Language of document : ECLI:EU:C:2024:57

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

18. Januar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verkehr – Richtlinie 2006/126/EG – Art. 7 Abs. 1 und 3 – Führerschein – Ausstellung, Gültigkeit und Erneuerung – Körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen – Ärztliche Untersuchungen – Häufigkeit – Dokument, mit dem die psychologische Tauglichkeit von Fahrzeugführern bescheinigt wird“

In der Rechtssache C‑227/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Gabrovo (Verwaltungsgericht Gabrovo, Bulgarien) mit Entscheidung vom 22. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2022, in dem Verfahren

IL

gegen

Regionalna direktsia „Avtomobilna administratsia“ Pleven

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra, N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von IL, vertreten durch M. Hristov, Advokat,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova, S. Ruseva und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Messina, N. Nikolova und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. 2006, L 403, S. 18).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IL, einem bulgarischen Staatsangehörigen, und der Regionalna direktsia „Avtomobilna administratsia“ Pleven (Regionaldirektion Kraftfahrzeugverwaltung Pleven, Bulgarien) wegen einer Entscheidung, mit der gegen IL eine verwaltungsrechtliche Sanktion verhängt wurde, da er nicht in der Lage war, bei einer Verkehrskontrolle ein nach nationalem Recht vorgeschriebenes gültiges Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit vorzulegen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 8 und 9 der Richtlinie 2006/126 lauten:

„(8)      Aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit sollten die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden. Die Normen für die von den Fahrern abzulegenden Prüfungen und für die Erteilung der Fahrerlaubnis müssen harmonisiert werden. Zu diesem Zweck sollten die Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs festgelegt werden, die Fahrprüfung sollte auf diesen Konzepten beruhen, und die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen dieser Fahrzeuge sollten neu festgelegt werden.

(9)      Der Nachweis der Einhaltung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs durch Fahrer von Fahrzeugen zur Personen- oder Güterbeförderung sollte zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins und danach in regelmäßigen Abständen erbracht werden. Diese regelmäßige Überprüfung der Einhaltung der Mindestanforderungen gemäß den nationalen Vorschriften wird zur Verwirklichung der Freizügigkeit, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und zur besseren Berücksichtigung der besonderen Verantwortung der Fahrer dieser Fahrzeuge beitragen. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, ärztliche Untersuchungen vorzuschreiben, um die Einhaltung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen anderer Kraftfahrzeuge zu gewährleisten. Aus Gründen der Transparenz sollten diese Untersuchungen mit der Erneuerung des Führerscheins zusammenfallen und sich deshalb nach der Gültigkeitsdauer des Führerscheins richten.“

4        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten führen einen nationalen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem in Anhang I wiedergegebenen EG-Muster ein. Das Emblem auf Seite 1 des EG-Muster-Führerscheins enthält das Unterscheidungszeichen des ausstellenden Mitgliedstaats.“

5        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 bestimmt:

„Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.“

6        In Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„Der Führerschein nach Artikel 1 berechtigt zum Führen von Kraftfahrzeugen der nachstehend definierten Klassen. Er kann ab dem für die einzelnen Klassen angegebenen Mindestalter ausgestellt werden. …“

7        Art. 7 („Ausstellung, Gültigkeit und Erneuerung“) der Richtlinie 2006/126 sieht vor:

„(1)      Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

a)      eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen;

(2)

b)      Ab dem 19. Januar 2013 haben die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren.

(3)      Die Erneuerung eines Führerscheins bei Ablauf der Gültigkeitsdauer ist von Folgendem abhängig zu machen:

a)      von der anhaltenden Erfüllung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit für das Führen der betreffenden Fahrzeuge gemäß Anhang III für Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E; und

Die Mitgliedstaaten können die in Absatz 2 festgelegte Gültigkeitsdauer von Führerscheinen, die Fahranfängern ausgestellt werden, bei allen Klassen begrenzen, um auf diese Fahrzeugführer besondere, der Erhöhung der Verkehrssicherheit dienende Maßnahmen anzuwenden.

Die Mitgliedstaaten können die Gültigkeitsdauer des ersten Führerscheins für Fahranfänger der Klassen C und D auf drei Jahre begrenzen, um zur Erhöhung der Verkehrssicherheit dieser Fahrer besondere Maßnahmen durchführen zu können.

Die Mitgliedstaaten können die in Absatz 2 festgelegte Gültigkeitsdauer von Führerscheinen in Einzelfällen bei allen Klassen beschränken, falls sie häufigere ärztliche Kontrollen oder sonstige besondere Maßnahmen wie Beschränkungen nach Verkehrsverstößen für erforderlich halten.

…“

8        In Anhang II Titel I („Mindestanforderungen an die Fahrprüfungen“) der Richtlinie 2006/126 heißt es in Nr. 9:

„9.1.      Bei jeder der genannten Verkehrssituationen wird bewertet, wie vertraut der Bewerber im Umgang mit den verschiedenen Bedienvorrichtungen des Fahrzeugs ist; darüber hinaus muss er seine Fähigkeit nachweisen, im Straßenverkehr sicher ein Fahrzeug führen zu können. Der Prüfer muss sich während der gesamten Fahrprüfung sicher fühlen. …

Die Fahrprüfer müssen so ausgebildet werden, dass sie korrekt beurteilen können, ob der Bewerber in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen. …

9.2.      Fahrprüfer achten während ihrer Einschätzung besonders darauf, ob der Bewerber defensiv und rücksichtsvoll fährt. Dies sollte sich im gesamten Fahrstil widerspiegeln und der Fahrprüfer sollte dies auch bei der Gesamtbeurteilung des Bewerbers berücksichtigen. Dies schließt angepasstes und zielstrebiges (sicheres) Fahren ein, unter Berücksichtigung der Wetterlage und des Straßenzustandes, anderer Verkehrsteilnehmer und besonders unfallgefährdeter Personen; der Bewerber sollte auch vorausschauend fahren.

…“

9        Anhang III („Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs“) der Richtlinie 2006/126 bestimmt:

„Begriffsbestimmungen

1.      Für die Zwecke dieses Anhangs werden die Fahrzeugführer in zwei Gruppen eingeteilt:

1.2.      Gruppe 2:

Führer von Fahrzeugen der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E.

Ärztliche Untersuchungen

4.      Gruppe 2:

Vor der erstmaligen Erteilung einer Fahrerlaubnis müssen die Bewerber ärztlich untersucht werden; in der Folgezeit müssen sich die Inhaber einer Fahrerlaubnis entsprechend den innerstaatlichen Vorschriften in dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes bei jeder Erneuerung ihrer Fahrerlaubnis ärztlich untersuchen lassen.

5.      Bei der Erteilung oder bei jeder Erneuerung einer Fahrerlaubnis können die Mitgliedstaaten strengere als die in diesem Anhang genannten Auflagen vorschreiben.

Geistige Störungen

Gruppe 1:

13.1.      Bewerbern oder Fahrzeugführern, die

–        an angeborenen oder infolge von Krankheiten, Verletzungen oder neurochirurgischen Eingriffen erworbenen schweren geistigen Störungen,

–        an erheblichem Schwachsinn,

–        an schwerwiegenden Persönlichkeitsänderungen, bedingt durch pathologische Alterungsprozesse, oder an schweren persönlichkeitsbezogenen Störungen des Urteilsvermögens, des Verhaltens und der Anpassung

leiden, darf eine Fahrerlaubnis nur dann erteilt oder es darf ihre Fahrerlaubnis nur dann erneuert werden, wenn der Antrag durch ein entsprechendes Gutachten einer zuständigen ärztlichen Stelle unterstützt und, falls notwendig, regelmäßig eine ärztliche Kontrolle durchgeführt wird.

Gruppe 2:

13.2.      Die zuständige ärztliche Stelle muss die zusätzlichen Risiken und Gefahren besonders berücksichtigen, die mit dem Führen von Fahrzeugen dieser Gruppe verbunden sind.

…“

 Bulgarisches Recht

10      In Art. 51 Abs. 4 des Zakon za balgarskite lichni dokumenti (Gesetz über die bulgarischen Identitätsdokumente) heißt es:

„Die Gültigkeitsdauer von Führerscheinen der Klassen С, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E und Т beträgt fünf Jahre.“

11      In Art. 8 Abs. 1, 2 und 4 der Naredba no 36 za iziskvaniyata za psikhologicheska godnost i usloviyata i reda za provezhdane na psikhologicheskite izsledvaniya na kandidati za pridobivane na pravosposobnost za upravlenie na MPS, na vodachi na MPS i na predsedateli na izpitni komisii i za izdavane na udostovereniya za registratsiya za izvarshvane na psikhologicheski izsledvaniya (Verordnung Nr. 36 über die Anforderungen an die psychologische Tauglichkeit sowie die Voraussetzungen und das Verfahren für die Durchführung von psychologischen Untersuchungen bei Führerscheinbewerbern, Fahrzeugführern und Vorsitzenden von Fahrprüfungskommissionen sowie für die Ausstellung von Anmeldebescheinigungen über die Durchführung von psychologischen Untersuchungen) vom 15. Mai 2006 (im Folgenden: Verordnung Nr. 36/2006) heißt es:

„(1)      Ein Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit haben die jeweiligen Personen bei jeder Aufnahme einer Beschäftigung und bei der Ausführung von Tätigkeiten als Taxifahrer oder Fahrzeugführer im öffentlichen Personen- und Güterkraftverkehr sowie als Vorsitzende von Fahrprüfungskommissionen vorzulegen.

(2)      Das Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit gilt für [die Dauer von] drei Jahren ab dem Ausstellungsdatum.

(4)      Die unter Abs. 1 genannten Personen unterziehen sich alle drei Jahre ab dem Ausstellungsdatum des letzten Zeugnisses einer psychologischen Untersuchung.“

12      Art. 13 Abs. 1 der Naredba no 1-157 za usloviyata i reda za izdavane na svidetelstvo za upravlenie na motorni prevozni sredstva, otcheta na vodachite i tyahnata distsiplina (Verordnung Nr. 1-157 über die Voraussetzungen und das Verfahren der Ausstellung von Führerscheinen, das Register der Fahrzeugführer und deren Disziplin) vom 1. Oktober 2002 bestimmt:

„Die erstmalige Ausstellung eines Führerscheins erfolgt auf der Grundlage eines von Amts wegen durch die jeweilige Regionalabteilung der Darzhavna avtomobilna inspektsiya [(Staatliche Kraftfahrzeuginspektion, Bulgarien)] übermittelten Originalprotokolls über die bestandene Fahrprüfung; dabei hat die Person vorzulegen:

1.      ein Antragsformular nebst Anlagen gemäß dem Pravilnik za izdavane na balgarskite lichni dokumenti [(Ordnung für die Ausstellung der bulgarischen Identitätsdokumente)];

3.      einen vom Hausarzt, von den medizinischen Sachverständigenausschüssen der Verkehrsbezirke (TOLEK) oder vom Zentralen medizinischen Sachverständigenausschuss für den Verkehr (TTSLEK) ausgestellten Nachweis über die körperliche Tauglichkeit des Fahrzeugführers/Führerscheinbewerbers;

4.      eine Kopie des Zeugnisses über die psychologische Tauglichkeit für die Ausstellung eines Führerscheins der Klassen C1, С, D1, D und Ttm (Straßenbahnwagen);

5.      eine Kopie der Bescheinigung über den Abschluss eines Erste-Hilfe-Kurses bei Verkehrsunfällen für Fahrzeugführer;

6.      eine Erklärung [der Person], dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat und dass sie nicht im Besitz eines von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten gültigen Führerscheins ist;

…“

13      In Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1-157 vom 1. Oktober 2002 heißt es:

„Für die Erneuerung [des Führerscheins] gemäß Abs. 1 legen die Fahrzeugführer die in Art. 13 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 6 genannten Unterlagen sowie den alten Führerschein vor.“

14      Gemäß Art. 178c Abs. 5 des Zakon za Dvizhenieto po patishtata (Straßenverkehrsgesetz) wird mit einer Geldbuße in Höhe von 500 bulgarischen Leva (BGN) (etwa 255 Euro) bestraft, wer ohne gültiges Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit Taxifahrten auf eigene Rechnung oder öffentliche Personen- oder Güterbeförderungen durchführt.

15      Gemäß § 35 Nr. 3 der Dopalnitelnite rasporedbi na Zakona za ismenenie i dopalnenie na Zakona za dvizhenieto po patishtata (Zusatzbestimmungen zu dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Straßenverkehrsgesetzes) dient das Straßenverkehrsgesetz der Umsetzung der Anforderungen der Richtlinie 2006/126.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

16      IL ist Inhaber eines gültigen Führerscheins u. a. für Kraftfahrzeuge der Klassen С, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E und TCT. Sein Führerschein ist vom 28. November 2019 bis 28. November 2024 gültig.

17      Am 4. August 2021 nahmen die Kontrollbehörden eine Überprüfung vor, als IL ein Gespann bestehend aus einer Sattelzugmaschine mit einem daran angehängten Sattelauflieger im öffentlichen Güterverkehr lenkte. Bei der Überprüfung wurde festgestellt, dass er kein gültiges Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit vorlegen konnte. Sein letztes Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit war ihm am 7. Oktober 2017 ausgestellt worden und bis 7. Oktober 2020 gültig.

18      Die Kontrollbehörden stellten mit der Begründung, dass IL kein gültiges Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit vorgelegt habe, einen Bescheid über die Feststellung einer Ordnungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 36/2006 aus. Auf der Grundlage von Art. 178c Abs. 5 des Straßenverkehrsgesetzes erließ der Direktor der Regionaldirektion Kraftfahrzeugverwaltung Pleven am 24. August 2021 einen Bußgeldbescheid, mit dem er gegen IL wegen des festgestellten Verstoßes gegen den genannten Art. 8 Abs. 1 eine Geldbuße in Höhe von 500 BGN (etwa 255 Euro) verhängte.

19      IL focht diese Geldbuße beim Rayonen sad Sevlievo (Rayongericht Sevlievo, Bulgarien) an und begründete dies im Wesentlichen damit, dass Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 36/2006 und die Geldbuße nach Art. 178c Abs. 5 des Straßenverkehrsgesetzes im Widerspruch zu den Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 stünden.

20      Dieses Gericht entschied unter Berufung auf Anhang III Nr. 4 dieser Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat den Fahrzeugführern zusätzliche strengere Anforderungen im Hinblick auf die Häufigkeit der regelmäßigen Untersuchungen auferlegen könne, und bestätigte mit Urteil vom 10. Dezember 2021 den Bescheid vom 24. August 2021.

21      IL legte beim Administrativen sad – Gabrovo (Verwaltungsgericht Gabrovo, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde ein. Dieses Gericht hält die Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 für unklar und in gewissem Maße widersprüchlich.

22      Zum einen weist es darauf hin, dass nach dem neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie der Nachweis der Einhaltung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs durch Fahrer von Fahrzeugen zur Personen- und Güterbeförderung zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins und danach in regelmäßigen Abständen erbracht werden sollte. Es werde ausdrücklich empfohlen, dass die entsprechenden ärztlichen Untersuchungen mit der Erneuerung des Führerscheins zusammenfallen und sich deshalb nach der Gültigkeitsdauer des Führerscheins richten sollten. Zum anderen werde durch Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/126 für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, in ihren nationalen Vorschriften die von ihnen als angemessen erachteten Zeitabstände der ärztlichen Untersuchungen für Fahrzeugführer der Gruppe 2 (Klassen С, СЕ, C1, C1E, D, DE, D1, D1E) festzulegen, und diese Zeitabstände könnten von der Gültigkeitsdauer des Führerscheins abweichen.

23      Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2006/126 befugt sind, von den Fahrzeugführern der Gruppe 2 zu verlangen, dass sie sich in kürzeren Abständen als der Gültigkeitsdauer des Führerscheins ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer psychischen und geistigen Tauglichkeit unterziehen, und ein gesondertes Dokument neben dem Führerschein zu verlangen, mit dem diese Tauglichkeit bescheinigt wird, oder ob der Besitz eines gültigen Führerscheins dieser Klassen ausreicht, um diese Tauglichkeit zu bescheinigen, da diese Tauglichkeit bereits bei der Ausstellung bzw. der Erneuerung des Führerscheins festgestellt wurde.

24      Mit Beschluss vom 27. Mai 2022, der am 30. Mai 2022 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden ist, hat das vorlegende Gericht beschlossen, sein Vorabentscheidungsersuchen um den Hinweis zu ergänzen, dass vor ihm auch die Frage aufgeworfen worden sei, ob die Sanktion, die in den bulgarischen Rechtsvorschriften für einen Fahrzeugführer vorgesehen sei, dessen Führerschein der Klassen C, CE, Cl, C1E, D, DE, D1, D1E und TCT gültig sei, der jedoch den Kontrollbehörden kein Zeugnis über die psychologische Tauglichkeit vorlegen könne, da dieses abgelaufen sei, im Widerspruch zu dem in der Richtlinie 2006/126 vorgesehenen zeitlichen Gleichlauf der Gültigkeitsdauer von Führerscheinen und von ärztlichen Untersuchungen der körperlichen und geistigen Tauglichkeit stehe oder ob die Anwendung der nationalen Vorschriften durch die Sanktionsbehörde zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht führe.

25      Unter diesen Umständen hat der Administrativen sad – Gabrovo (Verwaltungsgericht Gabrovo) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Geben die Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, von Führern von Fahrzeugen der Klassen С, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E zu verlangen, dass sie sich in kürzeren Abständen als der Gültigkeitsdauer des Führerscheins einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung ihrer psychischen und geistigen Tauglichkeit unterziehen, und in diesem Zusammenhang ein gesondertes Dokument (neben dem Führerschein) zu verlangen, mit dem ihre Tauglichkeit bescheinigt wird? Oder bescheinigt der Besitz eines gültigen Führerscheins der genannten Klassen auch die psychische und geistige Tauglichkeit des Fahrzeugführers, da diese Tauglichkeit bereits bei der Erstausstellung bzw. der Erneuerung des Führerscheins festgestellt wurde?

2.      Erlauben Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sowie die Erwägungsgründe 8 und 9 dieser Richtlinie eine nationale Regelung wie die im vorliegenden Verfahren in Rede stehende, die – über die Mindestanforderungen an die Führerscheinprüfung (Anhang II der Richtlinie 2006/126) und die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit (Anhang III der Richtlinie 2006/126) hinaus – zusätzliche Voraussetzungen vorsieht, die auf die Feststellung der psychologischen Tauglichkeit von Fahrern von Fahrzeugen zur Personen- und Güterbeförderung abzielen?

3.      Wenn die zweite Frage bejaht wird: Unterliegen diese Anforderungen der von der Richtlinie 2006/126 – und insbesondere dem neunten Erwägungsgrund, Satz 4, sowie Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2006/126 – vorgesehenen Regelung über die Synchronisierung der administrativen Gültigkeitsdauer von Führerscheinen und medizinischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Anwendung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit?

 Zu den Vorlagefragen

26      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat Inhabern eines im Einklang mit dieser Richtlinie ausgestellten Führerscheins der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E, deren körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen bei der Ausstellung dieses Führerscheins geprüft wurde und die den Beruf des Fahrers von Kraftfahrzeugen zur Personen- oder Güterbeförderung ausüben möchten, auferlegt, zusätzlich zu ihrem Führerschein im Besitz einer Bescheinigung ihrer psychologischen Tauglichkeit zu sein, deren Gültigkeitsdauer kürzer als die des Führerscheins ist.

27      Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2006/126, wie sich aus ihrem achten Erwägungsgrund ergibt, eine Harmonisierung der Mindestanforderungen an die Ausstellung des in ihrem Art. 1 vorgesehenen Führerscheins vornimmt. Diese Voraussetzungen sind insbesondere in den Art. 4 und 7 der Richtlinie enthalten und betreffen u. a. das erforderliche Mindestalter, die Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs, die Prüfungen, die der Bewerber bestanden haben muss, und seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats. Diese Harmonisierung der Voraussetzungen für den Erwerb des Führerscheins soll u. a. die Vorbedingungen schaffen, die für eine gegenseitige Anerkennung des Führerscheins erforderlich sind, und verfolgt auch das Ziel, zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit beizutragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2017, I, C‑195/16, EU:C:2017:815, Rn. 43, 44 und 51).

28      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126 darf ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden, die eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit nach Maßgabe der Bestimmungen der Anhänge II und III der Richtlinie erfüllen. Zudem verlangt Art. 7 Abs. 3 Buchst. a dieser Richtlinie, dass die Erneuerung eines Führerscheins bei Inhabern von Führerscheinen für Fahrzeuge der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E von der Erfüllung dieser Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit abhängig zu machen ist.

29      Daher ergibt sich aus der Anwendung dieser Vorschriften der Richtlinie 2006/126, dass die geistige Tauglichkeit der Inhaber von Führerscheinen für Fahrzeuge der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E, einschließlich von Personen, die als Berufskraftfahrer arbeiten, bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung und der Erneuerung dieser Führerscheine u. a. im Hinblick auf das Erfordernis der Straßenverkehrssicherheit bewertet und bescheinigt wurde.

30      In diesem Zusammenhang ist hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen zum einen darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat gemäß Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/126 für jede Ausstellung eines Führerscheins oder dessen Erneuerung eine strengere als die in diesem Anhang beschriebenen ärztlichen Untersuchungen verlangen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2012, Akyüz, C‑467/10, EU:C:2012:112, Rn. 54).

31      Was Fahrzeugführer der Gruppe 2, d. h. Führer von Fahrzeugen der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E wie IL anbelangt, erlaubt zum anderen Anhang III Nr. 13.2 der Richtlinie den zuständigen ärztlichen Stellen der Mitgliedstaaten, die zusätzlichen Risiken und Gefahren zu berücksichtigen, die mit dem Führen von Fahrzeugen dieser Gruppe verbunden sind. Daher können die Mitgliedstaaten, wenn sie die ärztlichen Untersuchungen festlegen, denen sich diese Fahrzeugführer der Gruppe 2 unterziehen müssen, für die Fahrzeugführer dieser Gruppe strengere Anforderungen einführen als für die Fahrzeugführer der Gruppe 1, um mögliche „geistige Störungen“ im Sinne von Anhang III Nr. 13.2 der Richtlinie 2006/126 aufzudecken.

32      Des Weiteren listet die Richtlinie 2006/126 in den Nrn. 13.1 und 13.2 ihres Anhangs III die zu berücksichtigenden geistigen Störungen auf. Bei diesen bezieht sich Nr. 13.1 auf „infolge von … Verletzungen … erworbene schwere geistige Störungen“, wobei der Begriff „Verletzungen“ u. a. eine Reihe von zufällig durch ein äußeres Ereignis hervorgerufenen psychischen Beeinträchtigungen erfassen kann. In dieser Bestimmung werden auch die „schweren persönlichkeitsbezogenen Störungen des Urteilsvermögens, des Verhaltens und der Anpassung“ genannt.

33      Hierzu hat die bulgarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung bezwecke, im Hinblick auf beruflich relevante psychologische Eigenschaften festzustellen, dass die psychologische Tauglichkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen ohne eine Gefahr der Verursachung von Verkehrsunfällen bestehe. So könne nach der in dieser Regelung vorgesehenen Begutachtung der psychologischen Tauglichkeit u. a. eine Prognose des künftigen Verhaltens der betreffenden Person im Straßenverkehr und der Gefahr, im Straßenverkehr Unfälle zu verursachen, gestellt werden, und zwar auf Grundlage rein psychologischer und nicht medizinischer Kriterien.

34      Sollte das vorlegende Gericht bestätigen, dass sich der von dieser Regelung vorgesehene Test der psychologischen Tauglichkeit in Umfang und Zielsetzung von der in der Richtlinie 2006/126 vorgesehenen Prüfung der geistigen Tauglichkeit unterscheidet, wäre ein psychologischer Test, der nicht auf die Anforderungen dieser Richtlinie gestützt ist und damit keine ärztliche Untersuchung im Sinne von deren Anhang III darstellt, unter diesen Umständen als unionsrechtswidrig anzusehen. Er würde das ordnungsgemäße Funktionieren des mit der Richtlinie eingeführten Systems in Frage stellen, mit der ermöglicht werden soll, Personen, die die darin genannten Voraussetzungen erfüllen, die für das Führen von Fahrzeugen der betreffenden Klasse erforderliche Tauglichkeit zu bescheinigen. Berufskraftfahrer müssen nämlich, wie sich den Erklärungen der bulgarischen Regierung entnehmen lässt, zwingend über einen gültigen Führerschein verfügen, was voraussetzt, dass sie die Normen im Bereich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit, wie sie im Anhang III der Richtlinie 2006/126 vorgesehen sind, und die in Anhang II dieser Richtlinie aufgeführten Normen in Bezug auf Fähigkeiten und Verhaltensweisen beim Führen eines Kraftfahrzeugs erfüllen. Diese Normen verlangen aber eine Gesamtbeurteilung des Profils des Bewerbers bezogen u. a. auf sein Verhalten und seine Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen.

35      Sollte das vorlegende Gericht hingegen davon ausgehen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Test der psychologischen Tauglichkeit darauf abzielt, sich in den in den Rn. 30 und 31 des vorliegenden Urteils angesprochenen Spielraum der Mitgliedstaaten für strengere ärztliche Untersuchungen einzufügen, ist darauf zu verweisen, dass eine Mindestharmonisierung die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung nicht daran hindert, zwingende Maßnahmen beizubehalten oder zu erlassen, vorausgesetzt jedoch, dass diese nicht geeignet sind, die Erreichung des von der Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisses ernstlich in Frage zu stellen, und dass sie im Einklang mit dem AEU-Vertrag stehen. Hierzu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass solche Maßnahmen trotz ihrer beschränkenden Wirkung gerechtfertigt sein können, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhen und wenn sie geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich ist (Urteil vom 7. Juli 2016, Muladi, C‑447/15, EU:C:2016:533, Rn. 43 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich allerdings, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht insoweit vorzunehmenden Prüfungen, nicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung darauf abzielt, den zusätzlichen besonderen Risiken und Gefahren für die Straßenverkehrssicherheit zu begegnen, die mit der von den Fahrern der Gruppe 2 verlangten geistigen Tauglichkeit verbunden sind. Den Erklärungen der bulgarischen Regierung lässt sich nämlich nicht von vornherein entnehmen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Test der psychologischen Tauglichkeit darauf gerichtet ist, etwaige geistige Störungen wie die in den Nrn. 13.1 und 13.2 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126 aufgeführten, die die Straßenverkehrssicherheit beeinträchtigen könnten, für diese Gruppe von Fahrzeugführern mit höherer Genauigkeit oder Gründlichkeit aufzudecken. Folglich geht diese Regelung offensichtlich über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Straßenverkehrssicherheit erforderlich ist, und kann mit der Anforderung, dass die Fahrzeugführer zusätzlich zu einem gültigen Führerschein im Besitz einer Bescheinigung über die psychologische Tauglichkeit sein müssen, die Erreichung des von der Richtlinie 2006/126 vorgeschriebenen Ergebnisses ernstlich in Frage stellen.

37      Unter diesem Umständen würde es nämlich eine unzulässige zusätzliche Belastung darstellen, von den Inhabern eines gültigen Führerscheins zu verlangen, zusätzlich im Besitz einer solchen gesonderten Bescheinigung über die psychologische Tauglichkeit zu sein, da der von einem Mitgliedstaat gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 ausgestellte Führerschein als Beweis dafür anzusehen ist, dass ein Inhaber die von dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für die Ausstellung am Tag ebendieser Ausstellung des Führerscheins erfüllte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 2012, Hofmann, C‑419/10, EU:C:2012:240, Rn. 46, und vom 29. April 2021, Stadt Karlsruhe [Anerkennung eines erneuerten Führerscheins], C‑47/20, EU:C:2021:332, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), und daher den erforderlichen Beweiswert besitzt, um die geistige Tauglichkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs der betreffenden Klasse zu bescheinigen.

38      Die Richtlinie 2006/126 schreibt zwar nur eine Mindestharmonisierung der nationalen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins vor, nimmt jedoch eine umfassende Harmonisierung in Bezug auf die Dokumente vor, die das Bestehen einer Fahrerlaubnis nachweisen und von den Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie anzuerkennen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Oktober 2017, I, C‑195/16, EU:C:2017:815, Rn. 57, und vom 29. April 2021, Stadt Pforzheim [Vermerke auf dem Führerschein], C‑56/20, EU:C:2021:333, Rn. 42). Ein Nebeneinander des gemäß der Richtlinie 2006/126 ausgestellten Führerscheins und jeglichen anderen nationalen Dokuments, das im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt, ist, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, daher ausgeschlossen.

39      Die Mitgliedstaaten sind auch nicht befugt, einen Nachweis der geistigen Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen in kürzeren Abständen als der Gültigkeitsdauer eines Führerscheins zu verlangen.

40      Erstens haben nämlich nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/126 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, und die Erneuerung des Führerscheins ist gemäß Art. 7 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie von der Erfüllung der in Anhang III der Richtlinie für Inhaber der Führerscheine dieser Klassen aufgeführten Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit abhängig zu machen.

41      Zweitens trifft es zwar zu, dass es zum einen in Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/126 in der französischen Sprachfassung heißt: „Les candidats doivent faire l’objet d’un examen médical avant la délivrance initiale d’un permis et, par la suite, les conducteurs sont contrôlés conformément au système national en vigueur dans l’État membre de résidence normale où a lieu le renouvellement de leur permis de conduire [(Vor der erstmaligen Erteilung einer Fahrerlaubnis müssen die Bewerber ärztlich untersucht werden; in der Folgezeit müssen sich die Inhaber einer Fahrerlaubnis entsprechend den innerstaatlichen Vorschriften in dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes, in dem die Erneuerung ihrer Fahrerlaubnis erfolgt, ärztlich untersuchen lassen)]“, und zum anderen dieser letzte Teilsatz in der bulgarischen Sprachfassung fehlt. Die Heranziehung verschiedener Sprachfassungen der Bestimmung lässt allerdings, wie sich aus den Nrn. 49 und 50 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, den Schluss zu, dass die in Rede stehende Untersuchung bei der Erneuerung des Führerscheins vorzunehmen ist.

42      Aus dem Umstand, dass die bulgarische und die französische Sprachfassung von Anhang III Nr. 4 der Richtlinie 2006/126 nicht vollständig den übrigen Sprachfassungen der Richtlinie 2006/126 entsprechen, lässt sich keine andere Auslegung dieser Bestimmung ableiten.

43      Nach ständiger Rechtsprechung schließt es die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung und damit Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nämlich aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten; sie gebietet vielmehr, die Vorschrift nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von ihm verfolgten Zweck namentlich im Licht ihrer Fassungen in allen Sprachen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, EU:C:1969:57, Rn. 2 und 3, vom 12. Dezember 2013, X, C‑486/12, EU:C:2013:836, Rn. 19, und vom 15. Mai 2014, Timmel, C‑359/12, EU:C:2014:325, Rn. 63).

44      Aus den übrigen Sprachfassungen der Richtlinie 2006/126 ergibt sich nun aber eindeutig, dass der Unionsgesetzgeber einen Gleichlauf der ärztlichen Untersuchungen mit der Erneuerung des Führerscheins erreichen wollte, ohne dass in den in Rede stehenden Bestimmungen eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten angesprochen wird, kürzere Zeitabstände zwischen den ärztlichen Untersuchungen für Fahrzeugführer der Gruppe 2 vorzusehen. Wie das vorlegende Gericht aufgeführt hat, stützt der vierte Satz des neunten Erwägungsgrundes der Richtlinie diese Auslegung, da es dort ausdrücklich heißt, dass diese Untersuchungen mit der Erneuerung des Führerscheins zusammenfallen und sich deshalb nach der Gültigkeitsdauer des Führerscheins richten sollten.

45      Zudem gestattet Art. 7 Abs. 3 Unterabs. 5 der Richtlinie 2006/126 den Mitgliedstaaten zwar ausnahmsweise, die Gültigkeitsdauer von Führerscheinen in Einzelfällen bei allen Klassen zu beschränken, „falls sie häufigere ärztliche Kontrollen für erforderlich halten“, um die Straßenverkehrssicherheit zu gewährleisten. Diese Vorschrift bestätigt aber den Umstand, dass die ärztlichen Untersuchungen mit einer Erneuerung des Führerscheins zusammenfallen, und damit, dass ihre Zeitabstände durch die Gültigkeitsdauer des Führerscheins bestimmt werden müssen.

46      Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht, wie von der Europäischen Kommission geltend gemacht, zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt bereits eine Regelung im Bereich der Anerkennung beruflicher Qualifikationen enthielt, um den Sicherheitsanforderungen im Zusammenhang mit dem Güter- und Personenverkehr Rechnung zu tragen, nämlich die Richtlinie 2003/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 über die Grundqualifikation und Weiterbildung der Fahrer bestimmter Kraftfahrzeuge für den Güter- oder Personenkraftverkehr und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates und der Richtlinie 91/439/EWG des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 76/914/EWG des Rates (ABl. 2003, L 226, S. 4), die keine besonderen oder über die von der Richtlinie 2006/126 aufgestellten hinausgehende Anforderungen an die Beurteilung der geistigen Tauglichkeit von Berufskraftfahrern enthält.

47      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat Inhabern eines im Einklang mit dieser Richtlinie ausgestellten Führerscheins der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E, deren körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen bei der Ausstellung dieses Führerscheins geprüft wurde und die den Beruf des Fahrers von Kraftfahrzeugen zur Personen- oder Güterbeförderung ausüben möchten, auferlegt, zusätzlich zu ihrem Führerschein im Besitz einer Bescheinigung ihrer psychologischen Tauglichkeit zu sein, deren Gültigkeitsdauer kürzer als die des Führerscheins ist.

 Kosten

48      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 7 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein

ist dahin auszulegen, dass

er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat Inhabern eines im Einklang mit dieser Richtlinie ausgestellten Führerscheins der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1 und D1E, deren körperliche und geistige Tauglichkeit zum Führen von Fahrzeugen bei der Ausstellung dieses Führerscheins geprüft wurde und die den Beruf des Fahrers von Kraftfahrzeugen zur Personen- oder Güterbeförderung ausüben möchten, auferlegt, zusätzlich zu ihrem Führerschein im Besitz einer Bescheinigung ihrer psychologischen Tauglichkeit zu sein, deren Gültigkeitsdauer kürzer als die des Führerscheins ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.