Frage, ob die Beschwerdekammer auch die Beweise hätte berücksichtigen müssen, die erstmals vor ihr beigebracht wurden.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die Art. 43 Abs. 2 und 3 und 76 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 in Verbindung mit Regel 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95

19      Wie sich aus dem neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Schutz einer älteren Marke nur insoweit berechtigt ist, als sie tatsächlich benutzt worden ist. Im Einklang mit diesem Erwägungsgrund kann der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke nach Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 den Nachweis verlangen, dass die ältere Marke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung, gegen die sich der Widerspruch richtet, in ihrem Schutzgebiet ernsthaft benutzt worden ist.

20      Nach Regel 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 muss sich der Benutzungsnachweis auf den Ort, die Zeit, den Umfang und die Art der Benutzung der älteren Marke beziehen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. September 2008, Boston Scientific/HABM – Terumo [CAPIO], T‑325/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Bei der Auslegung des Begriffs der ernsthaften Benutzung ist zu berücksichtigen, dass der Normzweck des Erfordernisses, dass die ältere Marke ernsthaft benutzt worden sein muss, um einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung entgegengehalten werden zu können, darin besteht, Markenkonflikte zu begrenzen, soweit kein berechtigter wirtschaftlicher Grund vorliegt, der einer tatsächlichen Funktion der Marke auf dem Markt entspringt (Urteil des Gerichts vom 12. März 2003, Goulbourn/HABM – Redcats [Silk Cocoon], T‑174/01, Slg. 2003, II‑789, Randnr. 38). Dagegen zielen die oben in den Randnrn. 19 und 20 genannten Bestimmungen weder auf eine Bewertung des kommerziellen Erfolgs noch auf eine Überprüfung der Geschäftsstrategie eines Unternehmens oder darauf ab, den Markenschutz nur umfangreichen geschäftlichen Verwertungen von Marken vorzubehalten (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, Sunrider/HABM – Espadafor Caba [VITAFRUIT], T‑203/02, Slg. 2004, II‑2811, Randnrn. 36 bis 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, worunter eine symbolische Benutzung allein zur Wahrung der durch die Marke begründeten Rechte nicht zu subsumieren ist (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 11. März 2003, Ansul, C‑40/01, Slg. 2003, I‑2439, Randnr. 43). Mit der Bedingung einer ernsthaften Benutzung der Marke wird außerdem verlangt, dass die Marke so, wie sie in dem fraglichen Gebiet geschützt ist, öffentlich und nach außen benutzt wird (Urteil VITAFRUIT, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 39; vgl. in diesem Sinne auch entsprechend Urteil Ansul, Randnr. 37).

23      Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu beurteilen, die die tatsächliche geschäftliche Verwertung der Marke belegen können; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu halten oder hinzuzugewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marke (Urteil VITAFRUIT, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 40; vgl. auch entsprechend Urteil Ansul, oben in Randnr. 22 angeführt, Randnr. 43).

24      Bezüglich des Umfangs der Benutzung der älteren Marke sind insbesondere das Handelsvolumen aller Benutzungshandlungen sowie die Länge des Zeitraums, in dem Benutzungshandlungen stattgefunden haben, und die Häufigkeit dieser Handlungen zu berücksichtigen (Urteile des Gerichts VITAFRUIT, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 41, und vom 8. Juli 2004, MFE Marienfelde/HABM – Vétoquinol [HIPOVITON], T‑334/01, Slg. 2004, II‑2787, Randnr. 35).

25      Bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung einer älteren Marke in einem konkreten Fall ist eine umfassende Beurteilung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren dieses Falles vorzunehmen (Urteil VITAFRUIT, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 42). Die ernsthafte Benutzung einer Marke lässt sich außerdem nicht mit Wahrscheinlichkeitsannahmen oder Vermutungen nachweisen, sondern muss auf konkreten und objektiven Umständen beruhen, die eine tatsächliche und ausreichende Benutzung der Marke auf dem betreffenden Markt belegen (Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 2002, Kabushiki Kaisha Fernandes/HABM – Harrison [HIWATT], T‑39/01, Slg. 2002, II‑5233, Randnr. 47, und vom 6. Oktober 2004, Vitakraft-Werke Wührmann/HABM – Krafft [VITAKRAFT], T‑356/02, Slg. 2004, II‑3445, Randnr. 28).

26      Hier war die Beschwerdekammer in Randnr. 23 der angefochtenen Entscheidung der Ansicht, dass die von der Klägerin am 11. September 2006 beigebrachten Beweise (vgl. oben, Randnr. 11) „insgesamt“ nicht ausreichten, um eine ernsthafte Benutzung der älteren Marke in Deutschland im maßgeblichen Zeitraum nachzuweisen.

27      Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass diese Beweise zusammen genommen den klaren Nachweis einer solchen ernsthaften Benutzung erbringen.

28      Das HABM teilt die Beurteilung der Beschwerdekammer.

29      Vor der Widerspruchsabteilung legte die Klägerin zum Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke eine schriftliche Erklärung ihres Geschäftsführers mit einer Reihe von Belegen und eine schriftliche Erklärung des Geschäftsführers einer Gesellschaft, die Kunde ihrer Tochtergesellschaft Heinrich Nickel war, vor (vgl. oben, Randnr. 11).

30      Zu der ersten schriftlichen Erklärung führte die Beschwerdekammer zunächst in Randnr. 17 der angefochtenen Entscheidung aus, ihr könne nicht der „volle“ Beweiswert einer schriftlichen Erklärung im Sinne des Art. 76 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 zukommen. Damit eine solche Erklärung diesen Wert haben könne, müsse der Betroffene nämlich dartun, dass sie nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie abgegeben worden sei, „als Erklärung ‚unter Eid‘ oder ‚an Eides statt‘ einzustufen ist oder zumindest ähnliche Wirkung hat“. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin aber nicht dargelegt, welches die Bestimmungen des deutschen Rechts seien, nach denen „eine falsche Erklärung vor dem [HABM] in einem anhängigen Verfahren über eine Gemeinschaftsmarke in gleicher Weise geahndet wird wie eine Falschaussage unter Eid vor den deutschen Behörden“. In Randnr. 18 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer sodann klar, dass allerdings allein der Umstand, dass die fragliche schriftliche Erklärung nicht „in der“ von der genannten Bestimmung „vorgeschriebenen Form“ abgegeben worden sei, nicht ausreiche, um ihr jeglichen Beweiswert abzusprechen. Das HABM könne sie nämlich bei seiner „Gesamtwürdigung“ der ihm unterbreiteten Unterlagen berücksichtigen, und sie könne die „systematische Beurteilung“ und das Verständnis der verschiedenen Beweisstücke erleichtern sowie die darin enthaltenen Informationen ergänzen. Die in der schriftlichen Erklärung enthaltenen Aussagen müssten jedoch durch zusätzliche objektive Beweise gestützt werden. Schließlich stellte die Beschwerdekammer in den Randnrn. 19 bis 21 der angefochtenen Entscheidung fest, dass die der fraglichen schriftlichen Erklärung beigefügten Belege mit Ausnahme der mit August 2004 datierten Seite eines der beiden Kataloge für Handelsmessen den Ort, die Zeit und den Umfang der Benutzung der älteren Marke nicht hinreichend bestätigten.

31      Zu der zweiten schriftlichen Erklärung führte die Beschwerdekammer zunächst in Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung aus, dass diese zwar als „zulässiger Beweis“ angesehen werden könne, es aber erforderlich sei, eine Gesamtwürdigung der Aktenstücke vorzunehmen und dabei alle maßgeblichen Faktoren zu berücksichtigen. Sie gelangte sodann zu der Auffassung, dass „eine eidesstattliche Erklärung eines Kunden des betroffenen Beteiligten und eine Seite aus einem Messekatalog zusammen nicht eine stetige, stabile und tatsächliche Benutzung der Marke durch die Widerspruchsführerin beweisen, die einer ernsthaften Benutzung dieser Marke gleichkommen kann“.

32      Als Erstes ist, was die schriftliche Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin angeht, zunächst daran zu erinnern, dass Art. 76 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94 als Beweismittel für die Benutzung der Marke im Sinne der Verweisung in Regel 22 der Verordnung Nr. 2868/95 „schriftliche Erklärungen, die unter Eid oder an Eides statt abgegeben werden oder nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie abgegeben werden, eine ähnliche Wirkung haben“, nennt. Daher sind die Wirkungen einer schriftlichen Erklärung nur dann nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu ermitteln, wenn sie nicht unter Eid oder an Eides statt abgegeben wurde (Urteil des Gerichts vom 7. Juni 2005, Lidl Stiftung/HABM – REWE-Zentral [Salvita], T‑303/03, Slg. 2005, II‑1917, Randnr. 40). Hier steht fest, dass es sich bei der schriftlichen Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin um eine eidesstattliche Erklärung handelt und dass sie als solche von der Beschwerdekammer für zulässig gehalten wurde. Sie gehört demnach, ohne dass ihre Wirkungen nach deutschem Recht geprüft zu werden brauchen, zu den Beweismitteln, die nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 40/94, auf den Regel 22 der Verordnung Nr. 2868/95 verweist, in Betracht kommen (Urteil Salvita, Randnr. 40).

33      Sodann ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Randnr. 17 der angefochtenen Entscheidung geirrt hat, als sie befand, dass eine solche schriftliche Erklärung vor dem HABM nur dann „vollen“ Beweiswert haben könne, wenn sie nach dem betreffenden nationalen Recht als Erklärung „unter Eid“ oder „an Eides statt“ eingestuft werde oder zumindest ähnliche Wirkung habe. Sie hat auch geirrt, als sie der schriftlichen Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin deshalb keinen „vollen“ Beweiswert zuerkannte, weil die Klägerin nicht dargelegt hatte, nach welchen Bestimmungen des deutschen Rechts eine falsche Erklärung geahndet wird. Die Verordnung Nr. 40/94 und die Verordnung Nr. 2868/95 enthalten nämlich nichts, was die Schlussfolgerung erlauben würde, dass die Beweiskraft der Nachweise für die Benutzung der Marke einschließlich der eidesstattlichen Erklärungen im Licht der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu prüfen wäre (Urteil Salvita, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 42). Im Übrigen hat das HABM in seiner Antwort auf die ihm vom Gericht gestellte schriftliche Frage ausdrücklich eingeräumt, dass die Ausführungen in Randnr. 17 der angefochtenen Entscheidung von denen des Urteils Salvita (oben in Randnr. 32 angeführt) abwichen. So hat es zutreffend zugestanden, dass „unabhängig von der Lage nach nationalem Recht die Beweiskraft einer schriftlichen Erklärung in Verfahren vor dem [HABM] relativ ist, ihr Inhalt also frei gewürdigt werden muss“.

34      Diese Fehler haben jedoch keine Auswirkung auf die Richtigkeit der Analyse der Beschwerdekammer, da sie nicht dazu geführt haben, dass diese der schriftlichen Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin jeden Beweiswert abgesprochen hat. Aus den Randnrn. 18 bis 23 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich nämlich, dass die Beschwerdekammer, wie es ihr oblag (vgl. in diesem Sinne Urteil Salvita, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 41), dieser schriftlichen Erklärung im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Aktenstücke gebührend Rechnung trug. Sie war zwar in Randnr. 18 der angefochtenen Entscheidung der Ansicht, dass besagte schriftliche Erklärung für sich allein genommen nicht ausreiche und die darin enthaltenen Aussagen durch zusätzliche „objektive“ Gesichtspunkte gestützt werden müssten. Wie das HABM zu Recht geltend macht, ist dies jedoch nicht zu beanstanden, da diese Erklärung von einem Geschäftsführer der Klägerin abgegeben wurde und nicht von einem Dritten oder einer unabhängigen Person (vgl. in diesem Sinne Urteil Salvita, Randnrn. 43 bis 45, und Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 2008, Deichmann-Schuhe/HABM – Design for Woman [DEITECH], T‑86/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 50). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments vor allem die Wahrscheinlichkeit der darin enthaltenen Information zu untersuchen ist. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung und sein Adressat, und es ist die Frage zu beantworten, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint (Urteile Salvita, Randnr. 42, und DEITECH, Randnr. 47).

35      Hier enthält die schriftliche Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin Angaben zur Benutzung der älteren Marke in Bezug auf den Ort (Deutschland), die Zeit (2000 bis 2005), den Umfang (Jahresumsätze und Zahl der jährlich verkauften Artikel) und die Art der bezeichneten Waren (Sportbekleidung, insbesondere Jacken, Regenbekleidung, Skibekleidung, Hosen, Jeans, T‑Shirts …). Wie die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat, werden diese Angaben aber durch die Anlagen zu dieser schriftlichen Erklärung nicht hinreichend bestätigt.

36      Die nach Kunden aufgeschlüsselte Aufstellung der Jahresabsätze von 2000 bis 2005 und die nach Art des Bekleidungsstücks aufgeschlüsselte Aufstellung dieser Absätze enthalten nämlich abgesehen davon, dass auch sie von der Klägerin selbst erstellt wurden, keinerlei Bezugnahme auf die ältere Marke. Auch die Bestellscheine, die Lieferscheine und die Rechnungen nennen, wie die Klägerin im Übrigen in ihren Schriftsätzen ausdrücklich einräumt, die ältere Marke nicht und betreffen darüber hinaus nur die Jahre 2004 bis 2006. Die einzige Marke, die in diesen Unterlagen vorkommt, ist die Bildmarke Nickel Sportswear. Die Fotos und die Etiketten der Bekleidung liefern keine Information darüber, wo, wann und in welchem Umfang Waren tatsächlich unter der älteren Marke verkauft wurden, was von der Klägerin in ihren Schriftsätzen auch ausdrücklich zugestanden wird. Gleiches gilt für die zweite der beiden Seiten aus den Katalogen für Handelsmessen und für die beiden Seiten aus dem Werbeprospekt. Zu dem Werbeprospekt ist insbesondere festzustellen, dass allein sein Vorhandensein weder seine Ausgabe an eine potenzielle deutsche Kundschaft noch das Ausmaß seiner etwaigen Verbreitung und auch nicht die Absatzmenge von mit der älteren Marke geschützten Waren belegt (vgl. in diesem Sinne Urteil VITAKRAFT, oben in Randnr. 25 angeführt, Randnr. 34). Der einzige im Ansatz erhebliche Anhaltspunkt liegt, obwohl er für sich genommen u. a. mangels Angabe über das Ausmaß der Benutzung bei Weitem nicht ausreichend ist, darin, dass eine Seite aus einem der beiden genannten Messekataloge vom August 2004 datiert.

37      Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Angaben in der schriftlichen Erklärung ihres Geschäftsführers den vorstehend in Randnr. 36 festgestellten Unzulänglichkeiten abhelfen können. Wie nämlich das HABM zutreffend vorbringt, sind es die Angaben in der schriftlichen Erklärung, die der Bestätigung durch sonstige Anhaltspunkte bedürfen und nicht umgekehrt.

38      Sodann ist die schriftliche Erklärung des Geschäftsführers einer Gesellschaft, die Kunde einer Tochtergesellschaft der Klägerin ist, an sich hinreichend, um bestimmte Tatsachen zu belegen, da sie von einer im Verhältnis zur Klägerin dritten Gesellschaft stammt. Wie jedoch die Beschwerdekammer in Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung richtig ausgeführt hat, lässt sich mit dieser schriftlichen Erklärung, die nur bestimmte Einkäufe eines vereinzelten Kunden einer Tochtergesellschaft der Klägerin betrifft, nur eine sehr begrenzte Benutzung der älteren Marke in Deutschland während des maßgeblichen Zeitraums nachweisen.

39      In Anbetracht der vorstehend in den Randnrn. 34 bis 38 getroffenen Feststellungen ist mit der Beschwerdekammer davon auszugehen, dass die verschiedenen von der Klägerin vor der Widerspruchsabteilung fristgerecht beigebrachten Beweise bei einer Gesamtwürdigung nicht für den Nachweis einer umfangreichen, stetigen und tatsächlichen Benutzung der älteren Marke in Deutschland während des maßgeblichen Zeitraums ausreichen. Im Ergebnis hat die Beschwerdekammer deshalb fehlerfrei befunden, dass im vorliegenden Fall der Nachweis einer ernsthaften Benutzung der älteren Marke nicht fristgemäß erbracht worden sei.

40      Daher ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 in Verbindung mit Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95

41      Nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 braucht das HABM Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.

42      Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Wortlaut von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94, dass die Beteiligten als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen dieser Verordnung geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem HABM keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen (Urteil des Gerichtshofs vom 13. März 2007, HABM/Kaul, C‑29/05 P, Slg. 2007, I‑2213, Randnr. 42; Urteile des Gerichts vom 6. November 2007, SAEME/HABM – Racke [REVIAN’s], T‑407/05, Slg. 2007, II‑4385, Randnr. 56, und vom 12. Dezember 2007, K & L Ruppert Stiftung/HABM – Lopes de Almeida Cunha u. a. [CORPO livre], T‑86/05, Slg. 2007, II‑4923, Randnr. 44).

43      Die Beteiligten des Verfahrens vor dem HABM haben nicht uneingeschränkt die Möglichkeit, Tatsachen und Beweismittel nach Ablauf der dafür gesetzten Fristen vorzubringen; vielmehr hängt diese Möglichkeit davon ab, dass keine gegenteilige Vorschrift besteht. Nur wenn diese Voraussetzung vorliegt, hat das HABM ein Ermessen in Bezug auf die Berücksichtigung verspätet vorgebrachter Tatsachen und Beweismittel, das ihm der Gerichtshof im Wege der Auslegung von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zuerkannt hat (Urteil CORPO livre, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 47).

44      Im vorliegenden Fall gibt es aber eine Vorschrift, die der Berücksichtigung der von der Widerspruchsführerin erstmals vor der Beschwerdekammer beigebrachten Beweise entgegensteht, nämlich Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 in seiner Konkretisierung durch Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95. Die letztgenannte Vorschrift lautet nämlich:

„Hat der Widersprechende den Nachweis der Benutzung zu erbringen oder den Nachweis, dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen, so fordert das [HABM] ihn auf, die erforderlichen Beweismittel innerhalb einer vom [HABM] gesetzten Frist vorzulegen. Legt der Widersprechende diese Beweismittel nicht fristgemäß vor, so weist das Amt den Widerspruch zurück.“

45      Aus dem zweiten Satz dieser Vorschrift geht hervor, dass die Vorlage von Beweismitteln für die Benutzung der älteren Marke nach Ablauf der dafür gesetzten Frist grundsätzlich zur Zurückweisung des Widerspruchs führt, ohne dass das HABM insoweit über ein Ermessen verfügt. Ob die ältere Marke ernsthaft benutzt wurde, ist nämlich eine Vorfrage, die als solche beantwortet werden muss, bevor eine Entscheidung über den Widerspruch selbst getroffen wird (Urteil CORPO livre, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 49).

46      Das Gericht hat jedoch entschieden, dass Regel 22 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie der Berücksichtigung zusätzlicher Beweise im Hinblick auf neu zutage getretene Gesichtspunkte entgegensteht, und zwar auch dann nicht, wenn die Beweise nach Ablauf dieser Frist beigebracht werden (Urteile HIPOVITON, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnr. 56, und CORPO livre, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 50).

47      Hier war die Beschwerdekammer in den Randnrn. 27 bis 29 der angefochtenen Entscheidung unter Berufung auf die vorstehend in den Randnrn. 41 bis 46 dargestellten Grundsätze der Ansicht, dass sie über keinerlei Ermessensspielraum verfüge, der ihr eine Berücksichtigung der von der Klägerin erstmals vor ihr vorgelegten Beweismittel erlaube, da es keinen neuen Gesichtspunkt gebe, der die verspätete Vorlage rechtfertige.

48      Die Klägerin ist der Auffassung, dass diese Beweismittel von der Beschwerdekammer hätten berücksichtigt werden müssen, da sie die der Widerspruchsabteilung fristgerecht vorgelegten Beweismittel nur ergänzten und verdeutlichten. Die im Urteil HIPOVITON (oben in Randnr. 24 angeführt) aufgestellten Grundsätze gälten nicht nur dann, wenn die verspäteten Beweise vor Ablauf der gesetzten Frist nicht verfügbar gewesen seien oder der Anmelder der Gemeinschaftsmarke neue tatsächliche Gesichtspunkte geltend gemacht oder die Beweise des Widerspruchsführers erfolgreich entkräftet habe, sondern auch dann, wenn die Widerspruchsabteilung die letztgenannten Beweise für unzureichend gehalten habe.

49      Das HABM schließt sich der Argumentation der Beschwerdekammer, wie sie oben in Randnr. 47 dargestellt worden ist, an. Es regt jedoch an, Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 so auszulegen, dass die Beschwerdekammern danach unabhängig vom Vorliegen „neuer Gesichtspunkte“ Beweise zulassen können, die erstmals vor ihnen beigebracht werden, wenn diese „rein ergänzend“ sind, d. h. nur dazu bestimmt, im ersten Verfahrenszug fristgerecht beigebrachte Beweise zu vervollständigen. Diese Auslegung scheine den vom Gerichtshof im Urteil HABM/Kaul (oben in Randnr. 42 angeführt) für die Zulassung verspäteter Beweismittel aufgestellten Kriterien zu genügen und dem „Geist“ dieses Urteils zu entsprechen. Das HABM räumt ein, dass, falls hier eine solche Auslegung zugrunde gelegt werden sollte, festzustellen wäre, dass die Beschwerdekammer irrig zu dem Ergebnis gelangt sei, dass sie in diesem Bereich über keinen Ermessensspielraum verfüge, und dass folglich der zweite Klagegrund durchgreifen würde und die angefochtene Entscheidung aufzuheben wäre. In der mündlichen Verhandlung hat das HABM hinzugefügt, dass diese Auslegung in Richtung des Ansatzes gehe, den das Gericht in seinen Urteilen vom 29. September 2011, New Yorker SHK Jeans/HABM – Vallis K. – Vallis A. (FISHBONE) (T‑415/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), und vom 16. November 2011, Buffalo Milke Automotive Polishing Products/HABM – Werner & Mertz (BUFFALO MILKE Automotive Polishing Products) (T‑308/06, Slg. 2011, II‑7881), gewählt habe, und dass es die Entscheidung, ob dieser Ansatz auch hier zugrunde gelegt werden sollte, vertrauensvoll in die Hände des Gerichts lege.

50      Es ist zwischen den Parteien unstreitig und geht auch aus den Akten hervor, dass die Klägerin vor der Widerspruchsabteilung einschlägige Beweise zum Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke fristgerecht beibrachte, und zwar in dem guten Glauben, dass sie ausreichten, um ihre Behauptungen zu stützen.

51      Ebenso ist zwischen den Parteien unstreitig und geht aus den Akten hervor, dass die Beweise, die von der Klägerin erstmals vor der Beschwerdekammer in Anlage zu ihrer Beschwerdebegründung, mit der sie eine umfassende Neuprüfung der Sache begehrte, beigebracht wurden, bloß den Inhalt der ursprünglichen Beweise verstärken oder verdeutlichen sollten. Sie waren also nicht die ersten und einzigen Beweise für die Benutzung.

52      In Anbetracht der vorstehend in den Randnrn. 50 und 51 geschilderten Umstände ist davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall anders als von ihr in der angefochtenen Entscheidung angenommen über ein Ermessen verfügte, aufgrund dessen es ihr freistand, die mit der Beschwerdebegründung beigebrachten ergänzenden Beweise zu berücksichtigen oder nicht.

53      Regel 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 ist nämlich in dem Sinn zu verstehen, dass nichts gegen die Berücksichtigung ergänzender Beweise sprechen kann, die lediglich zu anderen, fristgerecht beigebrachten Beweisen hinzukommen, wenn den ursprünglichen Beweisen nicht die Erheblichkeit abzusprechen ist, sondern sie für unzureichend befunden wurden. Diese Überlegung, die die genannte Regel keinesfalls überflüssig macht, gilt umso mehr, als die Klägerin keinen Fristmissbrauch durch absichtliche Verzögerungstaktiken oder offenkundige Fahrlässigkeit begangen hat und die von ihr beigebrachten ergänzenden Beweise darauf beschränkt waren, die Anhaltspunkte zu bestätigen, die sich bereits aus den fristgemäß abgegebenen schriftlichen Erklärungen ergaben.

54      Eine solche Auslegung steht nicht in Widerspruch zu der oben in Randnr. 46 angeführten Rechtsprechung, die zu anders gelagerten Sachverhalten ergangen ist. In der Rechtssache, in der das Urteil HIPOVITON (oben in Randnr. 24 angeführt) ergangen ist, hatte die Widerspruchsführerin fristgemäß Beweise beigebracht. Später hatten die Anmelderinnen der Marke in ihrem bei der Beschwerdekammer eingereichten Schriftsatz neue Tatsachen und Argumente vorgebracht. Das Gericht beanstandete, dass die Beschwerdekammer die Widerspruchsführerin nicht aufgefordert habe, zu diesem Schriftsatz Stellung zu nehmen, und befand, dass der Widerspruchsführerin die Gelegenheit genommen worden sei, die Zweckmäßigkeit der Beibringung zusätzlicher Beweise zu beurteilen. Es fügte hinzu, dass die Beschwerdekammer somit nicht alle Kriterien habe berücksichtigen können, die für die Beurteilung relevant seien, ob die Benutzung der betreffenden Marke als ernsthaft einzustufen sei, und sich so auf eine unvollständige tatsächliche Grundlage gestützt habe (Urteil HIPOVITON, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnrn. 54 und 58). In der Rechtssache, in der das Urteil CORPO livre (oben in Randnr. 42 angeführt) ergangen ist, stellte das Gericht für die Feststellung, dass das HABM über keinen Ermessensspielraum verfügt habe, um nach der gesetzten Frist vorgelegte Beweismittel zu berücksichtigen, ausdrücklich darauf ab, dass es bei diesen Beweismitteln „nicht um zusätzliche Beweise, sondern um die ersten und einzigen Beweise für die Benutzung“ der in jener Rechtssache geltend gemachten älteren Marken gegangen sei (Urteil CORPO livre, oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 50).

55      Die Schlussfolgerung, dass der Beschwerdekammer die Möglichkeit offenstand, die von der Klägerin vor ihr am 23. Oktober 2007 beigebrachten ergänzenden Beweise zu berücksichtigen, steht im Übrigen völlig mit den Grundsätzen in Einklang, die der Gerichtshof im Urteil HABM/Kaul (oben in Randnr. 42 angeführt) aufgestellt hat. So hat der Gerichtshof in Randnr. 44 jenes Urteils klargestellt, dass die Berücksichtigung verspätet vorgebrachter Tatsachen oder Beweismittel durch das HABM, wenn es im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zu entscheiden hat, insbesondere dann gerechtfertigt sein kann, wenn das HABM zu der Auffassung gelangt, dass zum einen diese Tatsachen oder Beweismittel auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für das Ergebnis des bei ihm eingelegten Widerspruchs sein können und dass zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, einer solchen Berücksichtigung nicht entgegenstehen.

56      Im Urteil HABM/Kaul (oben in Randnr. 42 angeführt) hat der Gerichtshof außerdem die Zulassung verspäteter Beweismittel auf der Grundlage der Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung gerechtfertigt, nach denen die Prüfung der Begründetheit eines Widerspruchs so vollständig wie möglich sein muss, damit die Eintragung von Marken vermieden wird, die später für nichtig erklärt werden könnten (vgl. in diesem Sinne Randnrn. 48, 57 und 58 jenes Urteils). Daher können diese Grundsätze vor dem Grundsatz der Verfahrenseffizienz, der der Notwendigkeit der Einhaltung von Fristen zugrunde liegt, Vorrang haben, wenn die Umstände des konkreten Falles dies rechtfertigen.

57      Nach alledem greift der zweite Klagegrund durch.

58      Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

59      Da außerdem das HABM hilfsweise die Rückverweisung der Sache an die Beschwerdekammer beantragt hat, ist festzustellen, dass das HABM im Rahmen einer beim Gericht erhobenen Klage gegen die Entscheidung einer Beschwerdekammer nach Art. 65 Abs. 6 der Verordnung Nr. 207/2009 die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergeben. Deshalb ist dieser Antrag zurückzuweisen.

 Kosten

60      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

61      Da hier das HABM unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 13. März 2008 (Sache R 1261/2007‑2) wird aufgehoben.

2.      Das HABM trägt die Kosten.

Papasavvas

Vadapalas

O’Higgins

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. März 2012.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.