Language of document : ECLI:EU:C:2009:322

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 19. Mai 2009(1)

Verbundene Rechtssachen C‑261/08 und C‑348/08

María Julia Zurita García

gegen

Delegación del Gobierno en Murcia

und

Aurelio Choque Cabrera

gegen

Delegación del Gobierno en Murcia

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Murcia, Spanien)

„Schengen‑Besitzstand – Verordnung (EG) Nr. 562/2006 – Schengener Grenzkodex – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Aufenthaltsrecht – Ausweisung – Ersetzung durch eine Geldstrafe“





I –    Einleitung

1.        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen Regelungen des Gemeinschaftsrechts über die Ausweisung von Drittstaatsangehörigen, welche die Voraussetzungen eines Aufenthalts nicht oder nicht mehr erfüllen. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts verlangt das spanische Recht nicht zwingend die Ausweisung solcher Personen, sondern erlaubt es, ihnen lediglich eine Geldstrafe aufzuerlegen. Das vorlegende Gericht bezweifelt, dass diese Rechtslage mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Es fragt insbesondere nach der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen(2) (Schengener Grenzkodex). Darüber hinaus ist Art. 23 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen(3) (SDÜ)(4) von Bedeutung.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Der Schengener Grenzkodex

2.        Rechtsgrundlage des Schengener Grenzkodex ist Art. 62 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst a EG:

„Der Rat beschließt nach dem Verfahren des Artikels 67 innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam

1.      Maßnahmen, die nach Artikel 14 sicherstellen, dass Personen, seien es Bürger der Union oder Staatsangehörige dritter Länder, beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden;

2.      Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen der Mitgliedstaaten, mit denen Folgendes festgelegt wird:

a)       Normen und Verfahren, die von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Personenkontrollen an diesen Grenzen einzuhalten sind;

b)       …“

3.        Der Schengener Grenzkodex trat nach seinem Art. 40 Abs. 1 am 13. Oktober 2006 in Kraft.

4.        Art. 1 definiert den Gegenstand des Grenzkodex:

„Diese Verordnung sieht vor, dass keine Grenzkontrollen in Bezug auf Personen stattfinden, die die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union überschreiten.

Sie legt Regeln für die Grenzkontrollen in Bezug auf Personen fest, die die Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union überschreiten.“

5.        Art. 5 regelt die Voraussetzungen einer Einreise. Drei Ausnahmen von diesen Voraussetzungen sind in Abs. 4 niedergelegt, insbesondere für den Fall humanitärer Gründe (Buchst. c).

6.        Art. 11 enthält eine gesetzliche Vermutung der Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer bei fehlendem Einreisestempel sowie Regelungen über die Widerlegung dieser Vermutung und eine eventuelle Ausweisung, falls die Vermutung nicht widerlegt wird:

„Artikel 11

Annahme hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer

(1) Ist das Reisedokument eines Drittstaatsangehörigen nicht mit dem Einreisestempel versehen, so können die zuständigen nationalen Behörden annehmen, dass der Inhaber des Reisedokuments die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Voraussetzungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer nicht oder nicht mehr erfüllt.

(2) Die Annahme nach Absatz 1 kann von einem Drittstaatsangehörigen durch jedweden glaubhaften Nachweis widerlegt werden, …

(3) Wird die Annahme nach Absatz 1 nicht widerlegt, so können die zuständigen Behörden den Drittstaatsangehörigen aus dem Hoheitsgebiet der betreffenden Mitgliedstaaten ausweisen.“

7.        Art. 13 Abs. 1 sieht vor, einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Grenzkodex erfüllt, die Einreise zu verweigern. Die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte bleibt davon unberührt.

B –    Das SDÜ

8.        Auch Art. 23 SDÜ enthält Regelungen über den Umgang mit Drittausländern, die die Voraussetzungen eines kurzen Aufenthalts nicht oder nicht mehr erfüllen:

„(1)      Der Drittausländer, der die im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien geltenden Voraussetzungen für einen kurzen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt, hat grundsätzlich unverzüglich das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu verlassen.

(2)      Verfügt der Drittausländer über eine von einer anderen Vertragspartei ausgestellte gültige Aufenthaltserlaubnis oder über einen von einer anderen Vertragspartei ausgestellten vorläufigen Aufenthaltstitel, so hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieser Vertragspartei zu begeben.

(3)       Soweit die freiwillige Ausreise eines solchen Drittausländers nicht erfolgt oder angenommen werden kann, dass diese Ausreise nicht erfolgen wird, oder soweit die sofortige Ausreise des Drittausländers aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung geboten ist, muss der Drittausländer nach Maßgabe des nationalen Rechts aus dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei abgeschoben werden, in dem er aufgegriffen wurde. Ist die Abschiebung nach nationalem Recht nicht zulässig, so kann die betroffene Vertragspartei dem Drittausländer den Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet gestatten.

(4)      Der betroffene Drittausländer kann in seinen Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat, in dem seine Zulassung insbesondere nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der zwischen den Vertragsparteien geschlossenen Rückübernahmeabkommen möglich ist, abgeschoben werden.

(5)      Die nationalen asylrechtlichen Bestimmungen, die Bestimmungen der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 über den Flüchtlingsstatus in der Fassung des Protokolls von New York vom 31. Januar 1967, sowie Abs. 2 dieses Artikels und Art. 33 Abs. 1 dieses Übereinkommens bleiben von den Bestimmungen des Abs. 4 unberührt.“

9.        Der Beschluss 1999/436/EG des Rates vom 20. Mai 1999 zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union(5) stellt fest, dass Art. 62 Abs. 3 EG Rechtsgrundlage von Art. 23 SDÜ ist.

10.      Aufgrund des Beschlusses 2007/801/EG des Rates(6) gilt der Schengenbesitzstand seit dem 21. Dezember 2007 auch für die 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Zyperns.

11.      Art. 23 SDÜ wurde jüngst durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger(7) ersetzt. Darin werden die Ausweisung und die Abschiebung von Drittstaatsangehörigen sehr viel detaillierter geregelt als durch das bisherige Gemeinschaftsrecht.

C –    Spanisches Recht

12.      Das vorlegende Gericht stellt die spanische Rechtslage wie folgt dar.

13.      Nach Art. 53a der Ley Orgánica 4/2000 in der Fassung der Ley Orgánica 8/2000 begeht einen schweren Verstoß,

„wer sich auf spanischem Hoheitsgebiet dadurch illegal aufhält, dass er nicht über eine Aufenthaltsverlängerung, eine Aufenthaltserlaubnis oder entsprechende Dokumente verfügt, die er benötigt, oder dass diese seit mehr als drei Monaten abgelaufen sind, ohne dass er deren Verlängerung innerhalb der vorgeschriebenen Frist beantragt hat“.

14.      Das genannte Verhalten wird mit einer Geldstrafe geahndet, die nach Art. 57 des gleichen Gesetzes durch eine Ausweisung ersetzt werden kann:

„Handelt es sich bei den Zuwiderhandelnden um Ausländer, deren Verhalten vom Gesetz als sehr schwerer Verstoß oder als schwerer Verstoß im Sinne von Art. 53 Buchst. a, b, c, d oder f dieser Ley Orgánica eingestuft wird, so kann nach Abschluss des entsprechenden Verwaltungsverfahrens anstelle der Geldstrafe die Ausweisung aus dem spanischen Hoheitsgebiet verfügt werden.“

15.      Art. 57 Abs. 3 dieses Gesetzes bestimmt allerdings Folgendes:

„Die Strafe der Ausweisung und die Geldstrafe dürfen keinesfalls zusammen verhängt werden.“

III – Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

16.      Julia Zurita García und Aurelio Choque Cabrera sind bolivianische Staatsangehörige. Bei Kontrollen wurde festgestellt, dass sie sich in Spanien aufhielten, obwohl sie die Aufenthaltsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllten.

17.      Frau Zurita García wurde am 26. September 2006 kontrolliert. Daraufhin wies sie der Delegado del Gobierno en la Región de Murcia (Regierungsvertreter in der Region Murcia) am 15. November 2006 aus dem spanischen Hoheitsgebiet aus und verbat ihr die Einreise in den Schengen-Raum für die Dauer von fünf Jahren. Nachdem Herr Choque Cabrera am 14. Mai 2007 kontrolliert worden war, erließ der Regierungsvertreter in der Region Murcia gegen ihn am 30. Juli 2007 die gleiche Entscheidung wie gegen Frau Zurita García.

18.      Die gegen diese Bescheide gerichteten Klagen wurden in erster Instanz zurückgewiesen. Nunmehr sind Rechtsmittel zu dem in letzter Instanz entscheidenden Tribunal Superior de Justicia de Murcia anhängig.

19.      Nach seinen Angaben wurde die Ausweisung im jüngeren spanischen Recht als Sanktion definiert, die an die Stelle einer Geldstrafe treten kann. Gegenüber Drittausländern sei daher grundsätzlich eine Geldstrafe zu verhängen, wenn sie angetroffen werden, ohne die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in Spanien zu erfüllen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit könnten diese Personen nur bei erschwerenden Umständen ausgewiesen werden.

20.      Das vorlegende Gericht neigt jedoch zu der Auffassung, dass gemäß der Gemeinschaftsregelung Drittstaatsangehörige, die sich in der Europäischen Union aufhalten, ohne die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen, das Gebiet verlassen müssen, sei es nach einer Einreiseverweigerung oder im Wege der Ausweisung. Es hat dem Gerichtshof daher in beiden Verfahren die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Vorschriften des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere sein Art. 62 Nrn. 1 und 2 Buchst. a, und die Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), namentlich ihre Art. 5, 11 und 13, dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der spanischen Regelung und ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung entgegenstehen, wonach die Ausweisung eines „Drittstaatsangehörigen“, der sich in der Europäischen Union ohne ein zur Einreise und/oder zum Aufenthalt berechtigendes Dokument aufhält, durch die Verhängung einer Geldstrafe ersetzt werden kann?

21.      An den schriftlichen Verfahren haben sich Herr Choque Cabrera, das Königreich Spanien, die Republik Italien, die Republik Österreich und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beteiligt. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt. Mit Beschluss des Präsidenten der Dritten Kammer vom 27. März 2009 wurden beide Rechtssachen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

IV – Rechtliche Würdigung

22.      Das vorlegende Gericht möchte erfahren, ob Art. 5, 11 und 13 des Schengener Grenzkodex innerstaatlichen Regelungen entgegenstehen, die es zulassen, die Ausweisung von Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen eines Aufenthalts nicht oder nicht mehr erfüllen, durch eine Geldstrafe zu ersetzen.

A –    Zulässigkeit und Auslegung der Vorabentscheidungsersuchen

23.      Da der Grenzkodex auf Art. 62 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EG gestützt wurde, können gemäß Art. 68 Abs. 1 EG nur letztinstanzliche Gerichte ein ihn betreffendes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten.

24.      Das Tribunal Superior de Justicia de Murcia ist in den Ausgangsfällen Rechtsmittelgericht. Soweit ersichtlich, sind keine weiteren Rechtsmittel gegeben, die seine Entscheidung über die Ausgangsfälle berühren könnten. Somit ist das vorlegende Gericht zur Vorlage berechtigt.

25.      Spanien hält das Ersuchen in der Sache Zurita García jedoch für unzulässig, da es hypothetisch sei. Der Grenzkodex sei wegen des Rückwirkungsverbots auf diesen Fall zeitlich nicht anwendbar. Frau Zurita García wurde nämlich vor Beginn der Anwendbarkeit des Grenzkodex kontrolliert. Da auch das vorlegende Gericht die zeitliche Anwendbarkeit des Grenzkodex bezweifelt, hat es die Sache Choque Cabrera vorgelegt, die von diesen Zweifeln nicht betroffen ist.

26.      Es trifft zu, dass ein offensichtlich hypothetisches Ersuchen unzulässig ist.(8) Trotzdem halte ich es weder für geboten, das Ersuchen in der Sache Zurita García als unzulässig zurückzuweisen, noch für notwendig, die zeitliche Anwendbarkeit des Grenzkodex in diesem Fall zu untersuchen.

27.      Wie ich nachfolgend näher darlegen werde, ist für die vorliegenden Fälle nicht der Grenzkodex insgesamt, sondern vor allem sein Art. 11 von Interesse. Eine mit dieser Regelung identische Bestimmung, nämlich Art. 6b SDÜ, galt aber bereits seit dem 1. Januar 2005(9) und wurde durch Art. 11 des Grenzkodex ersetzt. Es ist somit davon auszugehen, dass im Ausgangsfall der Rechtssache Zurita García Art. 6b SDÜ galt, falls Art. 11 des Grenzkodex nicht anwendbar gewesen sein sollte.

28.      Daher sollte der Gerichtshof, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, auch auf Art. 6b SDÜ eingehen, obwohl diese Bestimmung in der Frage nicht angeführt wird.(10)

29.      Italien und die Kommission stellen darüber hinaus zu Recht fest, dass das Vorabentscheidungsersuchen keine Angaben enthält, die es ermöglichen würden, mit Sicherheit festzustellen, ob der Grenzkodex tatsächlich anwendbar ist. Es ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die von Österreich und der Kommission diskutierte allgemeine Regelung des Art. 23 SDÜ einschlägig ist. Daher sollte der Gerichtshof seine Prüfung auch auf diese Bestimmung erstrecken.

30.      Dagegen ist der im Vorabentscheidungsersuchen genannte Art. 62 Nrn. 1 und 2 Buchst. a EG für die Beantwortung der Frage nicht unmittelbar von Belang, da es sich um eine Rechtsgrundlage handelt. Sie enthält als solche keine eigenständigen Rechte und Pflichten von Drittausländern.

31.      So verstanden richten sich die Vorabentscheidungsersuchen darauf, ob Art. 5, 11 und 13 des Grenzkodex und/oder Art. 6b und 23 SDÜ innerstaatlichen Regelungen entgegenstehen, die es zulassen, die Ausweisung von Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen eines Aufenthalts nicht oder nicht mehr erfüllen, durch eine Geldstrafe zu ersetzen.

B –    Beantwortung der Vorabentscheidungsersuchen

1.      Art. 5 und Art. 13 des Grenzkodex

32.      Im Prinzip hat der Grenzkodex nicht den Umgang mit Drittausländern zum Gegenstand, die sich bereits im Schengen-Raum aufhalten, wenn Zweifel an ihrer Aufenthaltsberechtigung aufkommen. Dies gilt insbesondere für Art. 5 und 13.

33.      Nach Art. 3 gilt der Grenzkodex nämlich für Personen, die die Außengrenzen oder die Binnengrenzen überschreiten. Er hat vor allem die Kontrolle der Außengrenzen und den grundsätzlichen Wegfall von Kontrollen an den Binnengrenzen zum Gegenstand.

34.      Dies entspricht den angegebenen Rechtsgrundlagen: Art. 62 Nr. 1 EG ermöglicht Maßnahmen, die gemäß Art. 14 EG sicherstellen, dass Personen, seien es Bürger der Union oder Staatsangehörige dritter Länder, beim Überschreiten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Art. 62 Nr. 2 Buchst. a ermächtigt zum Erlass von Maßnahmen bezüglich des Überschreitens der Außengrenzen der Mitgliedstaaten, mit denen Normen und Verfahren festgelegt werden, die von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Personenkontrollen an diesen Grenzen einzuhalten sind.

35.      In diesem Zusammenhang regelt Art. 5 die Voraussetzungen der Einreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum und Art. 13 die Einreiseverweigerung, wenn der Drittstaatsangehörige nicht alle Voraussetzungen erfüllt.

36.      Die Ausgangsfälle sind jedoch anders gelagert, da die Betroffenen nach Angaben des vorlegenden Gerichts nicht bei der Einreise abgewiesen wurden, sondern wegen illegalen Aufenthalts auf spanischem Hoheitsgebiet verfolgt werden. Hintergrund ist vermutlich, dass bolivianische Staatsangehörige bis zum 1. April 2007 ohne Visum in den Schengenraum einreisen durften, um sich dort bis zu drei Monate aufzuhalten.(11) Möglicherweise hatten Frau Zurita García und Herr Choque Cabrera diese Frist überschritten.

2.      Art. 11 des Grenzkodex und Art. 6b SDÜ

37.      Dass die Ausgangsfälle nicht unmittelbar auf dem Grenzübertritt beruhen, schließt es allerdings nicht aus, den Grenzkodex anzuwenden. Er enthält nämlich Regelungen, die an den Grenzübertritt anknüpfen, aber den Aufenthalt betreffen.(12)

38.      Art. 11 des Grenzkodex hat insofern einen Bezug zum Grenzübertritt, als er auf den Einreisestempel abstellt. Nach Art. 10 versehen die Grenzschutzbeamten die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen beim Überschreiten der Außengrenzen grundsätzlich mit einem Stempel. Anhand der Abstempelung des Reisedokuments lassen sich mit Sicherheit das Datum und der Ort des Grenzübertritts feststellen.(13) Somit ergibt sich aus dem Einreisestempel, ob Drittstaatsangehörige die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten haben.

39.      Darauf aufbauend begründet Art. 11 Abs. 1 des Grenzkodex die widerlegbare Annahme, dass Drittstaatsangehörige die Voraussetzungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer nicht oder nicht mehr erfüllen, wenn ihre Reisedokumente keinen Einreisestempel enthalten.

40.      Auf diese Vermutung bezieht sich die Regelung des Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex über die Ausweisung. Diese ist vorgesehen, wenn die Annahme nicht widerlegt wird, dass der Drittstaatsangehörige die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ausgangsfälle auf dieser Vermutung beruhen.

41.      Die Sprachfassungen des Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex stimmen jedoch nicht überein. Nach der spanischen Fassung wird der Angehörige eines Drittstaats ausgewiesen. Dies könnte man als zwingend verstehen. Wie die Kommission vorträgt, besagen die übrigen Sprachfassungen dagegen, dass der Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden kann. Dies wäre keine Verpflichtung, sondern eine bloße Möglichkeit.

42.      Die verschiedenen sprachlichen Fassungen einer Gemeinschaftsvorschrift müssen einheitlich ausgelegt werden. Falls die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift daher im Prinzip anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört.(14) Vorliegend ist es allerdings nicht notwendig, dies im Einzelnen zu untersuchen. Eine in den Sprachfassungen divergierende Vorschrift ist nämlich auch nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers auszulegen.(15) Aus der Vorgeschichte von Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex ergibt sich, dass die spanische Fassung nicht dem wirklichen Willen des Gesetzgebers entspricht, sondern auf einem Übersetzungsfehler beruht.

43.      Wie bereits gesagt,(16) wurde mit Art. 11 des Grenzkodex der bereits bestehende Art. 6b SDÜ in den Grenzkodex übernommen. Die spanische Fassung von Art. 6b Abs. 3 SDÜ unterschied sich in Bezug auf die fakultative Natur der Ausweisung nicht von den anderen Sprachfassungen.(17) Nach dieser spanischen Fassung können die Mitgliedstaaten den Drittstaatsangehörigen ausweisen, sind aber nicht dazu verpflichtet.

44.      Anscheinend wurde diese ältere Version bei der Redaktion der spanischen Fassung des Grenzkodex übersehen. Dies könnte daran liegen, dass weder die Erwägungsgründe noch die öffentlich zugänglichen Dokumente aus der Entstehung des Grenzkodex diese Übernahme einer bestehenden Bestimmung erkennen lassen.(18)

45.      Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass Art. 6b Abs. 3 SDÜ und der gleichlautende Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex nicht dazu verpflichten, Drittausländer aufgrund der Vermutung des Fehlens von Aufenthaltsvoraussetzungen auszuweisen.

3.      Art. 23 SDÜ

46.      Insbesondere Österreich leitet aber aus Art. 23 SDÜ eine Verpflichtung ab, den illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu beenden. Nach dieser Bestimmung müssen Drittausländer einen Schengenstaat verlassen, wenn sie die Voraussetzungen für den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen. Falls dies nicht freiwillig geschieht oder soweit besondere Dringlichkeit besteht, müssen sie gemäß Art. 23 Abs. 3 SDÜ nach Maßgabe des nationalen Rechts aus dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei abgeschoben werden, in dem sie aufgegriffen wurden.

47.      Bei isolierter Betrachtung der jeweiligen deutschen Fassung scheinen Art. 6b Abs. 3 SDÜ bzw. Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex und Art. 23 Abs. 3 SDÜ unterschiedliche Fälle zu betreffen, da einerseits von der Ausweisung und andererseits von der Abschiebung die Rede ist. Nach deutschem Verständnis ist Ersteres die Entscheidung über die Beendigung des Aufenthalts und Letzteres die Vollstreckung einer solchen Entscheidung.

48.      Es wäre allerdings verfehlt, diesen Begriffsunterschieden eine zu große Bedeutung zuzumessen. Schon in anderen Sprachfassungen ist der Unterschied nicht so deutlich zu erkennen. Die englischen Sprachfassungen verwenden in beiden Regelungen den Begriff „to expell“, die spanischen Fassungen den Begriff „expulsar“, und im Französischen wird einerseits „expulser“ und andererseits „eloigner“ verwendet.

49.      Darüber hinaus fehlen in Art. 6b Abs. 3 SDÜ bzw. Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex Regelungen über eine Vollstreckung der Ausweisung, und in Art. 23 SDÜ ist keine ausdrückliche Regelung über die Ausweisungsentscheidung erkennbar, die durch die Abschiebung vollstreckt werden könnte. Erst die mittlerweile erlassene Richtlinie 2008/115 unterscheidet eindeutig zwischen einer Rückkehrentscheidung(19) und der Abschiebung(20) als ihrer Vollstreckung.

50.      Daher ist davon auszugehen, dass sowohl Art. 6b Abs. 3 SDÜ bzw. Art. 11 Abs. 3 des Grenzkodex als auch Art. 23 Abs. 3 SDÜ das Ziel der Entfernung des Drittstaatsangehörigen betreffen, ohne präzise zwischen der Verwaltungsentscheidung und ihrer Vollstreckung zu unterscheiden.

51.      Wie die ebenfalls von Österreich hervorgehobene Einreiseverweigerung nach Art. 13 des Grenzkodex beruht Art. 23 SDÜ auf dem gemeinsamen Interesse der Schengenstaaten, den illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu verhindern oder zumindest zu beenden. Da die Binnengrenzen nicht mehr kontrolliert werden, ist zu befürchten, dass Drittausländer, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, in andere Mitgliedstaaten weiterziehen und sich dann dort illegal aufhalten. Italien betont zutreffend, dass die Richtlinie 2008/115 in die gleiche Richtung geht.

52.      Art. 23 SDÜ erfasst grundsätzlich alle Drittausländer, die sich im Schengen-Raum aufhalten, obwohl sie nicht oder nicht mehr alle Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllen. Man könnte sich nur fragen, ob die vermutete Überschreitung der Aufenthaltsdauer nach Art. 6b SDÜ bzw. Art. 11 des Grenzkodex anderen Regeln unterliegt.

53.      Insbesondere vor dem Hintergrund der Vorgeschichte von Art. 11 des Grenzkodex, d. h. insbesondere der Entstehung von Art. 6b SDÜ, gibt der Wortlaut allerdings keinen Anlass für diese Auslegung. Die Kommission hatte noch vorgeschlagen, dass die zuständigen Behörden im Fall der Vermutung der Überschreitung der Aufenthaltsdauer Art. 23 Abs. 3 SDÜ anwenden dürfen.(21) Danach hätte es den Mitgliedstaaten freigestanden, Art. 23 Abs. 3 anzuwenden. Dagegen schlug Spanien vor, die Mitgliedstaaten ausdrücklich zur Anwendung von Art. 23 Abs. 3 SDÜ zu verpflichten.(22) Zwar setzte sich dieser Vorschlag nicht durch, doch die schließlich verabschiedete Fassung von Art. 6b Abs. 3 SDÜ enthält überhaupt keine Verweisung mehr auf Art. 23 Abs. 3 SDÜ.

54.      Folglich ist die Anwendbarkeit von Art. 23 SDÜ in Fällen der Vermutung nach Art. 6b SDÜ bzw. Art. 11 des Grenzkodex nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bestimmen. Der jeweilige Abs. 3 der beiden letztgenannten Bestimmungen regelt in diesem Zusammenhang keine Abweichung von Art. 23 SDÜ, sondern stellt nur klar, dass die Vermutung des Überschreitens der Aufenthaltsdauer eine Ausweisung rechtfertigen kann.(23)

55.      Allerdings ist entgegen der Auffassung Österreichs Art. 23 Abs. 3 SDÜ nicht zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich zur Abschiebung verpflichtet sind. Vielmehr betont die Kommission zu Recht die in Art. 23 SDÜ enthaltenen Einschränkungen.

56.      Zunächst ist die Abschiebung nicht der Regelfall, sondern eine Ausnahme. Die Abs. 1 und 2 gehen nämlich davon aus, dass der Drittausländer freiwillig ausreist. Dies ist gegenüber der Abschiebung das mildere Mittel und entspricht nach dem Vorbringen Spaniens auch der innerstaatlichen Rechtslage.

57.      Vor allem aber enthält Art. 23 Abs. 3 keine Rechtsgrundlage einer Abschiebung, sondern verweist auf das innerstaatliche Recht. Bestimmte Anforderungen an die Ausgestaltung innerstaatlichen Rechts sind nicht ersichtlich. Stattdessen erlaubt Art. 23 Abs. 3 Satz 2 SDÜ den Mitgliedstaaten ausdrücklich, den Aufenthalt des Drittausländers zu gestatten, wenn das innerstaatliche Recht eine Abschiebung nicht zulässt. Diese Regelung setzt notwendig voraus, dass die Mitgliedstaaten Ausnahmen von der Abschiebung treffen können, enthält aber keine Einschränkung der mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiheit bei der Definition solcher Ausnahmen. Dann kann es keine Verpflichtung zur Abschiebung geben.

58.      Im Übrigen spricht der beschränkte Regelungsumfang von Art. 23 SDÜ dagegen, ihn als zwingende Regelungen über die Ausweisung oder Abschiebung zu verstehen. Die Bestimmung enthält nur Grundprinzipien und Mindeststandards, die im Wesentlichen der Ausgestaltung durch das innerstaatliche Recht bedürfen.

59.      Dies illustriert insbesondere ein Vergleich von Art. 23 SDÜ mit der mittlerweile erlassenen Richtlinie 2008/115. Sie enthält sehr viel detailliertere Regelungen über den Umgang mit Drittausländern, die sich im Schengen-Raum aufhalten, obwohl sie die Aufenthaltsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllen. Trotzdem lässt Art. 4 der Richtlinie den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Freiheit, noch günstigere Bestimmungen anzuwenden.

60.      Der fehlenden Verpflichtungswirkung zur Abschiebung kann auch nicht das gemeinsame Interesse aller Schengenstaaten an der Beendigung des illegalen Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen entgegengehalten werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verweisung des Art. 23 SDÜ auf das innerstaatliche Recht auf dem hohen Maß an Vertrauen und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten beruht. Dieses rechtfertigt auch in anderen Bereichen die gegenseitige Anerkennung von gewichtigen Entscheidungen(24) und spricht gegen die Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zur Beendigung illegaler Aufenthalte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten auch ohne eine solche Pflicht die gebotenen Maßnahmen ergreifen.

61.      Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass Spanien diesem Vertrauen nicht gerecht würde. Nach Angaben der spanischen Regierung ist mit der Geldstrafe nämlich keine Duldung des illegalen Aufenthalts verbunden. Vielmehr sei der Drittausländer gesetzlich verpflichtet, innerhalb von 15 Tagen auszureisen. Geschehe dies nicht, werde ein neues Sanktionsverfahren wegen fortdauernden Aufenthalts ohne Erfüllung der Aufenthaltsvoraussetzungen eingeleitet. Da bereits eine Geldstrafe verhängt worden sei, löse dies das Abschiebungsverfahren aus.

62.      Somit steht Art. 23 Abs. 3 SDÜ innerstaatlichen Regeln wie den vorliegenden nicht entgegen, wonach die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen, der sich in der Europäischen Union ohne ein zur Einreise und/oder zum Aufenthalt berechtigendes Dokument aufhält, durch die Verhängung einer Geldstrafe ersetzt werden kann.

V –    Ergebnis

63.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Art. 6b Abs. 3 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und der gleich lautende Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen verpflichtet nicht dazu, Drittausländer aufgrund der in Art. 6b Abs. 1 des Durchführungsübereinkommens bzw. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung geregelten Vermutung des Fehlens von Aufenthaltsvoraussetzungen auszuweisen.

2.      Art. 23 Abs. 3 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen steht innerstaatlichen Regeln wie den vorliegenden nicht entgegen, wonach die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen, der sich in der Europäischen Union ohne ein zur Einreise und/oder zum Aufenthalt berechtigendes Dokument aufhält, durch die Verhängung einer Geldstrafe ersetzt werden kann.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 105, S. 1.


3 – Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, unterzeichnet am 14. Juni 1985 in Schengen, ABl. 2000, L 239, S. 13.


4 – Unterzeichnet am 19. Juni 1990 in Schengen, ABl. 2000, L 239, S. 19.


5 – ABl. L 176, S. 17.


6 – Beschluss vom 6. Dezember 2007 über die vollständige Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands in der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik (ABl. L 323, S. 34).


7 – ABl. L 348, S. 98.


8 – Siehe dazu im Einzelnen die Urteile vom 11. März 1980, Foglia (104/79, Slg. 1980, 745, Randnrn. 18 ff.), vom 16. Juli 1992, Meilicke (C‑83/91, Slg. 1992, I‑4871, Randnrn. 25 ff.), vom 28. Juni 2007, Dell'Orto (C‑467/05, Slg. 2007, I‑5557, Randnrn.40 und, speziell zum Problem der zeitlichen Anwendbarkeit, 47 ff.), sowie vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, Slg. 2008, I-0000, Randnrn. 67 ff., mwN.).


9 – Siehe Art. 6 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2133/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verpflichtung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zum systematischen Abstempeln der Reisedokumente von Drittausländern beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten und zur diesbezüglichen Änderung der Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens und des Gemeinsamen Handbuchs, ABl. L 369, S. 5, die Art. 6b in das SDÜ eingeführt hat.


10 – Vgl. die Urteile vom 20. März 1986, Tissier (35/85, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9), und vom 10. Januar 2006, De Groot en Slot Allium und Bejo Zaden (C‑147/04, Slg. 2006, I‑245, Randnr. 68 mwN.).


11 – Vgl. Art. 20 Abs. 1 SDÜ und dazu das Urteil vom 3. Oktober 2006, Bot (C‑241/05, Slg. 2006, I‑9627). Die Befreiung von der Visumpflicht ergab sich aus der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind (ABl. L 81, S. 1), in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 851/2005 des Rates vom 2. Juni 2005 (ABl. L 141, S. 3). Sie wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1932/2006 des Rates vom 21. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnung Nr. 539/2001 (ABl. L 405, S. 23) beendet.


12 – Neben Art. 11 des Grenzkodex wäre insbesondere Art. 7 Abs. 3 Buchst. c zu nennen, der die Prüfung betrifft, ob ausreisende Drittstaatsangehörige die Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllten.


13 – So der 7. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2133/2004, zitiert in Fn. 9.


14 – Urteile vom 5. Dezember 1967, van der Vecht (19/67, Slg. 1967, 462, 473), vom 27. Oktober 1977, Bouchereau (30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 13/14), vom 14. Juni 2007, Euro Tex (C‑56/06, Slg. 2007, I‑4859, Randnr. 27), und vom 21. Februar 2008, Tele2 Telecommunication (C‑426/05, Slg. 2008, I‑685, Randnr. 25).


15 – Urteile vom 12. November 1969, Stauder (29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 3), vom 7. Juli 1988, Moksel Import und Export (55/87, Slg. 1988, 3845, Randnr. 49), vom 20. November 2001, Jany u. a. (C‑268/99, Slg. 2001, I‑8615, Randnr. 47), und vom 27. Januar 2005, Junk (C‑188/03, Slg. 2005, I‑885, Randnr. 33).


16 – Siehe oben, Nr. 27.


17 – Im Spanischen lautet Art. 6b Abs. 3 SDÜ: „De no ser refutada la presunción mencionada en el apartado 1, las autoridades competentes podrán expulsar al nacional del tercer Estado del territorio de los Estados miembros afectados.“


18 – Eine Art. 6b SDÜ entsprechende Bestimmung taucht erstmals in einem Entwurf des Grenzkodex vom 23. März 2005 auf: Art. 9bis in der Fassung des Ratsdokuments 9630/05, http://register.consilium.europa.eu/pdf/es/05/st09/st09630.es05.pdf. Nach älteren Entwürfen des Grenzkodex wäre Art. 6b SDÜ ersatzlos gestrichen worden. Weder diese Streichung noch die Übernahme in den Grenzkodex wurden in den zugänglichen Dokumenten begründet. Grund dafür ist vermutlich, dass Art. 6b SDÜ erst während des Verfahrens zum Erlass des Grenzkodex geschaffen wurde und die Kommission in diesem anderen Rechtsetzungsverfahren ursprünglich vorgeschlagen hatte, die Vermutung der Überschreitung der Aufenthaltsdauer in einen anderen Teil des SDÜ einzuordnen. Dieser Teil wurde durch den Grenzkodex nicht berührt, so dass es nicht notwendig gewesen wäre, die Vermutungsregelung beim Grenzkodex zu berücksichtigen.


19 – Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115.


20 – Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie 2008/115.


21 – Vorschlag vom 6. November 2003 für eine Verordnung des Rates zur Verpflichtung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zum systematischen Abstempeln der Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten und zur diesbezüglichen Änderung des Schengener Durchführungsübereinkommens und des Gemeinsamen Handbuchs, KOM (2003) 664 endg., offenbar nicht im ABl. veröffentlicht.


22 – Ratsdokument 7858/04 vom 30. März 2004, http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/04/st07/st07858.en04.pdf, S. 4, Fn. 10.


23 – Diese Auslegung gewährleistet im Übrigen auch, dass Art. 11 des Grenzkodex gegenüber der Richtlinie 2008/115 keine unnötigen Sonderregeln trifft. Vielmehr müssen künftig auch bei einer Ausweisung aufgrund der Vermutung der Überschreitung der Aufenthaltsdauer die Vorgaben der Richtlinie beachtet werden.


24 – Siehe die Urteile vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge (C‑187/01 und C‑385/01, Slg. 2003, I‑1345, Randnr. 33), zur gegenseitigen Anerkennung von Strafurteilen als Grundlage des Verbots der Doppelbestrafung, und vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld (C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 57), zum Verzicht auf die doppelte Strafbarkeit bei der Auslieferung.