SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE
vom 16. Juli 2020(1)
Verbundene Rechtssachen C‑682/18 und C‑683/18
Frank Peterson
gegen
Google LLC,
YouTube LLC,
YouTube Inc.,
Google Germany GmbH (C‑682/18)
und
Elsevier, Inc.
gegen
Cyando AG (C‑683/18)
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 3 – Öffentliche Wiedergabe – Begriff – Einstellung geschützter Werke auf Internet-Plattformen durch deren Nutzer ohne vorherige Zustimmung der Rechtsinhaber – Keine Primärhaftung der Betreiber dieser Plattformen – Sekundärhaftung dieser Betreiber für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer ihrer Plattformen – Nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 der Richtlinie 2001/29 fallende Frage – Richtlinie 2000/31/EG – Art. 14 – Haftungsbefreiung zugunsten der Anbieter eines ‚Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht‘ – Begriff – Möglichkeit der Befreiung dieser Betreiber von der Haftung, die sich aus den von ihnen im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen gespeicherten Informationen ergeben kann – Voraussetzungen, unter denen diese Haftungsbefreiung geltend gemacht werden kann – Art. 14 Abs. 1 Buchst. a – Begriffe ‚tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information‘ und ‚der Tatsachen oder Umstände bewusst, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird‘ – Konkrete rechtswidrige Informationen – Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG – Gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts genutzt werden – Voraussetzungen, unter denen eine solche gerichtliche Anordnung beantragt werden kann“
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Rechtlicher Rahmen
A. Richtlinie 2000/31
B. Richtlinie 2001/29
III. Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten
A. Rechtssache C682/18
1. YouTube
2. Die Klage von Herrn Peterson
B. Rechtssache C683/18
1. Uploaded
2. Die Klage von Elsevier
IV. Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
V. Würdigung
A. Zum Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 (erste Vorlagefrage)
1. Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando nehmen grundsätzlich keine Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ vor
2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 regelt nicht die Sekundärhaftung der Personen, die die Vornahme rechtswidriger Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ durch Dritte erleichtern
3. Hilfsweise: Zur Frage, ob Betreiber wie YouTube und Cyando rechtswidrige Handlungen Dritter wissentlich erleichtern
B. Zum Anwendungsbereich der Haftungsbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 (zweite Vorlagefrage)
C. Zum Fehlen der Kenntnis oder des Bewusstseins einer rechtswidrigen Information als Voraussetzung der Befreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 (dritte Vorlagefrage)
D. Zu den Voraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche Anordnung gegen einen Vermittler gemäß Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 (vierte Vorlagefrage)
E. Hilfsweise: Zum Begriff „Verletzer“ im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2004/48 (fünfte und sechste Vorlagefrage)
F. Das Ziel eines hohen Schutzniveaus für das Urheberrecht rechtfertigt keine andere Auslegung der Richtlinien 2000/31 und 2001/29
VI. Ergebnis
I. Einleitung
1. Die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wurden vom Bundesgerichtshof (Deutschland) vorgelegt. Sie betreffen die Auslegung der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)(2), der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(3) und der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums(4).
2. Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten. In der ersten geht Frank Peterson, ein Musikproduzent, gegen die YouTube LLC und ihre Muttergesellschaft Google LLC vor, weil mehrere Tonträger, an denen er Rechte zu besitzen behauptet, auf der Video-Sharing-Plattform YouTube durch Nutzer dieser Plattform ohne seine Erlaubnis eingestellt worden waren. In der zweiten geht die Elsevier Inc., eine Verlagsgruppe, gegen die Cyando AG vor, weil verschiedene Werke, an denen Elsevier die ausschließlichen Rechte besitzt, ohne ihre Erlaubnis auf der von der Cyando AG betriebenen Sharehosting-Plattform Uploaded eingestellt worden waren.
3. Die sechs Fragen, die das vorlegende Gericht in jeder seiner Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat, betreffen die äußerst sensible Problematik der Haftung der Betreiber von Online-Plattformen bei urheberrechtlich geschützten Werken, die auf diesen Plattformen von deren Nutzern rechtswidrig online gestellt werden.
4. Die Art und der Umfang dieser Haftung hängen u. a. von der Auslegung von Art. 3 der Richtlinie 2001/29, der den Urhebern das ausschließliche Recht zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke zuerkennt, und von Art. 14 der Richtlinie 2000/31 ab, der Vermittlern eine gewisse Haftungsbefreiung für Informationen gewährt, die sie im Auftrag ihrer Nutzer speichern. Die vorliegenden Rechtssachen werden dem Gerichtshof daher insbesondere Anlass geben, zu klären, ob die erstgenannte Bestimmung diesen Plattformbetreibern entgegengehalten werden kann, ob diese sich auf die zweitgenannte Bestimmung berufen können, und zu präzisieren, in welchem Verhältnis diese Bestimmungen zueinander stehen.
5. Diese Problematik ist von großen Gegensätzen gekennzeichnet. Für manche ermöglichen die Online-Plattformen Urheberrechtsverstöße großen Ausmaßes, aus denen die Betreiber dieser Plattformen zulasten der Rechtsinhaber Vorteile zögen, was es rechtfertige, den Betreibern umfassende Pflichten zur Überwachung der von den Nutzern ihrer Plattformen darauf online gestellten Inhalte aufzuerlegen. Andere sähen bei einer Auferlegung derartiger Überwachungspflichten die Tätigkeit dieser Betreiber sowie die Rechte dieser Nutzer erheblich beeinträchtigt sowie die Freiheit der Meinungsäußerung und des Online-Kunstschaffens behindert.
6. In den Debatten im Zusammenhang mit der Annahme der Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG durch den Unionsgesetzgeber wurden diese Gegensätze auf die Spitze getrieben(5). Art. 17 dieser neuen Richtlinie sieht für Diensteanbieter wie YouTube eine spezifische Haftungsregelung für von den Nutzern ihrer Plattformen rechtswidrig online gestellte Werke vor. Ich weise jedoch darauf hin, dass diese Richtlinie, die während der vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren in Kraft getreten ist, auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht anwendbar ist. Daher müssen diese Rechtsstreitigkeiten unabhängig von den Lösungen, die der Gesetzgeber der Union nunmehr vorgesehen hat, anhand des zuvor geltenden Rechtsrahmens entschieden werden.
7. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu entscheiden, dass Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando grundsätzlich keine Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/29 vornehmen und daher für einen Verstoß gegen diese Bestimmung nicht unmittelbar haften, wenn ihre Nutzer geschützte Werke rechtswidrig online stellen. Ich werde auch erläutern, warum diese Betreiber sich grundsätzlich auf die in Art. 14 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Haftungsbefreiung berufen können, allerdings nur unter Voraussetzungen, deren Konturen ich noch präzisieren werde. Schließlich werde ich erläutern, dass die Rechtsinhaber gegen diese Betreiber nach dem Unionsrecht gerichtliche Anordnungen erwirken können, die diesen möglicherweise neue Verpflichtungen aufgeben, deren Voraussetzungen ich präzisieren werde.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Richtlinie 2000/31
8. Abschnitt 4 („Verantwortlichkeit der Vermittler“) der Richtlinie 2000/31 umfasst die Art. 12 bis 15 dieser Richtlinie.
9. Art. 14 („Hosting“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht, der Diensteanbieter nicht für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen verantwortlich ist, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Der Anbieter hat keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information, und, in Bezug auf Schadenersatzansprüche, ist er sich auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird,
oder
b) der Anbieter wird, sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, unverzüglich tätig, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.
(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird.
(3) Dieser Artikel lässt die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder dass die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen.“
10. Art. 15 („Keine allgemeine Überwachungspflicht“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten erlegen Anbietern von Diensten im Sinne der Artikel 12, 13 und 14 keine allgemeine Verpflichtung auf, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.“
B. Richtlinie 2001/29
11. Der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 bestimmt, dass „[d]ie bloße Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, … selbst keine Wiedergabe im Sinne dieser Richtlinie dar[stellt].“
12. Art. 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände“) der Richtlinie 2001/29 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.
(2) Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, zu erlauben oder zu verbieten, dass die nachstehend genannten Schutzgegenstände drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind:
a) für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen;
b) für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger;
…
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Rechte erschöpfen sich nicht mit den in diesem Artikel genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit.“
13. Art. 8 („Sanktionen und Rechtsbehelfe“) Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.“
III. Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten
A. Rechtssache C‑682/18
1. YouTube
14. YouTube ist eine Internetplattform, die von dem gleichnamigen Unternehmen betrieben wird, dessen Alleingesellschafterin und gesetzliche Vertreterin Google ist. Diese Plattform, die in verschiedene Websites und Anwendungen für intelligente Wiedergabegeräte untergliedert ist, ermöglicht es ihren Nutzern, Videos im Internet zu teilen.
15. Um ein Video auf YouTube hochzuladen, ist es erforderlich, ein Konto – mit einem Benutzernamen und einem Passwort – einzurichten und die allgemeinen Nutzungsbedingungen dieser Plattform zu akzeptieren. Ein Nutzer, der nach einer solchen Registrierung ein Video hochlädt, hat die Wahl, es im „privaten“ Bereich zu belassen oder es auf der Plattform zu veröffentlichen. Im zweiten Fall kann das fragliche Video von der genannten Plattform aus in Echtzeit betrachtet (Streaming) und von jedem Internetnutzer geteilt sowie von den anderen registrierten Nutzern kommentiert werden. Registrierte Nutzer können auch „Kanäle“ erstellen, in denen ihre Videos zusammengestellt sind.
16. Das Hochladen eines Videos auf dieser Plattform erfolgt automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch Google oder YouTube. Auf diese Weise sollen dort fast 35 Stunden Videomaterial pro Minute(6) veröffentlicht werden, was mehreren hunderttausend Videos pro Tag entspricht.
17. YouTube verfügt über eine Suchfunktion und verarbeitet die Suchergebnisse u. a. in Gestalt einer Bewertung der für die Region des Nutzers spezifischen Relevanz der Videos. Das Ergebnis dieser Bewertung wird auf der Startseite in Gestalt der Rubriken „aktuell angesehene Videos“, „empfohlene Videos“ und „angesagte Videos“ zusammengefasst. YouTube indexiert die verfügbaren Videos und Kanäle unter Rubriken wie „Unterhaltung“, „Musik“ oder „Film und Animation“. Wenn ein registrierter Nutzer die Plattform benutzt, wird ihm außerdem eine Übersicht „empfohlener Videos“ angezeigt, die u. a. von den Videos abhängig ist, die er zuvor angesehen hat.
18. YouTube erzielt mit ihrer Plattform u. a. Werbeeinnahmen. So werden am Rand von deren Startseite Werbebanner von Drittanbietern angezeigt. Darüber hinaus wird in bestimmte Videos Werbung eingeblendet, was den Abschluss einer spezifischen Vereinbarung zwischen den betreffenden Nutzern und YouTube voraussetzt.
19. Nach den allgemeinen Nutzungsbedingungen von YouTube räumt ihr jeder Nutzer an den Videos, die er online stellt, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er sie aus der Plattform entfernt, eine weltweite, nicht exklusive und kostenlose Lizenz für die Nutzung, die Vervielfältigung, den Vertrieb, die Herstellung abgeleiteter Werke, die Ausstellung und die Aufführung im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Plattform und den Tätigkeiten von YouTube einschließlich der Werbung ein.
20. Mit der Annahme dieser allgemeinen Bedingungen bestätigt der Nutzer, dass er über alle erforderlichen Rechte, Vereinbarungen, Erlaubnisse und Lizenzen für die von ihm online gestellten Videos verfügt. YouTube fordert außerdem die Nutzer ihrer Plattform in den „Community-Richtlinien“ auf, das Urheberrecht zu beachten. Bei jedem Hochladevorgang werden die Nutzer darauf hingewiesen, dass auf der Plattform kein Video veröffentlicht werden darf, das diese Rechte verletzt.
21. YouTube hat eine Reihe von technischen Vorkehrungen getroffen, um Rechtsverletzungen auf ihrer Plattform zu beenden und zu unterbinden. Jeder kann ihr schriftlich, per Fax, E‑Mail oder Web-Formular das Vorhandensein eines rechtswidrigen Videos anzeigen. Ein „Meldebutton“ wurde geschaffen, mit dem anstößige oder rechtsverletzende Inhalte gemeldet werden können. Die Rechtsinhaber haben außerdem die Möglichkeit, mittels eines besonderen Meldeverfahrens unter Angabe der betreffenden Internetadressen (URL) bis zu zehn konkret beanstandete Videos von der Plattform entfernen zu lassen.
22. YouTube setzt darüber hinaus ein Programm zur Inhaltsprüfung (Content Verification Program) ein. Dieses Programm kann von den zu diesem Zweck registrierten Unternehmen genutzt werden, nicht aber von Privatpersonen. Es bietet den Inhabern betroffener Rechte verschiedene Werkzeuge, die ihnen eine einfachere Überwachung der Nutzung ihrer Werke auf der Plattform ermöglichen. So können die Rechtsinhaber u. a. in einer Liste von Videos diejenigen ankreuzen, durch die sie ihre Rechte verletzt sehen. Wird ein Video wegen einer solchen Mitteilung gesperrt, wird der Nutzer, der es ins Netz gestellt hat, darauf aufmerksam gemacht, dass sein Nutzerkonto im Wiederholungsfall gesperrt wird. YouTube stellt den Rechtsinhabern, die an diesem Programm teilnehmen, ferner eine von Google entwickelte Software namens „Content ID“ zur Wiedererkennung von Inhalten zur Verfügung, die dazu dient, automatisch Videos zu erkennen, die ihre Werke nutzen. Hierfür haben die Rechtsinhaber nach Angaben von Google Ton- oder Video-Referenzdateien zur Identifizierung der betreffenden Werke zur Verfügung zu stellen. Content ID erstelle anhand dieser Dateien „digitale Fingerabdrücke“, die in einer Datenbank gespeichert würden. Content ID durchsuche automatisch jedes Video, das auf YouTube eingestellt werde, und vergleiche es mit diesen „Fingerabdrücken“. In diesem Rahmen könne diese Software Audio- und Videoinhalte und sogar Melodien erkennen, wenn diese übernommen oder nachgeahmt worden seien. Sobald eine Übereinstimmung entdeckt werde, würden die betroffenen Rechtsinhaber automatisch benachrichtigt. Diese hätten dann die Möglichkeit, die betreffenden Videos zu sperren. Alternativ könnten sie sich dafür entscheiden, die Nutzung dieser Videos auf YouTube anhand von Abrufstatistiken zu verfolgen. Sie könnten sich ferner dafür entscheiden, diese Videos durch das Einblenden von Werbung wirtschaftlich zu verwerten oder einen Teil der Einnahmen zu erhalten, die durch diese zuvor im Auftrag der Nutzer online gestellten Videos erzielt würden.
2. Die Klage von Herrn Peterson
23. Am 6. und 7. November 2008 wurden auf YouTube von Nutzern dieser Plattform Musikstücke aus dem Album „A Winter Symphony“ der Künstlerin Sarah Brightman sowie private Tonmitschnitte veröffentlicht, die bei Konzerten ihrer Tournee „Symphony Tour“ angefertigt und mit Stand- oder Bewegtbildern versehen worden waren.
24. Mit Schreiben vom 7. November 2008 wandte sich Herr Peterson, der sich auf sein Urheberrecht und verwandte Schutzrechte an den in Rede stehenden Musikstücken und Mitschnitten berief(7), an die Google Germany GmbH und forderte diese Gesellschaft sowie Google unter Androhung von Sanktionen im Wesentlichen auf, die streitbefangenen Videos zu entfernen. Zu diesem Zweck legte Herr Peterson Bildschirmausdrucke dieser Videos vor. Anhand dieser Bildschirmausdrucke ermittelte YouTube händisch die Internetadressen (URL) dieser Videos und sperrte den Zugang zu ihnen. Die Parteien des Ausgangsrechtsstreits streiten jedoch über den Umfang dieser Sperrmaßnahmen.
25. Am 19. November 2008 waren erneut mit Stand- und Bewegtbildern verbundene Tonaufzeichnungen von Konzerten von Sarah Brightman über YouTube zugänglich.
26. Daraufhin erhob Herr Peterson u. a.(8) gegen Google und YouTube Klage beim Landgericht Hamburg (Deutschland). Im Rahmen dieser Klage begehrte er im Wesentlichen, diesen Unternehmen zu untersagen, zwölf Tonaufzeichnungen oder Darbietungen aus dem Album „A Winter Symphony“ und zwölf Werke oder Darbietungen aus Konzerten der „Symphony Tour“ öffentlich zugänglich zu machen, hilfsweise, ihnen zu untersagen, Dritten dies zu ermöglichen. Ferner verlangte Herr Peterson Auskunft über die in Rede stehenden Verletzungshandlungen und über die von YouTube durch diese Handlungen erzielten Umsätze oder Gewinne. Darüber hinaus beantragte er, u. a. festzustellen, dass dieses Unternehmen verpflichtet sei, ihm wegen der öffentlichen Zugänglichmachung der streitigen Videos Schadensersatz zu leisten. Schließlich begehrte Herr Peterson hilfsweise Auskunft über die Nutzer, die diese Videos ins Netz gestellt hatten.
27. Mit Urteil vom 3. September 2010 gab das Landgericht Hamburg der Klage in Bezug auf drei Musikstücke statt und wies sie im Übrigen ab. Sowohl Herr Peterson als auch YouTube und Google legten gegen diese Entscheidung Berufung ein.
28. Mit Urteil vom 1. Juli 2015 änderte das Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) das erstinstanzliche Urteil teilweise ab. Dieses Gericht untersagte YouTube und Google unter Androhung eines Ordnungsgelds, es Dritten zu ermöglichen, Tonaufzeichnungen oder Darbietungen von sieben Musikstücken des Albums „A Winter Symphony“ öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem verurteilte dieses Gericht diese Unternehmen, Herrn Peterson verschiedene Auskünfte über die Nutzer zu erteilen, die die streitbefangenen Videos ins Netz gestellt hatten. Im Übrigen wies dieses Gericht die Berufung von Herrn Peterson zurück.
29. Herr Peterson legte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Unter diesen Umständen hat dieses Gericht mit Beschluss vom 13. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2018, das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof angerufen.
B. Rechtssache C‑683/18
1. Uploaded
30. Uploaded ist eine von Cyando betriebene Sharehosting-Plattform (allgemein auch als Sharehoster- oder Cyberlocker-Plattform bezeichnet). Diese Plattform, die über verschiedene Websites zugänglich ist, bietet Speicherplatz an, der es jedermann ermöglicht, kostenlos Dateien beliebigen Inhalts online zu hosten. Um Uploaded nutzen zu können, ist es erforderlich, ein Konto – mit einem Benutzernamen und einem Passwort – einzurichten und dabei insbesondere eine elektronische Adresse anzugeben. Die Einstellung einer Datei ins Internet erfolgt automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch Cyando. Jedes Mal, wenn ein Nutzer eine Datei hochlädt, wird automatisch ein sogenannter download-link generiert, der das Herunterladen der Datei ermöglicht, und diesem Nutzer übermittelt. Uploaded enthält weder ein Inhaltsverzeichnis der bei ihr gehosteten Dateien noch eine entsprechende Suchfunktion. Die Nutzer können diese Download-Links jedoch frei im Internet, z. B. in Blogs oder Foren, oder auch in „Linksammlungen“ teilen, d. h. auf Websites, die diese Links indexieren, Informationen über die Dateien liefern, auf die diese Links verweisen, und die Internetnutzer in die Lage versetzen, nach den Dateien zu suchen, die sie herunterladen möchten.
31. Wer über ein Konto und die entsprechenden Links verfügt, kann die auf der Plattform Uploaded gehosteten Dateien kostenlos herunterladen. Nutzer, die über einen kostenlosen einfachen Zugang verfügen, können Dateien allerdings nur eingeschränkt herunterladen (u. a. hinsichtlich der Höchstmenge der Daten, die heruntergeladen werden können, der Download-Geschwindigkeit, der Zahl gleichzeitiger Downloads usw.). Dagegen können Nutzer ein entgeltliches Abonnement erwerben, um in den Genuss eines deutlich größeren täglichen Download-Volumens ohne Beschränkung der Geschwindigkeit oder der Zahl gleichzeitiger Downloads und ohne Wartezeiten zwischen den Downloads zu kommen. Außerdem hat Cyando ein „Partnerschaftsprogramm“ eingeführt, in dessen Rahmen sie bestimmten Nutzern, die Dateien auf Uploaded online stellen, eine Vergütung zahlt, die von der Zahl der Downloads der betreffenden Dateien abhängig ist.
32. Die allgemeinen Nutzungsbedingungen von Uploaded bestimmen, dass diese Plattform nicht zur Verletzung des Urheberrechts genutzt werden darf. Tatsächlich steht jedoch fest, dass diese Plattform für rechtmäßige Zwecke, „in erheblichem Ausmaß“(9) aber auch für solche genutzt wird, die gegen das Urheberrecht verstoßen, wessen sich Cyando bewusst ist. Insoweit ist Cyando darauf hingewiesen worden, dass auf ihren Servern mehr als 9 500 geschützte Werke vorhanden sind, die ohne vorherige Zustimmung der Rechtsinhaber online gestellt wurden, und dass zugehörige Download-Links auf rund 800 Websites (Linksammlungen, Blogs oder Foren) geteilt wurden, was Cyando bekannt ist.
2. Die Klage von Elsevier
33. Aus dem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C‑683/18 geht hervor, dass eine Reihe geschützter Werke, an denen Elsevier ausschließliche Nutzungsrechte besitzt, ohne Zustimmung dieser Gesellschaft auf der Plattform Uploaded gehostet und über Linksammlungen, Blogs und andere Foren öffentlich zugänglich gemacht wurden. Insbesondere zeigte Elsevier – auf der Grundlage von Recherchen im Zeitraum vom 11. bis zum 13. Dezember 2013 – Cyando mit zwei am 10. und 17. Januar 2014 versandten Schreiben an, dass Dateien, die drei dieser Werke enthielten, nämlich „Gray’s Anatomy for Students“, „Atlas of Human Anatomy“ und „Campbell-Walsh Urology“, auf deren Servern gespeichert seien und über die Linksammlungen rehabgate.com, avaxhome.ws und bookarchive.ws frei eingesehen werden könnten.
34. Elsevier erhob gegen Cyando beim Landgericht München (Deutschland) Klage, die am 17. Juli 2014 zugestellt wurde. Mit dieser Klage nahm Elsevier Cyando u. a. auf Unterlassung in Anspruch, und zwar in erster Linie als Täterin der die streitigen Werke betreffenden Urheberrechtsverletzungen, hilfsweise als Teilnehmerin an diesen Verletzungshandlungen und äußerst hilfsweise als „Störerin“. Ferner beantragte Elsevier, Cyando zur Erteilung bestimmter Auskünfte zu verurteilen. Außerdem begehrte sie die Feststellung, dass Cyando verpflichtet sei, ihr wegen dieser Rechtsverletzungen Schadensersatz zu leisten.
35. Mit Urteil vom 18. März 2016 verurteilte das Landgericht München Cyando wegen ihrer Teilnahme an den Urheberrechtsverletzungen hinsichtlich der drei in den Schreiben vom 10. und 17. Januar 2014 genannten Werke zur Unterlassung und gab den Hilfsanträgen von Elsevier statt. Die weiter gehenden Anträge wies dieses Gericht ab.
36. Sowohl Elsevier als auch Cyando legten gegen dieses Urteil Berufung ein. Mit Urteil vom 2. März 2017 änderte das Oberlandesgericht München (Deutschland) das erstinstanzliche Urteil ab. Auf den von Elsevier äußerst hilfsweise gestellten Antrag verurteilte es Cyando hinsichtlich der Verletzungshandlungen, die die drei in den Schreiben vom 10. und 17. Januar 2014 angeführten Werke betrafen, als „Störerin“ zur Unterlassung. Die weiter gehenden Anträge wies das Berufungsgericht ab.
37. Elsevier legte Revision zum Bundesgerichtshof ein. Unter diesen Umständen hat dieses Gericht mit Beschluss vom 20. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2018, das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof angerufen.
IV. Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
38. In der Rechtssache C‑682/18 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Nimmt der Betreiber einer Internetvideoplattform, auf der Nutzer Videos mit urheberrechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, eine Handlung der Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vor, wenn
– er mit der Plattform Werbeeinnahmen erzielt,
– [die Einstellung eines Videos ins Internet] automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch den Betreiber erfolgt,
– der Betreiber nach den Nutzungsbedingungen für die Dauer der Einstellung des Videos eine weltweite, nicht exklusive und gebührenfreie Lizenz an den Videos erhält,
– der Betreiber in den Nutzungsbedingungen und im Rahmen [der Einstellung ins Internet] darauf hinweist, dass urheberrechtsverletzende Inhalte nicht eingestellt werden dürfen,
– der Betreiber Hilfsmittel zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe Rechtsinhaber auf die Sperrung rechtsverletzender Videos hinwirken können,
– der Betreiber auf der Plattform eine Aufbereitung der Suchergebnisse in Form von Ranglisten und inhaltlichen Rubriken vornimmt und registrierten Nutzern eine an von diesen bereits angesehenen Videos orientierte Übersicht mit empfohlenen Videos anzeigen lässt,
sofern er keine konkrete Kenntnis von der Verfügbarkeit urheberrechtsverletzender Inhalte hat oder nach Erlangung der Kenntnis diese Inhalte unverzüglich löscht oder unverzüglich den Zugang zu ihnen sperrt?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:
Fällt die Tätigkeit des Betreibers einer Internetvideoplattform unter den in Frage 1 beschriebenen Umständen in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31?
3. Für den Fall, dass die Frage 2 bejaht wird:
Muss sich die tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information und das Bewusstsein der Tatsachen oder Umstände, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 auf konkrete rechtswidrige Tätigkeiten oder Informationen beziehen?
4. Weiter für den Fall, dass die Frage 2 bejaht wird:
Ist es mit Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 vereinbar, wenn der Rechtsinhaber gegen einen Diensteanbieter, dessen Dienst in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht und von einem Nutzer zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt worden ist, eine gerichtliche Anordnung erst dann erlangen kann, wenn es nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung erneut zu einer derartigen Rechtsverletzung gekommen ist?
5. Für den Fall, dass die Fragen 1 und 2 verneint werden:
Ist der Betreiber einer Internetvideoplattform unter den in Frage 1 beschriebenen Umständen als Verletzer im Sinne von Art. 11 Satz 1 und Art. 13 der Richtlinie 2004/48 anzusehen?
6. Für den Fall, dass die Frage 5 bejaht wird:
Darf die Verpflichtung eines solchen Verletzers zur Leistung von Schadensersatz nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 davon abhängig gemacht werden, dass der Verletzer sowohl in Bezug auf seine eigene Verletzungshandlung als auch in Bezug auf die Verletzungshandlung des Dritten vorsätzlich gehandelt hat und wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass Nutzer die Plattform für konkrete Rechtsverletzungen nutzen?
39. In der Rechtssache C‑683/18 hat dieses Gericht dem Gerichtshof ebenfalls sechs Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, wobei die Fragen 2 bis 6 im Wesentlichen dieselben sind, die in der Rechtssache C‑682/18 gestellt wurden. Nur die nachstehend wiedergegebene erste Frage lautet anders:
1. a) Nimmt der Betreiber eines Sharehosting-Dienstes, über den Nutzer Dateien mit urheberrechtlich geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechtsinhaber öffentlich zugänglich machen, eine Handlung der Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vor, wenn
– [die Einstellung einer Datei ins Internet] automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Kontrolle durch den Betreiber erfolgt,
– der Betreiber in den Nutzungsbedingungen darauf hinweist, dass urheberrechtsverletzende Inhalte nicht eingestellt werden dürfen,
– er mit dem Betrieb des Dienstes Einnahmen erzielt,
– der Dienst für legale Anwendungen genutzt wird, der Betreiber aber Kenntnis davon hat, dass auch eine erhebliche Anzahl urheberrechtsverletzender Inhalte (mehr als 9 500 Werke) verfügbar sind,
– der Betreiber kein Inhaltsverzeichnis und keine Suchfunktion anbietet, die von ihm bereitgestellten unbeschränkten Download-Links aber von Dritten in Linksammlungen im Internet eingestellt werden, die Informationen zum Inhalt der Dateien enthalten und die Suche nach bestimmten Inhalten ermöglichen,
– er durch die Gestaltung der von ihm nachfrageabhängig gezahlten Vergütung für Downloads einen Anreiz schafft, urheberrechtlich geschützte Inhalte hochzuladen, die anderweitig für Nutzer nur kostenpflichtig zu erlangen sind
und
– durch die Einräumung der Möglichkeit, Dateien anonym hochzuladen, die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass Nutzer für Urheberrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden?
b) Ändert sich diese Beurteilung, wenn über den Sharehosting-Dienst in einem Umfang von 90 % bis 96 % der Gesamtnutzung urheberrechtsverletzende Angebote bereitgestellt werden?
40. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18. Dezember 2018 sind die Rechtssachen C‑682/18 und C‑683/18 wegen ihres Zusammenhangs zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
41. Herr Peterson, Elsevier, Google, Cyando, die deutsche, die französische und die finnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Mit Ausnahme der finnischen Regierung haben diese Verfahrensbeteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2019 teilgenommen.
V. Würdigung
42. Hintergrund der vorliegenden Rechtssachen sind die Dienstleistungen des „web 2.0“. Ich weise darauf hin, dass seit der Mitte des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts verschiedene technologische Veränderungen (von der weltweiten Zunahme der Bandbreite bis zur Demokratisierung der Breitbandanschlüsse) und gesellschaftliche Veränderungen (sei es eine veränderte Einstellung der Internetnutzer zum Privatleben oder die Bereitschaft, im Internet Inhalte zu teilen, Beiträge einzustellen und Online-Gemeinschaften zu bilden) zur Entwicklung dynamischer und interaktiver Dienste wie Blogs, sozialer Netzwerke und Filesharing-Plattformen geführt haben, bei denen es sich allesamt um Werkzeuge handelt, die es ihren Nutzern ermöglichen, Inhalte aller Art online zu teilen, die dann als user-created content oder user-generated content bezeichnet werden. Die Anbieter dieser Dienste nehmen für sich in Anspruch, die Internetnutzer in die Lage zu versetzen, nicht bloß passive Konsumenten von Unterhaltung, Meinungen oder Informationen zu bleiben, sondern sich aktiv an der Erstellung und dem Austausch solcher Inhalte im Internet zu beteiligen. Der Netzwerkeffekt, auf dem der Erfolg dieser Dienste beruht, hat es einer kleinen Zahl dieser Diensteanbieter rasch ermöglicht, vom Status eines „Start-ups“ zu dem eines marktbeherrschenden Unternehmens aufzusteigen(10).
43. Die Plattform YouTube, um die es in der Rechtssache C‑682/18 geht, ist in dieser Hinsicht repräsentativ. Diese Plattform bietet ihren Nutzern (nach Angabe von Google: mehr als 1,9 Mrd.) die Gelegenheit, ihre Inhalte und insbesondere ihre Werke online zu teilen. Auf diese Weise wird jeden Tag eine Vielzahl von Videos online gestellt, darunter kulturelle und unterhaltsame Inhalte wie z. B. Musikkompositionen von Nachwuchskünstlern, die ein breites Publikum finden können, informative Inhalte zu so unterschiedlichen Themen wie Politik, Sport und Religion, oder auch „Lehrvideos“, die es jedem ermöglichen sollen, Kochen zu lernen, Gitarre zu spielen, ein Fahrrad zu reparieren usw. Inhalte werden auf YouTube nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von öffentlichen Organisationen und Unternehmern veröffentlicht, darunter auch von etablierten Medienunternehmen wie Fernsehsendern oder Plattenfirmen. YouTube baut auf einem komplexen Geschäftsmodell auf, zu dem insbesondere der Verkauf von Werbeflächen auf ihrer Plattform gehört(11). Außerdem hat YouTube ein System eingeführt, mit dem sie einen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen mit einzelnen Nutzern teilt, die die Inhalte liefern, was es diesen Nutzern ermöglicht, aus der Plattform Einnahmen zu erzielen(12).
44. Die Plattform Uploaded, um die es in der Rechtssache C‑683/18 geht, spiegelt eine Realität wider, die damit zwar sicherlich verwandt, aber dennoch anders ist. Im Allgemeinen stellt ein Cyberlocker seinen Nutzern Online-Speicherplatz zur Verfügung, der es ihnen u. a. ermöglicht, alle Arten von Dateien in der „Cloud“ zu speichern, um jederzeit, von jedem gewünschten Ort und mit jedem beliebigen Gerät darauf zugreifen zu können. Als Sharehoster hat Uploaded auch eine Funktion integriert, mit der die gehosteten Dateien geteilt werden können. Die Nutzer sind somit in der Lage, die für jede hochgeladene Datei generierten download-links an Dritte weiterzugeben. Laut Cyando soll diese Funktion es jedermann ermöglichen, umfangreiche Dateien problemlos an seine Familienangehörigen, Freunde oder auch Geschäftspartner weiterzuleiten. Außerdem könnten die Nutzer dank dieser Funktion urheberrechtsfreie Inhalte oder ihre eigenen Werke im Internet teilen. Die Cyberlocker verwenden unterschiedliche Geschäftsmodelle. Uploaded finanziert sich ihrerseits durch den Verkauf von Abonnements, von denen u. a. abhängt, welches Volumen gehosteter Dateien heruntergeladen werden kann.
45. Plattformen wie YouTube und Uploaded lassen sich somit in unterschiedlicher Weise rechtmäßig nutzen, doch werden sie auch rechtswidrig genutzt. Insbesondere auf YouTube geteilte Videos können geschützte Werke enthalten und die Rechte ihrer Urheber verletzen. Darüber hinaus ist ein Sharehoster wie Uploaded schon aufgrund seiner Fähigkeit, umfangreiche Dateien zu speichern und zu übertragen, ein praktisches Werkzeug für den rechtswidrigen Tausch von Kopien insbesondere geschützter Film- oder Musikwerke.
46. Die Rechtsinhaber, wie Herr Peterson und Elsevier, die vorliegend durch die französische Regierung unterstützt werden, zeichnen daher ein finsteres Bild der fraglichen Plattformen und ihrer Betreiber. Indem sie im Rahmen dieser Plattformen eine dezentralisierte und unkontrollierte Bereitstellung von Inhalten durch jeden beliebigen Internetnutzer ermöglichten, führten diese Betreiber für die Rechtsinhaber ein erhebliches Risiko der Verletzung des Urheberrechts herbei. Dieses Risiko werde durch die Allgegenwart der auf diesen Plattformen veröffentlichten Inhalte, die eine unbegrenzte Zahl von Internetnutzern auf der ganzen Welt augenblicklich abrufen könne, noch vervielfacht(13). Die Rechtsinhaber führen außerdem die Schwierigkeiten ins Feld, die ihnen die Inanspruchnahme von Nutzern bereite, die solche Rechtsverletzungen über ebendiese Plattformen begingen, und zwar aufgrund ihrer Zahlungsunfähigkeit, ihrer Anonymität oder ihres Standorts.
47. Das Vorbringen der Rechtsinhaber beschränkt sich aber nicht auf die Gefahr von Rechtsverletzungen, die durch die Tätigkeit von Betreibern wie YouTube und Uploaded ausgelöst werde. Sie machen diesen Betreibern – insbesondere YouTube – den weiter gehenden Vorwurf, die Wertschöpfungskette im Wirtschaftssektor der Kultur auf Kosten der Rechtsinhaber tiefgreifend verändert zu haben. Die Rechtsinhaber tragen im Wesentlichen vor, diese Betreiber schüfen einen Anreiz für die Nutzer ihrer Plattformen, attraktive Inhalte online zu stellen, die in den meisten Fällen urheberrechtlich geschützt seien. Diese Betreiber monetarisierten diese Inhalte zum eigenen Vorteil u. a. durch Werbung (Geschäftsmodell „YouTube“) oder durch Abonnements (Geschäftsmodell „Uploaded“) und erzielten erhebliche Gewinne, ohne jedoch von den Rechtsinhabern Lizenzen zu erwerben und ohne ihnen folglich eine Vergütung zu zahlen. Diese Plattformbetreiber eigneten sich somit zum Nachteil der Rechtsinhaber den größten Teil des durch diese Inhalte generierten Wertes an – hierbei handelt es sich um das im Zusammenhang mit der Annahme der Richtlinie 2019/790 erörterte Argument des value gap (Wertschöpfungslücke). Außerdem erschwerten Plattformen wie YouTube diesen Rechtsinhabern die Chancen einer normalen Verwertung ihrer Werke. Insbesondere träten diese Plattformen nämlich in einen unlauteren Wettbewerb mit den traditionellen Medien (Radio- und Fernsehsendern usw.) und den Anbietern digitaler Inhalte (Spotify, Netflix usw.), die die von ihnen verbreiteten Inhalte ihrerseits gegen Entgelt von den Rechtsinhabern erwürben und aufgrund dieses unlauteren Wettbewerbs dazu neigten, diesen eine geringere Vergütung zu zahlen, um wettbewerbsfähig zu bleiben(14). Um für ihr geistiges Eigentum das hohe Schutzniveau, das ihnen das Unionsrecht gewährleisten solle, sowie eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke zu erhalten(15), müssten sich die Rechtsinhaber daher an die Plattformbetreiber selbst halten können.
48. An dieser Stelle ist es nützlich, darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 das ausschließliche Recht der Urheber vorsieht, jede „öffentliche Wiedergabe“ ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung dieser Werke in der Weise, dass sie jedermann vom Ort und zum Zeitpunkt seiner Wahl zugänglich sind(16). Dieses ausschließliche Recht wird verletzt, wenn ein geschütztes Werk von einem Dritten ohne vorherige Zustimmung seines Urhebers öffentlich wiedergegeben wird(17), es sei denn, dass diese Wiedergabe unter eine der Ausnahmen und Beschränkungen fällt, die Art. 5 dieser Richtlinie erschöpfend aufführt(18).
49. Die Rechtsinhaber sind der Meinung, dass Betreiber wie YouTube und Cyando (gemeinsam mit den Nutzern ihrer Plattformen) die „öffentliche Wiedergabe“ der Werke vornehmen, die diese Nutzer online stellen. Folglich müssten die Betreiber bei allen Dateien, die diese Nutzer teilen wollten, vor ihrer Einstellung ins Internet prüfen, ob sie geschützte Werke enthielten, die an ihnen bestehenden Rechte ermitteln und selbst, im Allgemeinen gegen Entgelt, bei den Inhabern dieser Rechte eine Lizenz erwerben oder andernfalls diese Einstellung ins Internet verhindern. Jedes Mal, wenn diese Betreiber diese Verpflichtungen nicht erfüllten und infolgedessen Werke über ihre Plattformen rechtswidrig veröffentlicht würden, seien sie nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 unmittelbar haftbar. Aus diesem Grund seien diese Betreiber nach Art. 13 der Richtlinie 2004/48 u. a. verpflichtet, den betroffenen Rechtsinhabern Schadensersatz zu leisten.
50. YouTube und Cyando, die vorliegend von der finnischen Regierung und der Kommission unterstützt werden, halten dem entgegen, dass sie lediglich Vermittler seien, die Werkzeuge zur Verfügung stellten, die es den Nutzern ihrer Plattformen ermöglichten, Werke öffentlich wiederzugeben. Es seien also nicht diese Betreiber, sondern die genannten Nutzer, die die „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornähmen, wenn sie über diese Plattformen Dateien online teilten, die geschützte Werke enthielten. Im Fall einer rechtswidrigen „Wiedergabe“ hafteten diese Nutzer daher unmittelbar. Die genannten Betreiber sind jedenfalls der Auffassung, dass ihnen Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 zugutekomme. Diese Bestimmung stelle sie von jeder Haftung frei, die sich aus rechtswidrigen Dateien ergeben könne, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speicherten, sofern sie im Wesentlichen keine Kenntnis davon hätten oder diese Dateien gegebenenfalls unverzüglich entfernt hätten. Außerdem dürfe diesen Betreibern nach Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie keine allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, die von ihnen gespeicherten Dateien zu überwachen oder aktiv nach Tatsachen oder Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten hinwiesen. YouTube und Cyando sind daher der Ansicht, nach diesen Bestimmungen nicht verpflichtet zu sein, sämtliche von den Nutzern ihrer Plattformen bereitgestellten Dateien vor ihrer Einstellung ins Internet zu kontrollieren, sondern im Wesentlichen nur, auf Meldungen der Rechtsinhaber, in denen auf die Rechtswidrigkeit bestimmter Dateien hingewiesen werde, ausreichend zu reagieren.
51. In diesem Zusammenhang zielt die erste Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs darauf ab, zu klären, ob die Tätigkeit der Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 fällt. Mit der zweiten Vorlagefrage dieses Gerichts soll geklärt werden, ob diese Betreiber für die Dateien, die sie im Auftrag ihrer Nutzer speichern, die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Haftungsbefreiung in Anspruch nehmen können. Diese Fragen sind eng miteinander verknüpft. Mit den Richtlinien 2000/31 und 2001/29 wollte der Unionsgesetzgeber nämlich zur Frage der Haftung der Vermittler bei Verstößen gegen das Urheberrecht auf Unionsebene ein klares Regelwerk begründen(19). Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind daher kohärent auszulegen(20).
52. In den Abschnitten A und B dieser Schlussanträge werde ich diese beiden Bestimmungen nacheinander untersuchen(21).
A. Zum Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 (erste Vorlagefrage)
53. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform und der Betreiber einer Sharehosting-Plattform eine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornehmen, wenn ein Nutzer ihrer Plattformen dort ein geschütztes Werk einstellt und veröffentlicht.
54. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Begriff „öffentliche Wiedergabe“ ein autonomer Begriff des Unionsrechts, dessen Bedeutung und Tragweite anhand des Wortlauts dieser Bestimmung, des Kontexts, in den er sich einfügt, und der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele zu bestimmen sind(22). Außerdem ist dieser Begriff so weit wie möglich im Licht der entsprechenden Begriffe in den für die Union verbindlichen völkerrechtlichen Bestimmungen auszulegen(23).
55. Nach dieser Rechtsprechung vereint der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ zwei kumulative Voraussetzungen, nämlich eine Handlung der „Wiedergabe“ eines Werks und eine „Öffentlichkeit“(24).
56. Insoweit bezeichnet der Begriff „Wiedergabe“, wie der 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 klarstellt, – unabhängig vom verwendeten technischen Verfahren – jede Übertragung (oder Weiterverbreitung) eines Werks an eine Öffentlichkeit, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist(25). Eine Person nimmt mit anderen Worten eine Handlung der „Wiedergabe“ vor, wenn sie ein Werk überträgt(26) und damit aus der Ferne wahrnehmbar macht(27). Typisches Beispiel für eine solche Übertragung ist, wie in diesem Erwägungsgrund angegeben, die Rundfunkübertragung eines Werks, während sich der Begriff „Weiterverbreitung“ insbesondere auf die gleichzeitige Weiterverbreitung einer Rundfunksendung über Kabel oder Satellit oder auch das Internet bezieht.
57. Im Übrigen schließt der Begriff „Wiedergabe“, wie ich in Nr. 48 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, auch den der „Zugänglichmachung“ ein. Die letztgenannte Kategorie erfasst, wie im 25. Erwägungsgrund und in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 klargestellt wird, die interaktiven Übertragungen auf Abruf, die sich dadurch auszeichnen, dass jeder das Werk von Orten und zu Zeiten seiner Wahl abrufen kann. Der Begriff „Zugänglichmachung“ umfasst somit den Vorgang, mit dem eine Person einer „Öffentlichkeit“ die Möglichkeit gibt, sich ein Werk unter diesen Umständen übertragen zu lassen – typischerweise, indem sie es auf einer Website online stellt(28).
58. Zum anderen bezieht sich der Begriff „öffentlich“ auf eine „unbestimmte“ und „hinreichend große“ Zahl von Personen. Dieser Begriff bezieht sich somit auf Personen im Allgemeinen, im Gegensatz zu bestimmten Personen, die einer privaten Gruppe angehören, und setzt eine bestimmte Mindestschwelle voraus(29).
59. Im vorliegenden Fall ist in Anbetracht des Vorstehenden unbestreitbar, dass ein geschütztes Werk, das über eine Plattform wie YouTube oder Uploaded online geteilt wird, Gegenstand einer „öffentlichen Zugänglichmachung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist.
60. Wird nämlich ein Video, das ein geschütztes Werk enthält, auf YouTube veröffentlicht, kann jedermann es von Orten und zu Zeiten seiner individuellen Wahl als stream von dieser Plattform abrufen. Dasselbe gilt, wenn eine Datei, die ein Werk enthält, auf Uploaded gehostet und der zugehörige download link im Internet in Linksammlungen, Blogs oder Foren frei zugänglich gemacht wird(30). In beiden Fällen wird das Werk einer „Öffentlichkeit“ zur Verfügung gestellt(31), unabhängig davon, ob es im Auftrag von Einzelpersonen im Rahmen einer „Eins-zu-eins-Übertragung“ betrachtet oder heruntergeladen wird. Zu berücksichtigen ist nämlich insoweit die Zahl der Personen, die gleichzeitig oder nacheinander Zugang dazu haben können(32). In dem hier genannten Fall kann das Werk von allen tatsächlichen und potenziellen Besuchern von YouTube bzw. der Website, auf der dieser Link geteilt wird, angesehen oder heruntergeladen werden, mithin von einer offenkundig „unbestimmten“ und „hinreichend großen“ Zahl von Personen(33).
61. Infolgedessen führt die Veröffentlichung eines geschützten Werks im Internet, die über eine Plattform wie YouTube oder Uploaded durch einen Dritten ohne vorherige Genehmigung seines Urhebers erfolgt, – sofern sie nicht unter die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen fällt – zu einer Verletzung des ausschließlichen Rechts der „öffentlichen Wiedergabe“, das Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie dem Urheber verleiht.
62. Dies vorausgeschickt, kommt es vor allem auf die Frage an, wer diese „Wiedergabe“ vornimmt und dafür möglicherweise haftet: der Nutzer, der das betreffende Werk online stellt, der Betreiber der Plattform oder beide gemeinsam.
63. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Herr Peterson und Elsevier zu dieser Frage Argumente vorgetragen haben, die von unterschiedlichen Grundgedanken geprägt sind. Sie halten Betreiber wie YouTube und Cyando für nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 verantwortlich, weil diese sich aktiv an der öffentlichen Wiedergabe der von den Nutzern ihrer Plattformen online gestellten Werke beteiligten, so dass sie diese Wiedergabe selbst vornähmen, ferner, weil sie Kenntnis davon hätten, dass diese Nutzer geschützte Werke rechtswidrig teilten, weil sie diesen Nutzern darüber hinaus wissentlich einen Anreiz böten, das zu tun, und schließlich, weil sie in dieser Hinsicht fahrlässig handelten, indem sie bestimmte Sorgfaltspflichten nicht beachteten, die ihnen zum Ausgleich des durch ihre Tätigkeit entstehenden Verletzungsrisikos auferlegt seien(34).
64. Dieses Argument vermengt meines Erachtens zwei Problemkreise. Wenn zum einen davon auszugehen wäre, dass Betreiber wie YouTube und Cyando eine „öffentliche Wiedergabe“ der von den Nutzern eingestellten Werke vornähmen, könnte diese Betreiber potenziell eine unmittelbare (oder „primäre“) Haftung gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 treffen. Die Frage, ob das der Fall ist, ist eine objektive Frage, die für Erwägungen in Bezug auf Kenntnis oder Fahrlässigkeit keinen Raum lässt. Die Antwort auf diese Frage hängt nämlich grundsätzlich allein davon ab, ob diese Betreiber Handlungen der „Wiedergabe“ vornehmen und ob diese Handlungen ohne Erlaubnis der Urheber der betreffenden Werke vorgenommen werden. In Abschnitt 1 werde ich meine Analyse auf diesen Rahmen beschränken und nur die relevanten Argumente prüfen, um darzulegen, aus welchen Gründen grundsätzlich nur die Nutzer, die geschützte Werke online stellen, deren „öffentliche Wiedergabe“ bewirken. Die Primärhaftung, die sich aus dieser „Wiedergabe“ ergeben kann, trifft somit in der Regel allein diese Nutzer.
65. Zum anderen fällt die Frage, ob Betreiber wie YouTube und Cyando für von Nutzern ihrer Plattformen begangene Urheberrechtsverletzungen haften, weil sie z. B. Kenntnis davon hatten und es vorsätzlich unterlassen haben, tätig zu werden, weil sie diesen Nutzern Anreize zu solchen Verletzungshandlungen geboten haben oder auch, weil sie in dieser Hinsicht fahrlässig gehandelt haben, meines Erachtens nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29. Wie ich in Abschnitt 2 erläutern werde, hat der Gerichtshof diese Bestimmung in den Urteilen GS Media(35), Stichting Brein I („Filmspeler“)(36) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“)(37) zwar offenbar dahin ausgelegt, dass sie die Haftung für Handlungen Dritter (auch als „akzessorische“, „subsidiäre“, „sekundäre“ oder „indirekte“ Haftung bezeichnet) umfassen kann; ich bin jedoch meinerseits der Ansicht, dass diese Haftung in Wirklichkeit im Unionsrecht nicht harmonisiert ist. Sie unterliegt daher den im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung. Hilfsweise werde ich in Abschnitt 3 die Tätigkeit dieser Betreiber anhand des Prüfungsrahmens untersuchen, der sich aus diesen Urteilen und dem darauf bezogenen Vorbringen ergibt.
1. Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando nehmen grundsätzlich keine Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ vor
66. Wie ich in den Nrn. 55 bis 58 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, entspricht eine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 in der Übertragung eines geschützten Werks an eine Öffentlichkeit. In diesem Rahmen besteht eine Handlung der „Zugänglichmachung“ darin, Mitgliedern der Öffentlichkeit die Möglichkeit einer solchen Übertragung zu bieten, die auf ihr Anfordern an dem Ort und zu dem Zeitpunkt, den sie individuell wählen, erfolgen kann.
67. Dies vorausgeschickt, setzt jede Übertragung eines Werks an eine Öffentlichkeit im Allgemeinen eine Kette von Eingriffen mehrerer Personen voraus, die in unterschiedlicher Funktion und in unterschiedlichem Ausmaß an dieser Übertragung beteiligt sind. Beispielsweise ist die Möglichkeit für die Fernsehzuschauer, ein ausgestrahltes Werk auf ihren Fernsehgeräten zu sehen, das Ergebnis der kombinierten Anstrengungen u. a. eines Fernsehveranstalters, eines oder mehrerer Sendeunternehmen, des Betreibers des terrestrischen Netzes sowie der Personen, die diesen Zuschauern die Antennen und Fernsehgeräte geliefert haben.
68. Alle diese Tätigkeiten können nicht als Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 angesehen werden. Andernfalls würde jedes beliebige Glied der Kette, unabhängig von der Art seiner Tätigkeit, den Urhebern gegenüber haften. Um der Gefahr einer solchen weiten Auslegung vorzubeugen, hat der Unionsgesetzgeber im 27. Erwägungsgrund dieser Richtlinie klargestellt, dass „[d]ie bloße Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, … selbst keine Wiedergabe im Sinne dieser Richtlinie dar[stellt]“(38).
69. Daher ist innerhalb der Kette von Tätigkeiten, mit der jede Übertragung eines Werks an die Öffentlichkeit verbunden ist, zwischen derjenigen Person(39), die die Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornimmt, und den Diensteanbietern zu unterscheiden, die mit der Bereitstellung der „Einrichtungen“, die diese Übertragung ermöglichen, als Vermittler zwischen dieser Person und der Öffentlichkeit tätig werden(40).
70. Im vorliegenden Fall bin ich mit Google, Cyando, der finnischen Regierung und der Kommission der Ansicht, dass die Rolle, die Betreiber wie YouTube und Cyando bei der „öffentlichen Wiedergabe“ der von den Nutzern ihrer Plattformen online gestellten Werke spielen, grundsätzlich die eines Vermittlers ist. Meines Erachtens spiegelt der Einwand von Herrn Peterson, von Elsevier sowie der deutschen und der französischen Regierung ein fehlerhaftes Verständnis dessen wider, was eine „bloße Bereitstellung der Einrichtungen“ von einer Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ unterscheidet.
71. Ich weise darauf hin, dass die Grundzüge dieser Unterscheidung schon in der ersten Entscheidung des Gerichtshofs zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 aufgestellt wurden, nämlich im Urteil SGAE(41). In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass der Umstand, dass ein Hotelier eine ausgestrahlte Sendung empfängt und mittels in den Hotelzimmern aufgestellter Fernsehgeräte an seine Gäste verbreitet, eine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ der in dieser Sendung enthaltenen Werke darstellt. Die Aufstellung dieser Fernsehgeräte in den Zimmern war als solche zwar eine „Bereitstellung der Einrichtungen“, doch beschränkte sich das Tätigwerden des Hoteliers nicht auf diese Bereitstellung. Durch die Verteilung der ausgestrahlten Sendung auf diese Geräte verbreitete der Hotelier die darin enthaltenen Werke nämlich willentlich(42) unter seinen Kunden weiter – die nicht nur eine „Öffentlichkeit“, sondern zugleich ein „neues Publikum“ darstellten, d. h. Personen, die die Urheber dieser Werke nicht ins Auge gefasst hatten, als sie die Rundfunkübertragung der Werke genehmigten(43), und die sich zwar im Sendegebiet aufhielten, aber ohne das Tätigwerden des Hoteliers grundsätzlich nicht in den Genuss dieser Werke hätten kommen können(44).
72. Aus diesem Urteil geht hervor, dass bei der Übertragung eines Werks an ein Publikum die Handlung der „Wiedergabe“ von demjenigen vorgenommen wird, der – im Gegensatz zu den Diensteanbietern, die die „Einrichtungen bereitstellen“ – vorsätzlich tätig wird, um dieses Werk an ein Publikum zu übertragen, das ohne sein Tätigwerden nicht in den Genuss dieses Werks hätte kommen können. Damit spielt diese Person bei dieser Übertragung eine – um den vom Gerichtshof in seiner späteren Rechtsprechung verwendeten Begriff aufzugreifen – „zentrale Rolle“(45).
73. Diese Erläuterung könnte missverstanden werden. Theoretisch spielt nämlich jeder Vermittler eine wichtige, ja sogar wesentliche Rolle bei einer solchen Übertragung, weil er eines der Glieder der Kette ist, die sie zustande kommen lässt. Die Rolle, die die hier in Rede stehende Person spielt, ist jedoch fundamentaler: Ihre Rolle ist „zentral“, weil sie es ist, die entscheidet, ein bestimmtes Werk an eine Öffentlichkeit zu übertragen, und diese „Wiedergabe“ aktiv in die Wege leitet.
74. Im Gegensatz dazu treffen Vermittler, deren Dienste genutzt werden, um eine „Wiedergabe“ zu ermöglichen oder zu verwirklichen, die Entscheidung, ein Werk an eine Öffentlichkeit zu übertragen, nicht selbst. Sie befolgen insoweit die von den Nutzern ihrer Dienste erteilten Weisungen. Diese Nutzer beschließen, bestimmte Inhalte zu übertragen, und leiten ihre „Wiedergabe“ aktiv in die Wege, indem sie den Vermittlern diese Inhalte zur Verfügung stellen und sie auf diese Weise in einen Vorgang einbeziehen, der dazu führt, sie an eine „Öffentlichkeit“ zu übertragen(46). Es sind daher grundsätzlich diese Nutzer, die allein die vom Gerichtshof ins Auge gefasste „zentrale Rolle“ spielen und Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ vornehmen. Ohne ihr Eingreifen hätten die Vermittler nichts zu übertragen und die „Öffentlichkeit“ könnte nicht in den Genuss der in Rede stehenden Werke kommen(47).
75. Ein Diensteanbieter überschreitet jedoch die Rolle des Vermittlers, wenn er aktiv in Bezug auf die „öffentliche Wiedergabe“ der Werke tätig wird(48). Das ist zum einen der Fall, wenn dieser Anbieter den übertragenen Inhalt auswählt, ihn auf andere Weise bestimmt oder ihn der Öffentlichkeit so präsentiert, dass er als sein eigener erscheint(49). In diesen Fällen bewirkt der Diensteanbieter gemeinsam mit dem Dritten, der ursprünglich den Inhalt bereitgestellt hat, die „Wiedergabe“(50). Zum anderen ist das der Fall, wenn dieser Anbieter eigenständig eine weitere Nutzung dieser „Wiedergabe“ vornimmt, indem er sie an ein „neues Publikum“ oder mittels eines „anderen technischen Verfahrens“ weiterleitet(51). In all diesen Fällen beschränkt sich ein Diensteanbieter nicht mehr auf die „Bereitstellung der Einrichtungen“ im Sinne des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29. Vielmehr spielt er in Wirklichkeit eine „zentrale Rolle“(52), weil er bewusst entscheidet, ein bestimmtes Werk öffentlich wiederzugeben(53).
76. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der bloße Umstand, dass Plattformen wie YouTube oder Uploaded der Öffentlichkeit den Zugang zu geschützten Werken ermöglichen, entgegen dem Vorbringen von Herrn Peterson und der deutschen Regierung nicht bedeutet, dass ihre Betreiber die „öffentliche Wiedergabe“ dieser Werke im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornehmen(54).
77. Zunächst spielen nämlich, wie Google und die finnische Regierung geltend machen, die Nutzer dieser Plattformen, soweit sie es sind, die die fraglichen Werke online gestellt haben(55), bei der öffentlichen Zugänglichmachung dieser Werke eine „zentrale Rolle“. Diese Nutzer haben beschlossen, diese Werke über die genannten Plattformen öffentlich wiederzugeben, indem sie im Fall von YouTube die geeignete Option gewählt und im Fall von Uploaded die entsprechenden download links im Internet geteilt haben(56). Ohne ihr Tätigwerden hätten die Betreiber dieser Plattformen nichts zu übertragen und die Öffentlichkeit könnte nicht in den Genuss dieser Werke kommen.
78. Sodann weise ich darauf hin, dass der Vorgang des Einstellens einer Datei auf einer Plattform wie YouTube oder Uploaded, sobald er vom Nutzer eingeleitet ist, automatisch erfolgt(57), ohne dass der Betreiber dieser Plattform die darauf veröffentlichten Inhalte auswählt oder sie auf andere Weise bestimmt. Ich möchte klarstellen, dass eine etwaige vorherige Kontrolle, die dieser Betreiber gegebenenfalls automatisiert vornimmt, meines Erachtens keine Auswahl darstellt(58), solange sich diese Kontrolle auf die Aufdeckung rechtswidriger Inhalte beschränkt und daher nicht den Willen des Betreibers widerspiegelt, bestimmte Inhalte öffentlich wiederzugeben (und andere nicht)(59).
79. Schließlich nehmen diese Betreiber keine weitere Nutzung der von ihren Nutzern initiierten „öffentlichen Wiedergabe“ vor, weil sie die betreffenden Werke nicht an ein „neues Publikum“ oder mittels eines „anderen technischen Verfahrens“ weiterverbreiten(60). Es gibt grundsätzlich nur eine einzige „Wiedergabe“, die von den betreffenden Nutzern beschlossene.
80. Daraus folgt meines Erachtens, dass Betreiber wie YouTube und Cyando sich im Prinzip auf die „Bereitstellung der Einrichtungen“ beschränken, wie sie im 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 vorgesehen ist und den Nutzern ihrer Plattformen die „öffentliche Wiedergabe“ der von ihnen bestimmten Werke im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie ermöglicht. Meines Erachtens stellt keines der vor dem Gerichtshof vorgetragenen Argumente diese Auslegung in Frage.
81. Erstens bin ich im Gegensatz zu Herrn Peterson, Elsevier sowie der deutschen und der französischen Regierung der Ansicht, dass weder der Umstand, dass ein Betreiber wie YouTube die Art und Weise strukturiert, in der die von seinen Nutzern online gestellten Videos auf der Plattform strukturiert werden, indem er sie in eine standardisierte Darstellungsschnittstelle integriert und sie unter verschiedenen Rubriken indexiert, noch der Umstand, dass dieser Betreiber eine Suchfunktion bereitstellt und die Suchergebnisse verarbeitet, die dann auf der Startseite in Form einer Rangliste der Videos in verschiedenen Kategorien zusammengefasst werden, von Belang sind(61).
82. Hierzu weise ich darauf hin, dass diese Präsentationsstruktur und diese verschiedenen Funktionen dazu dienen sollen, die Organisation der Plattform zu rationalisieren, ihre Nutzung zu vereinfachen und damit den Zugang zu den gehosteten Videos zu optimieren. Die im 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 implizierte Prämisse, nach der ein Diensteanbieter keine „öffentliche Wiedergabe“ vornimmt, solange er sich auf die „bloße“ Bereitstellung der Einrichtungen beschränkt, bedeutet meines Erachtens nicht, dass dieser Anbieter den Zugang zu den übertragenen Inhalten nicht durch Organisieren seiner Dienste optimieren darf(62). Denn es wird nicht verlangt, dass die Einrichtung selbst „schlicht“ ist. Darauf, dass eine Onlineplattform im Interesse ihrer leichteren Benutzbarkeit hochkomplex ist, kommt es daher nicht an. Die Grenze, die der Diensteanbieter meines Erachtens nicht überschreiten darf, ist die des aktiven Eingreifens in die öffentliche Wiedergabe der Werke, wie in Nr. 75 der vorliegenden Schlussanträge in Betracht gezogen.
83. Eine Präsentationsstruktur sowie derartige Funktionen sind aber meines Erachtens nicht als Nachweise dafür geeignet, dass der Betreiber diese Grenze überschreitet. Sie deuten insbesondere nicht darauf hin, dass er die Inhalte bestimmt, die die Nutzer auf der Plattform einstellen. Die Optimierung des Zugangs zu den Inhalten darf insbesondere nicht mit der Optimierung der Inhalte selbst verwechselt werden. Nur im zweiten Fall würde der Betreiber Einfluss auf den Inhalt nehmen(63). Ferner lässt der Umstand, dass eine Plattform wie YouTube eine standardisierte Darstellungsschnittstelle aufweist, meines Erachtens nicht den Schluss zu, ihr Betreiber präsentiere die Inhalte in einer Weise, die bei der Öffentlichkeit den Eindruck erwecke, es handele sich um seine eigenen Inhalte, vorausgesetzt, dass diese Schnittstelle bei jedem Video angibt, welcher Benutzer es hochgeladen hat.
84. Zweitens ist auch der Umstand, dass auf einer Plattform wie YouTube den registrierten Nutzern eine Übersicht der „empfohlenen Videos“ angezeigt wird, aus meiner Sicht nicht entscheidend. Niemand bestreitet, dass diese Empfehlungen Einfluss darauf haben, welche Inhalte von diesen Nutzern abgerufen werden. Da diese Empfehlungen jedoch automatisch auf der Grundlage der vom betreffenden Benutzer zuvor angesehenen Videos erzeugt werden und allein dazu dienen, diesem Nutzer den Zugang zu ähnlichen Videos zu erleichtern, spiegeln sie keine Entscheidung des Betreibers wider, ein bestimmtes Werk öffentlich wiederzugeben. Jedenfalls bestimmt dieser Betreiber nicht im Vorfeld, welche Werke auf seiner Plattform verfügbar sind.
85. Drittens wird die von mir vorgeschlagene Auslegung entgegen dem Vorbringen von Herrn Peterson und Elsevier auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein Betreiber wie YouTube sich in den Allgemeinen Bedingungen für die Nutzung seiner Plattform von jedem Nutzer eine weltweite, nicht ausschließliche und unentgeltliche Lizenz zur Nutzung der von ihm online gestellten Videos einräumen lässt. Gerade wegen ihrer Allgemeinheit ist diese Art von Klausel(64), die den Betreiber der Plattform berechtigt, die von ihren Nutzern eingestellten Inhalte zu verbreiten, und mit der er zudem geltend macht, automatisch und systematisch Rechte an allen diesen Inhalten zu erwerben(65), für sich genommen nämlich kein Beleg dafür, dass dieser Betreiber aktiv in Bezug auf die „öffentliche Wiedergabe“ der Werke tätig wird, wie in Nr. 75 der vorliegenden Schlussanträge in Betracht gezogen. Gerade weil diese Klausel systematisch und automatisch auf alle online gestellten Inhalte Anwendung findet, deutet sie nämlich nicht darauf hin, dass der genannte Betreiber über diese übermittelten Inhalte bestimmt. Macht derselbe Betreiber hingegen von dieser Lizenz Gebrauch, indem er die von den Nutzern der Plattform eingestellten Videos wiederverwendet(66), nimmt er in diesem Umfang Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ vor.
86. Viertens überzeugt mich auch nicht das Vorbringen von Herrn Peterson und Elsevier, wonach das von Betreibern wie YouTube oder Cyando gewählte Geschäftsmodell aufzeige, dass sich diese Betreiber nicht auf eine „Bereitstellung der Einrichtungen“ im Sinne des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29 beschränkten, sondern die „öffentliche Wiedergabe“ der von den Nutzern ihrer Plattformen online gestellten Werke vornähmen. Insoweit machen die Kläger der Ausgangsrechtsstreitigkeiten geltend, dass das von diesen Betreibern insbesondere durch den Verkauf von Werbeflächen (Geschäftsmodell YouTube) oder Abonnements (Geschäftsmodell Cyando) erzielte Entgelt keine Gegenleistung für eine technische Dienstleistung sei – insbesondere würden diese Betreiber sich von den Nutzern nicht den Speicherplatz als solchen bezahlen lassen –, sondern von der Attraktivität der auf ihren Plattformen online gestellten Inhalte abhängig sei. Im Fall von YouTube seien die erzielten Werbeeinnahmen nämlich umso bedeutender, je höher die Besucherzahlen der Plattform seien, und im Fall von Cyando würden die Internetnutzer durch die Aussicht, problemlos zahlreiche Downloads attraktiver Inhalte vornehmen zu können, zu einem Abonnement verleitet.
87. Allgemein halte ich das von einem Diensteanbieter verfolgte Gewinnziel für einen nur sehr eingeschränkt brauchbaren Anhaltspunkt für die Unterscheidung zwischen Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ und einer solchen „Bereitstellung“. Einerseits weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof nach reiflicher Überlegung(67) im Urteil Reha-Training(68) meines Erachtens zu Recht entschieden hat, dass der gewerbliche Charakter kein Kriterium für den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ ist, aber bei der Bestimmung der Höhe der dem Urheber wegen einer solchen Wiedergabe gegebenenfalls geschuldeten Vergütung oder Entschädigung berücksichtigt werden kann(69). Somit kann der gewerbliche Charakter allenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer solchen „Wiedergabe“ sein(70). Zudem ist die Gewinnerzielungsabsicht eines Diensteanbieters ein umso weniger brauchbares Kriterium für eine solche Unterscheidung, als die Bereitstellung einer „Einrichtung“, die eine „öffentliche Wiedergabe“ ermöglicht, in aller Regel mit dieser Zielsetzung erfolgt(71). Insbesondere bietet die überwiegende Mehrheit der Online-Vermittler ihre Dienste gegen Entgelt an.
88. Insbesondere lässt der Umstand, dass das von Betreibern wie YouTube und Cyando vereinnahmte Entgelt von der Attraktivität der über ihre Plattformen von deren Nutzern veröffentlichen Inhalte abhängt, nicht den Schluss zu, dass diese Betreiber die „öffentliche Wiedergabe“ der Werke, die sich auf diesen Plattformen befinden können, selbst vornehmen. Das entscheidende Kriterium ist meines Erachtens, ob der Diensteanbieter in Bezug auf diese „Wiedergabe“ aktiv tätig wird, wie in Nr. 75 der vorliegenden Schlussanträge erläutert. Dieser Umstand allein ist aber in meinen Augen dafür kein Beweis(72).
89. Die von mir vorgeschlagene Auslegung wird meines Erachtens durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet des Markenrechts bestätigt. Insoweit weise ich darauf hin, dass die Große Kammer des Gerichtshofs im Urteil Google France entschieden hat, dass die Benutzung mit Marken identischer oder ihnen ähnlicher Zeichen – ohne Zustimmung ihrer Inhaber – als Schlüsselwörter im Rahmen eines Internet-Referenzierungsdienstes wie des von Google angebotenen Dienstes AdWords eine verbotene Benutzung dieser Marken im Sinne des Unionsrechts darstellt. Diese Benutzung erfolgt jedoch durch den Nutzer des Referenzierungsdienstes, der diese Zeichen als Schlüsselwörter ausgewählt hat, und nicht durch den Diensteanbieter, der ihm lediglich die Mittel dazu gibt. Auf den Umstand, dass dieser Diensteanbieter von seinen Kunden für die Benutzung solcher Zeichen eine Vergütung erhält, kommt es nicht an. „Die technischen Voraussetzungen für die Benutzung eines Zeichens zu schaffen und sich diese Dienstleistung vergüten zu lassen“ bedeutet dem Gerichtshof zufolge nämlich „nicht, dass deren Erbringer dieses Zeichen selbst benutzt“(73).
90. In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof im Urteil L’Oréal/eBay – wiederum als Große Kammer – entschieden, dass die Benutzung von Zeichen, die Marken entsprechen, in auf einem Online-Marktplatz veröffentlichten Verkaufsangeboten ohne Zustimmung der Markeninhaber eine verbotene Benutzung dieser Marken darstellt. Auch hier erfolgt diese Benutzung aber nicht durch den Betreiber des Marktplatzes, sondern durch die Nutzer, die diese Verkaufsangebote veröffentlicht haben. Sofern sich dieser Betreiber nämlich darauf beschränkt, es den Nutzern seines Dienstes zu ermöglichen, solche Verkaufsangebote online zu stellen und gegebenenfalls derartige Zeichen auf seinem Marktplatz erscheinen zu lassen, benutzt er diese Zeichen nicht selbst(74).
91. Unstreitig strukturiert insbesondere eBay die Anzeigen ihrer als Verkäufer auftretenden Nutzer, indexiert sie unter verschiedenen Rubriken und hat eine Suchfunktion eingerichtet. Dieser Betreiber empfiehlt seinen als Käufer auftretenden Nutzern automatisch Angebote, die denen ähnlich sind, die sie sich zuvor haben anzeigen lassen. Im Übrigen hängt die Vergütung der Betreiber, um die es in den Rechtssachen, in denen die Urteile Google France und L’Oréal/eBay ergangen sind, ging, von der Attraktivität der von den Nutzern ihrer Dienste gelieferten Inhalte ab. Im Rahmen seines AdWords-Dienstes erhält Google eine Vergütung, die sich nach der Zahl der Klicks auf die Werbelinks richtet, die die von den als Verkäufer auftretenden Nutzern ausgewählten Schlüsselwörter verwenden(75). eBay erhält eine prozentuale Vergütung auf der Grundlage der Geschäfte, die anhand der auf ihrem Marktplatz angezeigten Verkaufsangebote getätigt wurden(76). Diese verschiedenen Umstände hat der Gerichtshof offensichtlich nicht als ausschlaggebend oder auch nur relevant angesehen, zumal er sie in seinen Erwägungen nicht einmal erwähnt hat. Ich frage mich daher, weshalb diese Umstände in den vorliegenden Rechtssachen die Bedeutung haben sollen, die ihnen die Kläger der Ausgangsrechtsstreitigkeiten beimessen(77).
92. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Frage zu antworten, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform und der Betreiber einer Sharehosting-Plattform keine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornehmen, wenn ein Nutzer ihrer Plattformen dort ein geschütztes Werk online stellt.
93. Folglich können diese Betreiber nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht unmittelbar haftbar gemacht werden, wenn Dritte über ihre Plattformen geschützte Werke ohne vorherige Zustimmung der Rechtsinhaber der Öffentlichkeit zugänglich machen und keine Ausnahme oder Beschränkung gilt. Dieses Ergebnis schließt nicht aus, dass daraus für diese Betreiber eine Form der Sekundärhaftung entstehen kann. Diese Frage ist jedoch anhand der von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung zu prüfen, die die durch die Art. 14 und 15 der Richtlinie 2000/31 gezogenen Grenzen beachten müssen(78).
2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 regelt nicht die Sekundärhaftung der Personen, die die Vornahme rechtswidriger Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ durch Dritte erleichtern
94. Vorab ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil GS Media – in Fortführung seines Urteils Svensson u. a.(79) – entschieden hat, dass das Setzen von Hyperlinks zu auf einer anderen Website rechtswidrig veröffentlichten Werken eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellen kann. Im Wesentlichen hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Person durch das Setzen solcher Links eine „zentrale Rolle“ einnimmt, weil sie der Öffentlichkeit „direkten Zugang“ zu den betreffenden Werken bietet. Das Setzen solcher Links ist jedoch nur dann eine „öffentliche Wiedergabe“, wenn erwiesen ist, dass die Person, die die Links gesetzt hat, wusste oder hätte wissen müssen, dass sie Zugang zu rechtswidrig veröffentlichten Werken geben, wobei diese Kenntnis zu vermuten ist, wenn diese Person eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt(80).
95. Sodann hat der Gerichtshof im Urteil Stichting Brein I („Filmspeler“) entschieden, dass der Verkauf eines multimedialen Medienabspielers mit vorinstallierten Add-ons, die Hyperlinks zu Websites enthalten, auf denen geschützte Werke ohne Erlaubnis ihrer Urheber durch „Streaming“ verbreitet werden, eine „öffentliche Wiedergabe“ darstellt. In jener Rechtssache vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass sich der Verkäufer dieses Abspielgeräts nicht auf eine „bloße Bereitstellung der Einrichtungen“ beschränkte, sondern im Gegenteil eine „zentrale Rolle“ bei der Wiedergabe der Werke einnahm, und zwar mit der Begründung, dass die Erwerber dieses Abspielgeräts ohne die vom Verkäufer vorinstallierten Add-ons „kaum in den Genuss der geschützten Werke kommen könnten“, weil die betreffenden Streamingseiten von der Öffentlichkeit nicht leicht ausfindig gemacht werden könnten. Außerdem hat der Gerichtshof darauf abgestellt, dass der Verkäufer dieses Abspielgeräts wusste, dass diese Add-ons den Zugang zu rechtswidrig über das Internet verbreiteten Werken ermöglichten(81).
96. Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil Stichting Brein II („The Pirate Bay“) entschieden, dass die Bereitstellung und das Betreiben einer Internetplattform, die von ihren Nutzern hochgeladene Torrent-Dateien speichert und indiziert, was es diesen Nutzern ermöglicht, geschützte Werke im Rahmen eines Peer-to-peer-Netzes zu teilen und herunterzuladen, eine „öffentliche Wiedergabe“ darstellt. Nach Ansicht des Gerichtshofs beschränkten sich die Betreiber dieser Plattform nicht auf eine „bloße Bereitstellung der Einrichtungen“, sondern spielten bei der Zugänglichmachung der Werke eine „zentrale Rolle“, weil sie auf der Plattform verschiedene Hilfsmittel anboten, darunter eine Suchfunktion und einen Index der gehosteten Torrent-Dateien, die es den Nutzern erleichterten, diese Dateien aufzufinden. Ohne ihr Tätigwerden „könnten diese Werke, wenn sie nicht von den Betreibern bereitgestellt und verwaltet würden, von den Nutzern nicht geteilt werden, oder ihr Teilen im Internet wäre zumindest komplexer“. Auch hier hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass den Betreibern dieser Plattform bekannt war, dass die über diese Plattform geteilten Werke im Allgemeinen rechtswidrig geteilt wurden(82).
97. Wie ich in Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, wie aus dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 hervorgeht und wie vom Gerichtshof wiederholt entschieden wurde(83), entspricht eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie grundsätzlich der Übertragung eines Werks an eine Öffentlichkeit. In diesem Erwägungsgrund wird zudem präzisiert, dass diese Bestimmung „für keine weiteren Handlungen gelten“ soll. Wenn es im Fall der Zugänglichmachung genügt, dass die betreffende Person der Öffentlichkeit Zugang zum Werk gewährt, muss dieser Zugang, wie ich in Nr. 57 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, die Möglichkeit einer Übertragung dieses Werks im Auftrag eines Mitglieds der Öffentlichkeit einschließen.
98. Gleichwohl bestand keine der Handlungen, um die es in den drei in diesem Abschnitt untersuchten Urteilen ging, meines Erachtens in der tatsächlichen oder potenziellen öffentlichen Übertragung eines Werks. Das Urteil Stichting Brein II („The Pirate Bay“) liefert insoweit das repräsentativste Beispiel. Da die im Peer-to-peer-Netz geteilten Werke nicht auf der streitbefangenen Plattform veröffentlicht wurden, waren deren Betreiber materiell nicht in der Lage, sie öffentlich zu übertragen. In Wirklichkeit erleichterte diese Plattform nur die Übertragungen, die von ihren Benutzern über dieses Netz vorgenommen wurden(84). Ebenso verhielt es sich in den Urteilen GS Media und Stichting Brein I („Filmspeler“). Das Setzen der Hyperlinks und der Verkauf des Multimedia-Abspielgeräts, um die es in diesen Urteilen ging, erleichterten den Zugang zu den Werken, die auf den fraglichen Websites rechtswidrig der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt worden waren(85).
99. Kurz zusammengefasst, hat der Gerichtshof in diesen Urteilen meines Erachtens Handlungen in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 einbezogen, die streng genommen keine aktuellen oder potenziellen Übertragungen von Werken darstellen, sondern die Durchführung solcher unzulässigen Übertragungen durch Dritte erleichtern(86).
100. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in den genannten Urteilen den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ um ein Kriterium erweitert, das sich auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit bezieht. Wie Elsevier und die französische Regierung geltend machen, enthält dieser Begriff kein solches Kriterium. Wenn der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entscheidet, dass das Vorliegen einer solchen „Wiedergabe“ voraussetzt, dass die betreffende Person „in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens“, „absichtlich“, „willentlich“ oder auch „gezielt“ tätig wird(87), sollen diese verschiedenen Ausdrücke meines Erachtens grundsätzlich darauf hinweisen, dass dieser Begriff, wie ich in Nr. 72 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, die Absicht impliziert, ein Werk an ein Publikum zu übertragen(88). Diese Frage unterscheidet sich von vornherein von der Frage, ob die Person, die ein Werk ohne Erlaubnis des Urhebers „öffentlich wiedergibt“, Kenntnis davon hat, dass eine solche „Wiedergabe“ grundsätzlich rechtswidrig ist.
101. In dieser Hinsicht wird das Vorliegen einer „öffentlichen Wiedergabe“, wie ich in Nr. 64 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 – vorbehaltlich der im vorhergehenden Punkt angeführten Nuancierung – im Allgemeinen als eine objektive Tatsache angesehen. Auch die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit dieser „Wiedergabe“ hängt grundsätzlich nicht von der Kenntnis der Person ab, die die „Wiedergabe“ vornimmt, sondern im Wesentlichen davon, ob der Urheber diese „Wiedergabe“ erlaubt hat(89). Andererseits wird die Kenntnis dieser Person in der Phase der Sanktionen und Entschädigungen berücksichtigt, zu denen sie verurteilt werden kann. Insbesondere ergibt sich aus Art. 13 der Richtlinie 2004/48, dass ein Verletzer von Rechten des geistigen Eigentums, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von diesem wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat. Umgekehrt kann in Fällen, in denen eine Person eine solche Verletzungshandlung begangen hat, ohne dass sie dies wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, eine mildere Verurteilung in Form der Herausgabe des von ihr erzielten Gewinns oder der Zahlung im Voraus festgesetzter Schadensersatzbeträge ausgesprochen werden(90).
102. Wenn nun jemand – insbesondere ein Vermittler – wissentlich die Verwirklichung rechtswidriger Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ durch Dritte erleichtert, ist das selbstverständlich ein vorwerfbares Verhalten. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass es sich hierbei um eine Frage der Sekundärhaftung handelt, die unter die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften der Mitgliedstaaten fällt(91). Diese Sekundärhaftung für von Dritten begangene Urheberrechtsverletzungen setzt im Allgemeinen außerdem ein subjektives Tatbestandsmerkmal wie z. B. die Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder Vorsatz voraus(92).
103. Da Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 den materiellen Inhalt des Rechts der „öffentlichen Wiedergabe“ harmonisiert, bestimmt er meines Erachtens die Handlungen, die unter dieses ausschließliche Recht fallen, und in diesem Umfang die Primärhaftung derjenigen, die solche Handlungen in rechtswidriger Weise begehen. Hingegen deutet im Wortlaut dieser Bestimmung oder in den anderen Bestimmungen dieser Richtlinie nichts darauf hin, dass sie solche Fragen der Sekundärhaftung regeln soll(93). Dies ist umso bemerkenswerter, als der Unionsgesetzgeber, wenn er diese Fragen durch die von ihm erlassenen Rechtsakten geregelt wissen will, nicht versäumt, dies zu präzisieren(94).
104. Aus diesen Gründen habe ich Vorbehalte gegenüber der Argumentation des Gerichtshofs in den Urteilen GS Media, Stichting Brein I („Filmspeler“) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“), unabhängig davon, ob es wünschenswert wäre, auf Unionsebene eine einheitliche Lösung für das Verhalten von Personen zu haben, die die Begehung rechtswidriger Handlungen durch Dritte wissentlich erleichtern, und obwohl eine solche Einheitlichkeit dazu beitragen würde, ein hohes Niveau des Urheberrechtsschutzes zu gewährleisten, bleibt es meines Erachtens dabei, dass das Unionsrecht in seiner gegenwärtigen Form dies nicht vorsieht(95). Es wäre Sache des Unionsgesetzgebers, eine Regelung der Sekundärhaftung in das Unionsrecht aufzunehmen.
105. Ich bleibe dabei, dass das Setzen von Hyperlinks zu Werken, die auf einer Internetseite rechtswidrig veröffentlicht wurden, sofern es in voller Kenntnis dieser Rechtswidrigkeit erfolgt, sowie der Verkauf eines Abspielgeräts wie des „Filmspelers“ und das Betreiben einer Plattform wie „The Pirate Bay“ wohlgemerkt geahndet werden müssen. Um dies zu erreichen, ist es aber nicht erforderlich, ein solches Verhalten in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 einzubeziehen. Nach meiner Auffassung kann und muss eine Antwort auf diese Verhaltensweisen in den Vorschriften der Mitgliedstaaten über die zivilrechtliche Haftung oder gar in ihrem Strafrecht gefunden werden. Die von mir vorgeschlagene Auslegung lässt die Urheber somit in dieser Hinsicht nicht schutzlos.
106. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass sich der Gerichtshof in den Urteilen Google France und L’Oréal/eBay dafür entschieden hat, im Bereich des Markenrechts den Anwendungsbereich der Primärhaftung nicht auf Handlungen von Vermittlern auszudehnen, die zu Markenverletzungen durch Nutzer ihrer Dienste beitragen können. Hinsichtlich dieser Frage hat der Gerichtshof zu Recht auf die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung und auf die durch die Richtlinie 2000/31 gezogenen Grenzen verwiesen(96). Ich bezweifle daher die Notwendigkeit, im Bereich des Urheberrechts von einem solchen Ansatz abzuweichen, da das Unionsrecht in diesen beiden Bereichen ein ähnliches Niveau der Harmonisierung aufweist und das gleiche Ziel eines hohen Schutzniveaus für geistiges Eigentum verfolgt.
3. Hilfsweise: Zur Frage, ob Betreiber wie YouTube und Cyando rechtswidrige Handlungen Dritter wissentlich erleichtern
107. Für den Fall, dass der Gerichtshof es trotz der von mir im vorhergehenden Abschnitt geäußerten Vorbehalte für angebracht halten sollte, in den vorliegenden Rechtssachen den Prüfungsrahmen anzuwenden, dem er in den Urteilen GS Media, Stichting Brein I („Filmspeler“) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“) gefolgt ist, lege ich hilfsweise eine Analyse der vorliegenden Rechtssachen anhand dieses Prüfungsrahmens vor.
108. Nach meinem Verständnis dieser Urteile ist die an der Übertragung eines Werks an eine Öffentlichkeit mitwirkende Tätigkeit einer anderen Person als derjenigen, die aufgrund ihrer Entscheidung über diese Übertragung die eigentliche Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ vornimmt, einer solchen Handlung der „Wiedergabe“ gleichzustellen, wenn zwei Kriterien erfüllt sind.
109. Erstens muss die betreffende Person bei dieser Übertragung eine „zentrale Rolle“ spielen. Nach dem Verständnis dieser „Rolle“, das aus diesen Urteilen hervorgeht, ist diese Voraussetzung gegeben, wenn diese Person diese Übertragung erleichtert(97). Im vorliegenden Fall wird dieses Kriterium von Betreibern wie YouTube und Cyando eindeutig erfüllt.
110. Zweitens muss das Tätigwerden dieser Person „wissentlich“ erfolgen, was dahin zu verstehen ist, dass sie Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Wiedergabe, die sie erleichtert, haben muss. Wie dieses Kriterium in den vorliegenden Rechtssachen auszulegen ist, ist weit weniger offensichtlich. Das ganze Problem ergibt sich daraus, dass es im Unionsrecht keinen Rahmen für dieses subjektive Tatbestandsmerkmal gibt. Ich kann daher nur spekulieren, indem ich mich an den Hinweisen orientiere, die sich aus den Urteilen GS Media, Stichting Brein I („Filmspeler“) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“), aus der einzelstaatlichen Rechtsprechung zur Sekundärhaftung und aus der Logik ergeben, auf der die Voraussetzungen beruhen, die die Vermittler nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/31 erfüllen müssen, um in den Genuss der in dieser Bestimmung vorgesehenen Haftungsbefreiung zu kommen(98).
111. Insoweit scheint es mir ohne allzu große Schwierigkeiten möglich zu sein, davon auszugehen, dass ein Betreiber wie YouTube oder Cyando – wie das vorlegende Gericht annimmt und die Kommission geltend macht – in Bezug auf die rechtswidrige „öffentliche Wiedergabe“ eines bestimmten Werks über seine Plattform „wissentlich“ tätig geworden ist, wenn er Kenntnis von der Existenz der das fragliche Werk enthaltenden Datei hatte oder sich dieser Existenz bewusst war – insbesondere wenn ihm diese Datei gemeldet worden war – und er nach Erlangung einer solchen Kenntnis oder eines solchen Bewusstseins nicht unverzüglich tätig geworden ist, um diese Datei zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren(99). In einem solchen Fall kann nämlich vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass der Betreiber dadurch, dass er dies unterlassen hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, diese rechtswidrige „Wiedergabe“ billigt oder insoweit offensichtlich fahrlässig handelt. Unter welchen Umständen ein Betreiber eine solche Kenntnis oder ein solches Bewusstsein erlangt und wann er gegebenenfalls „unverzüglich“ gehandelt hat, dürfte meines Erachtens nach denselben Grundsätzen zu beurteilen sein, die im Rahmen der in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Voraussetzungen angewandt werden(100).
112. Dagegen bin ich wie die Kommission und im Gegensatz zu Herrn Peterson, Elsevier sowie der deutschen und der französischen Regierung der Ansicht, dass die Kenntnis der Rechtswidrigkeit nicht aus dem Grund vermutet werden darf, weil der in Rede stehende Betreiber eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt.
113. Im Urteil GS Media hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass bei jemandem, der auf einer Website Hyperlinks setzt, die zu auf einer anderen Website ohne Zustimmung ihres Urhebers veröffentlichten geschützten Werken führen, und dies mit Gewinnerzielungsabsicht tut, (widerleglich) zu vermuten ist, dass er Kenntnis davon hat, dass die Werke geschützt sind und ohne Erlaubnis veröffentlicht wurden(101). Abgesehen davon, dass der Gerichtshof diese Lösung in seiner späteren Rechtsprechung offenbar auf die Problematik der Hyperlinks beschränkt hat(102), bin ich jedoch der Ansicht, dass eine solche Vermutung jedenfalls im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist.
114. In der Rechtssache, in der das Urteil GS Media ergangen ist, hatte der Betreiber der Website die streitigen Hyperlinks selbst gesetzt. Er hatte daher Kenntnis von den Inhalten, auf die diese Links verwiesen. Wie Cyando geltend macht, war dieser Umstand eine Grundlage für eine Tatsachenvermutung. Auf dieser Grundlage konnte der Gerichtshof von diesem Betreiber erwarten, dass er, bevor er diese Links setzt, die „erforderlichen Nachprüfungen“ vornimmt, um sich zu vergewissern, dass es sich nicht um geschützte Werke handelte, die auf der Website, zu der diese Links führten, unbefugt veröffentlicht wurden(103).
115. Andererseits weise ich darauf hin, dass der Betreiber einer Plattform grundsätzlich nicht derjenige ist, der den Inhalt online stellt. In diesem Zusammenhang die im Urteil GS Media entwickelte Lösung anzuwenden, würde bedeuten, dass bei diesem Betreiber, wenn er allgemein eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, zu vermuten wäre, dass er nicht nur Kenntnis von allen auf seinen Servern befindlichen Dateien hat, sondern auch, dass er ihre mögliche Rechtswidrigkeit kennt und es ihm obliegt, diese Vermutung durch den Nachweis zu widerlegen, dass er die „erforderlichen Nachprüfungen“ vorgenommen hat. Meiner Ansicht nach würde eine solche Lösung aber darauf hinauslaufen, einem solchen Betreiber entgegen dem in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 ausgesprochenen Verbot eine allgemeine Verpflichtung aufzuerlegen, die von ihm gespeicherten Informationen zu überwachen und aktiv nach Tatsachen oder Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten hinweisen(104).
116. Zu prüfen bleibt noch die Frage, ob, wie Herr Peterson, Elsevier und die französische Regierung geltend machen, Betreiber wie YouTube und Cyando haftbar gemacht werden könnten, wenn ihnen allgemein und abstrakt bekannt war, dass ihre Plattformen (u. a.) von Dritten benutzt werden, um geschützte Werke rechtswidrig online zu teilen.
117. Diese Frage ist äußerst komplex. Zahlreiche Waren oder Dienstleistungen können, ebenso wie die Plattformen YouTube und Uploaded, sowohl für rechtmäßige oder gar gesellschaftlich erwünschte als auch für rechtswidrige Zwecke verwendet werden. Meines Erachtens kann der Lieferant einer solchen Ware oder Dienstleistung für rechtswidrige Verwendungen durch Dritte nicht allein deshalb haftbar gemacht werden, weil er solche Verwendungen kennt oder vermutet. Ein derart niedrig angesetzter Haftungsmaßstab wäre geeignet, von der Herstellung und Vermarktung solcher Waren oder Dienstleistungen zum Nachteil ihrer rechtmäßigen Verwendungen abzuhalten und damit die Entwicklung ähnlicher oder innovativer Produkte oder Dienstleistungen zu behindern(105).
118. Der bloße Umstand, dass ein Lieferant aus diesen rechtswidrigen Verwendungen Vorteile zieht, kann nicht ausschlaggebend sein. Herr Peterson, Elsevier und die französische Regierung haben insoweit geltend gemacht, dass sich YouTube insbesondere durch auf der Plattform platzierte Werbung finanziere, dass ihre so erzielten Werbeeinnahmen umso höher seien, je attraktiver die dort veröffentlichten Inhalte seien, und dass „allgemein anerkannt“ sei, dass es sich in „der großen Mehrzahl der Fälle“ um geschützte Werke handele, die ohne Erlaubnis ihrer Urheber online gestellt worden seien. Abgesehen davon, dass mich diese Logik bei einer Plattform wie YouTube recht vereinfachend anmutet(106), weise ich darauf hin, dass die Einnahmen aus der Werbung, die undifferenziert auf dieser Plattform platziert wird, von der allgemeinen Zahl der Besuche dieser Plattform – und somit sowohl von ihren rechtmäßigen als auch von ihren rechtswidrigen Nutzungen – abhängig sind. Jeder Anbieter einer Ware oder Dienstleistung, die Gegenstand dieser beiden Verwendungsarten sein kann, wird aber zwangsläufig einen Teil seiner Gewinne Nutzern verdanken, die diese Ware oder Dienstleistung für rechtswidrige Zwecke erwerben oder verwenden. Daher müssen weitere Umstände dargetan werden.
119. Dabei ist der Zweck einer sekundären Haftungsregelung nicht außer Acht zu lassen. Wie aus Nr. 117 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, muss eine solche Regelung meines Erachtens darauf gerichtet sein, von Verhaltensweisen, die Urheberrechtsverletzungen erleichtern, abzuhalten, ohne deswegen von Innovationen abzubringen oder das Potenzial einer rechtmäßigen Nutzung der betreffenden Produkte oder Dienste, die auch zu rechtswidrigen Zwecken genutzt werden können, zu beeinträchtigen.
120. In diesem Rahmen kann meines Erachtens, wie auch die finnische Regierung geltend macht, ein Diensteanbieter – ohne dass der Nachweis erforderlich wäre, dass er Kenntnis von konkreten Urheberrechtsverletzungen hatte oder sich deren bewusst war – nur haftbar gemacht werden, wenn erwiesen ist, dass dieser Anbieter die Absicht hatte, mit der Erbringung seiner Dienstleistung die Verwirklichung von Urheberrechtsverletzungen durch Dritte zu erleichtern. Die Urteile Stichting Brein I („Filmspeler“) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“) sind nach meiner Auffassung in diesem Sinne zu verstehen. Im ersten Urteil hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass dem Verkäufer des „Filmspelers“ allgemein bekannt war, dass dieses Abspielgerät für rechtswidrige Zwecke verwendet werden konnte(107). Im zweiten Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Betreiber der Plattform „The Pirate Bay“ allgemein wussten, dass diese Plattform den Zugang zu Werken erleichterte, die ohne vorherige Zustimmung ihrer Urheber geteilt werden, und dass ihnen dies in Anbetracht des Umstands, dass ein sehr großer Teil der auf dieser Plattform befindlichen Torrent-Dateien auf solche Werke verwiesen, jedenfalls nicht verborgen geblieben sein konnte(108). In den Rechtssachen, in denen diese Urteile ergingen, hatten jedoch diese Personen ihre Absicht offen kundgetan(109).
121. Vorliegend werben weder YouTube noch Cyando offen für rechtswidrige Nutzungen ihrer Plattformen. Herr Peterson und Elsevier machen gleichwohl geltend, dass diese Betreiber wegen der Art und Weise, wie sie ihre Dienste organisiert hätten, haftbar gemacht werden müssten. In diesem Punkt stützen sich die Kläger der Ausgangsrechtsstreitigkeiten, wie bereits ausgeführt, auf mehrere Grundgedanken: Erstens hätten diese Betreiber vor den rechtswidrigen Nutzungen ihrer Plattformen bewusst die Augen verschlossen (indem sie es ihren Nutzern ermöglicht hätten, Inhalte dort automatisiert und ohne vorherige Kontrolle zu veröffentlichen), zweitens hätten sie den Nutzern Anreize zu einer solchen rechtswidrigen Nutzung geboten und drittens hätten sie in Bezug auf diese Nutzungen fahrlässig gehandelt (weil sie gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hätten, indem sie auch insoweit keine vorherige Kontrolle der online gestellten Inhalte durchgeführt hätten)(110).
122. Hierzu sind vorab einige Klarstellungen geboten. Meines Erachtens kann die Haftung eines Betreibers wegen einer vorsätzlichen Blindheit oder schuldhaften Fahrlässigkeit nicht schon daraus hergeleitet werden, dass er den Nutzern seiner Plattform erlaubt, dort in einem automatisierten Verfahren Inhalte zu veröffentlichen, ohne dass er diese vor ihrer Einstellung ins Internet allgemein überwacht. Zum einen kann vernünftigerweise nicht geltend gemacht werden, wie es Elsevier allerdings tut, dass dieser Betreiber seine Plattform nur deshalb in dieser Weise organisiere, um jeglicher Haftung zu entgehen(111). Zum anderen lässt Art. 15 der Richtlinie 2000/31 es nicht zu, von einem solchen Anbieter zu erwarten, dass er die von ihm gespeicherten Informationen allgemein und abstrakt überwacht und auf seinen Servern aktiv nach rechtswidrigen Tätigkeiten forscht. Es kann daher nicht als vorsätzliche Blindheit oder als Fahrlässigkeit angesehen werden, wenn er eine solche generelle Überwachung nicht vornimmt(112). Überdies dürfte, allgemeiner gesprochen, die bloße Fahrlässigkeit eines Anbieters vorbehaltlich der in Nr. 111 der vorliegenden Schlussanträge genannten Situation nicht ausreichen für den Nachweis, dass er „wissentlich“ tätig wird, um die von den Nutzern seines Dienstes begangenen Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern.
123. Dies vorausgeschickt, kann in der Art und Weise, wie ein Anbieter seinen Dienst organisiert, meines Erachtens unter bestimmten Umständen in der Tat ein Nachweis für die Merkmale einer „wissentlichen“ Beteiligung an den rechtswidrigen Handlungen der Nutzer seines Dienstes im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 in der Auslegung durch den Gerichtshof in den Urteilen GS Media, Stichting Brein I („Filmspeler“) und Stichting Brein II („The Pirate Bay“) gesehen werden. Das ist dann der Fall, wenn die charakteristischen Merkmale eben dieses Dienstes die Bösgläubigkeit des betreffenden Anbieters offenbart, wie sie in Form des absichtlichen Schaffens von Anreizen oder eines bewussten Verschließens der Augen vor solchen Urheberrechtsverletzungen zum Ausdruck kommen kann(113).
124. In dieser Hinsicht ist meines Erachtens zum einen zu prüfen, ob es für die Merkmale des betreffenden Dienstes eine objektive Erklärung gibt und ob sie einen Mehrwert für die rechtmäßigen Nutzungen dieses Dienstes bieten, und zum anderen, ob der Anbieter zumutbare Maßnahmen ergriffen hat, um rechtswidrige Nutzungen seines Dienstes zu verhindern(114). Was den letztgenannten Punkt betrifft, kann vom Diensteanbieter wiederum nicht erwartet werden, sämtliche Dateien, die die Nutzer seines Dienstes veröffentlichen wollen, vor ihrer Einstellung ins Internet allgemein und abstrakt zu überwachen – Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 ist bindend. Der zweite Teil der Prüfung sollte für mich eher eine Verteidigung für die Diensteanbieter darstellen. Daher wird der Umstand, dass der Anbieter die sich aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie ergebenden Melde- und Entfernungspflichten im Allgemeinen erfüllt oder den Verpflichtungen nachkommt, die ihm gegebenenfalls durch gerichtliche Anordnung aufgegeben wurden, oder auch der Umstand, dass er freiwillig weitere Maßnahmen ergriffen hat, zum Nachweis seiner Gutgläubigkeit dienen können.
125. Im vorliegenden Fall käme es dem vorlegenden Gericht zu, diese Prüfkriterien auf Betreiber wie YouTube und Cyando anzuwenden.
126. Erstens kann meines Erachtens angesichts der Merkmale einer Plattform wie YouTube schwerlich davon ausgegangen werden, dass ihr Betreiber rechtswidrige Nutzungen dieser Plattform habe erleichtern wollen. Insbesondere kann der Umstand, dass die Such- und Indexfunktionen dieser Plattform gegebenenfalls den Zugang zu rechtswidrigen Inhalten erleichtern, kein Indiz dafür sein. Für diese Funktionen gibt es eine objektive Erklärung, und sie bieten einen Mehrwert für die rechtmäßigen Nutzungen dieser Plattform. Im Urteil Brein II („The Pirate Bay“) hat der Gerichtshof den Umstand, dass die Betreiber der streitigen Plattform eine Suchmaschine implementiert und die gehosteten Dateien indexiert hatten, zwar als Indiz für den „wissentlichen Charakter“ ihres Tätigwerdens beim rechtswidrigen Teilen geschützter Werke genannt(115), aber diese Beurteilung kann nicht von dem besonderen Kontext dieser Rechtssache losgelöst werden, der durch die bekundete Absicht dieser Betreiber gekennzeichnet war, Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern.
127. Ferner reicht entgegen dem Vorbringen von Elsevier die Tatsache, dass ein Plattformbetreiber wie YouTube einzelnen Nutzern ermöglicht, Werbung in ihre Videos einzublenden, und einen Teil der dadurch erzielten Einnahmen an sie ausschüttet(116), meines Erachtens nicht aus um darzutun, dass er seinerseits Anreize für diese Nutzer zu schaffen beabsichtigt, geschützte Werke ohne Erlaubnis ihrer Urheber ins Internet zu stellen. Vielmehr ist im Fall von YouTube unstreitig, dass diese Werbung mit Content ID eingefügt wird, das sicherstellen soll, dass diese Möglichkeit nur den Rechtsinhabern zugutekommt, indem es von Dritten hochgeladene Videos, die geschützte Werke enthalten, automatisch erkennen könne und es den Rechtsinhabern gegebenenfalls ermöglichen solle, ihrerseits Werbung in das betreffende Video einzublenden und daraus Werbeeinnahmen zu erzielen(117).
128. Dies führt mich zu der Tatsache, dass YouTube außerdem Werkzeuge, insbesondere diese Software, zu dem Zweck eingeführt hat, Urheberrechtsverletzungen auf seiner Plattform zu bekämpfen(118). Dieser Umstand ist, wie ich in Nr. 124 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, ein weiterer Hinweis auf die Gutgläubigkeit des Betreibers hinsichtlich der rechtswidrigen Nutzungen seiner Plattform(119).
129. Zweitens befürchte ich andererseits, dass die Dinge bei Uploaded weniger klar sind. Insoweit bin ich einerseits im Gegensatz zu Elsevier nicht der Ansicht, dass der Umstand, dass ein Betreiber es den Nutzern seiner Plattform ermöglicht, Dateien „anonym“ online zu stellen, auf eine bei ihm bestehende Absicht hindeutet, Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern. Ich weise darauf hin, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, dass die Online-Veröffentlichung einer Datei auf Uploaded die Einrichtung eines Kontos unter Angabe des Namens, des Vornamens und einer E‑Mail-Adresse erfordert. Elsevier beanstandet folglich, dass Cyando die Richtigkeit der vom Benutzer angegebenen Informationen nicht mit einem Identitätsprüfungs- oder Authentifizierungssystem verifiziert. Auch wenn die für jedermann bestehende Möglichkeit, das Internet und Onlinedienste ohne Identitätskontrolle zu nutzen, tatsächlich von unredlichen Personen für rechtswidrige Tätigkeiten missbraucht werden kann, bin ich der Auffassung, dass diese Möglichkeit u. a. im Unionsrecht(120) und im Völkerrecht(121) durch so grundlegende Normen wie das Recht auf Privatleben, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Gewissensfreiheit oder auch den Datenschutz gleichwohl geschützt wird. Systeme zur Identitätsprüfung oder Authentifizierung dürfen daher meines Erachtens nur für spezifische Dienste eingesetzt werden, unter gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen.
130. Der bloße Umstand, dass ein Sharehoster wie Uploaded für die gehosteten Dateien Download-Links generiert und es den Nutzern ermöglicht, diese frei zu teilen, zeigt meines Erachtens ebenfalls nicht eine Absicht auf, Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern. Für diese Links gibt es eine objektive Erklärung, und sie bieten einen Mehrwert für die rechtmäßigen Nutzungen des Dienstes. Selbst der auf rechtswidrige Zwecke entfallende Anteil der Nutzungen von Uploaded – zu dem die Parteien des Ausgangsrechtsstreits stark gegensätzliche Schätzungen vortragen(122) – ist meines Erachtens für sich genommen noch kein geeigneter Beleg für eine solche Absicht des Betreibers, zumal wenn dieser zumutbare Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Verstöße ergriffen hat.
131. Andererseits gibt mir ein „Partnerschaftsprogramm“, wie Cyando es eingeführt hat, zu denken. Ich weise darauf hin, dass Uploaded im Rahmen dieses Programms bestimmten Nutzern eine Vergütung zahlt, die davon abhängig ist, wie oft die von ihnen online gestellten Dateien heruntergeladen werden(123). Ich habe Zweifel hinsichtlich der objektiven Erklärung für ein solches Programm und hinsichtlich des Mehrwerts, den es für die rechtmäßigen Nutzungen des Dienstes bietet. Vielmehr ist vor den nationalen Gerichten festgestellt worden, dass dieses Programm zur Folge hat, die Nutzer dazu anzureizen, beliebte Werke zum rechtswidrigen Herunterladen online zu stellen. Ich schließe daher nicht aus, dass der „wissentliche Charakter“ des Tätigwerdens des Anbieters in Bezug auf die von den Nutzern seiner Plattform begangenen unerlaubten Handlungen aus der Einführung dieses Programms abgeleitet werden kann(124). Dies zu prüfen, wäre gegebenenfalls Sache des vorlegenden Gerichts.
B. Zum Anwendungsbereich der Haftungsbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 (zweite Vorlagefrage)
132. Wie bereits erwähnt, enthält Abschnitt 4 der Richtlinie 2000/31 mehrere Bestimmungen über die Verantwortlichkeit der Vermittler. Innerhalb dieses Abschnitts sehen die Art. 12, 13 und 14 dieser Richtlinie in ihrem Abs. 1 jeweils einen „sicheren Hafen“ (safe harbour) für die Tätigkeiten der „reinen Durchleitung“, des „Caching“ und des „Hosting“ vor(125).
133. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 gilt genauer gesagt im Fall eines „Dienstes der Informationsgesellschaft, der in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht“. Diese Bestimmung sieht im Wesentlichen vor, dass der Anbieter eines solchen Dienstes für die Informationen, die er im Auftrag seiner Nutzer gespeichert hat, nicht verantwortlich gemacht werden kann, es sei denn, dass er Informationen, nachdem er Kenntnis von ihrer Rechtswidrigkeit erlangt hat oder sich dieser bewusst geworden ist, nicht unverzüglich entfernt oder unzugänglich gemacht hat.
134. Ich betone, dass diese Bestimmung nicht dazu dienen soll, die Haftung eines solchen Anbieters für die von ihm gespeicherten Informationen positiv zu bestimmen. Sie beschränkt sich darauf, die Fälle, in denen er haftbar gemacht werden kann, negativ einzugrenzen. Außerdem betrifft die in dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung nur die Haftung, die sich aus den Informationen ergeben kann, die von den Nutzern seines Dienstes bereitgestellt wurden. Sie erfasst keinen anderen Aspekt der Tätigkeit dieses Diensteanbieters(126).
135. Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte der Bundesgerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Betreiber wie YouTube und Cyando in Bezug auf die Dateien, die sie im Auftrag von Nutzern ihrer Plattformen speichern, in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 fallen können.
136. Meines Erachtens trifft dies grundsätzlich zu. Bevor ich meinen Standpunkt erläutere, halte ich es jedoch für erforderlich, einen Punkt zu klären, der das Verhältnis zwischen dieser Bestimmung und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 betrifft.
137. Ich stelle nämlich fest, dass das vorlegende Gericht seine zweite Frage nur für den Fall gestellt hat, dass der Gerichtshof – was ich ihm vorschlage – die erste Frage in dem Sinne verneinen sollte, dass Betreiber wie YouTube und Cyando die Werke, die von ihren Nutzern ihrer Plattformen gegebenenfalls rechtswidrig online gestellt werden, nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 „öffentlich wiedergeben“. Dieses Gericht geht daher offenbar von der Prämisse aus, dass diese Betreiber sich im umgekehrten Fall, in dem sie nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 für diese rechtswidrigen „Wiedergaben“ unmittelbar haften würden, grundsätzlich nicht auf die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Befreiung berufen könnten(127).
138. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 gilt jedoch meines Erachtens horizontal für jede Form der Haftung, die sich für die darin genannten Anbieter aus jeder Art von Informationen ergeben kann, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Dienste speichern, unabhängig davon, woraus sich diese Haftung ergibt oder welcher Rechtsbereich betroffen ist, und unabhängig von den genauen Tatbestandsvoraussetzungen und der exakten Rechtsnatur dieser Haftung. Nach meiner Auffassung erfasst diese Bestimmung somit sowohl die primäre als auch die sekundäre Haftung für die von diesen Nutzern bereitgestellten Informationen und die von ihnen initiierten Tätigkeiten(128).
139. Folglich ist Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 meines Erachtens grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein Anbieter seinen „eigenen“ Inhalt öffentlich wiedergibt; er kann jedoch anwendbar sein, wenn der wiedergegebene Inhalt, wie dies vorliegend der Fall ist, von den Nutzern seines Dienstes bereitgestellt wurde(129). Für diese Auslegung spricht meines Erachtens, dass weder diese Bestimmung noch Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 eine Ausnahme für diejenigen Diensteanbieter vorsehen, die die „öffentliche Wiedergabe“ von Werken vornehmen, die von den Nutzern ihrer Dienste bereitgestellt wurden. Im Gegenteil hebt der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 hervor, diese „berühr[e] nicht die Bestimmungen der [Richtlinie 2000/31] zu Fragen der Haftung“
140. Daraus folgt, dass der Gerichtshof, falls er entgegen meines Vorschlags die erste Frage bejahen sollte, gleichwohl die zweite Frage beantworten müsste, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben. Dabei können, wie ich noch darlegen werde, die für eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 maßgeblichen Kriterien und die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 kohärent ausgelegt werden, so dass Überschneidungen zwischen diesen beiden Bestimmungen praktisch vermieden werden.
141. Diese Klarstellung vorausgeschickt, ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung von zwei kumulativen Voraussetzungen abhängt: Es muss zum einen ein „Dienst der Informationsgesellschaft“ erbracht werden, der zum anderen „in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht“, und zwar „im Auftrag [dieses] Nutzers“.
142. Die Auslegung der ersten Voraussetzung wirft in den vorliegenden Rechtssachen keine Schwierigkeiten auf. Hierzu weise ich darauf hin, dass der Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ umfasst(130). Die von Betreibern wie YouTube und Cyando angebotenen Dienste werden eindeutig „im Fernabsatz“, „elektronisch“ und „auf individuellen Abruf eines Empfängers“ erbracht(131). Außerdem werden diese Dienste „gegen Entgelt“ erbracht. Der Umstand, dass ein Betreiber wie YouTube seine Vergütung u. a. durch Werbung erzielt und von den Nutzern seiner Plattform keine unmittelbare Zahlung verlangt(132), stellt diese Auslegung nicht in Frage(133).
143. Was die zweite Voraussetzung betrifft, sind die Dinge auf den ersten Blick weniger offensichtlich. Einerseits scheint klar zu sein, dass ein Betreiber wie Cyando im Rahmen von Uploaded einen Dienst leistet, der „in der Speicherung [von Dateien auf ihren Servern] besteht“, d. h. von „durch einen Nutzer eingegebenen Informationen“(134), nämlich durch den Nutzer, der sie online gestellt hat, und zwar „im Auftrag“ dieses Nutzers, weil dieser über die in Rede stehenden Dateien entscheidet.
144. Auch wenn feststeht, dass ein Betreiber wie YouTube die von Nutzern seiner Plattform online gestellten Videos speichert, handelt es sich dabei andererseits aber nur um einen der vielen Aspekte seiner Tätigkeit. Es ist daher zu prüfen, ob dieser Umstand es diesem Betreiber verwehrt, sich auf Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 zu berufen.
145. Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Auch wenn diese Bestimmung voraussetzt, dass der vom Anbieter erbrachte Dienst „in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht“, verlangt sie nämlich nicht, dass diese Speicherung der einzige oder auch nur der Hauptzweck des Dienstes ist. Diese Voraussetzung ist im Gegenteil weit gefasst.
146. Daraus folgt meines Erachtens, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 grundsätzlich jeden Anbieter eines „Dienstes der Informationsgesellschaft“ erfassen kann, der wie YouTube oder Cyando im Rahmen dieses Dienstes die von seinen Nutzern bereitgestellten Informationen in deren Auftrag speichert(135). Ich wiederhole jedoch, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung in jedem Fall auf die Haftung beschränkt ist, die sich aus diesen Informationen ergeben kann, und sich nicht auf andere Aspekte der Tätigkeit des betreffenden Anbieters erstreckt.
147. Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt diesem Ansatz. Insoweit hat der Gerichtshof im Urteil Google France entschieden, dass sich der Anbieter eines Internet-Referenzierungsdienstes, wie Google hinsichtlich ihres Dienstes AdWords, auf Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 berufen kann. Der Gerichtshof ist nämlich davon ausgegangen, dass dieser Dienst im Sinne dieser Bestimmung „in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen Informationen besteht“, da dieser Anbieter im Rahmen des genannten Dienstes bestimmte Informationen wie z. B. die von den Werbenden ausgewählten Schlüsselwörter, die Werbelinks und die diese begleitenden Werbebotschaften sowie die Adressen der Websites dieser Werbenden speichert(136). Offensichtlich hat der Gerichtshof es nicht als problematisch angesehen, dass die Speicherung dieser Informationen Teil einer umfassenderen Tätigkeit ist.
148. Der Gerichtshof hat jedoch eine Einschränkung gemacht. Danach kann sich ein Diensteanbieter auf die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Haftungsbefreiung für Informationen, die er im Auftrag seiner Nutzer speichert, nur dann berufen, wenn sein Verhalten auf das eines „Vermittlers“ in dem vom Unionsgesetzgeber im Rahmen des Abschnitts 4 dieser Richtlinie gewollten Sinn beschränkt bleibt. Im Licht des 42. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie hat der Gerichtshof entschieden, dass insoweit zu prüfen ist, „ob die Rolle dieses Anbieters insofern neutral ist, als sein Verhalten rein technischer, automatischer und passiver Art ist und er weder Kenntnis noch Kontrolle über die weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzt“, oder ob er im Gegenteil eine „aktive Rolle [spielt], die ihm eine Kenntnis der gespeicherten Daten oder eine Kontrolle über sie verschaffen [kann]“(137).
149. In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof im Urteil L’Oréal/eBay entschieden, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes wie eBay in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 fallen kann. Auch hier hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass die von diesem Betreiber erbrachte Dienstleistung u. a. in der Speicherung der von den Nutzern des Marktplatzes eingegebenen Informationen besteht. Es handelt sich insbesondere um die Daten ihrer Verkaufsangebote. Zum anderen hat er darauf hingewiesen, dass ein Diensteanbieter die in dieser Bestimmung vorgesehene Haftungsbefreiung nur in Anspruch nehmen kann, wenn er wie ein „Vermittler“ handelt. Das ist nicht der Fall, wenn dieser Anbieter, „anstatt sich darauf zu beschränken, [seinen Dienst] mittels rein technischer und automatischer Verarbeitung der von seinen Kunden eingegebenen Daten neutral zu erbringen, eine aktive Rolle spielt, die ihm eine Kenntnis dieser Daten oder eine Kontrolle über sie verschaffen konnte“(138).
150. Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass Betreiber wie YouTube und Cyando, die im Rahmen ihrer Tätigkeit die von den Nutzern ihrer Plattformen bereitgestellten Informationen speichern, hinsichtlich der Haftung, die sich aus der Rechtswidrigkeit einiger dieser Informationen ergeben kann, in den Genuss der in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Befreiung kommen können, sofern sie keine „aktive Rolle“ gespielt haben, die ihnen „eine Kenntnis … oder eine Kontrolle“ über die in Rede stehenden Informationen verschaffen konnte.
151. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, wie auch die Kommission geltend macht, dass jeder Diensteanbieter, der von seinen Nutzern bereitgestellte Informationen speichert, notwendigerweise eine gewisse Kontrolle über sie hat. Insbesondere ist er technisch in der Lage, sie zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Gerade deshalb wird von ihm nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/31 erwartet, so zu verfahren, wenn ihm rechtswidrige Informationen zur Kenntnis gebracht werden(139). Diese Kontrollmöglichkeit ist für sich genommen aber kein Beleg dafür, dass ein Diensteanbieter eine „aktive Rolle“ spielt – anderenfalls würde Art. 14 Abs. 1 jede praktische Wirkung genommen(140).
152. In Wirklichkeit bezieht sich die vom Gerichtshof in Betracht gezogene „aktive Rolle“ zu Recht auf den Inhalt der von den Nutzern bereitgestellten Informationen. Ich verstehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin gehend, dass der Anbieter eine solche „aktive Rolle“ spielt, die ihm „eine Kenntnis … oder eine Kontrolle“ über die auf Verlangen der Nutzer seines Dienstes gespeicherten Informationen verschafft, wenn er diese Informationen nicht nur in einer Weise verarbeitet, die in Bezug auf ihren Inhalt neutral ist, sondern bei ihm durch die Art seiner Tätigkeit zu vermuten ist, dass er die geistige Herrschaft über diesen Inhalt erwirbt. Das ist der Fall, wenn der Anbieter die gespeicherten Informationen auswählt(141), auf andere Weise aktiv in Bezug auf ihren Inhalt tätig wird oder diese Informationen der Öffentlichkeit so präsentiert, dass sie als seine eigenen erscheinen. In solchen Fällen verlässt der Anbieter die Rolle eines Vermittlers der von den Nutzern seines Dienstes bereitgestellten Informationen: Er eignet sie sich an(142).
153. Meines Erachtens spielen Betreiber wie YouTube und Cyando grundsätzlich aber keine solche „aktive Rolle“ in Bezug auf die Informationen, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern.
154. Denn ich weise erstens darauf hin, dass die Online-Veröffentlichung von Dateien auf solchen Plattformen automatisch und ohne vorherige Ansicht oder Auswahl durch ihre Betreiber erfolgt. Wie die finnische Regierung und die Kommission im Wesentlichen geltend machen, erlangen diese Betreiber somit zum Zeitpunkt der Einstellung dieser Informationen nicht die Herrschaft über sie.
155. Zweitens ist der Umstand, dass die gespeicherten Informationen direkt von diesen Plattformen abgerufen oder heruntergeladen werden können, entgegen dem Vorbringen von Elsevier nicht geeignet, auf eine „aktive Rolle“ ihrer Betreiber hinzuweisen. Insoweit spielt es keine Rolle, dass ein Diensteanbieter den Zugang zu den Informationen, die er im Auftrag der Nutzer seines Dienstes speichert, beherrscht. So ist es beispielsweise erforderlich, die Suchmaschine von Google zu verwenden, um Zugang zu den über AdWords ins Netz gestellten Werbeanzeigen zu erhalten(143). Ebenso erfordert der Zugang zu den auf eBay online gestellten Verkaufsangeboten es, sich auf ihren Marktplatz zu begeben(144). Der Gerichtshof hat diesen Umstand in den Urteilen Google France und L’Oréal/eBay nicht für relevant gehalten, und das zu Recht. Entscheidend ist nämlich allein, ob der Diensteanbieter den Inhalt der gespeicherten Informationen beherrscht. Der Umstand, dass diese Informationen von der Plattform oder der Website des Diensteanbieters aus zugänglich sind, ist kein Hinweis darauf, weil ihr Abruf oder ihr Herunterladen auf individuelle Anforderung eines Nutzers mittels „rein technischer und automatischer“ Verfahren erfolgt.
156. Drittens bin ich ungeachtet dessen, was Elsevier zu verstehen gibt, nicht davon überzeugt, dass ein Betreiber wie YouTube oder Cyando die Informationen, die er im Auftrag seiner Nutzer speichert und zu denen er über seine Plattform Zugang gewährt, aus der Sicht Dritter so präsentiert, dass sie als seine eigenen erscheinen. Einerseits trifft dies nicht zu, wenn ein Betreiber wie YouTube bei jedem auf seiner Plattform veröffentlichten Video angibt, welcher Nutzer es online gestellt hat. Zum anderen weiß ein durchschnittlicher, angemessen verständiger Internetnutzer, dass Dateien, die über eine Hosting-Plattform wie Uploaded gespeichert werden, in aller Regel nicht vom Betreiber dieser Plattform stammen.
157. Viertens bin ich der Ansicht, dass sich weder der Umstand, dass ein Betreiber wie YouTube(145) die Art und Weise, in der die von seinen Nutzern bereitgestellten Videos auf der Plattform präsentiert werden, strukturiert, indem er sie in eine standardisierte Darstellungsschnittstelle integriert und sie unter verschiedenen Rubriken indexiert, noch der Umstand, dass diese Plattform eine integrierte Suchfunktion aufweist und ihr Betreiber die Suchergebnisse verarbeitet, die dann auf der Startseite in Form einer Rangliste der Videos in verschiedenen Kategorien zusammengefasst werden, als Beweis dafür eignen, dass dieser Betreiber in Bezug auf diese Videos eine „aktive Rolle“ spielt.
158. Zum einen kommt es auf den Umstand, dass ein Anbieter die Art und Weise, in der die Informationen, die die Nutzer seines Dienstes bereitstellen, auf seiner Plattform oder seiner Website strukturiert und organisiert werden, um deren Nutzung zu erleichtern und damit den Zugang zu diesen Informationen zu optimieren, meines Erachtens nicht an. Das gegenteilige Argument, das unter anderem von Herrn Peterson und der französischen Regierung vorgebracht wird, spiegelt meiner Ansicht nach ein fehlerhaftes Verständnis des Urteils L’Oréal/eBay wider. In diesem Urteil hat der Gerichtshof zwar ausgeführt, dass ein Anbieter wie eBay eine „aktive Rolle“ spielt, wenn er bestimmten Verkäufern bei konkreten Verkaufsangeboten Hilfestellung leistet, die darin besteht, „die Präsentation [dieser] Verkaufsangebote zu optimieren“(146); damit hat er sich jedoch auf den Umstand bezogen, dass eBay gelegentlich individuelle Hilfe in Bezug darauf leistet, wie sich der Inhalt konkreter Angebote optimieren, herausstellen und strukturieren lässt(147). Indem eBay eine solche Hilfestellung leistet, wird sie nämlich aktiv in Bezug auf den Inhalt der betreffenden Angebote tätig, wie in Nr. 152 der vorliegenden Schlussanträge in Betracht gezogen(148).
159. Dagegen hat sich der Gerichtshof nicht auf den Umstand bezogen, dass eBay die allgemeine Präsentation der auf ihrem Marktplatz online gestellten Verkaufsangebote strukturiert(149). Der Umstand, dass ein Anbieter die Herrschaft über die Präsentationsbedingungen für die Informationen hat, die er im Auftrag der Nutzer seines Dienstes speichert, beweist nicht, dass er den Inhalt dieser Informationen beherrscht. Meines Erachtens ist nur eine individuelle Hilfestellung in Bezug auf eine konkrete Information insoweit relevant. Kurz gesagt: Solange ein Betreiber wie YouTube einzelne Nutzer seiner Plattform nicht individuell dabei unterstützt, ihre Videos zu optimieren(150), spielt er keine „aktive Rolle“ in Bezug auf die gehosteten Videos.
160. Was zum anderen die Such- und Indexfunktionen betrifft, weise ich – abgesehen davon, dass die Nutzer der Plattform auf sie angewiesen sind, um die Informationen, die sie abrufen möchten, finden zu können – darauf hin, dass diese Funktionen automatisiert ausgeführt werden. Sie beruhen folglich auf einer im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs „rein technischen und automatischen Verarbeitung“ der im Auftrag der Nutzer gespeicherten Informationen(151). Dass der Anbieter die Werkzeuge und insbesondere die Algorithmen entwickelt hat, die diese Verarbeitung ermöglichen, und somit u. a. darüber bestimmt, wie die Suchergebnisse angezeigt werden, beweist nicht, dass er den Inhalt der gesuchten Informationen beherrscht(152).
161. Fünftens ist auch der Umstand, dass ein Betreiber wie YouTube den registrierten Nutzern auf seiner Plattform eine Übersicht „empfohlener Videos“ anzeigt, entgegen dem Vorbringen von Herrn Peterson und der französischen Regierung nicht geeignet, eine „aktive Rolle“ dieses Betreibers zu belegen. Auch hier spiegelt dieses Vorbringen ein fehlerhaftes Verständnis des Urteils L’Oréal/eBay wider. Mit der in diesem Urteil getroffenen Entscheidung, dass ein Anbieter wie eBay eine „aktive Rolle“ spielt, wenn er bestimmten Verkäufern bei konkreten Verkaufsangeboten Hilfestellung leistet, die darin besteht, „diese Angebote zu bewerben“(153), hat sich der Gerichtshof auf den Umstand bezogen, dass eBay selbst mitunter bestimmte Angebote außerhalb ihres Marktplatzes im Internet bewirbt, u. a. über den Referenzierungsdienst AdWords(154). eBay erlangt die geistige Herrschaft über diese Angebote, da sie sie nutzt, um für ihren Marktplatz zu werben, und sie sich damit aneignet.
162. Dagegen halte ich es nicht für entscheidend, dass ein Betreiber wie YouTube den Nutzern seiner Plattform automatisiert Videos empfiehlt, die denen ähnlich sind, die sie zuvor angesehen haben. Unstreitig empfiehlt auch eBay in gleicher Weise den Nutzern ihres Marktplatzes Angebote, die denen ähnlich sind, die sie in der Vergangenheit angesehen haben. Gleichwohl hat der Gerichtshof diesen Umstand im Urteil L’Oréal/eBay meines Erachtens nicht berücksichtigt(155). Grundsätzlich handelt es sich auch hier um eine „rein technische und automatische Verarbeitung“ der gespeicherten Informationen. Der Umstand, dass der Diensteanbieter die Werkzeuge und insbesondere die Algorithmen entwickelt hat, die diese Verarbeitung ermöglichen, und deswegen vor allem darüber bestimmt, wie die empfohlenen Informationen angezeigt werden, beweist wiederum nicht, dass er deren Inhalt beherrscht(156).
163. Sechstens ist das von Betreibern wie YouTube und Cyando gewählte Geschäftsmodell entgegen dem Vorbringen von Elsevier und Herrn Peterson nicht als Nachweis dafür geeignet, dass diese Betreiber eine „aktive Rolle“ in Bezug auf die Informationen spielen, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern.
164. Insoweit ist die Tatsache, dass ein Anbieter als Gegenleistung für seinen Dienst eine Vergütung erhält, eines der Merkmale, die einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ kennzeichnen. Sie ist somit im weiteren Sinne eine Voraussetzung dafür, dass dieser Dienst in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 fällt. Außerdem ist es ohne Belang, dass diese Vergütung insbesondere aus Werbeeinnahmen besteht, die nicht von dem zur Verfügung gestellten Speicherplatz, sondern von der Attraktivität der im Auftrag der Nutzer der Plattform gespeicherten Informationen abhängen(157). Hierzu weise ich darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber in den Geltungsbereich dieser Richtlinie Diensteanbieter einbeziehen wollte, die sich insbesondere über Werbung finanzieren(158). Zudem deutet im Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie nichts darauf hin, dass ein solcher Anbieter nicht in den Genuss dieser Vorschrift kommen soll, weil er sich auf diese Weise finanziert.
165. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in den Urteilen Google France und L’Oréal/eBay entschieden hat, dass die bloße Tatsache, dass ein Dienst entgeltlich ist und der Anbieter die Vergütungsmodalitäten festlegt, nicht belegen kann, dass er eine „aktive Rolle“ spielt(159). Die von Google im Rahmen des AdWords-Dienstes erzielte Vergütung hängt jedoch von der Attraktivität der gespeicherten Informationen ab, weil sich insbesondere diese Vergütung nach der Anzahl der Klicks auf die Werbelinks richtet, die die von den Werbekunden gewählten Schlüsselwörter verwenden(160). In ähnlicher Weise hängt auch die Vergütung von eBay von den gespeicherten Informationen ab, weil eBay eine prozentuale Vergütung auf der Grundlage der über die Verkaufsangebote getätigten Geschäfte erhebt(161). Der Gerichtshof hat somit in diesen Urteilen stillschweigend, aber notwendigerweise anerkannt, dass ein solcher Umstand nicht relevant ist(162).
166. Siebtens kann nicht allein deshalb angenommen werden, dass ein Diensteanbieter eine „aktive Rolle“ innehat, weil er proaktiv bestimmte Kontrollen durchführt, wie sie YouTube mittels Content ID vornimmt, um das Vorhandensein rechtswidriger Informationen auf ihren Servern aufzudecken. Wie die finnische Regierung hervorhebt, geht nämlich aus dem 40. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/31 hervor, dass die in dieser Richtlinie niedergelegten Bestimmungen über die Verantwortlichkeit der Vermittler nicht daran hindern sollten, „technische Schutz- und Erkennungssysteme und durch die Digitaltechnik ermöglichte technische Überwachungsgeräte zu entwickeln und wirksam anzuwenden“. Außerdem gilt es meines Erachtens, eine Auslegung des Begriffs „aktive Rolle“ zu vermeiden, die zu dem paradoxen Ergebnis führen könnte, dass ein Diensteanbieter, der aus eigener Initiative bestimmte Nachforschungen in Bezug auf die von ihm gespeicherten Informationen durchführt, um insbesondere Urheberrechtsverletzungen im Interesse der Rechtsinhaber zu bekämpfen, die in Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Verantwortlichkeit verlieren und somit strenger behandelt würde als ein Diensteanbieter, der das nicht tut(163).
167. Abschließend weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in den Urteilen SABAM(164) und Glawischnig-Piesczek(165) entsprechend ausgeführt hat, es „steh[e] fest“, dass sich Betreiber von Plattformen für soziale Netzwerke hinsichtlich der Informationen, die sie im Auftrag ihrer Nutzer speicherten, auf Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 berufen könnten. Auch wenn, wie die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, der Ausdruck „steht fest“ hervorhebt, dass sich der Gerichtshof in diesen Urteilen auf eine Prämisse gestützt hat, die von den Parteien oder den vorlegenden Gerichten nicht in Frage gestellt wurde, mache ich gleichwohl darauf aufmerksam, dass der Gerichtshof es nicht versäumt, im Rahmen von Vorabentscheidungen solche Prämissen, die die Auslegung des Unionsrechts betreffen, in Frage zu stellen, wenn sie ihm zweifelhaft erscheinen(166). In den genannten Rechtssachen hat er dies jedoch nicht getan(167).
168. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Frage zu antworten, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform wie YouTube und der Betreiber einer Sharehosting-Plattform wie Cyando grundsätzlich in den Genuss der in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Freistellung von jeder Haftung kommen können, die sich aus den Dateien ergeben kann, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern(168).
C. Zum Fehlen der Kenntnis oder des Bewusstseins einer rechtswidrigen Information als Voraussetzung der Befreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 (dritte Vorlagefrage)
169. Wie ich im Rahmen meiner Würdigung der zweiten Vorlagefrage erläutert habe, können sich Diensteanbieter wie YouTube oder Cyando grundsätzlich auf Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 berufen. Nach dieser Bestimmung kann ein Diensteanbieter nicht für die Informationen verantwortlich gemacht werden, die er im Auftrag der Nutzer seiner Dienste speichert, sofern er a) keine „tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ hat und sich, soweit es um einen Anspruch auf Schadensersatz geht, „auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst [ist], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird“(169), oder b) nach Erlangung dieser Kenntnis „unverzüglich tätig [wird], um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren“.
170. Mit seiner dritten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung der in diesem Art. 14 Abs. 1 Buchst. a genannten Voraussetzung. Es möchte im Wesentlichen wissen, ob sich diese Voraussetzung auf konkrete rechtswidrige Informationen bezieht.
171. Die Antwort auf diese Frage hat große Auswirkungen auf alle Situationen, in denen die Verantwortlichkeit eines Diensteanbieters für von ihm gespeicherte rechtswidrige Informationen geltend gemacht wird. Im Wesentlichen geht diese Frage dahin, ob der Kläger, um den betreffenden Diensteanbieter nicht in den Genuss der in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Befreiung kommen zu lassen, nachweisen muss, dass dieser Anbieter speziell von diesen Informationen „Kenntnis“ hatte oder sich ihrer „bewusst“ war, oder ob der Nachweis ausreicht, dass der Anbieter allgemein und abstrakt „Kenntnis“ davon hatte oder sich dessen „bewusst“ war, dass er rechtswidrige Informationen speichert und dass seine Dienste für rechtswidrige Tätigkeiten genutzt werden.
172. Meines Erachtens beziehen sich die in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 genannten Fälle in der Tat auf konkrete rechtswidrige Informationen.
173. Wie das vorlegende Gericht hervorhebt und wie Google sowie die deutsche und die französische Regierung geltend gemacht haben, ergibt sich diese Auslegung bereits aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31, der den bestimmten Artikel verwendet („von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ und „die rechtswidrige Tätigkeit oder Information“) (Hervorhebung nur hier)(170). Hätte der Unionsgesetzgeber sich auf eine allgemeine Kenntnis oder ein allgemeines Bewusstsein der Tatsache beziehen wollen, dass sich auf den Servern des Anbieters rechtswidrige Informationen befinden oder dass seine Dienste für rechtswidrige Tätigkeiten genutzt werden, hätte er den unbestimmten Artikel („von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ oder „eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information“) verwendet. Ich weise ferner darauf hin, dass Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ebenfalls den bestimmten Artikel verwendet („die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren“) (Hervorhebung nur hier).
174. Diese Auslegung ist auch angesichts des allgemeinen Zusammenhangs, in dem Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 steht, und des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels geboten.
175. Hierzu weise ich darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber es den Vermittlern mit der Einführung der in Abschnitt 4 der Richtlinie 2000/31 vorgesehenen Haftungsbefreiungen ermöglichen wollte, ihre Dienste zu erbringen, ohne ein übergroßes Haftungsrisiko für die Informationen einzugehen, die sie im Auftrag ihrer Nutzer verarbeiten. Insbesondere soll Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie verhindern, dass diese Diensteanbieter für die Rechtswidrigkeit der von ihnen gespeicherten Informationen, deren Zahl oft groß ist und über die sie deswegen grundsätzlich nicht die geistige Herrschaft haben, allgemein verantwortlich gemacht wird. In dieser Hinsicht wollte der Unionsgesetzgeber ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen schaffen. Zum einen darf diesen Anbietern nach Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie weder die allgemeine Verpflichtung auferlegt werden, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen, noch die allgemeine Verpflichtung, aktiv nach Tatsachen oder Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten hinweisen. Zum anderen müssen diese Anbieter, sobald sie tatsächliche Kenntnis von einer rechtswidrigen Information erlangen oder sich ihrer bewusst werden, unverzüglich tätig werden, um diese Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, wobei der Grundsatz der Freiheit der Meinungsäußerung zu wahren und hierfür auf nationaler Ebene eingeführte Verfahren einzuhalten sind(171).
176. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 soll somit eine Grundlage für die Entwicklung von sogenannten Verfahren zur „Meldung und Entfernung“ (notice and take down) auf der Ebene der Mitgliedstaaten schaffen(172), und die in den Buchst. a und b der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen spiegeln daher den Grundgedanken dieser Verfahren wider: Wenn einem Diensteanbieter eine konkrete rechtswidrige Information zur Kenntnis gebracht wird(173), muss er sie unverzüglich entfernen.
177. Herr Peterson und Elsevier entgegnen jedoch, dass Plattformen wie YouTube und Uploaded zahlreiche rechtswidrige Nutzungen zur Folge hätten, die ihren Betreibern regelmäßig mitgeteilt würden. Daher machen die Kläger der Ausgangsrechtsstreitigkeiten erneut geltend, dass diese Betreiber Sorgfaltspflichten zu tragen hätten, zu denen es gehöre, die auf ihren Plattformen begangenen Verstöße zu verhindern und aktiv nach ihnen zu forschen. Folglich könnten sie sich nicht auf ihre Unkenntnis der konkreten rechtswidrigen Informationen, die sich dort befänden, berufen. Ihre „Kenntnis“ oder ihr „Bewusstsein“ sei zu vermuten.
178. Nach meiner Auffassung ist diese von den Rechtsinhabern vorgeschlagene Auslegung mit dem Unionsrecht in seinem gegenwärtigen Stand schlicht unvereinbar.
179. Ein solches Vorbringen ist von vornherein nicht vereinbar mit dem ersten Fall von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31, der die „tatsächliche Kenntnis“ betrifft. Um eine solche „tatsächliche Kenntnis“ nachzuweisen, ist nicht darauf abzustellen, was der Diensteanbieter gewusst hätte, wenn er sorgfältig gewesen wäre, sondern auf das, was er tatsächlich wusste(174).
180. Soweit es im zweiten Fall von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 um das „Bewusstsein“ geht, sind weitere Erläuterungen erforderlich. Der Gerichtshof hat hierzu im Urteil L’Oréal/eBay eine Reihe von Klarstellungen vorgenommen. Ich weise darauf hin, dass es in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, um die Verantwortlichkeit von eBay für bestimmte auf ihrem Online-Marktplatz eingestellte Verkaufsangebote ging, die geeignet waren, die Marken von L’Oréal zu verletzen. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof klargestellt, dass für die Feststellung, ob der Betreiber eines Marktplatzes sich solcher Angebote im Sinne dieser Bestimmung „bewusst“ ist, zu prüfen ist, ob dieser „sich etwaiger Tatsachen oder Umstände bewusst war, auf deren Grundlage ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer die in Rede stehende Rechtswidrigkeit hätte feststellen und nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie hätte vorgehen müssen“. Dies kann „alle Fälle erfassen, in denen sich der betreffende Anbieter in der einen oder anderen Weise solcher Tatsachen oder Umstände bewusst war“, insbesondere dann, wenn er „aufgrund einer aus eigenem Antrieb vorgenommenen Prüfung feststellt, dass eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information vorliegt“ oder auch, wenn „ihm das Vorliegen einer solchen Tätigkeit oder einer solchen Information angezeigt wird“(175).
181. Aus diesem Urteil ergibt sich, dass einem Diensteanbieter nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 in der Tat bestimmte Sorgfaltspflichten auferlegt sind. Aus diesem Grund kann es manchmal geschehen, dass einem solchen Anbieter die Haftungsbefreiung nach dieser Bestimmung nicht zugutekommt, weil er hätte wissen müssen, dass eine bestimmte Information rechtswidrig war, und er sie gleichwohl nicht entfernt hat.
182. Diese Sorgfaltspflichten sind jedoch deutlich gezielter als im Vortrag der Kläger der Ausgangsrechtsstreitigkeiten dargestellt. Meines Erachtens lässt sich aus diesem Urteil nicht ableiten, dass ein Diensteanbieter, um sich als „sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer“ zu verhalten, schon dann, wenn er eine abstrakte Kenntnis davon hat, dass sich auf seinen Servern rechtswidrige Informationen befinden, aktiv und in allgemeiner Weise nach solchen rechtswidrigen Informationen forschen müsste und folglich zu vermuten wäre, dass er sich jeder einzelnen von ihnen „bewusst“ sei.
183. Angesichts der Zahl der täglich auf einem Marktplatz wie eBay veröffentlichten Verkaufsangebote liegt es auf der Hand, dass dessen Betreiber einer solchen Plattform weiß, dass es unter ihnen eine gewisse Anzahl gibt, die Rechte des geistigen Eigentums verletzen können. Deswegen hat der Gerichtshof im Urteil L’Oréal/eBay nicht entschieden, dass bei einem solchen Betreiber zu vermuten sei, dass er sich eines jeden dieser rechtsverletzenden Angebote „bewusst“ sei. Er war im Gegenteil der Auffassung, dass geprüft werden muss, ob diesem Dienstleister Tatsachen oder Umstände in Bezug auf die in Rede stehenden Verkaufsangebote zur Kenntnis gebracht wurden. Dem Gerichtshof zufolge ist insbesondere zu prüfen, ob der Dienstleister eine hinreichend genaue und substantiierte Anzeige erhalten hatte, die diese Angebote betraf(176).
184. Daraus folgt, dass sich der zweite in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 genannte Fall, in dem ein Diensteanbieter sich der „Tatsachen oder Umstände bewusst [ist], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird“, auf den Fall bezieht, in dem der Diensteanbieter (tatsächlich) Kenntnis von objektiven Anhaltspunkten hat, die sich auf eine konkrete auf seinen Servern befindliche Information beziehen und ihm, sofern er die erforderliche Sorgfalt walten lässt, genügen müsste, die Rechtswidrigkeit dieser Information zu erkennen und sie nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie zu entfernen.
185. Im Ergebnis ist ein Diensteanbieter verpflichtet, die Tatsachen und Umstände, die ihm insbesondere im Rahmen von Meldungen über konkrete rechtswidrige Informationen zur Kenntnis gebracht werden, mit Sorgfalt zu beachten. Dies darf nicht mit einer Verpflichtung verwechselt werden, allgemein aktiv nach solchen Tatsachen und Umständen zu forschen. Eine solche Auslegung würde die Logik von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 auf den Kopf stellen und wäre mit Art. 15 dieser Richtlinie unvereinbar(177).
186. Außerdem darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die dem Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie zugrunde liegende Logik der „Meldung und Entfernung“, wie ich bereits ausgeführt habe, darauf abzielt, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen herzustellen und insbesondere die Freiheit der Meinungsäußerung der Nutzer zu wahren.
187. In diesem Zusammenhang soll das Meldewesen einen Diensteanbieter nicht nur in die Lage versetzen, die Existenz einer auf seinen Servern gespeicherten rechtswidrigen Information aufzudecken und sie zu lokalisieren. Eine Meldung soll ihm auch ausreichende Anhaltspunkte an die Hand geben, um sich der Rechtswidrigkeit dieser Information zu vergewissern. Nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie muss ein Anbieter eine solche Information nämlich nur dann entfernen, wenn ihre Rechtswidrigkeit „offensichtlich“, d. h. offenkundig ist(178). Dieses Erfordernis soll meines Erachtens verhindern, dass ein Anbieter komplizierte Rechtsfragen selbst entscheiden muss und dass er damit zum Schiedsrichter der Online-Rechtmäßigkeit wird.
188. Die Rechtswidrigkeit bestimmter Informationen mag zwar sofort ins Auge springen(179); im Bereich des Urheberrechts ist dies jedoch im Allgemeinen nicht der Fall. Die Beurteilung der rechtsverletzenden Natur einer Datei setzt eine Reihe von Kontextinformationen voraus und kann eine eingehende rechtliche Analyse erforderlich machen. Um z. B. zu beurteilen, ob ein auf einer Plattform wie YouTube eingestelltes Video gegen ein Urheberrecht verstößt, muss grundsätzlich erstens festgestellt werden, ob dieses Video ein Werk enthält, zweitens, ob der beschwerdeführende Dritte Inhaber von Rechten an diesem Werk ist, drittens, ob die fragliche Nutzung des Werks seine Rechte verletzt, was es wiederum erforderlich macht, zunächst zu beurteilen, ob die Nutzung mit seiner Erlaubnis erfolgt ist, und sodann, ob eine Ausnahme Anwendung findet. Diese Prüfung wird zudem dadurch erschwert, dass die gegebenenfalls bestehenden Rechte an dem Werk und die insoweit erteilten Lizenzen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein können, ebenso wie diese Ausnahmen(180).
189. Müsste ein Dienstanbieter ohne Unterstützung durch die Rechtsinhaber aktiv nach rechtsverletzenden Informationen auf seinen Servern forschen, wäre er gezwungen, in allgemeiner Weise und ohne die erforderlichen Begleitinformationen selbst zu beurteilen, was eine Rechtsverletzung darstellt und was nicht. Manche Fälle mögen zwar wenig Raum für Zweifel lassen(181), andere sind hingegen nicht eindeutig. So lässt sich z. B. selten mit Leichtigkeit bestimmen, wer Rechte an einem Werk besitzt(182). Enthält ein von einem Dritten gepostetes Video einen Auszug aus einem geschützten Werk, könnten bestimmte Ausnahmen wie Nutzung zu Zitatzwecken, für Unterricht oder auch für Parodien(183) gelten. In all diesen unklaren Situationen besteht die Gefahr, dass der Diensteanbieter geneigt ist, die vorhandenen Informationen systematisch von seinen Servern zu entfernen, um jegliches Risiko einer Haftung gegenüber den Rechtsinhabern zu vermeiden. Ihm wird es nämlich häufig einfacher erscheinen, eine Information zu entfernen, als sich im Rahmen einer eventuellen Haftungsklage selbst auf die Geltung einer derartigen Ausnahme berufen zu müssen. Eine solche „übervorsorgliche Entfernung“ wäre unter dem Gesichtspunkt der Freiheit der Meinungsäußerung offenkundig problematisch(184).
190. Aus diesen Gründen kann die rechtsverletzende Natur einer Information, wie das vorlegende Gericht ausführt, nur dann als „offensichtlich“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 angesehen werden, wenn der betreffende Anbieter eine Mitteilung erhalten hat, die ihm Anhaltspunkte bietet, die es einem „aufmerksamen Wirtschaftsteilnehmer“ in seiner Situation ermöglichen würden, die rechtsverletzende Natur leicht und ohne eingehende rechtliche und sachliche Prüfung festzustellen. Konkret muss diese Meldung das geschützte Werk bezeichnen, die beanstandete Verletzung beschreiben und hinreichend klare Hinweise auf die Rechte geben, die der Geschädigte an dem Werk zu haben behauptet. Für den Fall, dass die Anwendung einer Ausnahme nicht von vornherein ausgeschlossen ist, möchte ich hinzufügen, dass die Meldung angemessene Erläuterungen enthalten muss, warum die Ausnahme nicht in Betracht komme. Nur eine solche Auslegung ist meines Erachtens geeignet, die Gefahr, dass sich die Vermittler zu Schiedsrichtern über die Rechtmäßigkeit von Online‑Inhalten aufschwingen, und die in der vorstehenden Nummer erwähnte Gefahr einer „übervorsorglichen Entfernung“ zu vermeiden(185).
191. Dem sind noch zwei abschließende Klarstellungen hinzuzufügen. Erstens gibt es meines Erachtens eine Fallgestaltung, in der sich ein Diensteanbieter nicht darauf zurückziehen kann, dass er von den konkreten rechtswidrigen Informationen, für die er haftbar gemacht werden soll, tatsächlich keine „Kenntnis“ gehabt habe oder sich ihrer nicht „bewusst“ gewesen sei, und in der eine allgemeine und abstrakte Kenntnis davon, dass er rechtswidrige Informationen speichert und seine Dienste für rechtswidrige Tätigkeiten genutzt werden, ausreichen sollte. Es handelt sich um den Fall, in dem dieser Diensteanbieter die Begehung rechtswidriger Handlungen der Nutzer seines Dienstes wissentlich erleichtert. Wenn objektive Anhaltspunkte die Bösgläubigkeit dieses Diensteanbieters belegen(186), steht ihm die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Haftungsbefreiung meines Erachtens nicht zu(187).
192. Zweitens machen Herr Peterson und Elsevier geltend, wenn ein Diensteanbieter eine hinreichend genaue und fundierte Mitteilung über eine rechtswidrige Information erhalten habe, verlange Art. 14 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2000/31 von ihm nicht nur, die Information zu entfernen oder unzugänglich zu machen, sondern auch, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Information zu „sperren“, d. h. zu verhindern, dass sie erneut eingestellt wird. Wenn ein Diensteanbieter eine solche Meldung erhalten habe, sei er sich mit anderen Worten nicht nur der Information „bewusst“, die sich derzeit auf seinen Servern befinde, sondern auch aller identischen Informationen, die möglicherweise künftig hochgeladen würden, ohne dass für jede von ihnen eine erneute Meldung erforderlich wäre.
193. In diesem Zusammenhang machen die Rechtsinhaber regelmäßig geltend, dass Informationen, die einem Diensteanbieter gemeldet und von ihm entfernt worden seien, oft kurz danach erneut eingestellt würden. Folglich seien sie gezwungen, alle Websites, auf denen ihre Werke eingestellt werden könnten, kontinuierlich zu überwachen und die Zahl ihrer Meldungen zu vervielfachen. Die von den Rechtsinhabern vorgeschlagene Lösung zur Entschärfung dieses Problems bestehe darin, Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen, dass er nicht nur ein Melde- und Entfernungssystem (notice and take down), sondern auch ein Melde- und Sperrsystem (notice and stay down) vorsehe.
194. In Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 eine Stay-down-Verpflichtung hineinzulesen würde meines Erachtens die Tragweite dieser Bestimmung erheblich verändern. Die Pflicht zur Entfernung einer Information bedeutet für den Diensteanbieter, dass er auf eine Meldung (sorgfältig) reagieren muss. Eine Information zu sperren erfordert es hingegen, eine Filtertechnologie für die von ihm gespeicherten Informationen einzusetzen. In diesem Zusammenhang geht es darum, nicht nur das erneute Einstellen einer bestimmten Datei zu verhindern, sondern auch das Einstellen jeder Datei mit gleichartigem Inhalt. Ungeachtet der Tatsache, dass bestimmte Anbieter, zu denen offenbar YouTube zählt, über Technologien verfügen, die ein solches stay down ermöglichen, und diese freiwillig einsetzen, scheint es mir heikel zu sein, eine solche Verpflichtung im Wege einer „dynamischen“ Auslegung in diese Bestimmung hineinzulesen und sie somit jedem beliebigen Diensteanbieter aufzuerlegen, auch denen, die nicht über die Ressourcen verfügen, die für den Einsatz einer solchen Technologie erforderlich sind(188).
195. Andererseits bin ich der Ansicht, dass im Rahmen einer gerichtlichen Anordnung nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 bestimmten Diensteanbietern, insbesondere nach Maßgabe ihrer Kapazitäten, eine Stay-down-Verpflichtung unter Voraussetzungen auferlegt werden kann, die ich im Rahmen meiner Würdigung der vierten Vorlagefrage näher darlegen werde.
196. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass sich die dort genannten Fälle, d. h. der Fall, in dem ein Diensteanbieter „tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ hat, und der Fall, in dem sich ein solcher Anbieter der „Tatsachen oder Umstände bewusst [ist], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird“, grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Informationen beziehen.
D. Zu den Voraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche Anordnung gegen einen Vermittler gemäß Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 (vierte Vorlagefrage)
197. Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass die Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando sich auf Art. 14 der Richtlinie 2000/31 berufen können, wären diese von jeder Haftung befreit, die sich aus den Dateien ergeben kann, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern, sofern sie die in Abs. 1 dieses Artikels vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen.
198. Dieser Artikel lässt jedoch, wie sein Abs. 3 klarstellt, „die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern“. Mit anderen Worten schließt diese Vorschrift nicht aus, dass ein Diensteanbieter insbesondere Adressat einer gerichtlichen Anordnung sein kann, und zwar selbst dann, wenn er diese Voraussetzungen erfüllt(189).
199. In dieser Hinsicht verpflichtet Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass „die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden“(190).
200. Mit seiner vierten Vorlagefrage ersucht der Bundesgerichtshof den Gerichtshof um Klärung der Voraussetzungen, die die Rechtsinhaber erfüllen müssen, um eine solche Anordnung nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 beantragen zu können.
201. Genauer gesagt, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob seine Rechtsprechung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Nach dieser Rechtsprechung wird Art. 8 Abs. 3 dieser Verordnung im deutschen Recht in Gestalt der „Störerhaftung“ umgesetzt, einer seit Langem etablierten Form der mittelbaren Haftung. Dieses Rechtsinstitut sieht vor, dass im Fall der Verletzung absoluter Rechte wie der Rechte des geistigen Eigentums als Störer in Anspruch genommen werden kann, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zu dieser Verletzung beiträgt. Insoweit kann es genügen, dass die betreffende Person das Verhalten des diese Verletzung eigenverantwortlich begehenden Dritten unterstützt oder ausnutzt, sofern sie die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit hatte, diese Rechtsverletzung zu verhindern(191).
202. Um die „Störerhaftung“ nicht über Gebühr auf Personen zu erstrecken, die weder Täter noch Teilnehmer von Verletzungshandlungen sind, setzt diese Haftung, wie das vorlegende Gericht erläutert, die Verletzung von Verhaltenspflichten voraus. Der Umfang dieser Verhaltenspflichten bestimmt sich danach, ob und gegebenenfalls inwieweit vom „Störer“ nach den Umständen vernünftigerweise erwartet werden kann, Dritte zu kontrollieren oder zu überwachen, um solche Verletzungshandlungen zu verhindern. Dies ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des „Störers“ sowie der Eigenverantwortung der Täter dieser Verletzungshandlungen zu bestimmen.
203. In diesem Zusammenhang kann ein Vermittler, der von den Nutzern seines Dienstes bereitgestellte Informationen speichert, als „Störer“ in Anspruch genommen werden und auf dieser Grundlage einer Unterlassungsanordnung unterliegen, wenn er zum einen eine hinreichend genaue und fundierte Meldung über eine konkrete rechtswidrige Information erhalten hat und zum anderen ein „Wiederholungsfall“ vorliegt, weil er entweder nicht unverzüglich tätig geworden ist, um die betreffende Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, oder es versäumt hat, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass diese Informationen erneut online gestellt werden(192). Folglich können die Rechtsinhaber eine gerichtliche Anordnung gegen einen Vermittler nicht schon von dem Zeitpunkt an beantragen, zu dem ein Nutzer seiner Dienste eine Verletzung ihrer Rechte begangen hat.
204. Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob es gegen Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 verstößt, die Möglichkeit der Rechtsinhaber, eine Anordnung gegen einen Vermittler zu beantragen, von dem Erfordernis eines solchen Wiederholungsfalls abhängig zu machen.
205. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist das nicht der Fall. Google, Cyando sowie die deutsche und die finnische Regierung sind derselben Ansicht. Mit Herrn Peterson, Elsevier, der französischen Regierung und der Kommission neige ich hingegen zu der Auffassung, dass Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 diesem Erfordernis in der Tat entgegensteht.
206. Zunächst weise ich darauf hin, dass dieser Art. 8 Abs. 3 den Rechtsinhabern das Recht einräumt, eine gerichtliche Anordnung gegen „Vermittler“ zu beantragen, „deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden“. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist „Vermittler“ im Sinne dieser Bestimmung jeder, der eine Dienstleistung anbietet, die geeignet ist, von anderen Personen zur Verletzung eines solchen Rechts des geistigen Eigentums benutzt zu werden(193). Das trifft auf YouTube und Cyando ohne jeden Zweifel zu. Ihre Dienste werden immer dann „von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt“, wenn einer ihrer Nutzer ein geschütztes Werk in rechtswidriger Weise auf ihren Plattformen online veröffentlicht.
207. Sodann heißt es zwar im 59. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, dass die Bedingungen und Modalitäten für eine derartige gerichtliche Anordnung grundsätzlich dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen, aber daraus folgt schlicht, dass die Mitgliedstaaten insoweit über einen Ermessensspielraum verfügen. Diese Voraussetzungen und Verfahren müssen jedenfalls so ausgestaltet sein, dass das mit Art. 8 Abs. 3 dieser Richtlinie angestrebte Ziel erreicht wird(194). Dieser Ermessensspielraum kann es diesen Staaten daher nicht erlauben, den Anwendungsbereich und damit den Inhalt des Rechts, das diese Bestimmung den Rechtsinhabern gewährt, zu ändern.
208. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Möglichkeit der Rechtsinhaber, eine Anordnung gegen einen Vermittler unter den Voraussetzungen der „Störerhaftung“ zu erwirken, vom Verhalten des Vermittlers abhängt. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei einer auf der Grundlage dieses Rechtsinstituts erlassenen Anordnung um eine Unterlassungsanordnung. Sie setzt voraus, dass dieser Diensteanbieter gegen bestimmte Verhaltenspflichten(195) verstoßen hat, und ermöglicht die gerichtliche Zwangsvollstreckung
209. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 beruht jedoch auf einer anderen Logik. Im Gegensatz zu den in Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Anordnungen gegen Zuwiderhandelnde zielen die in Art. 8 Abs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Anordnungen gegen Vermittler nicht notwendigerweise darauf ab, bestimmte von ihnen begangene vorwerfbare Verhaltensweisen zu untersagen. Diese Bestimmung erfasst sogar Vermittler, die in dem Sinne „schuldlos“ sind, dass sie im Allgemeinen alle Verpflichtungen erfüllen, die das Gesetz ihnen auferlegt. Sie ermöglicht es den Rechtsinhabern, von den Vermittlern eine stärkere Beteiligung am Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen durch Nutzer ihrer Dienste zu verlangen, weil sie im Allgemeinen am besten in der Lage sind, diesen Verstößen ein Ende zu setzen. Unter diesem Blickwinkel erlaubt es diese Bestimmung, diesen Vermittlern durch gerichtliche Anordnungen neue Verpflichtungen aufzuerlegen. Letztlich handelt es sich um eine Form der Zwangskooperation(196).
210. Dieser Unterschied in der Logik könnte an sich unproblematisch sein. Wie ich bereits ausgeführt habe, kommt es nur auf das von den Mitgliedstaaten erzielte Ergebnis an, nicht aber auf die Art und Weise, wie sie Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 umsetzen. Absolut gesehen geht es in dieser Hinsicht nur um die Möglichkeit für die Rechtsinhaber, eine Anordnung zu erwirken, die die Vermittler zu einem bestimmten Verhalten zum Schutz ihrer Interessen verpflichtet. Ohne Bedeutung ist, ob sich diese Anordnung in theoretischer Hinsicht als strafbewehrte Durchsetzung bereits bestehender oder als Auferlegung neuer Verhaltenspflichten darstellt.
211. Den Erlass einer solchen Anordnung von der Verletzung bereits bestehender Verhaltenspflichten durch den Vermittler abhängig zu machen hat jedoch zur Folge, das Recht, das Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 den Rechtsinhabern zuerkennt, zu verzögern und damit einzuschränken(197). In der Praxis können diese Rechtsinhaber, wie Herr Peterson geltend macht, eine Anordnung gegen einen Vermittler nur beantragen, wenn diesem eine erste, auf seiner Plattform bereits eingestellte rechtswidrige Information ordnungsgemäß gemeldet wurde (eine Meldung, die Verhaltenspflichten auslöst) und sich der Verstoß wiederholt hat (was eine Verletzung dieser Pflichten durch den Vermittler darstellt).
212. Ein Rechtsinhaber muss aber meines Erachtens die Möglichkeit haben, eine solche Anordnung zu beantragen, sobald feststeht, dass Dritte über den Dienst des Vermittlers seine Rechte verletzen, ohne einen Wiederholungsfall abwarten und ohne ein Fehlverhalten des Vermittlers beweisen zu müssen(198). Ich präzisiere, dass Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 meiner Meinung nach den Grundsätzen der „Störerhaftung“ als solchen nicht entgegensteht. Er steht vielmehr dem entgegen, dass die Rechtsinhaber nach deutschem Recht über keine andere Rechtsgrundlage verfügen, auf der sie unter diesen Umständen eine gerichtliche Anordnung gegen einen Vermittler beantragen können.
213. Diese Auslegung wird meines Erachtens nicht durch das vom vorlegenden Gericht vorgebrachte und von Google, Cyando und der finnischen Regierung aufgegriffene Argument in Frage gestellt, dass eine den Rechtsinhabern eingeräumte Möglichkeit, eine Anordnung gegen einen Vermittler nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 zu beantragen, noch bevor ein Wiederholungsfall vorliege, darauf hinauslaufen würde, diesem Vermittler entgegen Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 eine allgemeine Pflicht zur Überwachung und aktiven Nachforschung aufzuerlegen. Ihrer Ansicht nach würde die Zulassung einer solchen Möglichkeit zu dem Ergebnis führen, dass der Vermittler, noch bevor er eine hinreichend genaue und fundierte Meldung erhalten habe, die in Rede stehende Information entfernen und ihre erneute Einstellung sperren müsste, was bedeute, dass er seine Server überwachen und in allgemeiner Weise aktiv nach möglicherweise darauf vorhandenen rechtswidrigen Informationen forschen müsste.
214. Aus der von mir vorgeschlagenen Auslegung ergibt sich eine solche Folge aber nicht. Der Umstand, dass die Rechtsinhaber in einem bestimmten Fall eine Anordnung gegen einen Vermittler beantragen können, bedeutet nicht, dass dieser notwendigerweise verpflichtet gewesen wäre, vor Erlass dieser Anordnung in einer bestimmten Weise tätig zu werden. Ich weise nochmals darauf hin, dass die gerichtlichen Anordnungen, auf die sich Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 bezieht, grundsätzlich nicht darauf abzielen, einen Verstoß von Vermittlern gegen bestehende Sorgfaltspflichten zu ahnden, sondern darauf, ihnen neue, für die Zukunft geltende Pflichten aufzuerlegen.
215. Schließlich bin ich mir sehr wohl bewusst, dass die Voraussetzung der „Störerhaftung“, die auf die Verletzung von Verhaltenspflichten des Vermittlers abstellt, – wie vom vorlegenden Gericht angegeben – das Ziel verfolgt, den Kreis der Personen einzuschränken, gegen die eine Anordnung erwirkt werden kann. Die von mir vorgeschlagene Auslegung bedeutet aber nicht, dass ein Rechtsinhaber jede beliebige Anordnung gegen jedweden Vermittler beantragen können sollte. Nach meiner Auffassung müssen die nationalen Gerichte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anwenden, um den Umfang der Verpflichtungen zu bestimmen, die einem bestimmten Diensteanbieter unter Berücksichtigung insbesondere seiner Situation im Hinblick auf die fraglichen Urheberrechtsverletzungen vernünftigerweise auferlegt werden können. In bestimmten Fällen könnte ein Dienstleister von diesen Verletzungen so weit entfernt sein, dass es unverhältnismäßig wäre, seine Mitwirkung zu verlangen. Jedenfalls stellt sich diese Frage im vorliegenden Fall nicht. Betreiber wie YouTube und Cyando stehen den von den Nutzern ihrer Plattformen begangenen Rechtsverletzungen nämlich insofern nahe, als sie die entsprechenden Dateien auf ihren Servern speichern.
216. Die Parteien der Ausgangsrechtsstreitigkeiten haben vor dem Gerichtshof auch die Frage nach dem Umfang der Anordnungen aufgeworfen, die gegen Vermittler erlassen werden können; insoweit sind die Rechtsinhaber der Ansicht, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehe in dieser Hinsicht nicht weit genug, während die Plattformbetreiber umgekehrt die Ansicht vertreten, diese Rechtsprechung gehe über das hinaus, was das Unionsrecht zulasse. Diese Frage hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof zwar nicht gestellt, aber weil sie mit den in den vorliegenden Rechtssachen allgemein aufgeworfenen Problemen eng zusammenhängt, werde ich einige kurze Bemerkungen dazu machen.
217. Der Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass eine im Einklang mit Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 erlassene Anordnung einem Vermittler Maßnahmen aufgeben kann, die nicht nur zur Beendigung der von den Nutzern seines Dienstes begangenen Verletzungen, sondern auch zur Vorbeugung gegen erneute Verletzungen dieser Art beitragen(199). Die Maßnahmen, die ihm im Rahmen einer solchen Anordnung aufgegeben werden können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen betroffenen Rechten und Interessen sicherstellen und dürfen keine Schranken für rechtmäßige Nutzungen des Dienstes errichten(200).
218. Außerdem müssen diese Maßnahmen die in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 festgelegten Beschränkungen beachten(201). Vorliegend geht es insbesondere darum, ob und in welchem Umfang eine Anordnung einem Betreiber aufgeben darf, die rechtswidrige Einstellung geschützter Werke auf seiner Plattform aufzudecken und zu sperren. Das wird es, wie bereits ausgeführt(202), für den Diensteanbieter im Allgemeinen erforderlich machen, eine Technologie zum Filtern der von ihm gespeicherten Informationen zu verwenden. Es geht also um die Frage, ob zwangsläufig davon auszugehen ist, dass eine solche Anordnung auf eine der verbotenen allgemeinen Verpflichtungen zur Überwachung und zur aktiven Nachforschung hinausläuft.
219. Hierzu weise ich zum einen darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil SABAM(203) entschieden hat, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 es untersagt, den Betreiber einer Plattform für ein soziales Netzwerk zu zwingen, ein System zur Filterung der im Auftrag der Nutzer seines Dienstes gespeicherten Informationen einzurichten, das unterschiedslos auf alle diese Nutzer anwendbar ist, präventiv, allein auf eigene Kosten und zeitlich unbegrenzt eingesetzt wird und mit dem sich Dateien ermitteln lassen, die Werke enthalten, an denen der Antragsteller Rechte des geistigen Eigentums hat, um zu verhindern, dass die genannten Werke der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Der Gerichtshof hat auch darauf abgestellt, dass eine solche Maßnahme für diesen Betreiber die Überwachung sämtlicher bei ihm gespeicherter Informationen oder des größten Teils davon bedeuten würde, jede künftige Beeinträchtigung einbeziehen würde und den Schutz nicht nur bestehender Werke, sondern auch der zum Zeitpunkt der Einrichtung dieses Systems noch nicht geschaffenen Werke zur Voraussetzung hätte.
220. Andererseits hat der Gerichtshof im Urteil Glawischnig-Piesczek(204), das speziell den Bereich der Ehrverletzung von Personen betraf, entschieden, dass eine Anordnung einem Vermittler aufgeben kann, eine konkrete Information aufzuspüren und zu sperren, deren Inhalt von einem Gericht analysiert und beurteilt wurde, das diese Information nach Abschluss seiner Würdigung für rechtswidrig erklärt hat. Ein Gericht kann somit von dem Anbieter verlangen, den Zugang zu Informationen, die mit dieser identisch sind, unabhängig davon zu sperren, welcher Nutzer ihn mit ihrer Speicherung beauftragt hat. Eine Anordnung kann sich sogar auf sinngleiche Informationen erstrecken, sofern sie spezifische Einzelheiten umfassen, die in der Anordnung gebührend identifiziert worden sind, und sofern der Diensteanbieter nicht verpflichtet ist, eine autonome Beurteilung ihres diffamierenden Charakters vorzunehmen, sondern im Gegenteil auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen kann. Für den Gerichtshof hat eine solche Anordnung einzig und allein spezifische Überwachungs- und aktive Nachforschungspflichten zur Folge, die im Einklang mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 stehen(205).
221. Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass nach Ansicht des Gerichtshofs Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 nicht jeder Verpflichtung zur Aufdeckung und Sperrung entgegensteht. Diese Bestimmung verbietet zwar, einen Diensteanbieter mit einer Anordnung zu einer generellen Filterung der von ihm gespeicherten Informationen zu zwingen, die dazu dient, nach beliebigen Urheberrechtsverletzungen zu forschen(206), doch steht sie nicht grundsätzlich dem entgegen, diesen Anbieter zu zwingen, eine bestimmte Datei zu sperren, die eine Nutzung eines geschützten Werks darstellt, die von einem Gericht für rechtswidrig befunden worden ist. Nach meinem Verständnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs würde die genannte Bestimmung in diesem Rahmen nicht verbieten, dass der Anbieter verpflichtet wird, nicht nur die identischen Kopien dieser Datei ausfindig zu machen und zu sperren, sondern auch andere, entsprechende Dateien, das heißt meines Erachtens diejenigen, die das fragliche Werk gleichermaßen nutzen. Insoweit stünde diese Bestimmung folglich dem nicht entgegen, dass einem Vermittler eine Stay-down-Verpflichtung auferlegt wird.
222. Gleichwohl ist zu beachten, dass Maßnahmen, die im Rahmen einer Anordnung gegen einen Vermittler ergriffen werden, verhältnismäßig sein müssen. Wichtig ist insoweit, dessen Ressourcen zu berücksichtigen. Insbesondere lässt sich eine identische Kopie einer als rechtsverletzend angesehenen Datei offenbar recht einfach sperren(207), während es deutlich komplexer ist, andere Dateien zu erkennen, die das fragliche Werk gleichermaßen nutzen(208). YouTube behauptet zwar, dazu in der Lage zu sein(209), aber nicht jeder Diensteanbieter verfügt über die erforderliche Technologie oder über Ressourcen für ihre Anschaffung(210). Ich weise außerdem darauf hin, dass die durch eine Anordnung auferlegten Maßnahmen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen einander gegenüberstehenden Rechten und Interessen gewährleisten müssen. Insbesondere kann eine Verpflichtung zur Sperrung meines Erachtens nicht zum Gegenstand oder zur Folge haben, die Nutzer einer Plattform daran zu hindern, rechtmäßig Inhalte online zu stellen und insbesondere das betreffende Werk rechtmäßig zu nutzen(211). Es wäre Sache der nationalen Gerichte, zu bestimmen, was von dem betreffenden Anbieter vernünftigerweise erwartet werden kann.
223. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vierte Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 dem entgegensteht, dass die Rechtsinhaber eine gerichtliche Anordnung gegen einen Anbieter, dessen Dienst in der Speicherung von einem Nutzer bereitgestellter Informationen besteht und von Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts genutzt wird, erst dann beantragen können, wenn es nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung erneut zu einer derartigen Rechtsverletzung kommt.
E. Hilfsweise: Zum Begriff „Verletzer“ im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2004/48 (fünfte und sechste Vorlagefrage)
224. Der Bundesgerichtshof hat seine fünfte und seine sechste Frage nur für den Fall vorgelegt, dass der Gerichtshof sowohl die erste als auch die zweite Frage verneinen sollte. Das vorlegende Gericht stellt somit auf den Fall ab, dass zum einen die Tätigkeit von Betreibern wie YouTube und Cyando nicht unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 fällt und zum anderen diese Betreiber sich hinsichtlich der Haftung, die sich aus den im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen gespeicherten Informationen ergeben kann, nicht auf die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehene Befreiung berufen können(212).
225. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob diese Betreiber in diesem Fall u. a. im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 als „Verletzer“ anzusehen sind, weil sie in Bezug auf die von den Nutzern ihrer Plattformen rechtswidrig eingestellten Dateien mit geschützten Werken eine „aktive Rolle“ gespielt haben.
226. Für den Fall, dass dies bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht mit seiner sechsten Frage wissen, ob die Regelung der Tatbeteiligung in § 830 BGB mit Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie vereinbar ist. Die erstgenannte Bestimmung, die eine Form der Sekundärhaftung vorsieht, ermöglicht es dem durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten – im Gegensatz zur „Störerhaftung –, Schadensersatz von einer Person zu erlangen, die sich an dieser Handlung beteiligt hat. Als Beteiligter soll derjenige gelten, der einen Dritten wissentlich dazu veranlasst hat, vorsätzlich eine unerlaubte Handlung zu begehen, oder dem Täter bei einer solchen Handlung Hilfe geleistet hat. Die Verantwortlichkeit des Teilnehmers setze jedoch außer einer objektiven Beteiligung an einer konkreten unerlaubten Handlung einen zumindest bedingten Vorsatz in Bezug auf die Haupttat voraus, der sich auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erstrecken müsse. In der Praxis könne ein Vermittler daher nur für konkrete Urheberrechtsverletzungen der Nutzer seines Dienstes, von denen er Kenntnis habe und die er wissentlich erleichtert habe, als Beteiligter zur Verantwortung gezogen werden. Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob es nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 für die Verurteilung eines Vermittlers zur Zahlung von Schadensersatz an die Rechtsinhaber ausreichen kann, dass dieser allgemein und abstrakt Kenntnis davon hat, dass sein Dienst zur Verletzung von Urheberrechten genutzt wird, oder sich dessen bewusst ist.
227. Nach meiner Auffassung ist Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 schlicht nicht dazu bestimmt, die Voraussetzungen der Haftung von Vermittlern für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer ihrer Dienste zu regeln.
228. Hierzu weise ich darauf hin, dass diese Bestimmung vorsieht, dass „die zuständigen Gerichte auf Antrag der geschädigten Partei anordnen, dass der Verletzer, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, dem Rechtsinhaber zum Ausgleich des von ihm wegen der Rechtsverletzung erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadensersatz zu leisten hat“. Im Sinne dieser Bestimmung ist „Verletzer“ somit die Person, die eine „Verletzungshandlung“ vornimmt, oder, mit anderen Worten, die Person, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzt.
229. Gleichwohl zielt Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 allein darauf ab, verfahrensrechtliche Regeln für die Zuerkennung und Bestimmung des Schadensersatzes vorzusehen, wenn der Tatbestand einer solchen Verletzung erfüllt ist. Diese Bestimmung soll nicht im Voraus festlegen, welche Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind, welche Handlungen diese Rechte verletzen, wer für diese Handlungen verantwortlich ist und wer der „Rechtsinhaber“ ist, an den Schadensersatz zu leisten ist. Alle diese Fragen fallen unter die materiell-rechtlichen Regeln des Rechts des geistigen Eigentums(213). Insoweit weise ich darauf hin, dass die Richtlinie 2004/48 allgemein nur bestimmte verfahrensrechtliche Aspekte des geistigen Eigentums harmonisiert, nicht aber solche materiell-rechtlichen Fragen(214).
230. Im Bereich des Urheberrechts befinden sich die einschlägigen materiell-rechtlichen Vorschriften insbesondere in der Richtlinie 2001/29. Eine Person übt eine „rechtsverletzende Handlung“ aus und wird dadurch zu einem „Verletzer“, wenn sie eine Handlung vornimmt, die ein ausschließliches Recht betrifft, das diese Richtlinie dem Urheber – der in diesem Zusammenhang grundsätzlich „Rechtsinhaber“ ist – gewährt, und zwar ohne die vorherige Genehmigung dieses Rechtsinhabers und ohne dass eine Ausnahme gilt.
231. Ich weise darauf hin, dass die fünfte und die sechste Vorlagefrage auf der Hypothese beruhen, dass Betreiber wie YouTube und Cyando keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vornehmen. In diesem Fall können diese Betreiber nicht als „Verletzer“ angesehen werden, die „Verletzungshandlungen“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 vornehmen.
232. Somit nimmt die Richtlinie 2004/48 nur eine Mindestharmonisierung vor(215). Wie die Kommission vorträgt, steht es den Mitgliedstaaten daher frei, in ihrem nationalen Recht zugunsten der Rechtsinhaber, die Opfer „rechtsverletzender Handlungen“ sind, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen andere Personen als den „Verletzer“ im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie vorzusehen, einschließlich der Vermittler, die solche Handlungen erleichtert haben. Jedenfalls richten sich die Voraussetzungen für eine solche Sekundärhaftung, wie ich den vorliegenden Schlussanträgen mehrfach ausgeführt habe, nach nationalem Recht.
F. Das Ziel eines hohen Schutzniveaus für das Urheberrecht rechtfertigt keine andere Auslegung der Richtlinien 2000/31 und 2001/29
233. Im Gegensatz zu Herrn Peterson und Elsevier bin ich nicht der Ansicht, dass das Ziel der Richtlinie 2001/29, ein hohes Schutzniveau im Bereich des Urheberrechts sicherzustellen, eine andere Auslegung dieser Richtlinie und der Richtlinie 2000/31 erfordert als die in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagene.
234. Ich weise vorab darauf hin, dass diese Auslegung nicht zur Folge hat, dass die Rechtsinhaber gegenüber der rechtswidrigen Veröffentlichung ihrer Werke auf Plattformen wie YouTube und Uploaded schutzlos bleiben.
235. Insbesondere haben die Rechtsinhaber zunächst einmal die Möglichkeit, gegen die Nutzer, die solche rechtswidrigen Online-Veröffentlichungen vorgenommen haben, gerichtlich vorzugehen. Zu diesem Zweck gewährt die Richtlinie 2004/48 diesen Rechtsinhabern u. a. das Recht, von Betreibern wie YouTube und Cyando bestimmte sachdienliche Auskünfte zu erhalten, darunter die Namen und Adressen dieser Nutzer(216). Ferner können die Rechtsinhaber diesen Betreibern melden, dass sich auf deren Plattformen Dateien befinden, die ihre Werke enthalten und rechtswidrig online gestellt wurden. Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 sind diese Betreiber verpflichtet, auf eine solche Meldung unverzüglich zu reagieren, indem sie die betreffenden Dateien entfernen oder den Zugang zu ihnen sperren. Andernfalls verlieren diese Betreiber den Vorteil der in dieser Bestimmung vorgesehenen Haftungsbefreiung und können gegebenenfalls nach dem anwendbaren nationalen Recht haftbar gemacht werden. Außerdem ist die Anwendung dieser Bestimmung meines Erachtens von vornherein ausgeschlossen, wenn ein Betreiber die Begehung rechtswidriger Handlungen durch die Nutzer seiner Plattform wissentlich erleichtert. Schließlich können die Rechtsinhaber in jedem Fall auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 gerichtliche Anordnungen gegen Plattformbetreiber erwirken, mit denen ihnen zusätzliche Verpflichtungen auferlegt werden können, um Urheberrechtsverletzungen durch Nutzer ihrer Plattformen abzustellen und solche Verletzungen zu verhindern.
236. Die Rechtsinhaber stehen daher bei der Durchsetzung ihrer Rechte und bei der Bekämpfung der rechtswidrigen Online-Veröffentlichung von Dateien mit ihren Werken über Plattformen wie YouTube und Uploaded nicht denselben Schwierigkeiten gegenüber wie im Fall der gemeinsamen Nutzung von Dateien in einem Peer-to-peer-Netzwerk, die durch eine Plattform wie „The Pirate Bay“ erleichtert wird. Im letztgenannten Fall verlieren die in der vorstehenden Nummer genannten Maßnahmen angesichts der dezentralisierten Organisation, die ein solches Netzwerk kennzeichnet(217), ihre Wirksamkeit. Dagegen werden die Dateien im vorliegenden Fall zentral auf den Servern von YouTube und Cyando gespeichert, die somit die Fähigkeit besitzen, sie zu entfernen, wie das vom Unionsgesetzgeber in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 vorgesehen wurde(218). Eine Auslegung des Begriffs „öffentliche Wiedergabe“, wie sie der Gerichtshof im Urteil Stichting Brein II („The Pirate Bay“) vorgenommen hat, wäre daher in den vorliegenden Rechtssachen umso weniger gerechtfertigt.
237. Die Rechtsinhaber halten dem entgegen, ihre ausschließlichen Rechte an ihren Werken würden nicht gewahrt, wenn die betreffenden Maßnahmen im Wesentlichen reaktiv statt proaktiv seien – da sie nicht von vornherein verhinderten, dass ein rechtswidriger Inhalt online gestellt werde, sondern vor allem dessen nachträgliche Entfernung und, in bestimmten Fällen, Sperrung ermöglichten – und die Mitwirkung der Rechtsinhaber erforderten. Ein hohes Schutzniveau ihrer Rechte wäre nach ihrer Ansicht nur gewährleistet, wenn die Plattformbetreiber ein System vorsähen, das eine solche Mitwirkung nicht erfordert und die Überprüfung der Rechtmäßigkeit sämtlicher Inhalte ermöglicht, bevor sie ins Netz gestellt werden.
238. Hierzu weise ich allgemein darauf hin, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung weder einer vereinfachenden Logik folgt, wonach die in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen ausschließlichen Rechte notwendigerweise weit (und unbegrenzt) auszulegen wären, noch die in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen eng auslegt. Meines Erachtens zielt der Gerichtshof, wenn er sowohl den Umfang dieser Rechte(219) als auch die Tragweite der genannten Ausnahmen und Beschränkungen(220) präzisiert, darauf ab, zu einer ausgewogenen Auslegung zu gelangen, die das mit diesen verschiedenen Bestimmungen verfolgte Ziel sicherstellt und den „angemessenen Ausgleich“ zwischen verschiedenen einander gegenüberstehenden Grundrechten und Interessen wahrt, den der Unionsgesetzgeber mit dieser Richtlinie bewirken wollte. Daher darf Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht zwangsläufig in einer Weise ausgelegt werden, die den Rechtsinhabern einen maximalen Schutz gewährleistet(221).
239. Auch wenn das Urheberrecht u. a. in Art. 17 Abs. 2 der Charta als Grundrecht geschützt ist, ist es nicht absolut und muss im Allgemeinen gegen andere Rechte und Interessen abgewogen werden.
240. Eine solche Abwägung ist vorliegend geboten. Zum einen können sich die Betreiber von Plattformen auf die in Art. 16 der Charta garantierte unternehmerische Freiheit berufen, die sie grundsätzlich vor Verpflichtungen schützt, die ihre Tätigkeit erheblich beeinträchtigen könnten.
241. Zum anderen dürfen die Grundrechte der Nutzer dieser Plattformen nicht unbeachtet bleiben. Dies gilt für die durch Art. 11 der Charta gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit(222), wobei ich darauf hinweise, dass sie die Meinungsfreiheit und die Freiheit einschließen, Informationen oder Ideen zu empfangen oder weiterzugeben. Sowohl aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch aus der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht hervor, dass dem Internet in dieser Hinsicht eine besondere Bedeutung zukommt(223). Genauer gesagt hat das letztgenannte Gericht festgestellt, dass YouTube ein wichtiges Mittel zur Ausübung dieser Freiheit darstellt(224). Dasselbe gilt auch für die Freiheit der Kunst, die in Art. 13 der Charta garantiert und eng mit der Freiheit der Meinungsäußerung verbunden ist, in Anbetracht der vielen Menschen, die Plattformen wie YouTube nutzen, um ihre Werke online zu teilen.
242. Von den Plattformbetreibern zu verlangen, sämtliche Dateien, die ihre Nutzer zu veröffentlichen beabsichtigen, generell und abstrakt zu überwachen, bevor sie online gestellt werden, auf der Suche nach jeder Verletzung des Urheberrechts, würde jedoch die erhebliche Gefahr einer Beeinträchtigung dieser verschiedenen Grundrechte mit sich bringen. Angesichts der potenziell erheblichen Zahl der gehosteten Inhalte wäre es nämlich zum einen unmöglich, eine solche vorherige Überwachung manuell durchzuführen, und zum anderen wäre das Haftungsrisiko für diese Betreiber unverhältnismäßig hoch. In der Praxis würden kleinere Betreiber Gefahr laufen, diese Haftung nicht zu überleben, und diejenigen mit ausreichenden Ressourcen wären gezwungen, eine generelle Filterung der Inhalte ihrer Nutzer ohne gerichtliche Kontrolle durchzuführen, woraus die Gefahr einer „übervorsorglichen Entfernung“ dieser Inhalte erwächst.
243. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil SABAM(225) entschieden hat, dass es nicht nur mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 unvereinbar wäre, dem Betreiber einer Plattform eine allgemeine Pflicht zur Filterung der von ihm gespeicherten Informationen aufzuerlegen, sondern auch kein „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, den Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, die Dienstleistungserbringern nach Art. 16 der Charta zukommt, sicherstellen würde. Eine solche Anordnung würde nämlich zu einer qualifizierten Beeinträchtigung dieser Freiheit führen, weil sie den Betreiber verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf seine Kosten betriebenes Informatiksystem einzurichten(226). Darüber hinaus würde eine solche Verpflichtung zu genereller Filterung die Freiheit der Meinungsäußerung der Nutzer dieser Plattform im Sinne von Art. 11 der Charta verletzen, weil die Gefahr bestünde, dass das Filtersystem nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte(227). Ich möchte hinzufügen, dass ein solches Ergebnis das Risiko mit sich bringen würde, das Online-Kunstschaffen zu beeinträchtigen, was im Widerspruch zu Art. 13 der Charta stünde. In dieser Hinsicht besteht die Gefahr, dass ein maximaler Schutz bestimmter geistiger Schöpfungen zulasten anderer, gesellschaftlich ebenso erwünschter Formen kreativen Schaffens gehen könnte(228).
244. Alles in allem scheint mir die gebotene Abwägung wesentlich heikler zu sein als die Rechtsinhaber vortragen(229).
245. In diesem Zusammenhang spiegeln die Richtlinien 2000/31 und 2001/29 ein vom Unionsgesetzgeber mit ihrem Erlass angestrebtes „angemessenes Gleichgewicht“ zwischen diesen verschiedenen Rechten und Interessen wider. Mit der Richtlinie 2000/31 wollte der Unionsgesetzgeber die Entwicklung von Vermittlern fördern, um ganz allgemein das Wachstum des elektronischen Geschäftsverkehrs und der „Dienste der Informationsgesellschaft“ im Binnenmarkt anzuregen. Es ging also darum, diesen Anbietern eine Verantwortlichkeit aufzuerlegen, die die Wirtschaftlichkeit ihrer Dienste gefährden könnte. Die Interessen der Rechtsinhaber sollten gewahrt und gegen die Freiheit der Meinungsäußerung der Nutzer solcher Dienste im Wesentlichen im Rahmen der Verfahren von „Meldung und Entfernung“ abgewogen werden(230). Der Unionsgesetzgeber hat diesen Ausgleich in der Richtlinie 2001/29 beibehalten, indem er den Standpunkt vertrat, dass die Interessen der Rechtsinhaber durch die Möglichkeit, gerichtliche Anordnungen gegen diese Vermittler zu erwirken, ausreichend gewahrt seien(231).
246. Seit dem Erlass dieser Richtlinien haben sich die Umstände zweifellos geändert. Das Erscheinungsbild der Vermittler ist nicht mehr dasselbe und dieser Interessenausgleich ist möglicherweise nicht mehr gerechtfertigt. Auch wenn der Gerichtshof solche veränderten Umstände jedenfalls in gewissem Ausmaß berücksichtigen kann, indem er von dem Auslegungsspielraum Gebrauch macht, den ihm die Vorschriften des Unionsrechts lassen, ist es jedoch in erster Linie Sache des Unionsgesetzgebers, sie zu beurteilen, gegebenenfalls diese Vorschriften zu ändern und dabei das von ihm ursprünglich bewirkte Gleichgewicht durch ein neues zu ersetzen.
247. Ich weise darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber erst kürzlich das Gleichgewicht der Rechte und Interessen im Urheberrechtsbereich für die Zukunft neu bewertet hat. Während der vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren ist nämlich die Richtlinie 2019/790 in Kraft getreten(232). Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nunmehr, vorzusehen, dass „ein Diensteanbieter für das Teilen von Online‑Inhalten(233) eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe oder eine Handlung der öffentlichen Zugänglichmachung für die Zwecke dieser Richtlinie vornimmt, wenn er der Öffentlichkeit Zugang zu von seinen Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen verschafft“. Folglich muss ein solcher „Diensteanbieter“, wie es in Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt, selbst eine Erlaubnis der Rechtsinhaber einholen, z. B. durch den Abschluss einer Lizenzvereinbarung über die von seinen Nutzern ins Netz gestellten Werke. Außerdem präzisiert Art. 17 Abs. 3 dieser Richtlinie, dass die Beschränkung der Verantwortlichkeit nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 keine Anwendung findet, wenn ein solcher „Diensteanbieter“ eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe oder der öffentlichen Zugänglichmachung unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen vornimmt.
248. Ferner bestimmt Art. 17 Abs. 4 der Richtlinie 2019/790 für den Fall, dass eine solche Erlaubnis nicht erteilt wird, dass die „Diensteanbieter“ für nicht erlaubte Handlungen der öffentlichen Wiedergabe, die über ihre Plattform vorgenommen werden, verantwortlich sind. Diese Bestimmung sieht jedoch vor, dass diese „Diensteanbieter“ nicht verantwortlich sind, wenn sie a) „alle Anstrengungen“ unternommen haben, um eine Erlaubnis einzuholen, und b) „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen“ haben, um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechtsinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind, und in jedem Fall c) nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechtsinhabern „unverzüglich gehandelt [haben], um den Zugang zu den entsprechenden Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von [ihren] Internetseiten zu entfernen, und alle Anstrengungen unternommen [haben], um gemäß Buchst. b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern“(234). Art. 17 Abs. 5 und 6 dieser Richtlinie sehen vor, dass das Ausmaß der den „Diensteanbietern“ somit auferlegten Handlungspflichten von verschiedenen Parametern abhängig ist, u. a. von „[der] Art, [dem] Publikum und [dem] Umfang der Dienste“, und dass für die „neuen“ Diensteanbieter außerdem weniger strenge Pflichten bestehen(235).
249. Ein letzter Punkt ist zu prüfen. Herr Peterson und die französische Regierung haben in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass der Unionsgesetzgeber, wie sich aus dem 64. Erwägungsgrund der Richtlinie 2019/790 ergebe(236), mit dem Erlass des Art. 17 dieser Richtlinie lediglich habe „klarstellen“ wollen, wie der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 schon immer hätte verstanden und auf Betreiber von Plattformen wie YouTube angewandt werden müssen. Ihrem Vorbringen entnehme ich, dass sie der Auffassung sind, dieser Art. 17 beschränke sich auch darauf, „klarzustellen“, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 auf diese Betreiber niemals anwendbar gewesen sei. Art. 17 der Richtlinie 2019/790 stelle somit eine Art „Auslegungsgesetz“ dar, das lediglich präzisiere, in welchem Sinne die Richtlinien 2000/31 und 2001/29 schon immer hätten verstanden werden müssen. Die sich aus diesem neuen Art. 17 ergebenden Lösungen müssten daher schon vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2019/790, die auf den 7. Juni 2021 festgesetzt worden sei(237), rückwirkend gelten, und zwar auch für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten.
250. Diesem Vorbringen kann ich nicht folgen. Meines Erachtens wäre es ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, aus der bloßen Verwendung eines mehrdeutigen Begriffs in einem Erwägungsgrund, dem keine rechtsverbindliche Wirkung zukommt, eine solche rückwirkende Anwendung abzuleiten(238).
251. Darüber hinaus stelle ich fest, dass abgesehen von ihrem 64. Erwägungsgrund nichts in der Richtlinie 2019/790 darauf hindeutet, dass der Unionsgesetzgeber eine rückwirkende Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 und Art. 14 der Richtlinie 2000/31 vorgeben wollte, zumal er auch darauf geachtet hat, die zeitliche Anwendung der Richtlinie 2019/790 in Bezug auf geschützte Werke und sonstige Schutzgegenstände(239) zu präzisieren und eine Übergangsbestimmung für die Anwendung einer anderen Bestimmung vorzusehen(240). Im Übrigen präzisiert Art. 17 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2019/790, dass der in ihr verwendete Begriff „öffentliche Wiedergabe“ nur „für die Zwecke dieser Richtlinie“ und „unter den in diesem Artikel festgelegten Bedingungen“ gilt. Die darin vorgesehene unmittelbare Verantwortlichkeit der „Diensteanbieter“ für die von den Nutzern ihrer Plattformen vorgenommenen Wiedergabehandlungen in Art. 17 ist nicht die schlichte Konsequenz der Art und Weise, in der Art. 3 der Richtlinie 2001/29 schon immer hätte verstanden werden müssen, sondern „folgt“ aus diesem Art. 17(241). Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Unionsgesetzgeber fast 20 Jahre nach dem Erlass einer Richtlinie deren authentische Auslegung vornehmen könnte, bin ich daher der Ansicht, dass sich diese Frage im vorliegenden Fall nicht stellt.
252. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, hat der Unionsgesetzgeber nicht das Recht „klargestellt“, wie es immer hätte verstanden werden müssen. Er hat im Urheberrechtsbereich eine neue Haftungsregelung für bestimmte Online-Vermittler geschaffen. Es ging ihm darum, den derzeitigen Rechtsrahmen der Union „anzupassen und zu ergänzen“(242). Wie die Kommission hervorhebt, ist Art. 17 der Richtlinie 2019/790 Ausdruck einer politischen Entscheidung des Unionsgesetzgebers zugunsten der Kreativbranche(243).
253. Dieser Art. 17 fügt sich insoweit in die Linie einer Reihe öffentlicher Konsultationen(244), Mitteilungen der Kommission(245) und neuer sektorbezogener Regelungen(246) ein, die im Hinblick auf die „Anpassung“ und „Modernisierung“ des Unionsrechts an die oben genannten neuen Umstände darauf abzielen, ein proaktiveres Tätigwerden der Vermittler zu verlangen, um die Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Internet zu verhindern(247).
254. Im Übrigen sind die Folgen zu bedenken, die sich aus der von Herrn Peterson und der französischen Regierung vorgeschlagenen rückwirkenden Anwendung ergeben würden. Aufgrund der „Klarstellung“ in Art. 17 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2019/790 wären die Plattformbetreiber generell für sämtliche Handlungen der öffentlichen Wiedergabe ihrer Nutzer haftbar und könnten nicht in den Genuss der Befreiung nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 kommen. Dagegen würde Art. 17 Abs. 4 ff. der Richtlinie 2019/790, der, wie angegeben, eine Befreiungsregelung für diese Betreiber vorsieht, nicht rückwirkend gelten. Mit diesen Absätzen des Art. 17 zielte der Unionsgesetzgeber aber meines Erachtens darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen betroffenen Rechten und Interessen zu gewährleisten(248).
255. Eine rückwirkende Anwendung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2019/790 in Rechtssachen wie denen der Ausgangsverfahren würde daher nicht nur das Gleichgewicht missachten, das der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinien 2000/31 und 2001/29 anstrebte, sondern auch dasjenige, das derselbe Gesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2019/790 herbeiführen will. In Wirklichkeit würde diese Lösung meines Erachtens keinerlei Ausgewogenheit widerspiegeln.
VI. Ergebnis
256. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof (Deutschland) in den Rechtssachen C‑682/18 und C‑683/18 vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
1. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform und der Betreiber einer Sharehosting-Plattform keine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung vornehmen, wenn ein Nutzer ihrer Plattformen dort ein geschütztes Werk online stellt.
2. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass sich der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform und der Betreiber einer Sharehosting-Plattform grundsätzlich auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung von jeglicher Haftung berufen können, die sich aus den Dateien ergeben kann, die sie im Auftrag der Nutzer ihrer Plattformen speichern.
3. Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 ist dahin auszulegen, dass sich die in dieser Bestimmung genannten Fälle, d. h. der Fall, in dem ein Diensteanbieter „tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ hat, und der Fall, in dem sich ein solcher Anbieter der „Tatsachen oder Umstände bewusst [ist], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird“, grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Informationen beziehen.
4. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass die Rechtsinhaber eine gerichtliche Anordnung gegen einen Diensteanbieter, dessen Dienst in der Speicherung von einem Nutzer bereitgestellter Informationen besteht und von Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts genutzt wird, erst dann beantragen können, wenn es nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung erneut zu einer derartigen Rechtsverletzung kommt.