Language of document : ECLI:EU:C:2024:155

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

22. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Art. 2 Abs. 1 – Entstehen einer Informations- und Konsultationspflicht – Zahl beabsichtigter oder tatsächlicher Entlassungen – Art. 1 Abs. 1 – Freiwillige Beendigung von Arbeitsverträgen vor einer Kündigung – Methode für die Berechnung der Zahl der Entlassungen“

In der Rechtssache C‑589/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de las Islas Baleares (Obergericht der Balearischen Inseln, Spanien) mit Entscheidung vom 29. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2022, in dem Verfahren

J. L. O. G.,

J. J. O. P.

gegen

Resorts Mallorca Hotels International SL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von J. L. O. G. und J. J. O. P., vertreten durch J. L. Valdés Alias, Abogado,

–        der Resorts Mallorca Hotels International SL, vertreten durch M. Sánchez Rubio, Abogado,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. L. O. G. und J. J. O. P. einerseits und der Resorts Mallorca Hotels International SL andererseits über die Wirksamkeit ihrer Entlassung.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 bestimmt:

„Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Massenentlassungen‘ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

i)      entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

–        Mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,

–        mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,

–        mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

ii)      oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,

beträgt;

Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“

4        Art. 2 in Teil II („Information und Konsultation“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen.

(2)      Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern.

…“

 Spanisches Recht

5        In Art. 51 („Massenentlassung“) des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) in der Fassung des Real Decreto Legislativo 2/2015, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Real Decreto Legislativo 2/2015 zur Billigung der Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut) vom 23. Oktober 2015 (BOE Nr. 255 vom 24. Oktober 2015, S. 100224) heißt es:

„1.      Als Massenentlassung im Sinne [des Arbeitnehmerstatuts] gilt die Beendigung von Arbeitsverträgen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen, wenn sich die Beendigung innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens auswirkt auf

a)      10 Arbeitnehmer in Unternehmen, die weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigen,

b)      10 % der Arbeitnehmer in Unternehmen, die zwischen 100 und 300 Arbeitnehmer beschäftigen,

c)      30 Arbeitnehmer in Unternehmen, die mehr als 300 Arbeitnehmer beschäftigen.

Für die Berechnung der Zahl der Vertragsbeendigungen im Sinne von Unterabs. 1 werden auch alle sonstigen Beendigungen berücksichtigt, die im Referenzzeitraum auf Veranlassung des Arbeitgebers aus Gründen erfolgen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen und die sich von den in Art. 49 Abs. 1 Buchst. c dieses Gesetzes aufgeführten Gründen unterscheiden, sofern wenigstens fünf Arbeitnehmer betroffen sind.

Beendet ein Unternehmen in aufeinanderfolgenden Zeiträumen von 90 Tagen und zur Umgehung der Bestimmungen dieser Vorschrift nach Art. 52 Buchst. c dieses Gesetzes Verträge in einer unter den angegebenen Schwellenwerten liegenden Zahl, ohne dass neue Gründe vorliegen, die ein solches Vorgehen rechtfertigen, gelten diese neuen Vertragsbeendigungen als Gesetzesumgehung und sind für nichtig zu erklären.

2.      Der Massenentlassung müssen Konsultationen der gesetzlichen Arbeitnehmervertreter für eine Dauer von nicht mehr als 30 Kalendertagen oder – bei Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern – 15 Kalendertagen vorausgehen. Die Konsultationen der gesetzlichen Arbeitnehmervertreter erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen wie Verlagerungsmaßnahmen oder Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung oder Umschulung zwecks Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit zu mildern. …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6        Die Beklagte des Ausgangsverfahrens verwaltet und betreibt Hotels.

7        Am 25. September 2019 informierte die Beklagte des Ausgangsverfahrens das Juzgado de lo Mercantil de Palma (Handelsgericht Palma de Mallorca, Spanien) darüber, dass Verhandlungen mit dem Ziel einer Einigung über die Refinanzierung oder eines vorgezogenen Vorschlags für eine Vereinbarung mit den Gläubigern begonnen hätten. Zu diesem Zeitpunkt waren am Sitz der Beklagten des Ausgangsverfahrens 43 Arbeitnehmer beschäftigt.

8        Zwischen August 2019 und Dezember 2019 sank die Zahl der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwalteten und betriebenen Hotels von 20 auf sieben. Von den 13 Hotels, deren Verwaltung abgegeben worden war, gehörten sieben verschiedenen Gesellschaften der Unternehmensgruppe Grupo Globales.

9        Am 30. Dezember 2019 unterzeichnete die Beklagte des Ausgangsverfahrens eine Vereinbarung mit den Eigentümergesellschaften dieser sieben Hotels sowie mit der ebenfalls zu Grupo Globales gehörenden Amla Explotaciones Turísticas SA (im Folgenden: Amla Explotaciones). Die Vereinbarung sah vor, dass die Mietverträge der fraglichen Hotels, die bis dahin von der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwaltet worden waren, mit Wirkung zum 1. Januar 2020 gekündigt würden, dass der Betrieb der Hotels auf Amla Explotaciones übertragen würde und dass sämtliche am 31. Dezember 2019 bestehenden Arbeitsverträge des Personals der Hotels auf Grupo Globales, die somit als Arbeitgeber in die Verträge eintrete, übertragen würden.

10      Vor diesem Hintergrund fragte die Beklagte des Ausgangsverfahrens alle an ihrem Sitz tätigen Mitarbeiter in einem ad hoc erstellten Dokument, ob sie bereit wären, mit den Verantwortlichen von Grupo Globales Gespräche zur Besetzung von zehn Arbeitsplätzen zu führen, die der neue Betreiber infolge der Zunahme der Arbeitsbelastung seiner zentralen Dienste nach der Übernahme der sieben Hotels benötigen könnte.

11      Im Anschluss an diese Gespräche unterzeichneten neun Arbeitnehmer am 30. Dezember 2019 jeweils ein Dokument mit identischem Inhalt, in dem sie gegenüber der Beklagten des Ausgangsverfahrens ihr freiwilliges Ausscheiden mit Wirkung zum 14. Januar 2020 erklärten. Diese neun Arbeitnehmer unterzeichneten am 15. Januar 2020 Arbeitsverträge mit Amla Explotaciones. Die Verträge enthielten eine Klausel, in der ihnen die Betriebszugehörigkeit, die Kategorie und die Vergütung, die sie bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens genossen, zuerkannt wurden und in der ausgeführt wurde, dass diese Bedingungen ihnen persönlich zuerkannt würden und in keinem Fall einen Unternehmensübergang implizierten, da der Einstellung die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem vorherigen Arbeitgeber vorausgegangen sei.

12      Im Januar 2020 beschäftigte die Beklagte des Ausgangsverfahrens an ihrem Sitz nur noch 32 Arbeitnehmer. Unter den elf Arbeitnehmern, die ihre Arbeit dort aufgegeben hatten, befanden sich die neun Arbeitnehmer, die die genannte Erklärung über das freiwillige Ausscheiden am 30. Dezember 2019 unterzeichnet hatten.

13      Am 31. Januar 2020 ging den beiden Klägern des Ausgangsverfahrens sowie sieben weiteren Arbeitnehmern, die zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens beschäftigt waren, ihre Kündigung aus sachlichen – nämlich organisatorischen und produktionsbedingten – Gründen zu. Nach diesen neun Kündigungen war der Personalbestand am Sitz der Beklagten des Ausgangsverfahrens auf 23 Arbeitnehmer reduziert.

14      Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben gegen ihre Kündigung Klage beim Juzgado de lo Social n°2 de Palma (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 von Palma de Mallorca, Spanien) und machten geltend, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens ein Massenentlassungsverfahren hätte einleiten müssen und dass sie in betrügerischer Weise gehandelt habe, indem sie das freiwillige Ausscheiden einiger Arbeitnehmer künstlich gefördert habe, um zu verhindern, dass ein solches Verfahren habe eingeleitet werden müssen.

15      Da die Klage mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die Zahl der Entlassungen die für die zwingende Durchführung eines Massenentlassungsverfahrens festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht habe, legten die Kläger des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel ein.

16      Vor diesem Gericht machte die Beklagte des Ausgangsverfahrens geltend, dass das freiwillige Ausscheiden bei der Berechnung der Zahl der Entlassungen oder der Entlassungen gleichgestellten Vertragsbeendigungen nicht mit einzubeziehen sei und dass, da das freiwillige Ausscheiden nicht zu berücksichtigen sei, die für die zwingende Durchführung eines Massenentlassungsverfahrens festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht seien. Bei ihrer Entscheidung, neun Arbeitnehmer aus sachlichen Gründen zu entlassen, sei das Ergebnis des – transparenten und freiwilligen – Gesprächsprozesses nicht berücksichtigt worden, durch den die Arbeitnehmer, die dies für angebracht gehalten hätten, das Angebot des freiwilligen Ausscheidens angenommen hätten. Diese Entscheidung sei vielmehr auf der Grundlage der Gegebenheiten erfolgt, die bestanden hätten, als sie getroffen worden sei, und beruhe auf der Analyse ihres organisatorischen und produktionsbezogenen Bedarfs nach der Übernahme eines Teils des Personals durch Grupo Globales.

17      Das vorlegende Gericht hegt unter Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere auf die Urteile vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533), vom 11. November 2015, Pujante Rivera (C‑422/14, EU:C:2015:743), und vom 21. September 2017, Ciupa u. a. (C‑429/16, EU:C:2017:711), Zweifel daran, ob in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens zum einen ein Arbeitgeber, der in einer Krisensituation das Ausscheiden einer Zahl von Arbeitnehmern ins Auge fasst, die den für eine Massenentlassung vorgesehenen Schwellenwert überschreiten konnte und tatsächlich überschritten hat, ohne jedoch die Melde- und Konsultationspflichten zu erfüllen, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 98/59 verkennt, und ob zum anderen das angeblich freiwillige Ausscheiden von neun Arbeitnehmern vor der Entlassung der Kläger des Ausgangsverfahrens und weiterer Arbeitnehmer Entlassungen gleichzustellen ist und bei der Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie mit einzubeziehen ist.

18      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia de las Islas Baleares (Obergericht der Balearischen Inseln, Spanien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 2 der Richtlinie 98/59 im Licht der im Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533), begründeten Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin auszulegen, dass die Konsultations- und Meldepflichten, die die praktische Wirksamkeit der Richtlinie ausmachen, zu dem Zeitpunkt entstehen, ab dem ein Unternehmen im Rahmen eines Restrukturierungsprozesses Beendigungen von Arbeitsverträgen beabsichtigt, deren Zahl den für Massenentlassungen festgelegten Grenzwert überschreiten kann, unabhängig davon, ob die Zahl der Entlassungen oder Entlassungen gleichgestellten Vertragsbeendigungen diesen Grenzwert letztlich erreicht, da es aufgrund von Maßnahmen seitens des Unternehmens, die ohne vorherige Konsultation der Arbeitnehmervertretung getroffen worden sind, gelungen ist, die Zahl der Entlassungen zu beschränken?

2.      In Art. 1 Abs. 1 letzter Unterabsatz der Richtlinie 98/59 heißt es: „Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“ Fällt hierunter im Zusammenhang mit einer Krise, in der ein Personalabbau einschließlich entsprechender Entlassungen vorhersehbar ist, auch das Ausscheiden von Arbeitnehmern auf Vorschlag des Unternehmens, das von diesen zwar nicht gewollt ist, aber akzeptiert wird, nachdem sie ein verbindliches Angebot zum unmittelbaren Eintritt als Arbeitnehmer bei einem anderen Unternehmen erhalten haben, wobei es der Arbeitgeber war, der bei diesem anderen Unternehmen die Möglichkeit geschaffen hatte, dass seine Arbeitnehmer dort Gespräche im Hinblick auf eine mögliche Einstellung führten?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

19      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Konsultationspflicht zu dem Zeitpunkt entsteht, ab dem der Arbeitgeber im Rahmen eines Restrukturierungsplans eine Verringerung der Arbeitsplätze ins Auge fasst oder plant, deren Zahl die für eine Erfassung durch den Begriff „Massenentlassungen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie festgelegte Zahl überschreiten kann, oder dahin, dass sie erst zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Arbeitgeber, nachdem er Maßnahmen zur Beschränkung dieser Zahl getroffen hat, die Gewissheit erlangt, dass er tatsächlich eine Zahl von Arbeitnehmern entlassen muss, die die in dieser Bestimmung festgelegte Zahl überschreitet.

20      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Konsultationspflicht des Arbeitgebers gemäß Art. 2 der Richtlinie wiederholt entschieden hat, dass die Konsultations- und Anzeigepflichten vor einer Entscheidung des Arbeitgebers zur Kündigung von Arbeitsverträgen entstehen (Urteile vom 27. Januar 2005, Junk, C‑188/03, EU:C:2005:59, Rn. 37, sowie vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 38).

21      Die Verwirklichung des in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 98/59 vorgegebenen Ziels, Kündigungen von Arbeitsverträgen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken, ließe sich nicht erreichen, wenn die Konsultation der Arbeitnehmervertreter nach der Entscheidung des Arbeitgebers stattfände, die Arbeitsverträge zu kündigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Januar 2005, Junk, C‑188/03, EU:C:2005:59, Rn. 38, sowie vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 46).

22      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss das in Art. 2 der Richtlinie 98/59 vorgesehene Konsultationsverfahren daher vom Arbeitgeber zu dem Zeitpunkt eröffnet worden sein, zu dem eine strategische oder betriebswirtschaftliche Entscheidung getroffen wurde, die ihn zwingt, Massenentlassungen ins Auge zu fassen oder zu planen (Urteile vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 48, sowie vom 21. September 2017, Ciupa u. a., C‑429/16, EU:C:2017:711, Rn. 34).

23      In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Rechtssachen, in denen das Urteil vom 21. September 2017, Ciupa u. a. (C‑429/16, EU:C:2017:711), sowie das Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a. (C‑44/08, EU:C:2009:533), ergangen sind, mit wirtschaftlichen Entscheidungen zusammenhingen, die nicht unmittelbar darauf abzielten, bestimmte Arbeitsverhältnisse zu beenden, sich aber dennoch auf die Beschäftigung einer gewissen Zahl von Arbeitnehmern auswirken konnten.

24      Zwar hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass ein vorzeitiges Entstehen der Konsultationspflicht Folgen haben kann, die dem Zweck der Richtlinie 98/59 zuwiderlaufen, z. B. eine Beschränkung der Flexibilität der Unternehmen in Bezug auf ihre Umstrukturierung, eine Verschärfung der administrativen Zwänge und bei den Arbeitnehmern einen unnötigen Anlass zur Sorge um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes (Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 45). Zum anderen hat er entschieden, dass es für die Durchführung von Konsultationen im Einklang mit ihren Zielen, nämlich Kündigungen von Arbeitsverträgen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken sowie ihre Folgen zu mildern, erforderlich ist, dass die einschlägigen Faktoren und Kriterien für beabsichtigte Massenentlassungen festgelegt sind. Ist eine Entscheidung, von der angenommen wird, dass sie zu Massenentlassungen führen wird, nur beabsichtigt und sind diese daher nur wahrscheinlich und die einschlägigen Faktoren für Konsultationen nicht bekannt, so können diese Ziele nicht erreicht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 46).

25      Er hat jedoch ebenfalls ausgeführt, dass sich, da sich die Konsultationen gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/59 insbesondere auf die Möglichkeit erstrecken sollen, geplante Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, eine Konsultation, die beginnt, obwohl bereits eine Entscheidung getroffen wurde, die derartige Massenentlassungen notwendig macht, nicht mehr auf die Prüfung etwaiger Alternativen erstrecken könnte, um diese Massenentlassungen zu vermeiden (Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, EU:C:2009:533, Rn. 47).

26      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Zahl der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwalteten und betriebenen Hotels zwischen August 2019 und Ende Dezember 2019 von 20 auf sieben gesunken ist. Insbesondere hat die Beklagte des Ausgangsverfahrens am 30. Dezember 2019 eine Vereinbarung geschlossen, nach der die Verwaltung von sieben dieser 13 Hotels abgegeben und ab dem 1. Januar 2020 von Amla Explotaciones übernommen wurde.

27      Angesichts des Umfangs der damit vorgenommenen Änderung der Verwaltungs- und Betriebstätigkeit und der vernünftigerweise vorhersehbaren Folgen für die Arbeitsbelastung an ihrem Sitz kann die Entscheidung, Gespräche über die Übertragung der Verwaltungs- und Betriebstätigkeit der sieben Hotels aufzunehmen, als eine strategische oder betriebswirtschaftliche Entscheidung angesehen werden, die die Beklagte des Ausgangsverfahrens zwang, Massenentlassungen im Sinne der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung ins Auge zu fassen oder zu planen, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.

28      Insoweit ist zum einen festzustellen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens wusste, dass die Übertragung der Verwaltung der Hotels bei Amla Explotaciones zu einer Zunahme der Arbeitsbelastung führen und die Einstellung von zehn neuen Arbeitnehmern erforderlich machen würde, weshalb sie das am Sitz tätige Personal fragte, ob es bereit wäre, mit den Verantwortlichen von Grupo Globales Gespräche zu führen. Sie konnte daher damit rechnen, dass es bei ihr zu einem der Zunahme der Arbeitsbelastung bei Amla Explotaciones entsprechenden oder vergleichbaren Rückgang der Arbeitsbelastung kommen würde.

29      Zum anderen wurde im Vorabentscheidungsersuchen festgestellt, dass die Entscheidung der Beklagten des Ausgangsverfahrens, neun Arbeitnehmer zu entlassen, auf der Analyse ihres organisatorischen und produktionsbezogenen Bedarfs nach der Übertragung der Verwaltung und des Betriebs der sieben in Rede stehenden Hotels auf Amla Explotaciones und dem Wechsel von neun ihrer Arbeitnehmer zu Letzterer beruht habe. Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung musste die Beklagte des Ausgangsverfahrens vernünftigerweise damit rechnen, die Zahl der Arbeitnehmer an ihrem Sitz deutlich verringern zu müssen, um diese Zahl mit dem Umfang ihrer Tätigkeit und der verbleibenden Arbeitsbelastung in Einklang zu bringen.

30      Da die Entscheidung, die Tätigkeit der Verwaltung und des Betriebs der sieben Hotels auf Amla Explotaciones zu übertragen, für die Beklagte des Ausgangsverfahrens notwendigerweise bedeutete, dass Massenentlassungen ins Auge zu fassen waren, oblag es ihr somit, soweit die Möglichkeit bestand, dass die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 genannten Voraussetzungen erfüllt waren, die in Art. 2 der Richtlinie vorgesehenen Konsultationen durchzuführen.

31      Dieses Ergebnis drängt sich umso mehr auf, als sich der Zweck der in Art. 2 der Richtlinie vorgesehenen Konsultationspflicht – nämlich Kündigungen von Arbeitsverträgen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken sowie ihre Folgen zu mildern – und das im vorliegenden Fall von der Beklagten des Ausgangsverfahrens mit der Befragung ihrer Arbeitnehmer, ob sie bereit seien, mit Amla Explotaciones Gespräche zu führen, verfolgte Ziel – nämlich einigen ihrer Arbeitnehmer zu ermöglichen, ein Vertragsverhältnis mit Letzterer einzugehen, und in der Folge die Zahl der Einzelentlassungen zu beschränken –, zu einem sehr großen Teil überschneiden. Da eine Entscheidung, die zu einer deutlichen Verringerung der Zahl der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwalteten und betriebenen Hotels führte, zu einer ebenso deutlichen Reduzierung ihrer Tätigkeit und der Arbeitsbelastung an ihrem Sitz und daher der Zahl der von ihr dort benötigten Arbeitnehmer führen konnte, war das freiwillige Ausscheiden einer bestimmten Zahl von Arbeitnehmern und der Wechsel zu der Gesellschaft, die einen Teil der abgegebenen Tätigkeit übernommen hat, nämlich offensichtlich geeignet, Massenentlassungen zu vermeiden.

32      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass die darin vorgesehene Konsultationspflicht zu dem Zeitpunkt entsteht, ab dem der Arbeitgeber im Rahmen eines Restrukturierungsplans eine Verringerung der Arbeitsplätze ins Auge fasst oder plant, deren Zahl die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie festgelegten Schwellenwerte für den Abbau von Arbeitsplätzen überschreiten kann, und nicht zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber, nachdem er Maßnahmen zur Beschränkung dieser Zahl getroffen hat, die Gewissheit erlangt, dass er tatsächlich eine Zahl von Arbeitnehmern entlassen muss, die diese Schwellenwerte überschreitet.

 Zur zweiten Frage

33      Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

34      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen

ist dahin auszulegen, dass

die darin vorgesehene Konsultationspflicht zu dem Zeitpunkt entsteht, ab dem der Arbeitgeber im Rahmen eines Restrukturierungsplans eine Verringerung der Arbeitsplätze ins Auge fasst oder plant, deren Zahl die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie festgelegten Schwellenwerte für den Abbau von Arbeitsplätzen überschreiten kann, und nicht zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber, nachdem er Maßnahmen zur Beschränkung dieser Zahl getroffen hat, die Gewissheit erlangt, dass er tatsächlich eine Zahl von Arbeitnehmern entlassen muss, die diese Schwellenwerte überschreitet.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.