URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
11. März 1999 (1)
„EGKS-Vertrag Wettbewerb Vereinbarungen zwischen Unternehmen,
Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und verabredete Praktiken
Preisfestsetzung Marktaufteilung Informationsaustauschsysteme“
In der Rechtssache T-148/94
Preussag Stahl AG, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Salzgitter,
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Horst Satzky und Bernhard M. Maassen,
Brüssel, Martin Heidenhain, Frankfurt, und Constantin Frick, Bremen,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts René Faltz, 6, rue Heine,
Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Julian
Currall und Norbert Lorenz, beide Juristischer Dienst, sowie durch Géraud Sajust
de Bergues, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, dann durch Jean-Louis Dewost, Generaldirektor des Juristischen Dienstes, Julian Currall und Guy
Charrier, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,
Beistand: Rechtsanwalt Heinz-Joachim Freund, Frankfurt,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
hauptsächlich wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der
Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen
Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters C. W. Bellamy in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten sowie der Richter A. Potocki und J. Pirrung,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23.,
24., 25., 26. und 27. März 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
A Vorbemerkungen
- 1.
- Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS
der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des
EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von
europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1; im folgenden: Entscheidung oder
angefochtene Entscheidung) gerichtet, mit der die Kommission die gegen Artikel 65
§ 1 EGKS-Vertrag verstoßende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen
und einem ihrer Wirtschaftsverbände an einer Reihe von Vereinbarungen,
Beschlüssen und verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Preisen, zur
Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem
Trägermarkt der Gemeinschaft feststellte und gegen vierzehn Unternehmen aus
dieser Branche Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988
und dem 31. Dezember 1990 festsetzte.
- 2.
- Die Klägerin, die früher den Namen Stahlwerke Peine-Salzgitter AG trug (und in
der Entscheidung mit „Peine-Salzgitter“ bezeichnet wird), gehört zu einem
Konzern, dessen Muttergesellschaft die Preussag AG ist. Die Klägerin ist einer der
bedeutendsten Stahlproduzenten Deutschlands und hatte 1989/90 einen
konsolidierten Umsatz von 3,225 Milliarden DM. 1990 erzielte sie bei Trägern in
der Gemeinschaft einen Umsatz von 352 Millionen DM oder umgerechnet 172
Millionen ECU.
- 3.
- Zehn weitere Adressaten der Entscheidung, und zwar NMH Stahlwerke GmbH (im
folgenden: NMH; Rechtssache T-134/94), Eurofer ASBL (im folgenden: Eurofer;
Rechtssache T-136/94), ARBED SA (im folgenden: ARBED; Rechtssache
T-137/94), Cockerill-Sambre SA (im folgenden: Cockerill-Sambre; Rechtssache
T-138/94), Thyssen Stahl AG (im folgenden: Thyssen; Rechtssache T-141/94),
UnimétalSociété française des aciers longs SA (im folgenden: Unimétal;
Rechtssache T-145/94), Krupp Hoesch Stahl AG (im folgenden: Krupp Hoesch;
Rechtssache T-147/94), British Steel plc (im folgenden: British Steel; Rechtssache
T-151/94), Siderúrgica Aristrain Madrid SL (im folgenden: Aristrain; Rechtssache
T-156/94) und Empresa Nacional Siderúrgica SA (im folgenden: Ensidesa;
Rechtssache T-157/94) haben ebenfalls vor dem Gericht Klage erhoben.
- 4.
- Da die elf Rechtssachen durch Beschluß des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zu
gemeinsamer Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung verbunden worden
sind, wird im vorliegenden Urteil auf einige in Parallelsachen vorgelegte Unterlagen
Bezug genommen. Ferner wird, da die Klägerinnen in diesen Rechtssachen einige
Argumente im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen
Verhandlung vorgetragen haben, von „Klägerinnen“ gesprochen.
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
Die Krise in den siebziger Jahren und die Gründung von Eurofer
- 5.
- Ab 1974 wurde die europäische Stahlindustrie hart von einem Nachfragerückgang
getroffen, der zu einem Überangebot und Überkapazitäten und damit zu niedrigen
Preisen führte.
- 6.
- Am 1. Januar 1977 beschloß die Kommission auf der Grundlage von Artikel 46
EGKS-Vertrag den „Simonet-Plan“, in dessen Rahmen sich jedes Unternehmen
einseitig freiwillig verpflichten sollte, seine Lieferungen an das Niveau anzupassen,
das jeweils in den vierteljährlich gemäß Artikel 46 Absatz 3 Nr. 2 des Vertrages
veröffentlichten Vorausschätzungsprogrammen empfohlen wurde. Da sich dieses
System als unzureichend erwies, um den Markt zu stabilisieren, wurde es 1978
durch den „Davignon-Plan“ ersetzt, der die einseitigen freiwilligen Verpflichtungen
u. a. durch die Festsetzung von Richt- und Mindestpreisen ergänzte („Eurofer-I-Vereinbarung“).
- 7.
- Die einseitigen freiwilligen Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber der
Kommission wurden von ihnen zuvor in der Wirtschaftsvereinigung Eurofer
erörtert, deren Gründung die Kommission 1977 unterstützt hatte. Tatsächlich
stützte sich die Kommission bei der Bewältigung der Krise in der Stahlindustrie so
sehr auf Eurofer, daß in einem Schreiben vom 13. Juli 1978 des
Kommissionsmitglieds Davignon an den Präsidenten von Eurofer vom
„gemeinsamen Vorgehen zur Überwindung der Krise, für das Kommission und
Hersteller sich entschieden haben“, die Rede ist (Klageschrift in der Rechtssache
T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 2).
Das von 1980 bis 1988 geltende Quotensystem
- 8.
- Da sich die Lage auf dem Stahlmarkt weiter verschlechterte, erließ die Kommission
die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 zur Einführung eines
Systems von Erzeugungsquoten für Stahl für die Unternehmen der Stahlindustrie
(ABl. L 291, S. 1). In dieser Entscheidung stellte die Kommission eine
offensichtliche Krise im Sinne von Artikel 58 EGKS-Vertrag fest und schrieb für
die meisten Stahlerzeugnisse einschließlich der Träger verbindliche
Produktionsquoten vor.
- 9.
- Diese Krisenregelung läßt sich wie folgt beschreiben: Die Kommission setzte für
verschiedene Produktkategorien quartalsweise ein gemeinschaftsweites
Produktionsziel fest und teilte dann jedem Unternehmen eine Produktionsquote
und eine Quote für Lieferungen auf Gemeinschaftsebene zu („I-Quoten“).
Außerdem wurde vereinbart, daß jedes Unternehmen eine Lieferquote für jeden
nationalen Markt erhielt („i-Quoten“). Eurofer war im Rahmen der
Vereinbarungen Eurofer II bis Eurofer V mit der Aufteilung der „I-Quote“ jedes
Unternehmens in „i-Quoten“ betraut. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den
Unternehmen griff gegebenenfalls die Kommission ein (vgl. den Schiedsspruch von
Herrn Davignon vom 2. Juni 1982 zu den „i-Quoten“ von Italsider, Anhang 3,
Schriftstück 11, der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94).
- 10.
- Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Kommissionsmitglieder Davignon und
Andriessen mit Schreiben vom 17. Januar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache
T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 6) folgende Warnung an Eurofer richteten:
„Die Kommission begrüßt die Kooperation, mit der die Unternehmen und ihre
Verbände u. a. bei der Preispolitik zum Erfolg der Antikrisenmaßnahmen
beigetragen haben. Sie sieht diese Kooperation als wesentlichen Teil ihrer
Stahlpolitik an und hofft, daß sie sich fortsetzen wird.
Sie weist die Verbände und insbesondere Eurofer jedoch darauf hin, daß sie bei
der Ausübung ihrer Tätigkeit den Rahmen und die Grenzen von Artikel 48 EGKS-Vertrag strikt einhalten müssen.
Die Kommission möchte klarstellen, daß sie es nicht hinnehmen kann, wenn die
Stahlunternehmen oder ihre Verbände die Entscheidungen, die die Kommission bei
der Ausarbeitung der Preispolitik treffen wird, vorwegnehmen oder umgehen oder
wenn die von ihr im Rahmen ihrer Antikrisenpolitik getroffenen Maßnahmen und
gegebenen Empfehlungen als Vorwand benutzt werden, um Absprachen zu treffen
oder gegen den Vertrag verstoßende Beschlüsse zu fassen. Solche Absprachen oder
Beschlüsse würden unter Artikel 65 fallen, wären nichtig und müßten von der
Kommission geahndet werden.“
- 11.
- Der Präsident von Eurofer gab Herrn Davignon und Herrn Andriessen mit
Schreiben vom 8. Februar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang
3, Schriftstück 7) folgende Antwort:
„Wir möchten Sie ... darauf hinweisen, daß im Mengenbereich die Vereinbarungen
zur Produktions- und Lieferbeschränkung auf dringendes Ersuchen der
Europäischen Kommission und des Rates getroffen wurden. Die Kommission wurde
über alle Einzelheiten ihrer Durchführung informiert, und wir sind fest
entschlossen, weiterhin so zu verfahren.
Im Preisbereich haben die Kommission und der Rat immer wieder die
Notwendigkeit einer Anhebung betont, die es den Stahlunternehmen ermöglichen
soll, ausreichende Einnahmen zu erzielen ...
Die Kommission wird gewissenhaft über alle Bemühungen zur Erreichung des
Zieles, das sie sich gesetzt hat, informiert, und wir sind entschlossen, dies auch in
Zukunft zu tun.
Unter diesen Umständen gehen wir davon aus, daß Sie uns unverzüglich
unterrichten werden, wenn irgendwann die Gefahr bestehen sollte, daß unsere
Tätigkeit über die von der Kommission vertretene Auslegung der Bestimmungen
des Vertrages von Paris hinausgeht.“
- 12.
- Da die offensichtliche Krise andauerte, wurden die von der Kommission
festgesetzten Quoten zwischen 1984 und 1986 mehrfach verlängert und
vervollständigt, u. a. durch die Einführung eines Systems von Mindestpreisen für
Träger und andere Erzeugnisse (Entscheidung Nr. 3715/83/EGKS der Kommission
vom 23. Dezember 1983 zur Festsetzung von Mindestpreisen für bestimmte
Stahlerzeugnisse, ABl. L 373, S. 1). Die Kommission erließ ferner die Entscheidung
Nr. 3483/82/EGKS vom 17. Dezember 1982 über die Pflicht der Unternehmen der
Gemeinschaft zur Meldung ihrer Lieferungen bestimmter Stahlerzeugnisse (ABl.
L 370, S. 1), durch die ein „Überwachungssystem“ eingeführt wurde, in dessen
Rahmen jedes Unternehmen seine Lieferungen nach Ländern getrennt zu melden
hatte.
- 13.
- Anfang 1984 baute die Kommission das Quotensystem durch den Erlaß der
Entscheidung Nr. 234/84/EGKS vom 31. Januar 1984 zur Verlängerung des Systems
der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der
Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 29, S. 1) weiter aus. In der neunten
Begründungserwägung dieser Entscheidung wird auf eine Erklärung des Rates vom
22. Dezember 1983 Bezug genommen, wonach „die Stabilität der herkömmlichen
Ströme von Stahlerzeugnissen in der Gemeinschaft ein wesentliches Element ist,
das erhalten werden muß, damit die Umstrukturierung des Stahlsektors in einem
Wettbewerbskontext erfolgt, der mit der durch das System der Erzeugungsquoten
auferlegten Solidarität vereinbar ist“. In Artikel 15B der genannten Entscheidung
ist deshalb für den Fall, daß ein Mitgliedstaat insoweit Beschwerde einlegt,
vorgesehen, daß die Kommission, nachdem sie die Berechtigung dieser Beschwerde
geprüft hat, die für die festgestellten Störungen verantwortlichen Unternehmen
ersucht, sich schriftlich zu verpflichten, das Ungleichgewicht bei ihren
herkömmlichen Lieferungen im Lauf des folgenden Quartals auszugleichen. Will
sich ein Unternehmen diesem Solidaritätsprinzip nicht unterwerfen, so kann die
Kommission den Teil seiner Quoten kürzen, der innerhalb des Gemeinsamen
Marktes geliefert werden kann.
- 14.
- Die Politik der Stabilität der herkömmlichen Handelsströme und die Bemühungen,
die Preise auf einem akzeptablen Niveau zu halten, waren Gegenstand mehrerer
Schriftwechsel zwischen der Kommission und Eurofer; zu nennen sind dabei
ein Vermerk von Eurofer vom 2. Juli 1984, der die bei einem Treffen von
Vertretern der Kommission und der Industrie in Brüssel am 27. Juni 1984
gegebenen Erläuterungen enthält (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94,
Anhang 3, Schriftstück 8) und in dem es zur Anwendung von Artikel 15B
der Entscheidung Nr. 234/84 heißt:
„Die Kommission hat das System des Artikels 15B als Antwort auf die
Bedenken der nationalen Regierungen eingeführt. Es kann keinesfalls das
.i-System' der Eurofer-IV-Vereinbarung ersetzen. Die Kommission braucht
Eurofer im Gegenteil für Marktbewertungen und für die Regelung aller
Einzelheiten. Ohne Eurofer wäre die Kommission in größten
Schwierigkeiten. ... Im allgemeinen interessiert sich die Kommission nur füreine grobe Analyse der Situation, die nicht auf nebensächliche Details
eingeht. ... Für die Zukunft ist die Kommission bereit, ein auf Quoten
beruhendes System in Erwägung zu ziehen, würde dann aber die volle
Unterstützung von Eurofer benötigen.“
das Protokoll eines Treffens der Kommission mit Eurofer am 16. Dezember
1985, an dem das Kommissionsmitglied Narjes teilnahm (Klageschrift in der
Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 10); darin heißt es zu den
herkömmlichen Handelsströmen:
„Die Kommission brachte ihre große Besorgnis über die jüngsten
Marktentwicklungen zum Ausdruck. Sie bedauerte, daß Eurofer V noch
nicht zustande gekommen ist, und unterstrich die Verantwortung der
Hersteller für die Preise. ... Die Kommission forderte die Teilnehmer auf,
erneut Wege zur gegenseitigen Kooperation zu prüfen, da sie der Ansicht
ist, daß Eurofer bei der Durchführung von Artikel 58 eine entscheidende
Rolle spielte. Sie beabsichtigt, die Kriterien für die Anwendung von Artikel
15B so bald wie möglich festzulegen, um die Lage zu meistern, falls Eurofer
keinen Erfolg haben sollte, oder eine private Abmachung zu erleichtern.“
das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März
1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 13),
in dem es zum spanischen Markt heißt:
„Narjes erinnerte an die Entscheidung der Kommission zur Beschränkung
der Lieferungen nach Spanien. ... Hinsichtlich der Lastenverteilung sprach
er sich für eine interne Vereinbarung der Eurofer-Hersteller aus.“
das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Vertretern von Eurofer
am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 14), in dem es heißt:
„Die Kommission hob die Notwendigkeit hervor, die veröffentlichten Preise
in der Gemeinschaft schnell auf dem gleichen Niveau zu harmonisieren und
Unterschiede zwischen den veröffentlichten Preisen und den Marktpreisen
zu vermeiden. Die Branchenrabatte sollten realitätsnah sein. Bestätigt wurde
die Bereitschaft der französischen Stahlindustrie, die Preise anzuheben, aber
auch das Erfordernis, dabei von eindringenden Konkurrenten unterstützt zu
werden. Eurofer brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Eurofer-V-Vereinbarung die geeeignete Grundlage für eine allgemeine Erholung der
Preise bringen werde.“
- 15.
- Im gleichen Zeitraum schloß die Kommission eine Reihe völkerrechtlicher Verträge
mit dem Königreich Schweden, dem Königreich Norwegen und der Republik
Finnland, um die Stabilität der herkömmlichen Handelsströme zwischen diesen
Ländern und der Gemeinschaft sicherzustellen („Vereinbarungssystem“); vgl. die
in der mündlichen Verhandlung von den Parteien vorgelegten Schreiben der
Kommission vom 4. März 1986, 13. Februar 1987 und 21. Januar 1988 an die
schwedischen Behörden, vom 4. März 1986, 11. März 1987 und 10. Februar 1988
an die norwegischen Behörden und vom 4. März 1986, 10. April 1987 und 12.
Februar 1988 an die finnischen Behörden, die im Rahmen des Abkommens vom
22. Juli 1972 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für
Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits
und dem Königreich Schweden andererseits (ABl. 1973, L 350, S. 76), des
Abkommens vom 14. Mai 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle
und Stahl einerseits und dem Königreich Norwegen andererseits (ABl. 1974, L 348,
S. 17) und des Abkommens vom 5. Oktober 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen
Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Finnland
andererseits (ABl. 1974, L 348, S. 1) ausgetauscht wurden.
- 16.
- Eine ähnliche Vereinbarung wurde mit dem Königreich Spanien im Protokoll Nr.
10 zur Beitrittsakte für eine Übergangszeit von drei Jahren getroffen. So setzte die
Kommission für die Jahre 1986, 1987 und 1988 die jeweilige Höhe der Lieferungen
von Stahlerzeugnissen aus Spanien auf die Märkte der Gemeinschaft mit Ausnahme
Portugals fest. Diese besonderen Übergangsmaßnahmen wurden bis zum 31.
Dezember 1988 angewandt.
Die Ereignisse, die der Beendigung der Regelung für die offensichtliche Krise am
30. Juni 1988 vorausgingen
- 17.
- Die Kommission bereitete ab 1985 die Beendigung der Krisenregelung und die
Rückkehr zu normalen Marktbedingungen vor. In einem von den Dienststellen der
Generaldirektion Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft (GD III) der
Kommission im Lauf des Jahres 1985 verfaßten Schriftstück (Dokument III/534/FR,
Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 5) wird darauf
hingewiesen, daß „das Quotensystem weitgehend auf dem von Eurofer
angewandten freiwilligen System“ beruht habe und daß es darauf ankomme, „bis
Mitte nächsten Jahres eine Vereinbarung für die Zukunft zu erzielen, denn wenn
dies nicht geschieht, wird es in der zweiten Jahreshälfte einen Kampf um
Marktanteile geben, der durchaus katastrophale Auswirkungen auf die Preise und
die Erlöse der Unternehmen haben könnte“. In dem Schriftstück wird folgender
Schluß gezogen: „Eurofer muß daher ermuntert werden, seine Verantwortung zu
übernehmen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die Stahlindustrie von einer Zeit
des Schutzes zu den Bedingungen des freien Marktes übergehen sollte.“
- 18.
- In ihrer Mitteilung an den Rat über die Einführung eines
Produktionsquotensystems auf der Grundlage von Artikel 58 des EGKS-Vertrags
für die Zeit nach dem 31. Dezember 1985 (KOM[85] 509, Klageschrift in der
Rechtssache T-145/94, Anlage 14) beschreibt die Kommission die Einzelheiten
einer Übergangszeit vor der Rückkehr zum normalen Wettbewerb. Sie vertritt die
Ansicht, daß der Höhepunkt der Krise praktisch überstanden sei, und kommt zu
folgendem Ergebnis:
„Die Restrukturierung der europäischen Stahlindustrie ist ... noch nicht beendet.
... Eine Übergangsperiode von höchstens drei Jahren erweist sich deshalb als
notwendig. Diese Phase wird der Stahlindustrie die Möglichkeit geben, schrittweise
den Übergang von den gegenwärtigen strengen Marktregeln zum freien
Wettbewerb, den der EGKS-Vertrag zum Ziel hat, zu vollziehen. ... [D]as für die
Zeit vom 1. Januar 1986 an vorgesehene Quotensystem ... wird das letzte vor der
Rückkehr zum freien Wettbewerb sein. ... [D]ie Kommission [möchte] in der
nächsten Entscheidung nicht die Regeln des Artikels 15B der Entscheidung
234/84/EGKS in der derzeitigen Form übernehmen. ... Die Kommission möchte
jedoch während der ersten Phase der Übergangsperiode die statistische Kontrolle
des Stahlhandelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten auf Grundlage der
Produktionsbescheinigungen und der Begleitdokumente fortsetzen. Diese
Kontrollen erlauben die Prüfung, ob die traditionellen Handelsströme zwischen den
Mitgliedstaaten nicht in schwerwiegender Weise gestört werden. Sollten anhand der
statistischen Kontrolle solche Störungen festgestellt werden, wird die Kommission
unverzüglich untersuchen, ob das verantwortliche Unternehmen bei der Suche nach
neuen Kunden gegen die Regeln des Vertrages, insbesondere gegen die Preisregeln,
verstoßen hat.“
- 19.
- In ihrer Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS vom 27. November 1985 zur
Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für
bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 340, S. 5)
führte die Kommission aus, daß dank der Verbesserung der Marktbedingungen
„das Quotensystem in einer Übergangsphase von zwei maximal drei Jahren
ganz abgebaut werden kann. Der Rat hatte schon auf seiner Tagung am 25. Juli
1985 auf die Notwendigkeit hingewiesen, so rasch wie möglich auf geregelte Art
und Weise zu einem Markt des freien Wettbewerbs zwischen den Unternehmen
der Gemeinschaft zurückzukehren.“
- 20.
- In dem von Eurofer verfaßten Protokoll des Treffens zwischen der Kommission und
Eurofer am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 14) heißt es unter der Überschrift „Durchführung von Artikel 58 im
Jahr 1987“: „Für die Zukunft nach 1987 erklärten die Vertreter der Kommission,
daß sie dazu noch keine Meinung hätten.“ Im gleichen Protokoll wird ausgeführt,
daß die Verantwortlichen von Eurofer, nachdem die Vertreter der Kommission
gegangen waren, ihrerseits mehrere Möglichkeiten in Erwägung zogen:
„Eine erste Diskussion hat gezeigt, daß unter drei Möglichkeiten auszuwählen war:
völlige Freiheit, und wie dann am besten zu kooperieren ist;
Fortführung von Artikel 58, und wie dann mit der Kommission zu verfahren
ist;
kein Artikel 58, aber eine private Abmachung.
Dann welche Art von Abmachung (Produktion, Lieferungen) und worauf
erstreckt (Rohstahl, bestimmte Erzeugnisse usw.)
Alle Mitglieder waren sich einig, daß das Ziel jedenfalls darin besteht, ein
Preisniveau festzusetzen, das für eine große Zahl von Unternehmen
gewinnbringend ist.
Verschiedene Meinungen wurden geäußert; eine, beruhend auf der Existenz von
Überkapazitäten in den nächsten Jahren, ging dahin, daß Vereinbarungen über
Mengen unvermeidlich seien, eine andere, beruhend auf den Erfahrungen der
Vergangenheit, bezweifelte die Fähigkeit aller Unternehmen, die für den Abschluß
einer privaten Abmachung erforderlichen Anpassungen nach einer langen Zeit
künstlicher Maßnahmen zu akzeptieren.“
- 21.
- In ihrer Entscheidung Nr. 3746/86/EGKS vom 5. Dezember 1986 zur Änderung der
Entscheidung Nr. 3485/85 (ABl. L 348, S. 1) führte die Kommission aus: „Die
Einführung des Artikels 15B war im Augenblick der Zuspitzung der Stahlkrise
zwingend geworden. Heute ist diese Bestimmung nicht mehr gerechtfertigt; es ist
daher angezeigt, sie zu streichen“.
- 22.
- In ihrer am 18. September 1987 vorgelegten Mitteilung an den Rat über die
Stahlpolitik (KOM[87] 388 endg./2, ABl. C 272, S. 3) gab die Kommission u. a.
folgende Erklärungen ab:
„[D]ie Kommission [ist] nur dann bereit, das Quotensystem dessen Aktualisierung
übereinstimmend als notwendig angesehen wird zu verlängern, wenn damit
Anreize zur Stillegung und feste Verpflichtungen seitens der Unternehmen und der
betreffenden Regierungen verbunden sind.
...
Obwohl auch weiterhin Krisenbedingungen für Flacherzeugnisse und Formstahl
bestehen, wird die Kommission in Anbetracht der Bremswirkung, die das
Quotensystem an sich hinsichtlich der Umstrukturierung der Industrie ausüben
kann, ein derartiges System nur in dem Maße realisieren, als die Unternehmen ihr
gegenüber feste Verpflichtungen hinsichtlich eines zufriedenstellenden Niveaus von
Stillegungen eingehen, die gemäß einem Zeitplan abzuwickeln sind, der drei Jahre
nicht überschreiten darf.
...
Die Kommission ...
...
... beendet das System im Laufe des Jahres 1988, wenn die Unternehmen
nicht bis zum 1. August 1988 zusätzliche Anstrengungen unternommen
haben ...“
- 23.
- Am 8. Oktober 1987 übertrug die Kommission einer Gruppe von drei „Weisen“
(Herrn Colombo, Herrn Friderichs und Herrn Mayoux) die Aufgabe, bei drei
Produktgruppen, zu denen auch Träger gehörten, zu untersuchen, ob die
Stahlunternehmen bereit seien, sich zu einer schnellen und ausreichenden
Stillegung der Überkapazitäten zu verpflichten.
- 24.
- Im „Bericht der Drei Weisen“ (ABl. 1988, C 9, S. 6) heißt es:
„Ganz offensichtlich sind die Unternehmen, die seit sieben Jahren durch ein
Quotensystem geschützt werden und sich daran gewöhnt haben, daß es immer
wieder verlängert wird, nicht bereit, sich so weit zu Stillegungen zu verpflichten,
daß eine Verlängerung des Systems gerechtfertigt wäre.
...
Angesichts der internationalen Wirtschaftslage läßt sich jedoch voraussehen, daß
die derzeitige Situation mit den relativ hohen Preisen nicht lange anhalten wird und
daß die Überkapazitäten mit Sicherheit erneut auf den Markt drücken und so die
Stahlproduzenten zur Umstrukturierung und Stillegung von Anlagen zwingen
werden.
Die Kommission muß daher mit Entschlossenheit und gleichzeitig im vollen
Bewußtsein ihrer Verantwortung handeln.
Das derzeitige Quotensystem kann nicht beibehalten werden, wenn sich die
Unternehmen nicht verpflichten, ihre Kapazitäten abzubauen. Überläßt man sich
jedoch plötzlich den Kräften des Marktes, so könnte der Preisverfall, der zweifellos
die Folge sein wird, auf sämtliche Unternehmen drücken und damit die geplante
Umstrukturierung noch schwieriger machen.“
- 25.
- Am Ende des Berichts heißt es:
„Zum Schluß unserer Arbeit möchten wir noch einmal auf die Schwere der
Stahlkrise hinweisen, deren Ausmaß sehr viel größer ist, als die meisten Vertreter
der Industrie zugeben wollen. Die Krise verlangt eine entschlossene und
unmißverständliche Haltung der Gemeinschaftsbehörden, um der Industrie ihre
Verantwortung zu zeigen.
Die Umstrukturierung der Stahlunternehmen eilt, wenn sie der weltweiten
Konkurrenz standhalten und auf einem immer offeneren Markt voll
konkurrenzfähig werden wollen.“
- 26.
- Im Lauf des Jahres 1987 gab die Kommission auch ihre Auffassung zur
Aufrechterhaltung der „traditionellen Handelsströme“ auf. So vertrat sie in
Anhang I ihrer erwähnten Mitteilung an den Rat vom 18. September 1987 die
Ansicht, daß „die Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme bei
Stahlprodukten zwischen den Mitgliedstaaten nicht im Einklang mit dem Ziel der
Gemeinschaft steht, bis 1992 einen offenen Binnenmarkt zu schaffen“.
- 27.
- Die neue Stahlpolitik der Gemeinschaft wurde in der dem Rat am 16. Juni 1988
vorgelegten Mitteilung der Kommission über die Stahlpolitik (KOM[88] 343 endg.,
ABl. C 194, S. 23) dargelegt. In bezug auf die zu ergreifenden Maßnahmen heißt
es dort:
„Es ist darauf hinzuweisen, daß der EGKS-Vertrag als Normalfall von einem freien
Wettbewerb auf dem Markt ausgeht und die Kommission in Artikel 5 nur dann
damit beauftragt, direkt in die Erzeugung einzugreifen, wenn es die Umstände
erfordern. ... Der Vertrag sieht ebenfalls vor, daß der Wettbewerb unter normalen
Bedingungen stattzufinden hat.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Vollendung des Binnenmarktes im
Jahre 1992 auch ein vorrangiges Ziel für den Stahlmarkt ist. Die Vorbereitung auf
den Termin 1992 erfordert eine grundlegende Änderung der Strategie der
Unternehmer, die häufig noch zu sehr von Erwägungen im Hinblick auf nationale
Märkte geprägt ist.“
- 28.
- Die Kommission kam zu folgendem Ergebnis:
„Die Lage auf dem Eisen- und Stahlmarkt hat sich so weit verbessert, daß das
Quotensystem nicht mehr gerechtfertigt ist. Dieses System hat sich außerdem als
ungeeignet erwiesen, um die Unternehmen zur Vollendung ihrer Restrukturierung
anzuregen ... [D]ie Kommission [ist] der Auffassung ..., daß die strukturelle
Anpassung im Rahmen der normalen Marktgesetze fortzusetzen ist ...“
- 29.
- Der Rat nahm auf seiner 1255. Tagung am 24. Juni 1988 zur Kenntnis, daß die
Kommission das Quotensystem bei allen Stahlerzeugnissen zum 30. Juni 1988
auslaufen lassen wollte. Unter Bezugnahme auf die von der Kommission
vorgesehenen flankierenden Maßnahmen und Maßnahmen zur Marktüberwachung
(monatliche Statistiken über Produktion und Lieferungen,
Vorausschätzungsprogramme, Gespräche mit den Beteiligten) unterstrich der Rat,
„daß niemand das Überwachungssystem dazu mißbrauchen darf, um Artikel 65 des
EGKS-Vertrags zu umgehen“ (vgl. den Auszug aus dem Entwurf eines Protokolls
über die 1255. Tagung des Rates, Anlage 3 der Klagebeantwortung in der
Rechtssache T-151/94).
- 30.
- Am 4. Mai 1988 veröffentlichte die Kommission überdies eine Pressemitteilung
(IP[88] 261, vgl. Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 5, Schriftstück 4)
über die von ihr im Rahmen der Sache „nichtrostender Flachstahl“ (siehe unten,
Randnr. 36) durchgeführte Prüfung. Darin heißt es u. a.:
„Dies ist seit dreizehn Jahren die erste Kartellprüfung der Kommission im
Stahlbereich. Nachdem das offizielle Quotensystem der Kommission für einige
Stahlerzeugnisse bereits ausgelaufen ist und vorgeschlagen wurde, das
Quotensystem am 30. Juni 1988 zu beenden, ist klar, daß die Kommission eine
Ersetzung des Gemeinschaftssystems durch inoffizielle und rechtswidrige
Vereinbarungen der Industrie selbst nicht hinnehmen kann.“
- 31.
- Die Krisenregelung endete bei Trägern offiziell am 30. Juni 1988. Gleichzeitig trat
die Eurofer-V-Vereinbarung außer Kraft. Das durch die Entscheidung Nr. 3483/82
eingeführte System zur Überwachung der Lieferungen zwischen Mitgliedstaaten
blieb jedoch bis November 1988 bestehen.
Das ab 1. Juli 1988 geltende Überwachungssystem
- 32.
- Auch wenn die Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 ausgelaufen
war, ergibt sich aus einem internen Vermerk der GD III vom 24. Oktober 1988,
den die Beklagte in Befolgung des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember
1997 (siehe unten, Randnr. 56) vorgelegt hat, daß sich der Rat und die Kommission
über das Erfordernis verständigt hatten, die Anpassung der Unternehmen an
etwaige Änderungen der Nachfrage zu erleichtern. Zu diesem Zweck wurde
vereinbart, daß die Kommission den Markt weiterhin mit Hilfe von drei
Maßnahmen überwachen werde:
der Sammlung monatlicher Statistiken über Produktion und Absatz
bestimmter Erzeugnisse;
der Verfolgung der Marktentwicklung dieser Erzeugnisse im Rahmen der
vierteljährlichen Vorausschätzungsprogramme;
einer regelmäßigen Befragung der Unternehmen zur Marktlage und zu den
Markttendenzen.
- 33.
- Die Kommission setzte diese Politik u. a. durch ihre Entscheidung Nr.
2448/88/EGKS vom 19. Juli 1988 zur Einführung eines Überwachungssystems für
bestimmte Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 212, S. 1)
um, in dessen Rahmen ihr jedes Unternehmen seine Lieferungen zu melden hatte.
Dieses System lief am 30. Juni 1990 aus und wurde durch eine individuelle und
freiwillige Informationsregelung ersetzt.
- 34.
- Es gab somit weiterhin regelmäßige enge Kontakte zwischen den Unternehmen und
der GD III, bei denen die Marktparameter (Produktion, Lieferung, Lagerbestände,
Preise, Ausfuhren, Einfuhren usw.) erörtert wurden. Diese Kontakte bestanden in
folgendem Rahmen:
a) den offiziellen vierteljährlichen Treffen von Vertretern der Hersteller, der
Verbraucher und der Händler mit Vertretern der Kommission, bei denen
gemäß Artikel 46 des Vertrages die Vorausschätzungsprogramme („Forward
Programmes“) erörtert wurden; solche Treffen fanden u. a. am 4. Mai 1988,
1. September 1988, 3. November 1988, 1. Februar 1989, 28. April 1989, 1.
September 1989, 7. November 1989, 7. Februar 1990, 3. Mai 1990, 4.
September 1990 und 5. November 1990 statt;
b) den auf eine kleine Zahl von Vertretern der Industrie, die nicht Mitglied
von Eurofer sein mußten, und der Kommission beschränkten
Konsultationstreffen („Consultation Meetings“), die u. a. am 27. Oktober
1988, 26. Januar 1989, 28. April 1989, 27. Juli 1989, 26. Oktober 1989, 25.
Januar 1990 und 27. Juli 1990 stattfanden;
c) den auf ganz wenige Vertreter der Industrie, die nicht Mitglied von Eurofer
sein mußten, und der Kommission beschränkten Treffen im kleinen Kreis
(„Restricted Meetings“) vom 8. Dezember 1988, 21. März 1989, 15. Juni
1989 und 13. Dezember 1989;
d) den Arbeitsessen („Steel Lunches“), zu denen Vertreter von Eurofer und
der Kommission anläßlich von Konsultationstreffen oder Treffen im kleinen
Kreis in informellem Rahmen zusammenkamen.
- 35.
- Diese verschiedenen Treffen dienten hauptsächlich dazu, der Kommission die für
die Anwendung von Artikel 46 des Vertrages und des durch die Entscheidung Nr.
2448/88 eingeführten Überwachungssystems erforderlichen Informationen der
Industrie zu verschaffen. An ihnen nahmen Beamte der GD III (u. a. Herr Ortún,
Herr Kutscher, Herr Evans, Herr Drees, Herr Aarts und Herr Vanderseypen), der
Vorsitzende des CDE, die Vorsitzenden der „Product Committees“ von Eurofer,
einige Vertreter anderer Stahlverbände und einige Mitarbeiter von Eurofer teil. Die
Vertreter der Industrie lieferten der Kommission allgemeine Informationen über
die Wirtschaftslage bei jedem Erzeugnis. Die bei diesen Gelegenheiten
ausgetauschten allgemeinen und produktbezogenen Angaben betrafen den
tatsächlichen Verbrauch, den sichtbaren Verbrauch, die Preise, die Bestellungen,
die Lieferungen, die Einfuhren, die Ausfuhren und die Lagerbestände. Eine
Zusammenfassung der Konsultationstreffen, besser bekannt unter dem Namen
„Speaking Notes“, wurde der GD III von Eurofer in der Regel einige Tage nach
dem jeweiligen Treffen zugeleitet.
Die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ vom 18. Juli 1990
- 36.
- Am 18. Juli 1990 erließ die Kommission die Entscheidung 90/417/EGKS in einem
Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend eine Vereinbarung und
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von europäischen Herstellern von
kaltgewalzten, nichtrostenden flachen Stahlerzeugnissen (ABl. L 220, S. 28; im
folgenden: Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“), mit der sie gegen einige
Stahlunternehmen, zu denen British Steel, die Thyssen Edelstahlwerke AG und
Ugine aciers de Châtillon et Gueugnon, eine Tochtergesellschaft von Unimétal,
gehörten, wegen einer am 15. April 1986 geschlossenen, gegen Artikel 65 § 1 des
Vertrages verstoßenden Vereinbarung über Liefermengen und Preise Geldbußen
zwischen 25 000 ECU und 100 000 ECU festsetzte.
Die von der Kommission ab 1990 angestellten Überlegungen zur Zukunft des
EGKS-Vertrags
- 37.
- Im Lauf des Jahres 1990 stellte die Kommission Überlegungen zur Zukunft des
EGKS-Vertrags an, wie der Entwurf einer diese Frage betreffenden Mitteilung von
Herrn Bangemann, dem für Industriepolitik zuständigen Kommissionsmitglied, an
die übrigen Mitglieder der Kommission vom 23. Oktober 1990 (Anlage 10 der
Klageschrift in der Rechtssache T-156/94) zeigt. In diesem Schriftstück sprach sich
die Kommission für ein Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahr 2002 aus, „wobei
die in dem EGKS-Vertrag enthaltene Flexibilität genutzt wird, [um] ihn so weit wie
möglich an die Lage der beiden Bereiche anzupassen und schrittweise die
Aufnahme (.phasing-in') dieser Bereiche in den EWG-Vertrag im Jahre 2002
vorzubereiten“ (vgl. auch die Mitteilung der Kommission an den Rat und an das
Europäische Parlament vom 15. März 1991 über die Zukunft des EGKS-Vertrags,
SEK[91] 407 endg., Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 1).
- 38.
- In ihrer Mitteilung vom September 1991 über die EGKS-Wettbewerbspolitik
(IV/832/91) (Erwiderung in der Rechtssache T-151/94, Anlage 5) gab die
Kommission ihre Absicht bekannt, „dafür zu sorgen, daß die EGKS- und EWG-Wettbewerbsregeln künftig so weit wie möglich einander angeglichen werden“.
Ferner wies sie in ihrem 1991 veröffentlichten Zwanzigsten Bericht über die
Wettbewerbspolitik u. a. darauf hin, daß „der Zeitpunkt gekommen ist, um die
EGKS-Wettbewerbsregeln so weit wie möglich an die des EWG-Vertrages
anzupassen“ (Nr. 122).
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
- 39.
- Am 16., 17. und 18. Januar 1991 ließ die Kommission aufgrund von
Einzelentscheidungen gemäß Artikel 47 des Vertrages in den Geschäftsräumen von
sieben Unternehmen und zwei Unternehmensverbänden Nachprüfungen
vornehmen. Weitere Nachprüfungen wurden am 5., 7. und 25. März 1991
vorgenommen. Von verschiedenen beteiligten Unternehmen und
Unternehmensverbänden wurden zusätzliche Auskünfte erteilt, die die Kommission
gemäß Artikel 47 des Vertrages verlangt hatte.
- 40.
- Die Kommission richtete an die betroffenen Unternehmen und Verbände, zu
denen auch die Klägerin gehörte, am 6. Mai 1992 eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben vom 5. August
1992 und vom 16. Oktober 1992.
- 41.
- Die Parteien hatten außerdem bei einer Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar
1993 in Brüssel stattfand und deren Protokoll ihnen am 8. Juli 1993 und am 8.
September 1993 übersandt wurde, die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen.
Bei dieser Gelegenheit forderte der Anhörungsbeauftragte die anwesenden Parteien
auf, ihm im Hinblick auf ihre zahlreichen Andeutungen, daß zwischen der GD III
und den Trägerherstellern in dem von den Beschwerdepunkten erfaßten Zeitraum
bestimmte Kontakte bestanden hätten, alle insoweit in ihrem Besitz befindlichen
Beweismittel zukommen zu lassen. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben
vom 16. Februar 1993.
- 42.
- Mit Schreiben vom 22. April 1993 teilte der Anhörungsbeauftragte den Betroffenen
mit, daß er nicht beabsichtige, eine zweite Anhörung durchzuführen.
- 43.
- Am 15. Februar 1994, einen Tag vor dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung,
wurden die Verhandlungen zwischen der Kommission und Vertretern der
Stahlindustrie über die Umstrukturierung dieser Industrie durch freiwillige
Verringerung der Produktionskapazitäten erfolglos abgebrochen.
- 44.
- Nach dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission (Vor- und Nachmittag), das
die Beklagte auf Ersuchen des Gerichts vorgelegt hat, wurde die Entscheidung am
Nachmittag des 16. Februar 1994 endgültig erlassen.
- 45.
- Am Mittag des 16. Februar 1994 veranstaltete Herr Van Miert, das für
Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission, eine Pressekonferenz, bei
der er bekanntgab, daß die Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe,
und die Höhe der gegen die Klägerin sowie gegen British Steel und ARBED
festgesetzten Geldbußen mitteilte. Diese Angaben entsprachen nicht den in der
Entscheidung genannten Beträgen. Er erläuterte ferner einige bei der Festsetzung
der Geldbußen herangezogene Kriterien und beantwortete Fragen der Journalisten.
Er bestritt u. a. jeden Zusammenhang zwischen dem Erlaß der Entscheidung und
dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die freiwillige Verringerung der
Produktionskapazitäten am Vortag.
- 46.
- Am 24. Februar 1994 warfen bei einer Debatte im Europäischen Parlament einige
Abgeordnete die Frage auf, welche Gründe die Kommission dazu veranlaßt hätten,
die Entscheidung einen Tag nach dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die
Umstrukturierung der Stahlindustrie zu erlassen. Herr Van Miert verteidigte den
Standpunkt der Kommission und wies darauf hin, daß es sich dabei um zwei
getrennte Vorgänge handele.
D Die angefochtene Entscheidung
- 47.
- Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin am 3. März 1994 zusammen mit
einem Begleitschreiben von Herrn Van Miert vom 28. Februar 1994 (im folgenden:
Schreiben vom 28. Februar 1994) zuging, enthält folgenden verfügenden Teil:
„Artikel 1
Die folgenden Unternehmen haben in dem in dieser Entscheidung beschriebenen
Umfang an den jeweils unter ihrem Namen aufgeführten wettbewerbswidrigen
Praktiken teilgenommen, die den normalen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt
verhinderten, einschränkten und verfälschten. Soweit Geldbußen festgesetzt werden,
ist die Dauer des Verstoßes in Monaten angegeben, außer im Fall der
Aufpreisharmonisierung, wo die Teilnahme an dem Verstoß mit .x' angegeben ist.
...
Peine-Salzgitter
a) Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der
Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung
(30)
b) Preisfestsetzung in der Träger-Kommission
(30)
c) Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt
(3)
d) Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt
(9)
e) Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt
(30)
f) Marktaufteilung, .Traverso-System'
(3 + 3)
g) Marktaufteilung, Frankreich
(3)
h) Marktaufteilung, Deutschland
(6)
i) Marktaufteilung, Italien
(3)
j) Harmonisierung von Aufpreisen
(x)
...
Artikel 2
Eurofer hat gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag verstoßen, indem sie den Austausch
vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern
begangenen Verstößen nach Artikel 1 organisierte.
Artikel 3
Die in den Artikeln 1 und 2 genannten Unternehmen und Unternehmensverbände
stellen die in den Artikeln 1 und 2 genannten Verstöße, soweit noch nicht bereits
geschehen, ab. Zu diesem Zweck unterlassen sie es, die in Artikel 1 bzw. 2
genannten Handlungen oder Verhaltensweisen zu wiederholen oder fortzusetzen
und Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen.
Artikel 4
Wegen der in Artikel 1 genannten und nach dem 30. Juni 1988 (31. Dezember
1988(2) im Fall von Aristrain und Ensidesa) begangenen Verstöße werden folgende
Geldbußen festgesetzt:
...
Preussag AG
9 500 000 ECU
...
Artikel 5
Die gemäß Artikel 4 festgesetzten Geldbußen sind binnen drei Monaten, gerechnet
vom Tag der Bekanntgabe dieser Entscheidung an, auf folgende Bankkonten
einzuzahlen:
...
Nach Ablauf dieser Frist werden automatisch Zinsen zu dem Satz fällig, der vom
Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit in seinen Ecu-Transaktionen am ersten Arbeitstag des Monats des Erlasses dieser Entscheidung
angewandt wurde, zuzüglich 3,5 v. H., d. h. 9,75 %.
Geldbußen, die 20 000 ECU überschreiten, können jedoch in fünf gleich großen
Jahresraten bezahlt werden, wobei
die erste Rate binnen drei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung
zu zahlen ist;
die zweite, dritte, vierte und fünfte Rate jeweils ein Jahr, zwei, drei bzw.
vier Jahre nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu zahlen sind. Die
jeweilige Rate erhöht sich um den auf den gesamten noch ausstehenden
Betrag errechneten Zins, unter Anwendung des vom Europäischen Fonds
für währungspolitische Zusammenarbeit in seinen Ecu-Transaktionen im
Monat vor der Fälligkeit jeder Jahresrate angewandten Zinssatzes.
Voraussetzung für diese Erleichterung ist die Vorlage einer für die
Kommission annehmbaren Bankbürgschaft zur Deckung des verbleibenden
Hauptbetrags und der Zinsen zum im ersten Gedankenstrich genannten
Zeitpunkt.
Im Fall eines Zahlungsverzugs wird dieser Zinssatz um 3,5 Prozentpunkte
erhöht.
...
Artikel 6
Diese Entscheidung ist an folgende Unternehmen gerichtet:
...
Preussag Stahl AG
...“
- 48.
- Nach einem Hinweis auf Artikel 5 der Entscheidung heißt es im Schreiben vom 28.
Februar 1994:
„Falls Sie ein Gericht der Gemeinschaft anrufen, verfolgt die Kommission die
Einziehung der Forderung so lange nicht, wie die Sache vor diesem Gericht
anhängig ist, allerdings unter der doppelten Voraussetzung,
daß Sie sich damit einverstanden erklären, daß auf Ihre Schuld zwischen
dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit und dem Zeitpunkt der im Monat nach der
Verkündung des endgültigen Urteiles zu leistenden Zahlung Zinsen erhoben
werden, wobei der Zinssatz
bei einer von Ihnen gewählten einmaligen Zahlung 7,75 % beträgt,
bei einer von Ihnen gewählten Ratenzahlung 7,75 % für die erste
Rate und für die nachfolgenden Raten den in Artikel 5 vorgesehenen
Wert zuzüglich eineinhalb Punkten beträgt;
daß Sie der Kommission spätestens bei Ablauf der in Artikel 5, erster
Gedankenstrich, der Entscheidung genannten Frist eine für sie ausreichende
Garantie geben, die sich auf die Schuld als solche und die Zinsen
bezieht. ...“
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
- 49.
- Die vorliegende Klage wurde mit Klageschrift erhoben, die am 11. April 1994 bei
der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist.
- 50.
- Mit Schreiben an die Kanzlei vom 7. September 1994 hat Aristrain, die Klägerin
in der Rechtssache T-156/94, die Frage aufgeworfen, ob die Kommission im
vorliegenden Fall ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des
Gerichtshofes (im folgenden: Artikel 23) hinsichtlich der Übersendung der
Vorgänge erfüllt hat. Die zur Stellungnahme zu diesem Ersuchen aufgeforderte
Kommission hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1994 im wesentlichen geantwortet,
daß sie der Ansicht ist, den Anforderungen von Artikel 23 genügt zu haben.
- 51.
- Die Kanzlei des Gerichts hat die Kommission mit Schreiben vom 25. Oktober 1994
aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus Artikel 23 nachzukommen. Mit
Begleitschreiben vom 24. November 1994 hat die Kommission bei der Kanzlei
insgesamt etwa 11 000 die Entscheidung betreffende Schriftstücke eingereicht; in
diesem Schreiben hat die Kommission u. a. geltend gemacht, daß Schriftstücke, die
Geschäftsgeheimnisse enthielten, sowie ihre eigenen internen Unterlagen den
betroffenen Unternehmen nicht zugänglich gemacht werden sollten.
- 52.
- Im Anschluß an eine informelle Zusammenkunft mit den Parteien am 14. März
1995 hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) die Parteien mit Schreiben der
Kanzlei vom 30. März 1995 ersucht, schriftlich zu den aufgeworfenen Fragen der
Vertraulichkeit sowie zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen Stellung zu
nehmen. In Anbetracht der Unvollständigkeit der Antworten der Parteien hat das
Gericht mit Schreiben der Kanzlei vom 21. Juli 1995 (25. Juli im Fall von British
Steel) einen zweiten Fragenkatalog an sie gerichtet. Ferner hat es die Beklagte
aufgefordert, zu einem neuen Antrag von British Steel vom 14. Juli 1995 Stellung
zu nehmen.
- 53.
- In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts, die zwischen dem 6. und dem 15.
September 1995 eingegangen sind, haben die Klägerinnen u. a. ihre Anträge auf
Einsicht in die internen Unterlagen der Kommission anhand einer Liste dieser
Unterlagen konkretisiert, die einem Schreiben der Kommission an das Gericht vom
25. Juni 1995 beigefügt war.
- 54.
- Durch Beschluß vom 19. Juni 1996 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1996, II-537; im folgenden:
Beschluß vom 19. Juni 1996) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer, der der
Berichterstatter inzwischen zugeteilt worden war) über das Recht der Klägerinnen
auf Einsicht in die von der Beklagten übersandten Aktenstücke entschieden, die
zum einen von den Klägerinnen selbst und zum anderen von nicht an den
vorliegenden Verfahren beteiligten Dritten stammen und in deren Interesse von der
Kommission als vertraulich eingestuft wurden. Das Gericht hat sich dagegen die
Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der
Beklagten als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in diesen Akten sowie
über ihre Anträge auf Beibringung von in diesen Akten nicht enthaltenen
Unterlagen vorbehalten und die Beklagte zugleich aufgefordert, ausführlich und
konkret anzugeben, aus welchen Gründen bestimmte, von ihr als „intern“
eingestufte Schriftstücke in diesen Akten ihrer Ansicht nach den Klägerinnen nicht
übermittelt werden können.
- 55.
- Die Beklagte ist dieser Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 11., 12. und
13. September 1996 nachgekommen. In den gleichen Schreiben hat sie
vorgeschlagen, alle Rechtssachen gemäß Artikel 14 der Verfahrensordnung des
Gerichts an das Plenum des Gerichts zu verweisen. Die um Stellungnahme zu
diesem Antrag ersuchten Klägerinnen haben dem Gericht zwischen dem 4. und
dem 18. Oktober 1996 schriftlich geantwortet. Die Klägerinnen in den
Rechtssachen T-134/94, T-137/94, T-138/94, T-148/94, T-151/94 und T-157/94 haben
sich gegen eine solche Verweisung ausgesprochen.
- 56.
- Durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94,
T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und
T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2293; im folgenden:
Beschluß vom 10. Dezember 1997) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer)
über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als
„intern“ eingestuften Unterlagen entschieden und angeordnet, daß bestimmte dem
Gericht gemäß Artikel 23 übersandte Unterlagen über die Kontakte zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in dem in der Entscheidung bei der Festlegung der
Höhe der Geldbußen herangezogenen Zeitraum der Zuwiderhandlung sowie
bestimmte Unterlagen der Generaldirektion Auswärtige Beziehungen (GD I) über
Kontakte zwischen der Kommission und einigen nationalen skandinavischen
Behörden zu den Akten der Rechtssache genommen werden. Ferner hat das
Gericht die Erhebung einiger Beweise angeordnet und der Kommission aufgegeben,
ihre eigenen Protokolle oder Vermerke über Treffen der GD III mit Vertretern der
Stahlindustrie zwischen Juli 1988 und November 1990 vorzulegen. Schließlich hat
das Gericht die Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer Beweiserhebung
und mündlicher Verhandlung angeordnet, ohne sie an das Plenum zu verweisen.
- 57.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen und den Parteien gemäß Artikel 64 der
Verfahrensordnung einige schriftliche Fragen zu stellen. Mit Schreiben der Kanzlei
vom 26. November 1997 hat es u. a. die Beklagte gebeten, das endgültige Protokoll
der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 (Vormittag und Nachmittag)
vorzulegen, soweit es den Erlaß der angefochtenen Entscheidung betrifft. Im
gleichen Schreiben hat das Gericht die Kommission ferner gebeten, für jede
Klägerin und für die Unternehmen Norsk Jernverk et Inexa Profil AB anzugeben,
welchen Umsatz sie bei der Festsetzung der Geldbuße jedes Unternehmens
herangezogen hat;
welche unterschiedlichen Prozentsätze sie auf die Umsätze angewandt hat,
um die Geldbuße jedes betroffenen Unternehmens zu berechnen;
welche Argumente oder Erwägungen sie im einzelnen bei jedem
Unternehmen hinsichtlich der verschiedenen erschwerenden oder
mildernden Umstände berücksichtigt hat, um zum Endbetrag der Geldbuße
zu gelangen.
- 58.
- Die Beklagte hat auf diese Fragen des Gerichts mit Schreiben vom 21. Januar 1998
geantwortet, das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist. Mit diesem
Schreiben hat sie dem Gericht zwei Schriftstücke übermittelt, die mit „Projet de
procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel)
le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Protokolls der
1189. Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar
1994 [Vormittag und Nachmittag]) und „Projet de procès-verbal spécial de la
1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16
février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Sonderprotokolls der 1189.
Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar 1994
[Vormittag und Nachmittag]) überschrieben sind, und vorgetragen, diese beiden
Schriftstücke fielen unter das Beratungsgeheimnis und dürften den Klägerinnen
nicht zugänglich gemacht werden.
- 59.
- Am 14. Januar 1998 hat das Gericht eine informelle Sitzung mit den Parteien
durchgeführt, um den reibungslosen Ablauf der mündlichen Verhandlung zu
planen. Es hat den Parteien u. a. mitgeteilt, daß sie in dem in den Beschlüssen vom
19. Juni 1996 und vom 10. Dezember 1997 genannten Umfang und in der von der
Kanzlei festzulegenden Weise Anspruch auf Einsicht in die ihm gemäß Artikel 23
übermittelten Akten haben. Es hat die Parteien überdies gebeten, ihm nach der
Einsichtnahme in die Akten mitzuteilen, auf welche zusätzlichen Unterlagen sie im
einzelnen in der mündlichen Verhandlung eingehen möchten.
- 60.
- Die Klägerin sowie die Klägerinnen ARBED, Aristrain, Cockerill-Sambre, British
Steel, Ensidesa und Unimétal haben die genannten Akten des Gerichts eingesehen
und eine Kopie der Unterlagen erhalten, die sie für ihre Verteidigung zu benötigen
glaubten. Mit Schreiben vom 9. Februar 1998 hat Ensidesa zu einigen der
fraglichen Unterlagen Stellung genommen.
- 61.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 30. Januar 1998 hat das Gericht der Kommissionund Eurofer einige zusätzliche Fragen zu dem von Eurofer eingeführten und in der
Entscheidung unter dem Namen „Fast Bookings“ beschriebenen System des
monatlichen Informationsaustauschs über Bestellungen und Lieferungen gestellt.
Sie haben darauf mit Schreiben vom 17. und vom 23. Februar 1998 geantwortet.
- 62.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 6. Februar 1998 hat das Gericht der Beklagten
außerdem einige ergänzende Fragen zu der im vorliegenden Fall angewandten
Berechnungsmethode der Geldbußen gestellt, auf die sie mit Schreiben vom 23.
Februar 1998 geantwortet hat, das am 24. Februar 1998 bei der Kanzlei
eingegangen ist.
- 63.
- Durch Beschluß vom 16. Februar 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte
Kammer) angeordnet, nur das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangene,
mit „Projet de procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à
Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“
überschriebene Schriftstück zu den Akten der Rechtssache zu nehmen und den
Klägerinnen zuzuleiten.
- 64.
- Mit Schreiben vom 13. und vom 19. Februar 1998 haben die Klägerinnen
gemeinsame Anträge gestellt, mit denen sie die Erhebung von Beweisen,
insbesondere zur Berechnung der Geldbußen, und die Vorlage von Unterlagen
über den Erlaß der Entscheidung begehren. Die Kommission hat darauf mit
Schreiben vom 2. März 1998 geantwortet.
- 65.
- Mit Schreiben der Kanzlei vom 11. März 1998 hat das Gericht die Beklagte
gebeten, ihre Antworten vom 21. Januar 1998 und vom 23. Februar 1998 auf die
Fragen des Gerichts dadurch zu vervollständigen, daß sie für jede Klägerin die
genauen arithmetischen Berechnungen angibt, anhand deren konkret nachvollzogen
werden kann, wie die Bußgeldbeträge ermittelt wurden, und das endgültige
Protokoll der Sitzung der Kommission (Vormittag und Nachmittag), in der die
angefochtene Entscheidung erlassen wurde, sowie dessen Anlagen, soweit sie diese
Entscheidung betreffen, vorzulegen. Die Beklagte hat darauf mit Schreiben vom 19.
März 1998 geantwortet und bei der Kanzlei das endgültige Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 sowie dessen Anlagen eingereicht.
- 66.
- Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Ortún und
Herrn Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Kutscher, einen
ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den Kontakten zwischen der
GD III und der Stahlindustrie in der Zeit vom 1. Juli 1988 bis Ende 1990 zu
vernehmen, die bei der Bußgeldbemessung als Zeitraum der Zuwiderhandlung
zugrunde gelegt wurde.
- 67.
- In der Sitzung, die vom 23. bis zum 27. März 1998 stattfand, haben die Parteien
mündlich verhandelt und Fragen der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts,
bestehend aus dem Präsidenten A. Kalogeropoulos sowie den Richtern C. P. Briët,
C. W. Bellamy, A. Potocki und J. Pirrung, beantwortet. Die Klägerinnen haben zu
einigen Punkten gemeinsame mündliche Ausführungen gemacht. Das Gericht hat
Professor Steindorff, den ehemaligen Generalsekretär der deutschen Delegation bei
den Verhandlungen vor der Unterzeichnung des EGKS-Vertrags, als
Sachverständigen gehört. Das Gericht hat ferner Herrn Ortún, Herrn
Vanderseypen und Herrn Kutscher sowie auf Antrag der Klägerin zwei ihrer
Mitarbeiter, Herrn Mette und Herrn Kröll, als Zeugen vernommen. Dem Gericht
wurde außerdem eine von Aristrain vorgelegte Videoaufzeichnung der
Pressekonferenz von Herrn Van Miert am 16. Februar 1994 vorgeführt.
- 68.
- In der Sitzung wurde, entweder auf Ersuchen des Gerichts oder mit seiner
Zustimmung, eine Reihe neuer Unterlagen eingereicht. Das Gericht hat die
Kommission ferner gebeten, einige Unterlagen über ihre Beziehungen zu den
nationalen skandinavischen Behörden in den Jahren 1989 und 1990 vorzulegen.
Diese Unterlagen sind der Kanzlei mit einem Begleitschreiben der Kommission
vom 12. Mai 1998 zugegangen.
- 69.
- Die mündliche Verhandlung wurde am Ende der Sitzung vom 27. März 1998
geschlossen. Da zwei Mitglieder der Kammer nach dem Ablauf ihrer Amtszeit am
17. September 1998 nicht mehr an den Beratungen teilnehmen konnten, wurden
die Beratungen des Gerichts gemäß Artikel 32 der Verfahrensordnung von den drei
Richtern fortgesetzt, deren Unterschrift das vorliegende Urteil trägt.
- 70.
- Die Klägerin beantragt,
1. die Entscheidung, durch die
festgestellt wurde, daß die Klägerin gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßen hat (Artikel 1),
der Klägerin aufgegeben wurde, die in Artikel 1 der Entscheidung
genannten Handlungen oder Verhaltensweisen sowie Maßnahmen
gleicher Wirkung zu unterlassen (Artikel 3),
wegen der in Artikel 1 der Entscheidung genannten und nach dem 30.
Juni 1988 begangenen Verstöße eine Geldbuße in Höhe von
9 500 000 ECU festgesetzt wurde (Artikel 4),
aufzuheben oder für nichtig zu erklären,
hilfsweise
2. die festgesetzte Geldbuße aufzuheben oder herabzusetzen,
den in Artikel 5 der Entscheidung für Stundungen festgesetzten Zinssatz
auch für anwendbar zu erklären auf Stundungen durch Aussetzung der
Einziehung wegen Anrufung des Gerichts,
in jedem Fall
3. zum Beweis für die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin folgende
Zeugen zu vernehmen:
Herrn Dr. Jürgen Kolb für die Vorgänge im CDE,
Herrn Jörg Kröll und Herrn Hans Mette für die Vorgänge in der Träger-Kommission,
Herrn Hans Mette für die Vorgänge in den Eurofer/Scandinavia-Sitzungen
und für die Gespräche mit ausländischen Herstellern,
die Herren Kutscher, Ortún, Drees, Evans und Vanderseypen für die
Kenntnis der Kommission über den Informationsaustausch und das
Marktverhalten der Unternehmen sowie für die Zusammenarbeit zwischen
Kommission, Verbänden und Unternehmen, insbesondere bei den Treffen
zwischen der Kommission und der Stahlindustrie,
4. die Kommission zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
- 71.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
A Zur Verletzung von Verfahrensrechten der Klägerin
- 72.
- Die Klägerin trägt erstens vor, die Kommission habe die Beweislast verkannt, als
sie die Ansicht vertreten habe, daß die Behauptung der Parteien, ihr seien die
fraglichen wettbewerbsbeschränkenden Praktiken bekannt gewesen, durch keinen
konkreten Beweis erhärtet werde (Randnr. 312 der Entscheidung). Nach den
geltenden Beweisregeln und angesichts des eindeutigen Inhalts der von der Klägerin
vorgelegten Dokumente (der Protokolle der Treffen zwischen der Kommission und
Vertretern der Stahlindustrie und der Speaking Notes) hätte die Kommission nach
Befragung der zuständigen Beamten der GD III auf diese Behauptung im einzelnen
antworten müssen. Sie könne der Klägerin nicht die volle Beweislast für Vorgänge
auferlegen, die sich in ihrer eigenen Sphäre abgespielt hätten.
- 73.
- Zweitens habe die Kommission dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt, daß sie ihr trotz ihres dahin gehenden Antrags keine Gelegenheit gegeben
habe, sich zu den Ergebnissen der Ermittlungen, mit denen die Kommission geprüft
habe, ob sie damals von den in der Entscheidung beanstandeten Praktiken gewußt
habe, und den Ergebnissen der Prüfung der Schriftstücke zu äußern, die die
Klägerin hierzu nach der Anhörung vorgelegt habe (vgl. zu beiden Aspekten
Randnr. 312 der Entscheidung). Die Nichtübermittlung dieser Ergebnisse verstoße
gegen Artikel 36 Absatz 1 des Vertrages, der sich u. a. auf die den Betroffenen
entlastenden Anhaltspunkte beziehe.
- 74.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich diese Rügen formal von der Frage
unterscheiden, ob die Beklagte zu der Annahme berechtigt war, daß die von den
Klägerinnen nach der Anhörung vorgelegten Unterlagen ihre Behauptungen nicht
bestätigten. Auf diese Frage wird später eingegangen (siehe unten, Abschnitt D, der
die Mitwirkung der Kommission an den der Klägerin zur Last gelegten
Zuwiderhandlungen betrifft).
- 75.
- Mit einer ersten Rüge wirft die Klägerin der Kommission im wesentlichen vor, sich
auf die Prüfung der von den Unternehmen vorgelegten Unterlagen beschränkt und
selbst keine hinreichend ernsthafte interne Untersuchung durchgeführt zu haben.
- 76.
- Insoweit ist festzustellen, daß die Kommission mit Behauptungen konfrontiert
wurde, die wie sie im übrigen in Randnummer 312 der Entscheidung eingeräumt
hat für die Verteidigung der betroffenen Unternehmen von erheblicher
Bedeutung waren, und daß sie, da es um das Verhalten ihrer eigenen Dienststellen
ging, besser als die genannten Unternehmen klären konnte, ob die Behauptungen
zutrafen.
- 77.
- Unter diesen Umständen folgt aus den Grundsätzen der ordnungsgemäßen
Verwaltung und der Waffengleichheit, daß die Kommission verpflichtet war, diesen
Aspekt des Falles ernsthaft zu prüfen, um zu ermitteln, inwieweit die fraglichen
Behauptungen begründet waren. Es war jedoch Sache der Kommission und nicht
der Klägerinnen, über die Vorgehensweise bei diesen Ermittlungen zu entscheiden.
- 78.
- Wie den Akten zu entnehmen ist, wandte sich Herr Temple Lang, der Leiter der
Direktion D „Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige
Wettbewerbsverzerrungen III“ der GD IV, in der Note Nr. 002793 vom 22. Juli
1991, also vor der Übersendung der Beschwerdepunkte, mit folgenden Worten an
Herrn Ortún, den Leiter der Direktion E „Binnenmarkt und gewerbliche
Wirtschaft III“ der GD III:
„Wir möchten ... klären, in welchem Maß zwischen der GD III und dem CDE
Eurofer bei den Treffen zur Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme Stahl
Informationen ausgetauscht wurden. Könnten Sie uns folgendes beschreiben:
die Methode zur Berechnung der Gemeinschaftszahlen für Rohstahl und die
Produktgruppen, wenn sie veröffentlicht wurden;
die statistischen Angaben, die die GD III bei den Treffen mit der
Delegation des CDE erhielt, sowie den Grad ihrer Zusammenfassung und
ihre Häufigkeit.
Haben Sie bei Ihren Treffen von einer .Traverso-Methode' gehört, die zur
Anpassung der Nachfrage und der Lieferungen auf den nationalen Märkten bei den
verschiedenen Produktgruppen zu dienen scheint?“
- 79.
- In seiner Antwortnote Nr. 10018 vom 12. September 1991 (Anlage 1 der
Klagebeantwortung) teilte Herr Ortún Herrn Temple Lang u. a. folgendes mit:
„2. Was die von Eurofer erhaltenen Informationen anbelangt, so bekamen wir
neben den Ihnen bekannten Schnellstatistiken von Eurofer über
Bestellungen und Lieferungen die Prognosen in der beigefügten Form ... Die
Angaben waren stets gemeinschaftsweit zusammengefaßt.
Ich weise ferner darauf hin, daß die GD III (als das System
produktbezogener Prognosen anlief) darauf geachtet hatte, nur Prognosen
der Produktion (und nicht der Lieferungen) zu veröffentlichen, sie zu
runden und ihre Definition zu ändern ..., um ... sich von den von Eurofer
gewählten Definitionen abzugrenzen.
3. Die Treffen mit dem CDE fanden im Rahmen der Sitzungen der für die
Überwachung zuständigen Sachverständigengruppe in der Regel alle drei
Monate statt, um die Marktsituation zu erörtern. Diese Treffen waren in
letzter Zeit mehr gelegentlicher Art. Das letzte Treffen, bei dem uns wie
üblich die beigefügte [Speaking] Note übergeben wurde, war am 19. Juli
1991. Wir halten diese Treffen für nützlich, um eine regelmäßige
Marktbeobachtung sicherzustellen. ...
4. Was eine sogenannte .Traverso-Methode' anbelangt, so muß ich gestehen,
daß keiner meiner derzeitigen Mitarbeiter [davon] gehört hat.“
- 80.
- Die dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten
enthalten ferner eine Note von Herrn Ehlermann, dem Generaldirektor der
GD IV, an Herrn Perissich, den Generaldirektor der GD III, vom 27. Januar 1993
(S. 9729 der Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des
Beschlusses vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht), die wie folgt lautet:
„In der im Betreff genannten Sache haben meine Dienststellen die Ihren
insbesondere bei der Vorbereitung der Mitteilung der Beschwerdepunkte und im
Zusammenhang mit den schriftlichen Antworten einiger Unternehmen, in denen
auf das Vorgehen der GD III Bezug genommen wird, konsultiert.
Die Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar 1993 stattfand und an der Vertreter
Ihrer Dienststellen teilnahmen, hat ergeben, daß die Parteien bei ihrer
Verteidigung die größte Bedeutung dem Argument beimessen, daß die
Kommission, im konkreten Fall die GD III, über die beanstandeten Praktiken
insbesondere durch die von der Industrie verfaßten .Speaking Notes' informiert
gewesen sei.
Der Anhörungsbeauftragte hat es abgelehnt, den Parteien und ihren Vertretern die
von ihnen beantragte Einsicht in die Akten der GD III zu gewähren, aber er hat
ihnen vorgeschlagen, der GD IV innerhalb von zwei Wochen nach dem Ende derAnhörung die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen zu übermitteln, die sie ihres
Erachtens entlasten könnten.
In bezug auf diesen speziellen Punkt wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie
nochmals prüfen könnten, ob derartige Unterlagen (sei es Schriftverkehr zwischen
den Unternehmen und der Kommission oder seien es Unterlagen der
Unternehmen, die Dienststellen der Kommission zur Verfügung gestellt wurden)
in Ihren Archiven vorhanden sind, und mir gegebenenfalls Kopien davon mit Ihrer
Stellungnahme zu übermitteln.“
- 81.
- Herr Perissich antwortete Herrn Ehlermann mit Note Nr. 001836 vom 12. Februar
1993 (Anlage 4 der Klagebeantwortung). Er fügte seiner Note die oben erwähnte
Note von Herrn Ortún vom 12. September 1991 samt Anlagen bei und führte aus:
„Wie Sie den Anlagen entnehmen können, konnte der ganz allgemeine Charakter
der Informationen in diesen .Speaking Notes' bei meinen Dienststellen keinesfalls
den Verdacht wecken, daß diese das Ergebnis etwaiger gegen den EGKS-Vertrag
verstoßender Praktiken sein könnten.
Diese Treffen mit Eurofer dienten immer nur zu der in Artikel 46.1 des Vertrages
vorgesehenen fortlaufenden Untersuchung der Marktentwicklung.
Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen die Speaking Notes für andere Quartale
zukommen lassen. Weitere Unterlagen, die unseres Erachtens mit diesem Fall in
Verbindung gebracht werden können, gibt es in den Archiven der GD III nicht.“
- 82.
- Ferner übersandte Herr Temple Lang Herrn Ortún mit Note vom 18. Februar 1993
(S. 9763 der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten
Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des
Gerichts vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) die Unterlagen (Speaking
Notes), die der GD IV von der Klägerin und Unimétal nach der Anhörung
übergeben worden waren, und ersuchte ihn, sie zu prüfen und ihm mitzuteilen,
„welche Bedeutung den darin enthaltenen Informationen im Zusammenhang mit
den den Trägerherstellern zur Last gelegten Praktiken zukommt“. Desgleichen
übersandte Herr Temple Lang Herrn Ortún mit Note vom 22. Februar 1993
(S. 9764 der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten
Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des
Gerichts vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) die von den Klägerinnen
Cockerill-Sambre, TradeARBED und British Steel übersandten Unterlagen mit der
Bitte um Stellungnahme.
- 83.
- Herr Ortún übermittelte Herrn Temple Lang mit Note vom 5. Mai 1993 (S. 9769
der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten;
dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des Gerichts vom
10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) seine Stellungnahme und bekräftigte im
wesentlichen die früheren Ausführungen der GD III.
- 84.
- Die Akten der Kommission (siehe Anlage 4 der Klagebeantwortung) enthalten
überdies eine vertrauliche Note von Herrn Ortún an Herrn Schaub (GD IV) vom
19. Februar 1993, die als „Argumentationshilfe für Anschuldigungen“ zur
„Entgegnung auf die Behauptungen der Hersteller über die Kenntnis und sogar die
Verwicklung der GD III in die von der Kommission (GD IV) gerügten Praktiken“
bezeichnet wird.
- 85.
- Zur angeblichen Beteiligung der GD III am Informationsaustausch über Mengen
und am Monitoring heißt es in der genannten Note:
„Treffen mit den Wirtschaftsexperten von Eurofer, zu denen auch nicht zu Eurofer
gehörende Unabhängige hinzugezogen wurden, fanden im Rahmen der
Entscheidung Nr. 2448/88 über die Marktüberwachung statt, die ab dem Ende des
Quotensystems bis Ende Juni 1990 in Kraft war.
Die zusammengefaßten Ergebnisse der Produktion und des Absatzes der
Unternehmen wurden den Teilnehmern zur Stellungnahme und zum Vergleich mit
den im Rahmen des Vorausschätzungsprogramms Stahl (Programme Prévisionnel
Acier; PPA) vorgenommenen Schätzungen übergeben. Die Tendenzen im
Außenhandel bei den gleichen Erzeugnissen wurden ebenfalls analysiert, um die
Marktbeurteilung zu vervollständigen.
Diese Treffen erlaubten es auch, zum Zweck des PPA Informationen über die
künftigen Markttendenzen (insbesondere der Ausfuhren) bei den Erzeugnissen zu
sammeln, die Gegenstand der Überwachung waren. Bei diesen Treffen war nie von
Vorschlägen für eine etwaige produktbezogene Marktorganisation die Rede.
Die .Speaking Notes', deren sich der Vertreter des CDE (im allgemeinen Herr
Traverso) bei diesen Treffen bediente, wurden von Eurofer vorab in Abwesenheit
der Beamten der GD III erstellt. Daß die GD III diese .Speaking Notes' am Rand
der .Monitoring-Sitzungen' erhielt, bedeutete keinesfalls eine Billigung etwaiger
gegen den EGKS-Vertrag verstoßender Praktiken.
...
Erst am Ende des Monitoring traten die .Steel Lunches' aus praktischen Gründen
an die Stelle derartiger Treffen. Diese Treffen mit Eurofer dienten immer nur zu
der in Artikel 46.1 des Vertrages vorgesehenen fortlaufenden Untersuchung der
Marktentwicklung. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß unsere Dienststellen zu
diesem Zweck Kontakte zu allen betroffenen Kreisen (Verbänden unabhängiger
Hersteller, Händlern und Verbrauchern) unterhielten.“
- 86.
- Zur angeblichen Kenntnis der GD III von den verabredeten Praktiken im
Preisbereich heißt es in derselben Note:
„a) In bezug auf die Preise beschränkten sich die oben angesprochenen
Speaking Notes stets auf die Darstellung einer ganz allgemeinen
Entwicklung der Indizes (z. B. aller Flacherzeugnisse) in der Vergangenheit
und eine Schätzung der für das nächste Quartal erwarteten Entwicklung.
Auch hier konnte der ganz allgemeine Charakter der Informationen bei
unseren Dienststellen keinesfalls den Verdacht auf etwaige gegen den
EGKS-Vertrag verstoßende Praktiken wecken.
b) Aufpreisharmonisierung
Nach der Entscheidung Nr. 31/53/EGKS müssen die Unternehmen der
Kommission ihre Preislisten sowie alle Änderungen mitteilen ... Da die
Dienststellen der GD III im Besitz aller Preislisten waren und regelmäßig
deren Änderungen erhielten, konnten sie Parallelen bei der Struktur, den
Preisniveaus und gelegentlich den Zeitpunkten der Veröffentlichung der
Listenaufpreise beobachten. Da diese Praxis nicht gegen die Vorschriften
von Artikel 60 verstößt, wurde sie von unseren Dienststellen wie auch bei
den zahlreichen Kontrollen der GD IV gemäß Artikel 60 nie
beanstandet.“
- 87.
- Aus all diesen Unterlagen ergibt sich, daß die Kommission die von den
Unternehmen bei der Anhörung gemachten Ausführungen und vorgelegten
Unterlagen, die der GD III zur Stellungnahme und Erläuterung übermittelt wurden,
gebührend berücksichtigt hat. Darüber hinaus wurde die GD III von der GD IV
erstmals während der verwaltungsinternen Untersuchung und ein zweites Mal nach
der Anhörung offiziell aufgefordert, sich zu ihrer angeblichen „Verwicklung“ in die
fraglichen Praktiken zu äußern.
- 88.
- Es ist richtig, daß die mit der Bearbeitung der „Träger-Fälle“ betrauten Beamten
der GD IV offenbar keinen unmittelbaren Kontakt mit den Beamten der GD III
aufnahmen, die an den Treffen mit den Herstellern teilgenommen hatten, und daß
sie auch nicht verlangten, die auf Ersuchen des Gerichts vorgelegten Protokolle
dieser Treffen und die übrigen in den Archiven der GD III befindlichen internen
Vermerke prüfen zu können. Einer Dienststelle der Kommission kann jedoch kein
Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie den genauen und eingehenden
Erläuterungen, die auf ihr Verlangen von einer anderen Dienststelle die zu
kontrollieren im übrigen nicht ihre Aufgabe ist abgegeben wurden, Glauben
schenkt, ohne zu versuchen, sie auf andere Weise nachzuprüfen.
- 89.
- Die Klägerin hat folglich nicht nachgewiesen, daß im vorliegenden Fall keine
hinreichend ernsthafte interne Untersuchung durchgeführt wurde. Ihre erste Rüge
ist daher zurückzuweisen.
- 90.
- Ferner wirft die Klägerin der Kommission mit einer zweiten Rüge, nach der die
Kommission den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt
haben soll, daß sie ihr die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung nicht mitgeteilt
habe, im wesentlichen vor, die mündlichen Erörterungen nach dem Abschluß dieser
Untersuchung nicht wiedereröffnet zu haben. Hierzu ist festzustellen, daß der durch
Artikel 36 Absatz 1 des Vertrages gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör
nicht verlangt, daß die Kommission auf das gesamte Vorbringen des Betroffenen
antwortet, zusätzliche Ermittlungen durchführt oder von dem Betroffenen benannte
Zeugen anhört, wenn sie den Sachverhalt für hinreichend geklärt hält (Urteile des
Gerichtshofes vom 16. Mai 1984 in der Rechtssache 9/83, Eisen und Metall
Aktiengesellschaft/Kommission, Slg. 1984, 2071, Randnr. 32, und vom 12.
November 1985 in der Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1985, 3609,
Randnr. 7).
- 91.
- Im vorliegenden Fall waren die betroffenen Unternehmen in der Lage, auf die in
ihrem Besitz befindlichen angeblichen Entlastungsbeweise in ihrer Erwiderung auf
die Mitteilung der Beschwerdepunkte einzugehen. In der Anhörung am 11., 12., 13.
und 14. Januar 1993 hatten sie jedenfalls Gelegenheit, ihren Standpunkt eingehend
darzulegen, und die Kommission bot ihnen überdies eine zusätzliche Gelegenheit
zur schriftlichen Erläuterung ihrer Ansicht (vgl. Urteil Krupp/Kommission,
Randnr. 8).
- 92.
- Unter diesen Umständen war die Tatsache, daß die Klägerinnen nach der
Anhörung einige Unterlagen vorlegten und daß die Kommission im Anschluß an
diese Anhörung entschied, eine interne Untersuchung einzuleiten, für sich allein
nicht geeignet, die Kommission zur Wiedereröffnung der mündlichen Erörterungen
nach dem Abschluß dieser Untersuchung zu verpflichten.
- 93.
- Im übrigen hat die Beklagte dem Anspruch der betroffenen Unternehmen auf
rechtliches Gehör dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß sie die
Unternehmen über die Ergebnisse dieser Untersuchung durch ein Schreiben des
Anhörungsbeauftragten vom 22. April 1993 informiert hat, in dem ausgeführt wird,
daß die von ihnen im Anschluß an die Anhörung vorgelegten Unterlagen nicht den
Schluß zuließen, daß der Kommission ihre Praktiken bekannt gewesen seien, und
die Durchführung einer zweiten Anhörung nicht rechtfertigten.
- 94.
- Die Kommission war insbesondere nicht verpflichtet, den betroffenen Unternehmen
im Lauf des Verwaltungsverfahrens die internen Vermerke über ihre Untersuchung,
die später ihren Klagebeantwortungen in den einzelnen Rechtssachen beigefügt
wurden, zukommen zu lassen oder ihnen Gelegenheit zu geben, zu den Vermerken
während des Verwaltungsverfahrens Stellung zu nehmen, da diese ihrem Wesen
nach vertraulichen Unterlagen offensichtlich kein entlastendes Element enthielten.
- 95.
- In einem Fall wie dem vorliegenden ist davon auszugehen, daß die
Verfahrensrechte der betroffenen Unternehmen dadurch hinreichend gewährleistet
sind, daß sie die Möglichkeit haben, vor dem Gericht Klage zu erheben, dabei die
Richtigkeit des von der Kommission in Randnummer 312 der Entscheidung
gezogenen Schlusses in Frage zu stellen und das Gericht gegebenenfalls zu
ersuchen, die zur Klärung dieses Aspekts des Sachverhalts erforderlichen
Maßnahmen zu treffen (vgl. den Beschluß vom 10. Dezember 1997).
- 96.
- Außerdem hat die Beklagte durch die Angabe in Randnummer 312 der
Entscheidung, daß ihre eigenen gründlichen Ermittlungen „keine Fakten erbracht
[haben], die die Behauptungen der Parteien belegen könnten“, eine im Hinblick auf
Artikel 15 EGKS-Vertrag ausreichende Begründung für ihre Entscheidung gegeben,
die mündlichen Erörterungen nicht wiederzueröffnen.
- 97.
- Das von der Klägerin auf eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte gestützte
Vorbringen ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
B Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 98.
- In der mündlichen Verhandlung sind bei einer gemeinsamen Stellungnahme im
Namen aller Klägerinnen folgende Rügen vorgetragen worden, die die Verletzung
wesentlicher Formvorschriften während des Verfahrens zum Erlaß der
Entscheidung betreffen.
- 99.
- Die Klägerinnen weisen zunächst darauf hin, daß Herr Van Miert in der von ihm
am Mittag des 16. Februar 1994 veranstalteten Pressekonferenz fälschlich
behauptet habe, daß die Entscheidung bereits erlassen worden sei, und daß er
überdies in bezug auf einige Geldbußen falsche Zahlen genannt habe (vgl.
Anhang 1 der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94). Die Pressemitteilungen
der Kommission, die vor dem Erlaß der Entscheidung vorbereitet worden seien,
hätten ebenfalls Fehler enthalten, u. a. hinsichtlich der Identität der Unternehmen,
gegen die eine Geldbuße festgesetzt worden sei.
- 100.
- Unter diesen Umständen erheben die Klägerinnen unter Berufung auf das Urteil
des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P
(Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-Urteil) und die
Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89,
T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89,
T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89 (BASF u. a./Kommission,
Slg. 1995, II-729, Randnrn. 114 und 119; im folgenden: LDPE-Urteil) und vom 29.
Juni 1995 in der Rechtssache T-31/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1821,
Randnr. 50) vier Hauptvorwürfe.
- 101.
- Erstens sei das nach Artikel 5 der damals geltenden Geschäftsordnung der
Kommission vom 17. Februar 1993 (93/492/Euratom, EGKS, EWG, ABl. L 230,
S. 15; im folgenden: Geschäftsordnung von 1993) erforderliche Quorum von neun
anwesenden Mitgliedern der Kommission nicht erreicht worden. Auch wenn aus
Seite 2 des Protokolls der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994
hervorzugehen scheine, daß beim Erlaß der Entscheidung am Nachmittag (Punkt
XXV, S. 43) neun Mitglieder anwesend gewesen seien, ergebe sich aus der Liste
der Personen, die „in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission“ an der Sitzung
teilgenommen hätten, auf Seite 40 des Protokolls, daß bei diesem Teil der Sitzung
in Wirklichkeit nur sechs Kommissionsmitglieder anwesend gewesen seien. Wegen
der Nichterreichung des Quorums habe gemäß Artikel 6 der Geschäftsordnung von
1993 keine gültige Abstimmung über den Erlaß der Entscheidung stattfinden
können.
- 102.
- Zweitens sei die Entscheidung von der Kommission nicht in der den Klägerinnen
notifizierten Form erlassen worden. Es sei zumindest nicht möglich, den genauen
Inhalt der Entscheidung zu ermitteln, die die Kommission am 16. Februar 1994
habe erlassen wollen.
- 103.
- Nach dem Protokoll der Sitzung (S. 43) habe die Kommission „die in dem
Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen
Sprachen“ genehmigt, während die den Klägerinnen notifizierte Entscheidung das
Aktenzeichen K(94) 321 endg. trage. Überdies gebe es nach der dem Gericht
gemäß Artikel 23 im Anhang des Schreibens der Kommission vom 27. Juni 1995
übermittelten Liste interner Unterlagen eine weitere Fassung der Entscheidung, die
das Aktenzeichen K(94) 321/4 und das Datum des 25. Februar 1994 trage.
- 104.
- Außerdem bestünden gewisse Zweifel hinsichtlich der verschiedenen Fassungen der
Entscheidung, die im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom 11. März 1998
bei der Kanzlei eingereicht worden seien. Abgesehen davon, daß nur die spanische
und die italienische Fassung die Angabe „verbindliche Fassung“ auf ihrem
Deckblatt trügen, schienen die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 aus
mehreren gesondert ausgearbeiteten Schriftstücken zu bestehen, die
unterschiedliche Schrifttypen aufwiesen und nicht einheitlich durchnumeriert seien.
- 105.
- Nachdem sich die Kommission in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt hat,
die Vertraulichkeit der internen Unterlagen über den Erlaß der Entscheidung
aufzuheben, die sich in den Ordnern 57, 58 und 61 der dem Gericht gemäß Artikel
23 übermittelten Akten befinden, sehen die Rechtsanwälte der Klägerinnen ihre
Zweifel durch die Entdeckung einer Reihe von Unterschieden zwischen den
internen Unterlagen in diesen Ordnern und den Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 bestätigt, die in einer in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt sind. Außerdem bestünden erhebliche Unterschiede zwischen der
Unterlage im Aktenordner 61 der Kommission, bei der es sich um das von der
Kommission in ihrer Vormittagssitzung vom 16. Februar 1994 geprüfte Schriftstück
K(94) 321/1 handele, und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3. Diese
Unterschiede sind in einer zweiten in der mündlichen Verhandlung eingereichten
Liste aufgeführt. Schließlich seien an der italienischen Fassung des Schriftstücks
K(94) 321/2 nach dem Eingang eines Telefax des Übersetzungsdienstes der
Kommission am 16. Februar 1994 zwischen 17 Uhr 09 und 17 Uhr 14, also nach
dem Schluß der Sitzung um 16 Uhr 25, einige manuelle Änderungen vorgenommen
worden.
- 106.
- Drittens seien weder die Fassung K(94) 321 endg. noch die Fassungen K(94) 321/2
und K(94) 321/3 der Entscheidung gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung von
1993 festgestellt worden. Keine dieser Fassungen sei dem Protokoll im Sinne dieser
Bestimmung, die eine körperliche Verbindung verlange, beigefügt worden.
Außerdem würden im Protokoll die ihm beigefügten Unterlagen nicht erwähnt.
- 107.
- Von einer Feststellung des Protokolls gemäß den Artikeln 9 und 16 der
Geschäftsordnung von 1993 könne jedenfalls deshalb nicht ausgegangen werden,
weil auf dem Deckblatt die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs fehlten.
- 108.
- Viertens enthalte das Protokoll nicht das Datum, an dem es vom Präsidenten und
vom Generalsekretär der Kommission unterschrieben worden sei, so daß nicht
davon ausgegangen werden könne, daß es zum Zeitpunkt seiner Genehmigung
festgestellt worden sei.
- 109.
- Schließlich bitten die Klägerinnen das Gericht, Beweisbeschlüsse zu erlassen, die
es ihnen ermöglichen sollen, das in den Archiven der Kommission befindliche
Original des Protokolls einzusehen, und mit denen sich, z. B. anhand der
Terminkalender der Kommissionsmitglieder und anderer vergleichbarer Unterlagen,
klären lasse, welche Kommissionsmitglieder beim Erlaß der Entscheidung in der
Nachmittagssitzung des 16. Februar 1994 tatsächlich anwesend gewesen seien.
Würdigung durch das Gericht
Zulässigkeit
- 110.
- Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift nicht geltend gemacht, daß beim Erlaß der
Entscheidung Verfahrensfehler begangen worden seien. Das Protokoll der Sitzung
der Kommission vom 16. Februar 1994 und seine Anlagen sind jedoch erst während
des Verfahrens im Anschluß an Beweiserhebungen und prozeßleitende
Maßnahmen des Gerichts zutage getreten. Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung
schließt neue Angriffsmittel nicht aus, sofern sie auf solche Gründe gestützt werden.
Folglich ist der vorliegende Klagegrund zulässig.
Die Nichterreichung des Quorums
- 111.
- Der durch Artikel H Nr. 2 des Vertrages über die Europäische Union eingefügte
Artikel 13 Absatz 1 EGKS-Vertrag sieht vor, daß die Beschlüsse der Kommission
mit der Mehrheit der Anzahl ihrer damals 17 Mitglieder gefaßt werden. Gemäß
Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages kann die Kommission nur dann wirksam tagen,
wenn die in ihrer Geschäftsordnung festgesetzte Anzahl von Mitgliedern anwesend
ist.
- 112.
- Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993 lautet: „Die Kommission ist
beschlußfähig, wenn die Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der
Mitglieder anwesend ist.“ Folglich lag das Quorum für die Beschlußfähigkeit der
Kommission in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1994 bei neun anwesenden
Mitgliedern.
- 113.
- In Artikel 6 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Kommission beschließt auf
Vorschlag eines oder mehrerer ihrer Mitglieder. Die Kommission nimmt auf Antrag
eines ihrer Mitglieder eine Abstimmung vor. Dabei wird über den ursprünglichen
Vorschlag oder über einen von dem oder den zuständigen Mitglied(ern) oder dem
Präsidenten geänderten Vorschlag abgestimmt. Die Beschlüsse der Kommission
werden mit der Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder
gefaßt.“ Auch daraus folgt, daß die Beschlüsse der Kommission damals der
Zustimmung von neun ihrer Mitglieder bedurften.
- 114.
- Aus dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel am 16. Februar
1994 (im folgenden: Protokoll), das dem Gericht auf seine Ersuchen vom 27.
November 1997 und vom 11. März 1998 übersandt wurde, geht hervor, daß diese
Sitzung in zwei Teilen am Vormittag und am Nachmittag stattfand. Punkt XVII des
Protokolls, der am Vormittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XVII. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(K[94] 321; SEK[94] 267)
Herr RENAUDIERE, Mitglied des Kabinetts von Herrn VAN MIERT,
nimmt an den Beratungen über diesen Punkt teil.
Herr VAN MIERT erläutert der Kommission die verschiedenen
Gesichtspunkte des ihm vorliegenden Falles. Er weist auf die besondere
Schwere der festgestellten Zuwiderhandlungen hin. Er unterbreitet der
Kommission Vorschläge für die gegen die fraglichen Unternehmen
festzusetzenden Geldbußen.
Die Kommission stimmt der von Herrn VAN MIERT vorgeschlagenen
Entscheidung im wesentlichen zu und erörtert ausführlich die Höhe der
Geldbußen. Es wird vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt der
vorliegenden Sitzung über den von Herrn VAN MIERT vorzulegenden
Entwurf der endgültigen Entscheidung zu befinden.
Die übrigen Beratungen der Kommission über diesen Punkt sind
Gegenstand eines Sonderprotokolls.“
- 115.
- Punkt XXV des Protokolls, der am Nachmittag erörtert wurde, lautet wie folgt:
„XXV. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG
(FORTSETZUNG VON PUNKT XVII) (K[94] 321/2 und 3; SEK[94] 267)
Die Kommission führt ihre am Vormittag begonnenen Beratungen fort. Sie
setzt gegen die fraglichen Unternehmen folgende Geldbußen fest:
ARBED SA:
11 200 000 ECU
British Steel plc:
32 000 000 ECU
Unimétal SA:
12 300 000 ECU
Saarstahl AG:
4 600 000 ECU
Ferdofin SpA:
9 500 000 ECU
Thyssen Stahl AG:
6 500 000 ECU
Preussag AG:
9 500 000 ECU
Empresa Nacional Siderúrgica SA:
4 000 000 ECU
Siderúrgica Aristrain Madrid SL:
10 600 000 ECU
SA Cockerill Sambre:
4 000 000 ECU
Krupp-Hoesch Stahl AG:
13 000 ECU
NMH Stahlwerke GmbH:
150 000 ECU
Norsk Jernverk AS:
750 ECU
Inexa Profil AB:
600 ECU
Die Kommission beschließt ferner, daß Geldbußen, die 20 000 ECU
überschreiten, in Raten bezahlt werden können. Sie genehmigt infolgedessen
die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung
in den verbindlichen Sprachen.
*
* *
Die Sitzung wird um 16 Uhr 25 geschlossen.“
- 116.
- Aus Punkt XVII in Verbindung mit Punkt XXV des Protokolls ergibt sich, daß die
Entscheidung nicht während der Beratung von Punkt XVII am Vormittag endgültig
erlassen wurde, sondern während der Beratung von Punkt XXV am Nachmittag.
- 117.
- Aus der Liste der Anwesenden auf Seite 2 des Protokolls geht ferner hervor, daß
bei der Beratung von Punkt XXV durch die Kommission neun Mitglieder der
Kommission anwesend waren, und zwar Herr Delors, Sir Leon Brittan, Herr Van
Miert, Herr Ruberti, Herr Millan, Herr Van den Broek, Herr Flynn, Herr Steichen
und Herr Paleokrassas. Das nach Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993
erforderliche Quorum war somit erreicht. Die Entscheidung konnte auch nach
Artikel 6 der Geschäftsordnung mit Zustimmung der neun anwesenden Mitglieder
gefaßt werden.
- 118.
- Das Vorbringen der Klägerinnen beruht indessen auf einer Anwesenheitsliste auf
Seite 40 des Protokolls, in der es heißt, daß Herr Budd und Herr Santopinto, die
Kabinettschefs von Sir Leon Brittan und Herrn Ruberti, sowie Frau Evans, ein
Mitglied des Kabinetts von Herrn Flynn, „in Abwesenheit der Mitglieder der
Kommission“ an der Sitzung teilgenommen hätten. Die Klägerinnen folgern daraus,
daß Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn entgegen den Angaben auf
Seite 2 des Protokolls bei dem unter Punkt XXV behandelten Erlaß der
Entscheidung nicht anwesend gewesen seien.
- 119.
- Dem kann nicht gefolgt werden. Wie schon aus dem Wortlaut der Liste auf Seite 2
des Protokolls hervorgeht, dient sie einer genauen Aufstellung der An- oder
Abwesenheit der Mitglieder der Kommission bei der betreffenden Sitzung. Diese
Aufstellung betrifft sowohl die Vormittags- als auch die Nachmittagssitzung und ist
somit der Beweis für die Anwesenheit der fraglichen Kommissionsmitglieder bei
diesen beiden Sitzungsteilen, sofern nicht ausdrücklich angegeben ist, daß ein
Mitglied bei der Erörterung eines bestimmten Punktes abwesend war. Die Liste auf
Seite 40 des Protokolls betrifft dagegen nicht die Anwesenheit der
Kommissionsmitglieder, sondern nur die etwaiger anderer Personen wie z. B. der
Kabinettschefs. Unter diesen Umständen können die indirekten Schlüsse, die die
Klägerinnen aus der genannten Liste ziehen zu können glauben, nicht höher
bewertet werden als die ausdrücklichen Angaben zur An- oder Abwesenheit der
Kommissionsmitglieder auf Seite 2 des Protokolls.
- 120.
- Das Gericht ist jedenfalls der Ansicht, daß die Angabe „An der Sitzung nehmen
in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ auf Seite 40 des Protokolls als
Synonym für „An der Sitzung nehmen teil, falls ein Mitglied bei einem bestimmten
Punkt abwesend ist,“ verstanden werden muß.
- 121.
- Diese Angabe ist nämlich im Zusammenhang mit Artikel 8 der Geschäftsordnung
von 1993 zu sehen, in dem es u. a. heißt: „Ist ein Mitglied der Kommission
abwesend, so kann sein Kabinettschef an der Sitzung teilnehmen und auf
Aufforderung des Präsidenten die Meinung des abwesenden Mitglieds vortragen.“ Die Liste auf Seite 40 des Protokolls soll daher die Liste auf Seite 2 nicht
ersetzen, sondern die Personen angeben, die gemäß Artikel 8 zur Teilnahme an der
Sitzung berechtigt sind und dort gegebenenfalls die Meinung des abwesenden
Mitglieds vortragen können.
- 122.
- Die Tatsache, daß ein Kabinettschef in Abwesenheit des von ihm vertretenen
Kommissionsmitglieds dessen Meinung zu einem bestimmten Punkt vortragen kann,
schließt es jedoch nicht aus, daß das betreffende Kommissionsmitglied bei der
Erörterung eines anderen Punktes in die Sitzung zurückkehrt, ohne daß sein
Kabinettschef den Sitzungssaal nach seiner Rückkehr verläßt. Die Angabe auf Seite
40 des Protokolls, daß Herr Budd, Herr Santopinto und Frau Evans der
Nachmittagssitzung beigewohnt hätten, kann deshalb allein damit zu erklären sein,
daß gemäß Seite 2 des Protokolls Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn
bei der Erörterung einiger Punkte der Tagesordnung für den Nachmittag abwesend
waren, und zwar bei den Punkten XXIII.B, XXIII.C und teilweise XXIV (Sir Leon
Brittan) sowie den Punkten XXIII.B und teilweise XXIII.C (Herr Ruberti und Herr
Flynn). Daraus folgt daher nicht, daß diese drei Kommissionsmitglieder bei der
Beratung über Punkt XXV entgegen den ausdrücklichen Angaben auf Seite 2 des
Protokolls abwesend waren.
- 123.
- Diese Auslegung wird durch Seite 7 des Protokolls bestätigt, auf der sich für den
Vormittag entsprechend der Liste auf Seite 40 für den Nachmittag eine Liste
der Personen befindet, die „in Abwesenheit“ der Mitglieder der Kommission an der
Sitzung teilnahmen. Wenn die Auslegung der Formulierung „An der Sitzung
nehmen in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ durch die Klägerinnen
zuträfe, wäre daraus, daß nach dieser Liste Herr Kubosch, ein Mitglied des
Kabinetts von Herrn Bangemann, und Herr Budd, der Kabinettschef von Sir Leon
Brittan, während des gesamten Vormittags anwesend waren, zu folgern, daß die
beiden genannten Kommissionsmitglieder den ganzen Vormittag über abwesend
waren. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, denn gemäß Seite 2 des Protokolls waren
Herr Bangemann am Vormittag bei den Punkten I bis XVIII und Sir Leon Brittan
bei den Punkten XVII bis XXII anwesend.
- 124.
- Demnach war das erforderliche Quorum anwesender Mitglieder beim Erlaß der
Entscheidung am Nachmittag des 16. Februar 1994 erfüllt.
- 125.
- Im übrigen sieht Artikel 6 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die Kommission
auf Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder beschließt und nur auf Antrag eines
ihrer Mitglieder eine Abstimmung vornimmt. Mangels eines solchen Antrags
brauchte die Kommission in der Nachmittagssitzung keine förmliche Abstimmung
vorzunehmen. Da gemäß Artikel 6 die Beschlüsse der Kommission mit der
Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Mitgliederzahl gefaßt werden, die damals
neun Mitglieder betrug, waren die am Nachmittag des 16. Februar 1994
anwesenden neun Mitglieder jedenfalls nicht daran gehindert, einstimmig den Erlaß
der Entscheidung zu beschließen.
- 126.
- Folglich ist die erste Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der
Klägerin notifizierten Entscheidung
- 127.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen der verfügende Teil und die
Begründung der ihrem oder ihren Adressaten notifizierten Entscheidung
abgesehen von rein orthographischen oder grammatikalischen Anpassungen, die
am Wortlaut eines Rechtsakts noch nach seiner endgültigen Verabschiedung durch
das Kommissionskollegium vorgenommen werden dürfen mit der vom Kollegium
erlassenen Entscheidung übereinstimmen (PVC-Urteil, Randnrn. 62 bis 70).
- 128.
- Nach Punkt XXV des Protokolls hat die Kommission „die in dem Schriftstück
K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen
“ erlassen.
- 129.
- Folglich ist der maßgebliche Vergleich zwischen der Fassung K(94) 321/2 in
Verbindung mit der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der
Kommission am Nachmittag des 16. Februar 1994 erlassen wurden, und den
verschiedenen, den Klägerinnen in den verbindlichen Sprachen notifizierten
Fassungen der Entscheidung anzustellen.
- 130.
- Ein sachlicher Unterschied zwischen der Fassung K(94) 321/2 in Verbindung mit
der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der Kommission in den vier
verbindlichen Sprachen bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden sind, und
den Fassungen der Entscheidung, die den Klägerinnen notifiziert wurden, ist aber
von den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden und für das Gericht nicht
ersichtlich. Daß die Entscheidung in Form von zwei Schriftstücken K(94) 321/2
und K(94) 321/3 erlassen wurde, wobei im zweiten mehrere, zum Teil
handschriftliche Änderungen am ersten vorgenommen wurden, spielt unter diesen
Umständen keine Rolle, zumal diese Änderungen im wesentlichen nur die
Ratenzahlung der Geldbußen und den Beschluß betreffen, keine Geldbußen unter
100 ECU festzusetzen. Auch die Tatsache, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 in einigen Sprachfassungen nicht durchgehend paginiert sind oder
unterschiedliche Schrifttypen aufweisen, ist unerheblich, da das intellektuelle und
das formelle Element dieser Schriftstücke zusammen genommen der den
Klägerinnen notifizierten Fassung der Entscheidung entsprechen (PVC-Urteil,
Randnr. 70).
- 131.
- Die Unterschiede zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 zeugen
vielmehr vom Bestreben der Kommission, die Entscheidung erst förmlich zu
erlassen, nachdem alle vom Kollegium beschlossenen Änderungen, insbesondere
hinsichtlich der Ratenzahlung der Geldbußen und der Nichtfestsetzung von
Geldbußen unter 100 ECU, in alle Sprachfassungen eingefügt worden waren.
- 132.
- Aus dem Vorstehenden folgt ferner, daß die auf einem eingehenden Vergleich
zwischen einigen in den Aktenordnern 57, 58 und 61 der Kommission befindlichen
Unterlagen und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 beruhenden
Argumente fehl gehen. Wie oben ausgeführt, ist der maßgebliche Vergleich
zwischen den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 einerseits und der den Klägerinnen notifizierten Fassung andererseits
anzustellen und nicht zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3
einerseits und einigen Entwürfen und anderen möglicherweise älteren Unterlagen
in den Akten der Kommission andererseits. Es gibt insbesondere keinen Beweis
dafür, daß das im Ordner 61 enthaltene Schriftstück B, das ein Arbeitsdokument
zu sein scheint, das Schriftstück K(94) 321 darstellt oder dem von der Kommission
in der Vormittagssitzung des 16. Februar 1994 geprüften Schriftstück entspricht.
Dem Schriftstück K(94) 321 kommt ohnehin keine Bedeutung zu, da die von der
Kommission erlassene endgültige Fassung der Entscheidung aus den Schriftstücken
K(94) 321/2 und K(94) 321/3 besteht.
- 133.
- Auch etwaige Unklarheiten hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem die
Übersetzung einiger geringfügiger Änderungen der italienischen Fassung der
Entscheidung übersandt wurde, sind unerheblich, zumal sich die italienische
Fassung der Entscheidung nicht an die Klägerin richtet.
- 134.
- Schließlich ist unstreitig, daß das Schriftstück K(94) 321/4 nur eine nicht
vertrauliche Fassung des Schriftstücks K(94) 321 endg. ist, in der einige Zahlen, bei
denen es sich um Geschäftsgeheimnisse der Adressaten handelt, zum Zweck der
Notifizierung der Entscheidung an andere Adressaten entfernt wurden.
- 135.
- Folglich ist die zweite Rüge der Klägerinnen unbegründet.
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
- 136.
- Zur dritten Rüge der Klägerinnen, nach der die Fassungen K(94) 321/2 und
K(94) 321/3 der Entscheidung nicht in der in Artikel 16 Absatz 1 der
Geschäftsordnung von 1993 vorgesehenen Weise festgestellt worden seien, ist
darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung folgendes vorsieht:
„Die von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefaßten
Beschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich
sind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsse
angenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse
werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der
ersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“
- 137.
- Ferner sieht Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die
Protokolle der Kommission „durch die Unterschrift des Präsidenten und des
Generalsekretärs festgestellt“ werden.
- 138.
- In Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 war nicht festgelegt, in
welcher Weise die in einer Sitzung gefaßten Beschlüsse dem Protokoll „beigefügt“
werden mußten, während sie z. B. gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung der
Kommission in der Fassung des Beschlusses 95/148/EG, Euratom, EGKS vom 8.
März 1995 (ABl. L 97, S. 82) „untrennbar mit dem Protokoll ... verbunden“ sein
müssen.
- 139.
- Im vorliegenden Fall ist dem Gericht das Protokoll mit den verschiedenen
verbindlichen Sprachfassungen der Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 in
demselben Behältnis und so zugegangen, wie es die Prozeßvertreter der
Kommission nach ihren Angaben im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom
11. März 1998 vom Generalsekretariat der Kommission erhalten haben. Daher ist
davon auszugehen, daß diese Schriftstücke dem Protokoll in der Weise „beigefügt“
waren, daß sie mit ihm zusammen aufbewahrt wurden, ohne körperlich mit ihm
verbunden zu sein.
- 140.
- Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 soll sicherstellen, daß die
Kommission den dem Adressaten notifizierten Beschluß ordnungsgemäß erlassen
hat. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber keinen sachlichen Unterschied
zwischen der ihr notifizierten Fassung der Entscheidung und der Fassung dargetan,
die der Kommission zufolge dem Protokoll „beigefügt“ wurde.
- 141.
- Unter diesen Umständen hat die Klägerin angesichts der Gültigkeitsvermutung für
Gemeinschaftshandlungen (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der
Rechtssache T-35/92, Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnr. 31) nicht
nachgewiesen, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 dem Protokoll
nicht im Sinne von Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993 „beigefügt“ waren.
Daher ist davon auszugehen, daß diese Schriftstücke durch die Unterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite des Protokolls
festgestellt wurden.
- 142.
- Zu der Tatsache, daß das dem Gericht vorgelegte Protokoll seinerseits eine
Fotokopie ist, die nicht die Originalunterschriften des Präsidenten und des
Generalsekretärs trägt, ist festzustellen, daß die erste Seite des Protokolls mit dem
Stempel „Beglaubigte Ausfertigung, Der Generalsekretär, Carlo Trojan“ versehen
ist und daß dieser Stempel die Originalunterschrift von Herrn Trojan, dem
derzeitigen Generalsekretär der Kommission, trägt. Diese Beglaubigung durch den
derzeitigen Generalsekretär der Kommission ist als rechtlich hinreichender Beweis
dafür anzusehen, daß das Original des Protokolls die Originalunterschriften des
Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission trägt.
- 143.
- Folglich ist die dritte Rüge nicht begründet.
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
- 144.
- Zur vierten Rüge der Klägerinnen, daß auf dem Protokoll das Datum seiner
Unterzeichnung durch den Präsidenten und den Generalsekretär der Kommission
fehle, genügt die Feststellung, daß die erste Seite des dem Gericht vorgelegten
Protokolls die Angabe „Brüssel, den 23. Februar 1994“ und den Satz enthält: „Das
vorliegende Protokoll wurde von der Kommission in ihrer 1190. Sitzung in Brüssel
am 23. Februar 1994 angenommen.“ Es folgen die Unterschriften des Präsidenten
und des Generalsekretärs sowie die Beglaubigung der Übereinstimmung der
Ausfertigung des Protokolls mit dem Original durch Herrn Trojan. Somit wurde das
Protokoll vom Präsidenten und vom Generalsekretär am 23. Februar 1994 in
Einklang mit der Geschäftsordnung von 1993 ordnungsgemäß unterzeichnet.
- 145.
- Auch die vierte Rüge der Klägerinnen ist folglich unbegründet.
- 146.
- Schließlich haben die unzutreffenden Angaben von Herrn Van Miert in seiner
Pressekonferenz am Mittag des 16. Februar 1994, bei der er bekanntgab, daß die
Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe, und einige Bußgeldbeträge
nannte, die nicht den in der Entscheidung festgesetzten Beträgen entsprachen, als
solche keine Auswirkungen auf den ordnungsgemäßen Erlaß der Entscheidung
durch das Kommissionskollegium, da sich die gerichtliche Kontrolle nur auf die von
der Kommission erlassene Entscheidung erstrecken kann (vgl. Urteil des Gerichts
vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991,
II-1439, Randnr. 136).
- 147.
- Nach alledem sind die verschiedenen Argumente, mit denen geltend gemacht wird,
daß die Kommission im Verwaltungsverfahren wesentliche Formvorschriften
verletzt habe, in vollem Umfang zurückzuweisen, ohne daß die von den
Klägerinnen beantragten Beweisaufnahmen angeordnet zu werden brauchen.
C Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
- 148.
- Im Rahmen ihres auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages gestützten
Vorbringens erhebt die Klägerin drei Hauptvorwürfe. Erstens habe die Kommission
bei der Feststellung der in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten
Zuwiderhandlungen einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Zweitens
sei dieser Sachverhalt selbst wenn man ihn als erwiesen ansehe rechtlich falsch
gewürdigt worden; insbesondere habe die Kommission zu Unrecht die aus Artikel
85 Absatz 1 EG-Vertrag abgeleiteten Rechtsanschauungen angewandt, obwohl der
EGKS-Vertrag einen völlig anderen rechtlichen Rahmen habe. Drittens seien die
den Unternehmen zur Last gelegten Verhaltensweisen der GD III bekannt gewesen
und von ihr sogar unterstützt oder zumindest toleriert worden, so daß kein Verstoß
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages vorliege. Schließlich sei die Begründung in
mehrfacher Hinsicht unzureichend.
- 149.
- Angesichts der Verflechtung der von der Klägerin geltend gemachten Argumente
sind die einzelnen ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen nacheinander zu
prüfen; dabei ist zunächst zu klären, ob die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen
Feststellungen rechtlich hinreichend erwiesen sind, und dann zu ermitteln, ob die
in der Entscheidung vorgenommene rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts
zutrifft. Auf die Frage, ob die Handlungen der GD III geeignet sind, dem so
bewerteten Sachverhalt seinen rechtswidrigen Charakter zu nehmen, wird unten in
Abschnitt D eingegangen.
Zur Festsetzung von Preisen (Zielpreise) in der Träger-Kommission
1. Tatsächliche Feststellungen
- 150.
- Die Kommission wirft der Klägerin in Artikel 1 der Entscheidung vor, an einer
Zuwiderhandlung in Form der Festsetzung von Preisen in der Träger-Kommission
teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt
30 Monate und erstreckt sich vom 1. Juli 1988 bis zum 31. Dezember 1990 (vgl.
Randnrn. 80 bis 121, 223 bis 243, 311 und 314 der Entscheidung).
- 151.
- Im vorliegenden Fall leugnet die Klägerin nicht, an den in der Entscheidung
beschriebenen Sitzungen der Träger-Kommission teilgenommen zu haben, macht
aber u. a. geltend, daß dort keine „Vereinbarungen“ getroffen, sondern nur
Informationen der Mitglieder über deren „Schätzungen“ oder „Prognosen“ in
bezug auf die Preise oder über die tatsächlichen Marktpreise ausgetauscht worden
seien. Außerdem gebe es für die ihr zur Last gelegten Vereinbarungen und
verabredeten Praktiken keinen rechtlich hinreichenden Beweis, wie insbesondere
ein vom Sachverständigen Bishop in der Verwaltungsanhörung vorgelegtes
Wirtschaftsgutachten zeige.
Vorbemerkungen
- 152.
- Bevor die in den Randnummern 80 bis 121 und 223 bis 237 der Entscheidung
beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken im einzelnen
untersucht werden, ist einleitend festzustellen, daß die Beweise in ihrer Gesamtheit
unter Berücksichtigung aller einschlägigen tatsächlichen Gegebenheiten zu würdigen
sind (vgl. die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf
zum Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, II-869 gemeinsame Schlußanträge zu den
„Polypropylen-Urteilen“ vom 24. Oktober 1991 in den Rechtssachen T-2/89 und
T-3/89, Slg. 1991, II-1087 und II-1177, vom 17. Dezember 1991 in den Rechtssachen
T-4/89, T-6/89, T-7/89 und T-8/89, Slg. 1991, II-1523, II-1623, II-1711 und II-1833,
und vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89, Slg. 1992, II-499,
II-629, II-757, II-907, II-1021, II-1155 und II-1275).
- 153.
- Insoweit steht erstens außer Streit, daß die Träger-Kommission ebenso wie die
übrigen „Product Committees“ von Eurofer in der Zeit der offensichtlichen Krise
geschaffen wurde, um das Verhalten der Stahlunternehmen, insbesondere im
Rahmen des Systems der „I“- und „i-Quoten“ und der Eurofer-I- bis Eurofer-V-Vereinbarungen (siehe oben, Randnrn. 9 ff.), besser zu koordinieren. Nach dem
Ende der Krise trat diese Kommission, der die wichtigsten Trägerhersteller der
Gemeinschaft angehörten und die über ein ständiges Sekretariat verfügte, weiterhin
regelmäßig zusammen. Im vorliegenden Fall stellt vor allem dieses System
regelmäßiger Sitzungen den Bezugsrahmen für die Beurteilung der maßgeblichen
Beweise dar (vgl. Randnrn. 30, 36, 37 und 212 der Entscheidung).
- 154.
- Zweitens nahm die Klägerin unstreitig an allen 25 in Randnummer 36 der
Entscheidung aufgezählten Sitzungen der Träger-Kommission teil, d. h. an den
Sitzungen vom 7. April, 19. Mai, 28. Oktober und 25. November 1987, vom 3. Mai,
19. Juli, 18. Oktober, 15. November und 13. Dezember 1988, vom 10. Januar, 7.
Februar, 19. April, 6. Juni, 11. Juli, 3. August, 21. September, 7. November und 12.
Dezember 1989 sowie vom 14. Februar, 21. März, 16. Mai, 10. Juli, 11. September,
9. Oktober und 4. Dezember 1990 (Randnr. 38 Buchstabe a der Entscheidung). Die
Teilnahme eines Unternehmens an Sitzungen, in denen wettbewerbswidrige
Handlungen vorgenommen wurden, reicht zum Nachweis seiner Beteiligung an
diesen Handlungen aus, sofern keine Indizien vorliegen, die das Gegenteil beweisen
(vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-14/89,
Montedipe/Kommission, Slg. 1992, II-1155, Randnrn. 129 und 144).
- 155.
- Drittens steht fest, daß die bei diesen Sitzungen gefaßten Beschlüsse der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe mitgeteilt wurden, die ebenso wie die Träger-Kommission arbeitete und der die wichtigsten Hersteller der Gemeinschaft und
Skandinaviens angehörten (vgl. u. a. die Randnrn. 81, 84, 86 bis 88, 93, 187, 189,
191 und 192 der Entscheidung). Ferner steht fest, daß die Klägerin zwischen dem
5. Februar 1986 und dem 31. Oktober 1990 an den 20 in Randnummer 178 der
Entscheidung aufgeführten Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe teilnahm
(vgl. Randnr. 181 der Entscheidung).
- 156.
- Viertens ist speziell zu der Behauptung, daß es sich vorliegend nicht um
„Vereinbarungen über die Preise“, sondern um einen „Informationsaustausch über
die erwarteten Preise“ oder über die „tatsächlichen Marktpreise“ gehandelt habe,
festzustellen, daß in den Protokollen in Zusammenhang mit den Preisen zwar
häufig Ausdrücke wie „Schätzungen“ oder „Prognosen“ gebraucht werden; bei der
Gesamtwürdigung der Beweise sind jedoch folgende Gesichtspunkte zu
berücksichtigen:
a) Zahlreiche Preistabellen (z. B. die Tabellen, in denen die in den Sitzungen
vom 25. Juli 1988, 18. Oktober 1988, 10. Januar 1989 und 19. April 1989
festgelegten Preise angegeben sind) wurden relativ lange vor dem
betreffenden Quartal erstellt und enthalten sehr detaillierte Angaben, die
u. a. die verschiedenen Produktkategorien, die einzelnen Länder, den
genauen Betrag der geplanten Erhöhungen und die Rabatte betreffen.
Derartige Tabellen können nicht als bloße Wiedergabe von „Schätzungen
“ der Unternehmen in bezug auf die Entwicklung der Marktpreise
angesehen werden.
b) In zahlreichen Fällen spricht der Wortlaut der Protokolle nicht für die
Auffassung der Klägerin; vgl. z. B. nachstehende Ausführungen: „Die
Preiserhöhungen ... führen zu folgendem Preisniveau“ (Sitzung vom 18.
Oktober 1988). „Folgende Preisniveaus werden für das zweite Quartal 1989
erwartet. Diese Preise sind gegenüber T1/89 Erhöhungen um: [es folgt eine
genaue Tabelle]“ (Sitzung vom 10. Januar 1989). „[D]ie Prognosen T2/89
[werden] im dritten Quartal 1989 beibehalten; es handelt sich um folgende
Niveaus: [es folgt eine genaue Tabelle]“ (Sitzung vom 19. April 1989). „Die
für das dritte Quartal 1989 erwarteten und erzielten Preise werden in
diesem Zusammenhang im vierten Quartal 1989 beibehalten“ (Sitzung vom
11. Juli 1989).
c) In den Protokollen ist ferner vielfach davon die Rede, daß die für das
betreffende Quartal „erwarteten“ Preise „erzielt“ oder von den Kunden
„angenommen“ worden seien (vgl. Randnrn. 94, 95, 97 bis 99, 101, 102 und
118 der Entscheidung).
d) Die Protokolle der Sitzungen der Träger-Kommission sind in Verbindung
mit den Protokollen der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe zu
sehen, die u. a. dazu dienten, den skandinavischen Herstellern die bei der
vorangegangenen Sitzung der Träger-Kommission gefaßten Beschlüsse zu
übermitteln (vgl. Randnrn. 177 ff. der Entscheidung). Aus den Protokollen
der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe geht aber ganz klar hervor,
daß es sich vorliegend um Preisabsprachen handelte (siehe unten).
e) Zu den von der Kommission vorgelegten Beweisen gehören nicht nur die
Protokolle der Träger-Kommission und der Eurofer/Scandinavia-Gruppe,
sondern auch andere Unterlagen, die von den Unternehmen selbst
stammen, wie z. B. das Fernschreiben von TradeARBED an Thyssen vom
22. September 1988, der interne Vermerk der Klägerin vom 13. Januar
1989, der Vermerk von TradeARBED für die Sitzung der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 31. Januar 1990, die Schreiben der
Klägerin an Unimétal vom 6. November und vom 19. Dezember 1989, das
Schreiben von TradeARBED an Unimétal vom 7. Februar 1990 und die in
der Entscheidung (u. a. in den Randnrn. 96, 100, 111, 112, 114, 115 und
117) erwähnten Unterlagen von British Steel.
f) Die Klägerin hat nicht bestritten, daß in den Sitzungen der Träger-Kommission vom 19. April 1989, 6. Juni 1989 und 16. Mai 1990
Vereinbarungen über die Aufpreisharmonisierung getroffen wurden.
Überdies hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß die Klägerin
auch den Vereinbarungen zustimmte, die in den Sitzungen vom 15.
November 1988 und vom 4. Dezember 1990 getroffen wurden (siehe unten).
In Anbetracht des engen Zusammenhangs zwischen den Basispreisen und
den Aufpreisen ist es nicht plausibel, daß die Teilnehmer über die einen
Vereinbarungen trafen und über die anderen nicht.
g) Die Klägerin hat die Behauptung der Kommission in Randnummer 37 der
Entscheidung, daß die endgültigen Fassungen der Protokolle der Träger-Kommission mit gewisser Vorsicht formuliert worden seien, nicht in Abrede
gestellt.
- 157.
- Im Licht dieser allgemeinen Erwägungen sind alle der Klägerin zur Last gelegten
Vereinbarungen oder verabredeten Praktiken bei der Preisfestsetzung zu prüfen.
Die angeblich 1986 und 1987 getroffenen Vereinbarungen
- 158.
- In Randnummer 223 der Entscheidung stellt die Kommission unter Bezugnahme
auf die Randnummern 80 bis 86 fest, daß „Preisabsprachen ... in den Jahren 1986
und 1987 verschiedentlich getroffen“ worden seien.
- 159.
- Die Klägerin hat zwar die Existenz dieser Absprachen nicht ausdrücklich bestritten,
doch die Bezugnahme in Randnummer 223 der Entscheidung auf „verschiedentlich
getroffene“ Preisabsprachen in den Jahren 1986 und 1987 ist zu ungenau, um dahin
ausgelegt zu werden, daß die Kommission der Klägerin vorwirft, an ihnen beteiligt
gewesen zu sein.
- 160.
- An dieser Feststellung ändert sich auch dann nichts, wenn man unterstellt, daß die
Randnummern 80 bis 86 der Entscheidung, auf die Randnummer 223 Bezug
nimmt, zum Nachweis der Existenz einer 1986 getroffenen Vereinbarung (Randnrn.
80 und 81) und zwei weiterer 1987 getroffener Vereinbarungen (Randnrn. 82 bis
86) dienen.
- 161.
- In Randnummer 223 der Entscheidung werden diese angeblichen Vereinbarungen
nämlich nicht näher konkretisiert; dies läßt den Schluß zu, daß sie in den Augen
der Kommission nur die Vorgeschichte der Kartelle darstellen, die dann in den
Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung im einzelnen beschrieben werden.
Die angeblich vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung über die Preise
in Deutschland und Frankreich
- 162.
- In Randnummer 224 der Entscheidung stellt die Kommission fest, daß in einer
Sitzung an einem nicht näher zu bestimmenden Datum vor dem 2. Februar 1988
vereinbart worden sei, die Preise in Deutschland und Frankreich anzuheben. Sie
stützt sich auf einen Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 2. Februar 1988, in dem es heißt: „Preise:
Beschluß zur Vornahme von Preisanhebungen zum 1. April um 20 DM auf dem
deutschen Markt für Kategorien 1, 2A, 2B2 und 2B3 und um 10 DM für die
Kategorie 2B1, um 50 FF auf dem französischen Markt für alle Kategorien
ausgenommen 2C“ (Randnr. 87 der Entscheidung, S. 674 bis 678 der Akten).
- 163.
- Schon im Wortlaut des Protokolls der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom
2. Februar 1988 wird auf eine Vereinbarung über Preiserhöhungen auf dem
deutschen und dem französischen Markt Bezug genommen. Der
Vereinbarungscharakter dieser Preiserhöhungen ergibt sich zum einen daraus, daß
das (französische) Wort „décision“ im Singular verwendet wird, und zum anderen
aus der Einheitlichkeit der Erhöhungen auf jedem der betreffenden Märkte. Die
Klägerin nahm im übrigen unstreitig an dieser Sitzung teil. Das Vorliegen der von
der Kommission behaupteten Tatsachen ist somit rechtlich hinreichend
nachgewiesen.
Die angeblich vor dem 25. Juli 1988 festgelegten Zielpreise
- 164.
- In Randnummer 224 der Entscheidung stellt die Kommission ferner fest: „Weitere
Zielpreise (für das vierte Quartal 1988) wurden vor dem 25. Juli 1988 vereinbart
...“ Sie stützt sich auf eine dem Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 25. Juli 1988 beigefügte Übersicht der nach Kategorien
aufgeschlüsselten „Marktpreise Q4-88“ für Deutschland, Frankreich und den
belgisch-luxemburgischen Markt (Randnr. 88 der Entscheidung).
- 165.
- Die streitige Übersicht wurde am oder vor dem 25. Juli 1988 und somit relativ
lange vor dem Bezugsquartal erstellt; sie enthält genaue, nach Ländern und
Produktkategorien aufgeschlüsselte Preisangaben. Daraus folgt, daß es sich um
detaillierte Preise handelt, die die Parteien gemeinsam anwenden wollten, und nicht
um eine bloße Wiedergabe der aktuellen oder prognostizierten tatsächlichen
Marktpreise.
- 166.
- Im übrigen ist nach dem tatsächlichen Zusammenhang davon auszugehen, daß
durch dieses Schriftstück die Eurofer/Scandinavia-Gruppe über eine solche
Vereinbarung informiert wurde. Derartige Informationen wurden den Mitgliedern
dieser Gruppe regelmäßig übermittelt, wobei dies zumindest einige Male in Form
einer dem Protokoll der betreffenden Sitzung beigefügten Übersicht geschah.
- 167.
- Das Vorliegen der von der Kommission behaupteten Tatsachen ist somit rechtlich
hinreichend nachgewiesen.
Die angeblich am 18. Oktober 1988 festgelegten Zielpreise
- 168.
- In den Randnummern 225 und 226 der Entscheidung beanstandet die Kommission
eine Vereinbarung über Zielpreise für das erste Quartal 1989, die in der Sitzung
der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 getroffen worden sein soll. Sie stützt
sich insbesondere auf folgende Beweismittel:
das Protokoll dieser Sitzung, in dem u. a. von Preiserhöhungen die Rede ist,
die auf 25 DM bis 40 DM in der Bundesrepublik Deutschland, 50 FRF bis
100 FRF in Frankreich und 200 BFR bis 800 BFR in Benelux
„eingeschätzt“ werden, wobei die Preise, zu denen diese Erhöhungen
„führen“, in einer nach Ländern sowie nach Produkt- und
Kundenkategorien aufgeschlüsselten Übersicht aufgeführt sind (Randnr. 89
der Entscheidung);
die Übersicht, die zur Erstellung der Zielpreise für das vierte Quartal 1988
diente (S. 2507 der Akten, Anlage zum Protokoll der Sitzung der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 25. Juli 1988, Randnr. 90 der
Entscheidung);
ein Fernschreiben von Thyssen an TradeARBED vom 22. September 1988
(Randnr. 91 der Entscheidung);
das Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 3.
November 1988 (S. 2488 bis 2493 der Akten), in dem es heißt:
„Für das erste Quartal 1989 sind neue Anhebungen geplant, die vom
Handel im übrigen bereits erwartet werden. Sie führen zu Erhöhungen um
25 DM bis 40 DM in Deutschland, 50 FF bis 100 FF in Frankreich und 200
FB bis 800 FB in Benelux.“
die Tatsache, daß „Absprachen ... getroffen [wurden], um die Preise durch
Harmonisierung und Heraufsetzung von Aufpreisen zu erhöhen“.
- 169.
- Die in den Randnummern 225 und 226 der Entscheidung genannten Anhaltspunkte
stellen zusammen genommen eine schlüssige und stichhaltige Indizienkette dar, die
zum Nachweis des beanstandeten Sachverhalts geeignet ist.
- 170.
- Insbesondere enthält das Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 18.
Oktober 1988, an der die Klägerin teilnahm, nach Produkten und Märkten
aufgeschlüsselte detaillierte Preisangaben für die einzelnen Kundenkategorien sowie
den Satz: „Die Preiserhöhungen ... führen zu folgendem Preisniveau ...“ Außerdem
entsprechen die genannten Zahlen den Angaben im Protokoll der Sitzung der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 3. November 1988 (Randnr. 200 der
Entscheidung), an der die Klägerin ebenfalls teilnahm; dies beweist, daß der
Beschluß der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 auch der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe mitgeteilt wurde.
- 171.
- Im übrigen ist das Fernschreiben von Thyssen an TradeARBED vom 22.
September 1988 ein zusätzliches klares Indiz für den Vereinbarungscharakter der
im Protokoll der Sitzung vom 18. Oktober 1988 aufgeführten Preise. Dieses
Fernschreiben lautet wie folgt:
„An und für sich ist ein Gespräch am sinnvollsten nach dem Skandinav./Eurofer-Termin. Da dieser aber spät ist, sollten wir m. E. unseren Freunden unsere
Absichten EG im Durchschnitt mitteilen und für Parallelität plädieren, d. h. für
skand. Programm Erhöhung um:
Schweden SEK 100,
Norwegen NOK 100,
Finnland DM 40,
Für 2C kann dann 29. 09. beschlossen werden.“
- 172.
- Soweit darin von „Absichten EG“ gesprochen wird, handelte es sich um
gemeinsame Absichten mehrerer Unternehmen. Der Verfasser des Fernschreibens
möchte beim „skandinavischen Programm“ für „Parallelität“ zwischen der
geplanten durchschnittlichen Erhöhung in der Gemeinschaft und der von den
Teilnehmern an der nächsten Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe
einvernehmlich zu beschließenden Erhöhung plädieren (dieser Beschluß wurde am
3. November 1988 tatsächlich gefaßt). Außerdem wird dem Empfänger des
Fernschreibens ein baldiger „Beschluß“ über die Preise der Kategorie 2C
vorgeschlagen; dies zeigt, daß es sich um einvernehmlich festgesetzte Preise
handelte.
- 173.
- Die Kommission hat in Randnummer 225, siebter Gedankenstrich, der
Entscheidung auch zu Recht die Ansicht vertreten, daß es überraschend wäre, wenn
die Unternehmen, als sie sich in der Träger-Kommission über harmonisierte
Aufpreise verständigten, die Höhe der Basispreise dem freien Spiel des
Wettbewerbs überlassen hätten (siehe unten). Gerade in der Sitzung vom 18.
Oktober 1988 wurde ein Vorschlag von Usinor Sacilor zur Harmonisierung der
Güteaufpreise geprüft, bevor er in der Sitzung vom 15. November 1988
grundsätzlich angenommen wurde (Randnr. 122 der Entscheidung).
- 174.
- In Einklang mit den Erwägungen in Randnummer 226 der Entscheidung wird der
zumindest in moralischer Hinsicht zwingende Charakter der von der Kommission
beanstandeten Vereinbarungen im übrigen dadurch belegt, daß keiner der
Sitzungsteilnehmer ankündigte, die vorgeschlagenen Preise nicht anwenden zu
wollen (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89,
Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 232), sowie durch die
späteren Erklärungen der Unternehmen, daß die fraglichen Preise von den Kunden
angenommen worden seien (vgl. Randnrn. 94 und 95 der Entscheidung).
- 175.
- Die Kommission hat somit das Vorliegen des beanstandeten Sachverhalts in bezug
auf die am 18. Oktober 1988 getroffene Vereinbarung über die Zielpreise rechtlich
hinreichend nachgewiesen.
Die angeblich in der Sitzung vom 10. Januar 1989 beschlossenen Zielpreise
- 176.
- Gemäß Randnummer 227 der Entscheidung hat die Träger-Kommission in ihrer
Sitzung vom 10. Januar 1989 Zielpreise für Lieferungen nach Frankreich,
Deutschland, Benelux und Italien im zweiten Quartal dieses Jahres vereinbart.
- 177.
- Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung (vgl. Randnr. 95 der
Entscheidung), in dem die Erhöhungen für das Bezugsquartal, aufgeschlüsselt nach
Märkten und Kategorien, angegeben werden. Dann werden die infolge dieser
Erhöhungen erwarteten Preisniveaus genannt. Die Kommission beruft sich ferner
auf eine undatierte Aktennotiz von British Steel über die Ergebnisse dieser Sitzung
und auf einen internen Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989 (Randnr. 96 der
Entscheidung).
- 178.
- Die in den Randnummern 95 und 96 der Entscheidung aufgeführten Unterlagen
sind ein rechtlich hinreichender Beweis für den beanstandeten Sachverhalt.
- 179.
- Die Parteien bedienten sich erneut der bereits in der Sitzung vom 18. Oktober 1988
angewandten Technik und legten im Protokoll vom 10. Januar 1989 für jeden
Markt und jede Produkt- und Kundenkategorie genau und detailliert die
Erhöhungen sowie die daraus folgenden neuen Preise fest. Solche Angaben setzen
eine Vereinbarung über die fraglichen Preise voraus. Diese Schlußfolgerung wird
durch zwei andere, von der Kommission in Randnummer 96 der Entscheidung
erwähnte Unterlagen bestätigt, und zwar durch die undatierte Aktennotiz von
British Steel (S. 2001 bis 2003 der Akten) und den Vermerk der Klägerin vom 13.
Januar 1989 (S. 3051 f. der Akten). In der Aktennotiz von British Steel werden
Preise für Frankreich, Deutschland und die Beneluxländer genannt, die mit den
Angaben im Protokoll der Sitzung vom 10. Januar 1989 übereinstimmen. Sodann
ist die Rede von „Price Intentions“ (Preisabsichten), bei denen es sich angesichts
der Einheitlichkeit der Erhöhungen und der daraus folgenden neuen Preise nur um
gemeinsame Absichten der Mitglieder der Träger-Kommission handeln kann. Dem
Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989 zufolge waren die Erhöhungen bereits
„anvisiert“ worden, bevor sie in der Sitzung „konkretisiert“ wurden. Nach der
Aufzählung der für Deutschland geltenden Erhöhungen heißt es in dem Vermerk
weiter: „Auch in den wichtigsten übrigen Ländern der Gemeinschaft sind auf die
einzelnen Kategorien bezogen selektive Preiserhöhungen beschlossen worden ...“
Diese Formulierung zeigt ebenfalls, daß es eine Willensübereinstimmung gab.
- 180.
- Auf dieses Ergebnis hat es keinen Einfluß, daß die in der undatierten Aktennotiz
von British Steel angegebenen neuen Preise für Italien um 20 000 LIT pro Tonne
über den Angaben im Protokoll der fraglichen Sitzung liegen. Diese Abweichung
in der Aktennotiz von British Steel, die nur die neuen Preise für Italien betrifft, ist
auf einen schlichten Irrtum bei der schriftlichen Niederlegung der betreffenden
neuen Preise zurückzuführen.
Die angeblich in der Sitzung vom 7. Februar 1989 festgelegten Zielpreise für den
italienischen und den spanischen Markt
- 181.
- Gemäß Randnummer 227 der Entscheidung hat die Träger-Kommission in ihrer
Sitzung vom 7. Februar 1989 Zielpreise für den italienischen und den spanischen
Markt festgelegt.
- 182.
- Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung (vgl. Randnr. 98 der
Entscheidung), dem sie entnimmt, daß Preise für zwei Trägerkategorien in Italien
und weitere Preise für Spanien festgelegt und die im Protokoll der Sitzung vom 10.
Januar 1989 enthaltenen Preisangaben (vgl. Randnr. 95 der Entscheidung) ergänzt
worden seien.
- 183.
- Trotz des Wortlauts des Protokolls der Sitzung vom 7. Februar 1989 (S. 97 bis 106
der Akten), in dem die fraglichen Angaben als „Ergänzung der Preisprognosen
zweites Quartal 1989“ bezeichnet werden, belegen mehrere Anhaltspunkte, daß es
sich in Wirklichkeit um vereinbarte Preise handelte.
- 184.
- Erstens waren die Preise, die durch diese Angaben ergänzt werden sollten, bereits
in der Sitzung vom 10. Januar 1989 einvernehmlich festgelegt worden (siehe oben).
In der Sitzung vom 7. Februar 1989 stellten die Teilnehmer im übrigen fest, daß
die zuletzt genannten Preise problemlos erzielt worden seien oder erzielt würden
(vgl. Randnr. 98 der Entscheidung).
- 185.
- Zweitens heißt es im Protokoll, daß das neue Preisniveau bei der Kategorie 2C in
Italien „einerseits einen .Einklang' zwischen den auf allen europäischen Märkten
praktizierten Preisen wahrt und andererseits den Wettbewerb durch geschweißte
Träger aus Walzprofilen für Stützen (profilés reconstitués soudés; prs)
berücksichtigt“. In bezug auf den spanischen Markt heißt es, die für das laufende
Quartal „vorgesehenen Preise“ würden im nächsten Quartal „beibehalten, um die
erreichten Niveaus zu konsolidieren“. Aus diesen Formulierungen geht hervor, daß
unter den Unternehmen Einigkeit darüber bestand, durch die Anwendung dieser
Preise bestimmte gemeinsame Ziele zu erreichen. Die Unternehmen waren somit
notwendigerweise mit der Anwendung dieser Preise einverstanden.
- 186.
- Das Vorliegen des in Randnummer 227 Absatz 2 der Entscheidung beanstandeten
Sachverhalts ist somit rechtlich hinreichend nachgewiesen.
Die angeblich in der Sitzung vom 19. April 1989 vereinbarten Zielpreise
- 187.
- Gemäß Randnummer 228 der Entscheidung wurden in der Sitzung der Träger-Kommission vom 19. April 1989 Zielpreise vereinbart, die im dritten Quartal 1989
in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Italien und Spanien zur
Anwendung gelangen sollten und die mit den Zielpreisen für das vorangegangene
Quartal praktisch identisch waren.
- 188.
- Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung, in dem nach derFeststellung, daß die erwarteten Preise in Deutschland, Frankreich und Italien
erzielt worden seien, die Preise für das folgende Quartal angegeben werden
(Randnr. 99 der Entscheidung).
- 189.
- Die Kommission hat in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen, daß die im
Protokoll vom 19. April 1989 (S. 125 bis 145 der Akten) genannten Preise
Gegenstand einer Vereinbarung waren.
- 190.
- Erstens ist zu der Angabe im maßgeblichen Abschnitt dieses Schriftstücks, daß die
„Prognosen T2/89 im dritten Quartal 1989 beibehalten“ würden, festzustellen, daß
diese „Prognosen“ in Wirklichkeit das Ergebnis einer Vereinbarung der betroffenen
Unternehmen in den Sitzungen der Träger-Kommission vom 10. Januar 1989 und
vom 7. Februar 1989 waren (siehe oben). Die „Beibehaltung“ dieser „Prognosen
“ hatte ebenfalls Vereinbarungscharakter und diente nunmehr der
Aufrechterhaltung des bisherigen Preisniveaus. Dies wird dadurch bestätigt, daß es
in dem Schriftstück ferner heißt, die für das zweite Quartal „vorgesehenen Preise“
oder die „Prognosen“ für dieses Quartal seien „von den Kunden ... angenommen“
worden (S. 126 der Akten). Die Angabe zum deutschen Markt, daß die
entsprechenden „Prognosen ... eingetreten“ seien, ist im gleichen Sinn auszulegen.
- 191.
- Zweitens werden die Preise für das folgende Quartal im Protokoll der Sitzung vom
19. April 1989 ebenso genau und detailliert angegeben wie die Preise für das vierte
Quartal 1988 und die ersten beiden Quartale 1989 in den vorangegangenen
Protokollen. Solche detaillierten Angaben können nicht als Wiedergabe bloßer
Prognosen oder Schätzungen ausgelegt werden.
Die Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni 1989 anzuwendenden
Preise
- 192.
- In den Randnummern 229 und 230 der Entscheidung verweist die Kommission auf
eine verabredete Praktik zur Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni
1989 anzuwendenden Preise, die auf eine Initiative von British Steel zurückgehe
und von ihren Konkurrenten akzeptiert worden sei.
- 193.
- Zur Stützung dieses Vorbringens beruft sich die Kommission auf einen internen
Vermerk von British Steel vom 24. April 1989 (vgl. Randnr. 100 der Entscheidung)
sowie auf den Hinweis in den Protokollen der Sitzungen der Träger-Kommission
vom 6. Juni 1989 und vom 11. Juli 1989, daß nach Angaben von British Steel die
Preiserhöhung von den Kunden angenommen worden sei (vgl. Randnrn. 101 und
102 der Entscheidung).
- 194.
- Die Behauptung der Kommission, daß British Steel den übrigen Unternehmen am
19. April 1989 eine Erhöhung ihrer Preise im Vereinigten Königreich angekündigt
und sie aufgefordert habe, sich dieser Erhöhung anzuschließen (Randnr. 229 der
Entscheidung), wird durch den in Randnummer 100 der Entscheidung
angesprochenen Vermerk vom 24. April 1989 (S. 1969 f. der Akten) rechtlich
hinreichend belegt. Ferner steht fest, daß die Klägerin, die an der Sitzung vom 19.
April 1989 teilnahm, sowohl die Ankündigung von British Steel als auch deren
Aufforderung erhielt, die neuen Preise im Vereinigten Königreich anzuwenden.
- 195.
- Die Kommission hat auch ihre Behauptung, daß British Steel die Preise mit ihren
Konkurrenten abgestimmt habe (Randnr. 230 der Entscheidung), rechtlich
hinreichend belegt. Sie hat in Randnummer 229 der Entscheidung zu Recht
ausgeführt, daß die Zusammenarbeit, zu der das streitige Verhalten gehörte, bereits
verschiedentlich zu Preisfestsetzungsvereinbarungen für kontinentaleuropäische
EGKS-Märkte geführt hatte, an denen British Steel beteiligt war. Unter diesen
Umständen kann deren Vorgehen nicht als einseitiges Verhalten gegenüber einem
Konkurrenten angesehen werden, mit dem sie keine Zusammenarbeit verband.
- 196.
- Da British Steel bei zahlreichen früheren Sitzungen der Träger-Kommission bereit
war, sich hinsichtlich der kontinentaleuropäischen Preise zumindest moralisch zu
binden, konnte sie vernünftigerweise von ihren Konkurrenten erwarten, daß ihre
Aufforderung, sich an ihre neuen Preise im Vereinigten Königreich zu halten, von
diesen bei der Festlegung ihres eigenen Verhaltens auf diesem Markt berücksichtigt
würde. Dies gilt auch für die Klägerin, die unstreitig an den betreffenden Sitzungen
teilnahm.
- 197.
- Schließlich hat die Kommission in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen, daß
die Unternehmen der Aufforderung von British Steel tatsächlich gefolgt sind
(Randnrn. 229 und 230 der Entscheidung). Insoweit hat die Klägerin weder die
Angaben von British Steel, daß ihre Preiserhöhungen auf dem britischen Markt
angenommen worden seien, noch die Behauptung der Kommission bestritten, daß
die Preise damals im Vereinigten Königreich deutlich höher gewesen seien als auf
den kontinentaleuropäischen EGKS-Märkten (Randnr. 229 der Entscheidung). Da
unter diesen Umständen Angebote auf kontinentaleuropäischem Preisniveau die
Hinnahme der neuen Preise von British Steel durch die örtliche Kundschaft
verhindert hätten, ist die Tatsache, daß ihre Preiserhöhungen „ohne
Schwierigkeiten“ angenommen wurden, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ein
ausreichender Beleg dafür, daß sich die Klägerin der Durchsetzung der fraglichen
Preiserhöhungen durch British Steel nicht in den Weg gestellt hat.
- 198.
- Somit sind die der Argumentation in den Randnummern 229 und 230 der
Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen Behauptungen rechtlich hinreichend
erwiesen.
Die angeblich in der Sitzung vom 11. Juli 1989 getroffene Vereinbarung, auf dem
deutschen Markt die Zielpreise für das dritte Quartal 1989 im vierten Quartal
beizubehalten
- 199.
- In Randnummer 231 der Entscheidung schließt die Kommission aus dem Protokoll
der Sitzung der Träger-Kommission vom 11. Juli 1989 (vgl. Randnr. 102 der
Entscheidung), daß dort vereinbart worden sei, im vierten Quartal 1989 in
Deutschland die gleichen Zielpreise wie im vorangegangenen Quartal anzuwenden.
- 200.
- Das Protokoll der Sitzung vom 11. Juli 1989 (S. 182 bis 188 der Akten) stellt einen
rechtlich hinreichenden Beweis für das Vorliegen der von der Kommission
beanstandeten Vereinbarung über die Beibehaltung der Preise auf dem deutschen
Markt im vierten Quartal 1989 dar.
- 201.
- Im maßgeblichen Abschnitt dieses Schriftstücks heißt es unter der Überschrift
„Erwartete Preisentwicklung im vierten Quartal 1989“:
„Auf deutscher Seite ist geplant da für den 1. Oktober 1989 eine Erhöhung der
Dimensions- und Güteaufpreise um 20 bis 25 DM/Tonne vorgesehen ist , die
Basispreise nicht anzuheben. Die für das dritte Quartal 1989 erwarteten und
erzielten Preise werden in diesem Zusammenhang im vierten Quartal 1989
beibehalten. Ein Informationsaustausch über die übrigen Gemeinschaftsmärkte wird
bei der nächsten Sitzung der Träger-Kommission stattfinden.“
- 202.
- Aus dem Aufbau dieses Abschnitts folgt, daß nur die übrigen Märkte Gegenstand
eines späteren „Informationsaustauschs“ sein sollten, während die Preise auf dem
deutschen Markt in der fraglichen Sitzung einvernehmlich „beibehalten“ wurden.
- 203.
- Die Ankündigung der deutschen Hersteller ist vor allem im Zusammenhang der
regelmäßigen Sitzungen der Träger-Kommission und der übrigen Vereinbarungen
zu sehen, deren Existenz vorstehend bereits festgestellt worden ist. So waren die
„beibehaltenen“ Preise ihrerseits am 19. April 1989 Gegenstand einer
Vereinbarung in der Träger-Kommission (siehe oben, Randnrn. 187 ff.). Die in
bezug auf den deutschen Markt getroffenen Maßnahmen fügten sich somit in die
Praxis früherer Sitzungen ein, die Preise für die wichtigsten Märkte der
Gemeinschaft quartalsweise festzulegen.
- 204.
- Im übrigen kann eine Vereinbarung, die Preise nicht zu erhöhen, eine
Vereinbarung zur Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages
darstellen.
Der angeblich in der Sitzung vom 12. Dezember 1989 gefaßte Beschluß über die
im ersten Quartal 1990 zu erreichenden Zielpreise
- 205.
- Gemäß Randnummer 232 der Entscheidung beschloß die Träger-Kommission in
ihrer Sitzung vom 12. Dezember 1989, die im vierten Quartal 1989 herangezogenen
Zielpreise auch im ersten Quartal 1990 anzuwenden.
- 206.
- Insoweit stützt sich die Kommission auf einen Vermerk eines Vertreters von
TradeARBED, der als Grundlage für Ausführungen in der Sitzung der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 31. Januar 1990 gedient haben soll (S. 2414 bis
2416 der Akten, vgl. Randnr. 107 der Entscheidung).
- 207.
- Dieser Vermerk von TradeARBED (S. 2414 der Akten) ist ein rechtlich
hinreichender Beweis für das Vorliegen der streitigen Vereinbarung über das erste
Quartal 1990. Dieses Schriftstück diente unstreitig als Grundlage für Ausführungen
eines Vertreters von TradeARBED in der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe
vom 31. Januar 1990. Folglich ist die darin enthaltene Angabe, daß die „Preise des
vierten Quartals 1989 ... im Prinzip ... fortgeschrieben werden [konnten]“, dahin
auszulegen, daß sie sich wie gewöhnlich auf die aus der Zusammenarbeit in der
Träger-Kommission hervorgegangenen Vereinbarungen bezog.
Die aus der Ankündigung von Unimétal in der Sitzung vom 14. Februar 1990
hervorgehende Festsetzung der Preise für die Kategorie 2C auf dem französischen
Markt41
- 208.
- In Randnummer 233 der Entscheidung geht die Kommission auf eine von Unimétal
in der Sitzung vom 14. Februar 1990 angekündigte Anhebung der Preise von
Trägern der Kategorie 2C auf dem französischen Markt ein. Nach Ansicht der
Kommission, die sich auf die Erwägungen in den Randnummern 109 und 110 der
Entscheidung stützt, handelte es sich dabei nicht um einen einseitigen Beschluß von
Unimétal, sondern um eine Vereinbarung der betroffenen Unternehmen.
- 209.
- Der der Klägerin zur Last gelegte Sachverhalt ist, wenn man die in den
Randnummern 233, 109 und 110 der Entscheidung aufgeführten Anhaltspunkte im
Zusammenhang der Sitzungen der Träger-Kommission sieht, in rechtlich
hinreichender Weise bewiesen.
- 210.
- Diesen Anhaltspunkten ist zu entnehmen, daß Unimétal von zwei Konkurrenten,
der Klägerin und TradeARBED, zur Anhebung ihrer Preise aufgefordert worden
war. Angesichts unterschiedlicher Preise in Frankreich und Deutschland ging es
diesen Unternehmen zufolge darum, „Verzerrungen von Lieferströmen
vor[zu]beugen“ (vgl. das Schreiben des Vorsitzenden der Träger-Kommission an
Unimétal vom 6. November 1989, Randnr. 109 der Entscheidung, S. 3009 bis 3011
der Akten) oder zu verhindern, daß „das Preisgefüge in Deutschland [gestört]“
werde (vgl. das Telefax von TradeARBED an Unimétal vom 7. Februar 1990,
Randnr. 110 der Entscheidung, S. 2413 der Akten).
- 211.
- Da Unimétal dieser Aufforderung zumindest in gewissem Umfang nachkam, hatte
die vorgenommene Erhöhung Vereinbarungscharakter.
- 212.
- Außerdem wurde die Ankündigung einer Preiserhöhung für die betreffende
Kategorie in der Sitzung vom 14. Februar 1990 in Anwesenheit nicht nur von
TradeARBED und der Klägerin, sondern auch der übrigen in der Träger-Kommission zusammenarbeitenden Unternehmen vorgenommen.
- 213.
- Im übrigen ließ sich die fragliche Erhöhung nicht mit wirtschaftlichen Erwägungen
erklären, denn TradeARBED hatte im vorgenannten Telefax das Vorliegen einer
„für eine Preisanhebung im allgemeinen wenig günstigen Situation“ eingeräumt.
Unter diesen Umständen konnte der angekündigte Preis nur dann Bestand haben,
wenn auch alle anderen betroffenen Unternehmen ihn anwandten.
- 214.
- Diese Anhaltspunkte sind in ihrem Zusammenhang gesehen ein rechtlich
hinreichender Beweis dafür, daß sich Unimétal durch die Ankündigung die
Unterstützung aller an der Sitzung vom 14. Februar 1990 teilnehmenden
Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehörte, sichern wollte, um zu
verhindern, daß die Anwendung niedrigerer Preise den Erfolg der beabsichtigten
„Harmonisierung“ gefährdet. Aufgrund der Tatsache, daß in früheren Sitzungen für
die wichtigsten Märkte der Gemeinschaft ähnliche Vereinbarungen getroffen
worden waren, konnte Unimétal und dies galt generell für alle Unternehmen, die
ein Interesse an der Erhöhung hatten davon ausgehen, daß der Appell befolgt
würde.
Die Festsetzung der im zweiten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich
anzuwendenden Preise
- 215.
- Aus der Argumentation in den Randnummern 220 und 234 bis 236 der
Entscheidung geht hervor, daß die Kommission den betreffenden Unternehmen,
zu denen auch die Klägerin gehört, vorwirft, für das zweite Quartal 1990 die im
Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise verabredet und die den Gegenstand
dieser Abrede bildenden Preise angewandt zu haben.
- 216.
- Zur Stützung ihrer Argumentation macht die Kommission erstens geltend, BritishSteel habe die Adressaten ihres Telefax vom 14. Februar 1990 über die Preise
unterrichtet, die sie im Vereinigten Königreich nicht als „marktstörend“ betrachtet
habe (Randnr. 234 der Entscheidung) und deshalb tolerieren würde (letzter Satz
von Randnr. 112 der Entscheidung). Diese Annahme wird durch die
handschriftlichen Anmerkungen auf dem Original dieses Telefax vom 14. Februar
1990 (S. 1887 der Akten) in Verbindung mit dem internen Vermerk von British
Steel vom 20. Februar 1990 (S. 1908 der Akten) rechtlich hinreichend bewiesen.
Den Anmerkungen läßt sich entnehmen, worin die den Adressaten des Telefax
zugesagte telefonische Unterrichtung bestand. Sie beziehen sich auf
„Interpenetrationsmargen“, d. h. auf Preise, die keinen als übermäßig angesehenen
Strom von Einfuhren zur Folge haben. In dem vorgenannten Vermerk erklärt der
Verfasser ausdrücklich, den Vertreter von Unimétal über die Preise informiert zu
haben, „die [seines] Erachtens nicht marktstörend sind“.
- 217.
- Zweitens macht die Kommission geltend, daß die Ankündigung von British Steel
einer „verabredeten Praktik“ entsprochen habe (Randnr. 235 der Entscheidung;
siehe auch Randnr. 220), d. h., British Steel habe unter den konkreten Umständen
davon ausgehen können, daß sich die übrigen Unternehmen den angekündigten
Preisen anschließen würden. Diese Behauptung wird durch die von der Kommission
herangezogenen Anhaltspunkte rechtlich hinreichend belegt. Die Ankündigung war
Teil des „ständigen Dialogs zwischen diesem Unternehmen und seinen
Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten“ (Randnr. 235 der Entscheidung). Wie
bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 196), konnte British Steel aufgrund ihrer
Beteiligung an den zuvor in der Träger-Kommission getroffenen Vereinbarungen
im Gegenzug von ihren Konkurrenten eine gewisse Solidarität erwarten. Diese
Schlußfolgerung wird zumindest für die betroffenen deutschen Unternehmen die
Klägerin, Thyssen und Saarstahl durch die in den Randnummern 235 und 55 der
Entscheidung erwähnte Übersicht (S. 1864 der Akten) gestützt, die bestätigt, daß
sich diese Unternehmen und British Steel um eine gewisse Kongruenz der
Handelsströme zwischen beiden Ländern bemühten und daß deshalb alle Parteien
bereit waren, je nach den Umständen im Interesse der anderen Parteien Solidarität
zu zeigen.
- 218.
- Drittens macht die Kommission geltend, daß die fraglichen Unternehmen ihre
Preise letztlich doch nach den Vorgaben von British Steel erhöht hätten (Randnr.
236 der Entscheidung). Den Beweis für diese Annahme sieht die Kommission darin,
daß British Steel, obwohl sie zunächst unter ihrer Preisliste liegende Angebote
kritisiert habe, ihre Preise wenige Monate später, im Anschluß an die Sitzung vom
16. Mai 1990, erhöht habe (vgl. Randnr. 115 der Entscheidung). Diese unstreitige
Tatsache ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ein rechtlich hinreichender
Beweis dafür, daß es British Steel weitgehend gelungen ist, die Einhaltung ihrer
Preise durch ihre Konkurrenten durchzusetzen. Angesichts des unterschiedlichen
Preisniveaus auf dem Kontinent und im Vereinigten Königreich hätte British Steel
im Mai 1990 eine Erhöhung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen können, wenn sie
sich des solidarischen Verhaltens der kontinentaleuropäischen Hersteller nicht
sicher gewesen wäre.
- 219.
- Folglich sind die tatsächlichen Behauptungen, die den Erwägungen in den
Randnummern 234 bis 236 der Entscheidung zugrunde liegen, rechtlich hinreichend
bewiesen.
Die Festsetzung der im dritten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich
anzuwendenden Preise
- 220.
- Aus den Erwägungen in Randnummer 237 der Entscheidung geht in Verbindung
mit Randnummer 220 (Absätze 1 und 3) hervor, daß die Kommission den
Unternehmen vorwirft, Preise verabredet zu haben, die im dritten Quartal 1990 im
Vereinigten Königreich gelten sollten, und die den Gegenstand dieser Abrede
bildenden Preise angewandt zu haben.
- 221.
- Die Behauptung der Kommission, daß British Steel ihren Konkurrenten ihre neuen
Preise mitgeteilt und sie zu deren Einhaltung aufgefordert habe, wird durch das
Telefax dieses Unternehmens vom 7. Juni 1990 belegt (vgl. Randnr. 115 der
Entscheidung, S. 1798 der Akten). British Steel hat diese Aufforderung im übrigen
in der Sitzung der Träger-Kommission vom 10. Juli 1990 wiederholt (vgl. Randnr.
117 der Entscheidung, S. 1964 bis 1966 der Akten). In diesen Punkten ist die
Behauptung der Kommission somit rechtlich hinreichend bewiesen.
- 222.
- Soweit die Kommission daraus auf eine Absprache schließt, ist bereits festgestellt
worden, daß British Steel angesichts der früheren Aktivitäten der Träger-Kommission vernünftigerweise erwarten konnte, daß ihre Konkurrenten auf dem
britischen Markt ein solidarisches Preisverhalten zeigen und insbesondere bei der
Festlegung ihres eigenen Verhaltens auf diesem Markt der Aufforderung zur
Einhaltung der neuen Preise von British Steel Rechnung tragen würden, die diese
in einer Sitzung an sie gerichtet hatte. Die Kommission hat somit die von ihr
behauptete Absprache rechtlich hinreichend belegt.
- 223.
- Schließlich ergibt sich ein hinreichender Beweis für die Einhaltung der von British
Steel angekündigten Preise durch die übrigen Unternehmen aus der Angabe im
Protokoll der Sitzung vom 11. September 1990 (Randnr. 118 der Entscheidung,
S. 1666 bis 1679 der Akten), daß die britischen Kunden die Erhöhung der
Listenpreise von British Steel akzeptiert hätten. Denn wenn sich die übrigen
Unternehmen nicht weitgehend an die neuen von British Steel angekündigten
Preise gehalten hätten, wäre es kaum denkbar, daß die Kundschaft eine solche
Erhöhung akzeptiert hätte. Dem steht nicht entgegen, daß die Konkurrenten von
British Steel, bevor sie sich entschlossen, deren Vorgaben zu folgen, zunächst
niedrigere Preise angewandt hatten (vgl. Randnr. 117 der Entscheidung). Auch daß
in dieser Zeit das Verhalten von TradeARBED (und nicht der Klägerin) von
British Steel als Verletzung einer zwischen beiden Gesellschaften bestehenden
Vereinbarung dargestellt wurde, kann an der Beurteilung durch das Gericht nichts
ändern.
- 224.
- Folglich sind die den Erwägungen in Randnummer 237 der Entscheidung zugrunde
liegenden Tatsachenbehauptungen rechtlich hinreichend bewiesen.
- 225.
- Nach alledem werden sämtliche Tatsachen, auf die sich die Ausführungen in den
Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung zum Abschluß von Vereinbarungen
über die Preise und zu den von der Kommission dort als „verabredete Praktiken
“ eingestuften Verhaltensweisen stützen, durch die von ihr herangezogenen
Unterlagen rechtlich hinreichend belegt.
Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente wirtschaftlicher Natur
- 226.
- Auf dieses Ergebnis haben die von der Klägerin vorgetragenen Argumente
wirtschaftlicher Natur keinen Einfluß. Sie führt aus, die verstärkte Interpenetration
der Märkte im Bezugszeitraum für die Festsetzung der Geldbußen zeuge davon,
daß es keine Preisabsprachen gegeben habe; die 1988 und 1989 eingetretenen
Preiserhöhungen seien nur auf eine günstige Konjunktur zurückzuführen. Ferner
verweist sie auf eine Analyse, die der Sachverständige Bishop in der
Verwaltungsanhörung vorgetragen hat (S. 113 bis 127 des Anhörungsprotokolls)
und nach der die Marktpreise das unter normalen Wettbewerbsbedingungen zu
erwartende Maß nicht überschritten. So hätten sich die realen Trägerpreise in der
Gemeinschaft zwischen 1987 und 1991 auf einem historischen Tiefstand befunden,
abgesehen vom Jahr 1989, als sie jedoch nur das Niveau des Jahres 1985 erreicht
hätten, in dem die Nachfrage so gering wie nie zuvor gewesen sei. Diese
Preisentwicklung sei nicht allein mit den damals erzielten Produktivitätszuwächsen
zu erklären.
- 227.
- Soweit die Klägerin damit geltend machen will, daß es die in den Randnummern
224 bis 237 der Entscheidung beanstandeten Kartelle nicht gegeben habe, ist
bereits dargelegt worden, daß die Tatsachen, auf deren Grundlage die Kommission
die fraglichen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken festgestellt hat, durch
die einschlägigen Unterlagen bei einer Betrachtung im allgemeinen Kontext der
damals bestehenden Zusammenarbeit in der Träger-Kommission rechtlich
hinreichend bewiesen sind.
- 228.
- Die auf der allgemeinen Entwicklung der Trägerpreise in der Gemeinschaft
beruhende Argumentation der Klägerin ist ihrer Art nach nicht geeignet, die
Richtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen in Frage zu stellen. Der
Sachverständige hat im übrigen in der Anhörung selbst eingeräumt, daß er mit
seiner Analyse nicht die Mitteilung der Beschwerdepunkte kommentieren, sondern
nur die Frage beantworten wolle, ob die Maßnahmen der Unternehmen erfolgreich
gewesen seien (vgl. S. 127 des Anhörungsprotokolls).
- 229.
- Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, das sie auf eine verstärkte
Interpenetration der nationalen Märkte im maßgeblichen Zeitraum und die
konjunkturellen Ursachen für die Preisentwicklung stützt. Keiner dieser von der
Klägerin in abstrakter Form angeführten Umstände ist geeignet, die auf der
Grundlage konkreter von der Kommission vorgelegter Beweise getroffene
Feststellung in Frage zu stellen, daß es die in den Randnummern 224 bis 237 der
Entscheidung beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken gab. Da
es sich um drei verabredete Praktiken in bezug auf den Markt des Vereinigten
Königreichs handelt, sind die Ausführungen der Klägerin außerdem zu allgemein,
um der Schlußfolgerung entgegen zu stehen, daß die Praktiken zu den auf diesem
Markt beobachteten Preiserhöhungen beigetragen haben (siehe oben, Randnrn.
198, 219 und 224).
Ergebnis
- 230.
- Aus den vorstehenden Darlegungen folgt, daß das Vorbringen der Klägerin
zurückzuweisen ist, soweit es sich gegen die tatsächlichen Feststellungen in den
Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung richtet. Aus ihnen folgt ferner, daß
die Kommission sowohl das Vorliegen der Vereinbarungen und verabredeten
Praktiken, die der Klägerin zur Last gelegt werden, als auch ihre individuelle
Beteiligung an diesen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken rechtlich
hinreichend belegt und die fraglichen Zuwiderhandlungen ausreichend konkretisiert
hat.
2. Zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts
- 231.
- An dieser Stelle ist die rechtliche Bewertung der Verhaltensweisen, die die
Kommission in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung beanstandet hat,
im Hinblick a) auf die in Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von
Kartellen, b) den Zweck oder die Wirkung solcher Verhaltensweisen und c) den
Begriff des normalen Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen.
a) Zur Bewertung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf die in
Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von Kartellen
- 232.
- Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Artikel 65 des
Vertrages, daß bei verabredeten Praktiken, die ihm unterfielen, nur dann eine
Geldbuße festgesetzt werden könne, wenn der Betroffene die den Gegenstand der
fraglichen Verabredung bildenden Praktiken tatsächlich angewandt habe; etwas
anderes gelte nach dieser Bestimmung bei Vereinbarungen und nach Artikel 15
Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962
(Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl.
1962, Nr. 13, S. 204; im folgenden: Verordnung Nr. 17) im Bereich des EG-Vertrags. Diese Auslegung entspreche den deutschen Bestimmungen über
Wettbewerbsbeschränkungen. Die im Urteil Rhône-Poulenc/Kommission (Randnrn.
121 ff.) entwickelte Auslegung von Artikel 85 EG-Vertrag sei auf Artikel 65 EGKS-Vertrag nicht übertragbar, da sie vom Postulat der Selbständigkeit der
Wirtschaftsteilnehmer ausgehe. Da die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen
sei, daß eine Geldbuße auch dann festgesetzt werden könne, wenn eine verabredete
Praktik nicht durchgeführt worden sei (vgl. Randnr. 220 der Entscheidung), habe
sie vielfach offengelassen, ob die fraglichen Zuwiderhandlungen eine Vereinbarung
oder eine verabredete Praktik seien, und im zuletzt genannten Fall das Vorliegen
einer Durchführungsmaßnahme nicht nachgewiesen.
- 233.
- In Artikel 4 des Vertrages heißt es:
„Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden
innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben
und untersagt:
...
d) einschränkende Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der
Märkte abzielen.“
- 234.
- Artikel 65 § 1 des Vertrages verbietet „alle Vereinbarungen zwischen
Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle
verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt
unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern,
einzuschränken oder zu verfälschen, insbesondere
a) die Preise festzusetzen oder zu bestimmen;
b) die Erzeugung, die technische Entwicklung oder die Investitionen
einzuschränken oder zu kontrollieren;
c) die Märkte, Erzeugnisse, Abnehmer oder Versorgungsquellen aufzuteilen.
“
- 235.
- Im vorliegenden Fall werden die der Klägerin zur Last gelegten Verhaltensweisen
in den Randnummern 224 bis 228 und 231 bis 233 der Entscheidung von der
Kommission als „Vereinbarungen“ zur Festsetzung der Preise im Sinne dieser
Bestimmung eingestuft. Wie aus den vorstehend festgestellten Tatsachen inrechtlich hinreichender Weise hervorgeht, haben sich die betroffenen
Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, in allen Fällen, um die es in
diesen Randnummern der Entscheidung geht, nicht auf einen bloßen Austausch von
Informationen über ihre „Prognosen“ oder „Schätzungen“ der Preise oder über die
tatsächlichen Marktpreise beschränkt, sondern ihren gemeinsamen Willen zum
Ausdruck gebracht, auf dem Markt ein bestimmtes Preisverhalten zu zeigen, d. h.
so vorzugehen, daß die in den fraglichen Sitzungen vereinbarten Preise erreicht
oder gegebenenfalls beibehalten werden. Eine solche Willensübereinstimmung stellt
eine „Vereinbarung“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages dar. Insoweit gibt
es im übrigen keinen Grund, den Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von Artikel 65
§ 1 des Vertrages anders auszulegen als den Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von
Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (vgl. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission,
Randnr. 120).
- 236.
- Der Begriff „verabredete Praktiken“, mit dem in der Entscheidung die der Klägerin
zur Last gelegten Verhaltensweisen in bezug auf die drei Preiserhöhungen auf dem
britischen Markt bezeichnet werden (vgl. Randnrn. 220 und 230 am Ende), ist unter
Berücksichtigung der Zielsetzung von Artikel 65 § 1 und des rechtlichen Rahmens
des Vertrages auszulegen.
- 237.
- In seiner Stellungnahme 1/61 vom 13. Dezember 1961 (Slg. 1961, 527) hat der
Gerichtshof ausgeführt, daß der Zweck von Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages
darin besteht, die Unternehmen daran zu hindern, mit Hilfe einschränkender
Praktiken eine Stellung zu erlangen, die ihnen eine Aufteilung oder Ausbeutung der
Märkte gestattet. Dieses durch Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzte Verbot gilt
nach Ansicht des Gerichtshofes in ganzer Strenge und ist für die vom Vertrag
geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend (S. 566). Überdies hat der
Gerichtshof zu der in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen Regelung über die
Veröffentlichung der Preise (siehe unten) ausgeführt: „Der Vertrag geht davon aus,
daß die freie Preisbildung durch das Recht der einzelnen Unternehmen
gewährleistet ist, ihre Preise selbst festzusetzen und, wenn sie dieselben abändern
wollen, neue Preislisten zu veröffentlichen. Wenn sich die Marktlage ändert, sind
die Erzeuger gezwungen, ihre Preislisten dem anzupassen; auf diese Weise .bildet
der Markt den Preis'“ (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Dezember 1954 in der
Rechtssache 1/54, Frankreich/Hohe Behörde, Slg. 1954, 7, 32). Aus der
Rechtsprechung des Gerichtshofes geht ferner hervor, daß auch wenn der
Stahlmarkt ein oligopolistischer Markt ist, der durch die Regelung in Artikel 60 des
Vertrages gekennzeichnet ist, die sicherstellt, daß infolge der Pflicht zur
Veröffentlichung der Preistafeln und Transporttarife die von den einzelnen
Unternehmen angewandten Preise transparent bleiben die daraus resultierende
Unbeweglichkeit oder Parallelität der Preise als solche nicht in Widerspruch zum
Vertrag steht, falls sie nicht die Folge einer wenn auch nur stillschweigenden
Vereinbarung der Parteien, „sondern des freien Spiels der Kräfte auf dem Markt
und der Strategie unabhängiger Wirtschaftseinheiten mit entgegengesetzten
Interessen ist“ (Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 66/63,
Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1964, 1149, 1180).
- 238.
- Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, daß die Vorstellung, wonach jedes
Unternehmen die Politik, die es auf dem Markt verfolgen möchte, eigenständig und
ohne Absprache mit seinen Konkurrenten zu bestimmen hat, dem EGKS-Vertrag
und insbesondere dessen Artikeln 4 Buchstabe d und 65 § 1 zu entnehmen ist.
- 239.
- Unter diesen Umständen wird mit dem Verbot „verabredeter Praktiken“ durch
Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag grundsätzlich der gleiche Zweck verfolgt wie mit dem
entsprechenden Verbot „abgestimmter Verhaltensweisen“ durch Artikel 85 Absatz
1 EG-Vertrag. Es soll genauer gesagt die praktische Wirksamkeit des Verbotes in
Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages gewährleisten, indem es in dessen
Verbotstatbestände eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen
einbezieht, die zwar noch nicht bis zum Abschluß einer Vereinbarung im
eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewußt ihre praktische Zusammenarbeit an
die Stelle der Risiken des im Vertrag als normal angesehenen Wettbewerbs treten
läßt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69,
ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnr. 64).
- 240.
- Speziell zu den drei von der Kommission als „verabredete Praktiken“
beanstandeten Fällen der Preiserhöhung auf dem britischen Markt ist folgendes
festzustellen: a) Diese drei Fälle fügen sich in den Rahmen einer regelmäßigen
Abstimmung in zahlreichen Sitzungen und Schriftwechseln der
Mitgliedsunternehmen der Träger-Kommission ein, die u. a. zur Koordinierung
ihres Preisverhaltens auf den verschiedenen nationalen Märkten diente. b) In jedem
der drei Fälle, in denen es um die Preise auf dem britischen Markt ging, gab British
Steel ihren Konkurrenten in einer Sitzung, an der die meisten von ihnen
teilnahmen, ihr künftiges Preisverhalten auf dem Markt bekannt und forderte sie
dazu auf, sich ebenso zu verhalten; sie wurde somit in der ausdrücklichen Absicht
tätig, die künftigen Wettbewerbshandlungen ihrer Konkurrenten zu beeinflussen.
c) Die regelmäßige Koordination in der Träger-Kommission war so gestaltet, daß
British Steel vernünftigerweise erwarten konnte, ihre Konkurrenten würden ihrer
Forderung weitgehend nachkommen oder dieser bei der Festlegung ihrer eigenen
Geschäftspolitik zumindest Rechnung tragen. d) Die von der Kommission
herangezogenen Beweise zeigen, daß die fraglichen Unternehmen den Vorschlägen
von British Steel weitgehend gefolgt sind. Insbesondere hat die Klägerin keinen
Anhaltspunkt dafür geliefert, daß sie sich den Forderungen von British Steel
widersetzt oder den in den fraglichen Sitzungen mitgeteilten Preisinitiativen nicht
angeschlossen hätte.
- 241.
- Aus all diesen Umständen ergibt sich, daß die betreffenden Unternehmen in den
drei genannten Fällen die Risiken des im Vertrag als normal angesehenen
Wettbewerbs durch eine praktische Zusammenarbeit untereinander ersetzt haben,
die von der Kommission zu Recht als „verabredete Praktiken“ im Sinne von Artikel
65 § 1 eingestuft wurde.
- 242.
- Zum Vorbringen der Klägerin, der Begriff „verabredete Praktik“ im Sinne von
Artikel 65 § 1 des Vertrages setze voraus, daß die Unternehmen die den
Gegenstand ihrer Abrede bildenden Praktiken angewandt hätten, geht aus der
Rechtsprechung des Gerichts zum EG-Vertrag hervor, daß das Vorliegen einer
verabredeten Praktik nicht davon abhängt, daß sich die Abrede in dem von der
Klägerin verstandenen Sinn auf das Marktverhalten der Konkurrenten erstreckte.
Es genügt gegebenenfalls die Feststellung, daß jedes Unternehmen die von ihm bei
seinen Kontakten mit seinen Konkurrenten erlangten Informationen zwangsläufig
unmittelbar oder mittelbar berücksichtigen mußte (Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 123).
- 243.
- Diese Rechtsprechung ist auf den Anwendungsbereich von Artikel 65 EGKS-Vertrag übertragbar, da der Begriff der verabredeten Praktik dort die gleiche
Funktion erfüllt wie der entsprechende Begriff im EG-Vertrag.
- 244.
- Dieses Ergebnis wird durch den Wortlaut von Artikel 65 § 5 des Vertrages nicht
beeinträchtigt, wonach die Kommission bei „verabredeten Praktiken“ nur dann
Geldbußen festsetzen kann, wenn die Betroffenen zu den Bestimmungen des § 1
im Widerspruch stehende Praktiken „anwenden“. Die Unternehmen wenden eine
verabredete Praktik im Sinne dieser Bestimmung an, wenn sie sich tatsächlich an
einer Vorgehensweise beteiligen, die zur Beseitigung der Ungewißheit über ihr
künftiges Marktverhalten dient und zwangsläufig voraussetzt, daß jedes von ihnen
die von seinen Konkurrenten erlangten Informationen berücksichtigt (vgl. Urteil
Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 123). Die Kommission braucht daher nicht
nachzuweisen, daß der fragliche Informationsaustausch zu einem bestimmten
Ergebnis geführt hat oder auf dem relevanten Markt umgesetzt wurde.
- 245.
- Diese Auslegung bestätigt der Wortlaut von Artikel 65 § 1 des Vertrages, der „alle
verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt
unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern,
einzuschränken oder zu verfälschen“, verbietet. Dieses Verbot gilt für jede
verabredete Praktik, die „die Tendenz hat“ oder „geeignet ist“, den normalen
Wettbewerb zu beeinträchtigen, ohne daß zur Feststellung einer Zuwiderhandlung
eine tatsächliche und konkrete Wettbewerbsbeeinträchtigung nachgewiesen zu
werden braucht. Der Gerichtshof hat im übrigen in seinem Urteil vom 20. März
1957 in der Rechtssache 2/56 (Geitling u. a./Hohe Behörde, Slg. 1957, 11)
ausgeführt (S. 40), daß es für die Feststellung einer Verfälschung oder
Einschränkung des Wettbewerbs durch eine Vereinbarung keiner Würdigung ihrer
konkreten Auswirkungen bedarf, da sich diese Feststellung bereits aus dem
abstrakten Tatbestand von Artikel 65 § 1 des Vertrages ergibt.
- 246.
- Aber selbst wenn der von der Klägerin vertretenen Auslegung zu folgen wäre,
wonach der Begriff der verabredeten Praktik ein dem Ergebnis der Abrede
entsprechendes Marktverhalten voraussetzt, wäre diese Voraussetzung im
vorliegenden Fall in bezug auf die drei Preisanhebungen auf dem Markt des
Vereinigten Königreichs erfüllt. Es steht nämlich fest, daß die Unternehmen in
jedem dieser Fälle den Forderungen von British Steel weitgehend nachgekommen
sind, so daß die neuen Preise tatsächlich durchgesetzt werden konnten.
- 247.
- Nach alledem hat die Klägerin keinen Rechtsfehler bei der Einordnung der
fraglichen Verhaltensweisen unter die Begriffe „Vereinbarung“ oder „verabredete
Praktiken“ in Artikel 65 § 1 des Vertrages dargelegt.
b) Zu Zweck und Wirkung der beanstandeten Kartelle und verabredeten Praktiken
- 248.
- Gemäß Randnummer 238 der Entscheidung „zielten“ die in den Randnummern
223 bis 237 beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken „darauf
ab“, den Wettbewerb im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages einzuschränken.
In Randnummer 221 der Entscheidung zählt es die Kommission u. a. zum „Zweck“
der fraglichen Verhaltensweisen, „die Preise ... zu erhöhen und zu harmonisieren“.
In Randnummer 222 vertritt die Kommission im Anschluß an den Hinweis, daß die
Analyse dieses Zweckes den Nachweis einer nachteiligen Wirkung auf den
Wettbewerb entbehrlich mache, die Ansicht, daß diese Wirkung gleichwohl alles
andere als unbedeutend gewesen sei.
- 249.
- Die Klägerin verweist erneut auf die wirtschaftliche Entwicklung im Bezugszeitraum
für die Festsetzung der Geldbußen und insbesondere auf die Entwicklung der
Preise und des Interpenetrationsgrades sowie die Analyse des Sachverständigen
Bishop; sie führt aus, die den Unternehmen zur Last gelegten Praktiken hätten sich
nur begrenzt ausgewirkt.
- 250.
- Die Formulierung in Artikel 65 § 1 des Vertrages, daß er sich auf Kartelle bezieht,
die „darauf abzielen würden“, den normalen Wettbewerb zu verfälschen, schließt
das Wort „bezwecken“ in Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag ein. Die Kommission hat
daher in Randnummer 222 der Entscheidung zu Recht festgestellt, daß sie zum
Nachweis eines Verstoßes gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages das Vorliegen einer
nachteiligen Wirkung auf den Wettbewerb nicht darzutun brauchte.
- 251.
- In Anbetracht der zahlreichen Anhaltspunkte für die Durchsetzung der im
vorliegenden Fall vereinbarten Preiserhöhungen ist jedenfalls festzustellen, daß die
beanstandeten Verhaltensweisen, an denen die führenden Trägerhersteller der
Gemeinschaft mitwirkten, zwangsläufig eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf
den Markt hatten, wie die Kommission in Randnummer 222 der Entscheidung
ausgeführt hat.
- 252.
- Schließlich enthält Randnummer 222 eine ausreichende Begründung in bezug auf
Zweck und Wirkung der Zuwiderhandlung.
c) Zur Einordnung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf das
Kriterium „normaler Wettbewerb“
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 253.
- Nach Ansicht der Klägerin, die sich vornehmlich auf das Gutachten von Professor
Steindorff stützt, unterscheidet sich der historische und normative Kontext von
Artikel 65 EGKS-Vertrag insofern grundlegend von dem des Artikels 85 EG-Vertrag, als der EGKS-Vertrag eine Marktordnung vorsieht, die durch Transparenz
und einige planwirtschaftliche Elemente gekennzeichnet ist, wobei der tatsächliche
Wettbewerb nur eingeschränkte Bedeutung hat. Der Begriff „normaler
Wettbewerb“ könne sich daher nur auf den Wettbewerb beziehen, der in dem so
gesteckten Rahmen ausgeübt werden könne.
- 254.
- Die in den Artikeln 2 bis 5 des Vertrages verankerten industriepolitischen Ziele
seien festgelegt worden, um den Hauptsorgen der Nachkriegszeit gerecht zu
werden, die darin bestanden hätten, die Ausweitung der Produktion zu stimulieren,
eine gerechte Verteilung der Produkte zu gewährleisten und die
Versorgungssicherheit zu fördern. Außerdem beschränke das auf Artikel 4
Buchstabe b beruhende Diskriminierungsverbot in Artikel 60 des Vertrages, wie die
Kommission einräume (vgl. Randnr. 240 der Entscheidung), selbst den Wettbewerb.
- 255.
- Artikel 65, der erst am Ende der Verhandlungen über den EGKS-Vertrag eingefügt
worden sei, sei im Einklang mit den in den früheren Verhandlungsphasen
festgelegten Zielen und nur insoweit anzuwenden, als er mit den
industriepolitischen Zielen des Vertrages vereinbar sei. Historisch gesehen habe
dieser Artikel dazu gedient, den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der
Gemeinschaft zu Kohle und Stahl aus Deutschland zu erleichtern, die Übernahme
der Steuerungsaufgaben der Hohen Behörde durch Kartelle zu verhindern und
einen Markt zu schaffen, in dem die Unternehmen ein Interesse an der Erhöhung
und Verbesserung ihrer Produktion hätten.
- 256.
- Zu berücksichtigen seien die Besonderheiten der vom EGKS-Vertrag betroffenen
Märkte, bei denen es sich um oligopolistische Märkte relativ homogener Produkte
mit hohen fixen Produktionskosten handele. Es bestünden erhebliche
Marktzutrittsschranken, da die Produktion große Kapitalinvestitionen voraussetze.
Die Elastizität der Nachfrage sei gering. Diese Besonderheiten seien der Grund für
eine Reihe von Bestimmungen, zu denen es im EG-Vertrag kein Gegenstück gebe,
und zwar für die Vorschriften auf dem Gebiet der Preise in Artikel 60 und die
Vorschriften in den Artikeln 58 und 61, die der Kommission im Krisenfall ein
Eingreifen ermöglichten.
- 257.
- Aufgrund des in Artikel 60 des Vertrages verankerten Grundsatzes der
Transparenz enthalte die offene Ankündigung eines Herstellers, seine Listenpreise
erhöhen zu wollen, als solche kein mit Artikel 65 des Vertrages unvereinbares
Element.
- 258.
- Im übrigen ziele Artikel 60 darauf ab, den Preisdifferenzierungswettbewerb
künstlich in einen Preislistenwettbewerb umzuformen. Er verhindere nämlich eine
punktuelle Senkung der Preise, obwohl die Hersteller insbesondere bei einem
Überangebot ein Interesse an solchen Preissenkungen haben könnten. Die einzige
Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe in der Möglichkeit, ihr Angebot an das
eines anderen Herstellers anzugleichen, dessen Preisliste unter Heranziehung eines
anderen Versandortes (Frachtbasis) erstellt worden sei, oder unter der Kontrolle
der Kommission an das Angebot eines Unternehmens außerhalb der
Gemeinschaft.
- 259.
- In bezug auf den Wettbewerb zwischen Herstellern mit gleicher Frachtbasis sei
festzustellen, daß etwaige Unterschiede zwischen ihren Preislisten in der Praxis
wegen der Homogenität der Produkte und der Markttransparenz keinen Bestand
haben könnten. Dieses Phänomen könne einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65
des Vertrages nicht gleichgestellt werden.
- 260.
- In bezug auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen mit unterschiedlicher
Frachtbasis biete das in Artikel 60 § 2 Buchstabe b, zweiter und dritter
Gedankenstrich, des Vertrages vorgesehene Angleichungsrecht nur sehr
eingeschränkte Möglichkeiten, denn es sei nicht unbedingt rentabel, Produkte zum
niedrigsten Listenpreis über eine gewisse Entfernung hinaus zu liefern. Daher
hätten sich in der Praxis relativ stabile Liefergebiete gebildet, in denen der
Marktpreis durch den niedrigsten Listenpreis der Hersteller des betreffenden
Gebietes bestimmt werde. Zur Möglichkeit, die Angebote an den Preisen
auszurichten, die Unternehmen außerhalb der Gemeinschaft verlangten (Artikel 60
§ 2 Buchstabe b, letzter Absatz, des Vertrages), sei darauf hinzuweisen, daß die
Kommission die Einfuhren aus Drittländern über viele Jahre hinweg begrenzt habe.
- 261.
- Das System von Artikel 60 sei jedoch fehlgeschlagen (vgl. die Mitteilung der
Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament vom 15. März 1991
über die Zukunft des EGKS-Vertrags), was zu einem regen Wettbewerb auf dem
Markt geführt habe.
- 262.
- Der Begriff „normaler Wettbewerb“ sei auch im Licht der Artikel 5 und 46 des
Vertrages auszulegen. Die Veröffentlichung von
Marktvorausschätzungsprogrammen gemäß diesen Bestimmungen führe aber zu
einer vollständigen Markttransparenz hinsichtlich der von den einzelnen
Unternehmen vorgesehenen Lieferungen. Die Kommission erwarte von den
Unternehmen, daß sie sich an diesen Vorausschätzungen orientierten. Im übrigen
seien die Unternehmen zur Vorbereitung der Treffen mit der Kommission wie
dieser bewußt sei vor der Erstellung der Vorausschätzungsprogramme gezwungen
gewesen, sich gegenseitig über ihre individuellen kurzfristigen Erwartungen
hinsichtlich der Märkte zu informieren, um daraus ein möglichst objektives Bild
abzuleiten. Im vorliegenden Fall hätten solche Diskussionen zunächst innerhalb der
Träger-Kommission stattgefunden. Artikel 48 Absatz 3 des Vertrages lasse den
Schluß zu, daß diese Form des Informationsaustauschs aufgrund des mit ihr
verbundenen Arbeitsaufwands im Rahmen von Unternehmensverbänden und nicht
innerhalb der Kommission stattfinden müsse.
- 263.
- Aus all diesen Gründen seien die im Rahmen der Auslegung von Artikel 85 EG-Vertrag aufgestellten Grundsätze somit nicht automatisch auf den Bereich von
Artikel 65 EGKS-Vertrag übertragbar. Insbesondere sei das abstrakte Modell des
freien Spiels eines wirksamen Wettbewerbs, das Artikel 85 EG-Vertrag zugrunde
liege, im Bereich des EGKS-Vertrags nicht anwendbar. Der Gerichtshof habe es
u. a. in seinem Urteil vom 13. April 1994 in der Rechtssache C-128/92 (Banks, Slg.
1994, I-1209) abgelehnt, Artikel 65 EGKS-Vertrag ebenso wie Artikel 85 EG-Vertrag unmittelbare Wirkung zuzuerkennen.
- 264.
- Im Ergebnis gehe aus diesen Auslegungselementen hervor, daß der EGKS-Vertrag
einen auf hoher Transparenz beruhenden informierten Wettbewerb schaffen wolle.
Die Information der Konkurrenten über künftige Preise verstoße daher zumindest
dann nicht gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag, wenn die Kommission daran im
Rahmen von Artikel 46 aktiv teilgenommen habe.
- 265.
- Bei ihren gemeinsamen mündlichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung
haben die Klägerinnen u. a. vorgetragen, daß der im EG-Vertrag enthaltene
Grundsatz der Marktwirtschaft dem Grundsatz der Planwirtschaft des EGKS-Vertrags gegenüberzustellen sei. Sie haben in diesem Zusammenhang auf das Werk
von Professor Paul Reuter mit dem Titel La Communauté européenne du charbon
et de l'acier (Paris, LGDJ, 1953) verwiesen, in dem es heißt: „Der durch den
Vertrag geschaffene Wettbewerb ist kein freier Wettbewerb und kann es nicht sein,
sondern nur ein fairer und geregelter Wettbewerb“ (S. 143), der nach Regeln
abläuft, mit denen die „Arbeitsbedingungen [der Unternehmen] denen öffentlicher
Stellen angeglichen werden“ (S. 205). Der „normale“ Wettbewerb des EGKS-Vertrags habe nur untergeordneten Charakter, wie die Vorschriften über die
Veröffentlichung von Preistafeln anhand bestimmter Frachtbasen (Artikel 60 § 2),
die Transparenzpflicht (Artikel 46 bis 48) und die Möglichkeit zur Aussetzung des
Wettbewerbs (Artikel 61, 53 und 58) zeigten. Im Rahmen dieses Vertrages stelle
der Wettbewerb nur ein Instrument neben anderen dar (vgl. Urteil Banks). Da die
Kommission die Aufgabe habe, die Ziele des Vertrages miteinander in Einklang zu
bringen und so über die Anwendung und den Inhalt der Wettbewerbsregeln zu
bestimmen (vgl. den Zwanzigsten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 120),
müsse sie eng mit den Unternehmen zusammenarbeiten.
- 266.
- Diese Darstellung wurde in der mündlichen Verhandlung durch ein Referat von
Professor Steindorff ergänzt. Er kam zu dem Ergebnis, daß Artikel 65 angesichts
des gesamten, durch bestimmte mit den Besonderheiten des Sektors
zusammenhängende politische Ziele gekennzeichneten EGKS-Vertrags eng
auszulegen sei. Gespräche zwischen Unternehmen im Rahmen des in den Artikeln
46 bis 48 des Vertrages vorgesehenen Systems seien nie als Zuwiderhandlung gegen
Artikel 65 angesehen worden (vgl. den Bericht der französischen Delegation über
den EGKS-Vertrag und das Abkommen über die Übergangsbestimmungen, 1951,
sowie das vorerwähnte Werk von Professor Paul Reuter). Sie seien Teil des
normalen Wettbewerbs, sofern die Kommission sie leite oder die Unternehmen,
wenn sie aus eigener Initiative tätig würden, in gutem Glauben und zur
Vorbereitung ihrer Gespräche mit der Kommission handelten. Artikel 60 des
Vertrages sei so konzipiert worden, daß er Unterbietungen einschränke und die
vorhandenen Beziehungen zwischen den Herstellern und ihren Kunden schütze. Im
Rahmen des EG-Vertrags wäre ein solches System mit dessen Artikel 85
unvereinbar. Angesichts der mit der Durchführung von Artikel 60 des Vertrages
verbundenen und von der Kommission anerkannten Schwierigkeiten verstoße ein
Informationsaustausch über Preise, die ohnehin veröffentlicht werden sollten, nicht
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages.
Würdigung durch das Gericht
- 267.
- Das Vorbringen der Klägerin beruht auf drei Hauptelementen: dem normativen
Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages, dem Artikel 60 des Vertrages
und den Artikeln 46 bis 48 des Vertrages.
Der Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages
- 268.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Unternehmen im vorliegenden Fall
mehrere Vereinbarungen über die Preise getroffen haben, die in einem bestimmten
Quartal anzuwenden oder zumindest als das Ziel anzusehen waren, dessen
Erreichung die Unternehmen einvernehmlich anstrebten (vgl. Randnr. 225 Absatz
2 der Entscheidung). Die drei verabredeten Praktiken in bezug auf die Preise auf
dem Markt des Vereinigten Königreichs sollten gewährleisten, daß das Preisniveau
der kontinentaleuropäischen Hersteller die von British Steel angekündigten
Erhöhungen nicht gefährdet. Es handelt sich somit nicht um den bloßen Austausch
von Informationen über „Prognosen“ oder „Schätzungen“ künftiger Preise oder
über die tatsächlichen Marktpreise, wie die Klägerin behauptet.
- 269.
- In Anbetracht des Zweckes von Artikel 65 § 1 des Vertrages, der darin besteht, die
Autonomie der Unternehmen auf dem Markt sicherzustellen, damit das durch
Artikel 4 Buchstabe d aufgestellte Verbot „einschränkende[r] Praktiken, die auf
eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen“, eingehalten wird, ist davon
auszugehen, daß eine solche Koordinierung der Verhaltensweisen durch eine
Vereinbarung oder eine verabredete Praktik zur Erreichung bestimmter Zielpreise
dazu dient, im Sinne von Artikel 65 § 1 „die Preise festzusetzen“, und daher gegen
diese Bestimmung verstößt.
- 270.
- Auch die historischen Gründe für die Einfügung von Artikel 65 in den Vertrag
ihre zutreffende Darstellung durch die Klägerin unterstellt können keine
Auslegung dieser Bestimmung rechtfertigen, die gegen ihren objektiven Zweck
verstößt, wie er sich aus ihrem Wortlaut und ihrem normativen Zusammenhang
ergibt. Im übrigen heißt es in der Erklärung der französischen Regierung vom 9.
Mai 1950, die der Abfassung des Vertrages vorausging: „Im Gegensatz zu einem
internationalen Kartell zur Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte
durch einschränkende Praktiken und die Aufrechterhaltung hoher Profite wird die
geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der
Produktion sicherstellen.“
- 271.
- Der oligopolistische Charakter der vom Vertrag erfaßten Märkte kann zwar in
gewissem Umfang die Wirkungen des Wettbewerbs abschwächen (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 18. Mai 1962 in der Rechtssache 13/60, Geitling u. a./Hohe
Behörde, Slg. 1962, 179, 225 f.; im folgenden: Urteil Geitling II), aber diese
Erwägung rechtfertigt keine Auslegung von Artikel 65, die Verhaltensweisen von
Unternehmen zuläßt, mit denen wie im vorliegenden Fall der Wettbewerb
insbesondere durch Maßnahmen zur Preisfestsetzung noch weiter verringert wird.
Angesichts der Konsequenzen, die die oligopolistische Struktur des Marktes haben
kann, ist es um so notwendiger, den verbleibenden Wettbewerb zu schützen (vgl.
in bezug auf die Anwendung von Artikel 65 § 2 des Vertrages das Urteil
Geitling II, S. 226). Die gleichen Erwägungen gelten für die übrigen von der
Klägerin angeführten Faktoren wie die Homogenität der Produkte oder die mit der
Kapitalintensität der Branche verbundenen Marktzutrittsschranken.
- 272.
- Hinsichtlich der planwirtschaftlichen Ausrichtung des Vertrages ist bereits
ausgeführt worden, daß Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages, der u. a. durch
Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzt wird, ein strenges Verbot enthält, das für
die vom Vertrag geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist (Stellungnahme
1/61, S. 566; Urteil Banks, Randnrn. 11, 12 und 16). Das Ziel des freien
Wettbewerbs hat somit im Rahmen des Vertrages eigenständigen Charakter und
ist ebenso zwingender Natur wie die übrigen in den Artikeln 2 bis 4 festgelegten
Ziele des Vertrages (vgl. Urteil Frankreich/Hohe Behörde, S. 23, und Urteil des
Gerichtshofes vom 21. Juni 1958 in der Rechtssache 8/57, Groupement des hauts
fourneaux et aciéries belges/Hohe Behörde, Slg. 1958, 233, 251).
- 273.
- Auch der von der Klägerin vertretenen Auffassung, daß Artikel 65 § 1 nur insoweit
anzuwenden sei, als er mit den im Vertrag verankerten industriepolitischen Zielen
vereinbar sei, kann nicht gefolgt werden. Eine derartige Einschränkung ist in dieser
Bestimmung nicht enthalten; sie verbietet vielmehr generell Kartelle, die auf die
Verfälschung des normalen Wettbewerbs abzielen (vgl. Urteil des Gerichtshofes
vom 15. Juli 1960 in den Rechtssachen 36/59, 37/59, 38/59 und 40/59, Präsident
Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft u. a./Hohe Behörde, Slg. 1960, 887, 921).
- 274.
- Schließlich ist die Tatsache, daß der Gerichtshof Artikel 65 § 1 des Vertrages im
Urteil Banks wegen der ausdrücklichen Bestimmungen in Artikel 65 § 4 keineunmittelbare Wirkung zuerkannt hat, für die vorliegende Rechtssache unerheblich.
- 275.
- Gleiches gilt für das auf einen Vergleich zwischen den Artikeln 65 § 2 EGKS-Vertrag und 85 Absatz 3 EG-Vertrag gestützte Vorbringen der Klägerin.
Artikel 60 des Vertrages
- 276.
- Zu dem auf Artikel 60 des Vertrages gestützten Vorbringen der Klägerin ist darauf
hinzuweisen, daß diese Bestimmung, durch die Artikel 4 Buchstabe b des Vertrages
umgesetzt wird, in § 1 folgendes verbietet:
„ die Praktiken unlauteren Wettbewerbs, vor allem die nur vorübergehenden
oder nur örtlichen Preissenkungen, die auf Erlangung einer Monopolstellung
innerhalb des gemeinsamen Marktes gerichtet sind;
die diskriminierenden Praktiken, die auf dem gemeinsamen Markt die
Anwendung von ungleichen Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte durch
ein und denselben Verkäufer mit sich bringen, insbesondere wenn die
Käufer wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt werden“.
- 277.
- Artikel 60 § 2 Buchstabe a des Vertrages schreibt im Hinblick auf die erwähnten
Ziele die Veröffentlichung der auf dem Gemeinsamen Markt angewandten
Preistafeln und Verkaufsbedingungen vor. Gemäß Artikel 60 § 2 Buchstabe b
dürfen die angewandten Arten der Preisstellung nicht dazu führen, daß die von
einem Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt angewandten Preise, wenn sie
auf ihr Äquivalent an der Frachtbasis zurückgeführt sind, die für die Aufstellung
seiner Preistafel gewählt wurde, die Preise überschreiten, die in dieser Preistafel für
ein vergleichbares Geschäft vorgesehen sind, oder diese Preise in einem Umfang
unterschreiten, der insbesondere über das Maß hinausgeht, das es erlaubt, das
erfolgte Angebot nach der für eine andere Frachtbasis aufgestellten Preistafel
auszurichten, die dem Käufer die günstigsten Bedingungen am Lieferort bietet.
- 278.
- Nach ständiger Rechtsprechung soll die in Artikel 60 § 2 des Vertrages
vorgesehene Pflicht zur Veröffentlichung der Preise erstens verbotene Praktiken
soweit wie möglich verhindern, zweitens den Käufern erlauben, sich genau über die
Preise zu informieren und auch an der Diskriminierungskontrolle teilzunehmen,
und drittens den Unternehmen erlauben, die Preise ihrer Konkurrenten genau
kennenzulernen, so daß sie sich diesen anpassen können (vgl. Urteil
Frankreich/Hohe Behörde, S. 24, und Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979
in der Rechtssache 149/78, Rumi/Kommission, Slg. 1979, 2523, Randnr. 10).
- 279.
- Die Regelung in Artikel 60 des Vertrages und insbesondere das Verbot, auch nur
zeitweise von der Preistafel abzuweichen, stellen in der Tat eine erhebliche
Einschränkung des Wettbewerbs dar.
- 280.
- Im vorliegenden Fall ist Artikel 60 des Vertrages jedoch für die Frage, wie die der
Klägerin zur Last gelegten Verhaltensweisen im Hinblick auf Artikel 65 § 1 zu
beurteilen sind, unerheblich.
- 281.
- Erstens geht das Vorbringen der Klägerin fehl, soweit es auf dem Gedanken
beruht, daß es sich vorliegend um den bloßen Austausch von Informationen über
„Schätzungen“ oder „Prognosen“ künftiger Preise oder über die tatsächlichen
Marktpreise handele, denn nach den obigen Feststellungen hat sich die Klägerin
an Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung beteiligt. Es
handelt sich im vorliegenden Fall insbesondere nicht um die offene Ankündigung
eines Herstellers, seine Listenpreise erhöhen zu wollen.
- 282.
- Zweitens sind die in den Preistafeln enthaltenen Preise nach ständiger
Rechtsprechung von jedem Unternehmen selbständig und ohne auch nur
stillschweigende Vereinbarung mit anderen Unternehmen festzusetzen (vgl.
Urteile Frankreich/Hohe Behörde, S. 31, und Niederlande/Hohe Behörde, S. 1180).
Insbesondere steht die Tatsache, daß die Bestimmungen von Artikel 60 auf die
Einschränkung des Wettbewerbs abzielen, der Anwendung des Kartellverbots in
Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht entgegen (Urteil Niederlande/Hohe Behörde).
- 283.
- Drittens sieht Artikel 60 des Vertrages vor der Veröffentlichung der Preistafeln
keinen Kontakt zwischen den Unternehmen zur gegenseitigen Unterrichtung über
ihre künftigen Preise vor. Da solche Kontakte die selbständige Aufstellung der
Preistafeln verhindern, sind sie geeignet, den normalen Wettbewerb im Sinne von
Artikel 65 § 1 des Vertrages zu verfälschen.
- 284.
- Außerdem geht, selbst wenn man unterstellt, daß das System von Artikel 60 des
Vertrages damals nicht wie im Vertrag vorgesehen funktionierte (vgl. das der
Klageschrift in der Rechtssache T-151/94 in Anhang 5 als Schriftstück 2 beigefügte
Arbeitsdokument der Kommission), aus dem Aufbau seiner Artikel 4, 60 und 65
hervor, daß der Vertrag sowohl das Interesse an der Anwendung nicht
diskriminierender und veröffentlichter Preise als auch das Interesse an einem nicht
durch Absprachen verfälschten Wettbewerb schützt. Das Gericht kann es daher
nicht hinnehmen, daß die Nichteinhaltung der das zuerst genannte Interesse
schützenden Vorschriften durch die betroffenen Unternehmen zur
Unanwendbarkeit der das zuletzt genannte Interesse schützenden Vorschriften
führt. Es oblag im übrigen den Unternehmen, selbst die Bestimmungen von Artikel
60 des Vertrages einzuhalten, statt untereinander eine private Koordinierung der
Preise vorzunehmen, die angeblich diese Bestimmung ersetzte, für deren
Durchführung die Kommission zuständig ist.
- 285.
- Vereinbarungen der Hersteller können dem System von Artikel 60 des Vertrages
jedenfalls schon deshalb nicht gleichgestellt werden, weil sie es den Käufern nicht
erlauben, sich genau über die Preise zu informieren und an der
Diskriminierungskontrolle teilzunehmen (vgl. die Urteile Frankreich/Hohe Behörde,
S. 24, und Rumi/Kommission, Randnr. 10).
Artikel 46 bis 48 des Vertrages
- 286.
- Zu den aus den Artikeln 5 und 46 bis 48 des Vertrages abgeleiteten Argumenten
ist festzustellen, daß die Gemeinschaft nach Artikel 5 Absatz 2, erster
Gedankenstrich, des Vertrages das Handeln der Beteiligten dadurch erhellt und
erleichtert, daß sie Auskünfte einholt, für Beratungen sorgt und allgemeine Ziele
bestimmt. Gemäß Artikel 5 Absatz 2, dritter Gedankenstrich, sorgt die
Gemeinschaft für Schaffung, Aufrechterhaltung und Beachtung normaler
Wettbewerbsbedingungen und greift in die Erzeugung und den Markt nur dann
direkt ein, wenn es die Umstände erfordern. In Artikel 46 des Vertrages heißt es
u. a., daß die Kommission im Benehmen mit den Unternehmen Marktentwicklung
und Preistendenzen fortlaufend zu untersuchen sowie in regelmäßigen
Zeitabständen als Hinweis dienende Programme für Erzeugung, Verbrauch,
Ausfuhr und Einfuhr unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Entwicklung
aufzustellen hat. Artikel 47 des Vertrages sieht vor, daß die Kommission unter
Beachtung des Berufsgeheimnisses die für die Erfüllung ihrer Aufgaben
notwendigen Auskünfte einholen kann. Artikel 48 des Vertrages bestimmt u. a., daß
die Unternehmensverbände jede Tätigkeit ausüben können, die zu den
Bestimmungen des Vertrages nicht im Widerspruch steht, daß sie berechtigt sind,
der Kommission in den Fällen, in denen der Vertrag die Anhörung des durch
Artikel 18 des Vertrages geschaffenen Beratenden Ausschusses vorsieht, die
Bemerkungen ihrer Mitglieder zuzuleiten, und daß sie verpflichtet sind, über ihre
Tätigkeit der Kommission die von ihr für erforderlich erachteten Auskünfte zu
erteilen.
- 287.
- Keine der vorgenannten Bestimmungen erlaubt es den Unternehmen, durch den
Abschluß von Vereinbarungen oder durch verabredete Praktiken zur
Preisfestsetzung der hier in Rede stehenden Art gegen das Verbot in Artikel 65 § 1
des Vertrages zu verstoßen.
- 288.
- Im übrigen werden die Argumente, die das angebliche Bedürfnis der Unternehmen
betreffen, im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit der GD III nach dem 1. Juli 1988
untereinander Informationen auszutauschen, unten in Abschnitt D eingehend
behandelt.
- 289.
- Unter diesem Vorbehalt ergibt sich aus dem Vorstehenden, daß die Kommission
weder die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages verkannt noch die
Bestimmungen von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu Unrecht auf den
vorliegenden Sachverhalt angewandt hat. Ferner stellen die Erläuterungen der
Kommission in den Randnummern 239 bis 241 der Entscheidung eine ausreichende
Begründung dieses Aspekts der Entscheidung dar.
- 290.
- Demnach sind unter dem gleichen Vorbehalt alle Argumente zurückzuweisen, die
gegen die in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung vorgenommene
Einordnung der Verhaltensweisen, die der Klägerin zur Last gelegt werden, als
Vereinbarungen oder verabredete Praktiken zur Festsetzung von Zielpreisen
vorgebracht worden sind.
Zu den Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen
- 291.
- In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, sich an einem
als „Harmonisierung von Aufpreisen“ bezeichneten Verhalten beteiligt zu haben.
Nach den Randnummern 122 bis 142 (Sachverhalt) und 244 bis 252 (rechtliche
Würdigung) der Entscheidung sollen die betreffenden Unternehmen in den
Sitzungen der Träger-Kommission vom 15. November 1988, 19. April 1989, 6. Juni
1989, 16. Mai 1990 und 4. Dezember 1990 fünf aufeinanderfolgende
Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen getroffen haben.
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 292.
- Die Klägerin vertritt die Ansicht, daß gegen sie wegen der Aufpreisharmonisierung
keine Geldbuße festgesetzt werden könne.
- 293.
- Generell gesehen trage diese Harmonisierung zur Vereinheitlichung der Systeme
zur Preisberechnung bei und erleichtere damit den Preisvergleich. Die Kommission
selbst sei 1977 tätig geworden, um die Aufpreisregeln zum Zweck der Festlegung
von Einfuhrbasispreisen zu harmonisieren. Sie habe damals die Vertreter der
Stahlindustrie u. a. aufgefordert, die Aufpreisstrukturen neu zu definieren, um für
alle Mitgliedstaaten zu möglichst einheitlichen Aufpreisen zu kommen. Trotz dieser
Intervention sei ihr Berechnungsschema sehr komplex geblieben. Das Erfordernis
der Erleichterung des Preisvergleichs werde vor allem auf internationaler Ebene
deutlich; dies liege an der Schwankung der Wechselkurse sowie daran, daß die
unter Heranziehung verschiedener Frachtbasen festgelegten Preislisten auch über
längere Zeit voneinander abweichen könnten.
- 294.
- Im übrigen habe die Kommission seit vielen Jahren von der
Aufpreisharmonisierung gewußt. Auf nationaler Ebene habe diese Harmonisierung
aufgrund von Artikel 60 des Vertrages automatischen Charakter. Die der
Kommission bekanntgegebenen Preislisten hätten diese Aufpreise enthalten. Ihr
seien auch alle Änderungen der Aufpreise einschließlich der in der Entscheidung
angesprochenen bekanntgegeben worden. Außerdem habe die Kommission 1976
in Belgien Nachforschungen über die Aufpreisharmonisierung angestellt, ohne sie
zu beanstanden. Die Kommission habe nicht ernsthaft glauben können, daß die als
Folge europaweiter Harmonisierung angekündigte Erhöhung (vgl. das
Vorausschätzungsprogramm Stahl für das dritte Quartal 1989, ABl. 1989, C 178,
S. 2) ohne Kontakte zwischen den Unternehmen denkbar gewesen sei. Unter
diesen Umständen seien die betreffenden Unternehmen und insbesondere die
Klägerin zu der Annahme berechtigt gewesen, daß ihr Verhalten nicht als im
Widerspruch zu Artikel 65 des Vertrages stehend angesehen würde, und sie hätten
somit nicht schuldhaft gehandelt.
- 295.
- Von den einzelnen der Klägerin zur Last gelegten Aufpreisharmonisierungen sei
die angeblich am 15. November 1988 getroffene Vereinbarung über Güteaufpreise
(Randnrn. 122 und 244 der Entscheidung) ihrer Art nach für sie nicht von Interesse
gewesen, da die Aufpreise der übrigen Hersteller auf das in Deutschland geltende
Niveau hätten angehoben werden sollen. Die Kommission müsse nachweisen, daß
die Klägerin bereit gewesen sei, die Höhe ihrer eigenen Aufpreise beizubehalten;
dies habe sie nicht getan.
- 296.
- Auf den Sitzungen der Träger-Kommission vom 19. April 1989 (Randnrn. 125, 126
und 245 der Entscheidung) und vom 6. Juni 1989 (Randnrn. 129 bis 131 und 246
der Entscheidung) habe die Klägerin zwar an Beschlüssen teilgenommen, die
Aufpreise (im ersten Fall die Abmessungs- und im zweiten die Güteaufpreise)
unter gleichzeitiger Anhebung zu harmonisieren. Diese Beschlüsse hätten sich
jedoch nicht auf die Möglichkeit jedes betroffenen Herstellers ausgewirkt, seine
Preise an die von Herstellern aus Drittländern anzugleichen, und hätten folglich als
solche keine Preiserhöhungen dargestellt, sondern nur den Handlungsspielraum der
Unternehmen erhöht. So seien die Aufpreiserhöhungen in einigen Fällen zu Lasten
der Basispreise vorgenommen worden (vgl. Randnrn. 114 und 131 der
Entscheidung). Die Klägerin habe im übrigen die am 6. Juni 1989 beschlossene
Erhöhung (zum 1. Oktober 1989) nicht vorgenommen. Schließlich hätten die
Unternehmen die Kommission von dieser beabsichtigten Erhöhung unterrichtet
(vgl. die Speaking Note vom 1. August 1989).
- 297.
- Es treffe auch zu, daß sie an der am 16. Mai 1990 beschlossenen Harmonisierung
der (Abmessungs-)Aufpreise teilgenommen habe (vgl. Randnrn. 132 bis 137 und247 der Entscheidung). Sie habe ihre neuen Aufpreise am 18. Mai 1990 gemeldet.
Einige Unternehmen seien ihr gefolgt. Die Kommission sei darüber informiert
worden, daß der Markt die Erhöhung akzeptiert habe (vgl. die Speaking Note vom
25. Juli 1990).
- 298.
- Die Erhöhung ihrer Abmessungsaufpreise zum 1. Januar 1991, die auf der Sitzung
der Träger-Kommission vom 4. Dezember 1990 angekündigt und der Kommission
am 6. Dezember mitgeteilt worden sei, habe auf einem autonomen Entschluß und
nicht auf einer während dieser Sitzung getroffenen Vereinbarung beruht (vgl.
Randnrn. 138 bis 142 der Entscheidung). Daß ihr Diskussionen über die
Aufpreisharmonisierung vorausgegangen seien, lasse nicht den Schluß auf einen
solchen Zusammenhang zu. Die Erhöhung der Listenpreise sei der Kommission
jedenfalls vor ihrem Vollzug gemeldet worden, und auch ihr tatsächlicher Vollzug
sei ihr mitgeteilt worden (vgl. die Speaking Note vom 25. April 1991).
Würdigung durch das Gericht
- 299.
- Die Klägerin bestreitet nicht, daß am 19. April 1989, am 6. Juni 1989 und am 16.
Mai 1990 Vereinbarungen getroffen wurden.
- 300.
- Soweit sie geltend macht, an der Vereinbarung, die in der Sitzung vom 15.
November 1988 erzielt wurde (Randnr. 244 der Entscheidung), nicht beteiligt
gewesen zu sein, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Ihre Teilnahme an
dieser Sitzung reicht zum Nachweis ihrer Beteiligung aus, sofern keine Indizien
vorliegen, die das Gegenteil beweisen (vgl. Urteil Montedipe/Kommission,
Randnrn. 129 und 144). Daß es sich dabei um die Beibehaltung und nicht um eine
Erhöhung der von ihr selbst angewandten Aufpreise handelte, stellt kein solches
für sie sprechendes Indiz dar. Die Anpassung der Aufpreise durch ihre
Konkurrenten war offensichtlich zur Verbesserung ihrer Möglichkeiten geeignet,
ihr eigenes Preisniveau durchzusetzen, ohne daran durch niedrigere Angebote
gehindert zu werden.
- 301.
- Die von der Klägerin bestrittene Existenz der Vereinbarung oder verabredeten
Praktik vom 4. Dezember 1990 wird durch die in Randnummer 248 der
Entscheidung aufgezählten schlüssigen und stichhaltigen Indizien rechtlich
hinreichend bewiesen. Insbesondere waren der „italienische“ (Randnr. 138) und der
„deutsche“ Vorschlag (Randnr. 139), die dieser Sitzung vorausgingen, ihrer Natur
nach dazu bestimmt, durch ein solches Kartell gebilligt zu werden. Sowohl im
Protokoll der streitigen Sitzung, in dem es heißt, daß sich andere Hersteller dem
Schritt der Klägerin anschließen könnten (Randnr. 141 der Entscheidung, Absatz 1
am Ende; S. 2327 der Akten), als auch im Telefax der Walzstahl-Vereinigung an
British Steel vom 13. Dezember 1990 (Randnr. 141, letzter Absatz, der
Entscheidung; S. 315 der Akten) wird die Änderung der Aufpreise mit dem
Bestreben nach ihrer Harmonisierung begründet. Es ging ferner darum, das
Preisniveau ohne Änderung der Basispreise anzuheben (vgl. das Telefax der
Walzstahl-Vereinigung an Ferdofin vom 19. Dezember 1990, Randnr. 121 der
Entscheidung; S. 291 der Akten).
- 302.
- Das Vorbringen der Klägerin zu den tatsächlichen Feststellungen im
Zusammenhang mit der Aufpreisharmonisierung ist daher in vollem Umfang
zurückzuweisen.
- 303.
- Alle in den Randnummern 244 bis 248 der Entscheidung aufgezählten
Vereinbarungen und verabredeten Praktiken dienten nicht nur zur Harmonisierung,
sondern auch zur Anhebung der Aufpreise und zielten somit darauf ab, die Preise
im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages festzusetzen. Daß es den betreffenden
Unternehmen nach Angaben der Klägerin unbenommen blieb, ihre Preise an die
von Herstellern aus Drittländern anzugleichen, ändert daran nichts.
- 304.
- Auch dem Argument, daß die Klägerin die am 6. Juni 1989 beschlossene Erhöhung
nicht vorgenommen habe, kann nicht gefolgt werden. Die etwaige Nichtanwendung
der Vereinbarung würde nämlich nichts an ihrer Existenz ändern (vgl. Urteil
Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 67). Der These der Klägerin steht jedenfalls
entgegen, daß sie selbst Ferdofin zur Anwendung der neuen Aufpreise angehalten
hat (vgl. Randnr. 130 der Entscheidung) und daß diese neuen Aufpreise nach
späteren Angaben „vollständig erzielt“ wurden (vgl. das Protokoll der Sitzung vom
14. Februar 1990, Randnr. 131 der Entscheidung).
- 305.
- Soweit die Klägerin darauf abstellt, daß sich die Kommission 1976 über die
Harmonisierung der Aufpreise informiert und auf die dabei von den Unternehmen
erhaltenen Informationen nicht reagiert habe, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt
werden. Die Klägerin hat weder erläutert, welcher Art die den Gegenstand dieses
angeblichen Austauschs zwischen der Kommission und den Unternehmen bildenden
Angaben oder Informationen waren, noch in welchem Zusammenhang diese
Ereignisse gestanden haben sollen oder welche Verbindung zwischen ihnen und
mehr als elf Jahre später gezeigten Verhaltensweisen bestehen könnte.
- 306.
- Soweit sich das Vorbringen der Klägerin auf die von der Kommission beim
Groupement belge de la sidérurgie angestellten Ermittlungen bezieht, ist der diese
Ermittlungen betreffende Vermerk vom 24. Februar 1976 (Anlage 5 der
Klageschriften in den Rechtssachen T-137/94 und T-138/94) nicht geeignet, ihre
Behauptungen zu untermauern. Aus dem Vermerk geht hervor, daß der Vertreter
des Groupement die den Gegenstand der Ermittlungen bildenden Sitzungen als
„für die Herbeiführung einer gewissen Markttransparenz und einer einheitlichen
Qualität unabdingbar“ bezeichnet hatte. Keines dieser Ziele setzte eine
Harmonisierung oder gar eine Erhöhung der Aufpreise voraus. Außerdem enthält
dieses Schriftstück eine Erklärung derselben Person, nach der die internationalen
Kontakte zwischen den Unternehmen nicht zu „Preisabsprachen“ geführt hätten.
- 307.
- Auch dem Vorbringen, daß sich die Kommission dadurch an den streitigen
Verhaltensweisen beteiligt habe, daß sie die Harmonisierung der Aufpreise
gefordert habe, um Ende 1977 im Rahmen von Antidumpingmaßnahmen die
Einfuhrbasispreise festlegen zu können, kann nicht gefolgt werden. Es gibt keinen
Anhaltspunkt dafür, daß die hier relevanten Harmonisierungsvereinbarungen, die
mehr als zehn Jahre nach diesem Vorgang getroffen wurden, mit ihm in
irgendeinem Zusammenhang stehen.
- 308.
- Die Tatsache, daß die Kommission, die über die Änderungen der Preislisten der
Klägerin und der übrigen betroffenen Unternehmen informiert war,
Übereinstimmungen zwischen diesen Preislisten hätte feststellen können, ist für sich
genommen kein ausreichender Beweis dafür, daß sie von den fraglichen
Vereinbarungen wußte oder sie gar billigte.
- 309.
- Die Prüfung der „Speaking Notes“ vom 1. August 1989, 25. Juli 1990 und 25. April
1991, auf die sich die Klägerin berufen hat, zeigt, daß sie nur allgemeine
Informationen über die wahrscheinlichen Tendenzen bei den Aufpreisen oder über
die Hinnahme der neuen Aufpreise durch den Markt enthalten. Sie ermöglichten
es der Kommission daher nicht, auf das Vorliegen von Vereinbarungen oder
verabredeten Praktiken in diesem Bereich zu schließen (siehe auch unten,
Abschnitt D).
- 310.
- Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Harmonisierung der Aufpreisstruktur
(Dimensionen, Güten usw.) im Rahmen der Veröffentlichung der Preistafeln gemäß
Artikel 60 des Vertrages von gewissem Nutzen sein könnte, ist festzustellen, daß
es sich vorliegend um Vereinbarungen handelt, die nicht nur die Struktur, sondern
auch die Höhe der Aufpreise und insbesondere ihre fünfmalige Anhebung zwischen
dem 15. November 1988 und dem 4. Dezember 1990 betrafen. Da Artikel 60 des
Vertrages keine Preisabsprachen zuläßt, geht das auf dieser Bestimmung beruhende
Vorbringen der Klägerin fehl.
- 311.
- Folglich sind die Einwände der Klägerin gegen die Feststellung der Kommission in
den Randnummern 122 bis 142 und 244 bis 252 der Entscheidung, daß unter
Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages Vereinbarungen über die
Harmonisierung von Aufpreisen getroffen worden seien, vorbehaltlich der in
Abschnitt D geprüften Argumentation in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zur Marktaufteilung im Rahmen der „Traverso-Methode“
- 312.
- In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin die Beteiligung
an einer von ihr als „Traverso-System“ bezeichneten Marktaufteilung vor. Der
Zeitraum, für den wegen dieser Beteiligung eine Geldbuße festgesetzt wurde,
beträgt zweimal drei Monate. Die Gründe für diesen Vorwurf sind in den
Randnummern 72 bis 79 (Sachverhalt) und 254 bis 259 (rechtliche Würdigung) der
Entscheidung genannt.
- 313.
- In den Randnummern 254 bis 259 der Entscheidung führt die Kommission u. a.
aus, das streitige System sei „am 19. Juli 1988 oder kurz davor eingerichtet“ und
„[f]ür das vierte Quartal 1988 und das erste Quartal 1990 ... betrieben“ worden.
Mittels dieses Systems hätten die beteiligten Unternehmen die Klägerin, Thyssen,
Klöckner, Saarstahl, Unimétal, Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED und
British Steel versucht, „Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang zu
bringen“ (Randnr. 254).
- 314.
- Der Kommission zufolge meldeten die Unternehmen ihre Lieferpläne Herrn
Traverso, dem damaligen Vorsitzenden des CDE (vgl. Randnr. 31 der
Entscheidung). Dieser habe mit jedem Unternehmen Kontakt aufnehmen und
Änderungen vorschlagen können, wenn er es für zweckdienlich gehalten habe
(Randnr. 256). Die Zahlen seien sodann in Form von „Lieferplänen“ für jedes
Unternehmen und jeden relevanten Markt an die beteiligten Unternehmen
weitergegeben worden (Randnrn. 256 und 257). Unternehmen, die sich nicht an
diese Zahlen gehalten hätten, seien vom Vorsitzenden des CDE und von Eurofer
angesprochen und aufgefordert worden, die traditionellen Handelsströme zu
respektieren. Die beteiligten Unternehmen hätten somit eine nach Artikel 65 § 1
des Vertrages unzulässige verabredete Praktik angewandt, indem sie „einander ihre
Lieferpläne mitteilten und die Empfehlungen des Vorsitzenden des CDE in die Tat
umsetzten“ (Randnr. 258 der Entscheidung).
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 315.
- Die Klägerin bestreitet, an einem solchen System teilgenommen zu haben. Das in
der Sitzung vom 19. Juli 1988 ausgearbeitete Modell sei nicht zum Gegenstand
einer Vereinbarung geworden und nicht in die Praxis umgesetzt worden, sondern
ein reines Denkmodell gewesen. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung ausgeführt, die Erörterung dieses Modells sei mit der Ungewißheit zu
erklären, die damals hinsichtlich der Verlängerung des Quotensystems über den 30.
Juni 1988 hinaus geherrscht habe. Es sei darum gegangen, einige diesem System
ablehnend gegenüberstehende Unternehmen daran zu hindern, für die Zeit nach
dem 30. Juni 1988 Lieferungen zu planen, die sich als überhöht erweisen könnten.
Der relevante Abschnitt des betreffenden Protokolls sei im übrigen im Konjunktiv
abgefaßt. Der spontane Informationsaustausch auf der Sitzung des CDE vom 27.
und 28. Juli 1988 (Randnr. 74 der Entscheidung) habe damit nichts zu tun, sondern
sei mit der Entscheidung Nr. 2448/88 zu erklären. Andernfalls wäre nicht nur ein
bloßer Appell der im Telefax vom 4. August 1988 (Randnr. 74 der Entscheidung)
erwähnten Art zu erwarten gewesen, sondern eine steuernde Einflußnahme von
Herrn Traverso, um eine Überschreitung der von den Unternehmen angekündigten
Zahlen zu verhindern. Die beteiligten Unternehmen hätten zudem nicht erwartet,
daß ihre Konkurrenten die angekündigten Zahlen einhielten (vgl. den
Schriftwechsel zwischen Unimétal und British Steel, Randnr. 77 der Entscheidung),
wie die später von der Klägerin festgestellten Überschreitungen (vgl. den in
Randnr. 75 der Entscheidung erwähnten internen Vermerk) im übrigen bestätigten.
- 316.
- Die Kommission habe nicht nachgewiesen, daß die Traverso-Methode Anfang 1990
wiederaufgenommen worden sei (vgl. Randnrn. 78 und 79 der Entscheidung). Das
Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 1990, das sich auf das „Monitoring
poutrelles“ und u. a. auf Märkte außerhalb der EGKS beziehe, habe zur
Vorbereitung der Sondersitzung vom 2. Februar 1990 gedient, die sich mit der
kurzfristigen Information über Lagerbestände befaßt habe.
- 317.
- Zum Protokoll der zuletzt genannten Sitzung, das in Form einer Aktennotiz der
GD III erstellt und von der Kommission in der mündlichen Verhandlung (und
damit so spät, daß die Klägerin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht
ausüben könne) vorgelegt worden sei, sei festzustellen, daß die damals von Eurofer
vorgeschlagene Methode (S. 2 des Schriftstücks) den von der Klägerin selbst in
ihrem Schreiben vom 31. Januar 1990 angegebenen Zahlen entsprochen habe.
Außerdem habe sich die Klägerin an die in ihrem Schreiben angekündigten
Mengen nicht gebunden gefühlt und diese überschritten. Im übrigen gingen die
Bezugnahmen auf die Vermerke von British Steel vom 20. Juli und 21. März 1990,
deren Verfasser nicht bekannt sei (Randnrn. 78 und 79 der Entscheidung), fehl.
Schließlich habe die Kommission der Klägerin keine Einsicht in die angebliche
Bestätigung von British Steel gewährt, daß die Traverso-Methode
wiederaufgenommen worden sei (Randnr. 78 der Entscheidung); diese Annahme
werde durch den Vorschlag des Vorsitzenden der Träger-Kommission vom 12.
Dezember 1989 widerlegt, ein System quartalsweiser Erklärungen über die
Lieferabsichten der Betroffenen einzuführen (vgl. Nr. 108 der Beschwerdepunkte).
Würdigung durch das Gericht
Zur ersten Phase des Traverso-Systems (viertes Quartal 1988)
- 318.
- Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerung, daß sich die Klägerin im vierten
Quartal 1988 an einer als „Traverso-System“ bezeichneten verabredeten Praktik
beteiligt habe, auf folgende Beweismittel:
einen Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom
19. Juli 1988 (vgl. Randnr. 72 der Entscheidung, S. 2207 der Akten);
ein Telefax von Eurofer an ARBED/TradeARBED, British Steel, Cockerill-Sambre, Usinor Sacilor, Ferdofin, Klöckner, Saarstahl, Thyssen und die
Klägerin, das am 4. August 1988 bei der Klägerin einging und sich auf eine
„Tabelle mit den am Ende der letzten CDE-Sitzung vom 27./28. Juli 1988
in Paris erfaßten endgültigen Lieferabsichten“ bezieht (Randnr. 74 der
Entscheidung, S. 3380 der Akten);
einen (undatierten) internen Vermerk der Klägerin, in dem ihre
Lieferabsichten und die von Thyssen, Klöckner, Saarstahl, Unimétal,
Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED und British Steel für das vierte
Quartal 1988 mit den tatsächlichen Lieferungen verglichen werden (Randnr.
75 der Entscheidung);
ein Fernschreiben von Unimétal an British Steel vom 28. November 1988
und die Antwort von British Steel vom 6. Dezember 1988 (Randnr. 77 der
Entscheidung, S. 1989 und 1986 der Akten).
- 319.
- Die vorgenannten Schriftstücke sind ein rechtlich hinreichender Beweis dafür, daß
die betreffenden Unternehmen im vierten Quartal 1988 eine verabredete Praktik
anwandten, bei der sie sich in der Absicht, die Empfehlungen des Vorsitzenden des
CDE in die Tat umzusetzen, gegenseitig ihre Lieferpläne mitteilten, um Angebot
und Nachfrage miteinander in Einklang zu bringen. Die Übermittlung der
„Lieferabsichten“ an Eurofer ist in der Übersicht im Protokoll der Sitzung vom 19.
Juli 1988 ebenso wie die Überprüfung dieser Zahlen anhand der
Markteinschätzungen und für den Fall, daß die mitgeteilten Absichten „in
signifikanter Weise von den historischen Daten abweichen“ von Herrn Traverso
anschließend vorzuschlagende Änderungen ausdrücklich vorgesehen (Randnr. 72,
S. 2207 der Akten). In Einklang damit wurden die „endgültigen Lieferabsichten“
in der Sitzung des CDE vom 27. und 28. Juli 1988 in Paris „erfaßt“ (Telefax vom
4. August 1988, Randnr. 74 der Entscheidung, S. 3380 der Akten). In der Tabelle,
auf die sich dieses Telefax bezieht (vgl. Randnr. 75 der Entscheidung, S. 3383 f. der
Akten), entspricht im übrigen die Summe der „Lieferabsichten“ für jeden Markt
der als „neue Markteinschätzung“ angegebenen Zahl. Im Telefax selbst heißt es:
„Neben den in Paris geprüften Zahlen sind ... einige geringfügige Berichtigungen
für den englischen und den dänischen Markt vorgenommen worden.“
- 320.
- Darüber hinaus wurde in der Sitzung vom 19. Juli 1988 vom „erwünschten
Gleichgewicht“ gesprochen (vgl. Randnr. 72 der Entscheidung). Desgleichen ist im
Telefax vom 4. August 1988 von der Erwartung des Vorsitzenden des CDE die
Rede, daß die betreffenden Unternehmen die mitgeteilten „Absichten“ nicht
überschreiten, die wie es dort heißt „mit der Preisstabilität zusammenhängen“.
Diese Ausführungen zeigen, daß die betreffenden Unternehmen mit den genannten
Absichten einverstanden waren und daß das Ziel des Systems in der Tat darin
bestand, die „Lieferabsichten“ mit den „Markteinschätzungen“ in Einklang zu
bringen (vgl. Randnr. 72 sowie die in Randnr. 75 der Entscheidung angesprochene
Tabelle).
- 321.
- Dieses Ziel hätte jedoch kaum erreicht werden können, wenn die Unternehmen in
Unkenntnis der für ihre Konkurrenten geltenden endgültigen Zahlen deren
Einhaltung nicht hätten kontrollieren können. Eine solche Kontrolle wurde im
übrigen nach der Weitergabe der streitigen Tabelle sowohl von der Klägerin selbst
(vgl. ihren in Randnr. 75 der Entscheidung erwähnten internen Vermerk) als auch
von British Steel und Unimétal (vgl. die in Randnr. 77 der Entscheidung erwähnten
Fernschreiben) vorgenommen. Außerdem gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß
diese Unternehmen die Verbreitung individueller Daten unter Konkurrenten als
ungewöhnlich angesehen hätten.
- 322.
- Folglich wurde die „Traverso-Methode“ entgegen der Behauptung der Klägerin für
das vierte Quartal 1988 ein- und durchgeführt und stellte somit kein reines
Denkmodell dar. Das Argument, damals habe Ungewißheit hinsichtlich der
Verlängerung des Quotensystems bestanden, greift im übrigen nicht durch, da die
Sitzung vom 19. Juli 1988 erst nach dem Auslaufen dieses Systems am 30. Juni 1988
stattfand (siehe oben, Randnr. 29). Das Telefax vom 4. August 1988 enthält
zumindest moralisch verpflichtende Formulierungen („Unser Vorsitzender erwartet
von allen Unternehmen, daß sie diese Lieferabsichten, die mit der Preisstabilität
zusammenhängen, nicht überschreiten.“) Die fragliche Vorgehensweise läßt sich
auch nicht mit der Entscheidung Nr. 2448/88 erklären, die Mitteilungen an die
Kommission selbst (und nicht an private Instanzen oder Stellen) über die
tatsächlichen Lieferungen in einem vor der Mitteilung liegenden Zeitraum (und
nicht die „Absichten“ der betreffenden Unternehmen) vorsah. Schließlich stellt der
Schriftwechsel zwischen Unimétal und British Steel insofern einen gewichtigen
Anhaltspunkt für den Gegenstand des Systems dar, als er davon zeugt, daß die
verbreiteten Zahlen eingehalten werden sollten.
- 323.
- Die Klägerin nahm an der Sitzung der Träger-Kommission vom 19. Juli 1988 teil
(Randnr. 38 Buchstabe a der Entscheidung), sie war Adressatin des Telefax vom
4. August 1988, und ihre eigenen Lieferabsichten sind in der diesem Telefax
beigefügten Tabelle enthalten. Ihre Beteiligung an der fraglichen verabredeten
Praktik ist somit rechtlich hinreichend bewiesen.
- 324.
- Im übrigen hinderte die Tatsache, daß die Klägerin die im Rahmen dieses Systems
festgelegten Zahlen überschritt (vgl. Randnr. 76 der Entscheidung), die Kommission
nicht daran, die Zuwiderhandlung im Grundsatz festzustellen.
Zur zweiten Phase des Traverso-Systems (erstes Quartal 1990)
- 325.
- Die Wiederaufnahme des Systems im ersten Quartal 1990 wird durch die beiden
in Randnummer 78 der Entscheidung erwähnten Schriftstücke das Schreiben der
Klägerin an den Vorsitzenden des CDE vom 31. Januar 1990 (S. 3422 f. der Akten)
und den Briefingvermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 (S. 1964 bis 1966 der
Akten) rechtlich hinreichend belegt.
- 326.
- Der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 31. Januar 1990 stimmt mit den
Merkmalen der Traverso-Methode überein. Es ist an den Vorsitzenden des CDE
gerichtet und enthält die „Lieferabsichten“ für die ersten beiden Quartale 1990, die
grundsätzlich durch die Zahlen früherer Zeiträume, d. h. durch „historische Daten“
im Sinne der im Protokoll der Sitzung vom 19. Juli 1988 verwendeten Terminologie
(vgl. Randnr. 72 der Entscheidung), gerechtfertigt werden. Eine besondere
Rechtfertigung wird für das erste Quartal 1990 angegeben; sie geht dahin, daß
verschobene Lieferungen zuvor nicht hätten ausgeführt werden können. Diese
Auslegung wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß als Gegenstand des
Schreibens das „Monitoring poutrelles“ genannt wird.
- 327.
- Das Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 1990 läßt sich nicht mit der Sitzung
vom 2. Februar 1990 erklären, auf das es sich bezieht. Nach dem von der
Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Protokoll diente diese
Sitzung u. a. dazu, eine Bestandsaufnahme der von der Industrie zur Verfolgung
der Entwicklung der Lagerbestände herangezogenen Methoden und Quellen
vorzunehmen, von denen eine, die auf einer produktbezogenen Vorgehensweise
beruhte, tatsächlich wie die Klägerin ausgeführt hat von Eurofer vorgestellt
wurde. Um eine solche Bestandsaufnahme der Methoden zu ermöglichen, war es
aber offensichtlich nicht erforderlich, daß die Hersteller Eurofer individuelle
Lieferabsichten für die verschiedenen nationalen Märkte der Gemeinschaft
mitteilen. Diese Absichten stellen auch keine Informationen über die
Lagerbestände im Sinne von Punkt 3 des Protokolls dar. Unter diesen Umständen
ist das Vorbringen zur Sitzung vom 2. Februar 1990 einschließlich der Rüge einer
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zurückzuweisen, da das
Schriftstück eindeutig kein entlastendes Element enthält.
- 328.
- Im internen Vermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 über die Sitzung der
Träger-Kommission vom 10. Juli 1990 ist die Rede von Angriffen anderer
Hersteller wegen der Absatzentwicklung von British Steel auf dem Kontinent. Das
Unternehmen beruft sich zu seiner Verteidigung darauf, daß sein Absatz im
vorangegangenen Quartal „within the Traverso guidelines“ (innerhalb der Traverso-Vorgaben) geblieben sei. Entgegen der Behauptung der Klägerin ist die
Bezugnahme auf „Vorgaben“ in diesem Vermerk keineswegs unverständlich,
sondern damit zu erklären, daß der Vorsitzende des CDE die Einhaltung der im
Rahmen des Systems festgelegten Zahlen erwartete.
- 329.
- Nach der Antwort der Kommission vom 21. Januar 1998 auf die Fragen des
Gerichts stellt der Vermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 die „Bestätigung“
für die Wiederaufnahme des Traverso-Systems dar, von der in Randnummer 78 der
Entscheidung die Rede ist. Die Klägerin hatte unstreitig während des
Verwaltungsverfahrens Zugang zum relevanten Teil dieses Schriftstücks, und das
gesamte Schriftstück wurde im gerichtlichen Verfahren vorgelegt.
- 330.
- Auch das Vorbringen der Klägerin, daß im Dezember 1989 zu dieser Methode, die
sich als nicht sehr wirkungsvoll erwiesen habe, eine Alternative vorgeschlagen
worden sei (vgl. Nr. 108 der Beschwerdepunkte), ändert nichts daran, daß das
System Anfang 1990 wiederaufgenommen wurde, wie das Schreiben der Klägerin
und der interne Vermerk von British Steel zeigen.
- 331.
- Die Aktennotiz von British Steel über die Sitzung vom 21. März 1990, wonach ein
Mitarbeiter von Unimétal den Zusammenbruch des Systems festgestellt habe (vgl.
Randnr. 79 der Entscheidung), zeigt allenfalls, daß gegen Ende des ersten Quartals
1990, auf das sich der Vorwurf der Kommission beschränkt, nicht mehr mit der
Einhaltung der verbreiteten Zahlen durch die Unternehmen gerechnet werden
konnte. Dies steht der Annahme, daß die Methode bis zu diesem
„Zusammenbruch“ durchaus funktionierte, jedoch nicht entgegen. Zur Beurteilung
der Bedeutung dieser Notiz braucht ihr Verfasser nicht ermittelt zu werden.
- 332.
- Das Argument, daß die Klägerin die in ihrem Schreiben vom 31. Januar 1990
angekündigten Zahlen überschritten habe, reicht zur Widerlegung der von der
Kommission erbrachten Beweise für die Wiederaufnahme des Systems nicht aus.
- 333.
- Nach alledem sind die in der Entscheidung geschilderte Einführung und
Anwendung des streitigen Systems für das vierte Quartal 1988 und das erste
Quartal 1990 rechtlich hinreichend bewiesen. Gleiches gilt für die Beteiligung der
Klägerin an den beiden Phasen dieses Systems.
- 334.
- Vorbehaltlich der im folgenden in Abschnitt D zu prüfenden Erwägungen ist daher
das gesamte Vorbringen der Klägerin in Zusammenhang mit dem Traverso-System
zurückzuweisen.
Zur Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes im vierten Quartal
1989
- 335.
- In Artikel 1 der Entscheidung wird der Klägerin eine Aufteilung des französischen
Marktes zur Last gelegt und für die Festsetzung der Geldbuße von einer Dauer von
drei Monaten ausgegangen.
- 336.
- Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in den Randnummern 63
bis 71 (Sachverhalt) und 260 bis 262 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung auf
eine Vereinbarung zur Aufteilung der Lieferungen auf den französischen Markt für
das vierte Quartal 1989. Diese Vereinbarung sei in der Sitzung der Träger-Kommission vom 21. September 1989 oder kurz davor oder danach zwischen der
Klägerin, Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED, British
Steel, Ensidesa und Unimétal getroffen worden. Ensidesa sei an der Ausarbeitung
des Systems nicht aktiv beteiligt gewesen, habe sich aber daran gehalten.
- 337.
- Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des
französischen Marktes im vierten Quartal 1989 gab. In der Sitzung vom 13.
September 1989 habe der Marktführer in Frankreich an seine Konkurrenten
appelliert, sich angesichts der hohen Lagerbestände bei der Belieferung dieses
Marktes zurückzuhalten. Keines der Unternehmen, an die der Appell gerichtet
worden sei, habe sich jedoch mit dieser Forderung einverstanden erklärt (vgl. den
in Randnr. 63 der Entscheidung erwähnten handschriftlichen Vermerk, S. 3138 der
Akten, in dem im übrigen die Zahlen angegeben würden, auf deren Grundlage die
Diskussion geführt worden sei, sowie das in Randnr. 67 der Entscheidung zitierte
Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September 1989, das die Absicht
der Klägerin wiedergebe, ungekürzt zu liefern). Diese Weigerung habe sich nicht
nur auf die sogenannte „Alternative Gaillard“ bezogen, sondern auf jede
gemeinsame Festlegung der Liefermengen. Im übrigen seien die im Fernschreibenvom 26. September 1989 angegebenen Zahlen um 20 % überschritten worden
(Randnr. 69 der Entscheidung), was beweise, daß der fragliche Appell nicht befolgt
worden sei. Auch aus den übrigen von der Kommission herangezogenen
Unterlagen, insbesondere dem in Randnummer 63 der Entscheidung zitierten
Schriftstück der Walzstahl-Vereinigung, dessen erste Seite der Klägerin nie
übermittelt worden sei, gehe nicht hervor, daß es eine Absprache gegeben habe.
Daß nach den Angaben im Vermerk vom 25. September 1989 selbst die nicht zu
Eurofer gehörenden Hersteller Lieferkürzungen angekündigt hätten, spreche gegen
die Annahme einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedern dieses Verbandes. In
der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, ihre ursprünglichen
Lieferabsichten für den französischen Markt seien geringer gewesen als die von der
Walzstahl-Vereinigung errechnete Zahl, aber höher als die von Herrn Gaillard
vorgeschlagene Zahl. Unter diesen Umständen habe sie an keiner Vereinbarung
über eine Aufteilung des französischen Marktes mitgewirkt.
- 338.
- Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen auf folgende Anhaltspunkte:
a) eine Sitzung von Vertretern der Klägerin, von Thyssen, Saarstahl, British
Steel, Unimétal, TradeARBED und Cockerill-Sambre/Steelinter vom 13.
September 1989, in der es um die Trägerlieferungen auf den französischen
Markt im vierten Quartal 1989 ging (Randnr. 63 der Entscheidung);
b) ein in den Geschäftsräumen der Klägerin entdecktes Schriftstück der
Walzstahl-Vereinigung (Randnr. 63 der Entscheidung, S. 3140 f. der Akten)
sowie einen handschriftlichen Begleitvermerk der Klägerin zu diesem
Schriftstück (S. 3138 der Akten);
c) einen internen Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 (Randnr. 64
der Entscheidung, S. 3139 der Akten);
d) das Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 21. September 1989
(Randnr. 65 der Entscheidung, S. 211 bis 217 der Akten);
e) einen von der Walzstahl-Vereinigung erstellten Vermerk vom 25. September
1989 über die Ergebnisse der Sitzung vom 21. September 1989 (Randnr. 66
der Entscheidung, S. 207 bis 210 der Akten);
f) ein Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September 1989 an
die Klägerin, Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, TradeARBED, British Steel,
Ensidesa und Unimétal (Randnrn. 67 und 261 der Entscheidung, S. 3136 der
Akten);
g) einen Kurzbericht über die Ergebnisse der Sitzung der Träger-Kommission
vom 7. November 1989, in dem von dem Wunsch gesprochen wird, „daß das
.System der Mengen Q4-89 französischer Markt' für Q1-90 verlängert und
auf sämtliche EGKS-Märkte ausgedehnt wird“ (Randnrn. 68 und 261,
letzter Gedankenstrich, der Entscheidung, S. 224 bis 229 der Akten), sowie
das Protokoll dieser Sitzung (Randnr. 71 der Entscheidung, S. 230 bis 235
der Akten).
- 339.
- Überdies stellt die Kommission auf der Grundlage der durch das Liefermonitoring
für das vierte Quartal 1989 ermittelten Daten fest, daß sich die meisten beteiligten
Unternehmen entweder an den erstellten Lieferplan gehalten oder sogar geringere
als die vorgesehenen Mengen geliefert hätten. Nur drei Unternehmen (Thyssen,
Ferdofin und British Steel) hätten diese Mengen deutlich überschritten (Randnrn.
262 und 69 der Entscheidung).
- 340.
- Die Erwägungen, die in den Randnummern 261 und 262 der Entscheidung auf der
Grundlage der in den Randnummern 63 bis 71 aufgezählten Beweismittel angestellt
werden, rechtfertigen in rechtlich hinreichender Weise die Schlußfolgerung der
Kommission, daß für das vierte Quartal 1989 unter Bezugnahme auf die
Mengenangaben in dem in Randnummer 67 zitierten Fernschreiben vom 26.
September 1989 eine Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes
getroffen wurde.
- 341.
- Erstens geht aus den in den Randnummern 63 und 64 der Entscheidung genannten
Anhaltspunkten hervor, daß sich die betreffenden Unternehmen im Anschluß an
die Sitzung der Träger-Kommission vom 13. September 1989, in der es u. a. um die
Lieferungen auf den französischen Markt ging, und vor der Sitzung vom 21.
September 1989 um eine solche Vereinbarung bemühten.
- 342.
- Der interne Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 (Randnr. 64, S. 3139
der Akten) zeigt, daß diese Unternehmen Gespräche aufgenommen hatten, um auf
der Grundlage von zwei Vorschlägen einen Aufteilungsschlüssel zu finden. In dem
von der Walzstahl-Vereinigung erstellten Schriftstück (S. 3141 der Akten), auf das
der Verfasser des Vermerks Bezug nimmt, werden die vorangegangenen
Lieferungen der betreffenden Unternehmen und auf dieser Grundlage zwei
verschiedene Aufteilungsschlüssel dargestellt. Der erste trägt die Überschrift
„französischer Markt Träger 4. Quartal 1989“, und der zweite wird mit
„Alternative Gaillard“ bezeichnet. Die Klägerin hatte im übrigen Zugang zur ersten
Seite des Schriftstücks auf Seite 3141 der Akten (S. 3388 der Akten), das Daten
über die früheren Lieferungen der betreffenden Unternehmen auf den
französischen Markt enthält, denn das gesamte Schriftstück wurde in ihren eigenen
Geschäftsräumen gefunden. Außerdem wurde ihr zusammen mit der Mitteilung der
Beschwerdepunkte eine Kopie übersandt (vgl. Anhang 3 dieser Mitteilung), und das
Schriftstück stand ihr in den Akten der Kommission zur Verfügung (vgl. Anhang 2
der Mitteilung der Beschwerdepunkte).
- 343.
- Nach dem Vermerk vom 19. September 1989 war die Klägerin damit
„einverstanden“, daß anhand des „von der [Walzstahl-Vereinigung]
zusammengestellte[n] Papier[s]“, das sie als „Basis für die Aufteilung der Eurofer-Einlieferer“ ansah, bei ihr der den früheren Lieferungen entsprechende Prozentsatz
Anwendung findet. Unter einem Vorbehalt („Die Basis muß jedoch 33 000 moto
[Monatstonnen] sein.“) sprach sie sich für den ersten Aufteilungsschlüssel aus und
lehnte den zweiten, von einem Mitarbeiter von Unimétal vorgeschlagenen Schlüssel
(die „Alternative Gaillard“) ab. Dieser Standpunkt wird auch in dem in
Randnummer 63, letzter Absatz, der Entscheidung erwähnten handschriftlichen
Vermerk dieses Unternehmens (S. 3138 der Akten) vertreten. Aus beiden
Schriftstücken geht hervor, daß auch die übrigen Unternehmen die „Alternative
Gaillard“ ablehnten.
- 344.
- Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin ihre Absicht bekanntgegeben
hätte, den französischen Markt ungekürzt zu beliefern. Selbst wenn man unterstellt,
daß die von der Walzstahl-Vereinigung für sie errechnete individuelle Menge ihre
ursprünglichen Lieferabsichten überstieg, hatte sie kein Interesse daran, die
Zuteilung dieser Menge abzulehnen.
- 345.
- Zweitens werden im Protokoll der Sitzung, die am 21. September 1989 zwei Tage,
nachdem der vorgenannte Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 verfaßt
worden war stattfand, zwar nur die von Unimétal vorzunehmenden Lieferungen
erwähnt; offenbar hatten aber alle betroffenen Werke „reduzierte Lieferabsichten“
angekündigt (vgl. den Vermerk der Walzstahl-Vereinigung, Randnr. 66 der
Entscheidung, S. 207 bis 210 der Akten). Die zuletzt genannte Angabe kann
vernünftigerweise nur so verstanden werden, daß die wenige Tage zuvor entfalteten
Bemühungen zur Erzielung einer Vereinbarung über die auf den französischen
Markt zu liefernden Mengen Erfolg hatten. In Anbetracht des Zusammenhangs
dieser vorangegangenen Gespräche kann mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen werden, daß die von den betroffenen Unternehmen angekündigten
Lieferungen auf eigenständig getroffenen Entscheidungen beruhten. Die von der
Klägerin angeführte Tatsache, daß selbst nicht zu Eurofer gehörende Unternehmen
geplante Lieferkürzungen angekündigt hatten, schließt die Annahme einer
Vereinbarung zwischen den in der Entscheidung genannten Unternehmen, zu
denen auch die Klägerin gehört, nicht aus.
- 346.
- Drittens wurden im Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September
1989 (Randnr. 67 der Entscheidung, S. 3136 der Akten) die Einzelheiten der damit
erzielten Vereinbarung deren Parteien mitgeteilt. Bei den Unternehmen, für die
eine Liefermenge angegeben wird, handelt es sich um diejenigen, für die eine
solche Menge in den vorbereitenden Unterlagen der Walzstahl-Vereinigung
vorgesehen war; nur Klöckner erscheint (mit einer unbedeutenden Menge) allein
in diesen vorbereitenden Unterlagen (Randnr. 63 der Entscheidung). Eine
aufmerksame Prüfung der Zahlen zeigt im übrigen, daß die in den zuletzt
genannten Unterlagen bei sieben der betroffenen Unternehmen (der Klägerin,
Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, Cockerill-Sambre, ARBED und British Steel)
verwendeten vergangenheitsbezogenen Prozentsätze offenbar als Grundlage für die
Ermittlung des endgültigen auf jedes von ihnen entfallenden Anteils an der ihnen
zugeteilten Gesamtmenge dienten. So betrugen die vergangenheitsbezogenen
Prozentsätze im Fall der Klägerin 11,6 % und 11,4 %, und ihr endgültiger Anteil
lag nach dem Fernschreiben vom 26. September 1989 bei 11,5 %.
- 347.
- Daß die im fraglichen Fernschreiben angegebenen Mengen dort als „Zirka-Mengen“ bezeichnet werden, steht der Annahme, daß sie Gegenstand einer
Vereinbarung der betroffenen Unternehmen waren, nicht entgegen.
- 348.
- Viertens vertraten die Unternehmen in der Sitzung vom 7. November 1989, an der
die Klägerin teilnahm, offenbar die Ansicht, daß die im streitigen Quartal
auszuliefernden Bestellungen einen „angemessenen“ Umfang hätten (vgl. den in
Randnr. 68 der Entscheidung erwähnten Kurzbericht und das in Randnr. 71
erwähnte Protokoll, S. 230 bis 235 der Akten), und äußerten den Wunsch, „daß das
.System der Mengen Q4-89 französischer Markt' für Q1-90 verlängert und auf
sämtliche EGKS-Märkte ausgedehnt wird“. Im Zusammenhang gesehen bedeutet
diese Angabe, daß ein solches System zur Aufteilung der Mengen für den
betreffenden Markt und das betreffende Quartal tatsächlich eingeführt worden war.
- 349.
- Fünftens werden die soeben genannten Beweise durch die Aussagen, die Herr
Mette und Herr Kröll, zwei Mitarbeiter der Klägerin, in der mündlichen
Verhandlung gemacht haben, nicht entkräftet.
- 350.
- Herr Mette hat im wesentlichen ausgeführt, aufgrund der damaligen überhöhten
Lagerbestände auf dem französischen Markt habe die Walzstahl-Vereinigung eine
Umfrage durchgeführt, um in Erfahrung zu bringen, welche Lieferabsichten die
Unternehmen für diesen Markt im betreffenden Quartal hätten. Konfrontiert mit
den zwei Berechnungen, die in den von dieser Vereinigung vorbereiteten
Unterlagen enthalten gewesen seien, habe die Klägerin ihr mitgeteilt, daß sie 9 500
Tonnen liefern wolle. Dies habe sie aufgrund der vorstehend geschilderten Situation
bei den Lagerbeständen von sich aus getan. Da die mitgeteilte Menge unter der
von der Walzstahl-Vereinigung errechneten Menge gelegen habe, sei die Klägerin
in dieser Frage nicht mehr angesprochen worden und habe sich an keiner
Vereinbarung oder Abstimmung beteiligt. Er habe von derlei Vereinbarungen oder
Abstimmungen für das zweite Halbjahr 1989 und den französischen Markt auch
nichts gehört. Wenn die Unternehmen wegen der hohen Lagerbestände tatsächlich
reduzierte Lieferabsichten angegeben hätten, seien sie nicht davon ausgegangen,
sich um die Einhaltung der im Fernschreiben vom 26. September 1989 mitgeteilten
Zahlen bemühen zu müssen. Damals habe jedes Unternehmen seine eigene Politik
verfolgt. Die Klägerin habe sich jedenfalls nicht an die sie betreffende Zahl
gehalten.
- 351.
- Aus den internen Unterlagen der Klägerin (Randnrn. 63 und 64 der Entscheidung;
S. 3138 f. der Akten) geht aber klar hervor, daß sich die zuständigen Mitarbeiter
dieses Unternehmens und insbesondere der Zeuge Mette damals des Erfordernisses
bewußt waren, zwischen zwei Verteilungsschlüsseln zu wählen; diese Situation läßt
sich nach Ansicht des Gerichts nur mit dem Versuch erklären, insoweit zu einem
Konsens zu gelangen. Die Aussagen des Zeugen lassen keine andere Auslegung zu.
Aus ihnen geht insbesondere nicht hervor, weshalb es in einer Situation, in der
jedes Unternehmen angeblich eigenständig über sein Marktverhalten entschied,
erforderlich gewesen sein soll, nicht nur eine „Umfrage“ über die Lieferabsichten
durchzuführen, sondern den Unternehmen neben einer Warnung wegen der hohen
Lagerbestände auch noch genaue Vorschläge über die Aufteilung einer bestimmten
Gesamtliefermenge anhand ihrer früheren Lieferungen zu unterbreiten. Die
Aussagen des Zeugen bieten auch für den Umstand, daß Unimétal es für
erforderlich hielt, in der Sitzung vom 21. September 1989 (Randnr. 65 der
Entscheidung) nach der Schätzung des sichtbaren Verbrauchs nicht nur die von ihr
selbst geplanten Lieferungen zu erörtern, sondern auch die Mengen, die ihres
Erachtens von den Unternehmen, die nicht zu Eurofer gehörten, und aus
Drittländern zu erwarten waren, keine andere Erklärung als die, daß es eine
Absprache über die Marktaufteilung gab. Schließlich sollten sowohl der Inhalt des
Fernschreibens vom 26. September 1989 als auch der in der Sitzung der Träger-Kommission vom 7. November 1989 geäußerte Wunsch, das „System der Mengen
Q4-89 französischer Markt“ zu verlängern und auszudehnen (Randnr. 68 der
Entscheidung), die Klägerin an die Existenz der vereinbarten Marktaufteilung
erinnern. Die Aussage des Zeugen, daß sein Unternehmen wegen einer solchen
Aufteilung nicht weiter angesprochen worden sei und daß er selbst nichts davon
gehört habe, ermöglicht keine abweichende Auslegung.
- 352.
- Herr Kröll hat ausgesagt, er habe in Vertretung von Herrn Mette an einer Sitzung
im September 1989 teilgenommen, in der es um die Marktsituation in Frankreich
gegangen sei. Herr Gaillard, ein Mitarbeiter von Unimétal, habe wegen derÜberversorgung französischer Händler eine Lieferzurückhaltung aller Beteiligten
für erforderlich gehalten. Die Walzstahl-Vereinigung habe dazu Modellrechnungen
erstellt, die Herr Kröll mit einer handschriftlichen Notiz an Herrn Mette, den in
dieser Angelegenheit Zuständigen, weitergegeben habe. Im Beisein des Zeugen sei
keine Vereinbarung über eine konkrete Verringerung der Lieferungen einzelner
Unternehmen auf den französischen Markt getroffen worden. Seines Wissens liege
eine solche Vereinbarung auch den Berechnungen der Walzstahl-Vereinigung nicht
zugrunde.
- 353.
- Insoweit genügt die Feststellung, daß keine dieser Aussagen dem in der
Entscheidung gezogenen Schluß entgegensteht, daß die streitige Vereinbarung nach
der Sitzung vom 13. September 1989 auf der Grundlage der von der Walzstahl-Vereinigung angestellten Berechnungen getroffen wurde, als der Zeuge nicht mehr
in das Geschehen einbezogen war.
- 354.
- Zur Beteiligung der Klägerin an dieser Vereinbarung ist festzustellen, daß sie an
der Sitzung vom 13. September 1989 teilnahm (Randnr. 63 der Entscheidung) und
daß die vorbereitenden Unterlagen der Walzstahl-Vereinigung ihre Liefermengen
enthielten. Ihre eigenen internen Unterlagen (S. 3138 f. der Akten) belegen, daß
sie sich an dieser Vorbereitungsphase aufmerksam beteiligte. Sie nahm auch an der
Sitzung vom 21. September 1989 teil. Die von der Walzstahl-Vereinigung am 26.
September 1989 versandte Übersicht (Randnr. 67 der Entscheidung) war u. a. an
die Klägerin gerichtet, und unter ihrem Namen ist darin eine Liefermenge zu
finden. Aus all diesen übereinstimmenden Anhaltspunkten ist zu folgern, daß die
Klägerin an der streitigen Vereinbarung mitwirkte.
- 355.
- Nach alledem sind der Abschluß der streitigen Vereinbarung und die Beteiligung
der Klägerin an ihr rechtlich hinreichend bewiesen. Diese Vereinbarung zielte auf
eine Aufteilung der Märkte im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages
ab und war somit vorbehaltlich der im folgenden in Abschnitt D zu prüfenden
Umstände nach dieser Bestimmung verboten.
Zum Informationsaustausch in der Träger-Kommission (Auftrags- und
Liefermonitoring) und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung
- 356.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung nahm die Klägerin 30 Monate lang an einem
„Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der Träger-Kommission und
der Walzstahl-Vereinigung“ teil. In den Randnummern 39 bis 60 (Sachverhalt) und
263 bis 272 (rechtliche Würdigung) stellt die Kommission die Einzelheiten dieser
Systeme dar.
- 357.
- Der im allgemeinen als „Monitoring“ bezeichnete Austausch von Informationen im
Rahmen der Träger-Kommission bestand aus zwei Teilen, die die Aufträge und die
Lieferungen der beteiligten Unternehmen betrafen (Randnr. 263 der
Entscheidung). Er wurde vom Sekretariat der Träger-Kommission organisiert
(Randnr. 47), das damals von Usinor Sacilor wahrgenommen wurde (Randnr. 33)
und das die Zahlen sammelte und sie in Form von Statistiken weitergab
(Randnr. 40).
- 358.
- Das 1984 eingeführte Auftragsmonitoring erlaubte es den beteiligten Unternehmen,
sich gegenseitig regelmäßig über die bei ihnen eingegangenen Aufträge zu
unterrichten, die in einem bestimmten Quartal in folgenden Ländern ausgeliefert
werden sollten (Randnr. 39): Frankreich, Deutschland, Belgien/Luxemburg,
Niederlande, Vereinigtes Königreich, Italien, Spanien, Portugal und
Griechenland/Irland/Dänemark. Mindestens seit Anfang 1989 wurden diese Zahlen
vom Sekretariat der Träger-Kommission auf wöchentlicher Basis zusammengestellt
und weitergegeben (Randnr. 40).
- 359.
- Das Liefermonitoring, das erstmals Anfang 1989 mit den Statistiken für das vierte
Quartal 1988 durchgeführt wurde, betraf die vierteljährlichen Lieferungen der
Teilnehmer auf den EGKS-Märkten (Randnr. 41). Nach Unternehmen
aufgeschlüsselte Zahlen wurden für folgende Märkte ausgetauscht: EGKS
insgesamt, Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Benelux, Italien,
Griechenland/Irland/Dänemark, Portugal und Spanien. Diese Zahlen wurden einen
oder zwei Monate nach dem Ende des jeweiligen Quartals verteilt (Randnr. 42).
- 360.
- Der Entscheidung zufolge wurden die Monitoring-Systeme Ende Juli 1990 im
Anschluß an den Erlaß der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ ausgesetzt
(Randnrn. 43 bis 46), später aber wiederaufgenommen (Randnr. 45). So seien
individualisierte Zahlen der von der Klägerin und anderen beteiligten Unternehmen
im vierten Quartal 1990 und im ersten Quartal 1991 auszuliefernden Bestellungen
dem Sekretariat der Träger-Kommission übermittelt und von der
Walzstahl-Vereinigung im Dezember 1990 und im Januar 1991 weitergegeben
worden (Randnr. 46 und Anhang 1, Nr. 28, der Entscheidung).
- 361.
- Dieser Informationsaustausch in der Träger-Kommission wurde durch einen
Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung ergänzt. Die
Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf Aufstellungen vom 1. Oktober
1990 und vom 23. November 1990 über die Lieferungen und die Auftragseingänge
der Klägerin und anderer Unternehmen auf den einzelnen Märkten der
Gemeinschaft. In den ersten, für die Sitzung der Träger-Kommission vom 9.
Oktober 1990 vorbereiteten Aufstellungen seien die von Januar bis Juli 1990
gelieferten Mengen monatsweise aufgeschlüsselt worden. Sie hätten ferner für die
Zeit vom 2. Juni bis zum 22. September 1990 den wöchentlichen Stand der im
dritten und vierten Quartal dieses Jahres auszuliefernden Aufträge enthalten. Die
für die Sitzung der Träger-Kommission vom 4. Dezember 1990 vorbereiteten
Aufstellungen vom 23. November 1990 hätten in gleicher Weise aufgeschlüsselte,
aber neuere Zahlen über die von Januar bis September 1990 gelieferten Mengen
und die im vierten Quartal dieses Jahres auszuliefernden Aufträge enthalten
(Randnrn. 47 und 48 der Entscheidung).
- 362.
- In den Randnummern 49 bis 60 und 268 der Entscheidung macht die Kommission
geltend, der Informationsaustausch sei häufig von Gesprächen in der Träger-Kommission begleitet worden, in deren Verlauf sich die Unternehmen über das
Verhalten ihrer Konkurrenten bei Aufträgen oder Ausfuhren sowie über
Unterschiede zwischen den angekündigten Aufträgen und den ausgeführten
Lieferungen beklagt hätten.
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
- 363.
- Ohne sich gegen die in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen
zu wenden, vertritt die Klägerin die Auffassung, durch die Teilnahme an dem
innerhalb der Träger-Kommission praktizierten Monitoring-System nicht gegen
Artikel 65 des Vertrages verstoßen zu haben.
- 364.
- Sie trägt vor, die Kommission selbst habe zusammen mit Eurofer im Rahmen einer
1978 gegründeten „Monitoring-Group“ auf der Grundlage von Artikel 46 des
Vertrages ein Monitoring-System eingeführt, das im Rahmen der Entscheidung Nr.
2448/88 fortgesetzt worden sei. Dieses System habe darauf abgezielt, jedem
Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich jederzeit über die Übereinstimmung
zwischen seinem Produktions- und Lieferprogramm und dem von der Kommission
aufgestellten Programm zu unterrichten und seine Unsicherheit über das
Marktverhalten der Konkurrenten zu verringern. Die Kommission habe ihre
Stahlpolitik auf die Vorausschätzungen von Eurofer gestützt, die als besonders
verläßlich gegolten hätten. Das System habe zur eingehenden Marktbeobachtung
und nicht zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen oder Praktiken gedient.
- 365.
- Aufgrund des Auftrags- und Liefermonitorings hätten die Unternehmen zwar
nachträglich das Marktverhalten ihrer Konkurrenten erkennen können. Sie hätten
sich jedoch darauf beschränkt, schriftlich die Informationen festzuhalten, die damals
dank der durch die Diskussionen zwischen ihnen und der Kommission entstandenen
Markttransparenz verfügbar gewesen seien. Wie die Artikel 5 und 46 des Vertrages
zeigten, die für jedes Unternehmen und für jede Produktkategorie in allen
Mitgliedstaaten eine Produktionsplanung vorsähen, führe die Veröffentlichung von
Marktvorausschätzungsprogrammen zu einer vollständigen Markttransparenz
hinsichtlich der von den einzelnen Unternehmen vorgesehenen Lieferungen. Die
Kommission erwarte von den Unternehmen, daß sie sich an diesen
Vorausschätzungen orientierten; dies könne nur mit Hilfe des Monitoring
geschehen. Im übrigen gebe es keinen Beweis für die Behauptung in Randnummer
269 der Entscheidung, daß der Informationsaustausch zur Koordinierung des
Marktverhaltens gedient habe. Er habe vielmehr die nötigen Voraussetzungen für
ein unabhängiges und selbständiges Verhalten jedes Unternehmens im Rahmen des
vom EGKS-Vertrag gewollten informierten Wettbewerbs geschaffen. Die
Unternehmen hätten sich tatsächlich so verhalten (vgl. Randnrn. 51, 53 und 60 der
Entscheidung). Artikel 65 des Vertrages könne jedenfalls keinen mit dem
Diskriminierungsverbot und dem Grundsatz der Transparenz, die in Artikel 60
verankert seien, unvereinbaren Wettbewerb schützen.
- 366.
- Zur Aktualität der ausgetauschten Informationen (Randnr. 268 der Entscheidung)
sei festzustellen, daß diese nur bereits realisierte Vorgänge (Aufträge oder
Lieferungen) und damit Mengen betroffen hätten, die dem Markt und dem
Wettbewerb schon entzogen gewesen seien. Sie hätten es den Unternehmen
deshalb nicht ermöglicht, ihr künftiges Verhalten zu koordinieren.
- 367.
- Außerdem seien Informationen der im Rahmen des Monitoring ausgetauschten Art
von den Unternehmen seit vielen Jahren nicht mehr als streng vertraulich
betrachtet worden.
- 368.
- Die von der Kommission hervorgehobene Besonderheit, daß es sich um einen
oligopolistischen Markt mit homogenen Gütern handele, habe schon beim
Inkrafttreten des Vertrages bestanden. Darüber hinaus gehöre das Prinzip der
Gruppensolidarität nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 18.
März 1980 in den Rechtssachen 154/78, 205/78, 206/78, 226/78, 227/78, 228/78,
263/78 und 264/78, 31/79, 39/79, 83/79 und 85/79, Valsabbia u. a./Kommission,
Slg. 1980, 907) zu den tragenden Grundsätzen des Vertrages.
- 369.
- Die Kommission könne sich nicht auf das Interesse berufen, zugunsten der
Abnehmer den „Geheimwettbewerb“ zu erhalten, der nach ihren Angaben selbst
auf oligopolistisch strukturierten Märkten existiere. Der EGKS-Vertrag kenne
keinen legalen Geheimwettbewerb. So müßten sogar die nicht der
Veröffentlichungspflicht unterliegenden Abweichungen den Konkurrenten mitgeteilt
werden (vgl. Artikel 5 Absätze 1 und 2 und Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der
Entscheidung Nr. 31/53 der Hohen Behörde vom 2. Mai 1953 über die
Veröffentlichung der von den Unternehmen der Stahlindustrie angewandten
Preislisten und Verkaufsbedingungen, ABl. 1953, Nr. 6, S. 111, in der im ABl. C 29
vom 12. Mai 1973, S. 32, veröffentlichten geänderten Fassung).
- 370.
- Die in der Träger-Kommission auf der Grundlage der ausgetauschten Zahlen
geführten Diskussionen seien von der Kommission nicht als Teil von
Mengenabsprachen beanstandet worden. Anders als in dem Fall, der zur
Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ geführt habe, hätten sich die Reaktionen
der Konkurrenten im vorliegenden Fall auf gelegentliche Ermahnungen beschränkt,
traditionelle Lieferströme einzuhalten. Die Aufrechterhaltung dieser Lieferströme
sei aber auch nach dem Ende der Krisenregelung das erklärte Ziel der Stahlpolitik
der Kommission gewesen. Die Kommission könnte den Unternehmen nur dann
vorwerfen, über das zulässige Maß hinausgegangen zu sein, wenn sie damals die
Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem Monitoring unter Berücksichtigung
des Transparenzprinzips des EGKS-Vertrags klargestellt hätte.
- 371.
- Schließlich verbiete Artikel 65 § 1 des Vertrages nur Absprachen, die auf die
Verfälschung des normalen Wettbewerbs „abzielen“. Diese Voraussetzung sei im
vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Klägerin keine Wettbewerbsbeeinträchtigung
beabsichtigt habe. In ihrem internen Vermerk vom 10. September 1990, auf den
sich die Kommission stütze (Randnr. 59 der Entscheidung), sei lediglich von einigen
bei Eurofer entstandenen Zweifeln und von der Absicht der Klägerin die Rede, das
Marktverhalten der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer im nachhinein zu erkennen.
- 372.
- Nach Ansicht der Kommission war der im vorliegenden Fall von den Unternehmen
vorgenommene Informationsaustausch aus den in den Randnummern 263 bis 272
der Entscheidung genannten Gründen mit Artikel 65 des Vertrages unvereinbar.
- 373.
- In ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat
die Kommission indessen geltend gemacht, daß die streitigen
Informationsaustauschsysteme keine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages dargestellt hätten, sondern Bestandteil umfassenderer
Zuwiderhandlungen gewesen seien, die insbesondere in Preisfestsetzungs- und
Marktaufteilungsabsprachen bestanden hätten. Sie hätten daher insofern gegen
Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen, als sie die Begehung dieser anderen
Zuwiderhandlungen erleichtert hätten. In der mündlichen Verhandlung hat die
Kommission Zweifel an der unmittelbaren Übertragbarkeit der „Traktor-Urteile“
des Gerichtshofes und des Gerichts (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Mai 1998 in
der Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnrn. 88 bis
90; Urteil des Gerichts in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnr. 51) auf den
EGKS-Vertrag geäußert und zugleich vorgetragen, es handele sich hier nicht nur
um einen Informationsaustausch, sondern wie vor allem aus den Randnummern49 bis 60 der Entscheidung hervorgehe auch um die Verwendung dieser
Informationen zu unerlaubten Zwecken.
Würdigung durch das Gericht
Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
- 374.
- In Anbetracht des Vorbringens der Kommission in ihrer schriftlichen Antwort vom
21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist zunächst festzustellen, ob
es sich bei der Zuwiderhandlung, die der Klägerin in den Randnummern 263 bis
272 der Entscheidung zur Last gelegt wird, um eine eigenständige Zuwiderhandlung
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages handelt oder ob die streitigen
Informationsaustauschsysteme deshalb eine Zuwiderhandlung darstellen, weil sie
die Begehung der übrigen in der Entscheidung aufgeführten Zuwiderhandlungen
erleichterten. Dies ist nicht nur für die rechtliche Bewertung der fraglichen
Verhaltensweisen von Bedeutung, sondern auch für die Frage, ob zur Ahndung
dieser Verhaltensweisen eine gesonderte Geldbuße festgesetzt werden durfte.
- 375.
- In Randnummer 267 der Entscheidung vertritt die Kommission die Ansicht, daß die
fraglichen Unternehmen über das zulässige Maß eines Informationsaustauschs
hinausgegangen seien, da erstens die ausgetauschten Informationen über die
Lieferungen und die auf den einzelnen Märkten auszuliefernden Aufträge jedes
Unternehmens gewöhnlich als streng vertraulich betrachtet würden und zweitens
die Zahlen über die Auftragseingänge wöchentlich fortgeschrieben und rasch an die
Teilnehmer weitergegeben worden seien, während die Zahlen über die Lieferungen
kurz nach Ende des jeweiligen Quartals weitergegeben worden seien. Die
Kommission zieht daraus folgenden Schluß: „Jedes teilnehmende Unternehmen
kannte somit in umfassender und detaillierter Weise die von seinen Wettbewerbern
geplanten Lieferungen und deren tatsächliche Lieferungen. Damit waren die
Unternehmen in der Lage, das von ihren Wettbewerbern beabsichtigte bzw.
tatsächliche Marktverhalten zu erkennen und ihr eigenes Handeln
dementsprechend einzurichten.“
- 376.
- Sodann führt die Kommission in den Randnummern 267 und 268 der Entscheidung
aus, dies sei der Grund für den Austausch gewesen, da die ausgetauschten
Informationen als Grundlage für die in den Randnummern 49 bis 60 der
Entscheidung beschriebenen Erörterungen über die Handelsströme gedient hätten.
Die Unternehmen hätten diese Zahlen sehr genau verfolgt und nachgeprüft, ob sich
die Lieferungen mit den angekündigten Aufträgen gedeckt hätten. Den Parteien sei
es bei den Erörterungen gelungen, einen „beachtlichen Grad an Transparenz
untereinander zustandezubringen“. Die Kommission fügt hinzu, wenn es sich um
einen auf Zahlen von rein historischem Wert beschränkten Austausch ohne
mögliche Auswirkung auf den Wettbewerb gehandelt hätte, wären solche
Erörterungen nicht zu erklären.
- 377.
- In Randnummer 269 der Entscheidung kommt die Kommission zu dem Ergebnis,
daß die Parteien ein „Solidaritäts- und Kooperationssystem, das dazu bestimmt war,
[ihre] Geschäftstätigkeiten zu koordinieren“, geschaffen und damit „an die Stelle
der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit, in deren Zuge
Wettbewerbsbedingungen entstanden, die von jenen in einer normalen
Marktsituation verschieden waren“, gesetzt hätten.
- 378.
- In den Randnummern 270 und 271 der Entscheidung weist die Kommission darauf
hin, daß der Austausch individueller Informationen, die das Marktverhalten der
Unternehmen beeinflussen könnten, durch ihre am 29. Juli 1968 veröffentlichte
Bekanntmachung über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl.
C 75, S. 3, berichtigt im ABl. C 84, S. 14; im folgenden: Bekanntmachung von
1968), nicht gedeckt sei. Aus den im Rahmen des EWG-Vertrags erlassenen
Entscheidungen 87/1/EWG vom 2. Dezember 1986 betreffend ein Verfahren nach
Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.128 Fettsäuren, ABl. 1987, L 3, S. 17; im
folgenden: Fettsäuren-Entscheidung) und 92/157/EWG vom 17. Februar 1992 in
einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.370 und 31.446 UK
Agricultural Tractor Registration Exchange, ABl. L 68, S. 19; im folgenden:
Entscheidung „UK Agricultural Tractor Registration Exchange“) ergebe sich, daß
der vorliegende Informationsaustausch, der genaue und aktuelle Informationen
über die Auftragseingänge und die Lieferungen der Hersteller umfaßt habe, mit
denen sich in einem engen Oligopol das Verhalten der einzelnen Unternehmen
ermitteln lasse, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen habe.
- 379.
- Die Kommission hat ihre rechtliche Würdigung in den Randnummern 263 bis 271
der Entscheidung demnach auf die in den Randnummern 49 bis 60 der
Entscheidung geschilderten Merkmale des Monitoring und des
Informationsaustauschs im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung gestützt, zu denen
auch die Erörterungen über die Handelsströme gehörten, die auf der Grundlage
der ausgetauschten Informationen stattfanden.
- 380.
- Auch wenn aus der Entscheidung ferner hervorgeht, daß das Monitoring einige
andere den betreffenden Unternehmen zur Last gelegte Zuwiderhandlungen,
insbesondere die „Traverso-Methode“ und die Vereinbarung über den
französischen Markt im vierten Quartal 1989, tatsächlich erleichterte, gibt es in der
Entscheidung keinen Anhaltspunkt dafür, daß dies bei der rechtlichen Würdigung
des streitigen Informationsaustauschsystems im Hinblick auf Artikel 65 § 1 des
Vertrages berücksichtigt wurde.
- 381.
- Im Ergebnis wurden die streitigen Informationsaustauschsysteme somit in den
Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung als eigenständige Zuwiderhandlungen
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages angesehen. Das Vorbringen der Kommission
in ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist
daher zurückzuweisen, soweit es auf die Änderung dieser rechtlichen Würdigung
abzielt.
Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring
- 382.
- Artikel 65 § 1 des Vertrages beruht auf dem Grundgedanken, daß jeder
Wirtschaftsteilnehmer die Politik, die er auf dem Gemeinsamen Markt verfolgen
möchte, eigenständig zu bestimmen hat.
- 383.
- Im vorliegenden Fall waren die weitergegebenen Angaben über die Aufträge und
Lieferungen der Teilnehmer auf den wichtigsten Märkten der Gemeinschaft nach
Unternehmen und nach Mitgliedstaaten aufgeschlüsselt. Sie erlaubten es somit, die
Position jedes Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtabsatz der Teilnehmer auf
allen betroffenen räumlichen Märkten in Erfahrung zu bringen.
- 384.
- Dank der Aktualität der Daten und der Häufigkeit ihrer Übermittlung waren die
Unternehmen in der Lage, jeden Schritt bei der Entwicklung der Anteile der
Teilnehmer an den fraglichen Märkten genau zu verfolgen.
- 385.
- So wurden die Zahlen über die in einem bestimmten Quartal auszuliefernden
Aufträge (Auftragsmonitoring) vom Sekretariat der Träger-Kommission wöchentlich
zusammengestellt und weitergegeben (Randnr. 40 der Entscheidung). Aus den in
Anhang 1 der Entscheidung genannten Unterlagen geht ferner hervor, daß
zwischen dem Bezugszeitpunkt einer Übersicht und dem Zeitpunkt, zu dem sie
erstellt oder den Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, normalerweise
weniger als drei Wochen lagen. Ebenso wurden die in Anhang 1 der Entscheidung
aufgeführten Liefertabellen mit einer Ausnahme (und zwar der in Nr. 26 des
Anhangs genannten Tabelle, die etwa zwei Monate nach dem Bezugsquartal
datiert) entweder vor dem Ende des Bezugsquartals bisweilen sogar mehrere
Wochen davor oder einige Tage danach verbreitet.
- 386.
- Die Lieferzahlen wurden stets weniger als drei Monate nach dem Ende des
betreffenden Quartals verbreitet.
- 387.
- Die gesamte so gestaltete Zusammenarbeit beschränkte sich allein auf die
teilnehmenden Hersteller unter Ausschluß der Verbraucher und der übrigen
Konkurrenten.
- 388.
- Es ist im übrigen unstreitig, daß der Austausch homogene Produkte betraf (vgl.
Randnr. 269 der Entscheidung), so daß der Wettbewerb anhand der Merkmale der
Produkte nur eine begrenzte Rolle spielte.
- 389.
- Zur Marktstruktur ist festzustellen, daß 1989 auf zehn der am Monitoring der
Träger-Kommission teilnehmenden Unternehmen zwei Drittel des sichtbaren
Verbrauchs entfielen (Randnr. 19 der Entscheidung). Bei einer solchen
oligopolistischen Struktur des Marktes, die selbst schon den Wettbewerb verringern
kann, ist es um so notwendiger, die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und
den verbleibenden Wettbewerb zu schützen.
- 390.
- Die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung genannten Anhaltspunkte
bestätigen, daß die streitigen Systeme in Anbetracht aller Umstände des
vorliegenden Falles, insbesondere der Aktualität und der Aufschlüsselung der allein
für die Hersteller bestimmten Daten, der Produktmerkmale und des
Konzentrationsgrads des Marktes, die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer
erheblich beeinflußten.
- 391.
- Im allgemeinen waren die verbreiteten Informationen Gegenstand regelmäßiger
Erörterungen in der Träger-Kommission. Wie vor allem die in Randnummer 268
der Entscheidung wiedergegebenen Anhaltspunkte zeigen, wurden als überhöht
angesehene Auftragseingänge (Randnr. 51) und Lieferungen der Betroffenen,
insbesondere in andere Mitgliedstaaten (Randnrn. 51, 53 und 60), kritisiert, wobei
in einigen Fällen die Lieferungen zwischen zwei Ländern oder Zonen analysiert
wurden (Randnrn. 53, 55 und 57). So ist z. B. in einer Übersicht, die die Klägerin
im März 1990 an British Steel sandte (S. 1864 der Akten), u. a. die Differenz
zwischen den Lieferungen von British Steel nach Deutschland und den Lieferungen
deutscher Hersteller in das Vereinigte Königreich angegeben. Sie enthält folgende
handschriftliche Anmerkung von Herrn Kröll, dem Mitarbeiter der Klägerin:
„According to these figures there is I fear no backlog due to BS plc!“ (Nach
diesen Zahlen gibt es so fürchte ich keinen Rückstand zugunsten von BS plc!)
Im übrigen nahmen die Unternehmen regelmäßig auf Zahlen aus der
Vergangenheit Bezug (Randnrn. 51, 53, 57 und 58), wobei sie den Begriff
„traditionelle Handelsströme“ verwandten (Randnr. 57). Bei den Erörterungen
wurden wegen als überzogen angesehener Verhaltensweisen Drohungen
ausgesprochen (Randnr. 58), und die kritisierten Unternehmen versuchten
mehrfach, ihr Verhalten zu erklären (Randnrn. 52 und 56). Schließlich diente die
Verbreitung der Lieferzahlen offenbar auch zur Aufdeckung etwaiger
Abweichungen von den angekündigten Aufträgen (Randnr. 54). Auf diese Weise
verbesserte das Liefermonitoring die Effektivität des Auftragsmonitoring (vgl.
Randnr. 268 der Entscheidung).
- 392.
- Folglich waren die Informationen, die die Unternehmen im Rahmen der streitigen
Systeme erhielten, geeignet, ihr Verhalten spürbar zu beeinflussen, und zwar
sowohl deshalb, weil sich jedes Unternehmen der genauen Überwachung durch
seine Konkurrenten bewußt war, als auch deshalb, weil es selbst gegebenenfalls auf
deren Verhalten anhand erheblich aktuellerer und genauerer Daten reagieren
konnte, als auf anderem Weg zur Verfügung standen. Letzteres wird insbesondere
durch den in Randnummer 59 der Entscheidung zitierten Briefingvermerk der
Klägerin vom 10. September 1990 bestätigt („Ein Zahlenaustausch nur der
aggregierten Zahlen ist für uns (Meinungsbildung der deutsch-luxemburgischen
Gruppe am 30.08.90) (fast) wertlos, da das Marktverhalten der einzelnen Anbieter
nicht mehr nachvollzogen werden kann.“). Dem Argument der Klägerin, daß die
fraglichen Informationen dank der „Transparenz des Marktes“ bereits verfügbar
gewesen seien, kann daher nicht gefolgt werden.
- 393.
- Gleiches gilt für ihre Behauptung, wonach das System dem Wettbewerb nicht
geschadet habe, weil die betreffenden Vorgänge bereits realisiert worden und die
entsprechenden Mengen dem Markt entzogen gewesen seien. Aus den gleichen
Gründen war die Kommission schließlich in Randnummer 267 der Entscheidung
zu der Annahme berechtigt, daß solche Informationen normalerweise als streng
vertraulich betrachtet werden; dies wird dadurch bestätigt, daß interessierte
Unternehmen die vom Sekretariat verbreiteten Angaben nur auf Gegenseitigkeit
erhalten konnten (vgl. Randnr. 45 der Entscheidung).
- 394.
- Im übrigen fand die gegenseitige Kontrolle zumindest stillschweigend unter
Heranziehung der Zahlen aus der Vergangenheit in einem Zusammenhang statt,
in dem die Politik der Kommission bis Januar 1987 auf die Aufrechterhaltung der
„traditionellen Handelsströme“ eines von den Teilnehmern ausdrücklich
verwendeten Begriffs gerichtet war. Der Austausch diente somit zur Abschottung
der Märkte unter Bezugnahme auf die traditionellen Handelsströme.
- 395.
- Die im Rahmen des von der Walzstahl-Vereinigung organisierten Systems
verbreiteten Angaben, die ebenfalls die auszuliefernden Aufträge und die
ausgeführten Lieferungen betrafen, waren mit den soeben geprüften Angaben
sowohl hinsichtlich ihrer Aufschlüsselung als auch hinsichtlich ihrer Aktualität
vergleichbar (vgl. Randnr. 48 der Entscheidung). Dieses System kam im dritten und
im vierten Quartal 1990 zum Einsatz und verschaffte den Mitgliedern der
Walzstahl-Vereinigung nach Unternehmen aufgeschlüsselte Aufstellungen, als sie
vom Sekretariat der Träger-Kommission nur noch globale Angaben erhielten (vgl.
Randnr. 48 der Entscheidung).
- 396.
- Folglich schufen die streitigen Informationsaustauschsysteme entgegen der
Behauptung der Klägerin keineswegs die nötigen Voraussetzungen für ein
unabhängiges Verhalten der teilnehmenden Hersteller, sondern verringerten
spürbar deren Entscheidungsfreiheit, indem sie an die Stelle der normalen
Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit der Hersteller setzten.
- 397.
- Das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten war folglich auch nicht durch
Abschnitt II Nummer 1 der Bekanntmachung von 1968 gedeckt, der schon nach
seinem Wortlaut nicht für einen Austausch von Informationen gilt, der die
Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer einschränkt oder geeignet ist, ein
koordiniertes Marktverhalten zu erleichtern. Im übrigen handelte es sich vorliegend
um einen Austausch individualisierter Daten im Rahmen eines oligopolistischen
Marktes homogener Produkte, der zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme
auf die traditionellen Handelsströme diente. Der Austausch zielte somit darauf ab,
den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen; dies reicht zur
Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages aus, ohne
daß ermittelt zu werden braucht, welche Absichten die betreffenden Unternehmen
und insbesondere die Klägerin verfolgten.
- 398.
- Soweit die Klägerin zur Rechtfertigung der streitigen Systeme und ihrer Mitwirkung
an ihnen auf Artikel 60 des Vertrages oder dessen Durchführungsbestimmungen
Bezug nimmt, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Zum einen
beschränken sich all diese Bestimmungen auf den Preisbereich und beziehen sich
nicht auf Informationen über die auf den Markt gebrachten Mengen. Zum anderen
sollen von der in Artikel 60 § 2 des Vertrages vorgesehenen Veröffentlichung der
Preise u. a. die Verbraucher profitieren (vgl. insbesondere das Urteil
Frankreich/Hohe Behörde, S. 23), während die streitigen Systeme nur den
teilnehmenden Herstellern zugute kamen. Desgleichen gestattet Artikel 47 des
Vertrages der Kommission keinesfalls, Informationen über das
Wettbewerbsverhalten der Unternehmen bei den Mengen bekanntzugeben, die
allein den Herstellern nutzen. Aus den gleichen Gründen kann sich die Klägerin
nicht auf einen im EGKS-Vertrag enthaltenen allgemeinen Grundsatz der
Transparenz berufen, zumal es sich vorliegend um vertrauliche Angaben handelt,
die ihrem Wesen nach Geschäftsgeheimnisse darstellen.
- 399.
- Die Klägerin vermochte im übrigen nicht deutlich zu machen, inwiefern die
praktische Zusammenarbeit im Rahmen des Monitoring, die ausschließlich im
Interesse der Teilnehmer lag, irgendeiner der vom System und den Vorschriften des
EGKS-Vertrags im Interesse der Allgemeinheit vorgesehenen Formen der
„Solidarität“ gleichgestellt werden könnte, von denen im Urteil Valsabbia
u. a./Kommission die Rede ist (vgl. Randnr. 59 des Urteils). Ihr Vorbringen ist
somit auch in diesem Punkt zurückzuweisen.
- 400.
- Zu der auf die Artikel 5 und 46 bis 48 EGKS-Vertrag sowie die Entscheidung Nr.
2448/88 gestützten Argumentation, daß der Austausch von Informationen im
Rahmen der Zusammenarbeit mit der Kommission erforderlich gewesen sei, ist
festzustellen, daß keine dieser Bestimmungen ausdrücklich einen Austausch von
Informationen der vorliegenden Art zwischen Unternehmen erlaubt. Die Frage, ob
ein solcher Austausch durch das Verhalten der GD III stillschweigend gestattet
wurde, wird in Abschnitt D behandelt.
- 401.
- Unter diesem Vorbehalt und insbesondere in Anbetracht des Grundprinzips des
Vertrages, wonach der dort angestrebte Wettbewerb im Spiel unabhängiger und
entgegengesetzter Kräfte und Wirtschaftsstrategien auf dem Markt besteht (Urteil
Niederlande/Hohe Behörde), hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen,
als sie in Randnummer 271 der angefochtenen Entscheidung auf einige frühere
Entscheidungen verwies, die sie im Bereich des EWG-Vertrags in bezug auf
oligopolistische Märkte getroffen hatte. Speziell zur Entscheidung „UK Agricultural
Tractor Registration Exchange“ haben sowohl das Gericht als auch der Gerichtshof
ausgeführt, daß der Austausch von Marktinformationen auf einem hochgradig
konzentrierten oligopolistischen Markt geeignet ist, den Unternehmen Aufschluß
über die Marktposition und die Verkaufsstrategie ihrer Konkurrenten zu geben und
damit den noch bestehenden Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern
spürbar zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichts in der Rechtssache
Deere/Kommission, Randnr. 51; Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache
Deere/Kommission, Randnrn. 88 bis 90). Dies gilt erst recht, wenn die
ausgetauschten Informationen wie im vorliegenden Fall Gegenstand regelmäßiger
Erörterungen zwischen den teilnehmenden Unternehmen waren.
- 402.
- Schließlich konnten die fraglichen Unternehmen angesichts der Art der
Erörterungen in der Träger-Kommission und der in diesem Rahmen
ausgetauschten Daten sowie des Wortlauts der Bekanntmachung von 1968 keinen
vernünftigen Zweifel daran haben, daß der betreffende Austausch verboten war;
dies geht im übrigen auch aus den in Abschnitt D dargelegten Erwägungen hervor.
Angebliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines
Verhaltens haben jedenfalls keinen Einfluß auf das Verbot selbst, das objektiven
Charakter hat. Im übrigen hat die Kommission ihren Standpunkt, daß die streitigen
Systeme dem normalen Wettbewerb widersprochen hätten, in den Randnummern
266 bis 271 der Entscheidung rechtlich hinreichend begründet.
- 403.
- Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin zum Informationsaustausch in der
Träger-Kommission und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung vorbehaltlich der
in Abschnitt D getroffenen Feststellungen in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zu den Praktiken auf den einzelnen Märkten
1. Die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt
- 404.
- In Artikel 1 der Entscheidung legt die Kommission der Klägerin die Beteiligung an
einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt zur Last.
Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt drei Monate. In
Randnummer 273 der Entscheidung zählt die Kommission verschiedene als
wettbewerbsbeschränkende Praktiken auf dem deutschen Markt eingestufte
Verhaltensweisen auf. Im ersten und im dritten Gedankenstrich führt sie folgendes
aus:
„ Peine-Salzgitter, Thyssen und TradeARBED beteiligten sich an
verschiedenen Preisfestsetzungsvereinbarungen ab Dezember 1986 (siehe
Randnummern 147 bis 148);
...
auf einem Treffen im Januar 1988 beschlossen Peine-Salzgitter,
TradeARBED, Hoesch, Saarstahl und Thyssen gemeinsame
Preisempfehlungen und stimmten sich über wichtige Aspekte ihrer künftigen
Preispolitik ab (siehe Randnummer 150)“.
Im fünften Gedankenstrich führt die Kommission aus:
„ [B]ei mindestens zwei Anlässen im Jahr 1989 vereinbarten verschiedene
Hersteller, ihre Einlieferungen in den deutschen Markt zwecks Stabilisierung
dieses Marktes einzuschränken. Von diesen Unternehmen konnte nur
Peine-Salzgitter als Teilnehmer an der ersten dieser Vereinbarungen mit
Sicherheit ermittelt werden (siehe Randnummer 153) ...“
- 405.
- Die Klägerin bestreitet, sich an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf
dem deutschen Markt beteiligt zu haben. Ihr Briefingvermerk vom 20. April 1989,
der sich auf ein Treffen von Herstellern und Händlern am 16. Februar 1989
beziehe (vgl. Randnr. 153 der Entscheidung) und auf den sich dieser Vorwurf allein
stütze, spreche nur von einer Zusage der Hersteller gegenüber den mit einer
Überbevorratung der Läger und den damit verbundenen Finanzierungslasten
konfrontierten Händlern, keinen Druck auf den Markt auszuüben.
- 406.
- Die Kommission führt in ihren Schriftsätzen unter Bezugnahme auf Randnummer
273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung aus, die fragliche Absprache habe
sich nicht auf die Listenpreise der Klägerin bezogen, sondern auf eine
Verpflichtung der Hersteller, keinen Abnahmedruck auf den Markt auszuüben. Die
Unternehmen hätten damit ihre Preise durchsetzen und einem Verfall der
Marktpreise vorbeugen wollen. Diese Einordnung unterscheide sich nicht von der
in den Beschwerdepunkten (Nr. 292).
- 407.
- In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission indessen vorgetragen, die
beanstandete Vereinbarung sei, wie sich aus Randnummer 273, dritter
Gedankenstrich, der Entscheidung ergebe, die am 20. Januar 1988 getroffene
Vereinbarung über das Verhalten „bei künftigen Preisansagen“. Diese
Vereinbarung habe offenbar mindestens bis zum 18. April 1989 gegolten (vgl.
Randnr. 152 der Entscheidung).
- 408.
- Die der Klägerin zur Last gelegte Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt soll
gemäß Artikel 1 der Entscheidung nach dem 30. Juni 1988 stattgefunden haben
(vgl. die genaue Bezugnahme auf einen Zeitraum der Zuwiderhandlung von drei
Monaten). In Randnummer 273 der Entscheidung ist jedoch von keiner
Preisabsprache nach dem 30. Juni 1988 die Rede; die einzigen wettbewerbswidrigen
Praktiken, die der Klägerin dort im fünften Gedankenstrich für die Zeit nach
diesem Datum zur Last gelegt werden, betreffen zwei Vereinbarungen, die nicht
als Vereinbarungen zur Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 des
Vertrages eingestuft werden können (vgl. Randnrn. 153 und 154 der Entscheidung).
- 409.
- In Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung heißt es, daß die
erste dort beanstandete Vereinbarung dazu gedient habe, die „Einlieferungen in
den deutschen Markt zwecks Stabilisierung dieses Marktes einzuschränken“. Die
zur Stützung dieser Feststellung angeführte Randnummer 153 lautet wie folgt:
„In einem von Peine-Salzgitter im Hinblick auf ein Treffen mit Händlern am 21.
April 1989 erstellten Briefingvermerk, der das Datum vom 20. April 1989 trägt,
wird vermerkt, daß anläßlich des letzten Treffens dieser Gruppe am 16. Februar
1989 vereinbart worden war, daß die beteiligten Hersteller im zweiten Quartal 1989
keinen Druck auf den Markt ausüben würden. Der Verfasser bemerkt dazu, daß
dies eingehalten worden zu sein scheint.“
- 410.
- Dabei handelt es sich nicht um eine Vereinbarung zur Festsetzung der Preise im
Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages. Da mit ihr die auf den
deutschen Markt zu liefernden Mengen durch eine abgestimmte Begrenzung
koordiniert werden sollten, zielte sie vielmehr auf eine Aufteilung dieses Marktes
im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe c ab. Die zweite Vereinbarung mit gleichem
Gegenstand, auf die sich Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der
Entscheidung bezieht, wurde von der Kommission im übrigen so eingestuft (siehe
unten, Randnrn. 414 ff.).
- 411.
- Das Verhalten, auf das die Kommission in der mündlichen Verhandlung Bezug
genommen hat, wird im dritten Gedankenstrich von Randnummer 273 behandelt.
Wie aus Artikel 1 der Entscheidung und insbesondere aus den TradeARBED und
Hoesch gewidmeten Abschnitten hervorgeht, wurde dieses vor dem 30. Juni 1988
liegende Verhalten bei der Geldbuße nicht berücksichtigt. Die Entscheidung enthält
im übrigen keine näheren Angaben zur Geltungsdauer der am 20. Januar 1988
getroffenen Vereinbarung. Die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sind
darüber hinaus mit der Angabe in Artikel 1 der Entscheidung unvereinbar, daß bei
der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße ein Zeitraum von drei Monaten
herangezogen worden sei, denn nach diesen Ausführungen hätte bei der
Festsetzung der Geldbuße ein Zeitraum der Zuwiderhandlung von mindestens neun
Monaten (vom 30. Juni 1988 bis zum 18. April 1989) herangezogen werden müssen.
- 412.
- Folglich wird der in Artikel 1 der Entscheidung erhobene Vorwurf einer Beteiligung
der Klägerin an einer Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt nach dem 30. Juni
1988 durch die Gründe der Entscheidung nicht gestützt.
- 413.
- Artikel 1 der Entscheidung ist daher hinsichtlich dieses Vorwurfs für nichtig zu
erklären.
2. Die Aufteilung des deutschen Marktes
- 414.
- In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer
Aufteilung des deutschen Marktes teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße
herangezogene Zeitraum beträgt sechs Monate.
- 415.
- In Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die
Kommission aus, daß bei mindestens zwei Anlässen im Jahr 1989 verschiedene
Hersteller vereinbart hätten, ihre Einlieferungen in den deutschen Markt zwecks
Stabilisierung dieses Marktes einzuschränken; sie fügt hinzu, daß „bei dem zweiten
Anlaß nur Peine-Salzgitter, Saarstahl und TradeARBED als Parteien identifiziert
werden konnten, die eine Begrenzung ihrer Lieferungen vereinbarten (siehe
Randnummer 154)“.
- 416.
- Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in Randnummer 154 der
Entscheidung auf zwei Schreiben der Klägerin vom 19. und 20. Dezember 1989, die
an TradeARBED und an Saarstahl gerichtet waren (S. 2989 f. und S. 2985 f. der
Akten). Sie schließt aus diesen Schreiben, daß die drei Unternehmen für das zweite
Halbjahr 1989 einer Beschränkung ihrer Lieferungen auf den deutschen Markt
zugestimmt hätten.
- 417.
- Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des
deutschen Marktes gab. In der damaligen Situation, die durch zu große
Lagerbestände der Händler gekennzeichnet gewesen sei, hätten die betroffenen
Unternehmen erklärt, daß sie bei ihren Lieferungen auf den deutschen Markt
Zurückhaltung üben wollten, ohne daß die Klägerin diese Verpflichtung, die sie sichselbst in ihrem eigenen Interesse auferlegt habe, von der Haltung der übrigen
Unternehmen abhängig gemacht habe. In der Formulierung im Schreiben vom 20.
Dezember 1989, es sei „verabredet“ worden, die Liefermenge zu verringern, sei nur
ihre Hoffnung zum Ausdruck gekommen, daß die anderen Unternehmen ihre
Absichtserklärungen ebenso ernst nehmen würden wie sie selbst. Die beiden
fraglichen Schreiben seien im übrigen zu einem Zeitpunkt verfaßt worden, zu dem
es nicht mehr möglich gewesen sei, die Einhaltung einer Vereinbarung für das
zweite Halbjahr 1989 mit Erfolg anzumahnen.
- 418.
- Das im Schreiben vom 20. Dezember 1989 verwendete Wort „verabredet“ deute
allenfalls auf eine verabredete Praktik und nicht auf eine Vereinbarung hin, so daß
gegen die fraglichen Unternehmen nur dann eine Geldbuße hätte festgesetzt
werden können, wenn ihrer Absprache ein entsprechendes Verhalten gefolgt wäre.
Saarstahl, TradeARBED und Thyssen hätten ihre Lieferungen auf den deutschen
Markt aber im fraglichen Zeitraum gesteigert. Die Klägerin habe sie dagegen im
Vergleich zum Bezugszeitraum um deutlich mehr als 10 % verringert.
- 419.
- Schließlich würde sich, falls man das Vorliegen einer Vereinbarung unterstelle,
diese nach dem Wortlaut des Schreibens vom 20. Dezember 1989 nur auf das dritte
Quartal 1989 und nicht auf das gesamte zweite Halbjahr dieses Jahres beziehen.
- 420.
- Die beiden Unterlagen, auf die sich die Kommission stützt die Schreiben der
Klägerin vom 19. und 20. Dezember 1989 an TradeARBED und Saarstahl sind
ein rechtlich hinreichender Beweis für den Abschluß der streitigen Vereinbarung
und die Beteiligung der Klägerin an ihr.
- 421.
- In ihrem Schreiben an Saarstahl vom 20. Dezember 1989, das den Vermerk
„Vertraulich“ trägt und vom Adressaten nach Kenntnisnahme vernichtet werden
sollte (S. 2985 f. der Akten), erinnert die Klägerin die Verantwortlichen dieser
Gesellschaft an eine Vereinbarung zwischen ihr und anderen Unternehmen, die der
Entwicklung bei den Lagerbeständen Rechnung tragen sollte („Vor dem
Hintergrund dieser Entwicklung haben wir uns im II. Quartal alle gemeinsam und
ohne Widerspruch bereit erklärt, in der 2. Jahreshälfte liefermäßig Zurückhaltung
zu üben, um den Händlern einen Abbau ihrer Lagerbestände zu ermöglichen und
um keine Nervosität in den Markt zu tragen. Konkret wurde für das III. Quartal
1989 ein Mengenabschlag von 10 % gegenüber dem III. Quartal 1988 vereinbart.“).
Im gleichen Schreiben wirft die Klägerin sodann Saarstahl vor, diese Vereinbarung
nicht eingehalten zu haben („Der Zahlenvergleich anhand der Statistik der
Wirtschaftsvereinigung bzw. der Eurofer-Lieferzahlen zeigt ein eindeutiges Bild.
You can't argue facts.“), und weist die Behauptung von Saarstahl, nur unter
Vorbehalt zugestimmt zu haben, zurück.
- 422.
- In ihrem Schreiben an TradeARBED vom 19. Dezember 1989 (S. 2989 f. der
Akten) wies die Klägerin ebenfalls auf die Situation bei den Lagerbeständen hin,
aufgrund der „in der 2. Jahreshälfte die Lieferungen durch uns alle
zurückgenommen werden [sollten]“. Sie selbst vertrat die Ansicht, „sich
entsprechend im Markt bewegt“ zu haben, kritisierte aber die angebliche
Steigerung der Lieferungen durch TradeARBED, die Adressatin des Schreibens,
und Thyssen.
- 423.
- Das von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Argument, daß die
beiden Schreiben zu einem Zeitpunkt verfaßt worden seien, zu dem es nicht mehr
möglich gewesen sei, die Einhaltung der angeblichen Vereinbarung anzumahnen,
geht fehl, da ihre Ausführungen als Vorwurf in bezug auf ein früheres Verhalten
auszulegen sind.
- 424.
- Unter diesen Umständen kann der Behauptung der Klägerin nicht gefolgt werden,
daß die Erklärungen der Unternehmen über die Verringerung ihrer Lieferungen,
die im zuletzt genannten Schreiben angesprochen werden, zumindest für sie nur
einseitigen Charakter gehabt hätten.
- 425.
- Daß einige Unternehmen von den vereinbarten Mengen abwichen und sich somit
nicht an die getroffene Vereinbarung hielten, ist kein Gesichtspunkt, der an der
Existenz der Vereinbarung selbst zweifeln läßt. Dies gilt erst recht für das von der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument, daß sie sich nicht
an einer Absprache über eine Verringerung um 10 % beteiligt haben könne, da sie
ihre Lieferungen um einen höheren Prozentsatz verrringert habe.
- 426.
- Die Aussage des Zeugen Kröll, der das Schreiben vom 20. Dezember 1989 verfaßt
hat, in der mündlichen Verhandlung hat keinen Einfluß auf die Schlußfolgerung des
Gerichts, daß es sich im vorliegenden Fall um eine Vereinbarung über die
koordinierte Verringerung der Lieferungen handelte. Nach dieser Aussage führten
die im Schreiben angesprochenen Kontakte nicht zu einer Vereinbarung mit einer
individuellen Verpflichtung jedes Teilnehmers zur Beschränkung seiner Lieferungen
auf eine bestimmte Menge. Es habe sich vielmehr um eine einhellige Bewertung
gehandelt, daß angesichts der Situation bei den Lagerbeständen eine gewisse
Verringerung der Gesamtlieferungen sowohl erforderlich als auch ausreichend sei,
um eine Störung des Marktes zu verhindern und ihn zu stabilisieren. Die
Entscheidung der Klägerin, ihre eigenen Lieferungen zu verringern, sei ohne
weitere Kontaktaufnahme oder Abstimmung mit ihren Konkurrenten getroffen
worden.
- 427.
- Die Angaben des Zeugen lassen jedoch keine andere als die vom Gericht gewählte
Auslegung des klaren Wortlauts der beiden Schreiben zu. Der Zeuge vermochte
insbesondere nicht zu erklären, weshalb die Klägerin anderen Unternehmen
verklausuliert, aber unmißverständlich die Verletzung einer zwischen ihnen
getroffenen Vereinbarung vorwarf. Er vermochte auch nicht zu erklären, inwiefern
die Tatsache, daß die Klägerin das Verhalten ihrer Konkurrenten anhand
detaillierter Zahlen überprüfte und auf dieser Grundlage ebenso detaillierte
Vorwürfe erhob, mit der These vereinbar ist, daß die genannten Konkurrenten nur
einer Marktanalyse Rechnung tragen sollten, ohne in bezug auf ihre Liefermengen
zahlenmäßige Verpflichtungen zu haben. Schließlich konnte der Zeuge keine
überzeugende Erklärung dafür geben, daß in dem von ihm selbst verfaßten
Schreiben ein angeblicher Vorbehalt von Saarstahl angesprochen wird. Die von ihm
insoweit gegebene Erklärung geht dahin, daß diese Gesellschaft selbst erklärt habe,
im Trägerbereich Zurückhaltung üben und dies bei der Produktion bestimmter
anderer Erzeugnisse ausgleichen zu wollen.
- 428.
- Zurückzuweisen ist auch das Vorbringen der Klägerin, daß es sich im vorliegenden
Fall nur um eine „verabredete Praktik“ gehandelt haben könne. Zum einen ist
diese These nicht mit dem Wortlaut der beiden genannten Schreiben vereinbar.
Zum anderen ist die rechtliche Einstufung des fraglichen Verhaltens als
„Vereinbarung“ oder „verabredete Praktik“ im vorliegenden Zusammenhang
jedenfalls unerheblich.
- 429.
- Zur Dauer der somit erwiesenen Zuwiderhandlung ist festzustellen, daß sich die an
der Vereinbarung Beteiligten gemäß dem Schreiben vom 20. Dezember 1989
verpflichtet hatten, „in der 2. Jahreshälfte [1989] liefermäßig Zurückhaltung zu
üben“. Es trifft zu, daß in diesem Schreiben der genaue Umfang der geplanten
Einschränkung nur für das dritte Quartal dieses Jahres angegeben wird. Bei den
Ausführungen im Schreiben vom 19. Dezember 1989, nach denen sich vor allem
TradeARBED nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten habe, wird jedoch
als Bezugszeitraum sowohl die „2. Jahreshälfte“ 1989 als auch das „III. und IV.
Quartal“ dieses Jahres genannt. Folglich wurde für diesen gesamten Zeitraum
einvernehmlich ein hinreichend genauer Parameter festgelegt.
- 430.
- Nach alledem sind das Vorliegen und die Dauer der streitigen Vereinbarung sowie
die Beteiligung der Klägerin an ihr rechtlich hinreichend bewiesen. Diese
Vereinbarung zielte auf die Aufteilung des betreffenden Marktes ab und verstieß
daher gegen Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages.
3. Die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt
- 431.
- In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer
Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt teilgenommen zu haben. Der für die
Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt neun Monate. Bei diesem Zeitraum
handelt es sich unstreitig um das dritte Quartal 1988, das erste Quartal 1989 und
das dritte Quartal 1990 (vgl. Randnr. 275, fünfter, siebter und letzter
Gedankenstrich, der Entscheidung).
Zum dritten Quartal 1988
- 432.
- In Randnummer 275, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die
Kommission aus, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 28. Juni 1988
seien Preiserhöhungen für das dritte Quartal 1988 vereinbart worden; an dieser
Vereinbarung seien zumindest Ferdofin und die Klägerin beteiligt gewesen.
- 433.
- Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in Randnummer 166 der
Entscheidung auf ein vom Sekretariat der Träger-Kommission am 18. Mai 1988
verschicktes Telefax (S. 10 der Akten) und auf ein Fernschreiben von Ferdofin an
die Klägerin vom 28. Juni 1988 (S. 4084 der Akten).
- 434.
- Die Klägerin bestreitet, an einer Preisfestsetzung für den italienischen Markt
teilgenommen zu haben. Sie weist darauf hin, daß die Preisliste von Ferdofin
(Frachtbasis: Pallanzeno) für ihre Lieferungen nach Italien maßgebend gewesen sei.
Die Preise, die sich aus ihrer eigenen Preisliste (Frachtbasis: Oberhausen) und den
Transportkosten ergeben hätten, seien nämlich höher gewesen als die
norditalienischen Preise. Unter diesen Umständen habe das Fernschreiben vom 28.
Juni 1988 dazu gedient, ihr die Rabatte mitzuteilen, die Ferdofin einigen
italienischen Großhändlern den Parteien der im Fernschreiben erwähnten
„Vereinbarung“ von sich aus eingeräumt habe. Eine derartige Information
ermögliche es dem Empfänger, sein Angleichungsrecht gemäß Artikel 60 des
Vertrages auszuüben. Ferdofin sei verpflichtet gewesen, alle Interessenten über
solche Rabatte zu informieren (vgl. Artikel 5 Absatz 2 und 4 Absatz 1 Buchstabe b
der Entscheidung Nr. 31/53). Ebenso hätten die Hersteller mit dem Telefax vom
18. Mai 1988 über die von Ferdofin geplanten Preiserhöhungen in Italien informiert
werden sollen. Es enthalte keine Bitte um Zustimmung zu den geplanten
Erhöhungen.
- 435.
- Die Klägerin fügt hinzu, da die angebliche Preisfestsetzung vor dem 30. Juni 1988
liege, könne wegen dieser jedenfalls keine Geldbuße verhängt werden.
- 436.
- Im Telefax vom 18. Mai 1988, das u. a. an die Klägerin verschickt wurde, heißt es:
„Auf Ersuchen von Herrn Arnuzzo und zur Klarstellung der Preisplanung Q3-88
auf dem italienischen Markt bitte ich Sie, sich folgendes vorzumerken:
Die Erhöhung um 50 000 LIT zum 1.07.1988 betrifft die gesamten
Kategorien 2a - 2b1 - 2b2 - 2b3 und 2c mit den im Protokoll der Träger-Kommission vom 15. März in Brüssel (Seite 3) zu findenden Preisen Q2-88.
Sie gilt für alle Großkunden und Kleinhändler sowie die Verbraucher.“
- 437.
- Im Fernschreiben vom 28. Juni 1988 wird auf ein Telefongespräch von Herrn
Mette, dem Mitarbeiter der Klägerin, mit Herrn Arnuzzo, einem Mitarbeiter von
Ferdofin, Bezug genommen. Herr Arnuzzo weist Herrn Mette nach der
Bemerkung, er habe vernommen, daß „Peine-Salzgitter Probleme mit Italien hat“,
auf folgendes hin:
„In gemeinsamer Vereinbarung wurde für das III. Quartal eine Preiserhöhung von
30 LIT/kg anstatt 50 LIT/kg (wie von uns verlangt) für die 5 Großhändler
entschieden, die die vorgeschlagene Preiserhöhung von 50 LIT/kg abgelehnt
haben.“
- 438.
- Nachdem sowohl die Preis- und Mengenpolitik in Italien (Nrn. 1 bis 3 und 5) als
auch die Möglichkeit der Klägerin angesprochen worden ist, Preiserhöhungen auf
ihren Heimatmärkten durchzusetzen (Nr. 4), endet das Fernschreiben mit folgender
Bemerkung: „Zum Schluß meine ich, daß das Hauptziel die Preiserhöhung bleiben
muß. Dies ist erreichbar nur durch die Mengenbegrenzung. Aus diesen Gründen
bleibe ich der Meinung, daß die Quoten vom III. Quartal auf keinen Fall zu
erhöhen sind“ (vgl. Randnr. 167 der Entscheidung).
- 439.
- Aus mehreren Anhaltspunkten folgt, daß die streitige Vereinbarung zwischen den
in der Entscheidung genannten Unternehmen und nicht, wie die Klägerin
behauptet, zwischen Ferdofin und einigen italienischen Großhändlern getroffen
wurde.
- 440.
- Erstens waren die fraglichen Unternehmen nach dem Wortlaut des Telefax vom
18. Mai 1988 bereits auf Ersuchen von Ferdofin gebeten worden, sich die neuen
Preise vorzumerken. Dieses Ersuchen erging im Rahmen der Zusammenarbeit
zwischen den Unternehmen „zur Klarstellung der Preisplanung Q3-88 auf dem
italienischen Markt“. In dieser Formulierung und in ihrem Zusammenhang kommt
der Gedanke zum Ausdruck, daß die „Planung“ nicht allein durch eigenständige
Entscheidung von Ferdofin, gegebenenfalls in Form einer Vereinbarung mit einigen
wichtigen Kunden, verwirklicht werden konnte.
- 441.
- Zweitens sollte die im Telefax vom 18. Mai 1988 erwähnte Erhöhung bei den „imProtokoll der Träger-Kommission vom 15. März in Brüssel ... zu findenden Preisen
Q2-88“ vorgenommen werden. Daß dieses Protokoll in der Entscheidung nicht
erwähnt wird, ändert nichts daran, daß bereits die Referenzpreise für das zweite
Quartal 1988 in einer Sitzung vom 13. März 1988 durch einige Unternehmen, zu
denen auch die Klägerin und Ferdofin gehörten, einvernehmlich festgelegt worden
waren (vgl. Randnrn. 275, vierter Gedankenstrich, und 162 bis 165 der
Entscheidung). Die Klägerin hat weder die Existenz dieser früheren Vereinbarung
noch ihre Beteiligung daran bestritten.
- 442.
- Drittens ist im Fernschreiben vom 28. Juni 1988 von einer „Vereinbarung“ über
eine Preiserhöhung im dritten Quartal 1988 von 30 LIT/kg anstatt 50 LIT/kg für die
fünf Großhändler die Rede. In diesem Absatz wird nicht von einer Vereinbarung
„mit“ den Großhändlern gesprochen, die nur als Gruppe von Kunden genannt sind,
für die bestimmte Preise gelten.
- 443.
- Der auf Antrag der Klägerin vernommene Zeuge Mette hat ausgeführt, das im
Fernschreiben vom 28. Juni 1988 erwähnte Gespräch habe nur dazu gedient, ihn
darüber zu informieren, daß die von Ferdofin ursprünglich geplante Erhöhung auf
dem italienischen Markt (50 000 LIT/t) bei den Großhändlern nicht durchsetzbar
gewesen sei. Es habe insoweit keine Vereinbarung zwischen Ferdofin und der
Klägerin gegeben. Er sei stets an Informationen über die Preise von Ferdofin auf
dem italienischen Markt interessiert gewesen, um das Angleichungsrecht gemäß
Artikel 60 des Vertrages ausüben zu können, da die anhand der Frachtbasis
Oberhausen festgelegten Preise der Klägerin auf diesem Markt nicht
konkurrenzfähig gewesen seien. Die einleitende Bemerkung im Fernschreiben vom
28. Juni 1988, daß „Peine-Salzgitter Probleme mit Italien hat“, sei mit
Verständigungsproblemen zu erklären, da Herr Arnuzzo nicht gut Englisch spreche
und der Zeuge weder Italienisch noch Französisch verstehe.
- 444.
- Die Bemerkungen von Herrn Arnuzzo zu den „Problemen“ der Klägerin in Italien
lassen sich nicht mit Verständigungsproblemen erklären. Aus dem Fernschreiben
vom 28. Juni 1988 geht hervor, daß die von Herrn Arnuzzo angesprochenen
„Probleme“ die Preise auf dem italienischen Markt betrafen.
- 445.
- Darüber hinaus hat sich der Zeuge im wesentlichen auf die Behauptung beschränkt,
daß es sich im vorliegenden Zusammenhang um eine bloße Preisinformation von
Ferdofin gehandelt habe. Die oben genannten Beweismittel zeigen jedoch, daß es
sich sehr wohl, wie die Kommission vorträgt, um eine Preisabsprache handelte.
- 446.
- Das Vorliegen der streitigen Vereinbarung, die auf eine Festsetzung der Preise im
Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages abzielte, ist somit rechtlich
hinreichend bewiesen.
- 447.
- Nach den Kriterien, die in den Randnummern 311 und 314 der Entscheidung
aufgestellt wurden, war die Kommission berechtigt, diese Vereinbarung bei der
Geldbuße zu berücksichtigen. Sie wurde zwar vor dem 30. Juni 1988 getroffen,
betraf aber die Zeit danach.
- 448.
- Daher sind die Rügen der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zum ersten Quartal 1989
- 449.
- In Randnummer 275, siebter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die
Kommission aus, bei einem Treffen am 3. Oktober 1988 seien zwischen
TradeARBED, British Steel, der Klägerin, Unimétal und Ferdofin Zielpreise
vereinbart worden.
- 450.
- In Randnummer 169 der Entscheidung führt die Kommission aus, Ferdofin habe
die Ergebnisse dieses Treffens in der Sitzung der Träger-Kommission vom 18.
Oktober 1988 erläutert (vg. S. 3552 der Akten). Sie nimmt ferner auf ein Telefax
von TradeARBED an Norsk Jernverk vom 5. Oktober 1988 (S. 2502 der Akten)
Bezug.
- 451.
- Die Klägerin trägt vor, anläßlich der Sitzung vom 3. Oktober 1988 (die
hauptsächlich den Wunsch von Ferdofin betroffen habe, eine Begrenzung der auf
den italienischen Markt gelieferten Mengen zu erreichen) habe Ferdofin ihre
Konkurrenten lediglich über eine Änderung ihrer Preisliste informiert, um ihnen
die in Artikel 60 des Vertrages vorgesehene Angleichung zu ermöglichen. Mit dem
Telefax vom 5. Oktober 1988 sei diese Information Norsk Jernverk übermittelt
worden.
- 452.
- Nach dem Aufbau des Protokolls der Sitzung der Träger-Kommission vom 18.
Oktober 1988 bestehe kein Zusammenhang zwischen der „Klärung der aktuellen
Lage auf dem italienischen Markt“, die sich logischerweise auf das vierte Quartal
1988 bezogen habe, und der Angabe des neuen, für das folgende Quartal
vorgesehenen Preisniveaus.
- 453.
- Die von Ferdofin vorgenommene Preiserhöhung habe die Klägerin nicht daran
gehindert, ihre Preise an die von Ferdofin anzugleichen, da diese niedriger
geblieben seien.
- 454.
- Aus den beiden belastenden Unterlagen ist zu schließen, daß die Preise im ersten
Quartal 1989 durch Vereinbarung festgesetzt wurden.
- 455.
- Das Telefax von TradeARBED an Norsk Jernverk vom 5. Oktober 1988 (S. 2502
der Akten) lautet wie folgt (vgl. Randnr. 169 der Entscheidung):
„Betr.: Formstahl HE für den italienischen Markt
Im Anschluß an unsere telefonische Unterredung nachstehend die Preise für den
italienischen Markt Formstahl HE, welche am Montag 3.10. in Mailand festgelegt
wurden.“
- 456.
- Des weiteren werden die erwähnten Preise im Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 (S. 3552 der Akten) als eines der „Ergebnisse
des Marktgesprächs Träger/italienischer Markt am 3. Oktober 1988 in Mailand“
bezeichnet. Die „Klärung der aktuellen Lage“, von der im gleichen Zusammenhang
die Rede ist, bezog sich entgegen der Behauptung der Klägerin auf das von der
Kommission genannte erste Quartal 1989, wie aus der Bezugnahme auf diesen
Zeitraum in dem die „Mengen“ betreffenden Absatz des Protokolls hervorgeht, der
sich unmittelbar vor dem Absatz über das neue Preisniveau befindet.
- 457.
- Die Aussage des Zeugen Mette, nach der es sich im vorliegenden Fall um eine
bloße Mitteilung der von Ferdofin eigenständig festgesetzten Preise handelte, kann
die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Unterlagen nicht in Frage stellen.
Die einzige ergänzende Angabe des Zeugen neben dieser Behauptung geht dahin,
daß Ferdofin für die Durchführung einer Preiserhöhung keine Unterstützung von
anderen Herstellern benötigt habe, da sie über die breiteste Produktpalette und
einen Marktanteil von 50 % verfügt habe. Da es jedoch keine Umstände gibt, mit
denen sich der klare Wortlaut der beiden Unterlagen in anderer Weise erklären
ließe, ändert diese ergänzende Angabe nichts an dem Schluß, daß die streitige
Vereinbarung tatsächlich getroffen wurde, unabhängig davon, welches
Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Teilnehmern bestanden haben mag.
- 458.
- Das Vorliegen der streitigen Vereinbarung, die auf eine Preisfestsetzung im Sinne
von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages abzielte, ist somit rechtlich
hinreichend bewiesen. Die in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen
Angleichungsmöglichkeiten stellen den rechtswidrigen Charakter der fraglichen
Vereinbarung nicht in Frage.
- 459.
- Demnach sind die Rügen der Klägerin zurückzuweisen.
Zum dritten Quartal 1990
- 460.
- In Randnummer 275, achter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die
Kommission aus, auf einem Treffen am 15. Mai 1990 hätten TradeARBED, die
Klägerin, Saarstahl, Unimétal, Thyssen und Ferdofin eine Vereinbarung über die
Festsetzung der Preise für das dritte Quartal 1990 getroffen.
- 461.
- Die Klägerin bestreitet, daß es eine solche Vereinbarung gab. Ferdofin habe die
übrigen Hersteller nur über die geplante Änderung ihrer Preisliste informiert. Die
Klägerin habe sich vor allem für die Rabatte der großen Händler interessiert.
- 462.
- Der im Vermerk des Sekretariats der Träger-Kommission vom 18. Mai 1990
(Randnr. 170 der Entscheidung) verwendete Begriff „prévus“ könne so verstanden
werden, daß er sich auf die von den Betroffenen erwarteten Preise beziehe. Aus
diesem Schriftstück und der offiziellen Niederschrift vom 16. Mai 1990 gehe hervor,
daß für das dritte Quartal 1990 der Fortbestand der im laufenden Quartal
festgestellten Preise prognostiziert worden sei. Wenn im Vermerk vom 18. Mai
1990 die angegebenen Preise nicht allein Ferdofin zugeordnet würden, so liege dies
daran, daß sie aufgrund von Artikel 60 de facto für alle Konkurrenten gültig seien.
- 463.
- Daß es die von der Kommission behauptete Vereinbarung in einer Sitzung vom 15.
Mai 1990, an der die Klägerin teilnahm (Randnr. 171 der Entscheidung), tatsächlich
gab, wird durch den Inhalt des vom Sekretariat der Träger-Kommission erstellten
internen Vermerks vom 18. Mai 1990 (Randnr. 170 der Entscheidung, S. 2266 bis
2268 der Akten) rechtlich hinreichend bewiesen; dort heißt es:
„III Zum italienischen Markt
Am 15.05.1990 fand ein Arbeitsessen statt, bei dem die Lage auf dem italienischen
Markt erörtert wurde. Die (in der Plenarsitzung vom 16.05.1990 bekanntgegebenen)
Ergebnisse dieses Treffens sind:
Auf dem italienischen Markt für die fünf großen Händler vorgesehenen Preise:
Kat. 2A 480 000 LIT Frachtbasis Pallenzeno
{ (bedeutet eine Erhöhung um 20 000 LIT
2B1 gegenüber den derzeit geltenden Niveaus)
Kat. 2B2 510 000 LIT (Bestätigung der derzeit geltenden Preise)
Kat. 2B3 530 000 LIT (dto.)
Kat. 2C 550 000 LIT (Bestätigung für einige, leichte Anhebung für
andere).“
Die in dem Vermerk aufgeführten Preise werden nicht als die allein von Ferdofin
vorgesehenen Preise dargestellt, sondern als die Preise für den italienischen Markt
im allgemeinen. Außerdem waren sie nach dem Wortlaut des Vermerks nicht
Gegenstand einer bloßen Prognose, sondern in einigen Fällen einer „Bestätigung“
und in anderen einer „leichten Anhebung“. Schließlich wurden sie als „Ergebnis“
der Sitzung vom 15. Mai 1990 bezeichnet; dies schließt die Annahme aus, daß
Ferdofin sie eigenständig festlegte.
- 464.
- Die Aussage des Zeugen Mette in der mündlichen Verhandlung ändert nichts an
dieser Bewertung.
- 465.
- Der Zeuge hat sich nämlich auf die Behauptung beschränkt, bei dem Treffen am
15. Mai 1990 habe es keine Preisabsprache gegeben, sondern Ferdofin habe
lediglich angekündigt, was sie insoweit zu tun beabsichtige. Diese Sichtweise reicht
nicht aus, um den klaren Wortlaut des Vermerks vom 18. Mai 1990 in Frage zu
stellen.
- 466.
- Folglich ist die eine Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt im dritten Quartal
1990 betreffende Rüge der Klägerin zurückzuweisen.
- 467.
- Nach alledem sind die Rügen, die die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt
betreffen, in vollem Umfang zurückzuweisen.
4. Aufteilung des italienischen Marktes
- 468.
- In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer
Aufteilung des italienischen Marktes teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße
herangezogene Zeitraum beträgt drei Monate.
- 469.
- Hierzu führt die Kommission in Randnummer 275, sechster Gedankenstrich, der
Entscheidung aus, am 21. Juni 1988 sei ein Beschluß zur Erneuerung der
Marktaufteilungsvereinbarung für das dritte Quartal 1988 gefaßt worden. An dieser
Vereinbarung seien Ferdofin, TradeARBED, British Steel, Cockerill-Sambre, die
Klägerin, Saarstahl, Thyssen und Unimétal beteiligt gewesen. Die Kommission
verweist auf die Randnummern 167 und 168 der Entscheidung.
- 470.
- Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des
italienischen Marktes gab. Sowohl Saarstahl (vgl. ihr in Randnr. 167 der
Entscheidung erwähntes Telefax vom 21. Juni 1988, S. 4 der Akten, in dem die
Verwendung des Begriffes „Mengenabsprachen“ auf einer Ungenauigkeit beruhe)
als auch die Klägerin selbst hätten sich dem am 21. Juni 1988 erörterten Vorschlag
von Ferdofin widersetzt, die für das vorangegangene Quartal geltenden Quoten
fortzuschreiben. Herr Arnuzzo (Ferdofin) habe mit Fernschreiben vom 28. Juni
1988 (S. 4084 der Akten) einen vorherigen telefonischen Appell wiederholt, die
Klägerin möge bei ihren Lieferungen Zurückhaltung üben. Der in dem
Fernschreiben, das die Sekretärin von Herrn Arnuzzo formuliert habe, der selbst
des Deutschen nicht mächtig sei, verwendete Begriff „Quoten“ sei im Sinne von„Mengen“ (der Bedeutung des italienischen Wortes „quote“) zu verstehen. Die
Klägerin habe auch diesen Appell zurückgewiesen, da sie an der Erhöhung ihrer
Lieferungen nach Italien interessiert gewesen sei. Es sei im übrigen
unwahrscheinlich, daß sie die Erhöhung einer Quote habe verlangen können, mit
der sie sich nur wenige Tage zuvor einverstanden erklärt habe.
- 471.
- Das Fehlen einer Vereinbarung werde durch das Fernschreiben von Ferdofin an
die Klägerin vom 4. August 1988 bestätigt (Randnr. 168 der Entscheidung, S. 4085
der Akten). Ferdofin habe darin angesichts dessen, daß die Lieferungen der
Klägerin zugenommen hätten, einen erneuten Appell gleicher Art an sie gerichtet
(vgl. insbesondere Nr. 6 des Schriftstücks).
- 472.
- Am 21. Juni 1988 sei lediglich „beschlossen“ worden, die Mengenentwicklung auf
dem italienischen Markt weiter zu beobachten; dies werde durch das Telefax der
Walzstahl-Vereinigung vom 22. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 5 der
Akten) bestätigt. Es sei undenkbar, daß eine Entscheidung über die
Marktaufteilung innerhalb eines Tages zur Übermittlung von Auftragszahlen führen
könne, die diese Aufteilung widerspiegelten.
- 473.
- Da der angebliche Beschluß vom 21. Juni 1988 vor dem 30. Juni 1988 gefaßt
worden sei, könne deswegen jedenfalls keine Geldbuße festgesetzt werden. Eine
solche Sanktion sei auch nicht aufgrund des Verhaltens der Klägerin nach diesem
Beschluß gerechtfertigt. Im dritten Quartal 1988 habe sie nämlich ihre Lieferungen
nach Italien erhöht.
- 474.
- Die Feststellung der streitigen Vereinbarung beruht auf folgenden Unterlagen:
dem Telefax von Saarstahl an die Walzstahl-Vereinigung vom 21. Juni 1988
(S. 4 der Akten),
dem Telefax der Walzstahl-Vereinigung an das Sekretariat der Träger-Kommission vom 22. Juni 1988 (S. 5 der Akten),
dem Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 28. Juni 1988 (S. 4084
der Akten) und
dem Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 4. August 1988
(S. 4085 der Akten).
- 475.
- Aus dem Telefax von Saarstahl an die Walzstahl-Vereinigung vom 21. Juni 1988
(Randnr. 167 der Entscheidung, S. 4 der Akten) geht hervor, daß sich die
Mitgliedsunternehmen von Eurofer bereit erklärten, im dritten Quartal 1988 die für
das vorangegangene Quartal in bezug auf den italienischen Markt getroffenen
„Mengenabsprachen“ fortzuschreiben. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist dies
als Bezugnahme auf die Marktaufteilungsvereinbarung für das vorangegangene
Quartal (vgl. Randnrn. 275, vierter Gedankenstrich, sowie 163 und 164 der
Entscheidung) zu verstehen, deren Vorliegen die Klägerin nicht bestritten hat. Dem
Vorbringen, daß die Bezugnahme auf einer „Ungenauigkeit“ beruhe, kann unter
diesen Umständen nicht gefolgt werden.
- 476.
- Saarstahl fügte bei dieser Gelegenheit zwar hinzu, daß sie dem „Beschluß“ nicht
zustimmen könne, lehnte eine solche Vereinbarung jedoch nicht grundsätzlich ab,
sondern bezeichnete lediglich die für sie vorgesehene Menge (2 000 t/Quartal) als
nicht ausreichend. Das Telefax von Saarstahl vom 21. Juni 1988 enthält keinen
Anhaltspunkt dafür, daß sie die Vereinbarung als solche oder deren Modalitäten
ablehnte.
- 477.
- Das Telefax der Walzstahl-Vereinigung an das Sekretariat der Träger-Kommission
vom 22. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 5 der Akten) zeigt, daß am
Vortag ein „Beschluß“ gefaßt worden war. Dabei wird der gleiche Vorbehalt von
Saarstahl angesprochen. Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen beiden
Unterlagen ist die Bezugnahme auf den genannten „Beschluß“ als Bestätigung für
den Abschluß einer zu diesem Zeitpunkt noch unter dem eventuellen Vorbehalt
des Einwands von Saarstahl stehenden Vereinbarung über die Aufteilung des
betreffenden Marktes anzusehen. Die These der Klägerin, daß sich die
Vereinbarung nur auf die Beobachtung der Mengenentwicklung erstreckt habe, ist
daher zurückzuweisen.
- 478.
- Bei den im Telefax der Walzstahl-Vereinigung vom 22. Juni 1988 enthaltenen
Buchungszahlen von Thyssen, Saarstahl und der Klägerin für das dritte Quartal
1988 handelte es sich nach Ansicht des Gerichts um eine Aufstellung der für das
Referenzquartal, dessen Beginn unmittelbar bevorstand, bereits eingegangenen
Aufträge. Das Argument der Klägerin, daß die genannten Zahlen in diesem frühen
Stadium die von der Kommission beanstandete Aufteilung nicht hätten
widerspiegeln können, ist daher zurückzuweisen.
- 479.
- Der Abschluß der Vereinbarung wird überdies durch das Fernschreiben von
Ferdofin an die Klägerin vom 28. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 4084
der Akten) bestätigt. Ferdofin führt darin aus, daß „die Quoten vom III. Quartal
auf keinen Fall zu erhöhen sind“. Der Beweiswert dieser eindeutigen Bezugnahme
auf die Existenz von „Quoten“ wird durch die Behauptung der Klägerin, daß der
Verfasser möglicherweise die Begriffe „Quoten“ und „Mengen“ miteinander
verwechselt habe, nicht in Frage gestellt. Der zitierte Absatz zeigt ebenso wie der
vorhergehende Absatz, in dem von staatlichen „Quoten“ die Rede ist, die einige
Tage später auslaufen sollten, daß dieser Begriff richtig verstanden und benutzt
wurde.
- 480.
- Im übrigen spricht die den Punkten 1 und 2 des Fernschreibens von Ferdofin an
die Klägerin vom 4. August 1988 (S. 4085 der Akten) zu entnehmende Tatsache,
daß die Klägerin einige Tage nach dem Abschluß der Vereinbarung offenbar eine
Änderung der für sie festgesetzten Zahl verlangte, weder gegen die Existenz dieser
Vereinbarung noch gegen ihre Beteiligung daran. Schließlich läßt das Fernschreiben
vom 4. August 1988 (Punkt 8), wie die Kommission in Randnummer 168 der
Entscheidung zu Recht ausgeführt hat, den Schluß zu, daß Saarstahl für das
fragliche Quartal eine Quote von mehr als 2 000 Tonnen erhielt.
- 481.
- Angesichts dessen ist auch die Behauptung der Klägerin zurückzuweisen, daß sich
Ferdofin bei allen in den soeben analysierten Unterlagen genannten Gelegenheiten
darauf beschränkt habe, an Zurückhaltung bei den Lieferungen zu appellieren.
Speziell zu Punkt 6 des Fernschreibens vom 4. August 1988 ist festzustellen, daß
er Verhandlungen zwischen den Unternehmen über die Mengenpolitik im vierten
Quartal 1988 betraf (wobei Ferdofin bestimmte Forderungen der Klägerin
zurückwies) und daher keinen Einfluß auf die Schlußfolgerungen für das
vorhergehende Quartal hat.
- 482.
- Der Zeuge Mette hat in seiner Aussage einige im Sommer 1988 mit Herrn Arnuzzo
(Ferdofin) geführte Telefongespräche erwähnt, bei denen er dessen Wunsch
zurückgewiesen habe, sich an den ausgelaufenen Mengen aus der Zeit des
Quotensystems zu orientieren. Diese allgemeine Behauptung erlaubt es nicht, die
genannten Unterlagen anders zu verstehen, als es das Gericht getan hat. Gleiches
gilt für die Behauptung, daß der Zeuge von etwaigen Quoten für das fragliche
Quartal und den fraglichen Markt nichts gewußt habe.
- 483.
- Folglich hat die Kommission das Vorliegen der streitigen Vereinbarung über
Quoten für den italienischen Markt im dritten Quartal 1988 in rechtlich
hinreichender Weise nachgewiesen. Eine solche Marktaufteilungsvereinbarung
verstößt gegen Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages.
- 484.
- Zu der Frage, ob die Kommission berechtigt war, wegen dieser Vereinbarung eine
Geldbuße zu verhängen, ist zum einen festzustellen, daß dies angesichts des
Bezugszeitraums der Vereinbarung, der nach dem 30. Juni 1988 lag, gerechtfertigt
erscheint. Zum anderen beeinflußt die Tatsache, daß die von der Klägerin
gelieferten Mengen ihre Quote überstiegen, weder das Vorliegen der Vereinbarung
noch die Einstufung ihres wettbewerbswidrigen Gegenstands und steht somit der
Verhängung einer Geldbuße ebenfalls nicht entgegen.
- 485.
- Nach alledem sind die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Aufteilung des
italienischen Marktes in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zur Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt im Rahmen der Tätigkeiten der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe
- 486.
- In Artikel 1 der Entscheidung wird der Klägerin die Beteiligung an einer die
Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt betreffenden Zuwiderhandlung zur Last
gelegt. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt 30 Monate.
- 487.
- Die Gründe für diesen Vorwurf sind in den Randnummern 177 bis 209
(Sachverhalt) und 284 bis 296 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung genannt.
Die Kommission schildert eine Reihe von Verhaltensweisen, die sie als
Vereinbarungen über die Festsetzung von Zielpreisen für die skandinavischen
Märkte bezeichnet, die quartalsweise in den Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe auf der Grundlage einer einzigen fortdauernden Rahmenvereinbarung
getroffen worden seien (Randnrn. 288, 289, 291 und 294); dabei stützt sie sich
hauptsächlich auf Sitzungsprotokolle. Soweit diese Vereinbarungen den dänischen
Markt beträfen, würden sie von Artikel 65 § 1 des Vertrages erfaßt (Randnrn. 286,
287, 292 und 293).
- 488.
- Die Klägerin bestreitet, sich im maßgeblichen Zeitraum an Vereinbarungen über
die Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt beteiligt zu haben. Sie trägt u. a. vor,
die Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe hätten nicht zur Festlegung der
Preise für den dänischen Markt nach einem „allgemeinen Plan“ (Randnr. 287 der
Entscheidung) gedient, sondern zu Diskussionen über die Anwendung von
Artikel 60 auf die norwegischen und schwedischen Hersteller gemäß den
Übereinkommen mit den skandinavischen Ländern (siehe oben, Randnr. 15) und
zu deren Einbeziehung in den rechtmäßigen Informationsaustausch zwischen den
Mitgliedern von Eurofer. Die Preiserhöhungen auf dem dänischen Markt stellten
jedenfalls keine Zuwiderhandlung dar, die neben der Geldbuße, die wegen der
angeblichen Preisfestsetzungen auf dem deutschen Markt verhängt worden sei, eine
gesonderte Sanktion rechtfertigen könne. Sie stimmten nämlich mit den
Veränderungen der Preislisten überein, die unter Bezugnahme auf die von der
Klägerin und Thyssen verwendete Frachtbasis Oberhausen festgelegt worden seien.
Diese Preislisten seien automatisch auch auf Dänemark anwendbar, da es dort
keinen Trägerhersteller gebe. Die unter Bezugnahme auf eine entferntere
Frachtbasis festgelegten Preislisten seien in der Praxis auf diesem Markt nicht
konkurrenzfähig. In Anbetracht der geringen Bedeutung des dänischen Marktes für
die Klägerin und die deutschen Hersteller im allgemeinen (vgl. Randnr. 9 der
Entscheidung sowie die Tabellen 5 und 9) habe die Klägerin kein Interesse daran
gehabt, ihre Preislisten im Hinblick auf den dänischen Markt zu ändern. Es habe
für diesen Markt kein eigenständiges „Preisziel“ gegeben; der Hinweis auf ein
solches Ziel in einem Vermerk von British Steel vom 3. August 1989 (Randnr. 204
der Entscheidung, S. 2083 bis 2086 der Akten) betreffe nur den Handelsstabstahl
und nicht die Träger. Diese Angaben würden dadurch bestätigt, daß sich die Preise
auf beiden Märkten abgesehen von geringfügigen Unterschieden, die auf die Art
und Weise der Rechnungsstellung zurückzuführen seien parallel entwickelt hätten
(vgl. den Vermerk vom 3. August 1989, wo unter den Rubriken „Preisziel“ und
„erzielter Preis“ jeweils die gleichen Preise angegeben würden, die den geltenden
Listenpreisen entsprochen hätten, und wo hinsichtlich der Aufpreise auf die
deutschen Preislisten verwiesen werde).
- 489.
- Schließlich bringe die im Vermerk vom 3. August 1989 enthaltene Bemerkung über
die Beibehaltung der geltenden Preise („Obgleich die Auftragsmengen begrenzt
waren, wurden die Juli/Sept. Preise erzielt, und es wurde vereinbart, daß die
Niveaus Okt./Dez. unverändert bleiben.“) nur eine übereinstimmende Erwartung
der Betroffenen zum Ausdruck.
- 490.
- Darüber hinaus haben die Klägerinnen im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in
der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf einige Unterlagen über
Kontakte zwischen der GD I der Kommission und den skandinavischen Behörden,
die dem Gericht gemäß Artikel 23 übermittelt und im Anschluß an den Beschluß
vom 10. Dezember 1997 zu den Akten der Rechtssache genommen wurden, sowie
auf die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftstücke über die
„Vereinbarungen“ zwischen der Gemeinschaft und Norwegen, Schweden und
Finnland (siehe oben, Randnr. 15) geltend gemacht, sowohl der Kommission als
auch den skandinavischen Behörden seien die Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe bekannt gewesen; diese Tätigkeiten seien von ihnen sogar unterstützt
worden, da sie für die Durchführung der „Vereinbarungen“ unabdingbar gewesen
seien. Unter diesen Umständen könne kein Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des
Vertrages vorliegen.
- 491.
- Zunächst ist festzustellen, daß die Klägerin die Einschätzung der Kommission, die
in den Randnummern 184 bis 209 der Entscheidung beschriebenen Schriftstücke
seien ein rechtlich hinreichender Beweis für die Existenz eines Systems von
Sitzungen, in deren Verlauf Vereinbarungen über die zwischen dem 5. Februar
1986 und dem 31. Oktober 1990 für Dänemark geltenden Zielpreise getroffen
worden seien, nicht im einzelnen bestritten hat.
- 492.
- Nach der Prüfung dieser Schriftstücke der in den Randnummern 184 bis 209 der
Entscheidung behandelten Protokolle und anderen Unterlagen über die Sitzungen
vom 5. Februar 1986, 22. April 1986, 30. Juli 1986, 28. Oktober 1986, 3. Februar
1987, 28. April 1987, 4. August 1987, 4. November 1987, 2. Februar 1988, 25. Juli
1988, 3. November 1988, 1. Februar 1989, 25. April 1989, 31. Juli 1989, 30. Oktober
1989, 31. Januar 1990, 24. April 1990, 31. Juli 1990 und 31. Oktober 1990 ist das
Gericht der Ansicht, daß sie die Einschätzung der Kommission bestätigen.
- 493.
- Insbesondere gibt es zahlreiche Schriftstücke, in denen von der „Programmierung“
der Preise (Randnrn. 184, 192, 193 und 195), der „Festsetzung“ von Preisen oder
von „festgesetzten“, „beschlossenen“ oder „vereinbarten“ Preisen die Rede ist
(Randnrn. 184, 186, 187, 189, 190, 191, 192, 200, 201 und 204). Ferner wird in
zahlreichen Schriftstücken davon gesprochen, daß die Preise „belassen“ werden
oder „unverändert bleiben“ sollten (Randnrn. 204, 205, 207 und 208), daß
Vorschläge in einer kommenden Sitzung gebilligt werden sollten (Randnr. 199), daß
die Unternehmen den Kunden vor einer kommenden Sitzung keine Preise nennen
sollten (Randnrn. 198 und 201), daß in bestimmten Sitzungen Beschlüsse über die
Preise gefaßt worden seien (Randnrn. 187, 188, 189, 190, 191, 197 und 205) und
daß die in einer früheren Sitzung beschlossenen Preise erzielt worden seien
(Randnrn. 184, 193, 195, 200, 202, 203 und 204 der Entscheidung).
- 494.
- So wird der Inhalt der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe z. B. durch
folgenden in Randnummer 206 der Entscheidung zitierten Vermerk des
Vorsitzenden dieser Gruppe vom 1. Februar 1990 weithin bestätigt:
„Bis jetzt waren die Reaktionen auf unsere Sitzungen positiv, und verschiedene
Vertreter für andere Produkte beneiden uns sogar um die Ergebnisse und das
Einvernehmen unseres Clubs.
Ich sage dies nicht ohne Grund, da sich im ersten Quartal vor allem im
Stabstahlsektor nicht jeder an die Spielregeln gehalten hat. Ich bitte deshalb Sie als
Vertreter des Eurofer/Scandinavia-Clubs, im Interesse unserer Unternehmen alles
zu tun, damit wir diesen Raum mit dem festen Entschluß, den Markt zu
stabilisieren, verlassen und so die Ehre unseres Clubs retten können.“
- 495.
- Daß in einigen Unterlagen zurückhaltendere Formulierungen wie das Wort
„Prognosen“ gebraucht worden sein mögen, kann unter diesen Umständen nichts
daran ändern, daß es sich um Vereinbarungen über die Preisfestsetzung handelte.
Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit dem Wortlaut des von der Klägerin
angeführten Vermerks von British Steel vom 3. August 1989 (S. 2083 bis 2086 der
Akten), der nicht als Ausdruck einer bloßen Erwartung verstanden werden kann
(„Market situation: ... the basis prices set for July/Sept. will be continued Oct./Dec...
Denmark: ... it was agreed that the levels [of prices] would remain the same
Oct./Dec.“) (Marktsituation: ... die für Juli/Sept. festgesetzten Basispreise [werden]
Okt./Dez. beibehalten ... Dänemark: ... es wurde vereinbart, daß die Niveaus [der
Preise] Okt./Dez. unverändert bleiben.).
- 496.
- Da die Existenz von Vereinbarungen über Zielpreise für Dänemark rechtlich
hinreichend bewiesen ist, kann dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt werden,
daß sich die Unternehmen darauf beschränkt hätten, die Marktsituation zu
erörtern, über Preisvorausschätzungen zu diskutieren und ganz allgemein
Informationen auszutauschen.
- 497.
- Dies gilt um so mehr, als die Klägerin behauptet, daß die anhand der Frachtbasis
Oberhausen erstellten Preislisten für den Wettbewerb auf dem dänischen Markt
maßgebend gewesen seien und daß die Preiserhöhungen in Dänemark daher nur
die Folge von Preisänderungen in Deutschland gewesen seien.
- 498.
- Die Auffassung der Klägerin wird insgesamt gesehen schon dadurch widerlegt, daß
es Vereinbarungen über den dänischen Markt gab, die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe im Rahmen auf die skandinavischen Märkte beschränkter Maßnahmen
getroffen wurden und sich von den in der Träger-Kommission für den deutschen
Markt und andere Märkte der Gemeinschaft getroffenen Vereinbarungen
unterschieden. Zumindest eine dieser Vereinbarungen, die in der Sitzung vom 30.
Juli 1986 getroffen wurde (Randnr. 188 der Entscheidung), sieht ausdrücklich die
Anwendung der deutschen Preise auf den dänischen Markt vor. Dieser
Vereinbarungen hätte es nicht bedurft, wenn es nur darum gegangen wäre, mit
Rücksicht auf den Wettbewerb und die geltenden Bestimmungen den zur
Anwendung kommenden deutschen Preisen zu folgen. Die bloße Tatsache, daß es
eine gewisse Parallelität der Preise in Deutschland und Dänemark gegeben haben
mag, kann an dieser Beurteilung nichts ändern.
- 499.
- Die Beteiligung der Klägerin an den in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe
getroffenen Vereinbarungen wird in den Randnummern 285, 180 und 181 der
Entscheidung hinreichend nachgewiesen. Daraus geht hervor, daß sie an allen
Sitzungen dieser Gruppe teilnahm. Nach den Gründen der Entscheidung werden
die Tätigkeiten der Gruppe allen beteiligten Unternehmen zur Last gelegt
(Randnrn. 287 und 289 der Entscheidung). Der einzige Unterschied betrifft den
jeweiligen Umfang der Verantwortung der Mitgliedsunternehmen von Eurofer und
der skandinavischen Hersteller (Randnrn. 294 und 295 der Entscheidung).
- 500.
- Die fraglichen Vereinbarungen dienten zur Festsetzung von Preisen im Sinne von
Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages und waren somit nach dieser Bestimmung
verboten.
- 501.
- Zu dem in der mündlichen Verhandlung erhobenen Vorwurf, daß die GD I im
Rahmen der damals bestehenden „Vereinbarungen“ zwischen der Gemeinschaft
und Norwegen, Schweden und Finnland Kenntnis von den Tätigkeiten der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe gehabt habe oder hätte haben müssen, ist vorab
festzustellen, daß die Unterlagen auf den Seiten 9773 bis 9787 der Akten der
Kommission, die gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 zu den Akten der
Rechtssache genommen wurden, erst während des Verfahrens zutage getreten sind,
so daß Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts die Klägerin nicht daran
hindert, neue Angriffsmittel vorzubringen, die sich auf diese Unterlagen stützen.
- 502.
- Insoweit geht zunächst für die Zeit von 1986 bis 1988 aus den von der
Gemeinschaft und den norwegischen, schwedischen und finnischen Behörden
ausgetauschten Schreiben und Memoranden hervor, daß in dieser Zeit zwischen
den betreffenden Parteien gewisse „Vereinbarungen“ über die Aufrechterhaltung
der traditionellen Handelsströme bestanden (vgl. Punkt c der mit Norwegen
ausgetauschten Schreiben vom 4. März 1986, 11. März 1987 und 10. Februar 1988,
Punkt c der mit Finnland ausgetauschten Schreiben vom 4. März 1986, 10. April
1987 und 12. Februar 1988 sowie die Punkte 13 bis 15 des Schreibens vom 4. März
1986 und die Punkte 8 bis 10 der Schreiben vom 13. Februar 1987 und vom 5.
Februar 1988, die mit Schweden ausgetauscht wurden). Gemäß Abschnitt V Nr. 10
der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bedeutete dies in der Praxis, daß der
bestehende Umfang der Ausfuhren skandinavischer Stahlerzeugnisse in die
Gemeinschaft nicht verändert werden durfte und daß keine Schwankungen bei der
regionalen Verteilung, der Zusammensetzung der Erzeugnisse oder den
Lieferfristen zulässig waren („Dreifachklausel“).
- 503.
- Im einzelnen wurden folgende Unterlagen geprüft: die von den Klägerinnen in der
mündlichen Verhandlung vorgelegte Mitteilung der Kommission an den Rat vom
13. November 1986 über die Außenhandelspolitik auf dem Stahlsektor
(KOM[86] 585 endg.); ein Aktenvermerk vom 30. Mai 1985 (S. 9774 der Akten)
über ein Treffen mit den schwedischen Behörden am 29. Mai 1985 wegen
bestimmter schwedischer Lieferungen von Stabeisen und -stahl nach Dänemark, in
dem es heißt, daß ein Vertreter der GD I die Gelegenheit dazu genutzt habe, die
schwedischen Behörden auf das Interesse der Kommission an der Beibehaltung des
zur Sicherstellung der harmonischen Entwicklung des Handelsverkehrs mit
Stahlerzeugnissen zwischen der Gemeinschaft und Schweden dienenden
„Gentlemen's Agreement“ zwischen Eurofer und dem Verband schwedischer
Stahlwerke aufmerksam zu machen; das von den schwedischen Unternehmen
Ovako Profiler AB und SSAB Svenskt Stål AB im Verwaltungsverfahren vorgelegte
Memorandum vom 30. Mai 1985, das sich in den dem Gericht gemäß Artikel 23
übermittelten Akten befindet und den Klägerinnen durch den Beschluß vom 10.
Juni 1996 zugänglich gemacht wurde; der handschriftliche Vermerk über ein
Treffen der GD I mit den schwedischen Behörden, das offenbar am 4. Dezember
1985 oder 1986 stattfand; der Vermerk über ein Konsultationstreffen der Behörden
der Gemeinschaft und Schwedens am 20. November 1986 (S. 9777 bis 9784 der
Akten); der Vermerk über eine Sitzung der „Contact Group ECSCSweden“ am
11. und 12. Juni 1987.
- 504.
- Wie diese Unterlagen zeigen, kann erstens nicht ausgeschlossen werden, daß die
Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe ihren Ursprung in dem gemeinsamen
Bestreben der Behörden der Gemeinschaft und Skandinaviens fanden, die
Ausfuhren von Stahlerzeugnissen im Rahmen der vorgenannten „Vereinbarungen“
auf ihr traditionelles Niveau zu beschränken. Aus den Akten geht nämlich hervor,
daß dieses Ziel ohne die Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen,
insbesondere im Rahmen der „Gentlemen's Agreements“ zwischen Eurofer und
den schwedischen Stahlunternehmen, nicht hätte erreicht werden können.
- 505.
- Zweitens geht aus den Akten hervor, daß sowohl die Behörden der Gemeinschaft
als auch die skandinavischen Behörden den Abschluß solcher „Gentlemen's
Agreements“ oder zumindest unmittelbare Kontaktaufnahmen zwischen den
betroffenen Unternehmen zur Lösung der im Rahmen der genannten
Vereinbarungen auftretenden Probleme unterstützten. Im übrigen hat die
Kommission in Abschnitt X Nr. 12 Buchstabe a der Entscheidung „nichtrostender
Flachstahl“ ausdrücklich eingeräumt, daß die Vereinbarungen die Freiheit der
betroffenen Unternehmen, Mengen nach eigenem Ermessen zu liefern,
eingeschränkt hätten und daß die GD I die skandinavischen Unternehmen in einem
Briefwechsel indirekt ermutigt habe, bilaterale Vereinbarungen mit Unternehmen
in der Gemeinschaft einzugehen.
- 506.
- Es ist richtig, daß die fraglichen Vereinbarungen keine Preisabsprachen, sondern
nur eine Mengenbeschränkung betrafen. Da jedoch der dänische Markt damals als
herkömmlicher Bestandteil des skandinavischen Stahlmarkts angesehen wurde und
die Unterbietung der Preise zu einem Anstieg der verkauften Mengen geführt
hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe getroffenen Preisabsprachen in bezug auf den dänischen Markt zumindest
teilweise als angemessene Unterstützung der zwischen der Gemeinschaft und den
betreffenden skandinavischen Ländern für die Jahre 1986, 1987 und 1988 zur
Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme geschlossenen Vereinbarungen
gedacht waren.
- 507.
- Gleichwohl erlaubt keine Bestimmung des Vertrages solche Preisabsprachen, und
weder der Rat noch die Kommission oder die Unternehmen sind berechtigt, die
Vorschriften von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu mißachten oder sich über die
Pflicht zu ihrer Einhaltung hinwegzusetzen.
- 508.
- Daraus folgt, daß die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe in den Jahren 1986, 1987
und 1988 getroffenen Preisabsprachen selbst dann, wenn sie im Rahmen von
Vereinbarungen zur Beschränkung der Handelsströme zwischen der Gemeinschaft
und den skandinavischen Ländern zustande gekommen und von der Kommission
und/oder den skandinavischen Behörden unterstützt oder zumindest indirekt
toleriert worden sein sollten, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstießen, soweit
sie eine Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt umfaßten.
- 509.
- Da die fraglichen Vereinbarungen zwischen der Gemeinschaft und den
skandinavischen Ländern indessen bis zum 31. Dezember 1988 in Kraft blieben,
können die Mißverständnisse, die es der Entscheidung zufolge (Randnr. 311)
möglicherweise vor dem 30. Juni 1988 gab, in bezug auf die Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen zumindest bis zum 31. Dezember 1988 fortbestanden haben. Dem
wird das Gericht bei der Festsetzung der Geldbuße Rechnung tragen (siehe die
folgenden Ausführungen zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von
Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt
wird).
- 510.
- Für die Zeit nach dem 31. Dezember 1988 ergibt sich aus dem Schreiben der
Kommission an die norwegischen Behörden vom 5. April 1989 und ihrem
Schriftwechsel mit den schwedischen Behörden vom 4. April 1989 und vom 28. Mai
1990, die von der Beklagten auf Ersuchen des Gerichts mit Begleitschreiben vom
12. Mai 1998 vorgelegt worden sind, daß es nach dem 1. Januar 1989 keine
Bestimmung über die Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme zwischen
der Gemeinschaft und den betreffenden Ländern mehr gab. Folglich fehlte
jedenfalls ab 1. Januar 1989 jede Rechtfertigung für den Abschluß privater
Vereinbarungen der betroffenen Unternehmen über die Preisfestsetzung auf dem
dänischen Markt.
- 511.
- Schließlich betrifft das Schriftstück vom 17. Juni 1989 (S. 9323 der Akten), auf das
sich die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung berufen haben, eine
Beschwerde der belgischen Behörden wegen eines angeblichen Verstoßes einigernorwegischer Unternehmen gegen Artikel 60 des Vertrages, der gemäß Artikel 20
des Freihandelsabkommens zwischen Norwegen und der Gemeinschaft für die
betreffenden Erzeugnisse galt; es hat somit nichts mit der der Klägerin im Rahmen
der Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen zur Last gelegten Zuwiderhandlung zu
tun.
- 512.
- Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Klägerin zu den in der
Entscheidung festgestellten Vereinbarungen über die Preisfestsetzung auf dem
dänischen Markt zurückzuweisen.
Ergebnis
- 513.
- Vorbehaltlich der Ausführungen des Gerichts in den vorstehenden Randnummern
412 und 509 sowie der im folgenden Abschnitt D behandelten Argumentation hat
die Prüfung des auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages gestützten
Vorbringens nicht ergeben, daß die Kommission bei der Feststellung der in der
Entscheidung beanstandeten Zuwiderhandlungen gegen diesen Artikel einen
tatsächlichen oder rechtlichen Fehler begangen hat. Bei der Prüfung durch das
Gericht hat sich auch die Begründung, insbesondere hinsichtlich der Beteiligung der
Klägerin an den beanstandeten Zuwiderhandlungen, nicht als unzureichend
erwiesen.
- 514.
- Folglich ist dieses Vorbringen in vollem Umfang zurückzuweisen.
D Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegten
Zuwiderhandlungen
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 515.
- Die Klägerin macht in ihrer Klageschrift geltend, der Kommission sei in dem von
der Entscheidung erfaßten Zeitraum bewußt gewesen, daß die Unternehmen
miteinander in Kontakt gestanden und über welche Gegenstände sie gesprochen
hätten. Sie habe die Unternehmen sogar zu diesem Verhalten aufgefordert, weil
sie auf deren Mitwirkung angewiesen gewesen sei, um die ihr nach dem Vertrag
obliegenden industriepolitischen Aufgaben erfüllen zu können. Sie habe die
Herstellung größtmöglicher Markttransparenz somit auch nach dem Ende der
Krisenregelung gewünscht.
- 516.
- Da sich andere Klägerinnen auf ähnliche Klagegründe berufen haben, war die
Rolle der GD III im vorliegenden Fall Gegenstand gemeinsamer Ausführungen in
der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin hat sich dabei die insoweit im Namen
aller betroffenen Klägerinnen vorgetragene Argumentation zu eigen gemacht.
Daher sind diese verschiedenen Klagegründe und Argumente zusammenzufassen,
um sie im Rahmen des vorliegenden Urteils gemeinsam zu prüfen.
- 517.
- Die Klägerinnen machen auf der Grundlage eines chronologischen Überblicks über
die Mitwirkung der Kommission an der Bewältigung der Stahlkrise seit den
siebziger Jahren und ihrem Tätigwerden nach dem Ende der Krisenzeit geltend, die
Kommission habe die in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen selbst
veranlaßt und danach unterstützt oder zumindest von ihnen gewußt und sie
geduldet.
- 518.
- Da die Entscheidung somit in unterschiedlichem Maß gegen die Grundsätze der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die „Estoppel-“Doktrin oder die
Rechtsregel „nemo auditur turpitudinem suam allegans“ verstoße, sei die
Kommission nicht berechtigt gewesen, die in der Entscheidung genannten
Verhaltensweisen der Unternehmen zu ahnden.
- 519.
- Um die Krise der europäischen Stahlindustrie zu meistern, habe die Kommission
ab 1974 auf der Grundlage der Artikel 46, 47 und 58 ff. des Vertrages verschiedene
Maßnahmen getroffen. Zu nennen seien dabei u. a. der Simonet-Plan von 1977 und
der Davignon-Plan von 1978 sowie die Entscheidung Nr. 2794/80 zur Einführung
eines Systems verbindlicher Erzeugungsquoten und ihre diversen
Begleitmaßnahmen (siehe oben, Randnrn. 5 ff.).
- 520.
- Insbesondere habe das durch die Entscheidung Nr. 2794/80 eingeführte
Quotensystem von Anfang an Teil eines vor allem hinsichtlich der Einführung
nationaler „i-Quoten“, deren Anwendung durch die Hersteller die Kommission zur
Umsetzung ihres eigenen Systems gemeinschaftsweiter „I-Quoten“ gewünscht habe,
auf der horizontalen Zusammenarbeit der Unternehmen beruhenden
umfassenderen Gesamtkonzepts sein sollen.
- 521.
- Die Vereinigung Eurofer sei dabei namentlich im Rahmen der Eurofer-II- bis
Eurofer-V-Vereinbarungen, die während der gesamten Laufzeit der Regelung für
die offensichtliche Krise bis Juli 1988 im wesentlichen in der Schaffung und
Verwaltung des Systems von „i-Lieferquoten“ auf den nationalen Märkten und in
der Beschaffung von Daten über Produktion und Lieferungen bestanden hätten, die
wichtigste Schnittstelle zwischen der Kommission und den Herstellern gewesen. Die
Eurofer-Vereinbarungen hätten ferner die Verpflichtung der Beteiligten enthalten,
die in Abstimmung mit der Kommission festgelegten Preisziele zu beachten.
- 522.
- Der Austausch von Informationen sei in der gesamten Stahlbranche seit dem
Beginn der Krise üblich gewesen; insoweit sei auf das Urteil des Gerichtshofes vom
10. Juli 1985 in der Rechtssache 27/84 (Wirtschaftsvereinigung Eisen- und
Stahlindustrie/Kommission, Slg. 1985, 2385) zu verweisen, in der die Kommission
eingeräumt habe, daß unter den zu Eurofer gehörenden großen Stahlunternehmen
bereits eine gewisse Transparenz vorhanden sei, so daß bestimmte von ihnen
stammende Informationen nicht unter das Berufsgeheimnis im Sinne von Artikel
47 des Vertrages fielen.
- 523.
- Für den Krisenzeitraum stützen die Klägerinnen ihre Ausführungen im einzelnen
auf Auszüge aus folgenden Schriftstücken, von denen einige bereits in den obigen
Randnummern 5 ff. erwähnt wurden: das Ersuchen der Kommission um
Zustimmung des Rates zur Einführung eines Systems von Erzeugungsquoten für die
Stahlindustrie (KOM[80] 586 endg., Klageschrift in der Rechtssache T-151/94,
Anhang 3, Schriftstück 3), die Entschließung des Rates vom 3. März 1981 über die
Politik zur Sanierung der Eisen- und Stahlindustrie (vgl. die Pressemitteilung des
Rates vom 26. und 27. März 1981, Klageschrift in der Rechtssache T-151/94,
Anhang 3, Schriftstück 4), Anlage IV des Dokuments III/534/85/FR der
Kommission über die Genehmigung der Eurofer-Vereinbarungen (Klageschrift in
der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 5), das Schreiben von Herrn
Andriessen und Herrn Davignon an Eurofer vom 17. Januar 1983 (Klageschrift in
der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 6), die Antwort von Herrn
Etchegaray, dem Vorsitzenden von Eurofer, an Herrn Andriessen und Herrn
Davignon vom 8. Februar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang
3, Schriftstück 7), die Entscheidung Nr. 3483/82, Nr. 302 des Neunzehnten
Gesamtberichts über die Tätigkeit der Gemeinschaften, die Entscheidung Nr. 234/84,
das Protokoll eines Treffens der Kommission mit Sachverständigen von Eurofer am
27. Juni 1984 in Brüssel (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 8), einen Vermerk von Eurofer im Anschluß an ein Treffen des
Kommissionsmitglieds Narjes mit den Vorsitzenden von Eurofer am 26. September
1985 in Düsseldorf (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 9), das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 16.
Dezember 1985 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück
10), verschiedene Schreiben, die zeigen, daß die Kommission an der Schlichtung
von Streitigkeiten der Hersteller in bezug auf das System der „i-Quoten“ mitwirkte
(Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstücke 11 und 12), das
Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März 1986
(Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 13), den „Bericht
der Drei Weisen“, das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit
Führungskräften von Eurofer am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache
T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 14) und die Mitteilung der Kommission an den
Rat über die Stahlpolitik vom 16. Juni 1988.
- 524.
- Obwohl die Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 ausgelaufen sei,
werde in Nr. 278 des XXI. Gesamtberichts über die Tätigkeit der Gemeinschaften von
der Bereitschaft der Kommission gesprochen, das Quotensystem ab 1. Januar 1988
um drei Jahre zu verlängern und einen Ende 1986 von Eurofer vorgeschlagenen
konzertierten Plan zur Kapazitätsverringerung umzusetzen. Da die Kommission
jedoch die im Dezember 1987 als Voraussetzung für eine etwaige Verlängerung des
Systems festgelegten Mindeststillegungsverpflichtungen nicht zugesagt bekommen
habe, habe sie dem Rat keine Fortführung vorgeschlagen. Das Quotensystem sei
im Juli 1988 folglich nicht deshalb beendet worden, weil nach Ansicht der
Kommission keine offensichtliche Krise mehr bestanden habe, sondern um die
Unternehmen für ihre mangelnde Zusammenarbeit zu bestrafen. Dieser
Sachverhalt zeige ferner, daß die Kommission Mitte 1988 in der Forderung an die
Unternehmen, eine Vereinbarung über eine konzertierte Verringerung ihrer
Kapazitäten zu treffen, keinen Verstoß gegen Artikel 65 des Vertrages gesehen
habe, obwohl dies wenn man der in der Entscheidung vertretenen engen
Auslegung des genannten Artikels folge ebenso verboten sei wie Maßnahmen im
Preisbereich. Die Kommission habe somit anerkannt, daß eine flexible Anwendung
von Artikel 65 § 1 des Vertrages möglich sei.
- 525.
- In der Zeit nach dem 30. Juni 1988 habe die Kommission bis November 1988
das durch die Entscheidung Nr. 3483/82 eingeführte System zur Überwachung der
Lieferungen beibehalten. Sie habe ferner das durch die Entscheidung Nr. 2448/88
eingeführte Überwachungssystem geschaffen, bei dem die Unternehmen für
bestimmte Erzeugnisse monatlich die hergestellten und ausgelieferten Mengen
hätten melden müssen. Dieses System sei im Juni 1990 außer Kraft getreten, aber
die konkrete Situation habe sich nicht verändert, wie zwei Schreiben von Beamten
der Kommission an Eurofer vom 10. und 12. September 1990 (Anlagen 7 und 8 der
Klageschrift in der Rechtssache T-137/94) zeigten. Alle diese Maßnahmen hätten
dazu gedient, die Markttransparenz zu erhöhen, um die Anpassung der
Unternehmen an etwaige Änderungen der Nachfrage zu erleichtern, ohne daß
diese Transparenz als Verstoß gegen Artikel 65 des Vertrages angesehen worden
sei.
- 526.
- In diesem Rahmen und insbesondere im Rahmen der Artikel 46 bis 48 des
Vertrages und des durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführten
Überwachungssystems hätten sich die Kontakte zwischen der GD III und den
Trägerherstellern in der Zeit nach der Regelung für die offensichtliche Krise sogar
noch intensiviert, da die Treffen im kleinen Kreis, die Konsultationstreffen und die
Arbeitsessen zu den offiziellen vierteljährlichen Treffen hinzugekommen seien, bei
denen gemäß den Artikeln 46 bis 48 des Vertrages die
Vorausschätzungsprogramme erörtert würden.
- 527.
- Verschiedene Auszüge aus „Speaking Notes“ und anderen Protokollen von Treffen
nach dem Auslaufen der Krisenregelung (vgl. Anhang 3 der Klageschrift in der
Rechtssache T-151/94) sowie die von der Kommission im Anschluß an den
Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegten internen Vermerke der GD III
zeigten, daß die Kommission von der Sammlung und dem Austausch von
Informationen über die Aufträge, die Lieferungen, das tatsächliche Preisniveau und
das geschätzte künftige Preisniveau durch Eurofer und die Träger-Kommission
sowie von der Harmonisierung der Aufpreise und den übrigen den Unternehmen
in der Entscheidung zur Last gelegten Praktiken gewußt und sie sogar unterstützt
habe.
- 528.
- Unter diesen Umständen seien die verschiedenen den Klägerinnen zur Last
gelegten Vereinbarungen und Praktiken ihren Nachweis unterstellt vor allem
im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages und das durch die Entscheidung
Nr. 2448/88 eingeführte Überwachungssystem als rechtmäßige Tätigkeiten
anzusehen.
- 529.
- Aus den genannten Unterlagen gehe hervor, daß die Kommission und speziell die
GD III ihre Gespräche mit den Herstellern und die ihr bei dieser Gelegenheit
gelieferten Informationen sehr geschätzt habe, daß die Kommission im Rahmen
eines recht allgemeinen Meinungsaustauschs die häufigen Initiativen der Hersteller
zur Stabilisierung der Preise und der Produktion angeregt oder zumindest gebilligt
habe, daß die Kommission den Herstellern nach dem Muster der während der Zeit
der offensichtlichen Krise bei der vierteljährlichen Aufteilung der „I-Quoten“ auf
die nationalen Märkte („i-Quoten“) angewandten Praxis ihren Standpunkt zur
erwünschten Marktentwicklung mitgeteilt und Eurofer die Regelung der
praktischen Einzelheiten des von ihr befürworteten Vorgehens auf dem Markt
überlassen habe, daß die Kommission selbst im Rahmen ihres Vorgehens zur
Marktsanierung bei den Bemühungen der Hersteller zur Bewältigung der Preis- und
Produktionsschwankungen eine entscheidende Rolle gespielt habe und daß die
Hersteller ohne Unterstützung oder zumindest Billigung der Kommission nichts
hätten unternehmen können. Aus den „Speaking Notes“ ergebe sich zwar nicht,
welche Informationen in der Träger-Kommission im einzelnen ausgetauscht und zur
Ermittlung der Preistendenzen und der Mengenprognosen verwendet worden seien,
aber die Kommission habe gewußt oder hätte wissen müssen, daß ein solcher
Informationsaustausch unter den Herstellern zur Vorbereitung der Gespräche mit
ihr ebenso unabdingbar gewesen sei wie in der jüngsten Vergangenheit, und sie
hätte den Herstellern deshalb raten müssen, die Methode zur Erstellung ihrer
Prognosen zu ändern. Die „Speaking Notes“ enthielten auch zahlreiche ganz klare
Hinweise auf Erörterungen über die Preise und auf das gemeinsame Bestreben der
Kommission und der Hersteller, ihr Niveau zu halten. Die Kommission habe sogarversucht, die Preisdisziplin unmittelbar zu stärken, indem sie z. B. 1989 die
Einführung einer Verpflichtung der Hersteller ins Auge gefaßt habe, sich
gegenseitig die angewandten Rabatte mitzuteilen (vgl. Klageschrift in der
Rechtssache T-151/94, Anhang 5).
- 530.
- Obwohl dem Anhörungsbeauftragten die Protokolle und Vermerke über die
zahlreichen Treffen der Kommission mit den Stahlunternehmen in dieser Zeit
vollständig übermittelt worden seien, gehe aus Randnummer 312 der Entscheidung
hervor, daß die Kommission eine eingehende Prüfung dieser Unterlagen, deren
Erheblichkeit sie pauschal verneine, unterlassen habe.
- 531.
- Es treffe zu, daß die Kommission regelmäßig auf Artikel 65 des Vertrages und
insbesondere darauf hingewiesen habe, daß er in der Krisenzeit in vollem Umfang
anwendbar bleibe. Mangels praktischer Vorgaben der Kommission seien diese
bloßen Hinweise jedoch bedeutungslos gewesen.
- 532.
- So habe z. B. die auf Verlangen von Herrn Kutscher in das Protokoll des
Konsultationstreffens vom 26. Januar 1989 (Klageschrift in der Rechtssache
T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 16) aufgenommene Erklärung, daß die
Kommission keine gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßenden Preis- oder
Mengenabsprachen hinnehmen könne, den Herstellern keine Leitlinien verschafft,
wie sie die von der Kommission benötigten Marktprognosen erstellen sollten, ohne
Aufträge und Lieferungen zu „überwachen“ oder Informationen über
Preisänderungen auszutauschen.
- 533.
- In der Entscheidung selbst werde in Randnummer 311 anerkannt, daß es
„Mißverständnisse“ hinsichtlich der Anwendbarkeit von Artikel 65 des Vertrages
in der Krisenzeit gegeben haben könne. Die Unsicherheit sei nach dem 30. Juni
1988 nicht weggefallen. Sie habe im Gegenteil noch zugenommen, da die
Kommission weiterhin in die Branche eingegriffen und zugleich ohne nähere
Erläuterung erklärt habe, daß die Bestimmungen von Artikel 65 Anwendung
fänden.
- 534.
- Unter diesen Umständen habe die von der Kommission am 4. Mai 1988 anläßlich
der Einleitung des Verfahrens „nichtrostender Flachstahl“ veröffentlichte
Pressemitteilung, in der es heiße, daß sie keine unrechtmäßigen Absprachen dulden
werde (vgl. Randnr. 305 der Entscheidung), keinen praktischen Nutzen besessen.
Das Kommissionsmitglied Van Miert habe im übrigen in der Pressekonferenz vom
16. Februar 1994 eingeräumt, daß in der Zeit nach der offensichtlichen Krise eine
gewisse Unklarheit bestanden haben könnte. Daher hätten Leitlinien veröffentlicht
werden müssen, um jedes Mißverständnis auszuräumen (vgl. z. B. im Rahmen des
EG-Vertrags die Leitlinien für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im
Telekommunikationsbereich, ABl. 1991, C 233, S. 2).
- 535.
- Erstmals in ihrer am 18. Juli 1990 erlassenen Entscheidung „nichtrostender
Flachstahl“ habe die Kommission das Verhalten der Unternehmen in der fraglichen
Zeit mißbilligt und Praktiken verurteilt, die sie zuvor in ähnlicher Form akzeptiert
und sogar unterstützt habe. Diese Verurteilung stehe somit in Widerspruch zur
früheren Haltung der Kommission, aufgrund deren die Unternehmen angenommen
hätten, daß ihre Praktiken mit Artikel 65 des Vertrages in Einklang stünden.
- 536.
- Die Kommission habe ihre Auslegung der Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags
Ende 1990 geändert (siehe oben, Randnrn. 37 und 38). Sie verstoße jedoch gegen
den Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenn sie Artikel 65 des Vertrages
rückwirkend auf die Unternehmen anwende, nachdem sie in der fraglichen Zeit
damit einverstanden gewesen sei, ihn nicht auf die streitigen Praktiken anzuwenden,
und solche Praktiken im Gegenteil unterstützt oder zumindest mit den
Unternehmen ähnliche Praktiken entwickelt habe.
- 537.
- Dem Grundsatzargument der Kommission, daß eine behördliche Duldung eine
Zuwiderhandlung keinesfalls legitimieren oder rechtfertigen könne, seien die
Urteile des Gerichtshofes vom 12. November 1987 in der Rechtssache 344/85
(Ferriere San Carlo/Kommission, Slg. 1987, 4435) und vom 24. November 1987 in
der Rechtssache 223/85 (RSV/Kommission, Slg. 1987, 4617) entgegenzuhalten.
- 538.
- Die Rechtsprechung in den Urteilen des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1980 in
der Rechtssache 1252/79 (Lucchini/Kommission, Slg. 1980, 3753, Randnr. 9) und
vom 28. März 1984 in der Rechtssache 8/83 (Bertoli/Kommission, Slg. 1984, 1649,
Randnr. 21), nach der eine nachlässige Verfolgung durch die Kommission eine
Zuwiderhandlung nicht legitimieren könne, sei dagegen auf den vorliegenden Fall
nicht anwendbar. Die Kommission habe sich hier gegenüber den Trägerherstellern
nicht bloß nachlässig verhalten, sondern die in der Entscheidung beanstandeten
Verhaltensweisen in voller Kenntnis der Sachlage geduldet und sogar unterstützt.
- 539.
- In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen ferner eine eingehende
Analyse der „Speaking Notes“ und der auf Verlangen des Gerichts eingereichten
Unterlagen der GD III vorgelegt. Außerdem haben sie sich auf die vom Gericht
vernommenen Zeugen und insbesondere auf Herrn Kutscher berufen.
Zusammenfassung der Zeugenvernehmung
- 540.
- Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Pedro
Ortún und Herrn Guido Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn
Hans Kutscher, einen ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den
Kontakten zwischen der GD III und der Stahlindustrie in der Zeit von Juli 1988 bis
Ende 1990 zu vernehmen, die in der Entscheidung bei der Bußgeldbemessung als
Zeitraum der Zuwiderhandlung zugrunde gelegt wurde. Die Zeugen sind vom
Gericht in der Sitzung vom 23. März 1998 vernommen und gemäß Artikel 68 § 5
der Verfahrensordnung vereidigt worden.
- 541.
- Herr Ortún, der damalige Leiter der Direktion E „Stahl“ der GD III (die später
in Direktion „Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft III“ umbenannt wurde), hat
in seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts erklärt, daß die
nach dem 30. Juni 1988 entsprechend dem Mandat, das der Rat der Kommission
am 24. Juni 1988 erteilt habe, eingeführten Konsultationstreffen mit der gesamten
Stahlindustrie sowie die auf Mitglieder von Eurofer beschränkten Treffen dazu
gedient hätten, der Kommission einen möglichst genauen Überblick über die
Situation und die Tendenzen auf den verschiedenen Produktmärkten zu
verschaffen, um deren Überwachung im Rahmen der Entscheidung Nr. 2448/88 zu
ermöglichen und die Aufstellung der Vorausschätzungsprogramme zu erleichtern,
und daß sie die aus anderen Quellen wie nicht zu Eurofer gehörenden
Herstellern, Verbrauchern, Händlern und von der Kommission beauftragten
unabhängigen Sachverständigen stammenden Informationen ergänzt hätten. Bei
diesen Treffen sei normalerweise für jede Produktgruppe ein Vertreter der
Industrie als Branchensprecher aufgetreten und habe Informationen über die
Entwicklung der Nachfrage, der Produktion, der Lieferungen, der Lagerbestände,
der Preise, der Ausfuhren, der Einfuhren und anderer Marktparameter in den
nächsten Monaten geliefert. Dieser ständige Meinungsaustausch mit der Industrie
über die wichtigsten Marktparameter habe vorausgesetzt, daß die Hersteller vor
ihren Treffen mit der GD III zusammengekommen seien, um ihre Eindrücke und
Meinungen zu den künftigen Tendenzen auf den verschiedenen Produktmärkten
einschließlich der Preisentwicklung auszutauschen; der GD III, die keine Protokolle
dieser internen Sitzungen erhalten habe, sei aber nicht bekannt gewesen, welche
Informationen dabei ausgetauscht worden seien und welchen Gebrauch die
Hersteller davon gemacht hätten; sie habe sich auch nicht besonders darum
gekümmert. Auf Fragen des Gerichts hat Herr Ortún geantwortet, nach Juni 1988
habe die Kommission weder eine Politik der Stabilität der traditionellen
Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten verfolgt noch die Erhöhung oder
Beibehaltung der Preise angestrebt, sondern nur verhindern wollen, daß
Konjunkturschwankungen zu erheblichen abrupten Preisänderungen ohne direkten
Zusammenhang mit der Entwicklung der Nachfrage führten. Er hat ferner betont,
daß die GD III, obwohl es nicht ihr Ziel oder ihre Hauptaufgabe gewesen sei, zu
prüfen oder darüber zu wachen, daß die mit dem Informationsaustausch der
Hersteller vor den Treffen mit ihr verbundenen Praktiken den Wettbewerbsregeln
des Vertrages entsprächen, die Hersteller mehrfach auf ihre Pflicht zur Einhaltung
der Bestimmungen von Artikel 65 hingewiesen habe und deshalb davon
ausgegangen sei, daß sie diese einhielten.
- 542.
- Herr Kutscher, der damals Hauptberater in der Direktion E der GD III war, hat
in seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts u. a. ausgeführt,
er habe auf Wunsch von Herrn Narjes, dem damals für die Industriepolitik
zuständigen Mitglied der Kommission, in das Protokoll des Konsultationstreffens
vom 26. Januar 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 16) folgende Warnung aufnehmen lassen: „[S]ollte die Kommission
feststellen, daß innerhalb des Industriezweigs Vereinbarungen über Preise und
Tonnagen vorliegen, die gegen Artikel 65 des EGKS-Vertrages verstoßen, [würde]
sie die erforderlichen Schritte nach diesem Artikel einleiten ...“ Diese Warnung, die
er mit mehr oder weniger gleichen Worten bereits am 1. und 20. Juni 1988 sowie
im Oktober 1988 vor dem Beratenden Ausschuß der EGKS ausgesprochen habe,
habe ein klarer Hinweis an die Industrie sein sollen, daß nach dem Ende des
Quotensystems der freie Wettbewerb voll zum Tragen komme und daß die
Bestimmungen von Artikel 65 des Vertrages strikt eingehalten werden müßten, und
mit ihr habe verhindert werden sollen, daß sich ein Kartell der in der Entscheidung
„nichtrostender Flachstahl“ festgestellten Art wiederhole.
- 543.
- Herr Kutscher hat ferner eingeräumt, daß die GD III gewußt habe, daß die
Mitgliedsunternehmen von Eurofer vor ihren Treffen mit der Kommission
zusammengekommen seien und bei diesem Anlaß die Entwicklung der
verschiedenen Marktparameter erörtert hätten, um zu einem gewissen Konsens
über die künftigen Markttendenzen zu gelangen, dessen Inhalt dann Gegenstand
der Gespräche mit der GD III gewesen sei. Es wäre für die Kommission oder für
eine Wirtschaftsvereinigung wie Eurofer nach seinen Angaben praktisch unmöglich
gewesen, jeden Hersteller einzeln zu befragen. Um der Kommission die von ihr
benötigten Informationen zu liefern, hätten sich die Hersteller somit zum Austausch
ihrer Meinungen und Prognosen über die Tendenzen bei Preisen, Lagerbeständen,
Einfuhren usw. treffen müssen. Es sei dann Aufgabe des Vorsitzenden der
betreffenden Sitzung gewesen, die ausgetauschten Informationen
zusammenzufassen und der Kommission bei den Konsultationstreffen mitzuteilen.
- 544.
- Herr Kutscher hat insbesondere ausdrücklich eingeräumt, daß die Unternehmen
im Rahmen ihrer Sitzungen ihre jeweiligen Prognosen hinsichtlich der künftigen
Preise verschiedener Produkte oder sogar ihre entsprechenden Absichten
ausgetauscht hätten. Seines Erachtens verstößt ein Meinungsaustausch der
Hersteller über ihre individuellen künftigen Preisabsichten nicht gegen das Verbot
verabredeter Praktiken in Artikel 65 § 1 des Vertrages, selbst wenn ihm tatsächlich
eine den ausgetauschten Prognosen entsprechende allgemeine Preisänderung folgt,
sofern sich dieser Meinungsaustausch auf konjunkturelle Feststellungen beschränkt
und nicht zu einer Vereinbarung, Abstimmung oder Absprache über die
Preisänderung führt. Auf einem Markt wie dem Stahlmarkt werde eine bei guter
Konjunktur wie sie 1988/89 geherrscht habe von einem Hersteller eigenständig
beschlossene Preiserhöhung sehr schnell bekannt, und wenn sie mit der
Konjunkturentwicklung in Einklang stehe, schlössen sich die meisten Konkurrenten
von sich aus fast automatisch an, ohne daß es einer Absprache zwischen ihnen
bedürfe, denn jeder wolle von der günstigen Situation profitieren.
- 545.
- Herr Kutscher hat jedoch betont, daß die GD III keine Kenntnis von
Vereinbarungen oder verabredeten Praktiken gehabt habe, die über einen solchen
Informationsaustausch der Unternehmen hinausgegangen seien, und daß die
insoweit gelegentlich von ihm persönlich gehegten Zweifel von seinen
Gesprächspartnern zerstreut worden seien. Er hat in diesem Punkt speziell auf das
Konsultationstreffen vom 27. Juli 1989 Bezug genommen (vgl. die von der
Beklagten gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegte Aktennotiz
vom 3. August 1989 über dieses Treffen), in dessen Verlauf er auf die Ankündigung
von Herrn Meyer, dem Vorsitzenden der Träger-Kommission, daß der Markt
ausgewogen sei und sogar noch leichte Preiserhöhungen ab dem 1. Oktober 1989
zulasse, erwidert habe, daß die Kommission auf die vollständige Einhaltung der
Preisvorschriften in Artikel 65 des Vertrages Wert lege. Der Vertreter der Industrie
habe ihn mit der Versicherung beruhigt, daß sich die betroffenen Unternehmen in
diesem konkreten Fall darauf beschränkt hätten, den Handel und die Kunden über
ihre jeweiligen Preiserhöhungsabsichten zu informieren. Es sei damals im übrigen
durchaus üblich gewesen, daß die Stahlproduzenten ihre Hauptkunden vorab über
ihre individuellen künftigen Preisabsichten informierten. Außerdem hätten die
1988/89 von den Herstellern bei den Treffen angekündigten bescheidenen
Preiserhöhungen mit der günstigen Konjunkturentwicklung in Einklang gestanden
und daher bei der GD III nicht den Verdacht erwecken können, daß sie das
Ergebnis einer Absprache seien. Schließlich habe es bei den zahlreichen
Gesprächen mit den Vertretern der Stahlindustrie abgesehen von dem Vorfall mit
Herrn Meyer nie den geringsten Anhaltspunkt dafür gegeben, daß die Industrie
bei Trägern oder anderen Stahlerzeugnissen Preis- oder Mengenabsprachen
getroffen habe.
- 546.
- Herr Vanderseypen, der damals der Direktion E der GD III angehörte, hat in
seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts u. a. ausgeführt, wie
sein von der Beklagten gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegter
Aktenvermerk vom 7. April 1989 belege, sei der GD III bekannt gewesen, daß
Eurofer von seinen Mitgliedern Schnellstatistiken mit globalen monatlichen
Angaben über Aufträge und Lieferungen erhalten habe, die zehn bis zwanzig Tage
nach Ablauf des betreffenden Monats vorgelegen hätten; sie habe aber nichts von
dem System des Monitoring der individuellen Aufträge und Lieferungen der
beteiligten Unternehmen gewußt, das etwa zur gleichen Zeit durch Eurofer
eingeführt worden sei. Die fraglichen Schnellstatistiken seien auf
Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen
Zielmärkten aufgeschlüsselt gewesen, so daß kein mitwirkendes Unternehmen den
Marktanteil seiner Konkurrenten habe ermitteln können. Die Kommission habe
von Eurofer nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten, sie habe
keine Kenntnis davon gehabt, daß bei Eurofer solche Zahlen in Umlauf gewesen
seien, und die von ihm befragten Gesprächspartner hätten noch im Juli 1990
erklärt, daß Eurofer keinen solchen Austausch vorgenommen habe.
- 547.
- Zu den bei den fraglichen Treffen genannten Zahlen über die Preistendenzen sei
festzustellen, daß Aufträge für Stahlerzeugnisse im allgemeinen durch Lieferungen
innerhalb von drei Monaten ausgeführt würden. Diese Angaben hätten daher
häufig aufgrund der ersten für das folgende Quartal eingegangenen Bestellungen
gemacht werden können. Die Preisangaben in den „Speaking Notes“ seien daher
nicht zwangsläufig Absichtserklärungen, sondern möglicherweise beginnende
Realität, nämlich die in den ersten eingehenden Bestellungen zu findenden Preise.
Würdigung durch das Gericht
Vorbemerkungen
- 548.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich das Vorbringen der Klägerinnen seinem
Wesen nach nur auf die ihnen im Rahmen der Tätigkeiten der Träger-Kommission
zur Last gelegten Zuwiderhandlungen beziehen kann. Insoweit besteht es im
wesentlichen aus vier Teilen:
a) Während der offensichtlichen Krise habe die Kommission die Unternehmen
insbesondere im Rahmen der Durchführung des Systems der „i-Quoten“ auf
den nationalen Märkten, der Preisabsprachen und der Bemühungen um
freiwillige Vereinbarungen über den Kapazitätsabbau zu einer engen
horizontalen Zusammenarbeit ermuntert. Sie habe dadurch den Eindruck
erweckt, daß solche Verhaltensweisen entweder nicht gegen Artikel 65 § 1
des Vertrages verstießen oder daß diese Bestimmung einen flexiblen Inhalt
habe, der von der Politik der Kommission zu einem bestimmten Zeitpunkt
abhänge. Die Kommission habe bei den Unternehmen zumindest Unklarheit
darüber geschaffen, welche Verhaltensweisen nach Artikel 65 § 1 des
Vertrages verboten seien.
b) Am Ende der Krisenzeit habe die Kommission keine praktischen Vorgaben
oder Leitlinien gegeben, die die fraglichen Mißverständnisse hätten
ausräumen können, so daß die Unternehmen nicht imstande gewesen seien,
die genaue Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu ermitteln.
Außerdem habe die Kommission keine Übergangsmaßnahmen getroffen,
sondern die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags ohne Vorwarnung
rückwirkend den Regeln des EG-Vertrags angepaßt.
c) Nach dem Ende der Krisenzeit habe die Kommission jedenfalls davon
gewußt und es sogar unterstützt, daß im Rahmen zahlreicher Treffen der
Unternehmen mit der GD III zur Sicherstellung der Umsetzung der Artikel
46 bis 48 des Vertrages und des durch die Entscheidung Nr. 2448/88
eingeführten Überwachungssystems insbesondere über Aufträge,
Lieferungen, das tatsächliche und das geschätzte künftige Preisniveau
Informationen gesammelt und ausgetauscht worden seien. Die Kommission
habe die den Unternehmen in der Entscheidung zur Last gelegten Praktiken
somit gekannt und sogar geduldet.
d) Folglich seien die fraglichen Praktiken vor allem im Hinblick auf die Artikel
46 bis 48 des Vertrages rechtmäßig.
Zum Verhalten der Kommission in der Krisenzeit
- 549.
- Wie aus den obigen Randnummern 6 ff. hervorgeht, verfolgte die Kommission seit
Beginn der Krise in der Stahlindustrie Mitte der siebziger Jahre aktiv eine Politik
der Anpassung des Angebots an die Nachfrage, der Aufrechterhaltung der Stabilität
traditioneller Handelsströme sowohl innerhalb als auch außerhalb der
Gemeinschaft und der Stützung der Preise, um die erforderlichen
Umstrukturierungen in Form von Kapazitätsverringerungen zu ermöglichen und
zugleich das Überleben möglichst vieler Unternehmen sicherzustellen. Da das
Angebot weit höher war als die Nachfrage, sah sich die Kommission veranlaßt, dem
Auftragsmangel durch die Festsetzung von Quoten nach den Grundsätzen der
gleichmäßigen Lastenverteilung und der Erbringung gleicher Opfer zu begegnen,
in denen eine gewisse Solidarität der Unternehmen angesichts der Krise zum
Ausdruck kam, die geordnete strukturelle Anpassungen begünstigen sollte.
- 550.
- Diese Politik wurde in enger Zusammenarbeit mit der Industrie und vor allem mit
Hilfe von Eurofer durchgeführt, und zwar sowohl durch freiwillige Verpflichtungen
der Unternehmen gegenüber der Kommission, die für die Jahre 1977 bis 1980
kennzeichnend waren, als auch durch das System der „I-“ und „i-Quoten“ und der
Eurofer-Vereinbarungen in den Jahren 1980 bis 1988.
- 551.
- Dabei entwickelten die Unternehmen mit Unterstützung und jedenfalls mit Wissen
der GD III Praktiken, die in mehrfacher Hinsicht den ihnen in der Entscheidung
zur Last gelegten Praktiken ähneln. Sie widmeten sich u. a. der Überwachung der
traditionellen Handelsströme, deren Aufrechterhaltung, die die Aufteilung der
Märkte anhand nationaler Grenzen voraussetzte, im übrigen bis 1986 in Artikel
15B der Entscheidung Nr. 234/84 ausdrücklich vorgesehen war. Sie trafen ferner
Vorkehrungen zur Aufdeckung und Verhinderung störender Verhaltensweisen
durch die Überwachung der Aufträge und Lieferungen und schufen Systeme zur
Anpassung des Angebots an die Nachfrage und zur Stützung der Preise.
- 552.
- Die Kommission sah sich somit veranlaßt, Verhaltensweisen zuzulassen, zu billigen
oder zu unterstützen, die nach außen hin den auf marktwirtschaftlichen Prinzipien
beruhenden normalen Regeln für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes
zuwiderliefen (Urteil Valsabbia u. a./Kommission, Randnr. 80) und die daher unter
das Kartellverbot in Artikel 65 des Vertrages fallen konnten. So erhob sie zu einem
Zeitpunkt, als sie eine Harmonisierung und eine allgemeine Anhebung der Preise
in der Gemeinschaft anstrebte, keinen Einwand gegen einen Aufruf der Vertreter
der französischen Stahlindustrie zum Abschluß einer Vereinbarung über die
Preisfestsetzung auf dem französischen Markt (vgl. das Protokoll des Treffens des
Kommissionsmitglieds Narjes mit Vertretern von Eurofer am 16. Mai 1986). Aus
einigen offiziellen Unterlagen (vgl. z. B. die Entscheidung Nr. 1831/81/EGKS der
Kommission vom 24. Juni 1981 zur Einführung eines Überwachungssystems und
eines neuen Systems von Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse für die
Unternehmen der Stahlindustrie, ABl. L 180, S. 1, und das Protokoll des Treffens
von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März 1986) geht ferner hervor, daß die
Kommission gewisse „private Abmachungen“, „Abreden“, „interne
Vereinbarungen“ und „freiwillige Systeme“ der Unternehmen offen unterstützte.
- 553.
- In dieser Zeit war die Kommission offenbar der Ansicht, daß diese privaten
Vereinbarungen, Praktiken und Systeme nicht unter Artikel 65 des Vertrages fielen,
sofern sie nur mit ihrer allgemeinen Politik in Einklang stehende Durchführungs-
oder Begleitmaßnahmen der Unternehmen darstellten. Die von der Kommission
hierzu vertretene Auffassung wird bereits im Schreiben von Herrn Davignon und
Herrn Andriessen an den Vorsitzenden von Eurofer vom 17. Januar 1983 dargelegt
(siehe oben, Randnr. 10). Das System der einander ergänzenden „I-“ und „i-Quoten“ im Rahmen der Eurofer-Vereinbarungen macht dies am deutlichsten.
- 554.
- Abschnitt VIII Nr. 13 der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bestätigt, daß
nach Ansicht der Kommission „ein grundlegender Unterschied zwischen
Vereinbarungen, die von den Unternehmen nach Konsultation mit der Kommission
im wesentlichen mit dem Ziel geschlossen werden, die von der Kommission
getroffenen Maßnahmen wirksamer zu gestalten und deren Überwachung zu
vereinfachen, und andererseits Vereinbarungen [besteht], die von den
Unternehmen eigenständig ohne Konsultierung der Kommission (die in diesem
Falle lediglich unverbindlich in Kenntnis gesetzt wurde) getroffen wurden und
deren Ziel nicht in begleitenden Maßnahmen zu bestehenden Einschränkungen,
sondern in der Schaffung neuer Beschränkungen mit zusätzlichen wirtschaftlichen
Auswirkungen bestand“.
- 555.
- Desgleichen führt die Kommission in Randnummer 309 der Entscheidung folgendes
aus: „Die Tatsache, daß der Wettbewerb in verschiedener Hinsicht durch das
Tätigwerden der Gemeinschaft begrenzt worden ist, erlaubt es den Unternehmen
nicht, zusätzliche Beschränkungen aufzuerlegen oder den Wettbewerb in anderer
Hinsicht einzuschränken. In solchen Fällen ist es entscheidend, daß die
Unternehmen und deren Verbände nichts weiteres unternehmen, um den
Wettbewerb einzuschränken.“
- 556.
- Die einzige der Klägerin für die Zeit vor dem 1. Juli 1988 hinreichend präzise zur
Last gelegte Zuwiderhandlung, die mit den Tätigkeiten der Träger-Kommission
zusammenhängt, ist jedoch die auf einer Sitzung an einem nicht näher zu
bestimmenden Datum vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung, auf die
in Randnummer 224 der Entscheidung eingegangen wird. Wie nämlich aus der
Entscheidung hervorgeht, wurden die übrigen Vereinbarungen in der Träger-Kommission über die Preisfestsetzung, die Aufpreisharmonisierung, die Traverso-Methode und den französischen Markt nach dem 30. Juni 1988 getroffen. Ferner
geht aus der Entscheidung hervor, daß sich die mit dem Auftrags- und
Liefermonitoring und dem Austausch von Informationen im Rahmen der
Walzstahl-Vereinigung zusammenhängenden Zuwiderhandlungen auf die Zeit nach
dem 30. Juni 1988 beziehen, denn das Liefermonitoring begann erst nach dem 18.
Oktober 1988 (Randnr. 41 der Entscheidung), und alle von der Kommission
angeführten Nachweise für den Gegenstand und die Wirkung des
Informationsaustauschs stammen aus der Zeit nach dem 30. Juni 1988 (vgl.
Randnrn. 49 bis 60 und Anhang I der Entscheidung).
- 557.
- Was die somit allein relevante Preisfestsetzungsvereinbarung vor dem 2. Februar
1988 anbelangt, so ist bereits auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes
hingewiesen worden, nach der das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages in ganzer
Strenge gilt und für die vom Vertrag geschaffene Wirtschaftsordnung
kennzeichnend ist (Stellungnahme 1/61, S. 566). Unabhängig von der Tragweite der
Artikel 46 bis 48, 58 oder 61 des Vertrages ermächtigen diese Bestimmungen die
Unternehmen nicht zum Abschluß nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verbotener
Vereinbarungen über die Preisfestsetzung und gestatten es der Kommission auch
nicht, solche Vereinbarungen zu unterstützen oder zu dulden.
- 558.
- Die Klägerin hat dem Gericht jedenfalls keine Anhaltspunkte geliefert, die es
ermöglichen, eine unmittelbare Verbindung zwischen der fraglichen Vereinbarung
und den von der Kommission in der Krisenzeit gemäß den Bestimmungen des
Vertrages getroffenen Maßnahmen herzustellen.
- 559.
- Folglich kann das Verhalten der Kommission während der Zeit der offensichtlichen
Krise die Einstufung der Preisfestsetzungsvereinbarung vor dem 2. Februar 1988
als Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht beeinträchtigen.
- 560.
- Es ist jedoch hinzuzufügen, daß trotz des Schreibens von Herrn Davignon und
Herrn Andriessen an Eurofer vom 17. Januar 1983 die Praxis der Kommission
während der Zeit der offensichtlichen Krise dazu führte, daß nicht ohne weiteres
ermittelt werden konnte, worin sie damals die genaue Tragweite von Artikel 65 des
Vertrages sah. Sie hat deshalb in Randnummer 311 der Entscheidung zu Recht
ausgeführt, daß sie „[i]m Hinblick auf die möglichen Mißverständnisse betreffend
die Anwendbarkeit von Artikel 65 in der Zeit der offensichtlichen Krise und der
Anwendung des Quotensystems“ beschlossen habe, „gegen die Unternehmen keine
Geldbußen für ihr Verhalten bis zum 30. Juni 1988 ... festzusetzen“.
Zum Fortbestand von Mißverständnissen über die Auslegung oder Anwendung von
Artikel 65 § 1 des Vertrages nach der Zeit der offensichtlichen Krise
- 561.
- Zunächst können etwaige nach dem Ende der Zeit der offensichtlichen Krise
fortbestehende Zweifel an der tatsächlichen Tragweite von Artikel 65 § 1 des
Vertrages oder, angesichts der unklaren Haltung der Kommission bis zum 30. Juni
1988, an deren Standpunkt hierzu keinen Einfluß auf die Einstufung der der
Klägerin für die Folgezeit zur Last gelegten Verhaltensweisen als
Zuwiderhandlungen haben.
- 562.
- Nach dem Ende der Zeit der offensichtlichen Krise konnte die Klägerin jedenfalls
keine ernsthaften Zweifel an der Haltung der Kommission zur Anwendung von
Artikel 65 § 1 des Vertrages oder an der Tragweite dieser Bestimmung in bezug
auf die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen haben.
- 563.
- Insoweit erkannte die Kommission Mitte der achtziger Jahre, daß das
Quotensystem und seine Begleitmaßnahmen die für eine dauerhafte Sanierung derBranche als unabdingbar angesehenen strukturellen Anpassungen keineswegs
begünstigten, sondern den Unternehmen eine Art von Schutzschirm verschafft
hatten (vgl. dazu den „Bericht der Drei Weisen“, siehe oben, Randnr. 24). Die
Kommission stellte daher das Scheitern des seit 1980 geltenden Quotensystems fest
und beschloß, über einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren die Rückkehr zu
einer normalen Wettbewerbsregelung nach den Vorschriften des Vertrages zu
planen. Sie erwartete nämlich, daß die Marktkräfte herbeiführen würden, was mit
Lenkungsmaßnahmen nicht hatte erreicht werden können, da die Wiederherstellung
des freien Wettbewerbs in einer Branche mit struktureller Überkapazität
zwangsläufig über kurz oder lang zum Verschwinden der leistungsschwächsten
Einheiten führen müßte (siehe oben, Randnrn. 27 und 28).
- 564.
- Die Kommission war berechtigt, die Regelung für die offensichtliche Krise zu
beenden, da die in Artikel 58 § 3 des Vertrages genannten formalen
Voraussetzungen vorlagen. Folglich fanden die „auf marktwirtschaftlichen
Prinzipien beruhenden“ normalen Regeln für das Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes für Kohle und Stahl (Urteil Valsabbia u. a./Kommission, Randnr. 80) nach
dem Ende dieser Regelung automatisch wieder Anwendung.
- 565.
- Diese Änderung der Politik der Kommission wurde den Betroffenen auch klar
mitgeteilt und war mit geeigneten Übergangsmaßnahmen verbunden.
- 566.
- Die Abschaffung des Quotensystems wurde mehrere Jahre vor ihrem Inkrafttreten,
nämlich schon 1985, öffentlich angekündigt. Sie wird in zahlreichen offiziellen
Schriftstücken aus der Zeit von 1985 bis 1988 klar angesprochen und wurde den
Betroffenen zudem, u. a. im Rahmen der Treffen zwischen der Kommission und
Eurofer, speziell mitgeteilt (siehe oben, Randnrn. 17 ff.).
- 567.
- Die Unternehmen wußten insbesondere spätestens seit September 1985, daß eine
Übergangsregelung eingeführt worden war. Dabei war die Kommission bereit, das
Quotensystem um mehrere Jahre zu verlängern, um es der Industrie zu
ermöglichen, sich allmählich auf eine Rückkehr zu normalen
Wettbewerbsbedingungen einzustellen. Sie ließ von einer Gruppe von drei
„Weisen“ ein Gutachten erstellen, das bestätigte, daß ihre Auffassung zutraf und
daß die Industriellen die Schwere der Krise und die Notwendigkeit, sich an die
weltweite Konkurrenz anzupassen, nicht erkannt hatten. Auch 1988 war sie bereit,
das Quotensystem bis Ende 1990 zu verlängern, falls sich die Stahlindustrie ihr
gegenüber verpflichtete, wenigstens 75 % der von ihr festgestellten
Überkapazitäten abzubauen. Selbst nach der Rückkehr zu den normalen
Wettbewerbsregeln traf die Kommission schließlich verschiedene begleitende
Übergangsmaßnahmen, zu denen u. a. das für die Zeit vom 1. Juli 1988 bis zum 30.
Juni 1990 durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführte Überwachungssystem
gehörte. Es kann daher nicht geltend gemacht werden wie es einige Klägerinnen
tun , daß die Kommission die Unternehmen schuldhaft in eine unzumutbare
Situation gebracht habe, indem sie sie plötzlich und unvorbereitet dem freien
Wettbewerb überlassen habe.
- 568.
- Außerdem hat Eurofer wie aus dem oben in Randnummer 20 auszugsweise
zitierten Protokoll der Sitzung vom 16. Mai 1986 hervorgeht ihrerseits geprüft,
in welcher Weise auf die neue Politik der Kommission reagiert werden kann.
- 569.
- Darüber hinaus wurden die Unternehmen mehrfach auf das Erfordernis der
Einhaltung der Wettbewerbsregeln des Vertrages und insbesondere auf die
zwingenden Vorschriften in Artikel 65 aufmerksam gemacht. Namentlich durch die
Pressemitteilung vom 4. Mai 1988 und im Lauf des Verwaltungsverfahrens in der
Sache „nichtrostender Flachstahl“ erhielten sie ganz klare Hinweise. Ferner wurden
in die Protokolle einiger Treffen von Vertretern der Kommission und der Industrie
auf ausdrückliches Verlangen der Kommissionsbeamten offizielle Erklärungen oder
Warnungen aufgenommen (siehe unten, Randnrn. 589 und 590).
- 570.
- Im übrigen ist bereits festgestellt worden, daß die vorliegende Rechtssache
Vereinbarungen oder verabredete Praktiken zur Preisfestsetzung, zur Aufteilung
der Märkte und zum Austausch nach Ländern und Unternehmen aufgeschlüsselter
Informationen über Aufträge und Lieferungen der beteiligten Unternehmen
betrifft, die zur Koordinierung ihrer Geschäftstätigkeiten und zur Beeinflussung der
Handelsströme nach dem Ende der Krisenzeit dienten. Die Unternehmen konnten
keine ernstlichen Zweifel daran haben, daß solche Verhaltensweisen gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages verstießen.
- 571.
- Da es sich um klare Verstöße gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages handelte,
bedurfte es zu ihrer Feststellung auch keiner „Anpassung“ der Wettbewerbsregeln
des EGKS-Vertrags an die Regeln des EG-Vertrags durch die Kommission, so daß
das Vorbringen der Klägerinnen zu den von ihr ab 1990 angestellten Überlegungen
zur Zukunft des EGKS-Vertrags irrelevant ist.
- 572.
- Die Klägerinnen können sich demnach nicht auf angebliche Mißverständnisse in
bezug auf die Anwendung oder die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages
nach dem Ende der Regelung für die offensichtliche Krise berufen.
Zur Verwicklung der GD III in die nach dem Ende der Regelung für die
offensichtliche Krise festgestellten Zuwiderhandlungen
- 573.
- Um diesen Aspekt der Klage näher aufzuklären, hat das Gericht durch Beschluß
vom 10. Dezember 1997 die Vorlage der Noten, Aktenvermerke oder Protokolle
angeordnet, die die Beamten der GD III in Zusammenhang mit ihren Treffen mit
den Vertretern der Stahlindustrie während des Anwendungszeitraums des
Überwachungssystems verfaßt haben, das durch die Entscheidung Nr. 2448/88
eingeführt worden war. Es hat ferner Herrn Ortún, Herrn Vanderseypen und
Herrn Kutscher als Zeugen zu den Kontakten zwischen der GD III und der
Stahlindustrie in der Zeit vernommen, die bei der Bußgeldbemessung in der
Entscheidung als Zeitraum der Zuwiderhandlung zugrunde gelegt wurde.
- 574.
- Weder die Aktenstücke, die dem Gericht von den Parteien vorgelegt wurden, noch
die von ihm angeordneten Beweisaufnahmen und prozeßleitenden Maßnahmen
haben den Nachweis erbracht, daß die GD III von den der Klägerin zur Last
gelegten Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 des Vertrages wußte oder sie gar
veranlaßte, unterstützte oder duldete.
- 575.
- Es gibt insbesondere keinen Beleg dafür, daß die Kommission von den in der
Entscheidung beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur
Festsetzung von Zielpreisen und zur Aufteilung der Märkte, von den
Informationsaustauschsystemen, die über den von ihr selbst im Rahmen der Treffen
zur Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme organisierten Austausch
hinausgingen, und speziell von dem in den Randnummern 39 bis 60 und 263 bis
272 der Entscheidung beschriebenen Auftrags- und Liefermonitoring oder von dem
in den Randnummern 143 und 144 der Entscheidung beschriebenen System des
Austauschs individueller Statistiken im Rahmen von Eurofer wußte.
- 576.
- In diesem Zusammenhang äußerte sich der Rat auf seiner 1255. Tagung in
Luxemburg am 24. Juni 1988 wie folgt (vgl. Anlage 3 der Klagebeantwortung in der
Rechtssache T-151/94):
Er nahm zur Kenntnis, daß die Kommission das Quotensystem bei allen
Stahlerzeugnissen zum 30. Juni 1988 auslaufen lassen wollte.
Er befürwortete eine Reihe von Maßnahmen, um den Unternehmen die
Anpassung an mögliche Nachfrageänderungen zu erleichtern, und zwar die
Erstellung monatlicher Statistiken über Produktion und Lieferungen auf der
Grundlage von Artikel 47 des Vertrages, die laufende Beobachtung der
Marktentwicklung im Rahmen der auf Artikel 46 des Vertrages gestützten
Vorausschätzungsprogramme und regelmäßige Erörterungen der Marktlage
und der Markttendenzen mit den Beteiligten.
Er unterstrich zugleich, daß niemand das Überwachungssystem dazu
mißbrauchen dürfe, um Artikel 65 des Vertrages zu umgehen.
- 577.
- Die Kommission führte daher auf der Grundlage der Entscheidung Nr. 2448/88 ein
System zur Marktüberwachung unter Mitwirkung von Eurofer ein.
- 578.
- Es trifft zu, daß die Kommission in diesem Rahmen das generelle Ziel verfolgte,
das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu erhalten und folglich das
allgemeine Preisniveau zu stabilisieren, um es den Stahlunternehmen zu
ermöglichen, wieder Gewinne zu erzielen (vgl. z. B. den internen Vermerk der
GD III vom 24. Oktober 1988 über das Treffen mit der Industrie am 27. Oktober
1988, die Aktennotiz der GD III vom 10. Mai 1989 über das Konsultationstreffen
am 27. April 1989, die Aktennotiz der GD III vom 28. Oktober 1989 über das
Konsultationstreffen am 26. Oktober 1989 und den internen Vermerk der GD III
vom 8. November 1989 über ein Treffen mit den Herstellern am 7. November
1989).
- 579.
- Die Kommission favorisierte somit die Konsultation der auf dem Markt tätigen
Hersteller mit dem Ziel, direkte Informationen über die Markttendenzen zu
erhalten und so für eine größere Transparenz der verfügbaren Informationen zu
sorgen (vgl. den internen Vermerk der GD III vom 24. Oktober 1988), um die
Anpassung der Unternehmen an mögliche Nachfrageänderungen zu erleichtern.
- 580.
- Dieser umfassende und ins einzelne gehende Informationsaustausch, in den die
Verkaufsleiter der Unternehmen einbezogen waren, denen eine größere Nähe zum
tatsächlichen Marktgeschehen zugeschrieben wurde (vgl. den internen Vermerk
vom 24. Oktober 1988), erstreckte sich u. a. auf die Angebots- und
Nachfrageparameter sowie auf das Niveau und die vergangene und künftige
Entwicklung der Preise der verschiedenen Stahlerzeugnisse auf den jeweiligen
nationalen Märkten. Die Kommission appellierte auch regelmäßig an den Sinn der
Hersteller für Mäßigung und Selbstdisziplin, indem sie sie z. B. aufforderte, das
Angebot bei ungünstiger Konjunkturentwicklung einzuschränken.
- 581.
- Wie die folgende Prüfung zeigt, gibt es in den Akten indessen keinen Anhaltspunkt
dafür, daß die Kommission bei dieser Gelegenheit die verschiedenen Absprachen
unterstützte oder duldete, die der Klägerin in der Entscheidung zur Last gelegt
werden.
Vereinbarungen über die Preisfestsetzung
- 582.
- Zu den der Klägerin zur Last gelegten Vereinbarungen über Preisfestsetzungen ist
bereits festgestellt worden, daß es sich im vorliegenden Fall entgegen ihrer
Behauptung nicht um den bloßen Austausch von Informationen über
„Preisprognosen“ handelte, sondern um echte Vereinbarungen über
Preisfestsetzungen. Nichts in den Akten läßt darauf schließen, daß die Kommission
von solchen Vereinbarungen Kenntnis hatte.
- 583.
- Es trifft zu, daß in zahlreichen Unterlagen über Treffen zwischen der Industrie und
der GD III von Preisprognosen die Rede ist.
- 584.
- Es trifft ferner zu, daß im nachhinein aus den gesamten dem Gericht vorgelegten
Unterlagen hervorgeht, daß einige Informationen, die der GD III über die
künftigen Trägerpreise gegeben wurden, auf Vereinbarungen in der Träger-Kommission beruhten (vgl. u. a. die Protokolle der Sitzungen der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988, 10. Januar, 19. April, 6. Juni und 11. Juli 1989
in Verbindung mit den Protokollen und „Speaking Notes“ der Konsultationstreffen
vom 27. Oktober 1988, 26. Januar, 27. April und 27. Juli 1989).
- 585.
- Die Beamten der GD III konnten jedoch damals nicht erkennen, daß von den
zahlreichen Informationen, die ihnen Eurofer u. a. in bezug auf die allgemeine
Marktlage, die Lagerbestände, die Ein- und Ausfuhren sowie die
Nachfragetendenzen verschaffte, die Preisinformationen auf Vereinbarungen der
Unternehmen beruhten.
- 586.
- Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß trotz der sehr großen Zahl von Treffen und
Kontakten zwischen den Unternehmen und der GD III keine der Klägerinnen
geltend gemacht hat, die GD III auch nur inoffiziell über ihre Beteiligung an den
in der Entscheidung als Zuwiderhandlungen eingestuften Verhaltensweisen
informiert zu haben. Der GD III wurde auch kein Sitzungsprotokoll der Träger-Kommission übermittelt, obwohl die Unternehmen wissen mußten, daß die GD III
die in diesen Protokollen enthaltenen eingehenden Informationen sehr geschätzt
hätte.
- 587.
- Den Aktenstücken und insbesondere den „Speaking Notes“ zu den Treffen
zwischen der Kommission und der Industrie sowie den vom Gericht angeordneten
Beweisaufnahmen und prozeßleitenden Maßnahmen läßt sich allenfalls entnehmen,
daß die GD III wußte, daß vor den Treffen mit der Kommission Sitzungen der
Mitgliedsunternehmen von Eurofer stattfanden, die darin die Entwicklung der
einzelnen Marktparameter erörterten, bis sie zu einer Art von Konsens in bezug
auf die künftigen Markttendenzen kamen, dessen Inhalt dann Gegenstand der
Gespräche mit der GD III war.
- 588.
- Wie Herr Kutscher bei seiner Vernehmung als Zeuge ausdrücklich eingeräumt hat,
war der GD III zwar bekannt, daß die Unternehmen im Rahmen dieser Sitzungen
ihre jeweiligen Prognosen für die künftigen Preise und sogar ihre entsprechendenindividuellen Absichten austauschten; er hat aber auch die Ansicht vertreten, daß
ein solcher Meinungsaustausch der Hersteller nicht unter Artikel 65 § 1 des
Vertrages falle, selbst wenn ihm tatsächlich eine den ausgetauschten Prognosen
entsprechende allgemeine Preisänderung folge, sofern sich dieser
Meinungsaustausch auf konjunkturelle Feststellungen beschränke und nicht zu einer
Vereinbarung oder Absprache über die Preisänderung führe.
- 589.
- Überdies enthält das Protokoll des Konsultationstreffens vom 26. Januar 1989
(Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 16) eine
ausdrückliche Warnung von Herrn Kutscher, wonach die Kommission, wenn sie
feststellen sollte, daß innerhalb des Industriezweigs Vereinbarungen über Mengen
und Preise vorliegen, die gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen, die
erforderlichen Schritte einleiten würde. Bei seiner Vernehmung als Zeuge hat Herr
Kutscher ausgeführt, daß er diese Erklärung auf ausdrücklichen Wunsch des
Kommissionsmitglieds Narjes schriftlich habe festhalten lassen, um die Industrie
klar darauf hinzuweisen, daß nach dem Ende des Quotensystems der freie
Wettbewerb voll stattfinden müsse und daß die Bestimmungen von Artikel 65 des
Vertrages strikt einzuhalten seien, damit sich ein Kartell wie bei nichtrostendem
Flachstahl nicht wiederhole.
- 590.
- Herr Kutscher hat, ohne daß ihm die Klägerinnen insoweit widersprochen hätten,
weiter ausgeführt, daß er drei ähnliche Erklärungen am 1. und 20. Juni 1988 sowie
im Oktober 1988 vor dem Beratenden Ausschuß der EGKS abgegeben habe.
- 591.
- Aus der Aktennotiz der GD III über das Konsultationstreffen am 27. Juli 1989 geht
außerdem hervor, daß Herr Kutscher unter Bezugnahme auf eine ihm verdächtig
erscheinende Ankündigung einer Preiserhöhung darauf hinwies, daß die
Kommission auf die vollständige Einhaltung der Vorschriften in Artikel 65 des
Vertrages Wert lege. Die Antwort des Vertreters der Träger-Kommission, daß sich
die von dieser Erhöhung betroffenen Unternehmen darauf beschränkt hätten, den
Handel und die Kunden über ihre jeweiligen Preiserhöhungsabsichten zu
informieren, ergab den Eindruck, daß es sich um ein eigenständiges Verhalten
handelte.
- 592.
- Die Klägerinnen haben somit nicht nachgewiesen, daß die ihnen in der
Entscheidung zur Last gelegten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur
Preisfestsetzung den Beamten der GD III bekannt waren oder von diesen sogar
geduldet oder unterstützt wurden.
Vereinbarungen über die Harmonisierung der Aufpreise
- 593.
- Wie zuvor in den Randnummern 305 ff. bereits ausgeführt worden ist, war der
Kommission die von den Unternehmen praktizierte Harmonisierung der Aufpreise
nicht bekannt. Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß es in der
„Speaking Note“ von Eurofer für das Konsultationstreffen am 27. Juli 1989
(Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 18) heißt, die
Dimensions- und Güteaufpreise würden vermutlich steigen, und daß diese Prognose
offenbar als Grundlage für die Bemerkung der Kommission im
Vorausschätzungsprogramm Stahl für das dritte Quartal 1989 (ABl. 1989, C 178,
S. 2 bis 9) diente, wonach es „keine Anzeichen für stärkere Aufwärtsbewegungen
[bei den Preisen für Formstahl] in den kommenden Monaten [gibt], außer bei
Preiszuschlägen, die generell europaweit harmonisiert werden“.
Vereinbarungen zur Aufteilung der Märkte
- 594.
- Die Akten belegen nicht, daß die Unternehmen von der Kommission ermuntert
wurden, sich abzustimmen, um u. a. durch den Abschluß von Vereinbarungen im
Rahmen der Traverso-Methode oder in bezug auf den französischen Markt im
vierten Quartal 1989 den Markt zu regulieren oder zu stabilisieren.
- 595.
- Es gibt in den Akten keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kommission die Traverso-Methode kannte, die erstmals im Juli 1988 und damit vor Beginn der
Konsultationstreffen im Oktober 1988 eingesetzt wurde.
- 596.
- Hinsichtlich der Vereinbarung über den französischen Markt für das vierte Quartal
1989 haben die Klägerinnen vor allem auf das Protokoll des Konsultationstreffens
vom 1. September 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3,
Schriftstück 32) verwiesen, in dem es in bezug auf die Lage auf dem französischen
Markt heißt: „Es wurde an die nationalen Hersteller appelliert, Zurückhaltung zu
üben, um die anderen Märkte der Gemeinschaft nicht zu destabilisieren.“ Bei
diesem Protokoll handelt es sich jedoch im Gegensatz zu den „Speaking Notes“,
die der Kommission zur Kenntnisnahme übermittelt wurden, um ein allein von
Eurofer verfaßtes Schriftstück, das die Kommission bis zum vorliegenden Verfahren
nicht kannte, und im internen Vermerk der GD III zum gleichen Treffen ist von
einem solchen Appell zur Zurückhaltung keine Rede. Dem fraglichen Schriftstück
fehlt daher der Beweiswert. Der darin angesprochene Appell zur Zurückhaltung
ist im übrigen allgemein gehalten und läßt nicht darauf schließen, daß ihm eine
Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes zugrunde lag.
- 597.
- Die Klägerinnen haben in ihren gemeinsamen Ausführungen darauf verwiesen, daß
es in dem genannten Protokoll heißt: „Der Vorsitzende [des Treffens] stimmte zu,
daß das Vorausschätzungsprogramm als Leitlinie für ein vernünftiges
Marktverhalten ... angesehen werden sollte.“ Unmittelbar davor wird im gleichen
Schriftstück ausgeführt, mangels eines Quotensystems könne nur daran appelliert
werden, sich vernünftig zu verhalten, ohne daß es eine Garantie für das Ergebnis
gebe. Dies zeigt, daß das vernünftige Verhalten oder die Selbstdisziplin, die die
Kommission von der Industrie erwartete, von jedem einzelnen an den Tag gelegt
werden und nicht das Ergebnis einer Absprache der Hersteller sein sollte.
- 598.
- Es trifft zu, daß es in der „Speaking Note“ für das Konsultationstreffen am 27.
April 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 17)
zur Lage auf dem Betonstahlmarkt heißt (S. 8): „Darüber hinaus stellen einige
Veränderungen bei den traditionellen Handelsströmen, die derzeit aufgrund von
Angeboten italienischer Hersteller auf dem deutschen und dem französischen
Markt stattfinden, angesichts der unmittelbaren Auswirkung dieser Angebote auf
das Preisniveau eine starke Bedrohung für die Preisstabilität in diesem Bereich dar.
Dies könnte leicht zu schweren Einbußen bei Walzdraht führen und muß daher
aufmerksam beobachtet werden.“ Und in der „Speaking Note“ für das
Konsultationstreffen am 27. Juli 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94,
Anhang 3, Schriftstück 18) wird zu den „negativen Faktoren“, die die
Preisentwicklung auf dem Markt für Langerzeugnisse beeinflußten, die „Zunahme
der Interpenetrationen“ gezählt.
- 599.
- Diese Anhaltspunkte sind jedoch kein ausreichender Nachweis dafür, daß die
Kommission zu dieser Zeit ihre frühere Politik der Aufrechterhaltung traditioneller
Handelsströme fortsetzte oder eine ähnliche Politik der Hersteller auch nur
stillschweigend billigte. Zum einen handelt es sich nämlich um vereinzelte und
dadurch atypische Angaben in den „Speaking Notes“ und den Protokollen der
damals sehr zahlreichen Treffen. Zum anderen sind sie im wesentlichen
beschreibender Art, beschränken sich auf die Wiedergabe der Beurteilung der
konjunkturellen Lage durch die Industrie und laufen allenfalls darauf hinaus, daß
eine „aufmerksame Beobachtung“ gefordert wird, ohne ein Tätigwerden auf dem
Markt als Reaktion auf die angesprochene „Bedrohung“ auch nur in Betracht zu
ziehen.
Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen
- 600.
- Aus den Akten geht hervor, daß die von der Klägerin angesprochene „Monitoring
Group“ (siehe oben, Randnr. 364), die 1978 von der Kommission und den
Stahlunternehmen geschaffen worden sein soll, mit der Zuwiderhandlung, die der
Klägerin in bezug auf den als „Monitoring“ bezeichneten Austausch von
Informationen über Aufträge und Lieferungen im Rahmen der Träger-Kommission
zur Last gelegt wird, nichts zu tun hat (vgl. die Antwort der Kommission vom 21.
Januar 1998 auf Fragen des Gerichts).
- 601.
- Aus den Akten geht ferner nicht nur hervor, daß die Kommission vom Austausch
von Informationen über Aufträge und Lieferungen im Rahmen der Träger-Kommission keine Kenntnis hatte, sondern daß Eurofer sowohl der GD III als auch
der GD IV die Existenz von Informationsaustauschsystemen, die sich auf
individualisierte Daten erstreckten, bewußt verheimlichte.
- 602.
- Bei dem Treffen im kleinen Kreis vom 21. März 1989, an dem Vertreter der
GD III und der Industrie teilnahmen (vgl. das Protokoll dieses Treffens,
Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 24), teilte Herr
von Hülsen, der Generaldirektor von Eurofer, der GD III mit, daß im Rahmen
dieser Vereinigung ein System beschleunigter statistischer Erhebungen eingeführt
worden sei, das sich auf die zusammengefaßten monatlichen Auftrags- und
Lieferdaten erstrecke; er teilte aber nicht mit, daß das Auftrags- und
Liefermonitoring eingeführt worden war, obwohl dessen erste Ergebnisse von den
beteiligten Unternehmen in der Sitzung der Träger-Kommission vom 9. Februar
1989 erstmals erörtert worden waren.
- 603.
- Herr Vanderseypen, der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommen
worden ist, hat bestätigt, daß die fraglichen Schnellstatistiken auf
Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen
Zielmärkten aufgeschlüsselt waren, so daß kein Unternehmen den Marktanteil
seiner Konkurrenten ermitteln konnte. Er hat hinzugefügt, die Kommission habe
von Eurofer nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten und keine
Kenntnis davon gehabt, daß bei Eurofer solche Zahlen in Umlauf gewesen seien.
- 604.
- Aus den in den Anhängen I und II der Entscheidung aufgeführten Unterlagen
ergibt sich aber, daß nach Unternehmen und nationalen Märkten aufgeschlüsselte
Auftrags- und Lieferstatistiken unter den betreffenden Unternehmen, zu denen
auch die Klägerin gehörte, sowohl im Rahmen des in den Randnummern 39 bis 60
der Entscheidung beschriebenen Monitoring als auch im Rahmen des in den
Randnummern 143 bis 146 der Entscheidung beschriebenen Austauschs von
Informationen mit Hilfe von Eurofer ausgetauscht wurden.
- 605.
- Im Schreiben vom 22. Juni 1990 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang
4, Schriftwechsel 1) sprach Herr Temple Lang, Direktor in der GD IV, u. a. das
allgemeine Problem der Sammlung und des Austauschs von Informationen und
statistischen Angaben im Rahmen von Eurofer an. Er wies darauf hin, daß es die
Kommission in einer Sitzung des Statistischen Ausschusses Stahl vom 11. Juni 1990
„angesichts der ungewöhnlichen Lösung bei der Sammlung von Informationen für
erforderlich hielt, die Mitglieder des Ausschusses und insbesondere den Vertreter
von Eurofer auf die Anwendbarkeit von Artikel 65 EGKS-Vertrag aufmerksam zu
machen“. Er wies ferner auf den „Standpunkt der Kommission in der Frage der
gemeinsamen Erstellung von Statistiken und des Informationsaustauschs ... unter
Unternehmen oder im Rahmen einer dritten Stelle“ hin, wobei er den Unterschied
„zwischen einer Vereinbarung über die Sammlung allgemein bekannter und nicht
aktueller Informationen einerseits und der Sammlung aktueller und detaillierter
Statistiken, die den Konkurrenten sonst nicht zugänglich wären, andererseits“
hervorhob. Er fügte hinzu, daß die Mitglieder des Ausschusses bereits in der
Sitzung vom 7. Juli 1989 durch die Übersendung einer Kopie der Bekanntmachung
von 1968 informiert worden seien. Er ersuchte den Generaldirektor von Eurofer
deshalb um eine Reihe von Auskünften, um „prüfen zu können, ob [seine]
Aktivitäten im Bereich der gemeinsamen Erstellung von Statistiken den wirksamen
Wettbewerb beeinträchtigen können“, und insbesondere um eine „Beschreibung
der Methode zur Sammlung und Verteilung von Statistiken innerhalb [seiner]
Vereinigung“.
- 606.
- Aus der Antwort des Generaldirektors von Eurofer vom 24. Juli 1990 (Klageschrift
in der Rechtssache T-151/94, Anhang 4, Schriftwechsel 1) geht jedoch hervor, daß
die GD IV trotz ihrer ausdrücklichen Bitte nicht genau über Art und Umfang des
Informationsaustauschs im Rahmen von Eurofer sowie unter den Mitgliedern der
Träger-Kommission d. h. darüber, daß es sich um individuelle, nach Unternehmen
und Ländern aufgeschlüsselte Auftrags- und Lieferdaten handelte informiert
wurde.
- 607.
- Zugleich richtete die Verwaltung von Eurofer am 30. Juli 1990, also weniger als
eine Woche nach der Antwort von Eurofer auf das Auskunftsverlangen der GD IV,
u. a. an den Vorsitzenden und das Sekretariat der Träger-Kommission ein
Schreiben mit der Überschrift „Austausch und Verteilung von Statistiken“ (S. 1681
der Akten der Kommission), dessen Wortlaut in Randnummer 44 der Entscheidung
wie folgt wiedergegeben wird:
„Die jüngste Entscheidung der Kommission in der Sache nichtrostende
Flacherzeugnisse und verschiedentliche Kontakte zwischen der GD IV und dem
Eurofer-Vorstand haben die Aufmerksamkeit auf die Frage des Austauschs bzw.
der Verteilung von Statistiken durch uns oder die Ausschußsekretariate und deren
Vereinbarkeit mit Artikel 65 des EGKS-Vertrags gelenkt.
Bis zu einer eingehenden rechtlichen Prüfung der Frage haben wir beschlossen, die
Weitergabe von Statistiken mit individualisierten Produktions-, Liefer- oderAuftragszahlen auszusetzen, und bitten Sie, auch im Rahmen Ihres Ausschusses
einstweilen von einer derartigen Weitergabe abzusehen.
Von diesem Ersuchen nicht betroffen sind natürlich die Erfassung individualisierter
Zahlen durch eine neutrale Stelle, d. h. Eurofer, und die Weitergabe globaler
Ergebnisse ohne individualisierte Zahlen, wie wir dies gewöhnlich tun. Solche
Statistiken sind rechtlich absolut unbedenklich, da mit ihnen nur überschlägige
Informationen über die Wirtschafts- und Marktentwicklung vermittelt werden
sollen. Diese Statistiken werden von uns wie bisher fortgeführt, wobei Sie in
gleicher Weise verfahren können.“
- 608.
- Somit ist festzustellen, daß Eurofer trotz des an sie gerichteten ausdrücklichen
Auskunftsverlangens der GD IV der Kommission den Austausch und die
Verteilung individueller Statistiken, die mit ihrem Wissen in ihren
Produktausschüssen und insbesondere in der Träger-Kommission stattfanden,
bewußt verheimlichte und die Ausschüsse zugleich bat, davon künftig abzusehen.
- 609.
- Im übrigen ist erwiesen, daß die Mitgliedsunternehmen der Träger-Kommission,
nachdem sie der Bitte von Eurofer vom 30. Juli 1990 zunächst nachgekommen
waren, den Austausch nach Unternehmen aufgeschlüsselter Daten mit Billigung der
Verwaltung von Eurofer rasch wiederaufnahmen; nur British Steel weigerte sich,
solche Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. Randnrn. 44 bis 46 der
Entscheidung).
Sonstige Vereinbarungen
- 610.
- Die Klägerin hat abgesehen von den Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen, die
das Gericht gesondert geprüft hat nicht einmal behauptet, geschweige denn
nachgewiesen, daß die GD III von den übrigen Vereinbarungen wußte, die der
Klägerin in der Entscheidung zur Last gelegt werden.
Ergebnis
- 611.
- Aus alledem ist zu schließen, daß die Stahlunternehmen und ihre
Wirtschaftsvereinigung Eurofer der Kommission ab 1988 relativ allgemeine und
ungenaue Angaben zukommen ließen und zugleich ihrerseits neben ihren
wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ganz präzise und eingehende, auf
einzelne Unternehmen bezogene Gespräche führten, deren Existenz und Inhalt sie
sowohl der GD III als auch der GD IV verheimlichten. Die Unternehmen waren
sich über die unterschiedliche Natur dieser beiden Kategorien von Informationen
voll und ganz im klaren und gingen bewußt so vor, daß sie nur die einen, nicht aber
die anderen der Kommission mitteilten.
- 612.
- Die Unternehmen verletzten folglich die Wettbewerbsregeln des Vertrages und
trafen zugleich Vorkehrungen, um sich vor der Wachsamkeit der mit der
Marktüberwachung betrauten Beamten der GD III zu schützen. Sie können sich
daher zur Entlastung von ihrer Pflicht zur Einhaltung von Artikel 65 § 1 des
Vertrages nicht darauf berufen, daß diese Beamten von ihren Praktiken gewußt
hätten oder hätten wissen müssen.
- 613.
- Artikel 65 § 4 des Vertrages, der vorsieht, daß nach § 1 untersagte Vereinbarungen
und Beschlüsse „nichtig“ sind, hat jedenfalls einen objektiven Inhalt und ist sowohl
für die Unternehmen als auch für die Kommission verbindlich, die die
Unternehmen davon nicht freistellen kann (vgl. Stellungnahme 1/61 des
Gerichtshofes). Unter diesen Umständen kann eine Duldung oder ein nachlässiges
Vorgehen der Verwaltung keinen Einfluß auf die Rechtswidrigkeit eines Verstoßes
gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages haben (Urteile Lucchini/Kommission und
Bertoli/Kommission).
- 614.
- Dies gilt insbesondere dann, wenn die fragliche Duldung ihr Vorliegen
unterstellt von der für die gewerbliche Wirtschaft zuständigen Generaldirektion
der Kommission ausgeht und nicht von der Generaldirektion für
Wettbewerbsfragen. Beim geringsten Zweifel der Unternehmen an der
Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens hätten sie sich zur Klärung der Lage an die
Dienststellen der GD IV wenden müssen.
- 615.
- Es liegt auf der Hand, daß das Schreiben des Vorsitzenden von Eurofer an Herrn
Davignon vom 8. Februar 1983 (siehe oben, Randnr. 11) nicht geeignet ist, die
Unternehmen von ihrer Verantwortung für Verhaltensweisen in einem anderen
Zeitraum und während der Geltung einer völlig anderen Regelung zu entlasten.
Aus dem Schreiben läßt sich auch keine Verpflichtung der Kommission herleiten,
beim geringsten Verdacht auf wettbewerbswidriges Handeln sofort tätig zu werden.
Davon abgesehen beruht das Schreiben auf der Prämisse, daß die Kommission über
„alle Einzelheiten“ der Praktiken von Eurofer „gewissenhaft informiert“ wurde, was
hier nicht geschehen ist.
Zu der Frage, ob die der Klägerin zur Last gelegten Handlungen insbesondere im
Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages erlaubt waren
- 616.
- Wie bereits festgestellt, ließen die Artikel 46 bis 48 des Vertrages die hier
relevanten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken nicht zu (siehe oben,
Randnrn. 286 bis 290).
- 617.
- Im übrigen haben die Klägerinnen insbesondere in ihrem gemeinsamen Vorbringen
unter Bezugnahme auf die Auffassung von Professor Reuter selbst eingeräumt, daß
die von der Kommission im Rahmen dieser Artikel in „Zusammenarbeit“ mit den
Beteiligten und mit ihrem Einverständnis getroffenen Maßnahmen, auch wenn sie
„offensichtlich verabredete Praktiken darstellen“, nur dann nicht unter Artikel 65
des Vertrages fallen, wenn „die Hohe Behörde selbst mitspielt und sogar dirigiert“.
- 618.
- Desgleichen hat Professor Steindorff in seinen Ausführungen, die er in der
mündlichen Verhandlung im Namen der Klägerinnen gemacht hat, in bezug auf
den Austausch von Informationen unter Unternehmen zur Vorbereitung der
Treffen mit der Kommission erklärt, ein solcher vorheriger Austausch sei nur dann
nicht nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten, wenn die Kommission ihn leite.
Die Unternehmen müßten in gutem Glauben handeln und diesen Austausch als
bloße Vorbereitung für die Gespräche mit der Kommission ansehen, die ihrerseits
im Rahmen von Artikel 46 des Vertrages tätig werde.
- 619.
- Dies war hier nicht der Fall. Aus den Akten geht vielmehr hervor, daß die in der
Entscheidung genannten Unternehmen, als ihnen klar wurde, daß die Kommission
nichts mehr tun wollte, um die Stabilität der traditionellen Handelsströme
aufrechtzuerhalten, sich an ihre Stelle setzten und begannen, als privates Kartell
tätig zu werden. So bemühten sich die fraglichen Unternehmen nach dem
Auslaufen des Quotensystems am 30. Juni 1988, die während der Krisenzeit
eingeführten hoheitlichen Maßnahmen durch gemeinsame, vor allem im Rahmen
der Träger-Kommission getroffene private Maßnahmen zu ersetzen.
- 620.
- Diese Reaktion wurde durch das von der GD III ab Juli 1988 eingeführte System
der Überwachung und Konsultation weder erforderlich gemacht noch
herausgefordert oder nahegelegt.
- 621.
- Im übrigen waren die Zuwiderhandlungen und insbesondere der in der
Entscheidung beanstandete Informationsaustausch geheim, und es gibt keinen
Anhaltspunkt dafür, daß die Käufer, die übrigen Hersteller oder die Kommission
darüber informiert wurden. Die bereits geprüften Bestandteile der Akten zeigen
vielmehr, daß die Unternehmen darauf achteten, ihr Vorgehen vor der Kommission
zu verbergen, wobei sie u. a. eine Sondersitzung der Ausschüsse von Eurofer
durchführten, die der Abfassung der Sitzungsprotokolle gewidmet war.
- 622.
- Die in der Entscheidung genannten Trägerhersteller ersetzten folglich nach dem
Auslaufen der Regelung für die offensichtliche Krise gemeinsam und entgegen dem
ausdrücklichen Willen der Kommission, der u. a. in der Pressemitteilung vom 4.
Mai 1988 über die Sache „nichtrostender Flachstahl“ zum Ausdruck kam, die
hoheitliche Verwaltung der Branche heimlich durch ihr eigenes System kollektiver
Marktordnung, um die Wirkungen des normalen Wettbewerbs auszuschalten oder
zu mildern. Ein solches Verhalten ist nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten.
- 623.
- Im übrigen spielt es für das vorliegende Urteil keine Rolle, ob es eine nach Artikel
65 § 1 des Vertrages verbotene verabredete Praktik dargestellt hätte, wenn sich die
Unternehmen auf eine allgemeine Erörterung und einen gegenseitigen Austausch
von Preisabsichten der von Herrn Kutscher beschriebenen Art beschränkt hätten,
um die Kommission über die Markttendenzen zu informieren. Erstens war dies
nicht das Ziel der streitigen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken. Zweitens
hat die Kommission derartige Verhaltensweisen in der Entscheidung nicht
beanstandet. Drittens setzten im vorliegenden Fall die Kontakte zwischen den
Herstellern vor dem Meinungsaustausch mit der Kommission über die wichtigsten
Parameter und die Tendenzen des Marktes keineswegs die Begehung der in der
Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen voraus. Schließlich können die
Klägerinnen, da sie ihr Vorgehen der Kommission nicht in vollem Umfang
offenbart haben, keinesfalls geltend machen, nicht unter das Verbot in Artikel 65
§ 1 des Vertrages zu fallen.
- 624.
- Daher ist das gesamte aus den Aktivitäten der GD III abgeleitete Vorbringen der
Klägerinnen zur Stützung des Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der
Entscheidung zurückzuweisen.
E Zum Ermessensmißbrauch
- 625.
- Im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben
sich die Klägerinnen auf den Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs berufen, der
darin bestehen soll, daß die Kommission, statt ihre Befugnisse aufgrund des
Vertrages und insbesondere dessen Artikel 58 auszuüben, die Hersteller habe
„zwingen“ wollen, die von ihr als unabdingbar angesehenen Umstrukturierungen
vorzunehmen, und deren Weigerung durch die Verhängung hoher Geldbußen in
der Entscheidung „geahndet“ habe, die am Tag nach dem Abbruch der mit
Vertretern der Stahlindustrie geführten Verhandlungen erlassen worden sei.
- 626.
- Die Klägerin hat sich jedoch in ihren Schriftsätzen nicht auf den Klagegrund eines
Ermessensmißbrauchs berufen. Da während des Verfahrens vor dem Gericht kein
neuer Gesichtspunkt zutage getreten ist, aus dem sich ein Ermessensmißbrauch
ergeben könnte, ist diese Rüge in bezug auf die Klägerin als unzulässig
zurückzuweisen.
Zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung
oder zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt wird
A Vorbemerkungen
- 627.
- In Artikel 4 der Entscheidung wird wegen der in Artikel 1 geschilderten
Zuwiderhandlungen eine Geldbuße von 9 500 000 ECU gegen die Klägerin
festgesetzt. Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der
Höhe der individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien sind in den
Randnummern 298 bis 317 und 319 bis 324 der Entscheidung zu finden.
- 628.
- In Beantwortung von Fragen des Gerichts hat die Kommission die
Berechnungsweise der Geldbußen näher erläutert und mehrere Übersichten
vorgelegt, aus denen sich die Berechnung für jedes einzelne Unternehmen ergibt
(vgl. Anlage 6 ihrer Antwort vom 21. Januar 1998, ihre Antwort vom 23. Februar
1998 und die am 19. März 1998 vorgelegten Übersichten).
- 629.
- Daraus geht hervor, daß die Kommission die Geldbuße anhand eines „Grundtarifs“
von 7,5 % des Trägerumsatzes des betreffenden Unternehmens in der
Gemeinschaft im Jahr 1990 ermittelte. Dieser Prozentsatz verteilt sich nach
folgendem Schlüssel auf die in Randnummer 300 der Entscheidung genannten drei
Arten von Zuwiderhandlungen: Preisfestsetzung 3 %, davon 2,5 % für die
Absprachen über die Basispreise und 0,5 % für die Absprachen über die
Aufpreisharmonisierung; Marktaufteilung 3 %; Informationsaustausch 1,5 %.
- 630.
- Die Kommission gewichtete diese Prozentsätze insbesondere nach der Dauer und
der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung.
- 631.
- So wandte die Kommission zur Differenzierung der Geldbußen nach Maßgabe der
Dauer jeder Zuwiderhandlung außer bei den Absprachen über die
Aufpreisharmonisierung den Quotienten aus der Zahl der als Zeitraum der
Zuwiderhandlung tatsächlich angesetzten Monate und der Höchstzahl von 30
Monaten an. Da sich manche Zuwiderhandlungen nur auf einen oder einige
nationale Märkte erstreckten, wandte sie ferner zur Differenzierung der Geldbußen
nach Maßgabe der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung einen
Prozentsatz an, der dem Anteil des fraglichen Marktes oder der fraglichen Märkte
am sichtbaren Gesamtverbrauch in der Gemeinschaft entsprach (Deutschland
21 %, Frankreich 17 %, Vereinigtes Königreich 17 %, Spanien 15 %, Italien 14 %,
Niederlande 7 %, belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion 6 %, Dänemark 2 %).
- 632.
- Bei jeder Zuwiderhandlung wurden sodann gegebenenfalls gewisse Zu- oder
Abschläge vorgenommen, um etwaigen erschwerenden oder mildernden Umständen
Rechnung zu tragen.
- 633.
- Schließlich wurde der Gesamtbetrag, der sich aus der obigen Berechnung ergab, bei
Thyssen, British Steel und Unimétal wegen des Vorliegens eines„Wiederholungsfalls“ um ein Drittel erhöht.
- 634.
- Nach der Antwort der Kommission vom 19. März 1998 wurde die Geldbuße der
Klägerin auf der Grundlage eines relevanten Umsatzes von 172 Millionen ECU wie
folgt errechnet:
a) Vereinbarungen über die Preisfestsetzung
|
|
|
|
|
|
|
|
Millionen
ECU
|
Träger-Kommission
|
172
|
x
|
2,5 %
|
|
|
x
|
30/30
|
4,3000
|
deutscher Markt
|
172
|
x
|
2,5 %
|
x
|
21 %
|
x
|
3/30
|
0,0903
|
italienischer
Markt
|
172
|
x
|
2,5 %
|
x
|
14 %
|
x
|
9/30
|
0,1806
|
dänischer Markt
|
172
|
x
|
2,5 %
|
x
|
2 %
|
x
|
30/30
|
0,0860
|
Aufpreisharmonisierung
|
172
|
x
|
0,5 %
|
|
|
|
|
0,8600
|
|
|
|
|
|
|
|
Summe
|
5,5169
|
b) Vereinbarungen über die Marktaufteilung
|
Traverso-Methode
|
172
|
x
|
3 %
|
|
|
x
|
6/30
|
1,0320
|
französischer
Markt
|
172
|
x
|
3 %
|
x
|
17 %
|
x
|
3/30
|
0,0877
|
deutscher Markt
|
172
|
x
|
3 %
|
x
|
21 %
|
x
|
6/30
|
0,2167
|
italienischer
Markt
|
172
|
x
|
3 %
|
x
|
14 %
|
x
|
3/30
|
0,0722
|
|
|
|
|
|
|
|
Summe
|
1,4086
|
c) Informationsaustausch
|
172
|
x
|
1,5 %
|
|
|
x
|
30/30
|
2,5800
|
Summe
a)+b)+c)
|
|
|
|
|
|
|
|
9,5055
|
Gesamtbetrag
der Geldbuße
|
|
|
|
|
|
|
|
9,5000
|
B Zum fehlenden Verschulden der Klägerin und dem angeblichen Erfordernis, die
verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, statt Geldbußen festzusetzen
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 635.
- Die Klägerin wiederholt, daß sie weder an Preisfestsetzungen noch an
Marktaufteilungen teilgenommen habe. Sie fügt hinzu, sie habe jedenfalls die
Unzulässigkeit ihres Verhaltens nicht erkennen können und daher nicht schuldhaft
gehandelt.
- 636.
- Erstens sei nur schwer ersichtlich, inwieweit ein Informationsaustausch über die
Preise zulässig sei und wo die Grenze zwischen den Anwendungsbereichen der
Artikel 65 und 60 § 1 des Vertrages liege. Die Kommission hätte daher, statt eine
Geldbuße festzusetzen, zumindest hinsichtlich des Informationsaustauschs über die
Preise die verbotenen Praktiken nach Artikel 60 § 1 Absatz 2 des Vertrages näher
bezeichnen müssen. Unter besonderen Umständen könne nämlich die Anwendung
dieser Bestimmung der Anwendung von Artikel 65 des Vertrages entgegenstehen
(Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1955 in der Rechtssache 6/54,
Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1955, 215).
- 637.
- Zweitens gehe aus dem in Randnummer 312 der Entscheidung angesprochenen
„Non-paper“ hervor, daß sich die Kommission schon 1989 des unauflöslichen
Widerspruchs zwischen den für die Preisbildung geltenden Bestimmungen des
Vertrages und den Erfordernissen des Marktes bewußt gewesen sei. Daß unter
diesen Umständen auf der Grundlage von Artikel 65 des Vertrages gegen die
Klägerin eine Geldbuße verhängt worden sei, statt gemäß den Artikeln 5 Absatz 2
und 60 § 1 Absatz 2 des Vertrages die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen,
stelle einen Ermessensmißbrauch dar.
- 638.
- Drittens gehe aus verschiedenen Rechtsakten und Schriftstücken der Kommission
(insbesondere Entscheidungen, Stellungnahmen, Bekanntmachungen und Berichten)
hervor, daß die Klägerin weder die Unzulässigkeit ihres Verhaltens habe erkennen
noch die Verhängung einer Geldbuße habe vorhersehen können. So hätten von den
früheren Entscheidungen der Kommission nur fünf zu einer Geldbuße geführt, und
keine davon wegen eines Informationsaustauschs. Im übrigen habe die Kommission
im XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 4, S. 19) die Anpassung der
Wettbewerbsregelung des EGKS-Vertrags an ihre langjährige Praxis im Rahmen
der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag als eine der wichtigsten Maßnahmen des Jahres
1991 angesehen.
- 639.
- Viertens habe die Kommission die in der Entscheidung beanstandeten
Verhaltensweisen, speziell bei den Aufpreisen, jahrelang geduldet und am
Informationsaustausch über die Preise teilgenommen, von dem sie bei ihrer
Industriepolitik profitiert habe.
Würdigung durch das Gericht
- 640.
- Wie bereits festgestellt, ist die angebliche Beteiligung der Kommission an den
Zuwiderhandlungen, die der Klägerin zur Last gelegt werden, im vorliegenden Fall
nicht erwiesen (siehe oben, Abschnitt D). Ferner ist festgestellt worden, daß der
Klägerin zumindest nach dem 30. Juni 1988 die Rechtswidrigkeit der betreffenden
Verhaltensweisen bekannt sein mußte und daß die Kommission den EGKS-Vertrag
nicht in rechtswidriger Weise an den EG-Vertrag „angepaßt“ hat. Es gab auch in
den verschiedenen früheren Stellungnahmen, Entscheidungen, Kommentaren und
Berichten der Kommission keinen Anhaltspunkt, aus dem die Klägerin auf die
Rechtmäßigkeit irgendeiner ihrer Verhaltensweisen hätte schließen können.
Folglich sind die auf die Gutgläubigkeit und das fehlende Verschulden der Klägerin
gestützten Argumente in diesem Punkt zurückzuweisen.
- 641.
- Auch dem Argument, daß die Klägerin angesichts der früheren Verwaltungspraxis
der Kommission die Verhängung einer Geldbuße nicht habe vorhersehen können,
kann nicht gefolgt werden. Zum einen haben in der Vergangenheit mehrere
Entscheidungen der Kommission zu Geldbußen geführt (vgl. die im Fünfzehnten
Gesamtbericht der Hohen Behörde von 1966, S. 185 (Nr. 221), wiedergegebenen
Entscheidungen, die Entscheidung 70/118/EGKS der Kommission vom 21. Januar
1970 über ein Verfahren auf Grund von Artikel 65 des EGKS-Vertrags bezüglich
Kartellvereinbarungen und -praktiken auf dem deutschen Schrottmarkt, ABl. L 29,S. 30, die im Zehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nrn. 109 und 110,
zusammengefaßten Entscheidungen K(80) 236 endg./1, 2 und 3 vom 27. März 1980
zu Edelstahl und die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“). Zum anderen
hindert die Tatsache, daß einer bestimmten Entscheidung gegebenenfalls ähnliche
Rechtssachen vorausgingen, in denen die Kommission die Festsetzung einer
Geldbuße nicht für erforderlich hielt, sie im Rahmen dieser Entscheidung jedenfalls
nicht an der Ausübung der ihr durch Artikel 65 § 5 des Vertrages ausdrücklich
verliehenen Befugnis zur Verhängung von Sanktionen (so im Rahmen des EG-Vertrags das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78
und 36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435, Randnr. 53).
- 642.
- Das Argument, daß zwischen den u. a. in Artikel 60 des Vertrages zu findenden
Preisvorschriften und den tatsächlichen Marktverhältnissen ein Widerspruch
bestanden habe, ist aus den oben in den Randnummern 280 bis 285 genannten
Gründen ebenfalls zurückzuweisen.
- 643.
- Die These, daß die Kommission, statt Geldbußen festzusetzen, gemäß Artikel 60
§ 1 Absatz 2 des Vertrages die verbotenen Praktiken näher hätte bezeichnen
müssen, findet im Urteil Niederlande/Hohe Behörde vom 21. März 1955 keine
Stütze. Die Befugnis, im Rahmen von Artikel 60 des Vertrages eine solche nähere
Bezeichnung vorzunehmen, hat nichts mit dem Verbot wettbewerbswidriger
Vereinbarungen und verabredeter Praktiken in Artikel 65 des Vertrages zu tun.
- 644.
- Folglich sind die auf das fehlende Verschulden der Klägerin und das angebliche
Erfordernis, statt der Verhängung einer Geldbuße die verbotenen Praktiken näher
zu bezeichnen, gestützten Argumente zurückzuweisen.
C Zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
- 645.
- Das in der Entscheidung gewählte allgemeine Bußgeldniveau, das der im Rahmen
des EG-Vertrags üblichen Höhe vergleichbar sei, stelle eine ungerechtfertigte
Änderung der Wettbewerbspolitik der Kommission im Rahmen des EGKS-Vertrags
dar. Die Kommission hätte die Geldbußen nach dem Ende der Krisenregelung
allmählich von dem zuvor erreichten Niveau aus anheben müssen. Insoweit sei u. a.
auf die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Verträgen, die relativ geringe
Zahl von Entscheidungen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags, den Einfluß der Krisenregelung auf die Praxis der Kommission und das
Fehlen einschlägiger Rechtsprechung hinzuweisen. Daraus folge, daß die
Rechtsprechung zur Erhöhung von Geldbußen aufgrund des EG-Vertrags (Urteil
des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und
103/80, Musique Diffusion Française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnrn.
105 ff.; im folgenden: „Urteil Pioneer“) nicht herangezogen werden könne, um
diese Änderung der Politik zu rechtfertigen.
- 646.
- Die Kommission habe im übrigen weder die Gewichtung der Kriterien, die bei der
Ermittlung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße berücksichtigt worden
seien (vgl. Randnrn. 300 bis 307 der Entscheidung), noch die Methode zur
Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen festgesetzten Beträge erläutert.
Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung hätten die Unternehmen aber das
Recht, u. a. zu erfahren, wie ihr Verhalten gegenüber vergleichbaren Fällen
eingeordnet worden sei, worauf etwaige Abweichungen bei der Beurteilung
beruhten und welche Bedeutung der betreffenden Zuwiderhandlung beigemessen
worden sei.
- 647.
- Die von der Klägerin zwischen 1988 und 1990 erzielten Gewinne hätten jedenfalls
bei der Ermittlung der Geldbuße nicht berücksichtigt werden dürfen (vgl. Randnr.
301 der Entscheidung). Sie seien temporärer Art gewesen (denn in allen anderen
Jahren zwischen 1983 und 1993 habe die Klägerin Verluste erlitten) und hätten nur
normale Verzinsungsmöglichkeiten des Kapitals geboten (vgl. Artikel 3 Buchstabe c
des Vertrages). Durch die Nichtberücksichtigung dieser Verluste sei die
Kommission sowohl von ihrer eigenen Praxis (vgl. die Entscheidung 94/599/EG vom
27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags [IV/31.865
PVC], ABl. L 239, S. 14; im folgenden: PVC-Entscheidung) als auch von der
Rechtsprechung des Gerichts (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache
T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnrn. 262 und 265)
abgewichen.
- 648.
- Bei der Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen festgesetzten Geldbußen
sei ferner das Verhältnis zwischen ihren jeweiligen Gewinnbeträgen (vgl. die Zahlen
in Fußnote 1 von Randnr. 301 der Entscheidung) zu Unrecht nicht berücksichtigt
worden.
- 649.
- Außerdem sei die Kommission bei der Festlegung des Verhältnisses zwischen den
verschiedenen Geldbußen durch die unzureichende Berücksichtigung der relativen
wirtschaftlichen Bedeutung der Klägerin auf dem europäischen Markt (auf dem sie
nur einer der kleineren Stahlhersteller und der viertgrößte Hersteller von Trägern
sei) von der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 15. Juli 1970 in der
Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 176,
in der Rechtssache 44/69, Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnr. 49, und in
der Rechtssache 45/69, Boehringer Mannheim/Kommission, Slg. 1970, 769, Randnr.
53) und ihrer eigenen Praxis abgewichen (vgl. die Entscheidung 69/240/EWG vom
16. Juli 1969 über ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages [IV/26.623
Internationales Chininkartell], ABl. L 192, S. 5, Randnr. 40, und die PVC-Entscheidung, Randnr. 53).
- 650.
- Die Kommission hätte ferner berücksichtigen müssen, daß die Klägerin die
Geldbuße nach dem deutschen Steuerrecht nicht von ihren Einkünften abziehen
könne.
- 651.
- Im übrigen habe das für Wettbewerbssachen zuständige Kommissionsmitglied am
24. Februar 1994 vor dem Europäischen Parlament erklärt, daß der gegen alle
betroffenen Unternehmen festgesetzte Betrag nur 0,26 % ihres Gesamtumsatzes
ausmache. Die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße liege weit über diesem
Prozentsatz und sei somit überhöht.
- 652.
- Die Feststellung in Randnummer 303 der Entscheidung, daß die Auswirkungen der
Zuwiderhandlungen „beträchtlich“ gewesen seien, stehe in Widerspruch zu den
Randnummern 222 und 293 der Entscheidung, nach denen diese Auswirkungen nur
begrenzten Umfang gehabt hätten. Sie stehe ferner in Widerspruch zu der
Behauptung in Randnummer 304 der Entscheidung, daß nicht versucht zu werden
brauche, die genaue Auswirkung der Verstöße zu bestimmen. Die Kommission
hätte berücksichtigen müssen, daß die streitigen Zuwiderhandlungen nur begrenzte
wirtschaftliche Auswirkungen gehabt hätten (vgl. die Urteile des Gerichtshofes vom
6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano
und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnrn. 51 f., und vom 16.
Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73,
111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnrn.
614 ff.). Die Feststellung, daß die fraglichen Unternehmen einen Großteil des
Gemeinschaftsbedarfs befriedigten (vgl. Randnr. 303 der Entscheidung), stelle
insoweit keine ausreichende Analyse dar.
- 653.
- Außerdem hätte die Kommission weder die Pressemitteilung vom 4. Mai 1988 noch
die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ als erschwerenden Umstand
berücksichtigen dürfen. In der Pressemitteilung sei kein Kriterium genannt worden,
das es ermöglicht hätte, zulässige von unzulässigen Verhaltensweisen zu
unterscheiden, während die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ erst vier
Monate vor dem Ende des von der angefochtenen Entscheidung erfaßten
Zeitraums veröffentlicht worden sei. Darüber hinaus habe es sich in der
Rechtssache „nichtrostender Flachstahl“ um eine bußgeldbewehrte Vereinbarung
gehandelt, an der sich die Klägerin nicht beteiligt habe.
- 654.
- Auch der interne Vermerk der Klägerin vom 10. September 1990 (vgl. Randnr. 307
der Entscheidung) hätte nicht als erschwerender Umstand berücksichtigt werden
dürfen. Aus den dort angestellten „ersten juristischen Vorüberlegungen“ zum
deutschen Kartellrecht und zu Artikel 85 EG-Vertrag habe die Klägerin
geschlossen, daß der Informationsaustausch mit Artikel 65 EGKS-Vertrag vereinbar
sei.
- 655.
- In der Begründung der Entscheidung werde zwischen dem berücksichtigten
Gesamtzeitraum (1986 bis 1990) und dem Sanktionszeitraum (Juli 1988 bis
Dezember 1990) nicht klar getrennt. Deshalb bestehe der Verdacht, daß die
Geldbuße anhand des zuerst genannten Zeitraums festgesetzt worden sei.
- 656.
- Im übrigen habe die Kommission dadurch einen schweren Ermessensfehler
begangen, daß sie die Anpassungsschwierigkeiten außer acht gelassen habe, denen
die Stahlindustrie beim plötzlichen Übergang von einer acht Jahre lang
angewandten Krisenregelung mit planwirtschaftlichen Elementen zu einer
Wettbewerbsregelung ausgesetzt gewesen sei.
- 657.
- Schließlich habe die Kommission in mehrfacher Hinsicht gegen den Grundsatz „ne
bis in idem“ verstoßen. Sie habe die Preiserhöhungen in Dänemark, obwohl diese
die automatische Folge der enstprechenden Veränderungen in Deutschland seien,
zum Anlaß genommen, der Klägerin neben einer Absprache in der Träger-Kommission eine weitere Absprache zur Last zu legen, die angeblich in Sitzungen
der Eurofer/Scandinavia-Gruppe getroffen worden sei. Außerdem sei die Erhöhung
der Listenpreise der Klägerin zum 1. April 1989 bei drei verschiedenen Vorwürfen
berücksichtigt worden, die mit drei unterschiedlichen Vereinbarungen
zusammenhingen: einer Vereinbarung in der Sitzung der Träger-Kommission vom
10. Januar 1989 (Randnrn. 95 und 96 der Entscheidung), einer weiteren
Vereinbarung in der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 1. Februar 1989
(Randnr. 202 der Entscheidung) und einer dritten Vereinbarung für den deutschen
Markt bei einem Treffen mit Händlern am 16. Februar 1989 (Randnr. 153 der
Entscheidung).
- 658.
- Im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung
haben die Klägerinnen darüber hinaus folgendes geltend gemacht:
a) Die Kommission habe nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die streitigen
Verhaltensweisen eine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt hätten, obwohl
Artikel 65 des Vertrages den Beweis für eine solche Wirkung verlange.
Insbesondere die Erläuterungen in den Randnummern 302 und 303 der
Entscheidung zu den angeblich infolge der vereinbarten Preiserhöhungen
erlangten zusätzlichen Erlösen stünden in Widerspruch zur Zeugenaussage
von Herrn Kutscher. Nach seinen Angaben hätten sich derartige
Erhöhungen aus der damaligen konjunkturellen Lage ergeben können.
b) Die Kommission hätte die Tatsache, daß die streitigen Verhaltensweisen
nicht auf die Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung
oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des Vertrages abgezielt
hätten, und die Unterschiede zwischen dem EGKS-Vertrag und dem EG-Vertrag als mildernde Umstände berücksichtigen müssen.
c) Die Kommission habe zu Unrecht wegen der Informationsaustauschsysteme
eine gesonderte Geldbuße festgesetzt, denn vor dem Gericht habe sie diese
als akzessorisch zu anderen Zuwiderhandlungen eingestuft.
d) Die Kommission habe ohne Rechtfertigung Geldbußen mit einem höheren
allgemeinen Niveau als in ihrer Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“
und ihrer Entscheidung 94/815/EG vom 30. November 1994 in einem
Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache IV/33.126 und 33.322
Zement, ABl. L 343, S. 1; im folgenden: Zement-Entscheidung oder
Rechtssache „Zement“) festgesetzt.
e) Die Kommission habe bei den Vereinbarungen über die Preisfestsetzung
und den Vereinbarungen über die Marktaufteilung die den verschiedenen
Bestandteilen der Zuwiderhandlung zugeordneten Teilsätze doppelt
angewandt, und zwar einmal auf Gemeinschaftsebene und ein zweites Mal
auf der Ebene der einzelnen nationalen Märkte, so daß der tatsächliche
Basissatz der Geldbuße 13 % und nicht, wie die Kommission behaupte,
7,5 % betrage.
Würdigung durch das Gericht
- 659.
- In Artikel 65 § 5 des Vertrages heißt es:
„Gegen Unternehmen, die eine nichtige Vereinbarung getroffen oder ... eine
Vereinbarung oder einen nichtigen Beschluß ... angewendet oder anzuwenden
versucht haben ... oder zu den Bestimmungen des § 1 im Widerspruch stehende
Praktiken anwenden, kann die Kommission Geldbußen und Zwangsgelder
festsetzen; der Höchstbetrag dieser Geldbußen und Zwangsgelder darf das
Doppelte des Umsatzes nicht überschreiten, der in den Erzeugnissen erzielt worden
ist, die Gegenstand der Vereinbarung, des Beschlusses oder der Praktiken waren,
die zu den Bestimmungen dieses Artikels im Widerspruch stehen; war eine
Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung oder der Investitionen
beabsichtigt, so wird dieser Höchstbetrag bis auf höchstens 10 v. H. des
Jahresumsatzes der betreffenden Unternehmen erhöht, soweit es sich um die
Geldbuße handelt, und bis auf höchstens 20 v. H. des Tagesumsatzes, soweit es sich
um die Zwangsgelder handelt.“
Zum Vorbringen der Klägerin
Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße
- 660.
- Nach der Rechtsprechung muß die durch Artikel 15 des Vertrages vorgeschriebene
Begründung es dem Betroffenen ermöglichen, herauszufinden, was die erlassene
Maßnahme rechtfertigt, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und
die Begründetheit der Entscheidung prüfen kann, und außerdem den
Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Das
Begründungserfordernis ist nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen, zu denen insbesondere der Inhalt der fraglichen Maßnahme, die Art der
angeführten Gründe und der Zusammenhang zählen, in dem sie erlassen wurde
(Urteil NALOO/Kommission, Randnrn. 298 und 300).
- 661.
- Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen
einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen
festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht
insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand
einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen
Umstände der Rechtssache, ihr Zusammenhang und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von
Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des
Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO
u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54). Außerdem verfügt die
Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein
Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel
anzuwenden (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89,
Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).
- 662.
- Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung in den Randnummern 300 bis 312,
314 und 315 eine ausreichende und sachgerechte Darstellung der Faktoren, die bei
der allgemeinen Beurteilung der Schwere der verschiedenen festgestellten
Zuwiderhandlungen herangezogen wurden. Diese Angaben werden im übrigen in
bezug auf den in Randnummer 300 behandelten Informationsaustausch durch die
Ausführungen in den Randnummern 49 bis 60 und 266 bis 272 der Entscheidung
ergänzt.
- 663.
- Die Kommission ist überdies in Randnummer 314 der Entscheidung zu dem als
solchem von der Klägerin nicht in Abrede gestellten Ergebnis gelangt, daß es sich
um eine Zuwiderhandlung von langer Dauer gehandelt habe. In Artikel 1 der
Entscheidung wird für jede Zuwiderhandlung angegeben, wie lange sie gedauert
haben soll, und damit der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß die den
verschiedenen Zuwiderhandlungen entsprechenden Teilbeträge der Geldbußen
nach der Dauer der Zuwiderhandlungen aufgeschlüsselt sind. Dies stellt eine
ausreichende Begründung dar.
- 664.
- Wie das Gericht in seinem Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89
(Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) ausgeführt hat, ist es
wünschenswert, daß die Unternehmen um ihren Standpunkt in voller Kenntnis
der Sachlage festlegen zu können nach jedem von der Kommission als
angemessen betrachteten System die Berechnungsweise der wegen einer
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch Entscheidung gegen sie
verhängten Geldbuße in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck
gerichtlich gegen die Entscheidung vorgehen zu müssen.
- 665.
- Dies gilt erst recht, wenn die Kommission wie hier zur Berechnung der
Geldbußen genaue mathematische Formeln benutzt hat. In einem solchen Fall ist
es wünschenswert, daß die betroffenen Unternehmen und gegebenenfalls das
Gericht prüfen können, ob die von der Kommission angewandte Methode und ihre
Vorgehensweise fehlerfrei und mit den für Geldbußen geltenden Bestimmungen
und Grundsätzen, zu denen insbesondere das Diskriminierungsverbot zählt,
vereinbar sind.
- 666.
- Solche Zahlenangaben, die auf Verlangen einer Partei oder des Gerichts gemäß
den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung vorgelegt werden, stellen jedoch
keine zusätzliche und nachträgliche Begründung der Entscheidung dar, sondern die
zahlenmäßige Umsetzung der in der Entscheidung genannten Kriterien, sofern
diese selbst quantifizierbar sind.
- 667.
- Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung zwar keine Angaben zur Berechnung
der Geldbuße, doch hat die Kommission im Lauf des Verfahrens auf Verlangen des
Gerichts u. a. Zahlenangaben zur Aufschlüsselung der Geldbuße nach den
verschiedenen den Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen vorgelegt.
- 668.
- Zum Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission zwischen dem berücksichtigten
Gesamtzeitraum (1986 bis 1990) und dem Sanktionszeitraum (Juli 1988 bis
Dezember 1990) nicht klar getrennt habe, geht aus der Prüfung des Sachverhalts,
die das Gericht bei der Erörterung der auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des
Vertrages gestützten Rügen vorgenommen hat, hervor, daß die Zuwiderhandlungen
zeitlich klar eingeordnet wurden. Die Definition des Zeitraums, der bei der
Festsetzung der Geldbuße gegen die Klägerin herangezogen wurde, in den
Randnummern 311 und 314 der Entscheidung ist ebenso klar und von der Klägerin
im übrigen voll und ganz verstanden worden.
- 669.
- Daraus folgt, daß das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie die Unzulänglichkeit
der Begründung rügt, zurückzuweisen ist.
Zur wirtschaftlichen Lage der Klägerin und der Stahlindustrie
- 670.
- Das Argument, daß die Klägerin wie die Zahlen in Randnummer 301
(Fußnote 1) der Entscheidung zeigten im Verhältnis zu anderen Unternehmen
nur geringe Gewinne erzielt habe, ist irrelevant. Die Geldbußen der einzelnen
Unternehmen wurden nämlich gemäß den Vorschriften von Artikel 65 § 5 des
Vertrages nicht anhand ihrer Gewinne, sondern anhand ihrer Umsätze berechnet.
- 671.
- Die Kommission hat im übrigen dadurch, daß sie dieses Kriterium gemäß Artikel
65 § 5 des Vertrages auf alle Unternehmen angewandt hat, der relativen
wirtschaftlichen Bedeutung jedes von ihnen auf dem Trägermarkt der
Gemeinschaft, den die Zuwiderhandlungen allein betrafen, hinreichend Rechnung
getragen. Der Hinweis der Klägerin auf ihre geringe Bedeutung auf dem
Rohstahlmarkt ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Gleiches gilt für die
Ausführungen von Herrn Van Miert vor dem Europäischen Parlament.
- 672.
- Zum Vorbringen, daß die Geldbuße der Klägerin herabgesetzt werden müsse, weil
ihre Trägerproduktion abgesehen von den Jahren 1988 bis 1990 nicht
kostendeckend gewesen sei, ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer
301 der Entscheidung auf die Lage der Unternehmen zur Zeit des Erlasses der
Entscheidung Bezug genommen und die Ansicht vertreten hat, daß die
„Stahlhersteller ... gegenwärtig in der Regel keine Gewinne“ erzielten. Ferner
wurde die schwierige wirtschaftliche Lage der Stahlunternehmen zur Zeit des
Erlasses der Entscheidung unstreitig vor allem bei den Zahlungsfristen in Artikel
5 berücksichtigt.
- 673.
- Die Kommission ist grundsätzlich zu einer solchen Vorgehensweise berechtigt, bei
der sie der aktuellen Lage der Unternehmen Rechnung trägt und zugleich die
Geldbußen auf einem ihr angemessen erscheinenden Niveau beläßt (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957 in der Rechtssache 8/56, ALMA/Hohe
Behörde, Slg. 1957, 191, 202). Das Urteil Petrofina/Kommission (Randnrn. 262 und
265), auf das sich die Klägerin berufen hat, ändert daran nichts, da es nur die
besondere Situation des dortigen Falles betraf.
- 674.
- Auch die Tatsache, daß die Klägerin von 1988 bis 1990 nur „temporäre“ Gewinne
erzielte und daß ihre Trägerproduktion in der übrigen Zeit bei weitem nicht
kostendeckend war, reicht für sich genommen nicht als Beleg für einen
Beurteilungsfehler der Kommission aus. Die Angaben der Klägerin bestätigen, daß
in der für die Geldbuße maßgeblichen Zeit eine deutliche Verbesserung gegenüber
den Vorjahren eintrat, die es ihr ermöglichte, trotz der strukturellen Überkapazität
auf dem Markt einen Gewinn zu erzielen.
- 675.
- Die Anerkennung einer Verpflichtung der Kommission, die schlechte finanzielle
Lage eines Unternehmens bei der Ermittlung der Geldbuße zu berücksichtigen,
würde jedenfalls darauf hinauslaufen, den am wenigsten den Marktbedingungen
angepaßten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu
verschaffen (Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den Rechtssachen
96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg.
1983, 3369, Randnr. 55; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache
T-319/94, Fiskeby Board/Kommission, Slg. 1998, II-1331, Randnr. 76).
- 676.
- Die Kommission hat zu Recht außer acht gelassen, daß die Klägerin nach ihren
Angaben zum deutschen Steuerrecht die Geldbuße nicht von ihren Einkünften
abziehen kann. Das Steuerrecht eines Mitgliedstaats kann bei der Festsetzung einer
Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft
kein relevantes Kriterium sein.
- 677.
- Schließlich ist zu den angeblichen Anpassungsschwierigkeiten der Industrie am
Ende der Krisenregelung bereits festgestellt worden, daß die Unternehmen
spätestens seit September 1985 wußten, daß eine Übergangsregelung eingeführt
worden war. Die Kommission traf im übrigen verschiedene begleitende
Übergangsmaßnahmen, zu denen u. a. das in der Entscheidung Nr. 2448/88
vorgesehene Überwachungssystem gehörte.
- 678.
- Die auf die wirtschaftliche Lage der Klägerin und der Stahlindustrie gestützten
Argumente sind deshalb zurückzuweisen.
Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlungen
- 679.
- Das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission in den Randnummern 302 bis
304 der Entscheidung die wirtschaftliche Auswirkung der Zuwiderhandlungen nicht
zutreffend beurteilt habe, ähnelt dem Vorbringen anderer Klägerinnen in
Parallelsachen, die der Kommission ebenfalls im wesentlichen vorwerfen, die
wirtschaftlichen Auswirkungen des Kartells auf den Markt nicht gebührend
untersucht und sich auf bloße Mutmaßungen gestützt zu haben, obwohl sie die
wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen prüfen müsse, um ihre
Schwere zu ermessen und gegebenenfalls dem begrenzten Charakter dieser
Auswirkungen Rechnung zu tragen (Urteile Istituto Chemioterapico Italiano und
Commercial Solvents/Kommission, Randnrn. 51 ff., und Suiker Unie
u. a./Kommission, Randnrn. 614 ff.); dies gelte vor allem im Rahmen eines
reglementierten Marktes wie dem der EGKS.
- 680.
- In ihren gemeinsamen Ausführungen zu diesem Aspekt der Rechtssache haben die
Klägerinnen diese Argumentation mit der These verbunden, daß Artikel 65 § 5 des
Vertrages nur für Verhaltensweisen mit wettbewerbswidriger Wirkung und nicht für
Verhaltensweisen mit lediglich wettbewerbswidrigem Gegenstand gelte.
- 681.
- Die Klägerinnen haben ferner auf die Aussage von Herrn Kutscher verwiesen, nach
der es in Zeiten günstiger wirtschaftlicher Konjunktur wie von 1988 bis 1990
normal und fast zwangsläufig sei, daß die Preise der Unternehmen stiegen, da jeder
versuche, von den Erhöhungen der Konkurrenten zu profitieren, so daß aus den
damals von den Unternehmen erzielten Gewinnen nicht habe geschlossen werden
können, daß sie Preisabsprachen getroffen hätten. Diese Aussage widerlege die
Darstellung in den Randnummern 302 bis 304 der Entscheidung.
- 682.
- Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnrn. 245 und 250), bedarf es zur
Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht des
Nachweises, daß das fragliche Verhalten eine wettbewerbswidrige Wirkung hatte.
Gleiches gilt für die Festsetzung einer Geldbuße gemäß Artikel 65 § 5 des
Vertrages.
- 683.
- Folglich ist die mögliche Auswirkung einer Vereinbarung oder einer verabredeten
Praktik auf den normalen Wettbewerb bei der Beurteilung der angemessenen Höhe
der Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium. Wie die Kommission zu Recht
ausgeführt hat, können Gesichtspunkte, die die Intention und damit den
Gegenstand eines Verhaltens betreffen, größere Bedeutung haben als solche, die
dessen Wirkungen betreffen (vgl. die Schlußanträge des zum Generalanwalt
bestellten Richters Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1022 f.).
Dies gilt vor allem dann, wenn diese Gesichtspunkte dem Wesen nach schwere
Zuwiderhandlungen wie die Preisfestsetzung und die Marktaufteilung betreffen.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
- 684.
- Die Kommission räumt jedoch ein, daß die Beurteilung der Auswirkungen einer
Zuwiderhandlung für die Geldbußen relevant sein kann, wenn sie sich ausdrücklich
auf eine bestimmte Auswirkung beruft und nicht in der Lage ist, diese
nachzuweisen oder gute Gründe für ihre Berücksichtigung anzugeben (in diesem
Sinne auch die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters
Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1023).
- 685.
- Insoweit hat die Kommission in den Randnummern 222 und 293 der Entscheidung
ausgeführt, daß die fraglichen Unternehmen einen Großteil des Trägermarktes derGemeinschaft repräsentiert hätten, da alle führenden Hersteller mitgewirkt hätten,
und daß die Auswirkung der Zuwiderhandlungen alles andere als unbedeutend
gewesen sei. Ferner hat die Kommission, u. a. in Randnummer 222, auf die eigenen
Unterlagen der Hersteller verwiesen, die deren Auffassung widerspiegelten, daß die
fraglichen Preiserhöhungen von den Verbrauchern akzeptiert worden seien. In
Randnummer 303 der Entscheidung bezifferte die Kommission den dadurch
insgesamt erlangten Mehrerlös auf mindestens 20 Millionen ECU in den ersten
beiden Quartalen von 1989. Entgegen der Behauptung der Klägerin ist in bezug auf
die Auswirkungen der fraglichen Zuwiderhandlungen kein Widerspruch zwischen
den Randnummern 222, 293 und 303 der Entscheidung zu erkennen.
- 686.
- Unter diesen Umständen war die Kommission berechtigt, die erheblichen
wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf den Markt bei der
Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen.
- 687.
- Herr Kutscher, der im Rahmen seiner Aufgaben bei der GD III beträchtliche
Erfahrung im Stahlsektor erwarb, hat jedoch bei seiner Aussage in der mündlichen
Verhandlung die Ansicht vertreten, Preiserhöhungen in dem hier zur maßgeblichen
Zeit auf dem Markt festgestellten Umfang seien angesichts der damaligen günstigen
Wirtschaftskonjunktur normalerweise zu erwarten gewesen. Dies sei einer der
Gründe dafür, daß er nicht den Verdacht gehabt habe, daß es ein Kartell der
Hersteller gebe.
- 688.
- Außerdem führte die Vorgehensweise der Kommission bei der Vorbereitung der
Vorausschätzungsprogramme und bei dem in der Entscheidung Nr. 2448/88
geregelten Überwachungssystem dazu, daß die Unternehmen vor ihren Treffen mit
der GD III zusammenkommen und ihre Meinungen zur wirtschaftlichen Situation
auf dem Markt und zu den künftigen Tendenzen, vor allem im Preisbereich,
austauschen mußten, um sie der GD III zusammengefaßt vortragen zu können.
Solche Vorbereitungstreffen, an denen die leitenden kaufmännischen Mitarbeiter
der betreffenden Unternehmen teilnahmen, waren im übrigen für den Erfolg des
Überwachungssystems erforderlich, da die Kommission wie Herr Kutscher in der
mündlichen Verhandlung bestätigt hat selbst nicht in der Lage war, die
individuellen Angaben der Unternehmen in angemessener Zeit zu sammeln und zu
analysieren. Die Angaben der Unternehmen bei diesen Treffen waren für die
GD III auch insbesondere bei der Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme
unstreitig von Nutzen.
- 689.
- Aus der Aussage von Herrn Kutscher ergibt sich ferner, daß die GD III damals
recht erfreut darüber war, daß die noch immer anfällige Stahlindustrie nach einer
langen Verlustperiode wieder Gewinne erzielte, womit sich die Gefahr einer
Rückkehr zur Regelung für die offensichtliche Krise verringerte.
- 690.
- Durch ein solches Verhalten im Rahmen des Überwachungssystems von Mitte 1988
bis Ende 1990 hat die GD III eine gewisse Unklarheit hinsichtlich der Tragweite
des Begriffs „normaler Wettbewerb“ im Sinne des EGKS-Vertrags geschaffen.
Zwar braucht im vorliegenden Urteil nicht geklärt zu werden, in welchem Umfang
die Unternehmen zur Vorbereitung der Konsultationstreffen mit der Kommission
ohne Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages individuelle Angaben austauschen
durften, da dies nicht Gegenstand der Sitzungen der Träger-Kommission war, doch
können die Auswirkungen der vorliegend begangenen Zuwiderhandlungen nicht
durch einen schlichten Vergleich zwischen der Lage, die aufgrund der
wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen eintrat, und der Lage, die ohne jede
Kontaktaufnahme zwischen den Unternehmen bestanden hätte, ermittelt werden.
Es ist hier sachdienlicher, die Lage, die aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden
Vereinbarungen eintrat, mit der von der GD III angestrebten und gebilligten Lage
zu vergleichen, die darin bestand, daß die Unternehmen zusammenkommen und
allgemeine Gespräche, insbesondere über ihre Prognosen der künftigen Preise,
führen sollten.
- 691.
- Insoweit läßt sich nicht ausschließen, daß ein Meinungsaustausch der Unternehmen
über ihre „Preisprognosen“, wie er von der GD III als zulässig angesehen wurde,
auch ohne Vereinbarungen der im vorliegenden Fall in der Träger-Kommission
getroffenen Art ein abgestimmtes Marktverhalten der betreffenden Unternehmen
hätte erleichtern können. Unterstellt man, daß sich die Unternehmen auf einen
allgemeinen und unverbindlichen Meinungsaustausch über die von ihnen erwarteten
Preise beschränkt hätten, der nur zur Vorbereitung der Konsultationstreffen mit
der Kommission gedient hätte, und daß sie der Kommission den genauen Inhalt
ihrer Vorbereitungstreffen offenbart hätten, so ist es durchaus möglich, daß solche
von der GD III gebilligten Kontakte zwischen den Unternehmen eine gewisse
Parallelität des Marktverhaltens insbesondere hinsichtlich der Preiserhöhungen,
die zumindest teilweise durch die günstige Wirtschaftskonjunktur im Jahr 1989
ausgelöst wurden hätten verstärken können.
- 692.
- Die Kommission hat daher in Randnummer 303 der Entscheidung die
wirtschaftlichen Auswirkungen der vorliegend festgestellten Vereinbarungen über
die Preisfestsetzung überbewertet, die im Verhältnis zu dem Wettbewerb eintraten,
der ohne solche Zuwiderhandlungen angesichts der günstigen Wirtschaftskonjunktur
und des den Unternehmen eingeräumten Spielraums für allgemeine Gespräche
über Preisprognosen mit anderen Unternehmen und der GD III im Rahmen der
von dieser regelmäßig veranstalteten Treffen geherrscht hätte.
- 693.
- Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hält das Gericht im Rahmen der
Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eine Herabsetzung der
wegen der verschiedenen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur
Preisfestsetzung gegen die Klägerin verhängten Geldbuße um 15 % für
angemessen. In bezug auf die Vereinbarungen über die Marktaufteilung und den
Informationsaustausch über Aufträge und Lieferungen, für die diese Erwägungen
nicht gelten, ist dagegen keine derartige Herabsetzung vorzunehmen.
Zum erschwerenden Umstand der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der
beanstandeten Verhaltensweisen
- 694.
- Mit den drei in Randnummer 307 der Entscheidung ausdrücklich angeführten
Beweisen, bei denen es sich um interne Vermerke von Usinor Sacilor, der Klägerin
und Eurofer handelt, wird den drei betroffenen Unternehmen kein spezieller
erschwerender Umstand zur Last gelegt, sondern sie sollen zusammen mit den
Randnummern 305 und 306 als Beleg dafür dienen, daß sich alle Adressaten der
Entscheidung des Verstoßes gegen das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages
bewußt waren. Aus den bereits genannten Gründen (siehe oben, Randnr. 640 und
Abschnitt D) ist das Gericht der Ansicht, daß der Klägerin die Rechtswidrigkeit
ihres Verhaltens bekannt sein mußte.
- 695.
- Unter diesen Umständen vertritt das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner
Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Auffassung, daß der der Klägerin in
Randnummer 307 der Entscheidung aus diesem Grund zur Last gelegte
erschwerende Umstand stichhaltig ist.
Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen
gegen sie festgesetzten Geldbuße
- 696.
- Aus den oben in den Randnummern 380 ff. dargelegten Gründen hat das Gericht
bereits festgestellt, daß die Teilnahme der Klägerin an den
Informationsaustauschsystemen, die in den Randnummern 263 bis 272 der
Entscheidung beschrieben sind, als eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel
65 § 1 des Vertrages anzusehen ist. Folglich hat die Kommission diese
Zuwiderhandlung bei der Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten
Geldbuße zu Recht gesondert berücksichtigt.
Zur doppelten Anwendung des Basissatzes der Geldbuße
- 697.
- In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen geltend gemacht, die
Anwendung des Basissatzes von 7,5 % des Umsatzes habe im Ergebnis zu einem
tatsächlichen Basissatz von 13 % geführt; davon entfielen 2,5 % auf die
Preisabsprachen in der Träger-Kommission, 0,5 % auf die Aufpreisharmonisierung,
2,5 % auf die Preisabsprachen für die einzelnen nationalen Märkte, 3 % auf die
Vereinbarungen über die Marktaufteilung in der Träger-Kommission, 3 % auf die
Vereinbarungen über die Aufteilung der einzelnen nationalen Märkte und 1,5 %
auf den Informationsaustausch.
- 698.
- Nach den Angaben, die die Kommission im Lauf des Verfahrens gemacht hat,
konnte die Geldbuße in der Tat wie von den Klägerinnen behauptet theoretisch
durch Addition der einzelnen in Randnummer 697 genannten Sätze 13 % des
Umsatzes erreichen. Die Kommission hat die Geldbußen jedoch bei ihren
Berechnungen auch nach der Dauer und der räumlichen Ausdehnung jeder
Zuwiderhandlung differenziert, so daß die gegen die Unternehmen festgesetzten
Geldbußen in der Praxis den Basissatz von 7,5 % und erst recht einen Satz von
13 % bei weitem nicht erreichen. Das Vorbringen der Klägerinnen ist daher für
den Betrag der tatsächlich gegen sie festgesetzten Geldbußen unerheblich. Dies gilt
um so mehr, als die Geldbuße, die wegen der Teilnahme der Klägerin an den
verschiedenen Zuwiderhandlungen bei der Marktaufteilung gegen sie verhängt
wurde, weit unter dem von der Kommission bei dieser Gruppe von
Zuwiderhandlungen herangezogenen Ausgangssatz von 3 % liegt. Der auf die
Vereinbarungen über die Preisfestsetzung entfallende Teil der gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße überschritt zwar nach den Berechnungen der Kommission
geringfügig den Ausgangssatz von 3 %, aber im Anschluß an die Überprüfung
durch das Gericht ist dies nicht mehr der Fall.
- 699.
- Unter diesen Umständen hält es das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner
Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung selbst wenn man unterstellt, daß sich
manche Zuwiderhandlungen teilweise überschneiden (z. B. die Preisabsprachen in
der Träger-Kommission und einige Preisabsprachen für die einzelnen nationalen
Märkte) und daß es zwischen manchen Zuwiderhandlungen einen Zusammenhang
gibt (z. B. zwischen dem Auftrags- und Liefermonitoring und einigen
Marktaufteilungsvereinbarungen) nicht für geboten, die gegen die Klägerin
verhängte Geldbuße aus diesem Grund herabzusetzen, da der im folgenden
festgelegte Gesamtbetrag der Geldbuße nach Ansicht des Gerichts eine
angemessene Sanktion für alle in Rede stehenden Zuwiderhandlungen darstellt.
- 700.
- Desgleichen braucht bei der Geldbuße, die wegen der verschiedenen
Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung in der Träger-Kommission gegen die Klägerin verhängt wurde, nicht nach der genauen Dauer
oder räumlichen Ausdehnung der einzelnen ihr für das Jahr 1990 zur Last gelegten
Zuwiderhandlungen differenziert zu werden.
- 701.
- Die Ausführungen in den Randnummern 232 bis 237 der Entscheidung enthalten
zwar selbst keine Nachweise dafür, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der
Träger-Kommission im vierten Quartal 1990 eine Vereinbarung trafen oder eine
verabredete Praktik zur Preisfestsetzung anwandten.
- 702.
- Außerdem betreffen die von der Kommission in den Randnummern 232 bis 237
der Entscheidung speziell für das Jahr 1990 festgestellten Zuwiderhandlungen nur
die Anwendung einer Vereinbarung über Zielpreise im ersten Quartal 1990
(Randnr. 232), eine den französischen Markt betreffende Vereinbarung (Randnr.
233) und zwei den britischen Markt betreffende verabredete Praktiken (Randnrn.
234 bis 237); sie scheinen somit eine geringere räumliche Ausdehnung gehabt zu
haben als die für die Jahre 1988 und 1989 festgestellten Zuwiderhandlungen.
- 703.
- Aus den Randnummern 118 bis 121 der Entscheidung und den dort genannten
Unterlagen geht jedoch hervor, daß die Mitglieder der Träger-Kommission,
nachdem sie in der Sitzung vom 11. September 1990 die grundsätzliche Möglichkeit
und die Einzelheiten einer mäßigen Anhebung der Preise zum „wahrscheinlichen
Termin“ 1. Januar 1991 besprochen hatten, ihre Erörterungen in der Sitzung vom
9. Oktober 1990 fortsetzten, bis sie sich einigten, die Preise auf den
kontinentaleuropäischen Märkten im ersten Quartal 1991 um 20 DM bis 30 DM
anzuheben (vgl. das Protokoll dieser Sitzung, S. 346 bis 354 der Akten). Weiter
heißt es in dem Sitzungsprotokoll: „In preislicher Hinsicht konnten die Niveaus
T3/90 trotz einiger Schwierigkeiten in manchen Ländern im vierten Quartal unter
vollständiger Anwendung der neuen Aufpreise beibehalten werden.“
- 704.
- Angesichts der von Quartal zu Quartal regelmäßig getroffenen oder verlängerten
Vereinbarungen und der Praktiken, die in der Träger-Kommission bis zu den ersten
Kontrollen der Kommission im Januar 1991 üblich waren, sind diese Schriftstücke
der Beweis dafür, daß die Preisabsprache, insbesondere durch weitere Anwendung
der zuvor getroffenen Vereinbarungen, im vierten Quartal 1990 fortgesetzt wurde.
- 705.
- Allgemein betrachtet fügten sich die der Klägerin auf der Grundlage der
tatsächlichen Feststellungen in den Randnummern 95 bis 121 und 227 bis 237 der
Entscheidung zur Last gelegten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken bei
der Preisfestsetzung in den Rahmen regelmäßiger Treffen und laufender Kontakte
zwischen den Herstellern ein, die innerhalb der Träger-Kommission Gelegenheit
zu ständiger Zusammenarbeit untereinander boten. So traf die Träger-Kommission
im Lauf des Jahres 1990 regelmäßig zusammen, und zwar am 14. Februar, 21.März, 16. Mai, 10. Juli, 11. September, 9. Oktober und 4. Dezember. Aus den
Protokollen dieser Sitzungen geht hervor, daß sich die Teilnehmer laufend über die
auf den wichtigsten Märkten der Gemeinschaft anzuwendenden Preise absprachen,
wodurch die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der zuvor getroffenen
Vereinbarungen zeitlich ausgedehnt wurden und außerdem die Begehung der
einzelnen in den Randnummern 232 bis 237 der Entscheidung geschilderten
Zuwiderhandlungen ermöglicht wurde.
- 706.
- Die Kommission hat daher zu Recht in Randnummer 221 der Entscheidung
festgestellt, daß die Betroffenen eine fortdauernde Absprache mit dem Ziel trafen,
u. a. die Preise in den einzelnen Mitgliedstaaten der EGKS zu erhöhen und zu
harmonisieren, und in Randnummer 242 der Entscheidung ausgeführt, daß die
Unternehmen für die gesamte Zeit ihrer Teilnahme an den Sitzungen und der
damit verbundenen Zusammenarbeit die Verantwortung für die in der
Entscheidung beschriebenen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur
Preisfestsetzung in der Träger-Kommission tragen müssen; in bezug auf die
Klägerin handelt es sich dabei um einen Zeitraum von 30 Monaten, der vom 1. Juli
1988 bis zum 31. Dezember 1990 reicht.
- 707.
- Das dahin gehende Vorbringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung
ist folglich zurückzuweisen.
Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“
- 708.
- Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ darin, daß
außer der Geldbuße wegen der Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen
für den deutschen Markt in der Träger-Kommission auch wegen der
Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen für den dänischen Markt im
Rahmen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe eine Geldbuße verhängt wurde. Wie
bereits ausgeführt, handelt es sich aber bei den Vereinbarungen über die
Festsetzung von Preisen für den dänischen Markt und den ähnlichen
Vereinbarungen in bezug auf den deutschen Markt um gesonderte
Zuwiderhandlungen (vgl. u. a. Randnr. 498).
- 709.
- Dies gilt auch für die von der Klägerin angeführten Vereinbarungen über die Preise
zum 1. April 1989. Eine dieser Vereinbarungen, die den deutschen Markt betraf,
wurde am 10. Januar 1989 in der Träger-Kommission getroffen (Randnrn. 227, 95
und 96 der Entscheidung), die andere am 1. Februar 1989 in der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe (Randnr. 202 der Entscheidung). In bezug auf das von
der Kommission geltend gemachte Vorliegen einer weiteren Vereinbarung über die
Festsetzung von Preisen zum 1. April 1989 auf dem deutschen Markt selbst (vgl.
Randnrn. 273, fünfter Gedankenstrich, und 153 der Entscheidung) ist bereits
festgestellt worden, daß Artikel 1 der Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären
ist (siehe oben, Randnrn. 410 bis 413).
- 710.
- Aus den vom Gericht bereits getroffenen tatsächlichen Feststellungen geht im
übrigen hervor, daß jede der anderen Zuwiderhandlungen, die der Klägerin in
Artikel 1 der Entscheidung zur Last gelegt werden, eine gesonderte
Zuwiderhandlung darstellt, die die Kommission bei der Geldbuße berücksichtigen
durfte.
- 711.
- Unter diesen Umständen ist das auf einen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis
in idem“ gestützte Vorbringen zurückzuweisen.
Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen im
Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der Kommission und zu den
Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des Vertrages
- 712.
- Die Klägerinnen haben sich in ihren gemeinsamen Ausführungen in der
mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Entscheidung „nichtrostender
Flachstahl“ gegen das allgemeine Niveau der Geldbußen gewandt. Dem kann nicht
gefolgt werden.
- 713.
- Erstens waren alle Zuwiderhandlungen, die bei der Festsetzung der Geldbuße in
der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ berücksichtigt wurden, in der Zeit der
offensichtlichen Krise begangen worden. Zweitens haben die Unternehmen im
vorliegenden Fall nicht nachgewiesen, daß die Beamten der GD III von den in der
Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen wußten, so daß der entsprechende
mildernde Umstand, der in der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bejaht
wurde, hier nicht herangezogen werden kann. Drittens kommt angesichts der
Warnung, die insbesondere die in Randnummer 305 der angefochtenen
Entscheidung erwähnte Pressemitteilung darstellte, anders als zur Zeit des Erlasses
der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ das Vorliegen eines
Mißverständnisses über die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht in
Betracht.
- 714.
- Außerdem ist die Kommission nach der Rechtsprechung zum EG-Vertrag dadurch,
daß sie in der Vergangenheit bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen mit
Geldbußen in bestimmter Höhe geahndet hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau
innerhalb der in der einschlägigen Regelung gezogenen Grenzen anzuheben, wenn
dies erforderlich ist, um die Wirksamkeit der gemeinschaftlichen
Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. das Urteil Pioneer, Randnr. 109). Dieses
Erfordernis einer wirksamen Wettbewerbspolitik liegt auch Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag zugrunde, auf den diese Rechtsprechung deshalb entgegen der Auffassung
der Klägerin übertragbar ist.
- 715.
- Es spielt daher keine Rolle, daß der Entscheidung nur eine verhältnismäßig geringe
Zahl von Anwendungsfällen von Artikel 65 § 5 des Vertrages vorausging und daß
die Kommission aufgrund dieser Bestimmung vor allem im Zusammenhang mit der
Krise keine hohen Geldbußen verhängte.
- 716.
- Auch dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission im Hinblick auf die
Unterschiede zwischen beiden Verträgen nicht berechtigt gewesen sei, im Rahmen
des EGKS-Vertrags das mittlerweile im Rahmen des EG-Vertrags übliche
Bußgeldniveau anzuwenden, kann nicht gefolgt werden. Zwar schränken einige
Bestimmungen des EGKS-Vertrags, insbesondere Artikel 60, selbst den freien
Wettbewerb ein, doch stimmt die in Artikel 65 § 5 des Vertrages für schwerste
Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehene absolute Obergrenze von 10 % des
Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens mit der absoluten Obergrenze in
Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 überein. Außerdem erlaubt es Artikel
65 § 5 EGKS-Vertrag im vorliegenden Fall, Geldbußen bis zum Doppelten des
Umsatzes mit dem betreffenden Erzeugnis festzusetzen.
- 717.
- Die von den Klägerinnen in ihren gemeinsamen Ausführungen angesprochene
Tatsache, daß die Zuwiderhandlungen nicht auf die Beschränkung der Produktion,
der technischen Entwicklung oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des
Vertrages abgezielt hätten, hat die Kommission zu Recht nicht als mildernden
Umstand herangezogen. Solche Beschränkungen sollen es nach dem Aufbau von
Artikel 65 § 5 des Vertrages als erschwerende Umstände erlauben, über die
normale Obergrenze des Doppelten des Umsatzes mit dem betreffenden Erzeugnis
hinauszugehen. Im vorliegenden Fall liegt die Geldbuße aber weit darunter.
Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit den
Geldbußen in der Zement-Entscheidung
- 718.
- Im Rahmen der gemeinsamen Ausführungen ist ferner geltend gemacht worden,
die Kommission habe in der Zement-Entscheidung für Zuwiderhandlungen, die sie
als schwerwiegend angesehen habe und die sich über sechs Jahre erstreckt hätten,
Geldbußen von etwa 4 % des Umsatzes festgesetzt. Daraus sei nach einer kürzlich
veröffentlichten Bekanntmachung der Kommission (Leitlinien für das Verfahren zur
Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr.
17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998,
C 9, S. 3; im folgenden: Leitlinien) abzuleiten, daß die Kommission in der
Rechtssache „Zement“ vor der Erhöhung aufgrund der Dauer der
Zuwiderhandlungen eine Basisgeldbuße von 2 % angewandt habe. Nach der
gleichen Berechnung betrage der Basissatz im vorliegenden Fall 6 %. Die
Geldbußen müßten daher auf ein Drittel herabgesetzt werden.
- 719.
- Zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbußen in der angefochtenen
Entscheidung und in der Zement-Entscheidung kann kein direkter Vergleich
angestellt werden.
- 720.
- Erstens wurde die Berechnung in der angefochtenen Entscheidung vor der
Bekanntmachung der Leitlinien und ohne Rückgriff auf die dort vorgesehene
Methode vorgenommen, die eine Basisgeldbuße und Aufschläge nach Maßgabe der
Dauer umfaßt.
- 721.
- Zweitens erging auch die Zement-Entscheidung vor der Bekanntmachung der
Leitlinien, und sie enthält keinen Hinweis darauf, daß die dort vorgesehene
Methode angewandt wurde.
- 722.
- Drittens weichen Sachverhalt und Rechtslage im vorliegenden Fall so stark von der
Rechtssache „Zement“ ab, daß ein detaillierter Vergleich zwischen beiden
Entscheidungen für die Beurteilung der vorliegend gegen die Klägerin zu
verhängenden Geldbuße nicht sachdienlich ist.
- 723.
- Deshalb ist vorbehaltlich der folgenden Ausführungen das gesamte Vorbringen
der Klägerin zur Höhe der Geldbußen zurückzuweisen.
Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das Gericht
- 724.
- Das Gericht hat Artikel 1 der Entscheidung bereits für nichtig erklärt, soweit darin
die Teilnahme der Klägerin an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf
dem deutschen Markt festgestellt wird (siehe oben, Randnrn. 410 bis 413). Die
wegen dieser Zuwiderhandlung von der Kommission festgesetzte Geldbuße ist auf
90 300 ECU beziffert worden.
- 725.
- Aus den oben in Randnummer 509 genannten Gründen ist ferner bei der
Berechnung der Geldbuße wegen der Zuwiderhandlung in Form der
Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt die Zeit vom 1. Juli bis zum 31.
Dezember 1988 auszunehmen; dies führt bei der Klägerin nach der von der
Kommission angewandten Methode zu einer Herabsetzung der Geldbuße um
17 200 ECU.
- 726.
- Schließlich ist der Gesamtbetrag der wegen der Vereinbarungen und verabredeten
Praktiken zur Preisfestsetzung verhängten Geldbuße aus den oben in den
Randnummern 687 bis 693 dargelegten Gründen um 15 % herabzusetzen, weil die
Kommission die wettbewerbswidrigen Wirkungen der festgestellten
Zuwiderhandlungen in gewissem Umfang überbewertet hat. Unter Berücksichtigung
der bereits angesprochenen Abschläge in bezug auf die Preisabsprachen auf dem
deutschen und dem dänischen Markt führt dies nach der von der Kommission
angewandten Berechnungsmethode zu einer Verringerung um 811 410 ECU.
- 727.
- Bei Anwendung der Methode der Kommission müßte die Geldbuße der Klägerin
daher um 918 910 ECU herabgesetzt werden.
- 728.
- Die Festsetzung einer Geldbuße durch das Gericht im Rahmen der Ausübung
seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ist dem Wesen nach kein streng
mathematischer Vorgang. Im übrigen ist das Gericht nicht an die Berechnungen der
Kommission gebunden, sondern hat unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls eine eigene Beurteilung vorzunehmen.
- 729.
- Die allgemeine Vorgehensweise der Kommission bei der Ermittlung des Niveaus
der Geldbußen (siehe oben, Randnr. 629) ist nach den Umständen des
vorliegenden Falles gerechtfertigt. Die in der Festsetzung von Preisen und der
Aufteilung von Märkten bestehenden Zuwiderhandlungen, die durch Artikel 65 § 1
des Vertrages ausdrücklich verboten werden, sind als besonders schwerwiegend
anzusehen, da sie einen unmittelbaren Eingriff in die wesentlichen
Wettbewerbsparameter auf dem betreffenden Markt bedeuten. Auch die der
Klägerin zur Last gelegten Systeme zum Austausch vertraulicher Informationen
bezweckten in ähnlicher Weise eine Aufteilung der Märkte anhand der
traditionellen Handelsströme. Alle bei der Geldbuße berücksichtigten
Zuwiderhandlungen wurden nach dem Ende der Krisenregelung und nach
entsprechenden Warnungen an die Unternehmen begangen. Nach den
Feststellungen des Gerichts bestand der allgemeine Zweck der fraglichen
Vereinbarungen und Praktiken gerade darin, die mit dem Wegfall der Regelung für
die offensichtliche Krise verbundene Rückkehr zum normalen Wettbewerb zu
verhindern oder zu verfälschen. Außerdem war den Unternehmen die
Rechtswidrigkeit der Vereinbarungen und Praktiken bekannt, die sie der
Kommission bewußt verheimlichten.
- 730.
- Nach alledem und unter Berücksichtigung des Inkrafttretens der Verordnung (EG)
Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im
Zusammenhang mit der Einführung des Euro (ABl. L 162, S. 1) am 1. Januar 1999
ist die Geldbuße auf 8 600 000 EURO festzusetzen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung
- 731.
- Die Klägerin trägt erstens vor, die Anordnung in Artikel 3 der Entscheidung sei
nicht hinreichend bestimmt und folglich rechtswidrig. Insbesondere lasse sich
unmöglich feststellen, ob das besonders unbestimmte Verbot, „Maßnahmen gleicher
Wirkung“ zu ergreifen, Anwendung finde, wenn ein Unternehmen erkläre, daß essein künftiges Verhalten an den Vorausschätzungsprogrammen der Kommission
orientieren wolle.
- 732.
- Zweitens gebe es für die Anordnung in Artikel 3 der Entscheidung keine
Rechtsgrundlage. Von den Artikeln 60 und 65 des Vertrages berechtige ersterer die
Kommission nur zur näheren Bezeichnung der dort genannten Praktiken und
letzterer zur Festsetzung von Geldbußen oder Zwangsgeldern.
- 733.
- Nach Artikel 65 § 4 des Vertrages ist die Kommission, vorbehaltlich eines Rechts
zur Klage vor dem Gemeinschaftsgericht, für die Entscheidung darüber, ob die dort
genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und verabredeten Praktiken mit den
Bestimmungen dieses Artikels in Einklang stehen, ausschließlich zuständig (vgl. das
Urteil Banks, insbesondere Randnr. 17). Die Kommission ist überdies gemäß
Artikel 65 § 5 des Vertrages für die Festsetzung von Geldbußen oder
Zwangsgeldern zur Ahndung der von § 1 dieses Artikels erfaßten Verhaltensweisen
ausschließlich zuständig.
- 734.
- Aus dem Aufbau dieser Bestimmungen ergibt sich, daß die Kommission befugt ist,
durch Entscheidung jede Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
festzustellen, wie sie es in bezug auf die Klägerin und die übrigen betroffenen
Unternehmen in Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung getan hat.
- 735.
- Durch die Verpflichtung der Klägerinnen nach Artikel 3 der Entscheidung, die
beanstandeten Verhaltensweisen abzustellen und es zu unterlassen, sie zu
wiederholen oder fortzusetzen, hat die Kommission nur die Konsequenzen zum
Ausdruck gebracht, die sich für ihr künftiges Verhalten aus der Feststellung der
Rechtswidrigkeit in Artikel 1 ergeben (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes
vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85,
C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg.
1993, I-1307, Randnr. 184).
- 736.
- Gleiches gilt für das Verbot, „Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen“. Es ist
rein deklaratorischer Art, da es die Unternehmen an der Wiederholung von
Verhaltensweisen hindern soll, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde (Urteil des
Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New
Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnr. 39). Die Kommission ist
jedenfalls berechtigt, gegen etwaige spätere Zuwiderhandlungen auf der Grundlage
von Artikel 65 selbst vorzugehen (vgl. Urteil Fiatagri und New Holland
Ford/Kommission, Randnr. 39).
- 737.
- Diese Anordnung ist im übrigen hinreichend genau, da aus der Begründung der
Entscheidung hervorgeht, welche Umstände die Kommission zur Feststellung der
Rechtswidrigkeit der in Artikel 1 beanstandeten Verhaltensweisen veranlaßt haben
(vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 17. September 1985 in den Rechtssachen 25/84
und 26/84, Ford/Kommission, Slg. 1985, 2725, Randnr. 42, und Urteil Fiatagri und
New Holland Ford/Kommission, Randnr. 39). Diese Erwägung gilt auch für die der
Klägerin zur Last gelegten Informationsaustauschsysteme, die u. a. deshalb für
rechtswidrig erklärt wurden, weil die betreffenden Daten im Rahmen eines
oligopolistischen Marktes nach Ländern und Unternehmen aufgeschlüsselt waren
(Randnrn. 266 bis 271 der Entscheidung).
- 738.
- Der Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung ist daher
zurückzuweisen.
Zum Antrag, den in Artikel 5 der Entscheidung für die dort vorgesehenen
Stundungen festgesetzten Zinssatz auch auf die Stundung durch Aussetzung der
Einziehung bei Anrufung des Gerichts für anwendbar zu erklären
- 739.
- Die Klägerin trägt vor, ein Vergleich zwischen dem Wortlaut des Schreibens vom
28. Februar 1994 und von Artikel 5 der Entscheidung zeige, daß die Unternehmen,
die von einer Klage gegen die Entscheidung absähen, bei einer etwaigen Stundung
einen günstigeren Zinssatz (6,25 %) erhielten als diejenigen, die gerichtlich gegen
sie vorgingen (7,75 %). Dies stelle eine unzulässige Diskriminierung dar.
- 740.
- Nach dem Wortlaut von Artikel 5 der Entscheidung und des Schreibens vom 28.
Februar 1994 sowie den Erläuterungen der Beklagten im Lauf des Verfahrens gilt
für ein Unternehmen, das beschlossen hat, die Geldbuße in Raten zu zahlen und
Klage zu erheben, bis zur Fälligkeit jeder Rate der FECOM-Basissatz; danach hat
es die Wahl, entweder die fällige Rate zu zahlen oder für diese Rate bis zur
Verkündung des Urteils zum FECOM-Satz zuzüglich 1,5 % überzugehen. Die
Anwendung eines um 1,5 Prozentpunkte erhöhten Zinssatzes hängt folglich nicht
mit der Erhebung einer Klage vor dem Gericht zusammen, sondern allein mit dem
etwaigen Rückstand bei der Zahlung der Geldbuße, der darauf beruht, daß das
Unternehmen bei Fälligkeit nicht gezahlt, sondern das Angebot der Kommission
im Schreiben vom 28. Februar 1994 angenommen hat, die Beitreibung der
Geldbuße bis zur Verkündung des Urteils auszusetzen.
- 741.
- Gemäß Artikel 39 des Vertrages haben die beim Gericht erhobenen Klagen keine
aufschiebende Wirkung. Folglich braucht die Kommission ein Unternehmen, das
unabhängig davon, ob es Klage erhoben hat die Geldbuße zu ihrem normalen
Fälligkeitstermin entrichtet und dabei gegebenenfalls eine ihm von der Kommission
wie hier gebotene Möglichkeit der Ratenzahlung zu einem günstigen Zinssatz
nutzt, nicht ebenso zu behandeln wie ein Unternehmen, das die Zahlung bis zur
Verkündung eines abschließenden Urteils aufschieben möchte. Von
außergewöhnlichen Umständen abgesehen, ist die Anwendung von Verzugszinsen
in normaler Höhe im zuletzt genannten Fall als gerechtfertigt anzusehen (vgl.
Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82,
AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 141, und Beschlüsse des Präsidenten
des Gerichtshofes vom 6. Mai 1982 in der Rechtssache 107/82 R,
AEG/Kommission, Slg. 1982, 1549, und vom 7. März 1986 in der Rechtssache
392/85 R, Finsider/Kommission, Slg. 1986, 959).
- 742.
- Außerdem stellt die den betreffenden Unternehmen gebotene Möglichkeit, ihre
Geldbuße in Form von fünf Jahresraten zu zahlen, für die bis zu ihrer Fälligkeit der
FECOM-Basissatz gilt, in Verbindung mit der Möglichkeit einer Aussetzung von
Beitreibungsmaßnahmen im Fall der Klageerhebung gegenüber der herkömmlichen
Vorgehensweise der Kommission bei Klagen vor dem Gemeinschaftsrichter eine
Vergünstigung dar. Im allgemeinen verlangt die Kommission nämlich bei der
Aussetzung der Zahlung der Geldbuße einen Zinssatz in Höhe des vom FECOM
bei seinen Ecu-Transaktionen im Monat vor dem Erlaß der fraglichen
Entscheidung angewandten Satzes zuzüglich 1,5 Prozentpunkte. Da bei
Ratenzahlung die Fälligkeit von vier Fünfteln der Geldbuße hinausgeschoben wird,
führt sie dazu, daß dieser Satz erst später Anwendung findet.
- 743.
- Der Antrag, der sich im wesentlichen auf die Änderung des im Schreiben vom 28.
Februar 1994 festgesetzten Zinssatzes richtet, ist daher als unbegründet
zurückzuweisen, ohne daß über die genaue Auslegung und die Zulässigkeit dieses
Antrags entschieden zu werden braucht.
Zum Antrag auf Zeugenvernehmung
- 744.
- Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift beantragt, einige Personen als Zeugen „für
die Vorgänge im CDE“ (Herrn Kolb) und „in der Träger-Kommission“ (Herrn
Kröll und Herrn Mette) sowie „für die Vorgänge in den Eurofer/Scandinavia-Sitzungen und für die Gespräche mit ausländischen Herstellern“ (Herrn Mette) zu
vernehmen. Sie hat ferner beantragt, Herrn Kutscher, Herrn Ortún und Herrn
Vanderseypen sowie Herrn Drees und Herrn Evans „für die Kenntnis der
Kommission über den Informationsaustausch und das Marktverhalten der
Unternehmen sowie für die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Verbänden
und Unternehmen, insbesondere bei den Treffen zwischen der Kommission und der
Stahlindustrie“, als Zeugen zu vernehmen. Die Anträge sind vor allem in bezug auf
Herrn Kröll und Herrn Mette in der Erwiderung konkretisiert worden.
- 745.
- Das Gericht hat im Rahmen der von ihm angeordneten Beweiserhebung Herrn
Kröll und Herrn Mette zu bestimmten Geschehnissen in bezug auf den deutschen,
den französischen und den italienischen Markt sowie Herrn Ortún, Herrn Kutscher
und Herrn Vanderseypen zu den Kontakten zwischen der GD III und der
Stahlindustrie in der Zeit von Juli 1988 bis Ende 1990 als Zeugen vernommen. In
der mündlichen Verhandlung hat auch Herr Kolb einige Erklärungen abgegeben,
obwohl die Klägerin ihren Antrag, ihn als Zeugen zu vernehmen, zurückgenommen
hat.
- 746.
- Nach diesen verschiedenen Beweiserhebungen und im Hinblick auf den sonstigen
Akteninhalt hält das Gericht den Sachverhalt für hinreichend geklärt, um über den
vorliegenden Fall entscheiden zu können, ohne daß die übrigen im Antrag der
Klägerin genannten Zeugen vernommen zu werden brauchen.
Kosten
- 747.
- Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen
oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils
obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das
Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten,
der Klägerin ihre eigenen Kosten und vier Fünftel der Kosten der Beklagten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
- 1.
- Artikel 1 der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar
1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend
Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen
Trägerherstellern wird für nichtig erklärt, soweit der Klägerin darin zur
Last gelegt wird, für die Dauer von drei Monaten an einer Vereinbarung
über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt teilgenommen zu
haben.
- 2.
- Die Höhe der in Artikel 4 der Entscheidung 94/215 gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße wird auf 8 600 000 EURO festgesetzt.
- 3.
- Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 4.
- Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie vier Fünftel der Kosten der
Beklagten. Die Beklagte trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. März 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
C. W. Bellamy
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II - 2
A Vorbemerkungen
II - 2
B Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970
und 1990
II - 3
Die Krise in den siebziger Jahren und die Gründung von Eurofer
II - 3
Das von 1980 bis 1988 geltende Quotensystem
II - 4
Die Ereignisse, die der Beendigung der Regelung für die offensichtliche Krise am
30. Juni 1988 vorausgingen
II - 8
Das ab 1. Juli 1988 geltende Überwachungssystem
II - 13
Die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ vom 18. Juli 1990
II - 14
Die von der Kommission ab 1990 angestellten Überlegungen zur Zukunft des
EGKS-Vertrags
II - 15
C Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission
II - 15
D Die angefochtene Entscheidung
II - 16
Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der
Parteien
II - 20
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung
II - 25
A Zur Verletzung von Verfahrensrechten der Klägerin
II - 25
B Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften
II - 32
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 32
Würdigung durch das Gericht
II - 34
Zulässigkeit
II - 34
Die Nichterreichung des Quorums
II - 35
Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der
Klägerin notifizierten Entscheidung
II - 38
Die fehlende Feststellung der Entscheidung
II - 40
Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls
II - 41
C Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages
II - 42
Zur Festsetzung von Preisen (Zielpreise) in der Träger-Kommission
II - 42
1. Tatsächliche Feststellungen
II - 43
Vorbemerkungen
II - 43
Die angeblich 1986 und 1987 getroffenen Vereinbarungen
II - 46
Die angeblich vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung über
die Preise in Deutschland und Frankreich
II - 46
Die angeblich vor dem 25. Juli 1988 festgelegten Zielpreise
II - 47
Die angeblich am 18. Oktober 1988 festgelegten Zielpreise
II - 47
Die angeblich in der Sitzung vom 10. Januar 1989 beschlossenen
Zielpreise
II - 49
Die angeblich in der Sitzung vom 19. April 1989 vereinbarten Zielpreise
II - 51
Die Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni 1989
anzuwendenden Preise
II - 52
Die angeblich in der Sitzung vom 11. Juli 1989 getroffene Vereinbarung,
auf dem deutschen Markt die Zielpreise für das dritte Quartal 1989
im vierten Quartal beizubehalten
II - 53
Der angeblich in der Sitzung vom 12. Dezember 1989 gefaßte Beschluß
über die im ersten Quartal 1990 zu erreichenden Zielpreise
II - 54
Die Festsetzung der im zweiten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich
anzuwendenden Preise
II - 56
Die Festsetzung der im dritten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich
anzuwendenden Preise
II - 57
Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente wirtschaftlicher Natur
II - 58
Ergebnis
II - 59
2. Zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts
II - 59
a) Zur Bewertung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf
die in Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von
Kartellen
II - 60
b) Zu Zweck und Wirkung der beanstandeten Kartelle und verabredeten
Praktiken
II - 64
c) Zur Einordnung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf
das Kriterium „normaler Wettbewerb“
II - 65
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 65
Würdigung durch das Gericht
II - 68
Der Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages
II - 68
Artikel 60 des Vertrages
II - 70
Artikel 46 bis 48 des Vertrages
II - 71
Zu den Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen
II - 73
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 73
Würdigung durch das Gericht
II - 74
Zur Marktaufteilung im Rahmen der „Traverso-Methode“
II - 77
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 77
Würdigung durch das Gericht
II - 79
Zur ersten Phase des Traverso-Systems (viertes Quartal 1988)
II - 79
Zur zweiten Phase des Traverso-Systems (erstes Quartal 1990)
II - 81
Zur Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes im vierten
Quartal 1989
II - 82
Zum Informationsaustausch in der Träger-Kommission (Auftrags- und
Liefermonitoring) und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung
II - 88
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
II - 90
Würdigung durch das Gericht
II - 92
Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
II - 92
Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring
II - 94
Zu den Praktiken auf den einzelnen Märkten
II - 99
1. Die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt
II - 99
2. Die Aufteilung des deutschen Marktes
II - 101
3. Die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt
II - 104
Zum dritten Quartal 1988
II - 104
Zum ersten Quartal 1989
II - 107
Zum dritten Quartal 1990
II - 109
4. Aufteilung des italienischen Marktes
II - 110
Zur Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt im Rahmen der Tätigkeiten der
Eurofer/Scandinavia-Gruppe
II - 114
Ergebnis
II - 120
D Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegten
Zuwiderhandlungen
II - 120
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 120
Zusammenfassung der Zeugenvernehmung
II - 126
Würdigung durch das Gericht
II - 129
Vorbemerkungen
II - 129
Zum Verhalten der Kommission in der Krisenzeit
II - 130
Zum Fortbestand von Mißverständnissen über die Auslegung oder
Anwendung von Artikel 65 § 1 des Vertrages nach der Zeit der
offensichtlichen Krise
II - 133
Zur Verwicklung der GD III in die nach dem Ende der Regelung für die
offensichtliche Krise festgestellten Zuwiderhandlungen
II - 135
Vereinbarungen über die Preisfestsetzung
II - 137
Vereinbarungen über die Harmonisierung der Aufpreise
II - 139
Vereinbarungen zur Aufteilung der Märkte
II - 139
Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen
II - 140
Sonstige Vereinbarungen
II - 143
Ergebnis
II - 143
Zu der Frage, ob die der Klägerin zur Last gelegten Handlungen insbesondere
im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages erlaubt waren
II - 144
E Zum Ermessensmißbrauch
II - 146
Zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder
zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt wird
II - 146
A Vorbemerkungen
II - 146
B Zum fehlenden Verschulden der Klägerin und dem angeblichen Erfordernis, die
verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, statt Geldbußen festzusetzen
II - 148
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 148
Würdigung durch das Gericht
II - 149
C Zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße
II - 150
Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin
II - 150
Würdigung durch das Gericht
II - 154
Zum Vorbringen der Klägerin
II - 154
Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße
II - 154
Zur wirtschaftlichen Lage der Klägerin und der Stahlindustrie
II - 156
Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlungen
II - 157
Zum erschwerenden Umstand der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der
beanstandeten Verhaltensweisen
II - 161
Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den
Informationsaustauschsystemen gegen sie festgesetzten Geldbuße
II - 161
Zur doppelten Anwendung des Basissatzes der Geldbuße
II - 161
Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“
II - 163
Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten
Geldbußen im Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der
Kommission und zu den Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des
Vertrages
II - 164
Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit
den Geldbußen in der Zement-Entscheidung
II - 165
Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das
Gericht
II - 166
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung
II - 168
Zum Antrag, den in Artikel 5 der Entscheidung für die dort vorgesehenen Stundungen
festgesetzten Zinssatz auch auf die Stundung durch Aussetzung der Einziehung bei
Anrufung des Gerichts für anwendbar zu erklären
II - 169
Zum Antrag auf Zeugenvernehmung
II - 170
Kosten
II - 171