Language of document : ECLI:EU:T:2005:331

Rechtssache T‑306/01

Ahmed Ali Yusuf und Al Barakaat International Foundation

gegen

Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Zuständigkeit der Gemeinschaft – Einfrieren von Geldern – Grundrechte – Ius cogens – Gerichtliche Nachprüfung – Nichtigkeitsklage“

Leitsätze des Urteils

1.      Verfahren – Verordnung, die während des Verfahrens die angefochtene Verordnung ersetzt – Neue Tatsache – Erweiterung der ursprünglichen Anträge und des ursprünglichen Vorbringens

2.      Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Verordnung über die Anwendung von Sanktionen, die zur Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem Drittland dienen, gegen bestimmte Personen und Organisationen – Artikel 60 EG und 301 EG – Zulässigkeit

(Artikel 60 EG und 301 EG; Verordnung Nr. 467/2001 des Rates)

3.      Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Verordnung über die Anwendung von Sanktionen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die keine Verbindung zu einem Drittland aufweisen – Gemeinsame Heranziehung der Artikel 60 EG, 301 EG und 308 EG – Zulässigkeit

(Artikel 60 EG, 301 EG und 308 EG; Artikel 3 EU; Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)

4.      Freier Kapital- und Zahlungsverkehr – Beschränkungen – Nationale Maßnahmen, die zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus dienen und mit denen zu diesem Zweck wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen wie das Einfrieren von Geldern gegenüber Privatpersonen ohne Verbindung zu dem Hoheitsgebiet oder dem Regime eines Drittlands verhängt werden – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Artikel 58 EG)

5.      Handlungen der Organe – Rechtsnatur – Verordnung oder Entscheidung – Unterscheidung – Kriterien – Begriff des Adressaten eines Rechtsakts – Gegenstand eines Rechtsakts – Irrelevantes Kriterium

(Artikel 230 Absatz 4 EG und 249 EG; Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)

6.      Völkerrecht – Charta der Vereinten Nationen – Beschlüsse des Sicherheitsrats – Daraus für die Mitgliedstaaten entstehende Verpflichtungen – Vorrang vor dem nationalen Recht und dem Gemeinschaftsrecht – Aus dieser Charta resultierende Verpflichtungen – Für die Gemeinschaft bindender Charakter

7.      Europäische Gemeinschaften – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Handlung, mit der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Wirkung verliehen wird – Inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Sicherheitsrats – Kontrolle anhand des Gemeinschaftsrechts – Ausschluss – Kontrolle anhand des Ius cogens – Zulässigkeit

(Artikel 5 EG, 10 EG, 230 EG, 297 EG und 307 Absatz 1 EG; Artikel 5 EU; Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)

8.      Europäische Gemeinschaften – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Handlung, mit der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Wirkung verliehen wird – Verordnung Nr. 881/2002 – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Grundrechte der Betroffenen – Einfrieren von Geldern – Kontrolle anhand des Ius cogens – Eigentumsrecht der Betroffenen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Kein Verstoß

(Verordnung Nr. 881/2002 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 561/2003 des Rates)

9.      Europäische Gemeinschaften – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Handlung, mit der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Wirkung verliehen wird – Verordnung Nr. 881/2002 – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Recht der Betroffenen auf Anhörung – Kein Verstoß

(Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)

10.    Nichtigkeitsklage – Handlung der Gemeinschaft, mit der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Wirkung verliehen wird – Verordnung Nr. 881/2002 – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen – Lücke im gerichtlichen Rechtsschutz der Kläger – Kontrolle anhand des Ius cogens – Anspruch auf eine effektive gerichtliche Kontrolle – Kein Verstoß

(Artikel 226 EG; Verordnung Nr. 881/2002 des Rates)

1.      Wird im Rahmen einer Nichtigkeitsklage eine Verordnung, die einen Einzelnen unmittelbar und individuell betrifft, während des Verfahrens durch eine Verordnung mit gleichem Gegenstand ersetzt, so ist dies als neue Tatsache anzusehen, die den Kläger zur Anpassung seiner Anträge und Klagegründe berechtigt. Es wäre nämlich mit einer geordneten Rechtspflege und dem Erfordernis der Prozessökonomie unvereinbar, wenn der Kläger eine weitere Klage erheben müsste. Außerdem wäre es ungerecht, wenn das fragliche Gemeinschaftsorgan den Rügen in einer beim Gemeinschaftsrichter gegen eine Verordnung eingereichten Klageschrift dadurch begegnen könnte, dass es die angefochtene Verordnung anpasst oder durch eine andere ersetzt und sich im Verfahren auf diese Änderung oder Ersetzung beruft, um es der Gegenpartei unmöglich zu machen, ihre ursprünglichen Anträge und Klagegründe auf die spätere Verordnung auszudehnen oder gegen diese ergänzende Anträge zu stellen und zusätzliche Angriffsmittel vorzubringen.

(vgl. Randnrn. 72-73)

2.      Der Rat war für den Erlass der Verordnung Nr. 467/2001 über das Verbot der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan, über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan auf der Grundlage der Artikel 60 EG und 301 EG zuständig.

Der Wortlaut dieser Artikel schließt nämlich den Erlass von speziell gegen die Machthaber eines Drittlands und nicht gegen dieses Land als solches sowie gegen Einzelpersonen und Organisationen – gleichgültig, wo sie sich befinden –, die mit diesen Machthabern verbündet sind oder unmittelbar oder mittelbar von ihnen kontrolliert werden, gerichteten restriktiven Maßnahmen nicht aus, soweit solche Maßnahmen tatsächlich darauf abzielen, die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern auszusetzen, einzuschränken oder vollständig einzustellen. Diese Auslegung, die nicht im Widerspruch zum Wortlaut der Artikel 60 EG und 301 EG steht, ist sowohl durch Wirksamkeitserwägungen als auch aus humanitären Gründen gerechtfertigt.

Die in der Verordnung Nr. 467/2001 vorgesehenen Maßnahmen dienten zur Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu Afghanistan im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und insbesondere von Osama bin Laden und des Al-Qaida-Netzwerks durch die Völkergemeinschaft.

Die genannten Maßnahmen, mit denen wirksamer Druck auf die Machthaber des betreffenden Landes ausgeübt und zugleich ihre Auswirkung auf die Bevölkerung dieses Landes so weit wie möglich begrenzt werden sollte, insbesondere indem ihr persönlicher Anwendungsbereich auf eine bestimmte Zahl namentlich genannter Personen beschränkt wird, standen auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, der verlangt, dass Sanktionen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Verwirklichung des mit der Gemeinschaftsregelung, durch die sie eingeführt werden, verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 108, 112, 115-116, 121-122, 124)

3.      Die Artikel 60 EG und 301 EG stellen für sich genommen keine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass einer Gemeinschaftsverordnung dar, die zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus dient und zu diesem Zweck die Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen wie das Einfrieren von Geldern gegenüber Privatpersonen vorsieht, ohne dass eine Verbindung zwischen diesen Personen und einem Drittland besteht.

Auch Artikel 308 EG stellt für sich allein keine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Verordnung dar. Zwar verleiht keine Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlass von Sanktionen gegen Privatpersonen oder Organisationen, die keine Verbindung zu einem Drittland aufweisen, erforderliche Befugnis, doch kann der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und speziell die Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen gegenüber Privatpersonen und Organisationen, die im Verdacht stehen, zu seiner Finanzierung beizutragen, mit keinem der Ziele in Verbindung gebracht werden, die die Artikel 2 EG und 3 EG der Gemeinschaft ausdrücklich zuweisen. Außerdem geht aus der Präambel des EG-Vertrags nicht hervor, dass mit ihm ein umfassenderes Ziel der Verteidigung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verfolgt wird. Dieses gehört ausschließlich zu den Zielen des EU-Vertrags. Man kann zwar sagen, dass sich die Gemeinschaft bei ihrem Handeln im Bereich ihrer eigenen Zuständigkeiten von diesem Ziel der Union leiten lassen muss, doch genügt dies nicht als Begründung für den Erlass von Maßnahmen nach Artikel 308 EG. Es erscheint nämlich nicht möglich, Artikel 308 EG dahin auszulegen, dass er die Gemeinschaftsorgane in allgemeiner Form ermächtigt, sich zur Verwirklichung eines der Ziele des EU-Vertrags auf diese Bestimmung zu stützen.

Demnach war der Rat für den Erlass der Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, zuständig, mit der in der Gemeinschaft die im Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 vorgesehenen wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen, ohne jede Verbindung zu dem Hoheitsgebiet oder dem Regime eines Drittlands, auf der gemeinsamen Grundlage der Artikel 60 EG, 301 EG und 308 EG umgesetzt werden.

In diesem Zusammenhang ist nämlich das bei der Überarbeitung durch den Vertrag von Maastricht geschaffene spezielle Bindeglied zwischen dem mit wirtschaftlichen Sanktionen verbundenen Handeln der Gemeinschaft gemäß den Artikeln 60 EG und 301 EG und den Zielen des EU-Vertrags im Bereich der auswärtigen Beziehungen zu berücksichtigen. Insoweit sind die Artikel 60 EG und 301 EG ganz besondere Bestimmungen des EG-Vertrags, da sie ausdrücklich vorsehen, dass sich ein Tätigwerden der Gemeinschaft nicht zur Verwirklichung eines der im EG-Vertrag festgelegten Ziele der Gemeinschaft, sondern eines der durch Artikel 2 EU der Union speziell zugewiesenen Ziele, nämlich einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, als erforderlich erweisen kann. Wenn sich die in den Artikeln 60 EG und 301 EG vorgesehenen Befugnisse zur Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen in Form der Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern, insbesondere in Bezug auf den Kapital- und Zahlungsverkehr, als unzureichend erweisen, um es den Gemeinschaftsorganen zu ermöglichen, das Ziel der GASP zu verwirklichen, ist daher der Rückgriff auf die ergänzende Rechtsgrundlage des Artikels 308 EG in dem besonderen Zusammenhang dieser beiden Artikel aufgrund des in Artikel 3 EU aufgestellten Kohärenzerfordernisses gerechtfertigt. Der Rückgriff auf die Artikel 60 EG, 301 EG und 308 EG als gemeinsame Rechtsgrundlage erlaubt es somit, im Bereich wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen das im Rahmen der GASP von der Union und ihren Mitgliedstaaten verfolgte Ziel, das in einem gemeinsamen Standpunkt oder einer gemeinsamen Aktion zum Ausdruck kommt, zu verwirklichen, obwohl der Gemeinschaft keine ausdrücklichen Befugnisse für wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegenüber Privatpersonen oder Organisationen, die keine hinreichende Verbindung zu einem bestimmten Drittland aufweisen, verliehen worden sind.

(vgl. Randnrn. 132-133, 136, 152, 154-157, 159-160, 163-166, 170)

4.      Die Gemeinschaft besitzt keine ausdrückliche Zuständigkeit für Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs. Dagegen ist es nach Artikel 58 EG zulässig, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, die eine solche Wirkung haben, wenn dies zur Erreichung der in diesem Artikel bezeichneten Ziele und insbesondere aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt ist und bleibt. Da der Begriff der öffentlichen Sicherheit sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit des Staates umfasst, wären die Mitgliedstaaten somit grundsätzlich berechtigt, nach Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG Maßnahmen zu treffen, die zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus dienen und zu diesem Zweck die Verhängung wirtschaftlicher und finanzieller Sanktionen wie das Einfrieren von Geldern gegenüber Privatpersonen vorsehen, ohne dass eine Verbindung zu dem Hoheitsgebiet oder dem Regime eines Drittlands hergestellt wird. Soweit diese Maßnahmen mit Artikel 58 Absatz 3 EG im Einklang stehen und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Zieles Erforderliche hinausgehen, wären sie mit den durch den EG-Vertrag geschaffenen Systemen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs vereinbar.

(vgl. Randnr. 146)

5.      Artikel 249 EG, der bestimmt, dass eine Verordnung allgemeine Geltung hat, während eine Entscheidung nur für diejenigen verbindlich ist, die sie bezeichnet, bezieht sich nur auf den Begriff des Adressaten eines Rechtsakts. Dagegen ist der Gegenstand eines Rechtakts ein für die Einstufung als Verordnung oder Entscheidung irrelevantes Kriterium.

Daher hat die Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, allgemeine Geltung, da sie jedermann verbietet, bestimmten Personen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Dass diese Personen in Anhang I der Verordnung namentlich aufgeführt und daher von ihr im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG unmittelbar und individuell betroffen sind, ändert nichts am allgemeinen Charakter dieses Verbots.

(vgl. Randnrn. 186-187)

6.      Aus völkerrechtlicher Sicht haben die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) aufgrund der Charta der Vereinten Nationen unbestreitbar Vorrang vor allen anderen Verpflichtungen des innerstaatlichen Rechts oder des Völkervertragsrechts; dies gilt, soweit sie Mitglieder des Europarats sind, auch für ihre Verpflichtungen aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention und, soweit sie auch Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, für ihre Verpflichtungen aufgrund des EG-Vertrags. Dieser Vorrang erstreckt sich nach Artikel 25 der Charta der Vereinten Nationen, wonach die Mitglieder der UNO die Beschlüsse des Sicherheitsrats anzunehmen und durchzuführen haben, auch auf die in einer Resolution des Sicherheitsrats enthaltenen Beschlüsse.

Auch wenn die Gemeinschaft nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, ist davon auszugehen, dass sie schon nach dem Vertrag zu ihrer Gründung in der gleichen Weise wie ihre Mitgliedstaaten an die Verpflichtungen aufgrund der Charta der Vereinten Nationen gebunden ist. Zum einen darf sie weder die Verpflichtungen, die ihren Mitgliedstaaten aufgrund der Charta obliegen, verletzen noch die Erfüllung dieser Verpflichtungen behindern. Zum anderen muss sie schon nach ihrem Gründungsvertrag bei der Ausübung ihrer Befugnisse alle erforderlichen Bestimmungen erlassen, um es ihren Mitgliedstaaten zu ermöglichen, diesen Verpflichtungen nachzukommen.

(vgl. Randnrn. 231, 234, 242-243, 254)

7.      Mit der im Hinblick auf den Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 ergangenen Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, wird auf der Ebene der Gemeinschaft die Verpflichtung ihrer Mitgliedstaaten als Mitglieder der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) erfüllt, gegebenenfalls durch eine Gemeinschaftshandlung den Sanktionen gegen Osama bin Laden, das Al-Qaida-Netzwerk und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen, die durch mehrere Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossen und dann verschärft wurden, Wirkung zu verleihen.

In diesem Zusammenhang sind die Gemeinschaftsorgane aufgrund einer gebundenen Befugnis tätig geworden, so dass sie über keinen eigenen Ermessensspielraum verfügten. Insbesondere konnten sie weder den Inhalt der fraglichen Resolutionen unmittelbar ändern noch einen Mechanismus schaffen, der zu einer solchen Änderung führen konnte. Jede Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnung Nr. 881/2002 würde also bedeuten, dass das Gericht inzident die Rechtmäßigkeit der genannten Resolutionen prüft.

Angesichts des Vorrangs des Rechts der UNO vor dem Gemeinschaftsrecht lässt sich eine Zuständigkeit des Gerichts für die inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen des Sicherheitsrats nach dem Standard des Schutzes der in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten Grundrechte weder auf der Grundlage des Völkerrechts noch auf der des Gemeinschaftsrechts herleiten. Zum einen wäre eine solche Zuständigkeit mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund der Charta der Vereinten Nationen, insbesondere ihrer Artikel 25, 48 und 103, sowie mit Artikel 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge unvereinbar. Zum anderen würde sie sowohl gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags, insbesondere die Artikel 5 EG, 10 EG, 297 EG und 307 Absatz 1 EG, als auch gegen die des EU-Vertrags, insbesondere Artikel 5 EU, verstoßen. Sie wäre außerdem unvereinbar mit dem Grundsatz, dass die Befugnisse der Gemeinschaft und damit die des Gerichts unter Beachtung des Völkerrechts ausgeübt werden müssen.

Die Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unterliegen daher grundsätzlich nicht der Kontrolle durch das Gericht, und das Gericht ist nicht berechtigt, ihre Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht – und sei es auch nur inzident – in Frage zu stellen. Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht so weit wie möglich in einer Weise auszulegen und anzuwenden, die mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Charta der Vereinten Nationen vereinbar ist.

Dagegen kann das Gericht die Rechtmäßigkeit solcher Resolutionen im Hinblick auf das Ius cogens, verstanden als internationaler Ordre public, der für alle Völkerrechtssubjekte einschließlich der Organe der UNO gilt und von dem nicht abgewichen werden darf, inzident prüfen.

(vgl. Randnrn. 264-266, 272-274, 276-277)

8.      Das in der Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, in der Fassung der Verordnung Nr. 561/2003 und indirekt in den Resolutionen des Sicherheitsrats, die mit diesen Verordnungen umgesetzt werden, vorgesehene Einfrieren von Geldern verletzt nicht die Grundrechte der Betroffenen nach dem Standard des universellen Schutzes der zum Ius cogens gehörenden Menschenrechte.

Insoweit zeigen die ausdrücklichen Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten, mit denen das Einfrieren von Geldern der in die Liste des Sanktionsausschusses aufgenommenen Personen versehen ist, eindeutig, dass diese Maßnahme weder bezweckt noch bewirkt, die genannten Personen einer inhumanen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen.

Außerdem könnte, sofern das Recht auf Eigentum als Bestandteil der zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts anzusehen wäre, jedenfalls nur ein willkürlicher Entzug dieses Rechts als Verletzung des Ius cogens betrachtet werden. Dies ist hier nicht der Fall.

Erstens stellt nämlich das Einfrieren ihrer Gelder einen Aspekt der vom Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen gegen Osama bin Laden, das Al-Qaida-Netzwerk und die Taliban sowie andere mit ihnen verbündete Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen dar, wobei die Bedeutung des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus und die Legitimität eines Schutzes der Vereinten Nationen vor den Handlungen terroristischer Organisationen zu berücksichtigen sind. Zweitens ist das Einfrieren von Geldern eine Sicherungsmaßnahme, die im Unterschied zu einer Beschlagnahme nicht in die Substanz des Rechts der Betroffenen am Eigentum ihrer Finanzmittel eingreift, sondern nur in deren Nutzung. Drittens sehen die Resolutionen des Sicherheitsrats eine regelmäßige Überprüfung der allgemeinen Sanktionsregelung vor. Schließlich stellt die fragliche Regelung ein Verfahren zur Verfügung, das es den Betroffenen ermöglicht, ihren Fall jederzeit über den Mitgliedstaat, dem sie angehören oder in dem sie wohnen, dem Sanktionsausschuss zur Prüfung zu unterbreiten.

Unter diesen Umständen ist nicht davon auszugehen, dass das Einfrieren der Gelder von Personen und Organisationen, die aufgrund der von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen übermittelten und vom Sicherheitsrat überprüften Informationen verdächtigt werden, mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung zu stehen und an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Handlungen beteiligt gewesen zu sein, den Tatbestand eines willkürlichen, unangemessenen oder unverhältnismäßigen Eingriffs in die Grundrechte der Betroffenen erfüllt.

(vgl. Randnrn. 289, 291, 293-296, 299-302)

9.      Der Anspruch der Betroffenen, angehört zu werden, wurde weder vom Sanktionsausschuss vor ihrer Aufnahme in die Liste der Personen, deren Gelder gemäß den fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats einzufrieren waren, noch von den Gemeinschaftsorganen vor dem Erlass der Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, verletzt.

Erstens ist ein Anspruch der Betroffenen, vom Sanktionsausschuss vor ihrer Aufnahme in die Liste der Personen, die im Verdacht stehen, zur Finanzierung des internationalen Terrorismus beizutragen, und deren Gelder gemäß den fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats einzufrieren waren, angehört zu werden, in den fraglichen Resolutionen nicht vorgesehen, und es ist nicht ersichtlich, dass eine zwingende Völkerrechtsnorm eine solche vorherige Anhörung gebietet. Insbesondere erfordert in einem Fall, in dem es um eine Sicherungsmaßnahme geht, die die Verfügbarkeit des Vermögens der Betroffenen einschränkt, die Beachtung ihrer Grundrechte nicht, dass ihnen die ihnen zur Last gelegten Tatsachen und Beweiselemente mitgeteilt werden, wenn der Sicherheitsrat oder sein Sanktionsausschuss der Meinung ist, dass Gründe, die mit der Sicherheit der Völkergemeinschaft zusammenhängen, dem entgegenstehen.

Zweitens waren auch die Gemeinschaftsorgane nicht verpflichtet, die Betroffenen vor dem Erlass der fraglichen Verordnung anzuhören, da sie bei der Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats und der Beschlüsse des Sanktionsausschusses in die Gemeinschaftsrechtsordnung über keinen Ermessensspielraum verfügten, so dass eine Anhörung der Betroffenen das Organ keinesfalls hätte veranlassen können, seinen Standpunkt zu revidieren.

(vgl. Randnrn. 306-307, 320, 328-329, 331)

10.    Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung Nr. 881/2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit dieser Verordnung umfassend daraufhin, ob die Gemeinschaftsorgane die Zuständigkeitsregeln sowie die Vorschriften über die formale Rechtmäßigkeit und die wesentlichen Formvorschriften beachtet haben, die für ihr Handeln gelten. Das Gericht prüft ferner die Rechtmäßigkeit der Verordnung im Hinblick auf die Resolutionen des Sicherheitsrats, die mit ihr umgesetzt werden sollen, insbesondere unter dem Aspekt der formellen und materiellen Angemessenheit, der inneren Kohärenz und der Verhältnismäßigkeit der Verordnung gegenüber den Resolutionen. Darüber hinaus prüft es die Rechtmäßigkeit der Verordnung und mittelbar die Rechtmäßigkeit der fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats anhand der zum Ius cogens gehörenden übergeordneten Normen des Völkerrechts und insbesondere der zwingenden Normen zum universellen Schutz der Menschenrechte.

Dagegen kann das Gericht nicht mittelbar die Vereinbarkeit der fraglichen Resolutionen des Sicherheitsrats selbst mit den durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten prüfen. Das Gericht kann auch nicht feststellen, ob bei der Beurteilung der Tatsachen und Beweiselemente, auf die der Sicherheitsrat seine Maßnahmen gestützt hat, ein Fehler begangen wurde, oder, unbeschadet des begrenzten Rahmens der Prüfung anhand des Ius cogens, mittelbar kontrollieren, ob diese Maßnahmen zweckmäßig und verhältnismäßig sind. Insoweit verfügen die Kläger über keinen gerichtlichen Rechtsbehelf, da der Sicherheitsrat es nicht für angebracht gehalten hat, ein unabhängiges internationales Gericht zu schaffen, das in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht über Klagen gegen die Einzelfallentscheidungen des Sanktionsausschusses zu befinden hat.

Diese Lücke im gerichtlichen Rechtsschutz der Kläger verstößt jedoch als solche nicht gegen das Ius cogens. Das Recht auf Zugang zu den Gerichten ist nämlich nicht absolut. Die Beschränkung des Rechts der Kläger auf Zugang zu einem Gericht, die sich aus der Immunität von der Gerichtsbarkeit ergibt, von der die Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen grundsätzlich profitieren, ist diesem Recht, wie es durch das Ius cogens gewährleistet wird, immanent. Das Interesse der Kläger daran, durch ein Gericht zur Sache gehört zu werden, reicht nicht aus, um gegenüber dem wesentlichen allgemeinen Interesse an der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit angesichts einer vom Sicherheitsrat gemäß den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen eindeutig festgestellten Bedrohung zu überwiegen. Der Anspruch der Kläger auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wird daher nicht verletzt.

(vgl. Randnrn. 334-335, 337-344, 346)