Language of document : ECLI:EU:C:2024:399

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. Mai 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Richtlinie 2013/48/EU – Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren – Art. 3 Abs. 6 Buchst. b – Vorübergehende Abweichung von dem Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand unter außergewöhnlichen Umständen – Art. 9 – Verzicht auf die Anwesenheit oder Unterstützung eines Rechtsbeistands – Voraussetzungen – Art. 12 Abs. 2 – Wahrung der Verteidigungsrechte und der Fairness des Verfahrens – Zulässigkeit von Beweismitteln – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Schriftlicher Verzicht eines analphabetischen Verdächtigen auf sein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand – Unterbliebene Belehrung über die möglichen Folgen des Verzichts auf dieses Recht – Auswirkungen auf weitere Ermittlungsmaßnahmen – Entscheidung über eine angemessene Maßnahme zur Sicherung – Beurteilung von Beweisen, die unter Missachtung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erlangt wurden“

In der Rechtssache C‑15/24 PPU [Stachev](i)

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 11. Januar 2024, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Januar 2024, in dem Strafverfahren gegen

CH,

Beteiligte:

Sofyiska rayonna prokuratura,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von CH, vertreten durch I. R. Stoyanov, Advokat,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Vondung und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. April 2024

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 6 Buchst. b, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b und Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl. 2013, L 294, S. 1) sowie von Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen CH, einen bulgarischen Staatsangehörigen, dem zur Last gelegt wird, zwei Raubüberfälle begangen zu haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 39, 40 und 50 bis 53 der Richtlinie 2013/48 heißt es:

„(39)      Verdächtige oder beschuldigte Personen sollten auf ein durch diese Richtlinie gewährtes Recht verzichten können, sofern sie eindeutige und ausreichende Informationen über den Inhalt des betreffenden Rechts und die möglichen Folgen eines Verzichts auf dieses Recht erhalten haben. Bei der Erteilung derartiger Informationen sollten die besonderen Umstände der betroffenen Verdächtigen oder der beschuldigten Personen, einschließlich des Alters und der geistigen und körperlichen Verfassung, berücksichtigt werden.

(40)      Der Verzicht und die Umstände der Verzichterklärung sollten unter Verwendung des Verfahrens für Aufzeichnungen nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats schriftlich festgehalten werden. …

(50)      Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf einen Rechtsbeistand erhoben wurden, oder in Fällen, in denen eine Abweichung von diesem Recht gemäß dieser Richtlinie genehmigt wurde, die Verteidigungsrechte und der Grundsatz des fairen Verfahrens beachtet werden. Diesbezüglich sollte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigt werden, der zufolge die Verteidigungsrechte grundsätzlich irreparabel verletzt sind, wenn belastende Aussagen, die während einer polizeilichen Vernehmung unter Missachtung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gemacht wurden, als Beweis für die Verurteilung verwendet werden. Dies gilt unbeschadet der Verwendung der Aussagen für andere nach nationalem Recht zulässige Zwecke, beispielsweise für dringende Ermittlungshandlungen zur Verhinderung anderer Straftaten oder zur Abwehr schwerwiegender, nachteiliger Auswirkungen für Personen oder im Zusammenhang mit dem dringenden Erfordernis, eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden, wenn der Zugang zu einem Rechtsbeistand oder die Verzögerung der Ermittlungsarbeit die laufenden Ermittlungen bezüglich einer schweren Straftat irreparabel beeinträchtigen würde. Ferner sollte dies die nationalen Vorschriften oder Regelungen bezüglich der Zulässigkeit von Beweisen unberührt lassen und die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, eine Regelung beizubehalten, wonach einem Gericht alle vorhandenen Beweismittel vorgelegt werden können, ohne dass die Zulässigkeit dieser Beweismittel Gegenstand einer gesonderten oder vorherigen Beurteilung ist.

(51)      Die Fürsorgepflicht für Verdächtige oder beschuldigte Personen, die sich in einer potenziell schwachen Position befinden, ist Grundlage einer fairen Justiz. Anklage‑, Strafverfolgungs‑, und Justizbehörden sollten es solchen Personen daher erleichtern, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte wirksam auszuüben, zum Beispiel indem sie etwaige Benachteiligungen, die die Fähigkeit der Personen beeinträchtigen, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug wahrzunehmen, berücksichtigen und indem sie geeignete Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass diese Rechte gewährleistet sind.

(52)      Diese Richtlinie wahrt die in der Charta anerkannten Grundrechte und Grundsätze, darunter das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Recht auf Unversehrtheit, die Rechte des Kindes, das Recht auf Integration von Menschen mit Behinderung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Verfahren, die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte. Die Richtlinie sollte im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen umgesetzt werden.

(53)      Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie, soweit sie Rechten entsprechen, die durch die [Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom], gewährleistet werden, in Übereinstimmung mit diesen Rechten [dieser Konvention], wie sie durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterentwickelt wurden, umgesetzt werden.“

4        Art. 1  („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften für die Rechte von Verdächtigen und beschuldigten Personen in Strafverfahren … auf Zugang zu einem Rechtsbeistand … festgelegt.“

5        Art. 2 („Anwendungsbereich“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden, und unabhängig davon, ob ihnen die Freiheit entzogen wurde. Die Richtlinie gilt bis zum Abschluss des Verfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob der Verdächtige oder die beschuldigte Person die Straftat begangen hat, gegebenenfalls einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.

(4)      …

Diese Richtlinie findet jedoch in jedem Fall uneingeschränkt Anwendung, wenn dem Verdächtigen oder der beschuldigten Person die Freiheit entzogen wird, unabhängig vom Stadium des Strafverfahrens.“

6        In Art. 3 („Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Strafverfahren“) der Richtlinie 2013/48 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass die betroffenen Personen ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können.

(2)      Verdächtige oder beschuldigte Personen können unverzüglich Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten. In jedem Fall können Verdächtige oder beschuldigte Personen ab dem zuerst eintretenden der folgenden Zeitpunkte Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten:

a)      vor ihrer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden;

c)      unverzüglich nach dem Entzug der Freiheit;

(3)      Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umfasst Folgendes:

a)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen das Recht haben, mit dem Rechtsbeistand, der sie vertritt, unter vier Augen zusammenzutreffen und mit ihm zu kommunizieren, auch vor der Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden.

b)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen ein Recht darauf haben, dass ihr Rechtsbeistand bei der Befragung zugegen ist und wirksam daran teilnimmt. …

c)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen mindestens das Recht haben, dass ihr Rechtsbeistand den folgenden Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen beiwohnt, falls diese in den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen sind und falls die Anwesenheit des Verdächtigen oder der beschuldigten Personen bei den betreffenden Handlungen vorgeschrieben oder zulässig ist:

i)      Identifizierungsgegenüberstellungen;

ii)      Vernehmungsgegenüberstellungen;

iii)      Tatortrekonstruktionen.

(6)      Unter außergewöhnlichen Umständen und nur im vorgerichtlichen Stadium können die Mitgliedstaaten vorübergehend von der Anwendung der nach Absatz 3 gewährten Rechte abweichen, wenn dies angesichts der besonderen Umstände des Falles durch einen der nachstehenden zwingenden Gründe gerechtfertigt ist:

a)      wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person dringend erforderlich ist;

b)      wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden.“

7        Art. 9 („Verzicht“) dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Unbeschadet der nationalen Rechtsvorschriften, die die Anwesenheit oder Unterstützung eines Rechtsbeistands verbindlich vorschreiben, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass für einen Verzicht auf eines der in den Artikeln 3 und 10 genannten Rechte folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

a)      Der Verdächtige oder die beschuldigte Person hat mündlich oder schriftlich eindeutige und ausreichende Informationen in einfacher und verständlicher Sprache über den Inhalt des betreffenden Rechts und die möglichen Folgen eines Verzichts auf dieses Recht erhalten, und

b)      die Verzichtserklärung wird freiwillig und unmissverständlich abgegeben.

(2)      Der Verzicht, der schriftlich oder mündlich erklärt werden kann, sowie die Umstände der Verzichterklärung werden unter Verwendung des Verfahrens für Aufzeichnungen nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats schriftlich festgehalten.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen einen Verzicht jederzeit während des Strafverfahrens widerrufen können und dass sie über diese Möglichkeit informiert werden. Der Widerruf ist ab dem Zeitpunkt wirksam, zu dem er erfolgte.“

8        Art. 12 („Rechtsbehelfe“) Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„Unbeschadet der nationalen Vorschriften und Regelungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass in Strafverfahren bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhoben wurden, oder in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 Absatz 6 eine Abweichung von diesem Recht genehmigt wurde, die Verteidigungsrechte und die Einhaltung eines fairen Verfahrens beachtet werden.“

9        Art. 13 („Schutzbedürftige Personen“) der Richtlinie 2013/48 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass bei der Anwendung dieser Richtlinie die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Verdächtigen und schutzbedürftigen beschuldigten Personen berücksichtigt werden.“

 Bulgarisches Recht

 Bulgarische Verfassung

10      Art. 30 Abs. 4 der Konstitutsia na Republika Bulgaria (Verfassung der Republik Bulgarien, im Folgenden: bulgarische Verfassung) hat folgenden Wortlaut:

„Jedermann hat vom Zeitpunkt seiner Festnahme oder seiner Beschuldigung an das Recht auf anwaltlichen Schutz.“

 Gesetz über das Ministerium für Innere Angelegenheiten

11      Art. 72 des Zakon za ministerstvoto na vatreshnite raboti (Gesetz über das Ministerium für Innere Angelegenheiten, DV Nr. 53 vom 27. Juni 2014) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1)      Die Polizeibehörden können eine Person festnehmen,

1.      für die es Anhaltspunkte gibt, dass sie eine Straftat begangen hat;

(5)      Ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme hat die Person das Recht auf einen Verteidiger, wobei die festgenommene Person auch darüber zu belehren ist, dass sie auf einen Verteidiger verzichten kann, sowie über die damit verbundenen Folgen, ebenso wie über das Recht, Aussagen zu verweigern, wenn die Festnahme aufgrund von Abs. 1 Nr. 1 erfolgt.“

12      Art. 74 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)      Für die in Art. 72 Abs. 1 genannten Personen wird ein schriftlicher Haftbefehl ausgestellt.

(2)      In dem Haftbefehl nach Abs. 1 sind anzugeben:

1.      der Name, die Funktion und der Dienstort des ausstellenden Polizeiorgans;

2.      die tatsächlichen und die rechtlichen Gründe für die Festnahme;

3.      Daten zur Identifizierung der festgenommenen Person;

4.      Datum und Uhrzeit der Festnahme;

5.      die Einschränkung der Rechte der Person nach Art. 73;

6.      ihr Recht:

a)      die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor Gericht anzufechten;

b)      auf einen Verteidiger ab dem Zeitpunkt der Festnahme;

(3)      Die festgenommene Person füllt eine Erklärung aus, dass sie von ihren Rechten Kenntnis hat und dass sie beabsichtigt, ihre Rechte nach Abs. 2 Nr. 6 Buchst. b bis f auszuüben oder nicht auszuüben. Der Haftbefehl wird von dem Polizeiorgan und von der festgenommenen Person unterzeichnet.

(4)      Weigert sich die festgenommene Person oder ist sie nicht in der Lage, den Haftbefehl zu unterzeichnen, wird dies durch die Unterschrift eines Zeugen bestätigt.“

 NPK

13      Art. 94 des Nakazatelno-protsesualen kodeks (Strafprozessordnung, DV Nr. 86 vom 28. Oktober 2005), in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: NPK) sieht vor:

„(1)      Die Mitwirkung eines Verteidigers im Strafverfahren ist notwendig, wenn:

6.      … der Beschuldigte festgenommen wurde“.

14      In Art. 96 Abs. 1 NPK heißt es:

„Mit Ausnahme der Fälle nach Art. 94 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 und 6 kann der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens den Verteidiger ablehnen. Der Beschuldigte wird über die Folgen des Verzichts auf einen Verteidiger belehrt.“

15      Art. 97 NPK hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Der Verteidiger darf sich ab Festnahme der Person oder ab Erhebung der Beschuldigung gegen sie an dem Strafverfahren beteiligen.

(2)      Das Organ des vorgerichtlichen Verfahrens muss den Beschuldigten über sein Recht auf einen Rechtsbeistand belehren und ihm die Möglichkeit geben, sich unverzüglich mit einem Verteidiger in Verbindung zu setzen. Vor Erfüllung dieser Pflichten darf es keinerlei Ermittlungs- oder andere Verfahrenshandlungen unter Beteiligung des Beschuldigten durchführen.“

16      Art. 248 NPK sieht vor:

„(1)      In der Vorverhandlung werden folgende Fragen erörtert:

3.      ob im Ermittlungsverfahren behebbare Verletzungen wesentlicher Verfahrensregeln erfolgt sind, die die Verfahrensrechte des Beschuldigten, des Geschädigten bzw. seiner Erben eingeschränkt haben;

5.      die Prüfung des Falles unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Bestellung eines Ersatzrichters oder Ersatzgeschworenen, die Bestellung eines Verteidigers, eines Sachverständigen, eines Dolmetschers oder eines Gebärdendolmetschers und die Durchführung gerichtlicher Untersuchungsmaßnahmen im Wege der Delegation;

6.      die getroffenen Zwangsmaßnahmen;

7.      Anträge auf Erhebung neuer Beweise;

8.      die Anberaumung der mündlichen Verhandlung und die zu ladenden Personen.“

17      Art. 270 Abs. 1 NPK bestimmt:

„Die Frage nach einer Änderung der Maßnahme zur Sicherung kann zu jedem Zeitpunkt des Hauptverfahrens gestellt werden. Ein erneuter Antrag auf Änderung der Maßnahme zur Sicherung kann in derselben Instanz nur gestellt werden, wenn veränderte Umstände vorliegen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18      Am 16. Dezember 2022 wurde CH von der bulgarischen Polizei festgenommen, um Ermittlungen hinsichtlich seiner Beteiligung an einem Raub durchzuführen. Am selben Tag unterzeichnete er eine schriftliche Erklärung, dass er sich weder auf eigene Kosten durch einen Verteidiger seiner Wahl noch durch einen Pflichtverteidiger verteidigen lassen wolle.

19      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde CH, der keine Grundbildung genossen hat und der bulgarischen Schriftsprache nicht mächtig ist, allerdings nicht über die Folgen des Verzichts auf einen Verteidiger belehrt. Weiter führt das Gericht aus, wenn eine inhaftierte Person Analphabet sei oder die Erklärung nicht selbst ausfüllen könne, sei diese von einem Polizeibeamten auszufüllen, wobei die Willensäußerungen von der Person selbst in Gegenwart eines Zeugen abzugeben seien, der ihre Echtheit mit seiner Unterschrift bestätige. Im vorliegenden Fall trage die Erklärung jedoch weder die Unterschrift eines Polizeiorgans noch diejenige eines Zeugen.

20      Unmittelbar nach seiner Festnahme gestand CH, als er von einer Polizeibehörde als Zeuge vernommen wurde, seine Beteiligung an einem Raub. In der Vorlageentscheidung heißt es, CH sei zwar über seine Rechte belehrt worden, sich nicht selbst der Begehung einer Straftat bezichtigen zu müssen und die Aussage verweigern zu dürfen. Die Vernehmung habe allerdings ohne Anwesenheit eines Verteidigers stattgefunden. Dass kein Verteidiger zugegen gewesen sei, ergebe sich ebenso aus den Protokollen, in denen andere, zwischen dem 16. und 17. Dezember 2022 durchgeführte Ermittlungsmaßnahmen, wie eine Rekonstruktion, eine Durchsuchung der Wohnung von CH, zwei Identifizierungsgegenüberstellungen und eine Leibesvisitation bei CH, schriftlich festgehalten worden seien. Im Zuge dieser Ermittlungsmaßnahmen seien Beweismittel gewonnen worden.

21      Am 17. Dezember 2022 erhob die Staatsanwaltschaft gegen CH eine förmliche Beschuldigung wegen Raubes. Infolgedessen wurde am selben Tag ein Mitglied der Rechtsanwaltskammer Sofia (Bulgarien) von Amts wegen als Verteidiger von CH bestellt. Ferner wurde die Beschuldigung CH sowie seinem Verteidiger zur Kenntnis gebracht.

22      Anschließend gab der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien), der im hiesigen Fall das vorlegende Gericht ist, mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Untersuchungshaft gegen CH statt.

23      Mit Beschluss vom 13. Juni 2023 lehnte dieses Gericht den Antrag von CH auf Abänderung dieser Maßnahme zur Sicherung ab.

24      Am 26. Juli 2023 beschuldigte die Staatsanwaltschaft CH auch eines weiteren Raubes.

25      Auf einen weiteren Antrag von CH, mit dem er die Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung begehrte, ordnete der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia) mit Beschluss vom 18. August 2023 die Anwendung einer milderen Maßnahme in Form der Verpflichtung von CH an, regelmäßig ein von den Polizeibehörden seines Aufenthaltsorts geführtes Register zu unterzeichnen (im Folgenden: Meldeauflage).

26      Insoweit war dieses Gericht der Ansicht, dass das in Art. 30 Abs. 4 der bulgarischen Verfassung verankerte Recht von CH auf anwaltlichen Schutz zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung entstanden sei. Die Wahrnehmung dieses Rechts sei allerdings von den Strafverfolgungsbehörden nicht gewährleistet worden. Trotz der von CH im Anschluss an seine Festnahme ausgefüllten Erklärung könne nicht unbestreitbar festgestellt werden, dass CH eine freiwillige und bewusste Entscheidung getroffen habe. Unter diesen Umständen dürfe keine der nach der Festnahme von CH und vor seiner Beschuldigung durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von CH verwertet werden.

27      Mit Beschluss vom 7. September 2023 hob der Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia, Bulgarien) den Beschluss des Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia) vom 18. August 2023 auf und bestätigte die gegen CH angeordnete Maßnahme zur Sicherung, d. h. die Untersuchungshaft.

28      Am 2. Oktober 2023 entschied das vorlegende Gericht erneut über die Maßnahme zur Sicherung und änderte sie zu einer Meldeauflage ab. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob der Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) die am 2. Oktober 2023 angeordnete Maßnahme mit Beschluss vom 7. November 2023 auf und erhielt die gegen CH ergriffene Maßnahme zur Sicherung in Form der Untersuchungshaft aufrecht.

29      Das vorlegende Gericht führt aus, Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens sei die Prüfung der Beteiligung von CH an der ihm zur Last gelegten Straftat. In seiner abschließenden Entscheidung werde es über die Frage der Schuld von CH zu befinden haben.

30      Insoweit sei zu prüfen, ob die Ermittlungsbehörden im vorliegenden Fall das Recht von CH auf Zugang zu einem Rechtsbeistand bei seiner Festnahme und vor seiner Beschuldigung gewahrt hätten. Da sich dieses Recht aus der Richtlinie 2013/48 ergebe, sei als Erstes Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie in den Blick zu nehmen, wonach in Strafverfahren bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhoben worden seien, die Verteidigungsrechte und die Einhaltung eines fairen Verfahrens beachtet werden müssten.

31      Diese Bestimmung finde nicht nur beim Erlass einer abschließenden Entscheidung über die Schuld der beschuldigten Person Anwendung, sondern auch bei der Festlegung der gegen diese Person zu verhängenden Maßnahme zur Sicherung. Mit seinem Beschluss vom 7. September 2023 habe der Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) dem vorlegenden Gericht aber die Möglichkeit genommen, zu beurteilen, ob im vorliegenden Fall Beweise unter Missachtung des Rechts von CH auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erlangt worden seien.

32      Unter diesen Umständen fragt sich das vorlegende Gericht zunächst, ob es mit Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 vereinbar ist, wenn auf der Grundlage einer nationalen Regelung und Rechtsprechung dem Gericht, das die Frage der Beteiligung des Beschuldigten an einer ihm zur Last gelegten Straftat prüft, um über die Anordnung oder Vollstreckung einer angemessenen Maßnahme zur Sicherung zu entscheiden, die Möglichkeit genommen wird, zu beurteilen, ob die Beweise unter Missachtung des Rechts des Beschuldigten auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand erlangt wurden.

33      Sodann fragt sich das vorlegende Gericht, um die Stichhaltigkeit des vom Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) vertretenen Standpunkts zu prüfen, ob das Erfordernis der Wahrung der Verteidigungsrechte und der Einhaltung eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 beachtet ist, wenn das Gericht, das die Frage der Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung prüft, bei der Bildung seiner inneren Überzeugung Beweise verwertet, die unter Verstoß gegen die Anforderungen dieser Richtlinie erlangt wurden.

34      Schließlich fügt das vorlegende Gericht, ebenfalls in Bezug auf den Beschluss des Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) vom 7. September 2023, hinzu, dass sich angesichts des in diesem Beschluss ihm gegenüber erhobenen Vorwurfs mangelnder Objektivität die Frage stelle, ob sich der Ausschluss von unter Verstoß gegen die Richtlinie 2013/48 erlangten Beweisen durch das Gericht, das trotz gegenteiliger Weisung der höheren Instanz die Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung prüft, negativ auf die Anforderungen an ein faires Verfahren auswirkt und Zweifel an der Unparteilichkeit dieses Gerichts aufkommen lässt.

35      Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, dass der Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) in seinem Beschluss vom 7. November 2023 Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48, der die Möglichkeit einer vorübergehenden Abweichung von dem Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand unter außergewöhnlichen Umständen vorsehe, in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falles für anwendbar gehalten habe. Diese Bestimmung sei indes wegen ihrer offensichtlichen Unvereinbarkeit mit Art. 30 Abs. 4 der bulgarischen Verfassung, wonach das Recht auf anwaltlichen Schutz zum Zeitpunkt der Inhaftierung oder der Beschuldigung einer Person entstehe, nicht ausdrücklich in bulgarisches Recht umgesetzt worden. Daher stelle sich die Frage, ob Art. 3 Abs. 6 Buchst. b unmittelbare Wirkung zukomme.

36      Als Drittes weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach der vom Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) in dessen Beschluss vom 7. September 2023 geäußerten Auffassung, obwohl CH bei seiner Festnahme keine Unterstützung durch einen Rechtsbeistand zuteilgeworden sei, die Maßnahmen, die mit oder ohne seine Beteiligung bis zum Zeitpunkt der Beschuldigung gegen ihn ergriffen worden seien, nicht rechtswidrig erschienen und ihren Beweiswert nicht verlören. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Garantien von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b in Verbindung mit dem 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/48 gewahrt sind, wenn zwar ein schriftlicher Verzicht eines Verdächtigen auf sein Recht auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand vorliegt, der Verdächtige aber Analphabet ist, nicht über die Folgen eines solchen Verzichts belehrt wurde und später geltend macht, dass ihm der Inhalt des von ihm unterzeichneten Dokuments zum Zeitpunkt seiner Festnahme nicht bekannt gewesen sei.

37      Als Viertes und Letztes führt das vorlegende Gericht aus, dass nach der nationalen Rechtsprechung in der Auslegung des Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien) der von einer festgenommenen Person anfänglich erklärte Verzicht auf das Recht auf anwaltlichen Schutz sich auch auf alle weiteren Ermittlungsmaßnahmen betreffend diese Person vor ihrer Beschuldigung erstrecke. Dementsprechend hätten die Ermittlungsbehörden im vorliegenden Fall mehrere Ermittlungsmaßnahmen unter Beteiligung von CH nach seiner Festnahme durchgeführt, jedoch ohne Anwesenheit eines Verteidigers. In diesem Zusammenhang sei zu prüfen, ob der Umstand, dass ein Verdächtiger bei seiner Festnahme auf sein Recht auf anwaltlichen Schutz verzichte, diese Behörden von der Verpflichtung entbinde, den Verdächtigen unmittelbar vor der Durchführung jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme, die unter seiner Beteiligung erfolge, über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und die Folgen eines etwaigen Verzichts zu belehren.

38      Unter diesen Umständen hat der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist es mit Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 der Charta vereinbar, wenn auf der Grundlage einer nationalen Regelung und Rechtsprechung dem Gericht, das die Frage nach dem Vorliegen eines begründeten Verdachts der Beteiligung des Beschuldigten an der ihm zur Last gelegten Straftat prüft, um über die Anordnung oder Vollstreckung einer angemessenen Maßnahme zur Sicherung zu entscheiden, die Möglichkeit genommen wird, zu beurteilen, ob die Beweise unter Missachtung des Rechts des Beschuldigten auf Zugang zu einem Rechtsbeistand nach dieser Richtlinie erlangt wurden, wenn der Beschuldigte verdächtigt und sein Recht auf Freizügigkeit durch die Polizeibehörden eingeschränkt wurde?

2.      Ist das Erfordernis der Wahrung der Verteidigungsrechte und der Einhaltung eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 beachtet, wenn das Gericht, das die Frage der Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung prüft, bei der Bildung seiner inneren Überzeugung Beweise berücksichtigt, die unter Verstoß gegen die Anforderungen der Richtlinie erlangt wurden, wenn die Person verdächtigt und ihr Recht auf Freizügigkeit durch die Polizeibehörden eingeschränkt wurde?

3.      Wirkt sich der Ausschluss von unter Verstoß gegen die Richtlinie 2013/48 erlangten Beweismitteln durch das Gericht, das trotz gegenteiliger Weisung eines übergeordneten Gerichts die Frage der Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung prüft, negativ auf die Anforderungen von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta an ein faires Verfahren aus und lässt er Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts aufkommen?

4.      Hat die in Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 vorgesehene Möglichkeit, unter außergewöhnlichen Umständen im vorgerichtlichen Stadium vorübergehend vom Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand abzuweichen, wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden, unmittelbare Wirkung in dem betreffenden Mitgliedstaat der Europäischen Union, wenn diese Bestimmung nicht in sein nationales Recht umgesetzt wurde?

5.      Sind die Garantien von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2013/48 im Licht des 39. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie gewahrt, wenn zwar ein schriftlicher Verzicht eines Verdächtigen auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand vorliegt, der Verdächtige aber Analphabet ist, nicht über die möglichen Folgen des Verzichts belehrt wurde und später vor Gericht vorträgt, dass ihm der Inhalt des von ihm unterzeichneten Dokuments zum Zeitpunkt der Einschränkung seines Rechts auf Freizügigkeit durch die Polizeibehörden nicht bekannt gewesen sei?

6.      Entbindet der von einem Verdächtigen bei seiner Festnahme erklärte Verzicht auf das Recht, sich von einem Rechtsbeistand nach den Bestimmungen der Richtlinie 2013/48 unterstützen zu lassen, die Behörden von der Verpflichtung, ihn unmittelbar vor der Durchführung jeder weiteren, unter seiner Beteiligung erfolgenden Ermittlungsmaßnahme über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und die möglichen Folgen eines etwaigen Verzichts zu belehren?

 Zum Antrag auf Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens

39      Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 23a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

40      Es stützt seinen Antrag darauf, dass sich CH seit dem 16. Dezember 2022 in Untersuchungshaft befinde.

41      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung der Richtlinie 2013/48 betrifft, die unter Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des Dritten Teils des AEU-Vertrags fällt. Es kommt daher für ein Eilvorabentscheidungsverfahren in Betracht.

42      Was zweitens die Voraussetzung der Dringlichkeit anbelangt, so ist diese insbesondere dann erfüllt, wenn der im Ausgangsverfahren betroffenen Person gegenwärtig ihre Freiheit entzogen ist und ihre weitere Inhaftierung von der Entscheidung des Ausgangsverfahrens abhängt, wobei hinsichtlich der Lage dieser Person auf den Zeitpunkt der Prüfung des Antrags, die Vorlage zur Vorabentscheidung dem Eilverfahren zu unterwerfen, abzustellen ist (Urteil vom 8. Dezember 2022, CJ [Entscheidung über die Aufschiebung der Übergabe wegen Strafverfolgung], C‑492/22 PPU, EU:C:2022:964, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Vorliegend ergibt sich aus der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts, dass CH in der Tat seit dem 19. Dezember 2022 die Freiheit entzogen ist und dass er sich zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrags, die Vorlage zur Vorabentscheidung dem Eilverfahren zu unterwerfen, in dieser Lage befand.

44      Ferner dienen die Fragen des vorlegenden Gerichts insbesondere der Klärung, ob die Anforderungen der Richtlinie 2013/48 erfüllt wurden, als CH nach seiner Festnahme auf sein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand verzichtete, was sich je nachdem, wie diese Richtlinie ausgelegt wird, sowohl auf die gegen CH verhängte Maßnahme zur Sicherung als auch auf die Entscheidung über seine strafrechtliche Verantwortlichkeit und folglich die Aufrechterhaltung der Haft auswirken kann.

45      Unter diesen Umständen hat die Erste Kammer des Gerichtshofs am 25. Januar 2024 auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur vierten Frage

46      Mit seiner vierten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen ist, dass sich die Polizeibehörden des betreffenden Mitgliedstaats, wenn es an einer Umsetzung dieser Bestimmung in die nationale Rechtsordnung fehlt, gegenüber einem Verdächtigen oder einer beschuldigten Person auf diese Bestimmung berufen können, um von der Anwendung des in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand abzuweichen.

47      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 das Grundprinzip aufgestellt wird, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass sie ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können (Urteil vom 15. September 2022, DD [Wiederholte Vernehmung eines Zeugen], C‑347/21, EU:C:2022:692, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Dieses Prinzip wird in Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie konkretisiert, wonach Verdächtige und beschuldigte Personen unverzüglich und in jedem Fall ab dem zuerst eintretenden der spezifischen in den Buchst. a bis d dieser Bestimmung aufgezählten Ereignisse Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten können müssen. Ferner sind in Art. 3 Abs. 3 Buchst. a bis c dieser Richtlinie die Bestandteile näher aufgeführt, die das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umfasst.

49      Die vorübergehenden Abweichungen, die die Mitgliedstaaten bezüglich des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand vorsehen können, werden in Art. 3 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/48 abschließend aufgezählt (Urteil vom 12. März 2020, VW [Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand bei Nichterscheinen vor Gericht], C‑659/18, EU:C:2020:201, Rn. 42).

50      So können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 6 Buchst. b dieser Richtlinie, auf den das vorlegende Gericht abstellt, sofern angesichts der besonderen Umstände des Falles gerechtfertigt, vorübergehend von der Anwendung der nach Abs. 3 dieses Artikels gewährten Rechte abweichen, „wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden“.

51      Was die Frage anbelangt, ob sich die Polizeibehörden des betreffenden Mitgliedstaats gegenüber einem Verdächtigen oder einer beschuldigten Person auf Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 berufen können, wenn es an einer Umsetzung dieser Bestimmung in die nationale Rechtsordnung fehlt, so entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (Urteil vom 20. April 2023, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato [Gemeinde Ginosa], C‑348/22, EU:C:2023:301, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dahingegen kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (Urteil vom 3. Mai 2005, Berlusconi u. a., C‑387/02, C‑391/02 und C‑403/02, EU:C:2005:270, Rn. 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Vorliegend genügt die Feststellung, dass Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 kein Recht begründet, das der Einzelne gegenüber einem Mitgliedstaat geltend machen könnte, sondern vielmehr den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, eine Abweichung von der Anwendung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand unter außergewöhnlichen Umständen vorzusehen. Folglich kann sich eine Behörde nach der in Rn. 51 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung, wenn diese Bestimmung nicht umgesetzt worden ist, einem Verdächtigen oder einer beschuldigten Person gegenüber nicht auf sie berufen.

53      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen ist, dass sich die Polizeibehörden des betreffenden Mitgliedstaats auf diese Bestimmung, wenn sie nicht in sein nationales Recht umgesetzt wurde, gegenüber einem Verdächtigen oder einer beschuldigten Person nicht berufen können, um von der Anwendung des in dieser Richtlinie klar, genau und unbedingt vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand abzuweichen.

 Zur fünften Frage

54      Mit seiner fünften Frage, die als Zweites zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 im Licht des 39. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung an den Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gestellten Anforderungen eingehalten werden, wenn zwar ein schriftlicher Verzicht eines Verdächtigen auf dieses Recht vorliegt, der Verdächtige aber Analphabet ist, nicht über die möglichen Folgen des Verzichts belehrt wurde und geltend macht, dass ihm der Inhalt des von ihm unterzeichneten Dokuments zum Zeitpunkt seiner Festnahme nicht bekannt gewesen sei.

55      Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 sieht für den Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren zwei Voraussetzungen vor.

56      So muss nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verdächtige oder die beschuldigte Person Informationen über den Inhalt des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und die möglichen Folgen eines Verzichts auf dieses Recht erhalten haben; diese Informationen, die mündlich oder schriftlich erteilt werden können, müssen eindeutig und ausreichend sein und in einfacher und verständlicher Sprache mitgeteilt werden. Ferner muss der Verzicht gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b freiwillig und unmissverständlich erklärt werden.

57      Insoweit verdeutlicht der 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/48, dass bei der Erteilung derartiger Informationen die besonderen Umstände der betroffenen Verdächtigen oder der beschuldigten Personen, einschließlich des Alters und der geistigen und körperlichen Verfassung, berücksichtigt werden müssen. Indem die Richtlinie die Berücksichtigung der besonderen Umstände verlangt, soll somit sichergestellt werden, dass die Entscheidung, auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand zu verzichten, in voller Kenntnis der Sachlage getroffen wird.

58      In diesem Zusammenhang sieht Art. 13 der Richtlinie 2013/48 vor, dass bei der Anwendung dieser Richtlinie die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Verdächtigen und schutzbedürftigen beschuldigten Personen zu berücksichtigen sind; der 51. Erwägungsgrund dieser Richtlinie bezieht sich insoweit auf „Verdächtige oder beschuldigte Personen, die sich in einer potenziell schwachen Position befinden“ und auf „etwaige Benachteiligungen, die die Fähigkeit der Personen beeinträchtigen, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand … wahrzunehmen“.

59      Vorliegend gibt das vorlegende Gericht erstens an, dass der Beschuldigte in dem Strafverfahren, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, Analphabet ist.

60      Wie von der Europäischen Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen aufgezeigt, ist ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person wie der Beschuldigte des Ausgangsverfahrens aufgrund seines Analphabetismus als schutzbedürftige Person im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2013/48 anzusehen.

61      Gleichwohl kann aber weder aus Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie noch aus deren Art. 13 geschlossen werden, dass der Umstand, dass der Verdächtige oder die beschuldigte Person Analphabet ist, per se die Fähigkeit dieser Person ausschließt, den Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand rechtsgültig zu erklären. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen eines solchen Verzichts angemessen zu berücksichtigen.

62      Zweitens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, inwieweit es relevant ist, dass dem Beschuldigten bei seinem Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand die möglichen Folgen eines solchen Verzichts nicht zur Kenntnis gebracht wurden.

63      Insoweit genügt der Hinweis, dass, wie in Rn. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2013/48 ausdrücklich verlangt, dass der Verdächtige oder die beschuldigte Person Informationen über die möglichen Folgen eines Verzichts auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten hat.

64      Sollte sich herausstellen, dass ein Beschuldigter wie derjenige in dem Strafverfahren, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, bei der Erklärung des Verzichts auf sein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand keine unter Berücksichtigung seiner Schutzbedürftigkeit eindeutigen und ausreichenden Informationen in einfacher und verständlicher Sprache über den Inhalt dieses Rechts und die möglichen Folgen eines Verzichts hierauf erhalten hat, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, so könnte dieser Verzicht folglich nicht als den Anforderungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 entsprechend angesehen werden.

65      Drittens stellt das vorlegende Gericht auf den Umstand ab, dass der Beschuldigte vorliegend in dem Strafverfahren, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, behauptet, dass ihm der Inhalt des von ihm unterzeichneten Dokuments zum Zeitpunkt seiner Festnahme nicht bekannt gewesen sei.

66      Da dieser Aspekt die schriftliche Niederlegung des Verzichts betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 im Licht des 40. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie vorsieht, dass der Verzicht, der schriftlich oder mündlich erklärt werden kann, und die Umstände der Verzichterklärung unter Verwendung des Verfahrens für Aufzeichnungen nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats schriftlich festgehalten werden.

67      Wenngleich Art. 9 Abs. 2 hinsichtlich der Art und Weise, in der der Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand schriftlich festgehalten wird, auf das nationale Verfahrensrecht verweist, so ist es doch erforderlich, dass die in dieser Bestimmung vorgeschriebene Dokumentierung die Prüfung ermöglicht, ob die Anforderungen nach Art. 9 Abs. 1 eingehalten wurden.

68      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Verzichtserklärung nach dem nationalen Recht der Anforderung unterliege, dass sie, wenn inhaftierte Personen Analphabeten oder nicht in der Lage seien, diese Erklärung selbst auszufüllen, von einem Polizeibeamten auszufüllen sei und die Willensäußerungen von der Person selbst in Gegenwart eines Zeugen abgegeben werden müssten, der ihre Echtheit durch seine Unterschrift bestätige. Im vorliegenden Fall sei keine Unterzeichnung durch eine Polizeibehörde und einen Zeugen erfolgt.

69      Sollte es sich bestätigen, dass der Verzicht des Beschuldigten auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in dem Strafverfahren, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, unter Verstoß gegen nationales Verfahrensrecht niedergeschrieben wurde, was zu prüfen Sache das vorlegenden Gerichts ist, so genügt insoweit der bloße Umstand, dass ein Beschuldigter ein Dokument unterzeichnet hat, das seinen angeblichen Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand bescheinigt, noch nicht als Nachweis, dass der Beschuldigte unter vollständiger Einhaltung der Anforderungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/48 auf dieses Recht verzichtet hat.

70      Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen ist, dass der von einem analphabetischen Verdächtigen erklärte Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand sich nicht mit den Anforderungen nach Art. 9 Abs. 1 vereinbaren lässt, wenn dieser Verdächtige nicht in einer Art und Weise, die seine besonderen Umstände angemessen berücksichtigt, über die möglichen Folgen eines solchen Verzichts belehrt wurde und wenn der Verzicht nicht gemäß dem nationalen Verfahrensrecht in einer Art und Weise schriftlich festgehalten wurde, die es ermöglicht, die Einhaltung dieser Anforderungen zu prüfen.

 Zur sechsten Frage

71      Mit seiner sechsten Frage, die als Drittes zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen ist, dass die Polizeibehörden nach dem Verzicht eines Verdächtigen auf sein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand weiterhin verpflichtet sind, diesen Verdächtigen unmittelbar vor der Durchführung jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme, die unter seiner Beteiligung erfolgt, über sein Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und die möglichen Folgen des Verzichts auf dieses Recht zu belehren.

72      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2021, Vodafone Kabel Deutschland, C‑484/20, EU:C:2021:975, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73      In dieser Hinsicht heißt es erstens in Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen einen Verzicht jederzeit während des Strafverfahrens widerrufen können und dass sie über diese Möglichkeit informiert werden.

74      Aus dem Wortlaut dieses Art. 9 Abs. 3 lässt sich schließen, dass ein Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand, der den Anforderungen der Richtlinie 2013/48 entspricht, bis zu seinem Widerruf Wirkung entfaltet, ohne dass es notwendig wäre, den Verzicht für jede weitere Ermittlungsmaßnahme zu wiederholen.

75      Soweit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48 verlangt, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen darüber informiert werden, dass sie einen Verzicht jederzeit während des Strafverfahrens widerrufen können, wird in dieser Vorschrift jedoch nicht präzisiert, ob diese Anforderung erfüllt ist, wenn die betroffene Person ein einziges Mal über diese Möglichkeit informiert wurde, oder ob diese Information vielmehr bei jedem weiteren Verfahrensschritt bzw. sogar vor jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme erteilt werden muss.

76      Zweitens ist, was den Regelungszusammenhang anbelangt, Art. 13 der Richtlinie 2013/48 zu berücksichtigen, der, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verlangt, dass die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Verdächtigen und schutzbedürftigen beschuldigten Personen bei der Anwendung dieser Richtlinie berücksichtigt werden. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, beschränkt die Komplexität der strafverfahrensrechtlichen Regelungen und insbesondere der Modalitäten der Beweiserhebung und ‑verwertung die Fähigkeit des schutzbedürftigen Verdächtigen oder der schutzbedürftigen beschuldigten Person, sie vollständig zu verstehen und/oder rechtzeitig und angemessen zu reagieren.

77      Drittens ist der Zweck der Richtlinie 2013/48 zu berücksichtigen, die insbesondere das in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankerte Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, sowie die durch Art. 48 Abs. 2 der Charta gewährleisteten Verteidigungsrechte fördern soll (Urteil vom 12. März 2020, VW [Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand bei Nichterscheinen vor Gericht], C‑659/18, EU:C:2020:201, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Im Licht dieser Erwägungen impliziert die Belehrungspflicht nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48, dass Polizeibehörden, andere Strafverfolgungsbehörden und Gerichte jedenfalls im Fall der Schutzbedürftigkeit der von ihnen angehörten Person verpflichtet sind, diese Person vor jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme, in deren Verlauf die Abwesenheit eines Rechtsbeistands aufgrund der Intensität und Bedeutung dieser Ermittlungsmaßnahme die Interessen und Rechte der betroffenen Person in besonderem Maß beeinträchtigen kann, wie bei den in Art. 3 Abs. 3 Buchst. b bzw. c dieser Richtlinie genannten Befragungen, Identifizierungsgegenüberstellungen, Vernehmungsgegenüberstellungen oder Tatortrekonstruktionen, erneut auf die Möglichkeit, den von ihr zuvor erklärten Verzicht auf ihr Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand zu widerrufen, hinzuweisen.

79      Diese Auslegung wird durch den 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. 2012, L 142, S. 1) gestützt, in dem es heißt: „Ist die Belehrung über ein bestimmtes Recht erfolgt, so sollten die zuständigen Behörden sie nicht zu wiederholen brauchen, es sei denn, dies ist aufgrund der besonderen Umstände des Falls … erforderlich.“

80      Nach alledem ist auf die sechste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48 dahin auszulegen ist, dass eine schutzbedürftige Person im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie, die auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand verzichtet, vor jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme, in deren Verlauf die Abwesenheit eines Rechtsbeistands angesichts der Intensität und Bedeutung der jeweiligen Ermittlungsmaßnahme die Interessen und Rechte dieser Person in besonderem Maß beeinträchtigen kann, über die Möglichkeit, diesen Verzicht zu widerrufen, belehrt werden muss.

 Zu den Fragen 1 bis 3

81      Mit seinen Fragen 1 bis 3, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung und Rechtsprechung entgegensteht, wonach einem Gericht, das die Beteiligung eines Beschuldigten an einer Straftat prüft, um über die Angemessenheit der gegen diesen Beschuldigten zu verhängenden Maßnahme zur Sicherung zu befinden, bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft dieses Beschuldigten die Möglichkeit genommen wird, zu beurteilen, ob Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie erlangt wurden, und solche Beweismittel gegebenenfalls auszuschließen.

 Zur Zulässigkeit

82      Was die Zulässigkeit dieser Fragen anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung und die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen, für die eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof ist folglich grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betrifft, es sei denn, dass die erbetene Auslegung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, dass das Problem hypothetischer Natur ist oder dass der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage erforderlich sind (Urteil vom 22. Februar 2024, Unedic, C‑125/23, EU:C:2024:163, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Vorliegend ist bei dem vorlegenden Gericht ein Strafverfahren gegen CH anhängig, der sich derzeit in Untersuchungshaft befindet. Es steht außer Frage, dass dieses Gericht für die Entscheidung über die gegen CH verhängte Maßnahme zur Sicherung zuständig ist und dass es diese Maßnahme seiner Ansicht nach sowohl in der Vorverhandlung als auch im derzeitigen Stadium des genannten Strafverfahrens zu prüfen hat.

84      Unter diesen Umständen steht die mittels der ersten drei Fragen erbetene Auslegung der Richtlinie 2013/48 im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren und kann nicht als hypothetisch angesehen werden.

85      Mithin sind die ersten drei Vorlagefragen zulässig.

 Zur Beantwortung der Fragen

86      Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ist es grundsätzlich allein Sache des nationalen Rechts, die Vorschriften für die Zulässigkeit und die Würdigung der in unionsrechtswidriger Weise erlangten Informationen und Beweise im Rahmen eines Strafverfahrens festzulegen (Urteil vom 30. April 2024, M. N. [EncroChat], C‑670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87      Ferner ist es mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu regeln, wobei sie jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige, dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 30. April 2024, M. N. [EncroChat], C‑670/22, EU:C:2024:372, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Was die sich aus dem Effektivitätsgrundsatz ergebenden Anforderungen anbelangt, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Erforderlichkeit, Informationen und Beweise auszuschließen, die unter Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften erlangt wurden, insbesondere anhand der Gefahr zu beurteilen ist, die mit der Zulässigkeit solcher Informationen und Beweise für die Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und damit für das Recht auf ein faires Verfahren verbunden ist (Urteil vom 2. März 2021, Prokuratuur [Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation], C‑746/18, EU:C:2021:152, Rn. 44).

89      Ferner gebietet Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 im Licht des 50. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten ausdrücklich, unbeschadet der nationalen Vorschriften und Regelungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln dafür zu sorgen, dass in Strafverfahren bei der Beurteilung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung ihres Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhoben wurden, die Verteidigungsrechte und die Einhaltung eines fairen Verfahrens beachtet werden.

90      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2013/48 gemäß Art. 2 Abs. 4 letzter Unterabsatz uneingeschränkt Anwendung findet, wenn dem Verdächtigen oder der beschuldigten Person die Freiheit entzogen wird, unabhängig vom Stadium des Strafverfahrens. Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie ist daher anwendbar, wenn ein Gericht über eine Maßnahme zur Sicherung des Beschuldigten zu entscheiden hat.

91      Zum anderen ist, wie es in den Erwägungsgründen 52 und 53 der Richtlinie 2013/48 heißt, Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie im Licht der Charta auszulegen, insbesondere im Licht des Rechts auf Freiheit und Sicherheit, des Rechts, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, sowie der Verteidigungsrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren, die jeweils in Art. 6, Art. 47 Abs. 2 bzw. Art. 48 Abs. 2 der Charta verbürgt sind, und auch im Licht der entsprechenden Rechte, die insbesondere in Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbürgt sind (vgl. entsprechend Urteil vom 1. August 2022, TL [Keine Dolmetschleistungen und Übersetzungen], C‑242/22 PPU, EU:C:2022:611, Rn. 40).

92      Hieraus folgt als Erstes, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 die Anforderung enthält, dass ein Gericht, das die Angemessenheit der Maßnahme zur Sicherung eines Beschuldigten prüft, bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft dieses Beschuldigten beurteilen können muss, ob Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie erlangt wurden.

93      Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das mit der Maßnahme zur Sicherung befasste Gericht zwar grundsätzlich über die Möglichkeit verfüge, die Beachtung der sich aus der Richtlinie 2013/48 ergebenden Rechte zu prüfen, ihm jedoch nach einer nationalen Rechtsprechung die Möglichkeit versagt sei, zu beurteilen, ob Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie erlangt worden seien.

94      Einer solchen nationalen Rechtsprechung steht jedoch angesichts dessen, was in Rn. 92 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 entgegen.

95      Als Zweites ist, was die Konsequenzen anbelangt, die das angerufene Gericht bei der Prüfung einer Maßnahme zur Sicherung eines Beschuldigten aus dem Umstand ziehen muss, dass Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben der Richtlinie 2013/48 gewonnen wurden, darauf hinzuweisen, dass zum einen die Richtlinie keinerlei Verpflichtung des Gerichts vorsieht, all diese Beweismittel automatisch auszuschließen.

96      Zum anderen ist es, wenn ein Verfahrensfehler festgestellt wird, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die, wie in den Erwägungsgründen 50 und 53 der Richtlinie 2013/48 betont wird, zu berücksichtigen ist, Sache der innerstaatlichen Gerichte, zu prüfen, ob dieser Fehler im Lauf des weiteren Verfahrens geheilt wurde (EGMR, 28. Januar 2020, Mehmet Zeki Çelebi/Türkei, CE:ECHR:2020:0128JUD002758207, § 51).

97      Folglich ist in dem Fall, dass Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie gewonnen wurden, zu ermitteln, ob das Strafverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung des angerufenen Gerichts unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren, u. a. der Fragen, ob die ohne Anwesenheit eines Verteidigers erfolgte Einlassung einen integralen oder maßgeblichen Bestandteil des belastenden Beweismaterials darstellt sowie welcher Beweiswert den anderen jeweils vorhandenen Beweisen zukommt, in der Gesamtschau trotz dieses Defizits als fair angesehen werden kann (vgl. entsprechend EGMR, 13. September 2016, Ibrahim u. a./Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2016:0913JUD005054108, §§ 273 und 274).

98      In jedem Fall impliziert die aus Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 folgende Verpflichtung, bei der Beurteilung von Beweisen, die unter Missachtung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand erhoben wurden, die Verteidigungsrechte und die Einhaltung eines fairen Verfahrens zu beachten, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. entsprechend zu Art. 14 Abs. 7 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen [ABl. 2014, L 130, S. 1] Urteil vom 30. April 2024, M. N. [EncroChat], C‑670/22, EU:C:2024:372, Rn. 130).

99      Nach alledem ist auf die Fragen 1 bis 3 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach einem Gericht, das die Beteiligung eines Beschuldigten an einer Straftat prüft, um über die Angemessenheit der gegen diesen Beschuldigten zu verhängenden Maßnahme zur Sicherung zu befinden, bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft dieses Beschuldigten die Möglichkeit genommen wird, zu beurteilen, ob Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie erlangt wurden, und solche Beweismittel gegebenenfalls auszuschließen.

 Kosten

100    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 3 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs

ist dahin auszulegen, dass

sich die Polizeibehörden des betreffenden Mitgliedstaats auf diese Bestimmung, wenn sie nicht in sein nationales Recht umgesetzt wurde, gegenüber einem Verdächtigen oder einer beschuldigten Person nicht berufen können, um von der Anwendung des in dieser Richtlinie klar, genau und unbedingt vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand abzuweichen.

2.      Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2013/48

ist dahin auszulegen, dass

der von einem analphabetischen Verdächtigen erklärte Verzicht auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand sich nicht mit den Anforderungen nach Art. 9 Abs. 1 vereinbaren lässt, wenn dieser Verdächtige nicht in einer Art und Weise, die seine besonderen Umstände angemessen berücksichtigt, über die möglichen Folgen eines solchen Verzichts belehrt wurde und wenn der Verzicht nicht gemäß dem nationalen Verfahrensrecht in einer Art und Weise schriftlich festgehalten wurde, die es ermöglicht, die Einhaltung dieser Anforderungen zu prüfen.

3.      Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2013/48

ist dahin auszulegen, dass

eine schutzbedürftige Person im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie, die auf das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand verzichtet, vor jeder weiteren Ermittlungsmaßnahme, in deren Verlauf die Abwesenheit eines Verteidigers angesichts der Intensität und Bedeutung der jeweiligen Ermittlungsmaßnahme die Interessen und Rechte dieser Person in besonderem Maß beeinträchtigen kann, über die Möglichkeit, diesen Verzicht zu widerrufen, belehrt werden muss.

4.      Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/48 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach einem Gericht, das die Beteiligung eines Beschuldigten an einer Straftat prüft, um über die Angemessenheit der gegen diesen Beschuldigten zu verhängenden Maßnahme zur Sicherung zu befinden, bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Haft dieses Beschuldigten die Möglichkeit genommen wird, zu beurteilen, ob Beweismittel unter Missachtung der Vorgaben dieser Richtlinie erlangt wurden, und solche Beweismittel gegebenenfalls auszuschließen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.


i      Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.