Language of document : ECLI:EU:T:2019:432

Rechtssache T373/15

Ja zum Nürburgring e. V.

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Erste erweiterte Kammer) vom 19. Juni 2019

„Staatliche Beihilfen – Einzelbeihilfen zugunsten des Nürburgring-Komplexes für den Bau eines Freizeitparks, von Hotels und Restaurants sowie für die Ausrichtung von Motorsportrennen – Beschluss, mit dem die Beihilfen für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden – Beschluss, mit dem festgestellt wird, dass die Rückzahlung der für unvereinbar erklärten Beihilfen nicht den neuen Eigentümer des Nürburgring-Komplexes betreffe – Nichtigkeitsklage – Keine spürbare Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung – Verein – Status eines Verhandlungsführers – Unzulässigkeit – Beschluss, mit dem am Ende der Vorprüfungsphase festgestellt wird, dass keine staatliche Beihilfe vorliege – Nichtigkeitsklage – Beteiligter – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Verletzung der Verfahrensrechte der Beteiligten – Fehlen von Schwierigkeiten, die die Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens erfordern – Beschwerde – Veräußerung der Vermögenswerte der Empfänger der mit dem Binnenmarkt für unvereinbar erklärten staatlichen Beihilfen – Offenes, transparentes, diskriminierungs- und bedingungsfreies Bietverfahren – Begründungspflicht – Grundsatz der guten Verwaltung“

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergangener Beschluss, der mit einem Beschluss zusammenhängt und diesen ergänzt, der am Ende des förmlichen Prüfverfahrens erlassen wurde – Mit dem durch die Beihilfe begünstigten Unternehmen konkurrierendes Unternehmen – Kein Nachweis einer durch die staatliche Maßnahme spürbar beeinträchtigten Wettbewerbsstellung auf dem Markt – Unzulässigkeit

(Art. 108 Abs. 2 und Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 40-45, 48-50, 56)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss über staatliche Beihilfen – Klage eines Verbands, der mit der Wahrnehmung der Kollektivinteressen seiner Mitglieder betraut ist – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 60-64)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss über staatliche Beihilfen – Klage eines Verbands, der in diesem Verfahren eine aktive Rolle gespielt hat, die jedoch nicht über die Ausübung der Verfahrensrechte hinausging, die den Beteiligten nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zustehen – Unzulässigkeit

(Art. 108 Abs. 2 und Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 65-70)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss der Kommission, mit dem ohne Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Klage der Beteiligten im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV – Klage zur Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten – Zulässigkeit

(Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. h)

(vgl. Rn. 80-93)

5.      Gerichtliches Verfahren – Frist für den Beweisantritt – Art. 85 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts – Geltungsbereich

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 85 Abs. 1 und 2 sowie Art. 92 Abs. 7)

(vgl. Rn. 97, 98)

6.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Beschluss der Kommission, mit dem ohne Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Klage der Beteiligten im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV – Klage zur Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten – Klagegründe, die geltend gemacht werden können

(Art. 107 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 3 AEUV; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 4)

(vgl. Rn. 110-112, 116, 117)

7.      Staatliche Beihilfen – Beihilfevorhaben – Prüfung durch die Kommission – Vorprüfungsphase und kontradiktorische Prüfungsphase – Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Beurteilungsschwierigkeiten – Verpflichtung der Kommission, das kontradiktorische Prüfungsverfahren einzuleiten – Umstände, die das Vorliegen solcher Schwierigkeiten belegen können – Dauer und Unzulänglichkeit oder Unvollständigkeit der von der Kommission im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens durchgeführten Prüfung

(Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 4)

(vgl. Rn. 113, 114)

8.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers – Veräußerung eines Unternehmens – Ermittlung des Preises – Vorrangige Berücksichtigung des Ergebnisses eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens gegenüber einem Gutachten – Beurteilung der Offenheit und Transparenz

(Art. 107 Abs. 1 AEUV)

(vgl. Rn. 133-136)

9.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beschluss der Kommission über staatliche Beihilfen – Entscheidung, kein förmliches Prüfverfahren einzuleiten – Kurze Darstellung der Gründe, die die Kommission zu der Annahme geführt haben, dass bei der Beurteilung der Frage der Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfe mit dem Binnenmarkt keine ernsthaften Schwierigkeiten bestehen – Hinreichende Begründung

(Art. 296 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 182-184)

10.    Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Verpflichtungen der Kommission – Sorgfältige und unparteiische Prüfung – Berücksichtigung möglichst vollständiger und verlässlicher Informationen – Umfang der Verpflichtung

(Art. 108 Abs. 3 AEUV)

(vgl. Rn. 186, 187)

Zusammenfassung

In ihren Urteilen NeXovation/Kommission (T‑353/15) und Ja zum Nürburgring/Kommission (T‑373/15) vom 19. Juni 2019 hat die Erste erweiterte Kammer des Gerichts zwei Klagen abgewiesen, mit denen begehrt wurde, einen Beschluss der Europäischen Kommission über eine staatliche Beihilfe zugunsten des Nürburgring-Komplexes in Deutschland für den Bau eines Freizeitparks, von Hotels und Restaurants sowie für die Ausrichtung von Motorsportrennen(1) teilweise für nichtig zu erklären.

Zwischen 2002 und 2012 erhielten die öffentlichen Unternehmen, die Eigentümer des Nürburgring-Komplexes waren (im Folgenden: Veräußerer), hauptsächlich von Seiten des Landes Rheinland-Pfalz Beihilfen. Diese Beihilfen waren Gegenstand eines von der Kommission im Jahr 2012 eingeleiteten förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV. Im selben Jahr wurde die Zahlungsunfähigkeit der Veräußerer festgestellt, und es wurde entschieden, ihre Vermögenswerte zu veräußern. Es wurde ein Bietverfahren eingeleitet, das dazu führte, dass diese Vermögenswerte an die Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft GmbH (im Folgenden: Capricorn) veräußert wurden.

Ein Bieter, nämlich die NeXovation, Inc., und ein deutscher Motorsportverband, nämlich der Ja zum Nürburgring e. V., legten bei der Kommission Beschwerden ein, in denen sie geltend machten, das Bietverfahren sei weder transparent noch diskriminierungsfrei gewesen und habe nicht zu einem marktgerechten Preis geführt. Mit ihrem Beschluss stellte die Kommission fest, dass bestimmte Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Veräußerer rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien. Ferner entschied sie, dass Capricorn nicht von einer etwaigen Rückforderung der Beihilfen betroffen sei und dass die Veräußerung der Vermögenswerte des Nürburgrings an Capricorn keine staatliche Beihilfe darstelle. Die Kommission war nämlich der Auffassung, dass das Bietverfahren offen und diskriminierungsfrei durchgeführt worden sei. Die NeXovation, Inc. und der Ja zum Nürburgring e. V. erhoben Klage gegen den Beschluss der Kommission.

Was zunächst die Entscheidung über die wirtschaftliche Kontinuität zwischen den Veräußerern und Capricorn anging, hat das Gericht darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung über die wirtschaftliche Kontinuität als eine mit der ihr vorausgehenden abschließenden Entscheidung über die betreffenden Beihilfen „zusammenhängende und diese ergänzende“ Entscheidung anzusehen ist. Vor dem Hintergrund, dass die angefochtene Entscheidung mit der am Ende des förmlichen Prüfverfahrens ergangenen Entscheidung über die Beihilfen an die Veräußerer zusammenhängt und sie ergänzt, könnten die Kläger nur dann geltend machen, von letzterer Entscheidung individuell betroffen zu sein, wenn sie durch sie in ähnlicher Weise individualisiert würden wie der Adressat einer solchen Entscheidung. Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben.

Was sodann die Entscheidung über die Veräußerung der Vermögenswerte an Capricorn betraf – eine Entscheidung, die am Ende der Phase der Beihilfenvorprüfung erging, und nicht am Ende eines förmlichen Prüfverfahrens –, hat das Gericht festgestellt, dass grundsätzlich jedes Unternehmen, das sich auf ein tatsächliches oder potenzielles Wettbewerbsverhältnis beruft, als Beteiligter im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV anerkannt werden kann. Folglich hat das Gericht in Bezug auf diese Entscheidung befunden, dass die Kläger als Beteiligte klagebefugt sind und ein Rechtsschutzinteresse haben, das sich aus der Wahrung der Verfahrensrechte ergibt, die ihnen in derselben Eigenschaft nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zustehen.

Schließlich hat das Gericht ausgeführt, dass, wenn ein Unternehmen im Wege eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens verkauft wird, vermutet werden kann, dass der Marktpreis dem höchsten Angebot entspricht, wobei erstens festzustellen ist, ob dieses Angebot verpflichtend und verlässlich ist, und zweitens, ob es nicht gerechtfertigt ist, andere wirtschaftliche Faktoren als den Preis zu berücksichtigen.


1      Beschluss (EU) 2016/151 der Kommission vom 1. Oktober 2014 über die staatliche Beihilfe Deutschlands SA.31550 (2012/C) (ex 2012/NN) zugunsten des Nürburgrings (ABl. 2016, L 34, S. 1).