Language of document : ECLI:EU:C:2023:534

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 29. Juni 2023(1)

Rechtssache C311/22

Anklagemyndigheden

gegen

PO,

Moesgaard Meat 2012 A/S

(Vorabentscheidungsersuchen des Højesteret [Oberstes Gericht, Dänemark])

„Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2010/75 – Industrieemissionen – Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Genehmigung – Betrieb von Schlachthäusern – Produktionskapazität – Schlachtkörper – Tägliche Produktionskapazität“






I.      Einleitung

1.        Wie ist zu beurteilen, ob ein Schlachthaus über eine Produktionskapazität von 50 t Schlachtkörpern pro Tag verfügt, die eine Genehmigung nach der Richtlinie über Industrieemissionen(2) erforderlich macht? Dies soll mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden.

2.        Das streitgegenständliche Schlachthaus verfügte nämlich zunächst nicht über eine solche Genehmigung, weshalb das betreffende Unternehmen und sein Geschäftsführer mittlerweile strafrechtlich verfolgt werden. In diesem Strafverfahren ist streitig, wie die Kapazität des Schlachthauses beurteilt werden muss.

3.        Dabei ist insbesondere zu klären, ob das Gewicht der Schlachtkörper vor oder nach der Zurichtung, also insbesondere nach dem Ausbluten und Ausweiden sowie der Entfernung von Hals und Kopf, für den Schwellenwert maßgeblich ist. Außerdem wird gefragt, wie die tägliche Kapazität festgestellt wird und inwiefern die tatsächliche Produktion bei der Feststellung der Kapazität berücksichtigt werden kann.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie über Industrieemissionen

4.        Die Richtlinie über Industrieemissionen fasst u. a. die Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung(3) neu, die in Bezug auf die Genehmigungspflicht von Schlachthäusern weitgehend identische Regelungen enthielt.

5.        Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie über Industrieemissionen definiert den Begriff der Anlage wie folgt:

„eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I oder Anhang VII Teil 1 genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten am selben Standort durchgeführt werden, die mit den in den genannten Anhängen aufgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können“.

6.        Art. 4 der Richtlinie über Industrieemissionen sieht eine Genehmigungspflicht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass keine Anlage … ohne eine Genehmigung betrieben wird.

…“

7.        Anhang I der Richtlinie über Industrieemissionen wird wie folgt eingeleitet:

„Die im Folgenden genannten Schwellenwerte beziehen sich allgemein auf Produktionskapazitäten oder Leistungen. …“

8.        Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen definiert den erfassten Betrieb von Schlachthäusern:

„Betrieb von Schlachthäusern mit einer Produktionskapazität von mehr als 50 t Schlachtkörper[n] pro Tag.“

2.      Spezifische Regelungen zur Schlachtung

9.        Zunächst hatte Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch(4) in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG des Rates vom 29. Juli 1991(5) den Begriff „Tierkörper“(6) wie folgt definiert:

„der ganze Tierkörper eines Schlachttieres nach dem Entbluten, Ausweiden und Abtrennen der Gliedmaßen in Höhe des Karpal- und Tarsalgelenks, des Kopfes, des Schwanzes und der Milchdrüse und bei Rindern, Schafen, Ziegen und Einhufern außerdem nach dem Enthäuten …“

10.      Diese Regelung wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs(7) ersetzt.(8) Für die Definition des Begriffs „Schlachtkörper“ ist dieser Regelung zu entnehmen, dass er den Körper eines Tieres nach dem Schlachten und Zurichten („dressing“) bezeichnet (Anhang I, Nr. 1.9).

11.      Präzisere Definitionen von Schlachtkörpern sind in Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013(9) enthalten:

„A.      Handelsklassenschema der Union für Schlachtkörper mindestens acht Monate alter Rinder

I.      Begriffsbestimmungen

Es gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

1.      ‚Schlachtkörper‘ ist der ganze Körper eines geschlachteten Tieres, nachdem er ausgeblutet, ausgeweidet und enthäutet wurde;

IV.      Aufmachung

Die Schlachtkörper und Schlachtkörperhälften werden wie folgt aufgemacht:

a)      ohne Kopf und Füße; der Kopf wird vom Schlachtkörper zwischen dem ersten Halswirbel und dem Hinterhauptbein, die Füße im Karpalgelenk oder im Tarsalgelenk abgetrennt;

b)      ohne die Organe in der Brust- und Bauchhöhle, mit oder ohne Nieren, Nierenfettgewebe sowie Beckenfettgewebe;

c)      ohne die Geschlechtsorgane und die dazugehörigen Muskeln, ohne das Gesäuge und das Euterfett.

B.      Handelsklassenschema der Union für Schweineschlachtkörper

I.      Begriffsbestimmung

Der Ausdruck ‚Schlachtkörper‘ bezeichnet den ganzen oder längs der Mittellinie geteilten Körper eines geschlachteten Schweins, ausgeblutet und ausgeweidet.

III.      Aufmachung

Die Schlachtkörper werden ohne Zunge, Borsten, Klauenschuhen, Geschlechtsorgane, Flomen, Nieren und Zwerchfell aufgemacht.

C.      Handelsklassenschema der Union für Schafschlachtkörper

I.      Begriffsbestimmung

Die Begriffsbestimmungen ‚Schlachtkörper‘ und ‚Schlachtkörperhälfte‘ gemäß Teil A Abschnitt I dieses Anhangs finden Anwendung.

IV.      Aufmachung

Die Schlachtkörper und Schlachtkörperhälften werden wie folgt aufgemacht: ohne Kopf (abgetrennt zwischen dem ersten Halswirbel und dem Hinterhauptbein), Füße (abgetrennt zwischen Kniegelenk und Mittelhand bzw. zwischen dem Hessegelenk und dem Metatarsus), Schwanz (abgetrennt zwischen dem sechsten und siebten Schwanzwirbel), Euter, Geschlechtsorgane, Leber und Geschlinge. Die Nieren und das Nierenfett gehören zum Schlachtkörper.“

B.      Dänisches Recht

12.      Dänemark hat die Richtlinie über Industrieemissionen durch das Lov om miljøbeskyttelse (in der aktuellen Fassung: Bekanntmachung Nr. 100 vom 19. Januar 2022, im Folgenden: dänisches Umweltschutzgesetz) und die Bekanntmachung zur Genehmigung aufgelisteter Tätigkeiten (Bekendtgørelse om godkendelse af listevirksomhed; in der aktuellen Fassung: Bekanntmachung Nr. 2080 vom 15. November 2021, im Folgenden: Genehmigungsbekanntmachung) ohne zusätzliche Präzisierung hinsichtlich des Schwellenwerts für Schlachthäuser umgesetzt.

13.      Aus § 110 Abs. 2 des dänischen Umweltschutzgesetzes in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 6 und teilweise Abs. 4 geht hervor, dass derjenige, der einen Betrieb ohne Genehmigung betreibt, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden kann, falls durch den Verstoß ein Umweltschaden entstanden ist.

14.      Die dänische Bekanntmachung über die Produktionsabgabe bei Schlachtung und Ausfuhr von Schweinen (Bekendtgørelse om produktionsafgift ved slagtning og eksport af svin) (in der aktuellen Fassung: Bekanntmachung Nr. 2183 vom 26. November 2021, im Folgenden: Bekanntmachung über die Produktionsabgabe) bestimmt, dass für jedes Schwein, das in Dänemark produziert, geschlachtet und im Rahmen amtlicher Kontrolle uneingeschränkt als für den menschlichen Verzehr geeignet anerkannt wird, eine Abgabe zu entrichten ist. Festgesetzt werden die Abgabensätze pro Schwein basierend auf dem abgewogenen Schlachtgewicht, worunter das Gewicht eines Schweinekörpers mit Kopf und Zehen, aber ohne Bauchfett („Flomme“), im warmen Zustand bei der Schlachtung verstanden wird.

III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

15.      Die Moesgaard Meat 2012 A/S betrieb von 2014 bis 2016 ein Schlachthaus, ohne über eine Genehmigung nach dem dänischen Umweltschutzgesetz zu verfügen. Eine solche Genehmigung erhielt die Gesellschaft erst am 9. Mai 2018, nachdem sie bestimmte Auflagen der Umweltbehörden erfüllt hatte.

16.      Daher wurden Moesgaard Meat und ihr Geschäftsführer PO angeklagt, dadurch gegen das dänische Umweltschutzgesetz verstoßen zu haben, dass das Unternehmen in dem vorgenannten Zeitraum ohne umweltrechtliche Genehmigung ein Schlachthaus mit einer Produktion von mehr als 50 t Schlachtkörpern pro Tag betrieben habe, wodurch die Gefahr eines Schadens für die Umwelt entstanden sei.

17.      In diesem Strafverfahren streiten die Beteiligten darüber, ob das Gewicht der Schlachtkörper anhand des Gewichts der zu verarbeitenden Tiere, des „Rohmaterials“, bestimmt wird oder anhand des Endprodukts, d. h. der Körper ohne Kopf, die sich in einem eingefrorenen (ausgebluteten) Zustand befinden. Sie streiten auch darüber, ob bei der Berechnung der Produktion pro Tag nur die Tage der Schlachtung als solcher oder auch Tage zu berücksichtigen sind, an denen andere Arbeiten mit Bezug auf die Schlachtung durchgeführt werden. Und schließlich streiten sie darüber, ob bei der Berechnung der Kapazität eines Schlachtbetriebs sein Produktionsvolumen ausschlaggebend sein kann, wenn dieses Volumen aufgrund illegaler Maßnahmen, hier der Verwendung zusätzlicher Kühlcontainer, höher ist als die Kapazität der Anlage ohne diese illegalen Maßnahmen.

18.      Dieses Verfahren ist nunmehr in dritter Instanz beim Højesteret (Oberstes Gericht, Dänemark) anhängig, der die folgenden Fragen an den Gerichtshof richtet:

1)      Ist Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen dahin auszulegen, dass die „Produktion… von … Schlachtkörper[n]“ den Schlachtungsvorgang erfasst, der vom Verbringen des Tieres aus dem Stall, seiner Betäubung und Tötung bis zum Vorliegen großer Standardangebotsformen stattfindet, so dass das Gewicht des Schlachttieres zu berechnen ist, bevor Hals und Kopf abgetrennt und die Organe und Eingeweide entfernt werden, oder erfasst die „Produktion… von … Schlachtkörper[n]“ die Produktion von Schweineschlachtkörpern, nachdem die Organe und Eingeweide entfernt und Hals und Kopf abgetrennt worden sind und nach dem Ausbluten und Einfrieren, so dass das Gewicht des Schlachttieres erst ab diesem Zeitpunkt zu berechnen ist?

2)      Ist Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen dahin auszulegen, dass im Rahmen der Berechnung der Anzahl von Produktionstagen, die der Kapazität „pro Tag“ zugrunde gelegt werden, nur die Tage zu berücksichtigen sind, an denen die Betäubung, Tötung und Zerlegung des Schlachtschweins vorgenommen werden, oder sind bei der Berechnung auch die Tage zu berücksichtigen, an denen an den Schlachtschweinen schlachtungsbezogene Verrichtungen vorgenommen werden, insbesondere die Bereitstellung des Tieres für die Schlachtung, das Einfrieren des geschlachteten Tieres sowie das Abtrennen des Tierkopfs und ‑halses?

3)      Ist Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen dahin auszulegen, dass die „[K]apazität“ des Schlachthauses als die maximale Produktion pro Tag innerhalb von 24 Stunden unter Beachtung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen, die der Schlachtbetrieb auch tatsächlich beachtet, jedoch nicht niedriger als seine tatsächlich erreichte Produktion, zu berechnen ist, oder kann die „[K]apazität“ niedriger sein als die tatsächlich erreichte Produktion, z. B. wenn die tatsächlich erreichte Produktion unter Missachtung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen der Produktion, die bei der Berechnung der „[K]apazität“ vorausgesetzt werden, erfolgt ist?

19.      PO und Moesgaard Meat gemeinsam, das Königreich Dänemark und die Europäische Kommission haben sich schriftlich sowie in der Verhandlung vom 9. März 2023 geäußert.

IV.    Rechtliche Würdigung

20.      Auf den ersten Blick mag es überraschend klingen, dass der Gerichtshof aus einem Strafverfahren heraus zur Auslegung von Richtlinienbestimmungen befragt wird. Das vorlegende Gericht beabsichtigt jedoch mitnichten, die Beschuldigten unmittelbar aufgrund einer Richtlinie zu bestrafen, sondern möchte die Auslegung der Richtlinie heranziehen, um die weitgehend der Richtlinie entsprechenden Umsetzungsregelungen des dänischen Umweltschutzgesetzes richtlinienkonform auszulegen. Die Strafbarkeit der Beschuldigten hängt nämlich davon ab, ob sie diese Umsetzungsregelungen verletzt haben.

21.      Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie über Industrieemissionen treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass keine Anlage ohne eine Genehmigung betrieben wird. Eine Anlage ist nach Art. 3 Nr. 3 eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten am selben Standort durchgeführt werden. In Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a ist der Betrieb von Schlachthäusern mit einer Produktionskapazität von mehr als 50 t Schlachtkörpern pro Tag aufgeführt.

22.      Die Vorlagefragen zielen auf die Auslegung der Begriffe ab, mit denen dieser Anlagentyp beschrieben wird. Ich werde sie in umgekehrter Reihenfolge beantworten.

23.      Mit der dritten Frage will das vorlegende Gericht erfahren, ob die Kapazität eines Schlachthauses niedriger sein kann als die tatsächlich erreichte Produktion (dazu unter A). Bei der zweiten Frage geht es um den Begriff „pro Tag“ und die Bestimmung der Anzahl an Produktionstagen (dazu unter B). Die erste Frage betrifft die Auslegung des Begriffs der „Produktion von Schlachtkörpern“ und dabei insbesondere die Frage, ob das Gewicht des getöteten Tiers oder des zugerichteten Tierkörpers maßgeblich ist, nachdem bestimmte Körperteile entfernt wurden (dazu unter C).

A.      Frage 3 – Tatsächliche Produktion

24.      Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht erfahren, ob die Kapazität eines Schlachthauses anhand seiner physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen beurteilt werden muss oder anhand der tatsächlich erreichten Produktion.

25.      Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie über Industrieemissionen treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass keine Anlage ohne eine Genehmigung betrieben wird. Daher muss bereits feststellbar sein, ob eine Anlage unter diese Bestimmung fällt, bevor sie in Betrieb genommen wird.

26.      Um dies zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Anlagen vor der Aufnahme des Betriebs auf die Notwendigkeit einer Genehmigung überprüft werden. Ob und wie das im Fall des vorliegenden Schlachthauses geschehen ist, konnte leider auch auf Rückfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in Erfahrung gebracht werden.

27.      Die später im Betrieb tatsächlich erreichte Produktion ist jedenfalls kein geeignetes Kriterium, um vorab zu bestimmen, ob eine Anlage einer Genehmigung bedarf. Diese Information ist naturgemäß erst deutlich später, nach dem Zeitpunkt verfügbar, zu dem über die Notwendigkeit einer Genehmigung entschieden werden muss.

28.      Folglich muss die Kapazität einer Anlage anhand anderer Kriterien beurteilt werden. Da der Begriff der Kapazität einer Anlage ihr maximales Produktionsvolumen bezeichnet, sind diese Kriterien in den physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen zu suchen, die die Anlage kennzeichnen,(10) was alle Beteiligten anerkennen. Auf die Absichten oder Produktionsziele des Betreibers einer Anlage kann es dagegen nicht ankommen, da damit das Risiko einer Umgehung der Genehmigungspflicht mittels einer Täuschung über die wahren Absichten oder Ziele begründet würde.

29.      Zur Beurteilung der Anlagenkapazität muss man feststellen, welcher Anlagenteil bzw. welcher Produktionsschritt bei der konkret zu beurteilenden Anlage die Kapazität begrenzt.(11) Denn die Produktionsschritte, die in den anderen Anlagenteilen vorgenommen werden, hängen zwangsläufig von diesem Schritt ab. In diesen anderen Teilen kann nicht mehr produziert werden, weil der begrenzende Produktionsschritt entweder keine weiteren Zwischenprodukte verarbeiten kann oder er nicht mehr Zwischenprodukte für weitere Schritte liefert. Selbst wenn in diesen anderen Anlagenteilen noch Kapazitäten verfügbar sind, können sie daher nicht genutzt werden.

30.      Im Ausgangsfall wird u. a. darüber diskutiert, ob ein Produktionsniveau berücksichtigt werden muss, das nur aufgrund zusätzlicher, illegal aufgestellter Kühlcontainer erreicht wurde.

31.      Diese Diskussion verstehe ich dahin gehend, dass die Kühlkapazität die Produktion des streitgegenständlichen Schlachthauses und somit die Gesamtkapazität begrenzt. Mit anderen Worten: Wenn die Kühlanlagen voll sind, können in dem Schlachthaus keine weiteren Tiere geschlachtet werden, weil das Fleisch dann verderben würde. Ungenutzte Kapazität zur Tötung von Tieren erhöht somit bei vollständig genutzten Kühlanlagen nicht die Kapazität des Schlachthauses insgesamt.

32.      Falls die Kühlkapazität später durch die Aufstellung von zusätzlichen Kühlcontainern vergrößert wird, so liegt darin eine Änderung der Anlage. Wenn die Anlage bereits über eine Genehmigung nach der Richtlinie über Industrieemissionen verfügt, muss der Betreiber nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie über Industrieemissionen verpflichtet werden, diese Änderung der zuständigen Behörde mitzuteilen.

33.      Falls erst durch diese zusätzlichen Kühlcontainer der Schwellenwert für eine Genehmigungspflicht überschritten wird, die Anlage deshalb also noch nicht über eine Genehmigung nach der Richtlinie über Industrieemissionen verfügt, darf sie gemäß Art. 4 erst nach Erteilung einer solchen Genehmigung unter Verwendung der neuen Kühlcontainer betrieben werden. Der Betreiber ist also zu verpflichten, einen Genehmigungsantrag zu stellen und die Genehmigung abzuwarten, bevor er die Kühlcontainer in Betrieb nimmt.

34.      Ähnliche Erwägungen müssen gelten, wenn andere physische, technische oder rechtliche Beschränkungen entfallen oder abgeschwächt werden. So kann sich die Kapazität einer Anlage bereits dadurch erhöhen, dass rechtliche Beschränkungen der täglichen Arbeitszeit abgeschafft werden. Auch in diesem Fall müsste vor erstmaliger Überschreitung des Schwellenwerts eine Genehmigung beantragt werden. Dabei wäre es aber unverhältnismäßig, für die Zeit bis zur eventuellen Erteilung der Genehmigung die Einstellung des Betriebs zu verlangen, solange die zusätzlich verfügbare Arbeitszeit (noch) nicht genutzt wird.

35.      Trotz der maßgeblichen Bedeutung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen, die die Anlage kennzeichnen, darf eine Überschreitung der angenommenen Kapazität im tatsächlichen Betrieb allerdings nicht ignoriert werden. Eine solche Überschreitung ist vielmehr ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass die Beurteilung der Kapazität der Anlage auf falschen Annahmen beruhte.

36.      Daher ist bei einer Anlage, die nicht gemäß der Richtlinie über Industrieemissionen genehmigt wurde, aus der Überschreitung des anwendbaren Schwellenwerts in der tatsächlichen Produktion zu schließen, dass sie möglicherweise doch einer Genehmigung bedarf.

37.      In einem solchen Fall muss der Betreiber der Anlage verpflichtet sein, unverzüglich die für die Entscheidung über eine Genehmigung zuständige Behörde zu unterrichten. Sie muss die Kapazität der Anlage anhand der neuen Informationen sowie aller sonstigen Umstände des Einzelfalls beurteilen. Wenn sich zeigen sollte, dass die Kapazität tatsächlich irrtümlich zu niedrig angesetzt wurde, muss der Betreiber zumindest einen Genehmigungsantrag stellen. Möglicherweise ist es auch notwendig, den Betrieb bis zur Erteilung einer Genehmigung einzustellen oder zumindest eine rechtliche Beschränkung der nutzbaren Kapazität festzusetzen. Falls der Betreiber zu diesem Irrtum beigetragen hat, ist sogar an angemessene Sanktionen zu denken.

38.      Es ist allerdings auch vorstellbar, dass eine Überschreitung des Schwellenwerts ein einmaliges, außergewöhnliches Ereignis darstellt, das sich normalerweise nicht wiederholen sollte. Daran ist insbesondere zu denken, wenn dieses Produktionsvolumen auf der Überschreitung rechtlicher Beschränkungen oder technischer Kapazitätsgrenzen bestimmter Anlagenteile beruht, die andere Nachteile mit sich bringen, etwa eine übermäßige Abnutzung von Geräten oder geringere Produktionsqualität. In solchen Fällen kann die zuständige Behörde davon absehen, aus dem ausnahmsweise erhöhten tatsächlichen Produktionsvolumen auf eine größere Kapazität der Anlage und damit auf die Notwendigkeit einer Genehmigung zu schließen.

39.      Auf die dritte Frage ist somit zu antworten, dass die Kapazität einer Anlage bei der Anwendung von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen anhand der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen beurteilt werden muss, die sie kennzeichnen. Überschreitet die tatsächliche Produktion einer Anlage, für die zunächst keine Genehmigung erteilt wurde, später die angenommene Kapazität und den anwendbaren Schwellenwert, so muss der Betreiber verpflichtet sein, die für die Genehmigung zuständige Behörde unverzüglich zu unterrichten, und diese muss die notwendigen weiteren Maßnahmen ergreifen.

B.      Frage 2 – Tägliche Kapazität

40.      Die zweite Frage zielt auf die Bestimmung der täglichen Kapazität einer Anlage ab.

41.      Hintergrund dieser Frage ist der Umstand, dass nach dem Vorabentscheidungsersuchen der Schlachtvorgang bei Moesgaard Meat auf insgesamt drei Tage verteilt wird. Am ersten Tag werden die Tiere angeliefert und vorbereitet, am zweiten Tag werden sie getötet und in einem Kühlraum aufgehängt, und am dritten Tag werden Kopf und Hals entfernt und die Schlachtkörper werden für die Auslieferung vorbereitet. Die Tötung der Tiere findet dabei nur an Wochentagen statt, doch am Sonntag werden bereits Tiere für die Tötung am Montag angeliefert und die am Freitag getöteten Tiere werden am Samstag weiterverarbeitet. Daher ist nach Auffassung von Moesgaard Meat die wöchentliche Produktion zur Bestimmung der täglichen Kapazität durch sieben Tage zu teilen. Dagegen meint Dänemark, nur die Tage seien zu berücksichtigen, an denen tatsächlich Tiere getötet werden.

42.      In diesem Streit kommt erneut die unzutreffende Annahme zum Ausdruck, die zur Genehmigungspflicht führende Kapazität einer Anlage könne unmittelbar auf der Grundlage der tatsächlichen Produktion bestimmt werden.

43.      Für die Entscheidung über eine Genehmigungspflicht ist die Produktionskapazität jedoch – wie bereits gesagt(12) – vorab anhand der Eigenschaften der Anlage und ihrer einzelnen Bestandteile zu beurteilen. Dabei ist grundsätzlich unter Berücksichtigung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen jedes einzelnen Bestandteils der Anlage die maximale Kapazität der Anlage insgesamt festzustellen. Entscheidend für die Kapazität ist, welcher Teil der Anlage bzw. welcher Produktionsschritt die Kapazität der Gesamtanlage begrenzt.(13)

44.      Dabei kommt es nicht darauf an, ob mit diesem Schritt (oder an diesem Tag) bereits das Endprodukt hergestellt wird, das erzeugt werden soll. Vielmehr ist festzustellen, welche Menge des Endprodukts aus dem Zwischenprodukt des entscheidenden Produktionsschritts hergestellt werden kann. Denn diese Menge ist – wie gesagt – ausschlaggebend für das Produktionsvolumen, das die Anlage insgesamt erzeugen kann.

45.      Wenn die Annahme zutrifft, dass die Kühlkapazitäten des streitgegenständlichen Schlachthauses das Produktionsvolumen begrenzen, ist somit zunächst zu prüfen, wie viele getötete Tiere täglich in die Kühlanlagen eingebracht werden können, und anschließend, welche Menge an Schlachtkörpern man daraus herstellen kann.

46.      Um die maximale Kapazität zu bestimmen, ist ein täglicher Betrieb rund um die Uhr, d. h. während 24 Stunden am Tag, zu unterstellen, soweit keine der genannten Beschränkungen eingreift.(14) Falls sich bei der Beurteilung anhand dieser Beschränkungen zeigt, dass ein Betrieb rund um die Uhr nicht möglich ist, etwa aufgrund von rechtlichen Beschränkungen oder aufgrund notwendiger Wartungsarbeiten, ist dies notwendigerweise bei der Bestimmung der täglichen Kapazität zu berücksichtigen.

47.      Für die Bestimmung der täglichen Kapazität ist es dagegen unerheblich, wenn an bestimmten Tagen aufgrund der genannten Beschränkungen kein Betrieb oder nur ein eingeschränkter Betrieb möglich ist, etwa aufgrund von Betriebsverboten an Sonn- und/oder Feiertagen. Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen legt nämlich einen täglichen Schwellenwert fest. Wenn Kapazitätsschwankungen berücksichtigt werden sollten, würde die Regelung auf die Kapazität über längere Zeiträume Bezug nehmen. Daher ist auf die maximale Kapazität an den Tagen abzustellen, an denen die Kapazität auch genutzt werden kann, also gerade nicht auf Durchschnittswerte über mehrere Tage.

48.      Für dieses Ergebnis spricht auch das in Art. 1 Abs. 1 und dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie über Industrieemissionen niedergelegte Ziel, Umweltverschmutzungen zu vermeiden oder zumindest zu vermindern.(15) Dafür kommt es zwar auch auf die dauerhaften Umweltauswirkungen einer Anlage an, doch vor allem muss die Anlage darauf ausgelegt werden, die besonders starken Umweltauswirkungen zu vermeiden oder zumindest zu vermindern, die bei Produktionsspitzen auftreten. Andernfalls wäre zu befürchten, dass die Anlage bei besonders starker Produktion überproportionale Umweltverschmutzung verursacht.(16)

49.      Wenn eine Anlage nur auf die Bewältigung der Umweltauswirkungen bei durchschnittlicher Produktion ausgelegt wäre, würden die Systeme zur Vermeidung oder Verminderung der Umweltverschmutzung nämlich bei besonders intensiver Produktion überlastet. So wäre bei einem Schlachthaus zu befürchten, dass ein Teil des Abwassers nicht mehr gereinigt werden kann oder dass Abfälle entstehen, die nicht angemessen gelagert werden.

50.      Auf die tatsächliche Organisation des Betriebs kann es hingegen nur ankommen, soweit darin diese Beschränkungen zum Ausdruck kommen. Wenn etwa die Anlage aufgrund rechtlicher Beschränkungen nur während eines Teils des Tages betrieben werden kann, so kommt diese Beschränkung zwangsläufig in der tatsächlichen Organisation der Arbeitszeit zum Ausdruck. Das während dieser Zeit erreichbare Produktionsvolumen entspricht der Anlagenkapazität.

51.      Wenn der Betrieb dagegen unabhängig von den physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen so organisiert wird, dass die tatsächlich vorhandene Kapazität nicht voll ausgenutzt wird, ändert das nichts an der zur Genehmigungspflicht führenden Kapazität der Anlage. Da die Kapazität der Anlage das maximale Produktionsvolumen umfasst, kann es insbesondere nicht auf rein wirtschaftlich motivierte Einschränkungen der Produktion ankommen.

52.      Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die tägliche Kapazität einer Anlage im Sinne von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen anhand der maximalen Produktion zu bestimmen ist, die innerhalb von 24 Stunden unter Berücksichtigung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen aller Anlagenteile erzielt werden kann.

C.      Frage 1 – Begriff „Schlachtkörper“

53.      Die erste Frage soll klären, worum es sich bei den „Schlachtkörpern“ handelt, deren Gewicht bei der Berechnung der Produktionskapazität eines Schlachthauses berücksichtigt werden muss. Das vorlegende Gericht möchte erfahren, ob es auf das Gewicht der Tiere unmittelbar nach der Tötung ankommt, was praktisch dem Lebendgewicht entspricht, oder auf das Gewicht nach weiteren Verarbeitungsschritten, nämlich der Entfernung der Organe und Eingeweide, der Abtrennung des Halses und des Kopfes sowie dem Ausbluten und Einfrieren des Schlachttiers.

54.      In der Praxis kann diese Unterscheidung erhebliche Auswirkungen darauf haben, ob der Schwellenwert für eine Genehmigungspflicht nach der Richtlinie über Industrieemissionen erreicht wird. In Dänemark reduzieren Verarbeitungsschritte nach der Tötung das Gewicht bei Rindern etwa um 45 % und bei Schweinen etwa um 33 %.(17)

55.      Wie alle Beteiligten anerkennen, kann diese Frage nicht auf der Grundlage der dänischen Bekanntmachung über die Produktionsabgabe bei Schlachtung und Ausfuhr von Schweinen beurteilt werden. Für die Anwendung der Richtlinie über Industrieemissionen muss die Kapazität von Schlachthäusern auf der Grundlage unionsrechtlicher Begriffe bestimmt werden, die autonom auszulegen sind.(18) Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das im Zusammenhang mit dieser Abgabe angegebene Produktionsvolumen erlaubt, die tatsächlich angefallene Menge an Schlachtkörpern abzuschätzen.

56.      Nach der reinen Wortbedeutung könnte man den Begriff „Produktion von Schlachtkörpern“ in Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen dahin verstehen, dass er die Tiere unmittelbar nach der Tötung erfasst. In einigen Sprachfassungen wird ein Begriff verwendet, der ursprünglich ein totes Lebewesen bezeichnet.(19) Aber auch der deutsche Begriff „Schlachtkörper“ wird aus den Wörtern „schlachten“ und „Körper“ gebildet, bezeichnet also einen geschlachteten, d. h. getöteten, Körper. Der Begriff der Produktion wäre bei diesem Verständnis mit der Tötung gleichzusetzen.

57.      Allerdings darf das tatsächliche Verständnis der verwendeten Begriffe in dem betreffenden Wirtschaftssektor, hier die Schlachtung von Nutztieren, nicht ignoriert werden. Das folgt schon daraus, dass der Begriff die Kapazität von Schlachthäusern regelt. Bei einigen Sprachfassungen ergibt sich der Bezug zur Schlachtung sogar bereits aus dem Begriff für das Ergebnis der Produktion. Das gilt etwa für den spanischen Begriff „canal“,(20) den dänischen Begriff „slagtekrop“,(21) den deutschen Begriff „Schlachtkörper“, den niederländischen Begriff „geslachte dieren“ (geschlachtete Tiere) oder den schwedischen Begriff „slaktvikt“ (Schlachtgewicht).

58.      Für das Verständnis der verwendeten Begriffe in dem betreffenden Wirtschaftssektor sind die betreffenden Regelungen des Unionsrechts illustrativ. Dort werden die in den meisten Sprachfassungen von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen verwendeten Begriffe ausdrücklich dahin gehend definiert, dass nach der Tötung weitere Verarbeitungsschritte hinzukommen, die das Gewicht reduzieren.

59.      Die Definition von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 64/433 in der Fassung der Richtlinie 91/497 umfasste den ganzen Körper eines Schlachttiers nach dem Entbluten, Ausweiden und Abtrennen der Gliedmaßen in Höhe des Karpal- und Tarsalgelenks, des Kopfes, des Schwanzes und der Milchdrüse und bei Rindern, Schafen, Ziegen und Einhufern außerdem nach dem Enthäuten.

60.      Nach der heute geltenden Regelung in Anhang I Nr. 1.9 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ist ein Schlachtkörper der Körper eines Tieres nach dem Schlachten und Zurichten. Welche Körperteile im Zuge der Zurichtung entfernt werden, ist dieser Regelung jedoch nicht eindeutig zu entnehmen.

61.      Hilfreicher ist insoweit die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013. Danach ist der Schlachtkörper bei Rindern und Schafen der ganze Körper eines geschlachteten Tieres, nachdem er ausgeblutet, ausgeweidet und enthäutet wurde, bei Schweinen ist es der ganze oder längs der Mittellinie geteilte Körper eines geschlachteten Schweins, ausgeblutet und ausgeweidet. Aus den Regelungen über die Aufmachung der Schlachtkörper ergibt sich, dass bei Rindern und Schafen Kopf und Füße, die Eingeweide sowie die Geschlechtsorgane zu entfernen sind und bei Schweinen Zunge, Borsten, Klauenschuhe, Geschlechtsorgane, Flomen, Nieren und Zwerchfell.

62.      Hervorzuheben ist insofern zweierlei.

63.      Erstens war die Definition der Richtlinie 64/433 in der Fassung der Richtlinie 91/497 bei Erlass der ursprünglichen Regelung über die Umweltgenehmigung von Schlachthäusern in der Richtlinie 96/61 in Kraft. Daher ist zu vermuten, dass sie das Begriffsverständnis im Gesetzgebungsverfahren prägte.

64.      Zweitens zeigt die Entwicklung der deutschen Fassung der Regelung über die Genehmigungspflicht in der Richtlinie über Industrieemissionen die Bedeutung der Begriffe der Schlachtregelungen. Die Richtlinie 96/61 verwendete nämlich wie die Definition der Richtlinie 64/433 in der Fassung der Richtlinie 91/497 nicht den Begriff „Schlachtkörper“, sondern den Begriff „Tierkörper“. Er wurde erst in der heute geltenden Richtlinie über Industrieemissionen durch den Begriff „Schlachtkörper“ ersetzt, der auch in den neueren Regelungen zur Schlachtung Verwendung findet.

65.      Die Definitionen der Regelungen zur Schlachtung entsprechen darüber hinaus der von der Kommission hervorgehobenen Einleitung zu Anhang I der Richtlinie über Industrieemissionen, wonach sich die Schwellenwerte des Anhangs allgemein auf Produktionskapazitäten beziehen, also auf das Volumen des erzeugten Produkts. Zwar gilt dies nicht für alle Anlagentypen, aber zumindest der Schwellenwert für Schlachthäuser bezieht sich schon nach seinem Wortlaut auf die Produktion.

66.      Dementsprechend geht nach den vorliegenden Informationen auch der entsprechende Wirtschaftssektor davon aus, dass unter Schlachtkörpern die verarbeiteten Tierkörper nach der Entfernung erheblicher Anteile zu verstehen sind. Das zeigen die Auskünfte der Behörden Flanderns, des Vereinigten Königreichs und Deutschlands, die im Vorabentscheidungsersuchen dokumentiert sind. Vor allem aber enthält das von der Kommission noch nach Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 96/61 erstellte Referenzdokument über die besten verfügbaren Techniken für Schlachthäuser eine Tabelle, wonach das Gewicht der Schlachtkörper („carcase weight“) in vielen Mitgliedstaaten deutlich hinter dem Lebendgewicht („live weight“) zurückbleibt.(22)

67.      Die Berücksichtigung dieser berechtigten Erwartung der Praxis bei der Auslegung von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen gewährleistet im Übrigen die Vorhersehbarkeit und die Bestimmtheit von Strafvorschriften,(23) die – wie im Ausgangsfall – an die Genehmigungspflicht anknüpfen.

68.      Somit ist unter einem Schlachtkörper der Körper des geschlachteten Tieres nach der Zurichtung, also nach weiteren Verarbeitungsschritten, zu verstehen.

69.      Allerdings stimmen die Definitionen der Regelungen über die Schlachtung nur im Hinblick auf das Ausweiden und Ausbluten der getöteten Tiere überein. Die heute geltenden Regelungen in Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 unterscheiden sich hingegen insbesondere hinsichtlich der Haut und des Kopfes. Beide sind bei Rindern und Schafen zu entfernen, bei Schweinen dagegen nicht. Die Definition der Richtlinie 64/433 in der Fassung der Richtlinie 91/497 unterschied hingegen noch nicht zwischen diesen Arten.

70.      Es ist davon auszugehen, dass die heute – und während des im innerstaatlichen Verfahren streitgegenständlichen Zeitraums – geltenden Regelungen nach Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 die Entwicklung des Begriffsverständnisses in dem betreffenden Wirtschaftssektor aufgenommen oder zumindest beeinflusst haben. Daher sollte der Begriff „Schlachtkörper“ im Sinne von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen gemäß den Definitionen des Begriffs Schlachtkörper und den Regelungen über die Aufmachung nach Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 ausgelegt werden.

71.      Demgegenüber lässt sich die Berücksichtigung des Lebendgewichts nicht darauf stützen, dass es Sprachfassungen gibt, in denen die Richtlinie über Industrieemissionen andere Begriffe verwendet als die Regelungen über die Schlachtung. Das betraf schon in der ursprünglichen Richtlinie 96/61 die niederländische(24) und die schwedische(25) Fassung und heute zusätzlich die bulgarische,(26) die tschechische,(27) die ungarische,(28) die slowenische(29) und die slowakische(30) Fassung.

72.      Diese abweichenden Sprachfassungen erweitern zwar im Prinzip den Auslegungsspielraum und verleihen insbesondere dem systematischen Zusammenhang und den Zielen der Regelung besonderes Gewicht.(31)

73.      Der systematische Zusammenhang, insbesondere die Bezugnahme auf die Produktion und der Zusammenhang mit dem Verständnis im Wirtschaftssektor der Schlachtung, spricht jedoch gerade dafür, die Kapazität anhand des Gewichts der weiterverarbeiteten getöteten Tiere zu bestimmen.

74.      Dieser systematische Zusammenhang wird nicht dadurch entkräftet, dass die Ziele der Richtlinie über Industrieemissionen, die Vermeidung und Verminderung von Umweltauswirkungen, eher dafür sprechen, auf das Lebendgewicht der geschlachteten Tiere abzustellen.

75.      Zwar ist der Zweck der Richtlinie weit definiert worden und steht daher einer engen Auslegung entgegen.(32) Auch besteht ein engerer Zusammenhang zwischen den Umweltauswirkungen des Schlachtvorgangs und dem Lebendgewicht als mit dem Gewicht des erzeugten Produkts. Es sind nämlich gerade die vom Schlachtkörper entfernten Körperteile, die möglicherweise nicht erwünscht sind und daher zu Abfall werden. Die Definitionen der Regelungen über die Schlachtung berücksichtigen diese potenziellen Umweltauswirkungen naturgemäß nicht, weil sie nicht dem Umweltschutz dienen, sondern der Hygiene von Schlachtbetrieben und der Marktorganisation.(33)

76.      Das schließt es allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung des Schwellenwerts für eine Genehmigungspflicht auch berücksichtigt hat, dass bei zugerichteten Schlachtkörpern eine gewisse Menge Körperteile anfällt, die entfernt werden und nicht zum Gewicht der Schlachtkörper beitragen. Diese Menge und die damit verbundenen Umweltauswirkungen lassen sich nämlich aufgrund von Erfahrungswerten abschätzen und können insoweit die Festlegung des Schwellenwerts beeinflussen.

77.      Wie die Kommission im Übrigen darlegt, hindert diese Auslegung des Begriffs „Schlachtkörper“ die Mitgliedstaaten nicht daran, bei der Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen die Genehmigungspflicht auszudehnen, indem sie den Schwellenwert auf das Lebendgewicht der Schlachttiere beziehen(34) oder einen niedrigeren Schwellenwert festlegen. Darin lägen nämlich verstärkte Schutzmaßnahmen, die nach Art. 193 AEUV zulässig sind. Moesgaard Meat legt allerdings dar, dass Dänemark keine solche strengere Regelung erlassen hat.

78.      Auf die erste Frage ist somit zu antworten, dass der Begriff „Schlachtkörper“ im Sinne von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie über Industrieemissionen gemäß den Definitionen des Begriffs „Schlachtkörper“ und den Regelungen über die Aufmachung nach Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 auszulegen ist.

V.      Ergebnis

79.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, das Vorabentscheidungsersuchen wie folgt zu beantworten:

1)      Bei der Anwendung von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen muss die Kapazität einer Anlage anhand der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen beurteilt werden, die sie kennzeichnen. Überschreitet die tatsächliche Produktion einer Anlage, für die zunächst keine Genehmigung erteilt wurde, später die angenommene Kapazität und den anwendbaren Schwellenwert, so muss der Betreiber verpflichtet sein, die für die Genehmigung zuständige Behörde unverzüglich zu unterrichten, und diese muss die notwendigen weiteren Maßnahmen ergreifen.

2)      Die tägliche Kapazität einer Anlage im Sinne von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie 2010/75 ist anhand der maximalen Produktion zu bestimmen, die innerhalb von 24 Stunden unter Berücksichtigung der physischen, technischen oder rechtlichen Beschränkungen aller Anlagenteile erzielt werden kann.

3)      Der Begriff „Schlachtkörper“ im Sinne von Anhang I Nr. 6.4 Buchst. a der Richtlinie 2010/75 ist gemäß den Definitionen des Begriffs „Schlachtkörper“ und den Regelungen über die Aufmachung nach Anhang IV der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse auszulegen.


1      Originalsprache: Deutsch.


2      Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. 2010, L 334, S. 17).


3      ABl. 1996, L 257, S. 26.


4      ABl. 1964, S. 2012. Die Richtlinie ist zum 31. Dezember 2005 außer Kraft getreten.


5      ABl. 1991, L 268, S. 69.


6      In der ursprünglichen deutschen Fassung der Richtlinie über Industriemissionen, der Richtlinie 96/61, wurde statt des Begriffs Schlachtkörper ebenfalls der Begriff Tierkörper verwendet.


7      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. 2004, L 139, S. 55). Die Änderungen dieser Regelung einschließlich der Delegierten Verordnung (EU) 2022/2258 (ABl. 2022, L 299, S. 5) haben die Definition des Begriffs „Schlachtkörper“ nicht berührt.


8      Das lässt sich leider nur mittelbar aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Aufhebung bestimmter Richtlinien über Lebensmittelhygiene und Hygienevorschriften für die Herstellung und das Inverkehrbringen von bestimmten, zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs sowie zur Änderung der Richtlinien 89/662/EWG und 92/118/EWG des Rates und der Entscheidung 95/408/EG des Rates (ABl. 2004, L 157, S. 36) ableiten, der in der deutschen Fassung auch noch die Ordnungsnummer 34 trägt. Offensichtlich ist die Veröffentlichung dieser Richtlinie im Amtsblatt mit erheblichen Mängeln behaftet.


9      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 671).


10      So auch Europäische Kommission, Guidance on Interpretation and Determination of Capacity under the IPPC Directive (Version 1. April 2007). Vgl. zur Beschränkung theoretisch verfügbarer Kapazität Urteil vom 16. Dezember 2021, Apollo Tyres (Hungary) (C‑575/20, EU:C:2021:1024, Rn. 41 bis 45).


11      Vgl. Europäische Kommission, Guidance on Interpretation and Determination of Capacity under the IPPC Directive, Abschnitt 3 (Version 1. April 2007).


12      Siehe oben, Nr. 28.


13      Siehe oben, Nr. 29.


14      So auch Europäische Kommission, Guidance on Interpretation and Determination of Capacity under the IPPC Directive, Abschnitt 2 (Version 1. April 2007).


15      Vgl. Urteile vom 22. Januar 2009, Association nationale pour la protection des eaux et rivières et Association OABA (C‑473/07, EU:C:2009:30, Rn. 25), und vom 15. Dezember 2011, Møller (C‑585/10, EU:C:2011:847, Rn. 29).


16      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Craeynest u. a. (C‑723/17, EU:C:2019:168, Nrn. 84 und 85) sowie das Urteil vom 26. Juni 2019 in jener Rechtssache (EU:C:2019:533, Rn. 67).


17      Europäische Kommission, Reference Document on Best Available Techniques in the Slaughterhouses and Animal By-products Industries (Mai 2005), Tabelle 1.3 (S. 6).


18      Urteile vom 19. September 2000, Linster (C‑287/98, EU:C:2000:468, Rn. 43), vom 9. September 2003, Monsanto Agricoltura Italia u. a. (C‑236/01, EU:C:2003:431, Rn. 72), sowie vom 7. September 2022, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Natur des Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV) (C‑624/20, EU:C:2022:639, Rn. 19).


19      So etwa der englische Begriff „carcase“, der französische Begriff „carcasse“ oder der bulgarische Begriff „труп“. Entsprechende Begriffe werden auch in der authentischen englischen, französischen und auch in der russischen („туш“) Fassung von Anhang I, Nr. 19 dritter Spiegelstrich Buchst. a des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten von 1998 (ABl. 2005, L 124, S. 4), angenommen mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1), verwendet, die durch die Richtlinie über Industrieemissionen umgesetzt wird.


20      Schon im Diccionario de la Academia Española von 1826 war für „canal“ u. a. die Definition „Res muerta y abierta despues de sacadas las tripas“ („Totes Vieh, geöffnet, nachdem die Eingeweide entfernt wurden“) enthalten.


21      Dieser Begriff ist wie der deutsche Begriff „Schlachtkörper“ aus den Begriffen „schlachten“ (slagte) und „Körper“ (krop) zusammengesetzt.


22      Europäische Kommission, Reference Document on Best Available Techniques in the Slaughterhouses and Animal By-products Industries (Mai 2005), Tabelle 1.3 (S. 6 und 7).


23      Vgl. Urteil vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B. (C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 51 bis 56 mwN.).


24      „Geslachte dieren“ (geschlachtete Tiere) statt „karkas“ (Kadaver) in den Schlachtungsregeln. Der Begriff „karkas“ wird jedoch in der niederländischen Fassung von Anhang I Nr. 6.5 der Richtlinie über Industrieemissionen betreffend Anlagen zur Beseitigung von Tierkörpern verwendet.


25      „Slaktvikt“ (Schlachtgewicht) statt „slaktkropp“ (Schlachtkörper) in den Schlachtungsregeln.


26      „трупно месо“ (Fleisch von Kadavern) statt „Кланичен труп“ (geschlachtete Kadaver) in den Schlachtungsregeln.


27      „Kapacita porážky“ (Schlachtkapazität) statt „jatečně upraveným tělem“ (Schlachtkörper) in den Schlachtungsregeln.


28      „Vágóhidak tevékenysége“ (Tätigkeiten von Schlachthäusern) statt „hasított test“ (zerteilter Körper) in den Schlachtungsregeln.


29      „Zmogljivostjo zakola“ (Schlachtkapazität) statt „Trup“ (Kadaver) in den Schlachtungsregeln.


30      „Kapacita spracovania zabitých zvierat“ (Kapazität zur Behandlung geschlachteter Tiere) statt „jatočné telo“ (Schlachtkörper) in den Schlachtungsregeln.


31      Urteile vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (30/77, EU:C:1977:172, Rn. 13 und 14), vom 26. Januar 2021, Hessischer Rundfunk (C‑422/19 und C‑423/19, EU:C:2021:63, Rn. 65), und vom 17. Januar 2023, Spanien/Kommission (C‑632/20 P, EU:C:2023:28, Rn. 40 bis 42).


32      Urteile vom 22. Januar 2009, Association nationale pour la protection des eaux et rivières und Association OABA (C‑473/07, EU:C:2009:30, Rn. 27), und vom 15. Dezember 2011, Møller (C‑585/10, EU:C:2011:847, Rn. 31).


33      Vgl. Urteil vom 15. Dezember 2011, Møller (C‑585/10, EU:C:2011:847, Rn. 37).


34      So z. B. Deutschland in Nr. 7.2.1 der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen – 4. BImSchV, Bekanntmachung vom 31. Mai 2017, Bundesgesetzblatt I, S. 1440; in der Fassung der Verordnung vom 12. Januar 2021, Bundesgesetzblatt I, S. 69).