Language of document : ECLI:EU:T:2011:186

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

15. April 2011(*)

„PHARE‑Programm – ‚Revolvierende Fonds‘, aus denen die Tschechische Republik Mittel erhalten hat – Erstattung gezahlter Beträge – Entscheidung der Kommission, die Einziehung im Wege der Aufrechnung vorzunehmen – Rechtsgrundlage – Unterschiedliche Rechtsordnungen – Begriff der Einredefreiheit und Bezifferbarkeit der Forderung – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑465/08

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. van Nuffel, F. Dintilhac und Z. Malůšková als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 7. August 2008 über die Einziehung der von der Tschechischen Republik im Rahmen „Revolvierende Fonds“ des PHARE‑Programms geschuldeten Beträge im Wege der Aufrechnung

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richterin E. Cremona und des Richters S. Frimodt Nielsen (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2010

folgendes

Urteil

 Rechtlicher Rahmen

A –  EG‑Vertrag

1        Art. 274 EG bestimmt:

„Die Kommission führt den Haushaltsplan gemäß der nach Artikel 279 [EG] festgelegten Haushaltsordnung … aus. …“

2        Art. 292 EG sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung dieses Vertrags nicht anders als hierin vorgesehen zu regeln.“

B –  Akte über die Bedingungen des Beitritts

3        Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33) (im Folgenden: Akte über die Beitrittsbedingungen) bestimmt:

„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

4        Art. 10 der Akte über die Beitrittsbedingungen lautet:

„Für die Anwendung der ursprünglichen Verträge und der Rechtsakte der Organe gelten vorübergehend die in dieser Akte vorgesehenen abweichenden Bestimmungen.“

5        Art. 33 der Akte über die Beitrittsbedingungen bestimmt:

„(1)      Vom Tag des Beitritts an werden Ausschreibung, Auftragsvergabe, Durchführung und Zahlungen im Rahmen von Heranführungshilfen nach den Programmen PHARE … von Durchführungsstellen in den neuen Mitgliedstaaten verwaltet.

(2)      Globale Mittelbindungen, die vor dem Beitritt im Rahmen der in Absatz 1 genannten Vorbeitritts-Finanzinstrumente erfolgt sind, einschließlich des Abschlusses und der Verbuchung späterer rechtlicher Einzelverpflichtungen und Zahlungen nach dem Beitritt, unterliegen weiterhin den Regelungen und Verordnungen für die Vorbeitritts-Finanzinstrumente und werden bis zum Abschluss der betreffenden Programme und Projekte in den entsprechenden Kapiteln des Haushalts veranschlagt. Dessen ungeachtet werden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, die nach dem Beitritt eingeleitet werden, in Einklang mit den einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien durchgeführt.“

C –  Rahmenabkommen zwischen der Regierung der Tschechischen Republik und der Europäischen Kommission über die Teilnahme der Tschechischen Republik am Hilfsprogramm der Europäischen Gemeinschaft

6        Art. 1 des Rahmenabkommens vom 12. März und 12. Juli 1996 zwischen der Regierung der Tschechischen Republik und der Europäischen Kommission über die Beteiligung der Tschechischen Republik am Hilfsprogramm der Europäischen Gemeinschaft (207/1997 Sb.) (im Folgenden: Rahmenabkommen von 1996), das das am 7. November 1990 mit der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik geschlossene Rahmenabkommen ersetzt hat, bestimmt:

„Zur Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den vertragschließenden Parteien und mit dem Ziel, den Prozess der Reform und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Tschechischen Republik zu unterstützen, sind die vertragschließenden Parteien übereingekommen, Maßnahmen im finanziellen und technischen Bereich zu ergreifen und weitere in der genannten Regelung bestimmte Formen der Zusammenarbeit festzulegen. Diese Maßnahmen werden in dem im vorliegenden Abkommen festgelegten technischen, rechtlichen und administrativen Rahmen finanziert und durchgeführt. Die spezifischen Einzelheiten der einzelnen Maßnahmen (oder Maßnahmenbündel) werden in einem von beiden vertragschließenden Parteien erlassenen Protokoll [mit dem Titel Finanzprotokoll] festgelegt, von dem ein Muster in Anhang C beigefügt ist.“

7        In Durchführung dieser Rahmenabkommen wurden in verschiedenen Finanzprotokollen die genauen Bedingungen für die Finanzierung der folgenden Projekte festgelegt:

–        Projekt T9106 im Finanzprotokoll vom 1. Oktober 1991;

–        Projekt CS9203 im Finanzprotokoll vom 5. November 1992;

–        Projekt CS9302 im Finanzprotokoll vom 1. Februar 1994.

8        Art. 5 des Rahmenabkommens von 1996 bestimmt:

„Alle Streitigkeiten betreffend das vorliegende Abkommen, die nicht durch Verhandlungen beigelegt werden können, unterliegen einem Schiedsverfahren im Sinne von Anhang B.“

9        Art. 18 Abs. 1 des Anhangs A des Rahmenabkommens von 1996 sieht vor:

„Sämtliche Fragen, die die Anwendung oder Auslegung des Finanzprotokolls oder dieser allgemeinen Bedingungen betreffen, sind Gegenstand von Verhandlungen zwischen dem Empfänger und der Kommission und führen gegebenenfalls zu einer Änderung des Finanzprotokolls.“

10      In Anhang B des Rahmenabkommens von 1996 heißt es:

„Alle Streitigkeiten zwischen den vertragschließenden Parteien aufgrund des Rahmenabkommens oder eines Finanzprotokolls, die nicht mittels der Verfahren beigelegt werden können, die in Artikel 18 der Allgemeinen Bedingungen betreffend das Finanzprotokoll vorgesehen sind, werden gemäß den folgenden Bestimmungen einem Schiedsgericht vorgelegt.

Die Parteien dieses Schiedsverfahrens sind der Empfänger einerseits und die Kommission andererseits.

Das Schiedsgericht setzt sich aus drei Schiedsrichtern zusammen, die wie folgt benannt werden:

–        ein Schiedsrichter wird vom Empfänger benannt,

–        der zweite Schiedsrichter wird von der Kommission benannt und

–        der dritte Schiedsrichter …wird im Einvernehmen der beiden Parteien oder, wenn kein Einvernehmen erzielt wird, durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen benannt.

Benennt eine der Parteien keinen Schiedsrichter, so wird dieser vom [dritten Schiedsrichter] benannt.“

D –  Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

11      Art. 30 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (im Folgenden: Wiener Übereinkommen) bestimmt:

„Sind alle Vertragsparteien eines früheren Vertrags zugleich Vertragsparteien eines späteren, ohne dass der frühere Vertrag beendet oder nach Artikel 59 suspendiert wird, so findet der frühere Vertrag nur insoweit Anwendung, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist.“

E –  Verordnung (EG) Nr. 1266/1999

12      Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1266/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 zur Koordinierung der Hilfe für die beitrittswilligen Länder im Rahmen der Heranführungsstrategie und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3906/89 (ABl. L 161, S. 68) sieht vor:

„Die Kommission führt die Gemeinschaftshilfe unter Wahrung der Transparenz sowie gemäß der Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere Artikel 114, durch.“

F –  Haushaltsordnung

13      Art. 71 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 248, S. 1) (im Folgenden: Haushaltsordnung) bestimmt:

„(1)      Die Feststellung einer Forderung ist die Handlung, durch die der bevollmächtigte oder nachgeordnet bevollmächtigte Anweisungsbefugte

a)      das Vorliegen der Verbindlichkeiten des Schuldners überprüft;

b)      das Bestehen und die Höhe der Schuld bestimmt oder überprüft;

c)      die Fälligkeit der Schuld prüft.

(2)      Die der Kommission zur Verfügung gestellten Eigenmittel und jede einredefreie, auf Geld gehende und fällige Forderung sind durch den zuständigen Anweisungsbefugten dadurch festzustellen, dass er dem Rechnungsführer eine Einziehungsanordnung erteilt und anschließend dem Schuldner eine Belastungsanzeige übermittelt.“

14      Art. 73 Abs. 1 der Haushaltsordnung lautet:

„Der Rechnungsführer führt die vom zuständigen Anweisungsbefugten ordnungsgemäß ausgestellten Einziehungsanordnungen aus. Er trägt dafür Sorge, dass die Einnahmen der Gemeinschaften eingehen und dass Rechte der Gemeinschaften gewahrt werden.

Forderungen der Gemeinschaften gegenüber einem Schuldner, der selbst gegenüber den Gemeinschaften eine einredefreie, auf Geld gehende und fällige Forderung geltend macht, werden bei ihrer Einziehung vom Rechnungsführer verrechnet.“

15      Art. 76 Abs. 1 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung bestimmt:

„Die Mittelbindung besteht darin, die Mittel vorzumerken, die erforderlich sind, um Zahlungen, die sich aus einer rechtlichen Verpflichtung ergeben, zu einem späteren Zeitpunkt leisten zu können.“

16      Art. 76 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 der Haushaltsordnung sieht vor:

„Bei der Einzelmittelbindung stehen der Begünstigte und der Betrag der Ausgabe fest.

Bei der globalen Mittelbindung steht mindestens eins der Elemente, die zur Identifizierung der Einzelmittelbindung erforderlich sind, nicht fest.“

G –  Durchführungsverordnung

17      Art. 7 Abs. 1, 1a und 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Haushaltsordnung (ABl. L 357, S. 1) (im Folgenden: Durchführungsverordnung) sieht vor:

„(1)      Unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die aus der Anwendung sektorspezifischer Regelungen resultieren, nimmt der zuständige Anweisungsbefugte die Umrechnung zwischen dem Euro und einer anderen Währung zu dem im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C, veröffentlichten Tageskurs des Euro vor.

(1a)      Damit Währungsumrechnungen sich nicht wesentlich auf die Kofinanzierungen der Gemeinschaft auswirken oder den Gemeinschaftshaushalt belasten, wird gegebenenfalls in den besonderen Bestimmungen gemäß Absatz 1 vorgesehen, dass für die Umrechnung zwischen dem Euro und anderen Währungen der Durchschnittswert der Tagesumrechnungskurse eines bestimmten Zeitraumes herangezogen wird.

(3)      Zu Zwecken der in den Artikeln 132 bis 137 der Haushaltsordnung vorgesehenen Rechnungsführung und vorbehaltlich Artikel 213 der vorliegenden Verordnung erfolgt die Umrechnung zwischen dem Euro und einer anderen Währung zum monatlichen Buchungskurs des Euro. Dieser Kurs wird vom Rechnungsführer der Kommission anhand für zuverlässig erachteter Informationsquellen auf der Grundlage des Kurses festgelegt, der am vorletzten Werktag des Monats Gültigkeit hat, der dem Monat vorausgeht, für den der Kurs ermittelt wird.“

18      Art. 78 der Durchführungsverordnung lautet:

„(1)      Die Feststellung einer Forderung durch den Anweisungsbefugten ist die Anerkennung des Anspruchs der Gemeinschaften gegenüber einem Schuldner und die Ausstellung des Titels, mit dem von diesem Schuldner die Begleichung seiner Schuld gefordert wird.

(2)      Die Einziehungsanordnung ist der Vorgang, mit dem der zuständige Anweisungsbefugte den Rechnungsführer anweist, die festgestellte Forderung einzuziehen.

(3)      Die Belastungsanzeige ist die dem Schuldner erteilte Information, dass

a)      die Gemeinschaften die Forderung festgestellt haben;

b)      keine Verzugszinsen fällig werden, wenn die Zahlung seiner Schuld innerhalb der gesetzten Frist erfolgt ist;

c)      unbeschadet der geltenden spezifischen Vorschriften seine Schuld zu dem in Artikel 86 genannten Satz verzinslich ist, wenn die Zahlung nicht innerhalb der in Buchstabe b genannten Frist erfolgt ist;

d)      bei Nicht-Zahlung innerhalb der in Buchstabe b genannten Frist das Organ die Einziehung durch Aufrechnung oder durch Inanspruchnahme aller vorherigen Sicherheitsleistungen vornimmt;

Die Belastungsanzeige wird dem Schuldner vom Anweisungsbefugten mit Kopie an den Rechnungsführer übermittelt.“

19      Art. 79 der Durchführungsverordnung sieht vor:

„Zur Feststellung einer Forderung vergewissert sich der zuständige Anweisungsbefugte, dass

a)      die Forderung einredefrei, d. h. mit keiner Bedingung verknüpft ist;

b)      die Forderung auf Geld geht, d. h. in einem genauen Geldbetrag ausgedrückt ist;

c)      die Forderung fällig ist, d. h. dass keine Zahlungsfrist vorliegt;

d)      die Bezeichnung des Schuldners richtig ist;

e)      die Verbuchungsstelle des betreffenden Betrags richtig ist;

f)      die Belege ordnungsgemäß sind und

g)      der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung, insbesondere gemäß den in Artikel 87 Absatz 1 Buchstabe a) genannten Kriterien, beachtet wird.“

20      Art. 81 Abs. 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die Einziehungsordnung enthält folgende Angaben:

a)      das Haushaltsjahr, zu dessen Lasten die Verbuchung erfolgt;

b)      die Referenzdaten des Rechtsakts oder der rechtlichen Verpflichtung, der bzw. die den Forderungstatbestand darstellt und den Anspruch auf die Einziehung begründet;

d)      den einzuziehenden Betrag, ausgedrückt in Euro;

e)      den Namen und die Anschrift des Schuldners;

f)      die in Artikel 78 Absatz 3 Buchstabe b genannte Frist;

g)      die mögliche Art der Einziehung, insbesondere einschließlich der Einziehung durch Verrechnung oder Inanspruchnahme aller vorherigen Sicherheitsleistungen.“

21      Art. 83 Abs. 1 und 2 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„(1)      Wenn der Schuldner gegenüber den Gemeinschaften eine einredefreie, bezifferbare und fällige Forderung geltend macht, die einen durch eine Auszahlungsanordnung festgestellten Geldbetrag zum Gegenstand hat, nimmt der Rechnungsführer nach Ablauf der in Artikel 78 Absatz 3 Buchstabe b genannten Frist die Einziehung der festgestellten Forderung auf dem Wege der Aufrechnung vor.

(2)      Bevor eine Einziehung gemäß Absatz 1 erfolgt, nimmt der Rechnungsführer Rücksprache mit dem zuständigen Anweisungsbefugten und unterrichtet die betroffenen Schuldner.

Ist der Schuldner eine nationale Behörde oder eine ihrer Verwaltungsstellen, unterrichtet der Anweisungsbefugte auch den beteiligten Mitgliedstaat mindestens zehn Tage im Voraus von seiner Absicht, die Einziehung im Wege der Aufrechnung vorzunehmen. Sofern der Mitgliedstaat bzw. die Verwaltungsstelle dem zustimmt, kann der Rechnungsführer die Einziehung auf dem Wege der Aufrechnung auch vor Ablauf dieser Frist vornehmen.“

 Sachverhalt

22      Das Programm PHARE diente der Finanzierung eines Bündels von Unterstützungsmaßnahmen für die wirtschaftlichen und sozialen Reformen in den Ländern Mittel‑ und Osteuropas, die sich um den Beitritt zur Europäischen Union beworben hatten. Die Europäische Union hatte Zielbereiche für diese Maßnahmen festgelegt und gleichzeitig mit diesen Ländern die Regeln für deren Umsetzung ausgehandelt, um auf diese Weise eine möglichst wirksame Nutzung der sogenannten „Heranführungshilfe“ zu garantieren.

23      Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik wurde auf der Grundlage des zwischen ihr und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften geschlossenen Rahmenabkommens vom 7. Dezember 1990 in das PHARE‑Programm einbezogen. Dieses Abkommen wurde in Bezug auf die Tschechische Republik durch das Rahmenabkommen von 1996 ersetzt, das als „Internationale Übereinkunft präsidialer Art“ vom Präsidenten der Republik ratifiziert wurde.

24      Im Rahmenabkommen von 1996 wurde der allgemeine technische, rechtliche und administrative Rahmen der Finanzierung und der Unterstützung des wirtschaftlichen und sozialen Reformprozesses sowie der Entwicklung der Tschechischen Republik festgelegt.

25      Sodann wurden auf vertraglicher Basis die besonderen Bedingungen der einzelnen Maßnahmen zwischen der Tschechischen Republik und der Kommission in Form von „Finanzprotokollen“, von denen ein Muster im Anhang C des Rahmenabkommens von 1996 enthalten war, und in Form von „Einigungsprotokollen“ festgelegt.

26      Die „Finanzprotokolle“ bestimmten die wesentlichen vom Programm erfassten Bereiche, deren Haushalt und die technischen Gesichtspunkte der im Rahmen dieses Programms durchgeführten Projekte. Diese Projekte waren selbst detailliert in „Projektblättern“ beschrieben, die den Finanzprotokollen als Anlagen beigefügt waren.

27      „Einigungsprotokolle“, die ebenfalls internationale Übereinkünfte waren, legten im Übrigen Rechte und Pflichten der vertragschließenden Parteien im Rahmen des Programms fest. In aller Regel beschränkten sich diese Dokumente darauf, die Verfahren für die Verwaltung des Programms sowie die Rechte und Pflichten der an der Durchführung beteiligten Einrichtungen festzulegen, zu ändern oder klarzustellen. Im Unterschied zu den Finanzprotokollen bestimmten sie jedoch weder den Inhalt des Programms noch die Zielrichtung und Fragen in Bezug auf die Höhe der für die Projekte bewilligten Beihilfe. Diese Einigungsprotokolle wurden nämlich nur geschlossen, um die Beziehungen zwischen den Parteien abweichend von den allgemeinen Bestimmungen und Vereinbarungen zu regeln.

28      Von 1994 bis 1996 erhielt die Tschechische Republik insbesondere Mittel aus den „revolvierenden Fonds“ des PHARE‑Programms auf der Grundlage der Finanzprotokolle für das Projekt T9106 (kleine und mittlere Unternehmen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik), für das Projekt CS9203 (Privatisierung, Umstrukturierung und Entwicklung des privaten Sektors) und für das Projekt CZ9302 (Entwicklung des privaten Sektors).

29      Das Projekt T9106 diente der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen insbesondere durch ihre Einführung in unternehmerische Fragestellungen, Errichtung eines geeigneten rechtlichen Rahmens und Einführung von Mechanismen für den Zugang zu Krediten. Gegenstand des Projekts CS9203 war die Privatisierung der Wirtschaft, die Umstrukturierung und die Entwicklung des privaten Sektors in der damaligen Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik insbesondere für besonders benachteiligte Regionen. Schließlich betraf das Projekt CZ9302 die Umstrukturierung besonderer Wirtschaftssektoren, insbesondere des Bankensektors, die Entwicklung exportorientierter Industriebranchen und die Unterstützung bei den für das Funktionieren einer Marktwirtschaft notwendigen institutionellen Änderungen.

30      So erhielt die Tschechische Republik in der Zeit vom 5. Oktober 1994 bis 2. August 1996 von der Kommission sechs Zahlungen in Höhe von insgesamt 13 031 971,97 Euro.

31      Diese Mittel wurden zunächst vom Wirtschaftsministerium der Tschechischen Republik, später vom Ministerium für die örtliche Entwicklung verwaltet. Das letztgenannte Ministerium war auch für ihre Verwendung zuständig.

32      Die Kommission notifizierte der Tschechischen Republik mit einem Schreiben unter dem Aktenzeichen D(2008)REG 102477 eine Entscheidung vom 28. Mai 2008 (im Folgenden: Entscheidung vom 28. Mai 2008) über eine die Projekte T9106, CS9203 und CZ9302 betreffende Rückzahlung von insgesamt 234 480 000 CZK. Im Einzelnen entsprach dieser Betrag Zahlungen in Höhe von 144 000 000 CZK zugunsten der Regionální fondy, a.s., in Höhe von 4 429 000 CZK zugunsten der Českomoravský podnikatelský fond, spol. s r.o., und in Höhe von 86 051 000 CZK zugunsten der Regionální podnikatelský fond, spol. s r.o. Dieser Entscheidung war die Belastungsanzeige Nr. 3230805779 (im Folgenden: Belastungsanzeige) beigefügt.

33      Die Entscheidung vom 28. Mai 2008 wurde aufgrund der Feststellung von Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der Gemeinschaftsmittel erlassen, da diese Mittel nach Angaben der Kommission zu anderen Zwecken als denjenigen, denen sie zugewiesen worden waren, verwendet und nicht nach dem Grundsatz einer ordnungsgemäßen Verwaltung verwaltet worden waren.

34      Die Belastungsanzeige wies einen auf den 7. August 2008 fällig gestellten Betrag von 9 354 130,93 Euro aus, der der Umrechnung des Betrags von 234 480 000 CZK zum gemäß Art. 7 Abs. 1, 1a und 3 der Durchführungsverordnung festgelegten Wechselkurs entsprach.

35      Der Stellvertreter des Ministers für Regionalentwicklung der Tschechischen Republik übersandte daraufhin der Kommission am 8. Juli 2008 ein Schreiben, in dem er sich im Wesentlichen auf ein Problem in Bezug auf den zugrunde gelegten Wechselkurs, den Umstand, dass weder das Ermittlungsverfahren des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) noch das bei den tschechischen Gerichten anhängige Strafverfahren abgeschlossen sei, und schließlich darauf berief, dass nach dem Rahmenabkommen zwischen der Tschechischen Republik und der Kommission zur Regelung des PHARE‑Programms alle Streitigkeiten durch Verhandlungen beigelegt oder einem Schiedsverfahren unterworfen werden müssten. Er verlangte daher von der Kommission die Aufhebung der Belastungsanzeige.

36      Am 14. Juli 2008 fand eine Sitzung mit den Beteiligten statt.

37      Die Regierung der Tschechischen Republik erließ am 23. Juli 2008 die Entscheidung Nr. 977, auf die Belastungsanzeige hin keine Zahlung zu leisten. Die Kommission wurde hiervon am 29. Juli 2008 unterrichtet.

38      Die Kommission antwortete hierauf mit Schreiben vom 4. August 2008, in dem sie im Wesentlichen ihren Standpunkt wiederholte.

39      Da die Tschechische Republik ihrer Verpflichtung, den Betrag von 9 354 130,93 Euro zurückzuzahlen, nicht bis zum 7. August 2008 nachgekommen war, beschloss die Kommission, ihre Forderung gegen zwei Beträge über insgesamt 10 814 475,41 Euro aufzurechnen, die der Tschechischen Republik aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) aufgrund der Vorgänge mit den Aktenzeichen ESF‑2003CZ161P0004 und ESF‑2003CZ053D0001 geschuldet wurden. Diese Entscheidung wurde der Tschechischen Republik mit Schreiben vom 7. August 2008 unter dem Aktenzeichen BUDG/C3 D (2008)10.5‑3956 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) notifiziert.

40      Die Tschechische Republik richtete am 26. August 2008 ein Schreiben an die Kommission, in dem sie erklärte, dass sie mit deren Vorgehen nicht einverstanden sei, und wiederholte im Kern ihr Vorbringen im Schreiben vom 8. Juli 2008.

 Anträge der Parteien

41      Die Tschechische Republik beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        die Kommission zu verurteilen, ihr den Aufrechnungsbetrag in Höhe von insgesamt 9 354 130,93 Euro zuzüglich Verzugszinsen zu erstatten;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

42      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Tschechischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

43      Die Tschechische Republik stützt ihre Klage auf drei Gründe.

44      Sie macht erstens geltend, die Kommission habe ihre Befugnisse überschritten, indem sie die angefochtene Entscheidung auf einer falschen Rechtsgrundlage erlassen habe, zweitens, die angefochtene Entscheidung sei unter Verstoß gegen die in der Haushaltsordnung und in der Durchführungsverordnung festgelegten Voraussetzungen für eine Aufrechnung erlassen worden, und drittens, der angefochtenen Entscheidung fehle es an jeder Begründung.

45      Die ersten beiden Klagegründe sind gemeinsam zu prüfen.

A –  Zum ersten Klagegrund wegen Erlasses der angefochtenen Entscheidung auf einer falschen Rechtsgrundlage und zum zweiten Klagegrund wegen Verstoßes gegen die in der Haushaltsordnung und in der Durchführungsverordnung festgelegten Voraussetzungen einer Aufrechnung

1.     Vorbringen der Parteien

46      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt die Tschechische Republik im Kern, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende rechtliche Beziehung, die die Verwendung der Mittel aus dem PHARE‑Programm betreffe, vor ihrem Beitritt zur Europäischen Union zu einer Zeit entstanden sei, als sie unter dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts ein Drittland gewesen sei. Die Verwendung der Mittel aus diesem Programm sei durch die Vorschriften der internationalen Übereinkünfte geregelt worden, die zwischen ihr als souveränem Staat und Völkerrechtssubjekt und der Kommission in Vertretung der Gemeinschaft als anderem Völkerrechtssubjekt geschlossen worden seien.

47      Zwar sei für sie bei ihrem Beitritt zur Union das Gemeinschaftsrecht verbindlich geworden, doch nur in den im Beitrittsvertrag und in Art. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen vorgesehenen Grenzen.

48      Die Akte über die Beitrittsbedingungen habe die internationalen Übereinkünfte über die Verwendung der Mittel aus dem PHARE‑Programm teilweise in Bezug auf die Bestimmung der Organe der Mitgliedstaaten, die ab dem Zeitpunkt des Beitritts die bewilligten Mittel verwalteten, und die Regeln für die Organisation der Endkontrollen durch die Kommission geändert. Für alle anderen Bereiche habe die Akte über die Beitrittsbedingungen insbesondere in Art. 33 Abs. 2 die bestehende rechtliche Regelung, d. h. eine Regelung, die außerhalb des Anwendungsbereichs des EG‑Vertrags liege, nicht nur für die vor dem Beitritt, sondern auch für die in der Zeit danach erfolgten Mittelbindungen ausdrücklich in Kraft gelassen.

49      Nach Ansicht der Tschechischen Republik kann die Haushaltsordnung, auf deren Grundlage die angefochtene Entscheidung erlassen wurde, nicht als Regelung oder Verordnung für die Vorbeitritts‑Finanzinstrumente im Sinne von Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen angesehen werden.

50      Der Begriff der Regelung im Sinne von Art. 33 der Akte über die Beitrittsbedingungen beziehe sich auf die internationalen Übereinkünfte, die von der Union und den Beitrittsstaaten geschlossen worden seien. Die Haushaltsordnung gehöre nicht zu dieser Kategorie. Im Übrigen könne nur festgestellt werden, dass diese Verordnung nicht in der erschöpfenden Liste der in dieser Bestimmung erwähnten Verordnungen aufgeführt sei.

51      Selbst wenn diese Liste nicht erschöpfend wäre, könnte die Haushaltsordnung angesichts ihres Regelungsgegenstands nicht zu den Verordnungen über die Vorbeitritts‑Finanzinstrumente gezählt werden. Denn während die Letztgenannten die Hilfe der Union für die Beitrittsländer im Rahmen verschiedener Programme regeln sollten, enthalte die Haushaltsordnung zum einen Bestimmungen über die Erstellung und die Durchführung des allgemeinen Haushalts der Gemeinschaften und zum anderen Bestimmungen über die Vorlage und die Prüfung des Abschlusses.

52      Die Tschechische Republik macht somit im Kern geltend, dass die Anwendung der Haushaltsordnung auf die Mittelbindungen, die auf die im vorliegenden Verfahren in Rede stehende Rechtsbeziehung gegründet seien und die unter Art. 33 der Akte über die Beitrittsbedingungen fielen, gegen diesen Artikel verstoße.

53      Ferner beziehe sich Art. 155 der Haushaltsordnung in seiner gegenwärtigen Fassung nicht mehr auf die Heranführungsmittel, so dass die Haushaltsordnung auf diese nicht anwendbar sei. Zwar habe es die ältere Fassung von Art. 155 erlaubt, die Haushaltsordnung auf die bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen der Union und Drittländern anzuwenden, doch sei eine solche Möglichkeit vom Bestehen eines Abkommens zwischen den Beteiligten abhängig gewesen.

54      Ferner macht die Tschechische Republik geltend, Art. 73 der Haushaltsordnung, der an den Rechnungsführer der Union gerichtet sei, sehe die Aufrechnung nur zu deren Gunsten vor. Somit könne der Rechnungsführer der Union die Aufrechnung nur unter der Voraussetzung erklären, dass zum einen der betroffene Staat ein Mitgliedstaat sei und dass es sich zum anderen um eine Mittelbindung aufgrund der Zugehörigkeit dieses Staates zur Union handele, die von der Haushaltsordnung erfasst werde. Daher könne der Rechnungsführer der Union eine solche Aufrechnung nicht gegenüber Drittländern erklären, wenn diese Möglichkeit nicht zuvor vereinbart worden sei. Eine Bestimmung über die Aufrechnung sei jedoch weder im Rahmenabkommen von 1996, noch in den Finanzprotokollen, noch in den Einigungsprotokollen vorgesehen gewesen. Ferner sei die Aufrechnung keine im Völkerrecht allgemein anerkannte Regel.

55      Außerdem enthielten das Rahmenabkommen von 1996 wie auch die Finanzprotokolle und die Einigungsprotokolle Bestimmungen über die Beilegung von Streitigkeiten über die Durchführung der Heranführungshilfe, d. h. in einem Fall wie dem vorliegenden die Verpflichtung zu gegenseitigen Konsultationen und gegebenenfalls der anschließenden Einleitung eines Schiedsverfahrens.

56      Diese Bestimmungen seien nach wie vor anwendbar. Ein solcher Mechanismus erlaube es daher nicht, Streitigkeiten zwischen den Parteien einseitig durch beispielsweise eine Entscheidung der Kommission über Bestehen oder Höhe einer Forderung der Union oder auch durch eine Entscheidung der Kommission über die Einziehung dieser Forderung durch Aufrechnung beizulegen.

57      Es handele sich insoweit um eine Ausnahme vom zwingenden Charakter des Gemeinschaftsrechts für die Mitgliedstaaten nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union.

58      In seinem Urteil vom 10. Januar 2006, Ynos (C‑302/04, Slg. 2006, I‑371, Randnrn. 36 und 37), habe der Gerichtshof ausgeführt, dass das Gemeinschaftsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat erst vom Zeitpunkt seines Beitritts zur Union an und nur insoweit, als sich der für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Sachverhalt danach abgespielt habe, angewandt werden könne.

59      Nach Ansicht der Tschechischen Republik ist das Gemeinschaftsrecht für sie innerhalb der im Beitrittsvertrag und durch Art. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen festgelegten Grenzen zwingend geworden.

60      Diese Voraussetzungen führten zu befristeten oder ständigen Ausnahmen von der Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts in bestimmten Bereichen sowohl des primären als auch des abgeleiteten Rechts. Solche Ausnahmen seien in Bezug auf die Heranführungshilfe vorgesehen, da die frühere Regelung für die Beilegung von Streitigkeiten in Kraft geblieben sei.

61      Die Anwendung der Haushaltsordnung kollidiere unmittelbar mit den für einen Streitfall vorgesehenen Regelungen, soweit es um die Umsetzung des Rahmenabkommens von 1996 gehe.

62      Die Tschechische Republik tritt auch der Ansicht der Kommission entgegen, das Rahmenabkommen von 1996 sei wegen Art. 30 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens nicht anwendbar.

63      Das Wiener Übereinkommen finde nur Anwendung auf Verträge zwischen Staaten, da ähnliche Bestimmungen über Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen auf internationaler Ebene nicht hätten erlassen werden können. Ferner setze Art. 30 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens die Identität aller vertragschließenden Parteien des früheren und des späteren Vertrags voraus. Die Kommission, die seinerzeit für die Europäische Gemeinschaft und in deren Namen gehandelt habe, sei Vertragspartei des Rahmenabkommens von 1996 gewesen, während später weder die Kommission noch die Europäische Gemeinschaft Partei des Beitrittsvertrags gewesen sei. Zudem könnten, selbst wenn die durch Art. 30 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens aufgestellte Regel zum Völkergewohnheitsrecht gehören würde, Völkerrechtssubjekte in ihren gegenseitigen Beziehungen vereinbaren, dass im Rahmen der Anwendung des späteren Vertrags die Bestimmungen des früheren Vertrags weiterhin auf bestimmte Rechtsbeziehungen Anwendung fänden. Daher schlössen solche Bestimmungen die Anwendbarkeit abweichender oder entgegenstehender Bestimmungen des späteren Vertrags aus. Andernfalls würde dem Abkommen in diesem Punkt jeder Sinn genommen, und dies stünde im Widerspruch zu dem Grundsatz des Völkerrechts, wonach Verträge einzuhalten seien.

64      Somit fänden die Vertragsbestimmungen für die Beilegung von Streitigkeiten über die Heranführungshilfe auch nach dem Beitritt zur Union Anwendung und stünden der Umsetzung einer anderen Regelung, d. h. der in der Haushaltsordnung vorgesehenen einseitigen Aufrechnung, entgegen.

65      Auch könne der Grundsatz, wonach alles erlaubt sei, was nicht vom Völkerrecht verboten sei, nicht auf eine Situation angewandt werden, bei der die Parteien eine bestimmte Regelung für ihre gegenseitigen Beziehungen vereinbart hätten. Eine Aufrechnung sei im Übrigen stillschweigend untersagt, wenn sie sich als Verstoß gegen die vertraglich vereinbarten Verfahren zur Streitbeilegung erweise.

66      Ferner lasse Art. 307 EG ausdrücklich die Aufrechterhaltung von Übereinkünften zu, die von Staaten vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zur Union geschlossen worden seien, soweit sie dem Gemeinschaftsrecht nicht entgegenstünden. Selbst in einem solchen Fall seien solche Verträge nicht automatisch nichtig. Art. 307 Abs. 2 EG erlaube nämlich die schrittweise Beseitigung einer solchen Unvereinbarkeit.

67      Die Tschechische Republik bestreitet ferner, dass die Aufrechnung Völkergewohnheitsrecht oder ein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts sei.

68      Im vorliegenden Fall erfolge die Aufrechnung zwischen zwei Völkerrechtssubjekten, die einander gleichstünden, und in diesem Fall hätte die Möglichkeit, eine einseitige Aufrechnung vorzunehmen, ausdrücklich vorgesehen sein müssen.

69      Ebenso ist die Tschechische Republik im Kern der Ansicht, dass die Aufrechnung nicht als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden könne, da es sich zum einen nicht um einen Grundsatz handele, der auf den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten beruhe, und da zum anderen die Rechtsprechung, auf die die Kommission verweise, nicht zum Ausdruck bringe, dass die Aufrechnung einen solchen Grundsatz darstelle. In diesem Zusammenhang widerspricht die Tschechische Republik der Auslegung des Urteils des Gerichtshofs vom 1. März 1983, DEKA Getreideprodukte/EWG (250/78, Slg. 1983, 421), durch die Kommission.

70      Im Übrigen binde die Vorgehensweise der Kommission bei der Umsetzung der einem Land außerhalb der Gemeinschaft gewährten Hilfe nur diese und nicht die Tschechische Republik, die bei der Heranführungshilfe ein Drittstaat gewesen sei. Daher könne die Kommission ihr nicht ihre interne Regelung für die Durchführung des Haushalts entgegenhalten. Damit diese Bestimmungen der Tschechischen Republik hätten entgegengehalten werden können, hätte es ihrer Zustimmung im Rahmenabkommen von 1996 bedurft, sich ihnen zu unterwerfen, die sie aber nicht erteilt habe.

71      Zwar verweise die Präambel des Rahmenabkommens von 1996 auf die Verordnung (EWG) Nr. 3906/89 des Rates vom 18. Dezember 1989 über Wirtschaftshilfe für die Republik Ungarn und die Volksrepublik Polen (ABl. L 375, S. 11), doch könne dies nicht die Anwendung der Haushaltsordnung auf den vorliegenden Fall rechtfertigen. Die einzigen Bestimmungen der Haushaltsordnung, auf die die Verordnung Nr. 3906/89 verweise, beträfen die Möglichkeit der Kommission, hoheitliche Aufgaben bestimmten Organisationen zu übertragen.

72      Im Übrigen schließe das Urteil des Gerichts vom 8. Oktober 2008, Helkon Media/Kommission (T‑122/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), nicht die Berufung auf das einschlägige Recht in Bezug auf die Aufrechnung aus. Im vorliegenden Fall sehe das einschlägige Recht eine solche Regelung nicht vor.

73      Somit habe die Kommission ihre Befugnisse missbraucht, als sie die Aufrechnung aufgrund von Art. 73 Abs. 1 der Haushaltsordnung erklärt habe.

74      In Bezug auf den zweiten Klagegrund macht die Tschechische Republik im Wesentlichen geltend, dass es selbst dann, wenn die Haushaltsordnung auf den vorliegenden Fall anwendbar wäre, an den Voraussetzungen fehlte, die sie in Bezug auf die Gegenseitigkeit der Forderungen und die Einredefreiheit der Forderung stelle, die Gegenstand der Aufrechnung sei.

75      Nur die in den Vorbeitritts‑Übereinkünften vorgesehene Schiedsstelle könne über den Betrag einer Forderung entscheiden. Aus dem Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Cableuropa u. a./Kommission (T‑346/02 und T‑347/02, Slg. 2003, II‑4251, Randnr. 225), gehe hervor, dass weder die Kommission noch das Gericht über eine solche Zuständigkeit verfügten.

76      In diesem Zusammenhang tritt die Tschechische Republik dem Vorbringen der Kommission entgegen, die Ansicht sei widersprüchlich, dass das Gericht zwar nicht dafür zuständig sei, über das Bestehen und gegebenenfalls Art und Betrag der Forderung zu entscheiden, aber über die Aufrechnung entscheiden und damit die angefochtene Entscheidung aufheben könne. Selbst wenn nämlich die Haushaltsordnung auf den vorliegenden Fall anwendbar wäre, sei das im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehene Verfahren, um zu bestimmen, ob und in welcher Höhe Beträge geschuldet würden, d. h. die Durchführung des Schiedsverfahrens, zwingend, und eine einseitige Entscheidung der Kommission könne hierfür nicht genügen.

77      Es sei notwendig, die Befugnis zur Beurteilung der Gültigkeit der angefochtenen Entscheidung von der Befugnis zur Beilegung einer Streitigkeit in Anwendung des Rahmenabkommens von 1996 zu unterscheiden. Wegen des im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehenen Streitbeilegungsverfahrens könne das Gericht daher die materiell‑rechtlichen Fragen betreffend eine auf der Grundlage dieses Abkommens entstandene Forderung nicht entscheiden.

78      Auf alle Fälle müsse das Gericht, selbst wenn es für die Prüfung zuständig wäre, ob die Voraussetzungen der Aufrechnung erfüllt seien, berücksichtigen, dass sich die gegeneinander aufgerechneten Forderungen nach unterschiedlichen Rechtsordnungen regelten.

79      Die Forderung, die die Kommission geltend mache, unterliege in Wirklichkeit dem Völkerrecht, woran der Beitritt der Tschechischen Republik zur Union nichts geändert habe.

80      Dagegen seien die Rechtsgrundlagen der Forderung der Tschechischen Republik gegen die Kommission, die sich auf Abschlagszahlungen für zwei aus Strukturfonds finanzierte laufende Programme beziehe, Art. 161 EG und die Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds (ABl. L 161, S. 1). Die Forderung der Tschechischen Republik unterliege somit Gemeinschaftsrecht.

81      Der Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 10. Juli 2003, Kommission/CCRE (C‑87/01 P, Slg. 2003, I‑7617, Randnrn. 61 und 62), festgestellt, dass die Aufrechnung von Forderungen, die unterschiedlichen Rechtsordnungen unterlägen, nur dann möglich sei, wenn die in beiden Rechtsordnungen hierfür festgelegten Voraussetzungen erfüllt seien.

82      Das allgemeine Völkerrecht regele weder die Voraussetzungen einer Aufrechnung von Forderungen noch sehe es eine solche Möglichkeit überhaupt vor. Ebenso regelten das Rahmenabkommen von 1996, die Finanzprotokolle und die übrigen ausdrücklich zwischen den Vertragsparteien vereinbarten oder durch die Akte über die Beitrittsbedingungen geänderten Bestimmungen weder die Voraussetzungen einer solchen Aufrechnung noch sähen sie diese Möglichkeit vor. Die Forderung, die die Kommission gegenüber der Tschechischen Republik geltend mache, könne daher nicht Gegenstand einer Aufrechnung sein.

83      Die in Art. 73 Abs. 1 der Haushaltsordnung vorgesehene Gegenseitigkeitsvoraussetzung beschränke sich nicht auf die Identität des Gläubigers und des Schuldners. Auch die Rechtsgrundlage der aufgerechneten Forderung müsse berücksichtigt werden.

84      In Bezug auf die Gegenseitigkeit sei auch zu berücksichtigen, dass die beiden aufgerechneten Forderungen in unterschiedlichen Währungen ausgedrückt worden seien. Die Tschechische Republik stellt die Möglichkeit einer Aufrechnung solcher Forderungen nicht in Frage. Sie macht jedoch geltend, dass klare Regeln für die Umrechnung der in Rede stehenden Währungen vorgesehen sein müssten. Daran fehle es jedoch im vorliegenden Fall.

85      Was die Einredefreiheit angehe, so sei die in Rede stehende Forderung im Rahmen einer Vereinbarung zwischen Parteien entstanden. Keine der Parteien könne daher der anderen eine Entscheidung in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten aus der betreffenden Beziehung aufzwingen. Eine Streitigkeit dieser Art könne nur durch eine Einigung der Parteien oder durch eine Entscheidung einer unabhängigen Stelle in dem im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehenen Schiedsverfahren beigelegt werden.

86      Die Kommission habe einseitig Bestehen und Höhe der betreffenden Forderung festgestellt. Im Rahmen des Schriftwechsels mit der Kommission (Schreiben an die Kommission vom 9. Juli 2008 und vom 29. Juli 2008) habe die Tschechische Republik die Methode der Bemessung des zurückzuzahlenden Betrags und die Art und Weise der Anwendung des Wechselkurses in Frage gestellt. Da dieser Schriftwechsel einer gütlichen Beilegung der Streitigkeit gedient habe, habe er dem Rahmenabkommen von 1996 entsprochen. Allerdings habe sich die Tschechische Republik gezwungen gesehen, wegen des Erlasses der angefochtenen Entscheidung durch die Kommission die vorliegende Klage zu erheben.

87      Da der Betrag der Forderung bestritten worden sei, sei diese nicht einredefrei gewesen und habe daher nicht zur Aufrechnung gestellt werden können.

88      Im Übrigen seien die Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Verwendung der Mittel, die der Tschechischen Republik im Rahmen des PHARE‑Programms zugewiesen worden seien, nicht endgültig nachgewiesen. Selbst wenn sich die Kommission hauptsächlich auf die Einleitung eines Strafverfahrens und auf Untersuchungen von OLAF stütze, sei keines dieser Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Der endgültige Betrag, der von der Tschechischen Republik zu erstatten sei, lasse sich daher nicht mit völliger Gewissheit bestimmen, zumindest solange die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen noch nicht bekannt seien.

89      Die Entscheidung vom 28. Mai 2008 stelle nicht den Nachweis einer rechtswidrigen Verwendung der bewilligten Beträge dar. In diesem Schreiben sei nämlich nicht angegeben, aus welchen Gründen die fraglichen Vorgänge als unregelmäßig betrachtet würden. Es werde dort auch nicht im Einzelnen dargelegt, welche Mittel von diesen Unregelmäßigkeiten betroffen sein sollten. Ferner seien die Ausführungen der Kommission zu den Ermittlungen von OLAF widersprüchlich.

90      Auf alle Fälle sei die eventuelle Feststellung einer strafbaren Handlung weder für die Feststellung, wie die in Rede stehenden Mittel ausgegeben worden seien, noch für die Beurteilung, ob und in welcher Höhe die streitige Forderung bestehe, maßgeblich.

91      Ferner wendet sich die Tschechische Republik gegen die Art und Weise der Berechnung des von ihr zurückzuzahlenden Gesamtbetrags. Dieser Betrag, d. h. in tschechischen Kronen 234 480 000 CZK, entspreche 69,98 % der Zahlungen, die der Regionální fondy, a.s., der Regionální podnikatelský fond, spol. s r.o., und der Českomoravský podnikatelský fond, spol. s r.o, zwischen dem 5. Oktober 1994 und dem 2. August 1996 in Höhe von insgesamt 335 087 448,65 CZK zugutegekommen seien. Infolgedessen müsse der von ihr verlangte Gesamtbetrag ebenfalls 69,98 % der gesamten in Rede stehenden Zahlungen, ausgedrückt in Euro, entsprechen. Da sich der Gesamtbetrag dieser Zahlungen auf 9 839 490 Euro belaufe, müsse der von ihr verlangte Betrag also auf 6 885 258,25 Euro festgesetzt werden. Die Kommission habe jedoch die Rückzahlung eines Gesamtbetrags von 9 354 130,93 Euro verlangt. Die Tschechische Republik ist der Ansicht, dass die von ihr vorgeschlagene Berechnungsweise, die die einzig mögliche sei, außerdem die Entwicklung des Wechselkurses zwischen der tschechischen Krone und dem Euro neutralisiere.

92      Als die Tschechische Republik in den Jahren 1994 bis 1996 Heranführungshilfen erhalten habe, habe sich der jeweilige Wechselkurs innerhalb einer Brandbreite von 33 bis 35 CZK für 1 Euro bewegt. Die Kommission habe jedoch für die Berechnung der fraglichen Rückzahlung den gegenwärtigen Wechselkurs von 25,067 CZK für 1 Euro verwendet. Dieses Vorgehen trage der wirtschaftlichen Lage, die zu dem Zeitpunkt bestanden habe, als die Heranführungshilfen gewährt und verwendet worden seien, nicht Rechnung. Dadurch würde die Entwicklung des Wechselkurses in die Rückzahlung der Tschechischen Republik eingehen. Die Kommission verlange somit die Rückzahlung von Beträgen, deren Wert, ausgedrückt in Euro, denjenigen übersteige, der, in tschechischen Kronen, geschuldet sei. Die Kommission ziehe also ungerechtfertigt Vorteil aus dem Kursanstieg der tschechischen Krone im Verhältnis zum Euro. Diese Situation könne auch als ungerechtfertigte Bereicherung der Union angesehen werden, da die Tschechische Republik verpflichtet werde, einen Betrag zurückzuzahlen, der den Betrag der von ihr tatsächlich empfangenen Heranführungshilfen übersteige. Aus diesem Grund bestehe die einzige Methode, die es erlaube, den Einfluss des Wechselkursanstiegs CZK/Euro zu neutralisieren, darin, den Teil zu berechnen, den die verlangte Rückzahlung, ausgedrückt in tschechischen Kronen, vom Gesamtbetrag der Heranführungshilfen ausmache, die die Regionální fondy, a.s., die Regionální podnikatelský fond, spol. s r.o., und die Českomoravský podnikatelský fond, spol. s r.o, ebenfalls ausgedrückt in tschechischen Kronen, erhalten hätten, und anschließend diesen Bruchteil auf den in Euro ausgedrückten Betrag anzuwenden, der dem Gesamtbetrag der diesen Fonds gewährten Heranführungshilfen entspreche.

93      Schließlich sei die Durchführungsverordnung nicht auf die Rechtsbeziehungen anwendbar, die sich aus dem Rahmenabkommen von 1996 ergäben, so dass sie rechtlich keine Grundlage für den im vorliegenden Fall von der Kommission bestimmten Wechselkurs sein könne.

94      Die Kommission tritt dem gesamten Vorbringen entgegen.

2.     Würdigung durch das Gericht

a)     Zur Zuständigkeit der Kommission sowie zur Anwendung der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung

95      Nach Art. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen sind ab dem Tag des Beitritts zur Union die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank (EZB) für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.

96      Nach Art. 10 der Akte über die Beitrittsbedingungen gelten für die Anwendung der ursprünglichen Verträge und der Rechtsakte der Organe vorübergehend die in der Akte über die Beitrittsbedingungen vorgesehenen abweichenden Bestimmungen.

97      Aus den Art. 2 und 10 der Akte über die Beitrittsbedingungen ergibt sich, dass diese auf dem Grundsatz der sofortigen vollständigen Anwendung der Vorschriften des Unionsrechts auf die neuen Mitgliedstaaten beruht, wobei Abweichungen nur insoweit zulässig sind, als sie in den Übergangsbestimmungen ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1998, KappAhl, C‑233/97, Slg. 1998, I‑8069, Randnr. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen, wonach globale Mittelbindungen, die vor dem Beitritt im Rahmen der Vorbeitritts‑Finanzinstrumente erfolgt sind, einschließlich des Abschlusses und der Verbuchung späterer rechtlicher Einzelverpflichtungen und Zahlungen nach dem Beitritt weiterhin den Regelungen und Verordnungen für die Vorbeitritts‑Finanzinstrumente unterliegen und bis zum Abschluss der betreffenden Programme und Projekte in den entsprechenden Kapiteln des Haushalts veranschlagt werden, findet sich in Titel I (Übergangsmaßnahmen) des Vierten Teils (Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer) der Akte.

99      Da Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen eine Ausnahme von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union vorsieht, ist er eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil KappAhl, oben in Randnr. 97 erwähnt, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

100    Somit sind Ausnahmen von der sofortigen vollständigen Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf Heranführungshilfen aus dem PHARE‑Programm im Sinne von Art. 33 Abs. 1 der Akte über die Beitrittsbedingungen nach Art. 33 Abs. 2 der Akte nur zulässig, soweit sie in den in Rede stehenden Bestimmungen ausdrücklich vorgesehen sind.

101    Entgegen der Ansicht der Tschechischen Republik sieht jedoch Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen nicht ausdrücklich eine Ausnahme von Art. 292 EG in dem Sinne vor, dass die im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehenen Arten der außergerichtlichen Streitbeilegung nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union weiterhin Anwendung fänden.

102    Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehenen Arten der außergerichtlichen Streitbeilegung seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union nicht mehr anwendbar sind.

103    Das Vorbringen der Tschechischen Republik für ihre Ansicht, dass nur die Schiedsstelle berechtigt sein solle, das Bestehen einer Forderung im Kontext der vorliegenden Rechtssache festzustellen, ist daher zurückzuweisen.

104    Das Gleiche gilt für das Vorbringen der Tschechischen Republik, wonach das Schreiben, das die Kommission am 28. Mai 2008 an sie gerichtet hat, ein erster Abschnitt in dem im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehenen Verhandlungsverfahren sei. Da dieses Verfahren seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union nicht mehr anwendbar ist, kann diese Entscheidung vom 28. Mai 2008 nicht den ersten Abschnitt dieses Verfahrens darstellen.

105    Im Übrigen kann die Tschechische Republik nicht mit Erfolg geltend machen, dass weder die Haushaltsordnung noch die Durchführungsverordnung Teil der Vorbeitritts‑Finanzinstrumente im Sinne von Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen sei.

106    Es ist nämlich zu beachten, dass nach Art. 274 EG die Kommission den Haushaltsplan gemäß der nach Art. 279 EG festgelegten Haushaltsordnung ausführt.

107    Im Übrigen ist Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen eng auszulegen, da er eine Ausnahme von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union vorsieht (vgl. oben, Randnr. 99). Infolgedessen sind Ausnahmen von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, d. h. im vorliegenden Fall von den nach Art. 279 EG erlassenen haushaltsrechtlichen Vorschriften, zu denen insbesondere die Haushaltsordnung und die Durchführungsverordnung gehören, nur zulässig, soweit sie in den in Rede stehenden Übergangsbestimmungen ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. oben, Randnr. 97).

108    Zur Prüfung, ob Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen eine Ausnahme von der Anwendung der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung vorsieht, ist daher der Begriff „Regelungen und Verordnungen für die Vorbeitritts‑Finanzinstrumente“ im Sinne dieser Vorschrift zu bestimmen.

109    Hierzu ist der Begriff der globalen Mittelbindungen in Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen heranzuziehen, die nach dieser Vorschrift weiterhin den genannten Regelungen und Verordnungen unterliegen.

110    Die Akte über die Beitrittsbedingungen bestimmt den Begriff der globalen Mittelbindungen nicht.

111    Allerdings sind die in der Akte über die Beitrittsbedingungen vorgesehenen Ausnahmen nur im Zusammenhang mit den Bestimmungen zu verstehen, von denen sie abweichen sollen.

112    Für die Klarstellung der Tragweite von Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen ist daher Bezug auf das Gemeinschaftsrecht und insbesondere auf dessen haushaltsrechtliche Bestimmungen zu nehmen.

113    Der Begriff der globalen Mittelbindungen wird bestimmt in Abschnitt 1 (Mittelbindung) des Kapitels VI (Ausgabenvorgänge) von Titel IV (Haushaltsvollzug) des ersten Teils (Gemeinsame Bestimmungen) der Haushaltsordnung.

114    So besteht nach Art. 76 Abs. 1 Unterabs. 1 der Haushaltsordnung die Mittelbindung darin, die Mittel vorzumerken, die erforderlich sind, um Zahlungen, die sich aus einer rechtlichen Verpflichtung ergeben, zu einem späteren Zeitpunkt leisten zu können.

115    Nach Art. 76 Abs. 2 Unterabs. 2 der Haushaltsordnung steht bei der globalen Mittelbindung mindestens eins der Elemente, die zur Identifizierung der Einzelmittelbindung erforderlich sind, nicht fest.

116    Der Begriff der Mittelbindung gehört daher zu den Ausgabenvorgängen im Sinne der Haushaltsordnung.

117    Dagegen gehören die Begriffe der Feststellung und Einziehung der Forderungen, um die es vorliegend geht, zu den Abschnitten 3 bis 5 des Kapitels 5 (Einnahmenvorgänge) des Titels IV des ersten Teils der Haushaltsordnung.

118    Somit sieht Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen, der die Weiterführung der vor dem Beitritt zur Union im Rahmen globaler Mittelbindungen vorgesehenen Ausgaben, die beim Beitritt noch nicht vollständig getätigt worden waren, gewährleisten soll, eine Ausnahme von einigen Bestimmungen der Haushaltsordnung bezüglich der Ausgabenvorgänge vor.

119    Mit ihm war jedoch nicht bezweckt, eine Ausnahme von den Bestimmungen der Haushaltsordnung bezüglich der Einnahmenvorgänge zu schaffen.

120    Mit anderen Worten, entgegen der Ansicht der Tschechischen Republik schließt Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen nicht ausdrücklich die Anwendung der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung auf Einnahmenvorgänge aus. Diese werden seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union durch die in Rede stehenden Verordnungen geregelt.

121    Im Übrigen wird die Aufrechnung, die als Form der Einziehung von Forderungen in Art. 73 Abs. 1 der Haushaltsordnung sowie Art. 81 Abs. 1 und Art. 83 der Durchführungsverordnung vorgesehen ist, durch Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Daher ist diese die Einnahmen betreffende Maßnahme unter den in den in Rede stehenden Verordnungen festgelegten Voraussetzungen auf Forderungen aus Heranführungshilfen nach dem PHARE‑Programm im Sinne von Art. 33 Abs. 1 der Akte über die Beitrittsbedingungen anwendbar.

122    Daraus folgt, dass die Feststellung und die Einziehung – auch im Wege der Aufrechnung – einer Forderung auf Rückzahlung von Mitteln, die die Tschechische Republik im Rahmen des PHARE‑Programms erhalten hat, der Kommission obliegen, die verpflichtet ist, dabei die Bestimmungen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung anzuwenden und zu beachten.

b)     Zur Einhaltung des für die Einziehung der Forderungen in der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung vorgesehenen Verfahrens

 Vorbemerkungen

123    Nach Art. 71 Abs. 2 der Haushaltsordnung ist jede einredefreie, auf Geld gehende und fällige Forderung dadurch festzustellen, dass dem Rechnungsführer eine Einziehungsanordnung erteilt und anschließend dem Schuldner eine Belastungsanzeige übermittelt wird, und zwar beides durch den zuständigen Anweisungsbefugten.

124    Nach Art. 73 Abs. 1 Unterabs. 2 werden Forderungen der Union gegenüber einem Schuldner, der selbst gegenüber der Union eine einredefreie, auf Geld gehende und fällige Forderung geltend macht, bei ihrer Einziehung vom Rechnungsführer verrechnet.

125    Nach Art. 78 der Durchführungsverordnung ist die Feststellung einer Forderung durch den Anweisungsbefugten die Anerkennung des Anspruchs der Gemeinschaften gegenüber einem Schuldner und der Ausstellung des Titels, mit dem von diesem Schuldner die Begleichung seiner Schuld gefordert wird. Ferner ist die Einziehungsanordnung der Vorgang, mit dem der zuständige Anweisungsbefugte den Rechnungsführer anweist, die festgestellte Forderung einzuziehen. Schließlich ist die Belastungsanzeige die dem Schuldner erteilte Information, dass die Union die Forderung festgestellt hat, dass keine Verzugszinsen fällig werden, wenn die Zahlung der Schuld innerhalb der angegebenen Frist erfolgt, und dass bei Nichtzahlung innerhalb dieser Frist das Organ die Einziehung durch Aufrechnung oder durch Inanspruchnahme aller vorherigen Sicherheitsleistungen vornimmt.

126    Nach Art. 79 der Durchführungsverordnung vergewissert sich zur Feststellung einer Forderung der zuständige Anweisungsbefugte u. a., dass die Forderung einredefrei, d. h. mit keiner Bedingung verknüpft ist, dass sie auf Geld geht, d. h. in einem genauen Geldbetrag ausgedrückt ist, und dass sie fällig ist, d. h., dass keine Zahlungsfrist vorliegt.

127    Schließlich geht aus Art. 83 Abs. 1 und 2 der Durchführungsverordnung hervor, dass der Rechnungsführer, wenn der Schuldner gegenüber der Union eine einredefreie, bezifferbare und fällige Forderung geltend macht, die einen durch eine Auszahlungsanordnung festgestellten Geldbetrag zum Gegenstand hat, nach Ablauf der in der Einziehungsanordnung genannten Frist die Einziehung der festgestellten Forderung auf dem Wege der Aufrechnung vornimmt, nachdem er den Schuldner, wenn dieser eine nationale Behörde oder eine ihrer Verwaltungsstellen ist, mindestens zehn Tage im Voraus von seiner Absicht unterrichtet hat, die Einziehung im Wege der Aufrechnung vorzunehmen.

128    Mit anderen Worten, die Einziehung einer einredefreien, bezifferbaren und fälligen Forderung setzt, nachdem sie vom zuständigen Anweisungsbefugten festgestellt worden ist, zum einen eine von diesem erstellte Einziehungsanordnung an den Rechnungsführer und zum anderen eine Belastungsanzeige an den Schuldner voraus.

129    Der Rechnungsführer führt die Einziehungsanordnungen aus. Ist der Schuldner selbst Inhaber einer einredefreien, bezifferbaren und fälligen Forderung gegen die Union, so ist es ebenfalls Aufgabe des Rechnungsführers, die Einziehung im Wege der Aufrechnung vorzunehmen.

130    Der Rechnungsführer ist verpflichtet, diese Aufrechnung vorzunehmen, wenn der Schuldner nicht freiwillig zahlt.

 Zur Entscheidung vom 28. Mai 2008 und zur angefochtenen Entscheidung

131    Im vorliegenden Fall übersandte die Kommission der Tschechischen Republik eine vom 28. Mai 2008 datierende Entscheidung, mit der sie dieser aufgab, den Betrag von 234 480 000 CZK wegen Veruntreuungen bei der Verwaltung bestimmter Mittel aus dem PHARE‑Programm zurückzuzahlen.

132    Dieser Entscheidung war eine Belastungsanzeige beigefügt.

133    Unbestreitbar stellt die Entscheidung vom 28. Mai 2008 eine Maßnahme dar, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die geeignet sind, die Interessen der Tschechischen Republik durch einen Eingriff in ihre Rechtsstellung zu beeinträchtigen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission, C‑147/96, Slg. 2000, I‑4723, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Entscheidung konnte daher mit einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG angefochten werden.

134    Im Übrigen war in der Belastungsanzeige eine Frist bis zum 7. August 2008 festgesetzt.

135    Es steht fest, dass die Tschechische Republik den von ihr geforderten Betrag nicht bis zu diesem Zeitpunkt zurückgezahlt hatte.

136    Ferner steht fest, dass die Tschechische Republik weder die Entscheidung vom 28. Mai 2008 noch die beigefügte Belastungsanzeige angefochten hat.

137    Infolgedessen hatte der Rechnungsführer für die Einziehung der Forderung gemäß den Bestimmungen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung, die nach Art. 274 EG anwendbar sind, zu sorgen.

138    Angesichts der beiden Forderungen der Tschechischen Republik gegen den ESF in Höhe von insgesamt 10 814 475,41 Euro hatte der Rechnungsführer im vorliegenden Fall die in der Entscheidung vom 28. Mai 2008 festgestellte Forderung durch Aufrechnung einzuziehen, nachdem er die Tschechische Republik mindestens zehn Werktage im Voraus gemäß Art. 83 der Durchführungsverordnung unterrichtet hatte, was er in der angefochtenen Entscheidung getan hatte.

139    Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen der Tschechischen Republik in Bezug auf die fehlende Gegenseitigkeit der in Rede stehenden Forderungen und das Fehlen der Einredefreiheit der Forderung der Kommission in Frage gestellt.

–       Zur fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen

140    Die Tschechische Republik ist im Kern der Ansicht, dass nur die im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehene Schiedsstelle berechtigt gewesen sei, den Betrag festzustellen, den sie gegebenenfalls der Union schulde. Diese Schiedsstelle sei nach Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen für die Beilegung von Streitigkeiten über Mittelbindungen aus dem Rahmenabkommen von 1996 zuständig geblieben. Die von der Kommission geltend gemachte Forderung unterliege in Wirklichkeit dem Völkerrecht und nicht dem Gemeinschaftsrecht. Daher unterlägen die in Rede stehenden Forderungen zwei verschiedenen Rechtsordnungen, was nach der Rechtsprechung die Prüfung erfordere, ob die in beiden Rechtsordnungen festgelegten Voraussetzungen erfüllt seien (Urteil Kommission/CCRE, oben in Randnr. 81 angeführt, Randnrn. 61 und 62). Diese Voraussetzungen seien jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da zum einen das Völkerrecht keine Aufrechnung kenne und da zum anderen das Rahmenabkommen, dessen materiell‑rechtliche Bestimmungen nach Art. 33 Abs. 2 der Akte über die Beitrittsbedingungen weiterhin gälten, sie nicht vorsehe. Die Voraussetzung der Gegenseitigkeit sei daher nicht erfüllt.

141    Wie bereits festgestellt, ist jedoch die im Rahmenabkommen von 1996 vorgesehene Streitbeilegungsregelung seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union nicht mehr anwendbar (vgl. oben, Randnr. 102).

142    Ferner ist zu beachten, dass die Haushaltsordnung und die Durchführungsverordnung auf die Einnahmenvorgänge seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union anwendbar sind (vgl. oben, Randnrn. 120 und 121).

143    Somit hatte der Rechnungsführer die Aufrechnung gegen Forderungen aus Finanzierungen, die im Rahmen des PHARE‑Programms bewilligt worden waren, unter den in der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung vorgesehenen Voraussetzungen nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union, als die Voraussetzungen nach der Haushaltsordnung hierfür erfüllt waren, vorzunehmen, wobei es unerheblich ist, ob die Forderung der Kommission gemeinschafts- oder völkerrechtlicher Natur war.

144    Somit ist das Vorbringen der Tschechischen Republik, dass das Vorbeitritts‑Abkommen keine Aufrechnung vorsehe und dass die Aufrechnung im Völkerrecht nicht rechtens sei, was eine Aufrechnung ausschließe, da die Forderungen unterschiedlichen Rechtsordnungen angehörten, zurückzuweisen.

–       Zur Einredefreiheit und Bezifferbarkeit der Forderung der Kommission gegen die Tschechische Republik

145    Die Tschechische Republik ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die Forderung der Kommission nicht einredefrei sei, weil erstens die Beziehungen zwischen den Parteien vertraglicher Natur seien und bei einer Streitigkeit zwischen diesen eine unabhängige Stelle im Rahmen eines Schiedsverfahrens angerufen werden müsse, zweitens die Tschechische Republik mit der Methode zur Bestimmung der Forderung und dem angewandten Wechselkurs nicht einverstanden gewesen sei und drittens der Betrag, der angeblich nicht ordnungsgemäß verwendet worden und zurückzuzahlen sei, nicht beziffert werden könne, solange die Ermittlungen von OLAF nicht abgeschlossen seien.

146    Aus Art. 79 Buchst. a der Durchführungsverordnung ergibt sich, dass eine Forderung nicht als einredefrei betrachtet werden kann, wenn sie mit einer Bedingung verknüpft ist.

147    Zunächst macht die Tschechische Republik nicht geltend, dass die Forderung der Kommission mit einer Bedingung verknüpft sei. Sie trägt nur vor, dass sie deren Höhe bestreite. Auf alle Fälle ist festzustellen, dass die Forderung mit keiner Bedingung verknüpft ist.

148    Daher ist die Forderung einredefrei im Sinne von Art. 79 Buchst. a der Durchführungsverordnung.

149    Ferner steht fest, dass die Höhe der Forderung durch die Entscheidung vom 28. Mai 2008 festgesetzt worden ist, die von der Tschechischen Republik nicht angefochten worden ist.

150    Daher ist die Forderung bezifferbar im Sinne von Art. 79 Buchst. a der Durchführungsverordnung.

151    Schließlich steht fest, dass die Forderung unbefristet und somit fällig ist.

152    Somit ist festzustellen, dass die in Art. 79 der Durchführungsverordnung aufgestellten Voraussetzungen in Bezug auf die Forderung der Kommission erfüllt sind, so dass der Rechnungsführer eine Aufrechnung vornehmen konnte.

153    Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen der Tschechischen Republik zur Stützung ihres zweiten Klagegrundes nicht in Frage gestellt.

154    Die angebliche Unzuständigkeit der Kommission für die Bestimmung der Höhe der Forderung und die angebliche Zuständigkeit der Schiedsstelle dafür sind bereits im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes verneint worden. Die Streitbeilegungsregelung im Rahmenabkommen von 1996 war seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union nicht mehr anwendbar (vgl. oben, Randnr. 102).

155    Im Übrigen steht der Umstand, dass die Forderung der Höhe nach bestritten ist, weil die Tschechische Republik die Methode ihrer Bestimmung, den angewandten Wechselkurs und den Umstand beanstandet, dass die Kommission für die Festsetzung des Betrags nicht den Abschluss der laufenden Ermittlungen abgewartet habe, der Einredefreiheit und Bezifferbarkeit der Forderung im Sinne der Rechtsprechung nicht entgegen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2007, Griechenland/Kommission, T 231/04, Slg. 2007, II‑63, Randnr. 118).

156    Die Höhe der Forderung wurde nämlich von der Kommission in ihrer Entscheidung vom 28. Mai 2008 festgesetzt, die bestandskräftig geworden ist, weil sie nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist angefochten wurde. Somit kann die Höhe der Forderung, die dort festgesetzt worden ist, im Rahmen der vorliegenden Klage nicht beanstandet werden.

157    Im Ergebnis sind sowohl der erste als auch der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

B –  Zum dritten Klagegrund: Fehlende Begründung

1.     Vorbringen der Parteien

158    Die Tschechische Republik macht geltend, dass die angefochtene Entscheidung keine Begründung enthalte. Der Verweis auf die Haushaltsordnung sei hierfür nicht ausreichend. Im Übrigen sei die Notwendigkeit einer eingehenden Begründung in den Fällen umso größer, in denen die Entscheidung einen technischen oder komplexen Sachverhalt betreffe. Die Adressaten dieser Entscheidungen müssten nämlich klar erkennen können, auf welche Umstände sich die Kommission gestützt habe, insbesondere dann, wenn die betreffenden Entscheidungen für die Mitgliedstaaten schwerwiegende finanzielle Folgen nach sich zögen.

159    Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Begründung teilweise im vorherigen informellen Schriftwechsel mit der Kommission enthalten gewesen sei. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit oder der Vorgaben der Rechtsprechung für die Begründung der Handlungen sei eine solche Begründung nicht ausreichend.

160    Schließlich macht die Tschechische Republik zum einen geltend, dass sich die Kommission geweigert habe, ihrem Antrag auf Übermittlung der Ergebnisse der Ermittlungen von OLAF, die zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt hätten, stattzugeben, und zum anderen, dass der Umstand, dass sie vom Kontext dieses Erlasses Kenntnis gehabt habe, für sich allein nicht als Begründung der in Rede stehenden Entscheidung ausreiche.

161    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

2.     Würdigung durch das Gericht

162    Die Pflicht zur Begründung von beschwerenden Rechtsakten dient dem Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und außerdem dem Unionsrichter die Rechtmäßigkeitsprüfung des Rechtsakts zu ermöglichen. Die so verstandene Begründungspflicht ist ein wesentlicher Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, von dem Ausnahmen nur aufgrund zwingender Erwägungen möglich sind. Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit dem ihn beschwerenden Rechtsakt mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für den Rechtsakt während des Verfahrens vor dem Gemeinschaftsrichter erfährt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2006, Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran/Rat, T‑228/02, Slg. 2006, II‑4665, Randnrn. 138 bis 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

163    Die Begründung muss jedoch der Natur des betreffenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden ist, angepasst sein. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts ausreicht, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet. Insbesondere ist ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihn in die Lage versetzt, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. Urteil Organisation des Modjahedines du peuple d’Iran, oben in Randnr. 162 angeführt, Randnr. 141 und die dort angeführte Rechtsprechung).

164    Bei einer Aufrechnungsentscheidung muss die erforderliche Begründung es erlauben, die Forderungen genau zu bestimmen, die zur Aufrechnung gestellt werden, ohne dass verlangt werden kann, dass die ursprünglich zur Feststellung jeder dieser Forderungen angeführte Begründung in der Aufrechnungsentscheidung wiederholt wird.

165    Im vorliegenden Fall steht fest, dass Grundlage der Aufrechnungsentscheidung die Entscheidung vom 28. Mai 2008 ist, was die Tschechische Republik in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat.

166    Die Entscheidung vom 28. Mai 2008 enthält eine besonders eingehende Aufstellung der Gründe, die die Kommission dazu veranlasst haben, die Rückzahlung eines Betrags von 234 480 000 CZK von der Tschechischen Republik zu verlangen.

167    Im Übrigen stellt die angefochtene Entscheidung fest, dass die Tschechische Republik zwei Forderungen gegen den ESF hat und dass der Rechnungsführer bei nicht fristgerechter Zahlung des in der Belastungsanzeige im Anhang zur Entscheidung vom 28. Mai 2008 aufgeführten Betrags verpflichtet ist, unter diesen Umständen gemäß Art. 73 Abs. 1 der Haushaltsordnung die Aufrechnung zu erklären.

168    Somit ist der beschwerende Rechtsakt in einem Zusammenhang ergangen, der der Tschechischen Republik bekannt war und sie in die Lage versetzt hat, die Tragweite der ihr gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen, da die Tschechische Republik die Gründe tatsächlich kannte, aus denen der Rechnungsführer entschieden hat, eine Aufrechnung der gegenseitigen Forderungen der Parteien vorzunehmen.

169    Daher ist die angefochtene Entscheidung ausreichend begründet, so dass der Klagegrund einer fehlenden Begründung zurückzuweisen ist.

170    Im Ergebnis ist die Klage abzuweisen.

 Kosten

171    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Tschechische Republik unterlegen ist, sind ihr die Kosten gemäß dem Antrag der Kommission aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Tschechische Republik trägt die Kosten.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. April 2011.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Rechtlicher Rahmen

A –  EG‑Vertrag

B –  Akte über die Bedingungen des Beitritts

C –  Rahmenabkommen zwischen der Regierung der Tschechischen Republik und der Europäischen Kommission über die Teilnahme der Tschechischen Republik am Hilfsprogramm der Europäischen Gemeinschaft

D –  Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

E –  Verordnung (EG) Nr. 1266/1999

F –  Haushaltsordnung

G –  Durchführungsverordnung

Sachverhalt

Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

A –  Zum ersten Klagegrund wegen Erlasses der angefochtenen Entscheidung auf einer falschen Rechtsgrundlage und zum zweiten Klagegrund wegen Verstoßes gegen die in der Haushaltsordnung und in der Durchführungsverordnung festgelegten Voraussetzungen einer Aufrechnung

1.  Vorbringen der Parteien

2.  Würdigung durch das Gericht

a)  Zur Zuständigkeit der Kommission sowie zur Anwendung der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung

b)  Zur Einhaltung des für die Einziehung der Forderungen in der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung vorgesehenen Verfahrens

Vorbemerkungen

Zur Entscheidung vom 28. Mai 2008 und zur angefochtenen Entscheidung

–  Zur fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen

–  Zur Einredefreiheit und Bezifferbarkeit der Forderung der Kommission gegen die Tschechische Republik

B –  Zum dritten Klagegrund: Fehlende Begründung

1.  Vorbringen der Parteien

2.  Würdigung durch das Gericht

Kosten


* Verfahrenssprache: Tschechisch.