Language of document : ECLI:EU:C:2024:160

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

22. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Lebensmittelsicherheit – Spezifische Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs – Verordnung (EG) Nr. 853/2004 – Art. 3 Abs. 2 – Stoff zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs – Begriff – Befall mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes – Stoff zur Verhinderung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs, der außerhalb von Schlachtbetrieben in den letzten Stufen des Herstellungsverfahrens angewandt wird – Inverkehrbringen – Vorherige Genehmigung durch die Europäische Kommission“

In der Rechtssache C‑745/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) mit Entscheidung vom 8. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 2022, in dem Verfahren

Micreos Food Safety BV

gegen

Eniaios Foreas Elenchou Trofimon (EFET)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Micreos Food Safety BV, vertreten durch S. Pappas, Avocat,

–        der Eniaios Foreas Elenchou Trofimon (EFET), vertreten durch E. Strataki, Dikigoros,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch E. Leftheriotou und A.‑E. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis, B. Rechena und M. Zerwes als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (ABl. 2004, L 139, S. 55, berichtigt in ABl. 2004, L 226, S. 22) in der durch die Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 (ABl. 2019, L 198, S. 241) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 853/2004) sowie von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. 2008, L 354, S. 16).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Micreos Food Safety BV, einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, und der Eniaios Foreas Elenchou Trofimon (EFET) (Einheitliche Lebensmittelkontrollstelle, Griechenland) wegen der Weigerung der EFET, das Inverkehrbringen von ListexTM P100 auf dem griechischen Markt zuzulassen, einem Produkt, mit dem durch Sprühen ein Befall mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs wie Fischerei- und Milch- sowie Fleischerzeugnissen verhindert werden soll.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung (EG) Nr. 178/2002

3        Art. 3 Nrn. 3 und 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1) lautet:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

3.      ‚Lebensmittelunternehmer‘ die natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden;

14.      ‚Gefahr‘ ein biologisches, chemisches oder physikalisches Agens in einem Lebensmittel oder Futtermittel oder einen Zustand eines Lebensmittels oder Futtermittels, der eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen kann“.

 Verordnung (EG) Nr. 852/2004

4        Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und f der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene (ABl. 2004, L 139, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 226, S. 3) sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

c)      ‚Betrieb‘ jede Einheit eines Lebensmittelunternehmens;

f)      ‚Kontamination‘ das Vorhandensein oder das Hereinbringen einer Gefahr“.

 Verordnung Nr. 853/2004

5        Die Erwägungsgründe 6, 9, 10 und 18 der Verordnung Nr. 853/2004 lauten:

„(6)      Es ist wünschenswert, eine weitere Vereinfachung dadurch herbeizuführen, dass dieselben Regeln, wo immer dies angezeigt ist, auf alle Erzeugnisse tierischen Ursprungs angewandt werden.

(9)      Die wesentlichen Ziele der Neufassung bestehen darin, in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, indem insbesondere alle Lebensmittelunternehmer in der [Europäischen] Gemeinschaft denselben Regeln unterworfen werden, und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes für Erzeugnisse tierischen Ursprungs zu gewährleisten und damit zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik beizutragen.

(10)      Es müssen detaillierte Hygienevorschriften für Erzeugnisse tierischen Ursprungs beibehalten und, falls zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes erforderlich, verschärft werden.

(18)      Die Struktur- und Hygienevorschriften dieser Verordnung sollten für alle Arten von Unternehmen, einschließlich kleiner Betriebe und mobiler Schlachteinheiten, gelten.“

6        Art. 1 („Geltungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 853/2004 sieht vor:

„Diese Verordnung enthält von Lebensmittelunternehmern einzuhaltende spezifische Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Diese Vorschriften ergänzen die Vorschriften der Verordnung … Nr. 852/2004. Sie gelten für unverarbeitete Erzeugnisse und Verarbeitungserzeugnisse tierischen Ursprungs.“

7        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 853/2004 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      die Begriffsbestimmungen der Verordnung … Nr. 178/2002,

2.      die Begriffsbestimmungen der Verordnung … Nr. 852/2004,

…“

8        Art. 3 („Allgemeine Verpflichtungen“) der Verordnung Nr. 853/2004 sieht in Abs. 2 vor:

„Lebensmittelunternehmer dürfen zum Zweck der Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs keinen anderen Stoff als Trinkwasser – oder sauberes Wasser, wenn dessen Verwendung nach der Verordnung … Nr. 852/2004 oder der vorliegenden Verordnung erlaubt ist – verwenden, es sei denn, die Verwendung des Stoffes ist von der [Europäischen] Kommission genehmigt worden. Hierzu wird der Kommission die Befugnis übertragen, gemäß Artikel 11a delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung zu erlassen. …“

9        In Nr. 8.1 des Anhangs I der Verordnung Nr. 853/2004 heißt es:

„‚Erzeugnisse tierischen Ursprungs‘

–        –      Lebensmittel tierischen Ursprungs, einschließlich Honig und Blut,

–        –      zum menschlichen Verzehr bestimmte lebende Muscheln, lebende Stachelhäuter, lebende Manteltiere und lebende Meeresschnecken

sowie

–        –      sonstige Tiere, die lebend an den Endverbraucher geliefert werden und zu diesem Zweck entsprechend vorbereitet werden sollen.“

 Verordnung Nr. 1333/2008

10      Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1333/2008 bestimmt:

„Diese Verordnung enthält Bestimmungen über die in Lebensmitteln verwendeten Zusatzstoffe mit Blick auf die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit der Menschen und eines hohen Niveaus des Schutzes der Verbraucher einschließlich des Schutzes der Verbraucherinteressen und der lauteren Gepflogenheiten im Lebensmittelhandel unter angemessener Berücksichtigung des Umweltschutzes.“

11      Art. 2 der Verordnung Nr. 1333/2008 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung gilt für Lebensmittelzusatzstoffe.

(2)      Diese Verordnung gilt für die folgenden Stoffe nur, wenn sie als Lebensmittelzusatzstoffe verwendet werden:

a)      Verarbeitungshilfsstoffe;

…“

12      Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1333/2008 sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten ferner folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Lebensmittelzusatzstoff‘: ein Stoff mit oder ohne Nährwert, der in der Regel weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Lebensmittelzutat verwendet wird und einem Lebensmittel aus technologischen Gründen bei der Herstellung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung zugesetzt wird, wodurch er selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können;

b)      ‚Verarbeitungshilfsstoff‘: ein Stoff, der

i)      nicht als Lebensmittel verzehrt wird[,]

ii)      bei der Verarbeitung von Rohstoffen, Lebensmitteln oder deren Zutaten aus technologischen Gründen während der Be- oder Verarbeitung verwendet wird und

iii)      unbeabsichtigte, technisch unvermeidbare Rückstände des Stoffes oder seiner Derivate im Enderzeugnis hinterlassen kann, sofern diese Rückstände gesundheitlich unbedenklich sind und sich technologisch nicht auf das Enderzeugnis auswirken;

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13      Micreos Food Safety stellt Produkte auf Phagenbasis, darunter Listex™ P100, her.

14      Nach mehreren informellen Kontaktaufnahmen, die ab 2007 stattfanden, beantragte Micreos Food Safety im Lauf des Jahres 2015 bei der Kommission die Zulassung von Listex™ Ρ100 als Dekontaminationsmittel für verzehrfertige Lebensmittel tierischen Ursprungs gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004.

15      Auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vom 7. Juli 2016 arbeitete die Kommission den Entwurf einer Verordnung zur Genehmigung der Verwendung von Listex™ P100 aus und legte ihn ihrem Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel vor. Da dieser Verordnungsentwurf nicht die erforderliche Unterstützung im Ausschuss erhielt, teilte die Kommission Micreos Food Safety informell im Oktober 2017 und förmlich mit Schreiben vom 19. Februar 2018 mit, dass sie keine weitere Prüfung ihres Zulassungsantrags vorhabe, da es an der notwendigen politischen Unterstützung mangele.

16      Mit Schreiben vom 26. Februar 2018 machte Micreos Food Safety bei der Kommission geltend, Listex™ P100 sei kein „Dekontaminationsmittel“ im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004, sondern ein „Verarbeitungshilfsstoff“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1333/2008, der demnach nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 853/2004 falle.

17      Mit Schreiben vom 9. April 2018 wiederholte die Kommission ihre Entscheidung, den Zulassungsantrag für Listex™ P100 nicht weiter zu prüfen.

18      Am 15. Oktober 2018 forderte Micreos Food Safety die Kommission auf, den Zulassungsantrag weiter zu prüfen, und legte im Anschluss an die Entscheidung der Kommission, diesen Antrag nicht weiter zu prüfen, eine Beschwerde bei der Europäischen Bürgerbeauftragten ein, die mit Entscheidung vom 4. März 2019 zurückgewiesen wurde.

19      Mit Schreiben vom 25. April 2019 und vom 9. Mai 2019 forderte Micreos Food Safety die Kommission erneut auf, die Einstufung von Listex™ P100 als „nicht dekontaminierendem Verarbeitungshilfsstoff“ zu prüfen.

20      Mit zwei Schreiben vom 17. Juni 2019 (im Folgenden: die beiden Schreiben vom 17. Juni 2019), die an Micreos Food Safety bzw. an die diese Gesellschaft vertretende Public Advice International Foundation gerichtet waren, wies die Kommission darauf hin, dass sie zum einen nicht vorhabe, den Zulassungsantrag für Listex™ P100 auf der Grundlage der Verordnung Nr. 853/2004 weiter zu prüfen. Zum anderen falle dieses Produkt, selbst wenn es einen „Verarbeitungshilfsstoff“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1333/2008 darstellen sollte, dennoch in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 853/2004, da es zur Dekontamination verwendet werde. Im Übrigen sei keine Zulassung nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 für Listex™ P100 erteilt worden.

21      Am 16. August 2019 erhob Micreos Food Safety beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidungen, die in den beiden Schreiben vom 17. Juni 2019 enthalten sein sollen, und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, gerichtet auf die Aussetzung der Vollziehung dieser Entscheidungen, nämlich erstens der Ablehnung des Antrags auf Zulassung von Listex™ P100 als Dekontaminationsmittel gemäß der Verordnung Nr. 853/2004, zweitens der Ablehnung des Hilfsantrags auf Einstufung dieses Produkts als „Verarbeitungshilfsstoff“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1333/2008 und drittens des Verbots des Inverkehrbringens von Listex™ P100 in der Europäischen Union als „Verarbeitungshilfsstoff“.

22      Mit Beschluss vom 26. September 2019, Micreos Food Safety/Kommission (T‑568/19 R, EU:T:2019:694), wies der Präsident des Gerichts den von Micreos Food Safety gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit der Begründung zurück, dass zum einen beide Schreiben vom 17. Juni 2019 keine Entscheidung über ein Verbot des Inverkehrbringens von Listex™ P100 enthielten. Zum anderen werde dieser Gesellschaft damit der gerichtliche Rechtsschutz nicht verwehrt, da sie in einem ersten Schritt die entsprechenden Rechtsakte auf nationaler Ebene vor den zuständigen Gerichten anfechten könne, damit in einem zweiten Schritt ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof vorgelegt werden könne.

23      Am 8. November 2019 sandte die Kommission den Leitern der Veterinärdienste der Mitgliedstaaten ein Schreiben, in dem sie ausführte, dass Listex™ P100 in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 falle, da es den Befall mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs verringern solle. Trotz seiner etwaigen Einstufung als „Verarbeitungshilfsstoff“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1333/2008 bedürfe dieses Produkt daher weiterhin einer Zulassung aufgrund der Verordnung Nr. 853/2004. Außerdem erinnerte die Kommission daran, dass keine Zulassung für Listex™ P100 nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 erteilt worden sei und dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten keinen Wertungsspielraum für die Zulassung dieses Produkts als „Verarbeitungshilfsstoff“ lasse.

24      Am 27. April 2020 beantragte Micreos Food Safety beim Staatssekretär für Gesundheit (Griechenland) die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Listex™ P100 auf dem griechischen Markt als „Verarbeitungshilfsstoff“ für verzehrfertige Lebensmittel tierischen Ursprungs. Dieser Antrag wurde anschließend an das Ministerium für landwirtschaftliche Entwicklung und Lebensmittel (Griechenland) und dann an die zuständige nationale Behörde, die EFET, weitergeleitet.

25      Mit Entscheidung vom 24. Juni 2020 lehnte der Vorsitzende des Verwaltungsrats der EFET diesen Antrag mit der Begründung ab, dass zum einen im griechischen Recht ein genauer rechtlicher Rahmen für Verarbeitungshilfsstoffe fehle und zum anderen die EFSA in ihrem wissenschaftlichen Gutachten vom 7. Juli 2016 Vorbehalte in Bezug auf die Einstufung sowie die Sicherheit von Listex™ P100 geäußert habe.

26      Am 28. September 2020 erhob Micreos Food Safety beim Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Nichtigerklärung der genannten Entscheidung vom 24. Juni 2020.

27      Zur Stützung ihrer Klage macht Micreos Food Safety erstens geltend, dass Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 ausschließlich die Entfernung von Verunreinigungen von Lebensmitteln tierischen Ursprungs in Schlachtbetrieben betreffe. Zweitens sei Listex™ P100 auch zur Verwendung außerhalb von Schlachtbetrieben in den letzten Stufen des Herstellungsverfahrens bestimmt, d. h. nach der Wärmebehandlung dieser Lebensmittel und nachdem sie bereits dekontaminiert und für die Zerkleinerung und Verpackung vorbereitet worden seien. Drittens bezwecke Listex™ P100 nicht die Beseitigung einer Verunreinigung, sondern sei dafür bestimmt, den Befall mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes zu verhindern, falls der Befall mit diesen Bakterien die zulässigen Grenzwerte überschreite.

28      Mit Beschluss vom 18. Dezember 2020, Micreos Food Safety/Kommission (T‑568/19, EU:T:2020:647), wies das Gericht die Klage von Micreos Food Safety auf Nichtigerklärung der beiden Schreiben vom 17. Juni 2019 mit der Begründung als unzulässig ab, dass diese zum einen nicht als „anfechtbare Handlungen“ im Sinne von Art. 263 AEUV angesehen werden könnten und zum anderen nicht dazu bestimmt seien, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, auch wenn sie rechtliche Wertungen enthielten. Im Übrigen betonte das Gericht, dass Micreos Food Safety deswegen nicht der gerichtliche Rechtsschutz verwehrt sei, da sie gegen die von den nationalen Behörden vorgenommenen Handlungen Klage vor den nationalen Gerichten erheben könne, so dass diese Gerichte dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen könnten.

29      Mit einem Schreiben vom 7. Februar 2022 teilte der Vorsitzende des Verwaltungsrats der EFET dem vorlegenden Gericht mit, dass erstens davon auszugehen sei, dass Listex™ P100 als zulassungspflichtiges „Dekontaminationsmittel“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 anzusehen sei, da mit diesem Produkt der Befall von verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes verringert werden solle. Zweitens könne das Produkt ohne eine Zulassung auf Unionsebene nicht als „Dekontaminationsmittel“ gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 in den Verkehr gebracht werden. Drittens falle das Produkt auch dann weiterhin in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 853/2004, wenn es nach der Verordnung Nr. 1333/2008 als „Verarbeitungshilfsstoff“ eingestuft werden sollte. Im Schreiben vom 7. Februar 2022 werden auch die Gründe aufgeführt, aus denen Listex™ P100 nicht als „Verarbeitungshilfsstoff“ zu einem anderen Zweck als der Dekontamination eingestuft werden könne, insbesondere das Fehlen erforderlicher Nachweise sowie Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit dieses Produkts.

30      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Klage von Micreos Food Safety deshalb abgewiesen werden müsse, weil zum einen die vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele gemäß dem neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004 darin bestünden, für die betroffenen Verbraucher ein hohes Schutzniveau in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit sicherzustellen, und zum anderen Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung auf die Entfernung von Verunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs in allen Arten von Betrieben anwendbar sei, wie sich aus dem 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergebe, also auch außerhalb von Schlachtbetrieben und unabhängig von der Stufe des Herstellungsverfahrens. Im Übrigen sei das Vorbringen von Micreos Food Safety, dass Listex™ P100 der Verhinderung von Verunreinigungen diene, unerheblich, da eine solche Verhinderung auch eine „Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 darstellen würde.

31      Der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) hat nichtsdestoweniger beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Verordnung Nr. 853/2004 dahin auszulegen, dass ein Produkt wie Listex™ Ρ100 von Micreos Food Safety, das die Eigenschaften hat, wie sie im wissenschaftlichen Gutachten der EFSA vom 7. Juli 2016 aufgeführt sind, sowie, nach den Behauptungen von Micreos Food Safety, in den letzten Stadien des Herstellungsverfahrens außerhalb von Schlachtbetrieben angewandt wird und nicht der Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs dient, sondern der Verhinderung von Verunreinigungen, in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung fällt (und folglich für das Inverkehrbringen des Produkts auf dem europäischen Markt die vorhergehende Zulassung durch die Kommission gemäß Art. 11a der Verordnung Nr. 853/2004 erforderlich ist)?

Falls die erste Frage zu verneinen ist:

2.      Ist die Verordnung Nr. 1333/2008 dahin auszulegen, dass das oben genannte Produkt von Micreos Food Safety einen Lebensmittelzusatzstoff oder einen Verarbeitungshilfsstoff (Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1333/2008) darstellt?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

32      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 dahin auszulegen ist, dass für die Verwendung eines Produkts wie Listex™ P100 zur Verhinderung des Befalls mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs eine Genehmigung durch die Kommission erforderlich ist.

33      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 vorsieht, dass Lebensmittelunternehmer zum Zweck der Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs keinen anderen Stoff als Trinkwasser – oder sauberes Wasser, wenn dessen Verwendung nach den Verordnungen Nrn. 852/2004 oder 853/2004 erlaubt ist – verwenden dürfen, es sei denn, die Verwendung des Stoffes ist von der Kommission genehmigt worden.

34      Was erstens die Tätigkeiten und Personen betrifft, die von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 erfasst werden, der zu deren Kapitel II („Verpflichtungen des Lebensmittelunternehmers“) gehört, ist festzustellen, dass sich dieser Artikel allgemein an „Lebensmittelunternehmer“ richtet.

35      Gemäß Art. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 gelten für die Zwecke dieser Verordnung die Begriffsbestimmungen der Verordnungen Nrn. 178/2002 und 852/2004. Art. 3 Nr. 3 der Verordnung Nr. 178/2002 definiert „Lebensmittelunternehmer“ als „die natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden“.

36      Außerdem geht aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004 hervor, dass die Struktur- und Hygienevorschriften dieser Verordnung für alle Arten von Unternehmen, einschließlich kleiner Betriebe und mobiler Schlachteinheiten, gelten. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 852/2004 regelt insoweit, dass der Begriff „Betrieb“ „jede Einheit eines Lebensmittelunternehmens“ umfasst.

37      Daraus folgt, dass Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er ausschließlich für Schlachtbetriebe gilt, da der Unionsgesetzgeber den Begriff „Lebensmittelunternehmer“ weit definiert hat.

38      Zweitens wird diese Auslegung durch den Wortlaut der Definition des Begriffs „Erzeugnisse tierischen Ursprungs“ in Anhang I Nr. 8.1 der Verordnung Nr. 853/2004 gestützt, die sich u. a. auf Erzeugnisse außerhalb von Schlachtbetrieben bezieht, nämlich „Lebensmittel tierischen Ursprungs, einschließlich Honig und Blut“. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung auf Schlachtkörper als Erzeugnisse aus Schlachtbetrieben kann sich daher auch nicht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergeben. Eine solche Beschränkung liefe im Übrigen dem im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung genannten Ziel zuwider, wonach eine weitere Vereinfachung dadurch herbeizuführen ist, dass dieselben Hygienevorschriften, wo immer dies angezeigt ist, auf alle Erzeugnisse tierischen Ursprungs angewandt werden.

39      Drittens ist hinsichtlich der Definition des Begriffs „Verunreinigung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung die vorherige Genehmigung der Kommission für die Verwendung anderer Stoffe als Wasser zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen von solchen Erzeugnissen tierischen Ursprungs verlangt.

40      Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Stichhaltigkeit der Behauptung von Micreos Food Safety, dass Listex™ P100 nicht dazu bestimmt sei, einen Befall mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs zu beseitigen, sondern dazu, einen solchen Befall zu verhindern und dafür zu sorgen, dass Lebensmittel während der gesamten Dauer ihrer Lagerung und bis zu ihrem Verzehr die nach der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 der Kommission vom 15. November 2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel (ABl. 2005, L 338, S. 1) zulässigen mikrobiologischen Kontaminationsgrenzwerte nicht überschritten.

41      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 852/2004 den Begriff „Kontamination“ als „das Vorhandensein oder das Hereinbringen einer Gefahr“ definiert. Der Begriff „Gefahr“ bezeichnet nach Art. 3 Nr. 14 der Verordnung Nr. 178/2002 „ein biologisches, chemisches oder physikalisches Agens in einem Lebensmittel oder Futtermittel oder einen Zustand eines Lebensmittels oder Futtermittels, der eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen kann“.

42      Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber offensichtlich das Erreichen eines hohen Schutzniveaus für Lebensmittel fördern wollte, indem er auch einen weit gefassten Begriff der „Verunreinigung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 zugrunde gelegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, A u. a., C‑347/17, EU:C:2019:720, Rn. 40).

43      Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte geht hervor, dass zum einen der bakterielle Krankheitserreger Listeria monocytogenes in der Natur allgegenwärtig ist und dass zum anderen Listex™ P100 den Befall mit diesen Bakterien erfordert, um seine dekontaminierende Wirkung entfalten zu können. Somit zeigt sich, dass das von Micreos Food Safety geltend gemachte, erreichbare Ziel, die Entwicklung dieses Bakteriums auf höheren als nach der Verordnung Nr. 2073/2005 zulässigen Werten zu verhindern, im vorliegenden Fall die Entfernung einer Verunreinigung darstellt. Aus der in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen weiten Definition des Begriffs „Verunreinigung“ kann nämlich nicht abgeleitet werden, dass die potenziell schädigende Wirkung des Befalls mit diesen Bakterien davon abhängt, ob die nach der Verordnung Nr. 2073/2005 zulässigen Werte für dieses Bakterium überschritten werden oder nicht.

44      Außerdem erfasst, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, der Begriff „Verunreinigung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 das Risiko des Hereinbringens einer mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes verbundenen Gefahr in jeder Phase der Herstellung, Verarbeitung und Verpackung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, da Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung den Zeitpunkt, zu dem eine solche Verunreinigung zu entfernen ist, weder definiert noch eingrenzt.

45      Diese Auslegung wird durch das mit der Verordnung Nr. 853/2004 verfolgte Ziel bestätigt, das nach ihrem neunten Erwägungsgrund darin besteht, für die betroffenen Verbraucher in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit ein hohes Schutzniveau sicherzustellen. Zudem ergibt sich aus dem zehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung mit aller Deutlichkeit, dass der Unionsgesetzgeber die Gesundheit der Verbraucher zu seinem vorrangigen Anliegen macht, indem es darin heißt, dass „detaillierte Hygienevorschriften für Erzeugnisse tierischen Ursprungs beibehalten und, falls zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes erforderlich, verschärft werden [müssen]“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, A u. a., C‑347/17, EU:C:2019:720, Rn. 43).

46      Sowohl die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 853/2004 als auch der mit ihr verfolgte Zweck erfordern damit, dass alle Verunreinigungsquellen einbezogen werden (Urteil vom 12. September 2019, A u. a., C‑347/17, EU:C:2019:720, Rn. 44), wobei eine solche Auslegung die Entscheidung des Unionsgesetzgebers deutlich macht, der Umsetzung spezifischer Hygienevorschriften zur Vermeidung von Oberflächenverunreinigungen den Vorzug vor der späteren Verwendung von Dekontaminationsmitteln zu geben.

47      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 853/2004 dahin auszulegen ist, dass für die Verwendung eines Produkts wie Listex™ P100 zur Verhinderung des Befalls mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs eine Genehmigung durch die Kommission erforderlich ist.

 Zur zweiten Frage

48      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage, die für den Fall gestellt worden ist, dass der Gerichtshof die erste Frage verneint, nicht zu beantworten.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs in der durch die Verordnung (EU) 2019/1243 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

für die Verwendung eines Produkts wie Listex™ P100 zur Verhinderung des Befalls mit dem bakteriellen Krankheitserreger Listeria monocytogenes bei verzehrfertigen Lebensmitteln tierischen Ursprungs eine Genehmigung durch die Kommission erforderlich ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Griechisch.