Language of document : ECLI:EU:C:2018:239

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 12. April 2018(1)

Rechtssache C107/17

UAB „Aviabaltika“

gegen

BAB Ūkio bankas

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberster Gerichtshof, Litauen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wirtschafts- und Währungspolitik – Freier Kapitalverkehr – Verwertung von Finanzsicherheiten – Einleitung eines Liquidationsverfahrens gegenüber dem Finanzsicherheitsnehmer – Eintritt des Verwertungs- bzw. Beendigungsfalls – Zurechnung der Finanzsicherheit zur Insolvenzmasse – Verpflichtung, die Forderungen zuerst aus der Finanzsicherheit zu befriedigen“






I.      Einleitung

1.        Zum zweiten Mal soll sich der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung zur Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 2002/47/EG(2) äußern.

2.        In der ersten Rechtssache, die zu dem Urteil Private Equity Insurance Group(3) führte, musste der Gerichtshof die Rechte des Sicherungsnehmers im Fall der Insolvenz des Sicherungsgebers klären. Im vorliegenden Fall ist über Fragen zu entscheiden, die die Auslegung der Richtlinie 2002/47 in einer Situation betreffen, in der ein Insolvenzverfahren gegenüber dem Sicherungsnehmer eröffnet wurde.

3.        Insbesondere will das vorlegende Gericht mit seinen ersten beiden Vorlagefragen wissen, ob die Richtlinie 2002/47 verlangt, dass der Sicherungsnehmer die Finanzsicherheit verwerten kann oder muss, obwohl gegen ihn ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bei der dritten Frage des vorlegenden Gerichts geht es darum, ob der Sicherungsgeber anders behandelt werden darf als die übrigen Gläubiger, die in dieses Insolvenzverfahren einbezogen sind, um es damit diesem Sicherungsgeber zu ermöglichen, die vom Sicherungsnehmer nicht verwertete Finanzsicherheit zurückzuerlangen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2002/47 stellt klar, dass unter „Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Rechts“ ein Sicherungsrecht an einem Finanzaktivum durch einen Sicherungsgeber zu verstehen ist, wobei das volle oder bedingte/beschränkte Eigentum oder die Inhaberschaft an der Sicherheit zum Zeitpunkt der Bestellung beim Sicherungsgeber verbleibt.

5.        Art. 4 („Verwertung der Sicherheit“) der Richtlinie 2002/47 bestimmt in den Abs. 1 und 5:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Verwertungs- bzw. Beendigungsfall der Sicherungsnehmer jede in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wie folgt verwerten kann:

a)      bei Finanzinstrumenten durch Verkauf oder Aneignung und anschließende Verrechnung ihres Werts mit den maßgeblichen Verbindlichkeiten oder Verwendung an Zahlungs statt;

b)      bei Barsicherheiten durch Aufrechnung des Betrags gegen die maßgeblichen Verbindlichkeiten oder durch Verwendung an Zahlungs statt.

(5)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wirksam werden kann, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber oder ‑nehmer ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde oder Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden oder das Verfahren bzw. die Maßnahmen andauern.“

B.      Litauisches Recht

6.        Bei der Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2002/47 hat der litauische Gesetzgeber auf eine „Finanzsicherheit ohne Vollrechtsübertragung“ anstatt auf eine „Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Rechts“ Bezug genommen. Art. 2 Abs. 8 des Lietuvos Respublikos finiansinio užtikrinimo susitarimų įstatymas (litauisches Gesetz über Finanzsicherheiten) bestimmt:

„Eine ‚Finanzsicherheit ohne Vollrechtsübertragung‘ betrifft eine Vereinbarung, durch die der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer oder zu seinen Gunsten eine Finanzsicherheit zur Sicherung der Verwertung der besicherten Finanzverpflichtungen bestellt, bei der aber das volle oder bedingte/beschränkte Eigentum an der Finanzsicherheit beim Sicherungsgeber verbleibt.“

7.        Art. 9 Abs. 3 und 8 des litauischen Gesetzes über Finanzsicherheiten sieht vor:

„3.      Tritt ein Ereignis ein, das die Durchsetzung der Verbindlichkeit auslöst, so ist der Sicherungsnehmer berechtigt, die gemäß der Sicherungsvereinbarung bestellte Finanzsicherheit einseitig – vorbehaltlich der in der Sicherungsvereinbarung niedergelegten Bestimmungen – auf die folgende Art und Weise zu verwerten:

8.      Eine Finanzsicherheit wird ungeachtet der Eröffnung eines Liquidationsverfahrens oder der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen gegenüber dem Sicherungsgeber oder dem Sicherungsnehmer gemäß den in der Sicherungsvereinbarung genannten Fristen wirksam.“

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

8.        In den Jahren 2011 und 2012 schlossen die UAB aviacijos kompanija (im Folgenden: Aviabaltika) und die AB Bank (im Folgenden: Ūkio bankas) zwei Garantiestellungsvereinbarungen, auf deren Grundlage den Vertragspartnern der Aviabaltika Bürgschaften gewährt wurden (im Folgenden: Vereinbarungen von 2011 und 2012). Aviabaltika stellte als Sicherheit für ihre Verpflichtungen Geldmittel, die sich auf einem in ihrem Namen bei Ūkio bankas eröffneten Konto befanden.

9.        Nach Abschluss dieser Vereinbarungen schloss Ūkio bankas Rückbürgschaftsvereinbarungen mit der Commerzbank AG, auf deren Grundlage sich die Commerzbank der State Bank of India gegenüber verbürgte. Letztgenannte verbürgte sich wiederum gegenüber den Bürgschaftsbegünstigten, d. h. den Vertragspartnern von Aviabaltika.

10.      Im Mai 2013 wurde ein Insolvenzverfahren gegen Ūkio bankas eingeleitet.

11.      Aviabaltika verletzte ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Vertragspartnern, zu deren Gunsten die Bürgschaften gemäß den Vereinbarungen von 2011 und 2012 erteilt worden waren.

12.      Im Jahr 2014 erfüllte die Commerzbank auf Verlangen eines dieser Vertragspartner ihre Verpflichtungen aus dem Gegenbürgschaftsvertrag. Die Commerzbank belastete anschließend die von der Bank zur Deckung der Rückbürgschaften geleistete Einlage mit mehreren Geldbeträgen.

13.      In der Zwischenzeit hatte das Kauno apygardos teismas (Bezirksgericht Kaunas, Litauen) die Aviabaltika gegen Ūkio bankas zustehende, sich aus der zur Deckung der Rückbürgschaften geleisteten Einlage ergebende Forderung als Insolvenzforderung anerkannt.

14.      Nach der Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Commerzbank entnahm Ūkio bankas einen Teil des von der Commerzbank geschuldeten Betrags aus den Beträgen, die sich auf einem im Namen von Aviabaltika eröffneten Konto befanden. Diese Mittel bestanden aus Zahlungen, die gemäß litauischen Bestimmungen über die Versicherung von Einlagen geleistet worden waren. Im Ausgangsverfahren verlangt Ūkio bankas von Aviabaltika die Rückzahlung des Restbetrags der gemäß den Vereinbarungen von 2011 und 2012 geschuldeten Beträge sowie die Zahlung angefallener Zinsen.

15.      In diesem Rechtsstreit macht Aviabaltika geltend, Ūkio bankas hätte ihre Forderungen durch Entnahme der auf dem zur Deckung der Bürgschaft eröffneten Konto befindlichen Beträge erfüllen müssen. Zudem könne sie die Finanzsicherheit, die Ūkio bankas im Rahmen des gegenüber dieser Bank eröffneten Insolvenzverfahrens nicht verwertet habe, nicht zurückfordern. Wenn die nationalen Gerichte dem Antrag von Ūkio bankas folgten, würden sie Aviabaltika daher letztlich dazu verurteilen, dieser Bank zum zweiten Mal einen Betrag in Höhe dieser Einlagen zu zahlen.

16.      Demgegenüber macht Ūkio bankas geltend, es sei ihr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens untersagt, eine finanzielle Verpflichtung zu begleichen, die sie vor Eröffnung dieses Verfahrens nicht bezahlt habe. Ferner trägt sie vor, dass die Beträge, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem im Namen von Aviabaltika zur Deckung der Bürgschaft eröffneten Konto befunden hätten, zur Insolvenzmasse von Ūkio bankas gehörten und dass sie deshalb von ihr nicht mehr zur Befriedigung ihrer Forderungen verwendet werden könnten.

17.      Durch Urteil vom 14. Dezember 2015 gab das Kauno apygardos teismas (Bezirksgericht Kaunas) den Anträgen von Ūkio bankas betreffend die Vereinbarungen von 2011 und 2012 in vollem Umfang statt.

18.      Das Lietuvos apeliacinis teismas (Litauisches Appellationsgericht) bestätigte durch seine Entscheidung vom 31. Mai 2016 das Urteil vom 14. Dezember 2015.

19.      Gegen diese Entscheidung legte Aviabaltika beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof, Litauen) Revision ein.

IV.    Verfahren und Vorlagefragen

20.      Unter diesen Umständen hat das Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen, dass den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt wird, rechtliche Regelungen zu erlassen, die vorsehen, dass Finanzsicherheiten nach der Insolvenz des Sicherungsnehmers (einer in Liquidation befindlichen Bank) nicht Teil der Masse sind? Mit anderen Worten: Sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, rechtliche Regelungen zu erlassen, die vorsehen, dass ein Sicherungsnehmer (eine Bank) de facto in der Lage sein muss, seinen Anspruch, der durch eine Finanzsicherheit (ein auf einem Konto bei der Bank gutgeschriebener Betrag und die diesbezügliche Geldforderung) besichert ist, trotz des Umstands zu befriedigen, dass der Verwertungs- bzw. Beendigungsfall nach der Eröffnung des Liquidationsverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer (der Bank) eingetreten ist?

2.      Sind Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 bei systematischer Auslegung dahin zu verstehen, dass sie dem Sicherungsgeber das Recht verleihen, vom Sicherungsnehmer (der Bank) zu verlangen, dass er seinen durch eine Finanzsicherheit (auf einem Konto bei der Bank gutgeschriebener Betrag und diesbezügliche Geldforderung) besicherten Anspruch in erster Linie durch Verfügung über die Finanzsicherheit befriedigt, und dementsprechend dem Sicherungsnehmer die Verpflichtung auferlegen, diesem Verlangen trotz des gegen ihn eröffneten Liquidationsverfahrens nachzukommen?

3.      Falls die zweite Frage verneint wird und der Sicherungsgeber den durch die Finanzsicherheit besicherten Anspruch des Sicherungsnehmers durch Verfügung über andere Vermögensgegenstände des Sicherungsgebers befriedigt, sind dann die Bestimmungen der Richtlinie 2002/47, insbesondere deren Art. 4 und 8, dahin auszulegen, dass der Sicherungsgeber von der Gleichbehandlung mit den Gläubigern des Sicherungsnehmers (der Bank) im Liquidationsverfahren auszunehmen ist und ihm, damit er die Finanzsicherheit zurückerlangt, Vorrang gegenüber anderen Gläubigern im Liquidationsverfahren zu gewähren ist?

21.      Aviabaltika, Ūkio bankas, die litauische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben und in der Sitzung vom 18. Januar 2018 mündlich verhandelt.

V.      Rechtliche Bewertung

A.      Zur ersten Vorlagefrage

22.      Mit seiner ersten Vorlagefrage will das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer zur Befriedigung seines Anspruchs gegen den Sicherungsgeber die Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Rechts verwerten kann, auch wenn der Verwertungs- bzw. Beendigungsfall nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber diesem Sicherungsnehmer eintritt. Falls diese Frage bejaht wird, möchte das Gericht erfahren, ob die Richtlinie 2002/47 regelt, auf welche Weise sicherzustellen ist, dass die Finanzsicherheit im Fall der Insolvenz dieses Sicherungsnehmers verwertet werden kann.

23.      Auch wenn das vorlegende Gericht dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage nach der Auffassung ist, dass diese zwei Fragen identisch sind, ist anzumerken, dass die Frage, ob die Verpflichtung besteht, sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer die Finanzsicherheit auch im Insolvenzfall verwerten kann, im Hinblick auf die Bestimmung der Art und Weise der Sicherstellung dieser Möglichkeit eine Vorfrage darstellt.

24.      Im Übrigen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht im Kontext der ersten Vorlagefrage zwar wissen will, ob die Richtlinie 2002/47 den Schutz der Rechte des Sicherungsgebers und des Sicherungsnehmers im Insolvenzfall des jeweils anderen Vertragspartners als gleichbedeutend erachtet. Jedoch wird deutlich, dass das Gericht mit eben dieser Frage im Wesentlichen festgestellt wissen will, ob die Finanzsicherheit vom Sicherungsnehmer verwertet werden kann, wenn ihm gegenüber ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird.

25.      Zur Beantwortung dieser Frage werde ich zunächst prüfen, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer die Finanzsicherheit verwerten kann, wenn ihm gegenüber das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Sodann werde ich untersuchen, ob die Richtlinie 2002/47 festlegt, auf welche Weise die Möglichkeit der Verwertung der Finanzsicherheit sicherzustellen ist.

1.      Vorbemerkungen

26.      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen folgt, dass das vorlegende Gericht im Rahmen seiner Rechtsprechung über die – im vorliegenden Fall aufgeworfene – Frage der Verwertung einer Finanzsicherheit bei Eintritt des Verwertungs- oder Beendigungsfalls nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsgeber noch nicht entschieden hat. Jedoch war das Gericht im Kontext von Rechtssachen betreffend die nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen einen Sicherungsnehmer verlangte Rückgabe der Finanzsicherheit mit einer ähnlichen Problematik befasst, auch wenn dabei noch kein Verwertungsfall eingetreten war.

27.      Nach der litauischen Rechtsordnung führt die Übertragung von Geldmitteln auf ein Bankkonto zum Verlust des Eigentums an diesen Beträgen und zur Entstehung einer Forderung auf Rückzahlung des überwiesenen Betrags gegen die Bank. Daneben hat nach dieser Rechtsprechung der Abschluss einer Vereinbarung über eine Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Rechts und die Übertragung von sich als Sicherheit auf einem Bankkonto befindlichen Geldbeträgen zur Folge, dass die Forderung auf Rückzahlung dieser Beträge als Sicherheit hingegeben wird.

28.      Im Übrigen sehen die nationalen Vorschriften zum Insolvenzrecht das Verbot der Verwertung jeder zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht verwerteten Verpflichtung vor.

29.      Wenn auch nach den nationalen Vorschriften zur Finanzsicherheit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht zu einer Beschränkung der Rechte des Sicherungsnehmers führt, so gewähren diese Vorschriften dem Sicherungsgeber jedoch keinen vergleichbaren Schutz.

30.      Denn das maßgebliche nationale Recht räumt dem Sicherungsgeber nicht das Recht ein, die Finanzsicherheit – zumindest außerhalb des Insolvenzverfahrens – nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer wieder an sich zu ziehen.

31.      In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sein Klärungsbedarf auf dem Umstand beruhe, dass die Richtlinie 2002/47 nicht klar die Tragweite der Rechte des Sicherungsgebers im Fall der Eröffnung eines Liquidationsverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer definiere. Es ist jedoch der Ansicht, dass der Gerichtshof im Urteil Private Equity Insurance Group(4) die Richtlinie 2002/47 dahin ausgelegt habe, dass sie im Wesentlichen dem entgegenstehe, dass ein Insolvenzverfahren eine Auswirkung auf die Finanzsicherheiten habe.

32.      Daher will das vorlegende Gericht wissen, in welchem Verhältnis die Vorschriften über eine in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit zu den nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles stehen.

2.      Verpflichtet die Richtlinie 2002/47 die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer im Fall seiner Insolvenz die Finanzsicherheit verwerten kann?

a)      Standpunkte der Parteien

33.      Ūkio bankas ist der Ansicht, es sei auf den Teil der ersten Vorlagefrage, die sich auf das Recht des Sicherungsnehmers beziehe, unter den Umständen des vorliegenden Falles seine Forderung mit Hilfe der Finanzsicherheit durchzusetzen, nicht zu antworten. Dieser Teil der ersten Vorlagefrage betreffe nämlich die besondere Situation, in der der Schuldner – d. h. der Schuldner im Rahmen des im Zusammenhang mit dem Bankkonto entstandenen Rechtsverhältnisses (die Bank) – mit dem Sicherungsnehmer – d. h. dem Sicherungsnehmer im Rahmen des im Zusammenhang mit der Bestellung einer Finanzsicherheit entstandenen Rechtsverhältnisses – in einer Person zusammenfalle. Insoweit würden die Rechtsbeziehungen zwischen den Banken und den Inhabern von Bankkonten nicht von der Richtlinie 2002/47, sondern allein vom nationalen Recht erfasst.

34.      Die litauische Regierung vertritt die Auffassung, Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 verpflichte die Mitgliedstaaten nicht dazu, sicherzustellen, dass der Sicherungsnehmer nach der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen ihn seine Forderung aus der Finanzsicherheit beitreiben könne. Die Art. 4 und 8 der Richtlinie 2002/47 sähen nämlich einen Schutz des Sicherungsnehmers für den Fall vor, dass ein Insolvenzverfahren gegenüber dem Sicherungsgeber eröffnet werde. Dies gelte umso mehr, als die Richtlinie 2002/47 zum Schutz der Rechte des Sicherungsgebers nur Mindestregelungen enthalte.

35.      Dem hält die Kommission entgegen, Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 habe zum Ziel, beide Parteien der Vereinbarung über eine Finanzsicherheit gegen die Folgen von Insolvenzverfahren zu schützen.

36.      Aviabaltika vertritt den Standpunkt, Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 gewähre dem Sicherungsnehmer klar und eindeutig das Recht, die Finanzsicherheit ungeachtet des gegen ihn eingeleiteten Insolvenzverfahrens zu verwerten, wenn der Verwertungsfall erst nach der Einleitung dieses Verfahrens eingetreten sei.

b)      Auslegung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47

37.      Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie [2002/47] „[stellen] [d]ie Mitgliedstaaten … sicher, dass eine Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wirksam werden kann, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber oder ‑nehmer ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde oder Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden oder das Verfahren bzw. die Maßnahmen andauern“.

38.      Meines Erachtens lässt der Wortlaut von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 keinen Zweifel daran, dass diese Bestimmung die Situationen erfasst, in denen gegen einen Sicherungsnehmer oder einen Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird(5). Daher ist der Wortlaut von Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie insoweit eindeutig, als die Mitgliedstaaten einen rechtlichen Rahmen vorsehen müssen, der gewährleistet, dass die Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß verwertet werden kann, auch wenn gegenüber dem Sicherungsnehmer ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird.

39.      Jedoch erlauben diese Feststellungen nicht den Schluss, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, eine Regelung zu erlassen, wonach die Finanzsicherheit nicht in die Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers fällt.

3.      Bestimmt die Richtlinie 2002/47, auf welche Weise sichergestellt werden muss, dass die Finanzsicherheit verwertet werden kann, wenn gegenüber dem Sicherungsnehmer ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird?

a)      Standpunkte der Parteien

40.      Die litauische Regierung vertritt die Ansicht, der Ausschluss der Finanzsicherheit aus der Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers dürfe nicht als eine Maßnahme angesehen werden, die im Hinblick auf eine richtige Umsetzung der Richtlinie 2002/47 zwingend erfolgen müsse. Im Übrigen falle die durch Barzahlung beim Kreditinstitut eingelegte Finanzsicherheit auch in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/49(6). Diese Richtlinie stelle die Finanzsicherheit nicht als ein Rechtsinstitut dar, dem ein besonderer Status zugebilligt werden müsse. Sie sei als Einlage geschützt und falle, wie andere Einlagen auch, in die Masse des insolvent erklärten Kreditinstituts.

41.      In gleicher Weise bringt Ūkio bankas vor, dass es im Unionsrecht keinen allgemeinen Grundsatz gebe, wonach ein von einer anderen Person erhaltener Gegenstand getrennt vom übrigen Vermögen gehalten werden müsse. Wenn der Unionsgesetzgeber diese Lösung gewollt hätte, hätte er insoweit eine genaue und ausdrückliche Regelung erlassen. Ūkio bankas führt zur Stützung ihres Standpunkts mehrere unionsrechtliche Sekundärrechtsakte an.

42.      Entgegen den Positionen der litauischen Regierung und von Ūkio bankas vertreten Aviabaltika und die Kommission die Ansicht, dass die die Übertragung der Geldmittel als Finanzsicherheiten in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts nicht dazu führen könne, dass diese Geldbeträge Teil des Vermögens des Sicherungsnehmers würden.

43.      Insbesondere wendet sich Aviabaltika gegen die der ersten Vorlagefrage zugrunde liegende Prämisse. Denn im vorliegenden Fall gehören die als Finanzsicherheit überwiesenen Geldbeträge nach ihrer Ansicht nicht zum Vermögen des Sicherungsnehmers.

44.      Die Kommission nimmt zu diesem Aspekt detaillierter Stellung. Es müsse im Rahmen der Richtlinie 2002/47 zwischen zwei Arten von Finanzsicherheiten unterschieden werden, nämlich zwischen solchen in der Form eines beschränkten dinglichen Rechts und solchen in der Form einer Vollrechtsübertragung. Nach ihrer Ansicht darf die Finanzsicherheit, die gemäß einer Vereinbarung über die Leistung einer Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Rechts bestellt wird, nicht Teil der Vermögensmasse des Sicherungsnehmers werden, wenn ihm gegenüber ein Liquidationsverfahren durchgeführt wird. Im Entwurf der in Rede stehenden Richtlinie sei ein 13. Erwägungsgrund vorgesehen, dessen zweiter Satz hinsichtlich Finanzsicherheiten in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestimmt habe, dass der Sicherungsgeber Eigentümer des verpfändeten Bankguthabens bleiben könne, damit er im Fall eines Konkurses des Sicherungsnehmers geschützt sei(7). Auch wenn sich der Wortlaut des zweiten Satzes des 13. Erwägungsgrundes des Entwurfs der Richtlinie 2002/47 in der Richtlinie 2002/47 nicht mehr wiederfinde, sei die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Finanzsicherheiten beibehalten worden. Denn nach der Ansicht der Kommission würde eine Auslegung, wonach der Sicherungsgeber seine Eigentumsrechte an den im Rahmen einer Vereinbarung über Finanzsicherheiten in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts hingegebenen Geldbeträgen verlöre, die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien von Vereinbarungen aufheben.

b)      Zu den Folgen der Übertragung von Geldbeträgen auf das Bankkonto und der Bestellung der Finanzsicherheit

45.      Zunächst ist anzumerken, dass Aviabaltika und die Kommission in ihren Erklärungen nicht auf die Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers, sondern auf sein Aktivvermögen Bezug nehmen. Denn Aviabaltika und die Kommission vertreten offenkundig die Auffassung, dass sich im vorliegenden Fall die Frage des Schutzes der Finanzsicherheit vor einer Zurechnung zur Insolvenzmasse nicht stellen könne, da es sich um eine Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts handle.

46.      Zwar wurde in der Lehre vorgebracht, dass im Fall von Finanzsicherheiten in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts im Sinne der Richtlinie 2002/47 die Gläubiger des Sicherungsnehmers keine Ansprüche auf die als Finanzsicherheit geleisteten Geldbeträge hätten, da diese letzten Endes nicht zum Vermögen dieses Sicherungsnehmers gehörten(8).

47.      Jedoch lässt sich feststellen, dass dies vorliegend nicht der Fall ist. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht nämlich hervor, dass nach litauischem Recht die Übertragung von Geldmitteln auf das Bankkonto zu einem Verlust des Eigentumsrechts an diesen Geldbeträgen führt.

48.      Im Übrigen hat die litauische Regierung in ihrer Antwort auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass, wenn eine Sicherheit in der Form geleistet werde, dass Geldbeträge auf ein beim Sicherungsnehmer eröffnetes Konto eingezahlt würden, die Unterscheidung zwischen einer Sicherheit mit Vollrechtsübertragung und einer Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts davon abhänge, wer Inhaber des in Rede stehenden Kontos sei. Wenn dieses Konto im Namen des Sicherungsgebers eröffnet werde, handle es sich um eine Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts, wenn dagegen der Sicherungsnehmer der Kontoinhaber sei, liege ein Fall der Sicherheit mit Vollrechtsübertragung vor.

49.      Daher hat es für mich den Anschein, dass im vorliegenden Fall der Grund, weshalb die Frage des vorlegenden Gerichts auf den Schutz der Finanzsicherheit vor der Zurechnung zur Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers gerichtet ist, in dem Umstand zu sehen ist, dass – nach der Auslegung des litauischen Rechts in der Rechtsprechung der litauischen Gerichte – die Übertragung von Geldmitteln auf das Bankkonto (unabhängig davon, wer Inhaber des Kontos ist) die Zurechnung dieser Geldbeträge zur Bank zur Folge hat(9).

50.      In diesem Kontext ist anzumerken, dass der Standpunkt des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Festlegung des Gegenstands der Finanzsicherheit nicht eindeutig ist.

51.      Zum einen erwähnt das vorlegende Gericht in seinen ersten beiden Vorlagefragen im Zusammenhang mit ihrer Bezugnahme auf die Finanzsicherheit die sich auf dem Bankkonto befindlichen Geldbeträge sowie das auf die Finanzsicherheit bezogene Forderungsrecht. Zum anderen weist dieses Gericht in seinem Ersuchen darauf hin, dass beachtet werden müsse, dass im vorliegenden Fall die Finanzsicherheit im Hinblick auf das Forderungsrecht bezüglich der Geldbeträge bestellt worden sei, die sich auf dem im Namen von Aviabaltika bei Ūkio bankas eröffneten Bankkonto befänden.

52.      Jedenfalls hat es für mich den Anschein, dass nach der Ansicht des vorlegenden Gerichts die Forderung auf Rückzahlung dieser Beträge ebenfalls in die Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers fällt. Dies ist der Grund, weshalb das vorlegende Gericht in seinen ersten beiden Vorlagefragen die Frage nach dem Schutz der Geldbeträge und der Forderung vor einer Zurechnung zur Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers stellt.

c)      Zum Schutz der Möglichkeit, die Finanzsicherheit zu verwerten

53.      Aviabaltika und die Kommission vertreten die Auffassung, dass die Richtlinie 2002/47 – wenn es sich um eine Vereinbarung über eine Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts handle – die Mitgliedstaaten verpflichte, sicherzustellen, dass die Sicherheit nicht in das Vermögen des Sicherungsnehmers falle. Deshalb könne die Finanzsicherheit auch nicht in die Insolvenzmasse dieses Sicherungsnehmers fallen.

54.      Deshalb sei die Getrennthaltung des Gegenstands der Finanzsicherheit bei ihrer Bestellung der einzige Lösungsweg, der Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 entspreche.

55.      Jedoch kann mich eine solche kategorische Herangehensweise nicht überzeugen. Es ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 288 AEUV eine Richtlinie, also auch die Richtlinie 2002/47, für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlässt.

56.      In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten im Bereich der Insolvenz grundlegende Unterschiede aufweisen. Dasselbe gilt für die nationalen Vorschriften über die Folgen der Übertragung des Gegenstands der Finanzsicherheit an den Sicherungsnehmer.

57.      Deshalb hatte sich der Gesetzgeber dafür entschieden, keinen Rechtsakt über die Finanzsicherheit in Form einer unionseinheitlichen Maßnahme zu erlassen. Vielmehr zielte er darauf ab, den Bereich der Finanzsicherheit so zu regeln, dass der derzeit geltende rechtliche Rahmen in den Mitgliedstaaten so wenig wie möglich gestört wird(10).

58.      Das ist meines Erachtens auch der Grund, weshalb Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass eine Finanzsicherheit wirksam werden kann, „auch wenn“ insbesondere gegenüber dem Sicherungsnehmer ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde. Im Sinne des zweiten Satzes des zwölften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2002/47, der inhaltlich Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie entspricht, geht es hier darum, „dass“ Finanzsicherheiten von bestimmten Vorschriften des Insolvenzrechts „ausgenommen sind“. Dieser Lösungsweg findet seine Bestätigung auch in den Begründungen des Entwurfs der Richtlinie 2002/47, wonach diese Richtlinie einen begrenzten Schutz vor bestimmten konkursrechtlichen Vorschriften, insbesondere solchen, die der Verwertung der Sicherheit entgegenstehen, bieten soll(11).

59.      In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Richtlinie 2002/47 nicht regelt, auf welche Weise die Finanzsicherheit von nationalen Vorschriften des Insolvenzrechts „ausgenommen“ werden soll. Jedenfalls verlangt die Richtlinie 2002/47, anders als die anderen von Ūkio bankas erwähnten unionsrechtlichen Sekundärrechtsakte(12), keine Getrennthaltung der Finanzsicherheit bei ihrer Bestellung. Daher ist es für mich augenscheinlich nicht so, dass der Schutz der Finanzsicherheit vor der Zurechnung zum Vermögen des Sicherungsnehmers die einzige von der Richtlinie 2002/47 auferlegte Lösung darstellt.

60.      Ich vertrete die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2002/47 unterschiedliche Lösungswege beschreiten können, um die Finanzsicherheit mit dem Ziel von den nationalen Vorschriften des Insolvenzrechts auszunehmen, dass die Verwertung der Finanzsicherheit nicht durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer beeinträchtigt werden kann.

61.      Die Mitgliedstaaten könnten insbesondere die Vorschriften nuancieren, die die Folgen der Bereitstellung der Finanzsicherheit an den Sicherungsnehmer mit dem Ziel festlegen, dass sie bei ihrer Bestellung nicht in das Vermögen des Sicherungsnehmers fällt. Sie könnten auch nähere insolvenzrechtliche Bestimmungen zur Bezeichnung der in die Insolvenzmasse fallenden Vermögensgegenstände erlassen. Im Übrigen lässt sich auch nicht von vornherein die Lösung ausschließen, wonach die Finanzsicherheit zwar in die Insolvenzmasse fällt, dem Sicherungsnehmer aber das Recht verbleibt, diese Sicherheit ungeachtet der Durchführung des Insolvenzverfahrens zu verwerten.

62.      Im Licht der oben dargestellten Argumentation schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten zum Erlass einer Regelung verpflichtet sind, die es dem Sicherungsnehmer ermöglicht, seine Forderung aus der Finanzsicherheit, die gemäß der Vereinbarung über eine Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Rechts bestellt wurde, zu befriedigen, auch wenn der Verwertungs- bzw. Beendigungsfall der Finanzsicherheit nach der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegenüber diesem Sicherungsnehmer eingeleitet wurde. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu regeln, auf welche Weise sicherzustellen ist, dass eine Verwertung der Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Rechts möglich ist, wenn gegenüber dem Sicherungsnehmer ein solches Verfahren durchgeführt wird.

B.      Zur zweiten Vorlagefrage

63.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage will das vorlegende Gericht geklärt wissen, ob die Richtlinie 2002/47 dem Sicherungsgeber das Recht verleiht, vom Sicherungsnehmer zu verlangen, dass er seinen durch eine Finanzsicherheit besicherten Anspruch in erster Linie durch Verfügung über die Finanzsicherheit befriedigt, und dementsprechend diesem Sicherungsnehmer die Verpflichtung auferlegt, diesem Verlangen nachzukommen.

1.      Standpunkt der Parteien

64.      Ūkio bankas stellt zum Ersten fest, dass die Bank im Fall einer Insolvenz nicht die Möglichkeit habe, ihre Forderung aus der Finanzsicherheit zu befriedigen, wenn diese in Geldbeträgen bestehe, die sich auf einem vom Sicherungsgeber bei der Bank eröffneten Konto befänden.

65.      Zum Zweiten weist Ūkio bankas darauf hin, dass die Richtlinie 2002/47 dem Sicherungsnehmer das Recht verleihe, darüber zu entscheiden, auf welche Weise er seine Forderung gegen den Sicherungsgeber durchsetze. Sowohl Art. 4 Abs. 1 und 5 als auch Art. 2 Abs. 1 Buchst. l dieser Richtlinie bezögen sich auf die Möglichkeit der Verwertung der Finanzsicherheit. Art. 4 der Richtlinie 2002/47 verwende in den Abs. 1 und 5 die Formulierung „dass … der Sicherungsnehmer jede in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit wie [in diesem Absatz] folgt verwerten kann“ bzw. die Formulierung „dass eine Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wirksam werden kann“(13). Art. 2 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie 2002/47 bestimmt seinerseits, dass bei Eintreten eines Verwertungs- bzw. Beendigungsfalls „der Sicherungsnehmer … zur Verwertung bzw. Aneignung der Finanzsicherheit bzw. zur Aufrechnung infolge Beendigung (‚close out netting‘) berechtigt ist“(14).

66.      In diesem Sinne vertritt die litauische Regierung insbesondere die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/47 sicherstellen müssten, dass der Sicherungsnehmer von den in dieser Bestimmung vorgesehenen Mitteln der Verwertung Gebrauch machen könne.

67.      Demgegenüber hat Aviabaltika in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die von Ūkio bankas und der litauischen Regierung geltend gemachten Formulierungen bedeuteten, dass der Sicherungsnehmer wählen könne, ob er seine Forderungen gegen den Sicherungsgeber beitreiben oder davon Abstand nehmen solle.

68.      Im Übrigen ist Aviabaltika der Ansicht, Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 regle nicht ausdrücklich die Frage der Verpflichtung des Sicherungsnehmers, in erster Linie seine Forderung aus der bestellten Sicherheit zu befriedigen. Existenz und Tragweite einer solchen Verpflichtung müssten nämlich auf der Grundlage der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung bestimmt werden, wobei die für diese Vereinbarung geltenden nationalen Rechtsvorschriften und die Ziele der Richtlinie 2002/47 zu berücksichtigen seien. Ausgehend von dieser Prämisse vertritt Aviabaltika den Standpunkt, es gelte nach einer stillschweigenden Bedingung der Vereinbarung eine Vermutung für eine vorrangige Verwertung der Sicherheit.

69.      In diesem Sinne ist auch die Kommission der Ansicht, Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 müsse dahin ausgelegt werden, dass er dem Sicherungsgeber das Recht einräume, vom Sicherungsnehmer zu verlangen, dass er seine Forderung zunächst unter Heranziehung der vereinbarten Sicherheit durchsetze, es sei denn, es sei vertraglich eine andere Regelung vorgesehen.

2.      Zu den Modalitäten der Verwertung der Finanzsicherheit

70.      Ohne Zweifel sehen Art. 2 Abs. 1 Buchst. l und Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 nach ihrem Wortlaut eher die Möglichkeit als die Verpflichtung zu einer Verwertung der Sicherheit vor.

71.      Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Sicherungsnehmer berechtigt ist, die Finanzsicherheit zu verwerten, wenn „[ihr] Verwertungs- bzw. Beendigungsfall“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. l dieser Richtlinie eintritt. Es handelt sich somit nicht um ein feststehendes Ereignis, sondern um eine Möglichkeit. Deshalb kann der Umstand, dass der Eintritt des Verwertungs- oder Beendigungsfalls unsicher ist, als Erklärung dafür dienen, dass Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47 mit seiner Regelung, dass eine Finanzsicherheit wirksam werden kann, auch wenn ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird, auf die bloße Möglichkeit abstellt.

72.      Zu der Verwendung der Formulierungen „der Sicherungsnehmer … [die Finanzsicherheit] … verwerten kann“ in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/47 und „der Sicherungsnehmer … zur Verwertung … der Finanzsicherheit … berechtigt ist“ in Art. 2 Abs. 1 Buchst. l dieser Richtlinie ist anzumerken, dass diese Bestimmungen mehrere Modalitäten zur Verwertung der Finanzsicherheit vorsehen. Das könnte erklären, weshalb es sich nicht um eine Verpflichtung handelt, von einer dieser Modalitäten Gebrauch zu machen, sondern um eine Möglichkeit.

73.      Anhand der Auslegung der in den in Rede stehenden Bestimmungen verwendeten und die Möglichkeit der Verwertung der Finanzsicherheit vorsehenden Formulierungen – insbesondere gilt dies für Art. 4 Abs. 1 und 5 – lässt sich die zweite Vorlagefrage also nicht eindeutig beantworten.

74.      Jedoch ist anzumerken, dass Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 hinsichtlich der Bestimmung der Modalitäten der Verwertung der Finanzsicherheit auf die vertraglichen Bestimmungen verweist. Im Übrigen weisen mehrere Bestimmungen der Richtlinie 2002/47, wie z. B. Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie, mit ihren Formulierungen „soweit … vorgesehen“(15) oder „vereinbarungsgemäß“(16) den Vertragsbedingungen der Sicherungsvereinbarung ebenfalls eine gewisse Bedeutung zu. Diese Bestimmungen sollen sicherstellen, dass die Finanzsicherheit, unabhängig von jeglichen äußeren Umständen, einschließlich der Einleitung eines Insolvenzverfahrens, gemäß den ursprünglichen Abmachungen der Parteien verwertet wird.

75.      Das hat zur Folge, dass im Rahmen der Richtlinie 2002/47 den Abmachungen der Parteien der Vereinbarung über die Finanzsicherheit eine besondere Bedeutung zukommt. Somit lässt sich feststellen, dass diese Richtlinie in erster Linie den Absichten der Parteien, wie sie beim Abschluss der Vereinbarung der Finanzsicherheit zum Ausdruck gekommen sind, Geltung verschaffen will. Infolgedessen hängt die Antwort auf die zweite Vorlagefrage von der Auslegung der Vereinbarung ab, wie sie zwischen den Parteien im Ausgangsverfahren zustande gekommen ist.

76.      Entgegen dem Vorbringen von Aviabaltika und der Kommission denke ich nicht, dass in der Richtlinie 2002/47 die Vermutung verankert ist, wonach der Sicherungsnehmer verpflichtet ist, seine Forderung aus der Finanzsicherheit zu befriedigen, wenn die Vereinbarung über die Finanzsicherheit keine entgegenstehende Regelung trifft. Im Rahmen dieser Problematik sind insbesondere die Lösungen zu beachten, die der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf die Auslegung von Verträgen zwischen Privatpersonen gefunden hat.

77.      Daher ist festzustellen, dass Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass der Sicherungsnehmer nicht verpflichtet ist, seine Forderung in erster Linie mittels der im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherheitsrechts bestellten Sicherheit durchzusetzen.

3.      Zu den Auswirkungen der Lösung, die im Hinblick auf die Rückerlangung der ungenutzten Sicherheit durch den Sicherungsgeber vorgeschlagen wurde

78.      Ich kann der von Aviabaltika und der Kommission vorgetragenen These etwas abgewinnen, wonach der Umstand, dass der Sicherungsnehmer nicht verpflichtet sei, seine Forderung zuerst unter Heranziehung der Finanzsicherheit durchzusetzen, einer wirksamen Wiedererlangung dieser Sicherheit durch den Sicherungsgeber im Fall der Insolvenz dieses Sicherungsnehmers entgegenstehen könne, so dass dieser Sicherungsgeber letztendlich einen Geldbetrag in Höhe der Finanzsicherheit zweimal zu zahlen hätte.

79.      Jedoch müsste der Sicherungsgeber in Anbetracht der beiden ersten in Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten Lösungen – nämlich, erstens, Schutz der Finanzsicherheit vor einer Zurechnung zum Vermögen dieses Sicherungsnehmers und, zweitens, Schutz vor ihrer Zurechnung zur Insolvenzmasse dieses Sicherungsnehmers – berechtigt sein, die Sicherheit wieder einzufordern und unabhängig von der Einleitung eines Insolvenzverfahrens umfassende Restitution zu erlangen. Es lässt sich somit feststellen, dass beide Lösungen nachhaltige Wirkungen erzielen, so dass der Umstand, dass der Sicherungsnehmer befriedigt wurde, nicht die Gefahr mit sich bringt, dass der Sicherungsgeber die ungenutzte Sicherheit nicht wiedererlangen kann.

80.      Ein solches Risiko besteht allerdings im Hinblick auf die dritte der in Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Lösungen, nämlich dann, wenn die Finanzsicherheit in die Insolvenzmasse fällt. In diesem Fall könnte der Sicherungsnehmer seine Forderung aus anderen Vermögenswerten des Sicherungsgebers befriedigen, der dann versuchen müsste, die ungenutzte Sicherheit im Rahmen des Insolvenzverfahrens gemäß der von den nationalen Vorschriften bestimmten Gläubigerrangfolge wiederzuerlangen. Als weitere Folge könnte es in bestimmten Fällen dazu kommen, dass der Sicherungsgeber seine Finanzsicherheit tatsächlich nicht wiedererlangen könnte, auch wenn der Sicherungsnehmer seine Forderung aus anderen Vermögenswerten dieses Sicherungsgebers befriedigt hat.

81.      Ich habe jedoch Zweifel, ob diese Lösung mit den vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zielen vereinbar ist.

82.      Allgemein betrachtet, soll die von der Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung – gemäß dem dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie – zu einer weiteren Integration und höheren Kostenwirksamkeit des Finanzmarkts sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Union beitragen.

83.      Was das Verhältnis der durch die Richtlinie 2002/47 begründeten Regelung der Finanzsicherheit zu den nationalen insolvenzrechtlichen Vorschriften anbelangt, weist der fünfte Erwägungsgrund dieser Richtlinie darauf hin, dass diese die Rechtssicherheit im Bereich der Finanzsicherheiten erhöhen soll.

84.      Im Übrigen verwendet der zweite Satz des zwölften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2002/47 nicht den Ausdruck „immunité“ (Immunität) des Sicherungsnehmers oder des Sicherungsgebers, sondern den Begriff der „immunisation“ („die Tatsache“, dass Finanzsicherheiten in begrenztem Umfang von bestimmten Vorschriften des Insolvenzrechts „ausgenommen sind“). Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch nach dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/47 – auch wenn er ihren Anwendungsbereich betrifft – diese Richtlinie die Finanzsicherheiten schützen soll, die den von dieser Richtlinie vorgesehenen Formvoraussetzungen entsprechen. In diesem Sinne hat auch der Gerichtshof in Rn. 50 des Urteils Private Equity Insurance Group(17) darauf hingewiesen, dass die von der Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung der Finanzsicherheit als solcher einen Vorteil einräumt.

85.      Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen lässt sich feststellen, dass die Richtlinie 2002/47 nicht nur zum Ziel hat, sicherzustellen, dass die Finanzsicherheit im Fall der Insolvenz einer der Parteien verwertet werden kann, sondern auch, für die Finanzsicherheit als einem durch Rechtssicherheit gekennzeichnetem Instrument eine besondere Regelung einzuführen, die es – im Sinne der Erwägungsgründe 3 und 17 dieser Richtlinie – ermöglicht, die Stabilität des Finanzsystems der Union zu stärken.

86.      Ich denke nicht, dass dieses Ziel mit der sich nach nationalem Recht ergebenden Lösung vereinbar ist, wonach der Sicherungsgeber verpflichtet ist, unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Sicherungsnehmer zweimal einen Geldbetrag in Höhe der Finanzsicherheit zu zahlen.

87.      Das gilt umso mehr, als eine solche Lösung in bestimmten Fällen zur Insolvenz dieses Sicherungsgebers führen könnte. Es folgt nämlich aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/47, dass die von dieser Richtlinie eingeführte Regelung der Finanzsicherheit Dominoeffekte im Fall einer Vertragsverletzung durch eine der Parteien der Sicherungsvereinbarung begrenzen soll.

88.      Deshalb kann die Möglichkeit, die Befriedigung der Forderung aus den anderen Vermögensgegenständen des Sicherungsgebers zu suchen, diesen Sicherungsgeber nicht daran hindern, ungeachtet der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer die Finanzsicherheit wirksam wieder einzufordern. Andernfalls würde der Sicherungsnehmer systematisch ermutigt, die Beitreibung seiner Forderung gegen die anderen Vermögensgegenstände des Sicherungsgebers zu richten, um damit letztendlich den doppelten Betrag der Finanzsicherheit zu erlangen.

89.      Im Licht dieser Argumentation schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass er den Sicherungsnehmer nicht verpflichtet, seine Forderung zuerst unter Heranziehung der im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzsicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellten Sicherheit durchzusetzen. Eine solche Verpflichtung kann sich jedoch aus den im Licht der Bestimmungen des für diese Vereinbarung geltenden Gesetzes ausgelegten Vertragsbedingungen der Sicherungsvereinbarung ergeben. Jedenfalls kann die Möglichkeit, nach dem Eintritt des Verwertungs- bzw. Beendigungsfalls der Finanzsicherheit die Forderung aus den anderen Vermögensgegenständen des Sicherungsgebers zu befriedigen, diesen Sicherungsgeber nicht daran hindern, diese ungenutzte Sicherheit im Fall der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer wirksam zurückzufordern.

C.      Zur dritten Vorlagefrage

1.      Zur Zulässigkeit

90.      Mit seiner dritten Vorlagefrage, die für den Fall gestellt wurde, dass der Gerichtshof die zweite Vorlagefrage verneinen sollte, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob dem Sicherungsgeber gegenüber den anderen Gläubigern des insolventen Sicherungsnehmers ein Vorrang einzuräumen ist, so dass er die Finanzsicherheit zurückerhalten kann, wenn der Sicherungsnehmer seine Forderung aus anderen Vermögensgegenständen dieses Sicherungsgebers befriedigt hat.

91.      Meiner Auffassung nach weist die dritte Vorlagefrage keinen Zusammenhang zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens auf, so dass sich Zweifel an ihrer Zulässigkeit ergeben könnten.

92.      Diese Frage betrifft den Ablauf des gegenüber Ūkio bankas eingeleiteten Insolvenzverfahrens. Insoweit erinnere ich daran, dass gemäß dem Vorabentscheidungsersuchen das Gericht, das das Insolvenzverfahren gegenüber Ūkio bankas eröffnet hatte, die Forderung von Aviabaltika gegen Ūkio bankas als Insolvenzforderung gegen Letztere anerkannt hat(18).

93.      Jedoch bezieht sich das Ausgangsverfahren auf einen Rechtsstreit von Ūkio bankas und Aviabaltika wegen der Erfüllung der Vereinbarungen von 2011 und 2012. Im Übrigen lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen nicht entnehmen, dass Aviabaltika eine Widerklage gegen Ūkio bankas erhoben hat. Somit muss das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren nicht über die Fragen entscheiden, die die Beitreibung der Forderung, die Aviabaltika gegen Ūkio bankas hat, im Insolvenzverfahren betreffen.

94.      Daher glaube ich nicht, dass die Antwort auf die dritte Vorlagefrage für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit von Bedeutung ist.

95.      Im Übrigen stelle ich fest, dass das vorlegende Gericht keine Vorschrift des litauischen Rechts anführt, die eine Auswirkung auf die Rangfolge der Gläubiger des Sicherungsnehmers haben und den Sicherungsgeber begünstigen könnte. Deshalb bin ich der Auffassung, dass sich der litauische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2002/47 nicht dafür entschieden hat, mit Hilfe nationaler insolvenzrechtlicher Bestimmungen über die Bestimmung der Rangfolge, nach der die Gläubiger des insolventen Unternehmens befriedigt werden müssen, die Rechte des Sicherungsgebers zu schützen.

96.      Jedenfalls wäre die dritte Vorlagefrage nur dann relevant, wenn man annähme, dass die Finanzsicherheit in die Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers fällt. So wie ich die erste Vorlagefrage analysiere, ist eine solche Lösung gemäß der Richtlinie 2002/47 grundsätzlich zulässig(19). Zudem ist dem Vorabentscheidungsersuchen zu entnehmen, dass es sich dabei um die Lösung handelt, die von der litauischen Rechtsprechung vertreten wird.

97.      Im Übrigen folgt hinsichtlich der Frage, ob der Sicherungsgeber gegenüber den anderen Gläubigern des insolventen Sicherungsnehmers zu bevorzugen ist, so dass er die Finanzsicherheit wiedererlangen kann, sobald der Sicherungsnehmer seine Forderung aus anderen Vermögensgegenständen des Sicherungsgebers befriedigt hat, aus meiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage, dass die Möglichkeit, die Forderung aus den übrigen Vermögensgegenständen des Sicherungsgebers zu befriedigen, diesen Sicherungsgeber nicht daran hindern kann, die ungenutzte Sicherheit wirksam zurückzufordern.

98.      Jedoch bezweifelt das vorlegende Gericht im Rahmen der dritten Vorlagefrage, ob die ungenutzte Sicherheit zurückgefordert werden kann, wenn gegenüber dem Sicherungsnehmer ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird. Insbesondere will dieses Gericht wissen, ob die Richtlinie 2002/47 eine Auswirkung auf die nationalen insolvenzrechtlichen Vorschriften haben kann, die die Rangfolge festlegen, nach der die Gläubiger des Sicherungsnehmers zu befriedigen sind. Diese Problematik wurde von mir im Rahmen meiner Analyse der zweiten Vorlagefrage nicht behandelt.

99.      Auch wenn einzuräumen ist, dass meine Überlegungen zur dritten Vorlagefrage nur hypothetisch sind, vertrete ich die Auffassung, dass die Beurteilung dieser Frage, soweit sie sich auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem Sicherungsgeber eine Vorzugstellung einzuräumen, damit er die ungenutzte Sicherheit wiedererlangen kann, wenn sie in die Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers fällt, im Hinblick auf die Darstellung aller rechtlichen Aspekte der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtssache von Bedeutung ist.

2.      Zur Auswirkung der Richtlinie 2002/47 auf die nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen

100. Ūkio bankas ist der Ansicht, dass die Richtlinie 2002/47 dem Sicherungsgeber im Rahmen des Insolvenzverfahrens im Hinblick auf die Rückforderung der Finanzsicherheit keinerlei Vorzugsstellung gegenüber den anderen Gläubigern des Sicherungsnehmers gewähre und dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger der insolventen Bank zur Anwendung kommen müsse. Aviabaltika, die litauische Regierung und die Kommission vertreten die Auffassung, die Bestimmungen der Richtlinie 2002/47 regelten nicht die Rangfolge, nach der die Gläubiger des insolventen Unternehmens zu befriedigen seien.

101. Ich bin jedoch nicht überzeugt, dass das Fehlen von Bestimmungen in der Richtlinie 2002/47 über die Festlegung der Gläubigerrangfolge bedeutet, dass diese Richtlinie im Rahmen ihrer Umsetzung nicht doch eine Auswirkung auf die nationalen Bestimmungen zur Regelung der Rangfolge, nach der Gläubiger des insolventen Unternehmens befriedigt werden müssen, haben könnte.

102. Sollte der nationale Gesetzgeber die Regelung treffen, dass die auf der Grundlage der Vereinbarung einer Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit in die Insolvenzmasse des insolventen Sicherungsnehmers fällt, muss er auch die Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidung übernehmen und diese in den nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen, einschließlich jener über die Festlegung der Rangfolge der Befriedigung der Gläubiger des insolventen Unternehmens, berücksichtigen.

103. Erstens habe ich in Nr. 59 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Private Equity Insurance Group(20), in der ich auf die Argumente bestimmter Beteiligter Bezug genommen habe, die die Auffassung vertraten, dass der durch die Finanzsicherheit bei ihrer Verwertung gewährte Schutz eine Auswirkung auf die von nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen vorgesehene Rangfolge der Gläubiger haben könne, festgestellt, dass sich in Anbetracht des von der Richtlinie 2002/47 eingeführten Systems die Frage der Rangfolge des Gläubigers im Insolvenzverfahren nicht stellt, da mit dieser Richtlinie lediglich sichergestellt werden soll, dass ein Recht auf Verwertung der Sicherheit in allen ihren Verwertungs- bzw. Beendigungsfällen besteht. Ich denke, dass dieser Standpunkt vom Gerichtshof in seinem Urteil geteilt wurde. Im Urteil Private Equity Insurance Group(21) hat der Gerichtshof entschieden, dass „eine … unterschiedliche Behandlung [der Gläubiger aufgrund der besonderen Merkmale der Finanzsicherheit] auf einem objektiven Kriterium beruht, das im Zusammenhang mit dem rechtlich zulässigen Ziel der Richtlinie 2002/47 steht, die Rechtssicherheit und die Wirksamkeit der Finanzsicherheiten zu erhöhen, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern“.

104. Zweitens sehe ich hinsichtlich der Auswirkungen auf die Rangfolge der Gläubiger keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Schutz der im Rahmen einer Vereinbarung über eine Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellten Finanzsicherheit vor der Zurechnung zur Insolvenzmasse des Sicherungsnehmers und der Änderung der Rangfolge der Gläubiger. In beiden Fällen wird diese Sicherheit an den Sicherungsgeber zurückübertragen, unabhängig von den Ansprüchen der anderen Gläubiger des Sicherungsnehmers.

105. Drittens berührt zwar die Richtlinie 2002/47 – gemäß ihrem Art. 8 Abs. 4 – nicht die allgemeinen nationalen insolvenzrechtlichen Vorschriften über die Unwirksamkeit von Handlungen, die insbesondere im Zeitraum vor der Einleitung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden.

106. Jedoch erscheint es mir nicht möglich, diese Bestimmung dahin auszulegen, dass die Richtlinie 2002/47 im Rahmen ihrer Umsetzung grundsätzlich keine Auswirkung auf die nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen haben kann.

107. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2002/47 wäre überflüssig, wenn die Richtlinie 2002/47 keine Auswirkung auf diese Vorschriften haben könnte. Deshalb neige ich eher zu der Ansicht, dass diese Bestimmung eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, wonach die Mitgliedstaaten berechtigt sind, die nationalen insolvenzrechtlichen Bestimmungen zu ändern, um die von dieser Richtlinie angestrebten Ziele sicherzustellen.

108. Deshalb vertrete ich die Auffassung, dass der nationale Gesetzgeber, wenn er sich dafür entscheiden sollte, die im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit der Insolvenzmasse des insolventen Sicherungsnehmers zuzurechnen, verpflichtet wäre, dem Sicherungsgeber eine Vorrangstellung gegenüber den anderen in das Insolvenzverfahren einbezogenen Gläubigern einzuräumen, damit dieser Sicherungsgeber wirksam die Sicherheit zurückfordern kann, wenn der Sicherungsnehmer diese Sicherheit nach Eintritt ihres Verwertungs- bzw. Beendigungsfalls nicht verwertet hat.

109. Im Licht dieser Argumentation und unter der Annahme, dass der Gerichtshof die dritte Vorlagefrage beantworten wird, schlage ich vor, zu antworten, dass es, wenn der nationale Gesetzgeber sich dafür entscheidet, die im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit der Insolvenzmasse des insolventen Sicherungsnehmers zuzurechnen, gemäß der Richtlinie 2002/47 erforderlich ist, dem Sicherungsgeber eine Vorrangstellung gegenüber den anderen Gläubigern des insolventen Sicherungsnehmers einzuräumen, damit dieser Sicherungsgeber die ungenutzte Sicherheit zurückfordern kann, wenn der Sicherungsnehmer seine Forderung aus anderen Vermögensgegenständen dieses Sicherungsgebers befriedigt hat.

VI.    Ergebnis

110. Im Licht der oben dargestellten Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof, Litauen) wie folgt zu antworten:

1.      Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten zum Erlass einer Regelung verpflichtet sind, die es dem Sicherungsnehmer ermöglicht, seine Forderung aus der im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellten Finanzsicherheit zu befriedigen, auch wenn der Verwertungs- bzw. Beendigungsfall der Finanzsicherheit nach der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegenüber diesem Sicherungsnehmer eingetreten ist. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, festzulegen, auf welche Weise die Möglichkeit, die Finanzsicherheit in der Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts zu verwerten, wenn gegenüber dem Sicherungsnehmer ein solches Verfahren durchgeführt wird, sicherzustellen ist.

2.      Art. 4 Abs. 1 und 5 der Richtlinie 2002/47 ist dahin auszulegen, dass er den Sicherungsnehmer nicht verpflichtet, seine Forderung zuerst unter Heranziehung der gemäß der Vereinbarung einer Finanzsicherheit in der Form eine beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellten Sicherheit beizutreiben. Eine solche Verpflichtung kann sich jedoch aus den im Licht der Bestimmungen des für diese Vereinbarung geltenden Gesetzes ausgelegten Vertragsbedingungen der Sicherungsvereinbarung ergeben. Jedenfalls kann die Möglichkeit, nach Eintritt des Verwertungs- bzw. Beendigungsfalls der Finanzsicherheit die Forderung aus den anderen Vermögensgegenständen des Sicherungsgebers zu befriedigen, diesen Sicherungsgeber nicht daran hindern, diese ungenutzte Sicherheit im Fall der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegenüber dem Sicherungsnehmer wirksam zurückzufordern.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten (ABl. 2002, L 168, S. 43).


3      Vgl. Urteil vom 10. November 2016, Private Equity Insurance Group (C‑156/15, EU:C:2016:851).


4      Urteil vom 10. November 2016, Private Equity Insurance Group (C‑156/15, EU:C:2016:851).


5      Vgl. in diesem Sinne Devos, D., „The Directive 2002/47/EC on Financial Collateral Arrangements of June 6, 2002“, De Walsche, A., Vandersanden, G., Mélanges en hommage à Jean-Victor Louis, Bd. II, Brüssel, Editions de l’Université de Bruxelles, 2003, S. 269.


6      Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (ABL. 2014, L 173, S. 149).


7      Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Finanzsicherheiten (KOM[2001] 168 vom 27. März 2001).


8      Vgl. T’Kint, F., Derjcke, W., La directive 2002/47/CE concernant les contrats de garantie financière au regard des principes généraux du droit des sûretés, Euredia 2003, Bd. 1, S. 55.


9      Vgl. auch Zusammenfassung der nationalen Rechtsprechung in den Nrn. 27 bis 30 der vorliegenden Schlussanträge.


10      Vgl. in diesem Sinne Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Finanzsicherheiten (KOM[2001] 168 vom 27. März 2001, im Folgenden: Begründung des Entwurfs, Nr. 2.3).


11      Vgl. Begründung des Entwurfs, Nr. 2.1.


12      Vgl. insbesondere Art. 39 und Art. 48 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC‑Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (ABl. 2012, L 201, S. 1). Vgl. auch Art. 10 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35). Art. 10 der Richtlinie 2015/2366 sieht zwei Möglichkeiten vor, die Anforderungen im Bereich der Sicherung von Geldbeträgen zu erfüllen. Die Mitgliedstaaten können wählen zwischen der gesonderten Aufbewahrung der Geldbeträge (Art. 10 Abs. 1 Buchst. a) und der Auferlegung einer Verpflichtung, die jeweiligen Geldbeträge zu versichern (Art. 10 Abs. 1 Buchst. b).


13      Hervorhebung nur hier.


14      Hervorhebung nur hier.


15      Vgl. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/47.


16      Vgl. Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2002/47.


17      Vgl. Urteil vom 10. November 2016, Private Equity Insurance Group (C‑156/15, EU:C:2016:851).


18      Vgl. Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge.


19      Vgl. Nr. 61 der vorliegenden Schlussanträge.


20      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Private Equity Insurance Group (C‑156/15, EU:C:2016:586).


21      Vgl. Urteil vom 10. November 2016, Private Equity Insurance Group (C‑156/15, EU:C:2016:851, Rn. 51).